Der Traumfalter Jahresrückblick 2022

Schurrmurr … Nein so kann man keinen Text beginnen. Ich bitte um Verzeihung, aber ich bin ein wenig aus der Übung. Der letzte Jahresrückblick liegt nun schon fast 365 Tage zurück, seitdem habe ich keinen mehr geschrieben. Und auch sonst keine Filmtexte. Obwohl ich täglich Cefavit D3 K2 Magnesium einnehme, leide ich an einer kausalen Reiz-Reaktion-Indisposition. Das heißt, je schlechter die Welt, desto größer der Wunsch, in die Fantasie zu fliehen. Begünstigt wird diese Sehnsucht durch ein Phänomen namens Fiktionskompensationsyndrom. Bedeutet: Je schlechter die Welt, desto besser die Fiktion. Das wiederum ist perspektivisch verzerrt, denn nicht Filme oder Serien werden besser, sondern der emotionale Zugang dazu wird erleichtert. Noch nie standen die Fluchttüren so weit offen, nie war die Leuchtreklame glitzernder. Klimakrise, Krieg, Tod, Krankheit, Hunger, Hass, Radikalisierung, Rassismus, Sexismus, dafür hab ich grad leider keine Zeit, denn die neue Folge von HOUSE OF THE DRAGON kommt heute raus.

 

 

Stell dir vor, es ist Weltuntergang, aber keiner geht hin, weil alle im Kino sitzen oder bingewatchen. Das Programm wird grandios werden. Doch statt das zu genießen, wird auch die Fiktion mit Hass überschüttet. Die eine Seite verteufelt Diversität in Filmen, der anderen Seite geht das nicht weit genug. Filmemacher und Filmemacherinnen stehen zwischen den Drehstühlen, die Sehnsucht nach einem Ideal wird zum Krampf, das Spielzeug ist einfach zu alt und abgenutzt. Diese doofe Reiz-Reaktions-Unpässlichkeit, doch wir werden es überwinden, der Trägheit des Herzens wegen. Das ist in etwa so, als sieht man zum ersten Mal einen Film in High Frame Rate, da muss sich das Auge auch erst dran gewöhnen. All jene, die ihr Herz auf dem Auge tragen, sind somit eingeladen, mit mir zusammen das Film- und Serienjahr Revue passieren zu lassen. Willkommen zum Traumfalter Jahresrückblick 2022.

 

The Slap, The Diss, The Forbidden Kiss

 

Volle zwölf Monate uneingeschränkter Lichtspielbetrieb, das müsste doch locker reichen, um das pandemiegebeutelte Kinofilmjahr 2021 in Besucherzahlen und Einspielergebnissen zu übergupfeln. TOP GUN: MAVERICK sollte eigentlich bereits im Juli 2019 in die US-Kinos kommen, nach nun knapp drei Jahren Verspätung schaffte es die Fortsetzung des 1986er Kultfilms in den Staaten (718,5 Millionen US-Dollar) und weltweit (1,49 Milliarden US-Dollar) aufs Box Office Siegertreppchen. Nicht so in Deutschland, trotz 3,7 Millionen Kinozuschauer reichte es hier nur für Platz 2 hinter den neuen MINIONS (4,1 Mio.). Weltweit gab es mit JURASSIC WORLD: EIN NEUES ZEITALTER noch einen weiteren Milliardenknacker, DR. STRANGE 2 und die MINION schlitterten knapp dran vorbei. Hier noch nicht berücksichtigt ist AVATAR: WAY OF THE WATER, die erste Milliarde wird aber sicher nicht lang auf sich warten lassen.

 

 

 

 

Während Kino also wieder bessere Zahlen verzeichnet, straucheln die Streaminganbieter auf allerhöchstem Niveau. Netflix verliert über eine Millionen Abonnenten, damit überholt Disney+ den Brachenprimus an Nutzern, fährt aber einen finanziellen Verlust von satten 2 Milliarden US-Dollar ein. Apple TV+ dagegen gelang es, dem Konkurrenten Kino ein Schnippchen zu schlagen, mit CODA ging 2022 erstmals der Oscar für den besten Film an einen Streamingdienst. Frust gab es dagegen bei Warner Bros. Discovery, denn 2022 implodierte das DC-Universe. Der fertiggestellte Film BATGIRL wurde nicht veröffentlicht, THE FLASH wegen Flegelhaftigkeit von Ezra Miller auf 2023 verlegt, BLACK ADAM floppte und James Gunn, der neue Chef der DC Studios, solls nun wieder richten.

 

 

 

 

Auch gab es 2022 wieder so einige Skandale und Exkrementgewitter. Pixars LIGHTYEAR wurde in 14 islamischen Ländern verboten, weil sich in dem Film zwei weibliche Figuren küssen. Berichten zufolge wurde dieser Kuss von Disney zunächst herausgeschnitten, nach Protesten des Animationsstudios aber wieder eingefügt. Richtig in Fahrt kam 2022 dann auch die Diskussion um Diversität in Filmen und Serien, einiges davon war übel toxisch. Für einen Shitstorm sondergleichen sorgte die Serie THE RINGS OF POWER, deren Macher es wagten, dunkelhäutige Zwerge und Elben in Mittelerde zu platzieren. Diejenigen, die sich an Diversität in Fantasyfilmen aufreiben, sind wahrlich weit gekommen auf dem Weg zum Gipfel des Mount Bullshit. Doch es gibt auch das andere Extrem. Tim Burton wurde vorgeworfen, ein übler Rassist zu sein, weil es in der Serie WEDNESDAY fast nur weiße Darsteller gibt. Letztendlich eine Verwechslung, die Fangemeinde dachte, bei WEDNESDAY handelt es sich um ein Prequel zum Film FRIDAY.

 

 

 

 

Was für Diskussionen! Man hofft im Stillen, dass mal einer kommt und ordentlich Backenfutter verteilt. Denn wenn etwas aus dem Jahr 2022 in den Köpfen der Filmenthusiasten hängenbleiben wird, dann wohl die gepfefferte Showeinlage „The Slap“ von Will Smith während der Oscarverleihung im März. Viel Gezeter, viel Reue, 10 Jahre Oscar-Verbot, aber Präsident kann Will Smith immer noch werden, oder? Mediale Dauerberichterstattung gab es auch im Prozess Johnny Depp gegen Amber Heard, das wird eines Tages ein lustiges Biopic abgeben. Traurig dagegen das Schicksal von Bruce Willis, bei dem Aphasie diagnostiziert wurde und der mit 67 Jahren das frühzeitige Ende seiner Schauspielerkarriere bekanntgeben musste. Nix Yippi-Ya-Yay. Aus freien Stücken hingegen verabschiedete sich Sandra Bullock aus dem Rampenlicht, die sich mehr um ihre Familie kümmern möchte. Doch es gibt auch einen Rückkehrer. Nachdem er sexuelle Nötigung erfahren und sich deshalb aus Hollywood zurückgezogen hatte, wagte Brendan Fraser wieder den Schritt ins Business und feierte mit Darren Aronofskys THE WHALE ein ergreifendes Comeback.

 

Streaming, Sdreaming

 

Genug der Zahlenspielereien und des Kladeratratsches, gehen wir deep into the movies, streaming only first. Eine Überraschung landete im Sommer auf Hulu bzw. Disney+ mit PREY von Dan Trachtenberg (10 CLOVERFIELD LANE). Dahinter verbarg sich nämlich nichts Geringeres als ein neuer Film aus der PREDATOR Franchise. Kein PREDATOR im Titel, die Hauptfigur eine Teenie-Komanchin aus dem Jahr 1719, passend dazu eine alternative Synchronfassung in Comanche, die Marketingabteilung muss ausgeflippt sein. Trotz allem ist PREY famos geworden, dank unverbrauchtem Setting, einer hervorragenden Hauptdarstellerin und reichlich rotem wie neongrünem Blut, summa summarum ein fantastischer Sci-Fi-Actionkracher. Freue mich auf eine baldige Fortsetzung.

 

 

 

 

Nach dem großen Erfolg von KNIVES OUT 2019 gab es einen Bieterwettstreit der Streamingriesen um die Fortsetzung von Rian Johnsons Krimikomödie, den Zuschlag bekam Netflix für schlappe 469 Millionen US-Dollar für zwei Sequels, einer der größten Streaming Deals aller Zeiten. Im Dezember lief dann GLASS ONION – A KNIVES OUT MYSTERY in ausgewählten Kinos an und kam kurz darauf zu Netflix. Gegen den artverwandten Whodunit TOD AUF DEM NIL gewinnt GLASS ONION mühelos, die Klasse von KNIVES OUT erreicht die Fortsetzung aber nicht, dafür ist der Film zu prollig inszeniert und hat keinen wirklichen Sympathieträger. Bis auf Daniel Craig als Benoit Blanc, der erneut auftrumpft und die überkandidelte Mörderhatz ein weiteres Mal überragt.

 

 

 

 

Nachdem mit CODA der erste Oscar für den besten Film an einen Streaminganbieter ging, schien die cineastische Wachablösung perfekt. Aber CODA ist sowas von 2021, wie lief es in diesem Jahr? Auch hier schaffte es Apple TV+, sich in Sachen Streamingfilme qualitativ von der Konkurrenz abzusetzen. 2022 erschienen beim Apfelhändler cineastische Meisterwerke wie THE TRAGEDY OF MACBETH von Joel Coen, RAYMOND AND RAY mit Ewan McGregor und Ethan Hawke, CAUSEWAY mit Jennifer Lawrence und ganz frisch EMANCIPATION mit Will Smith. Auch die Serie des Jahres 2022 gibt’s nur auf Apple TV+, wer hätte das gedacht? Um gegen die Platzhirsche Netflix, Amazon Prime und Disney+ zu bestehen, ist der Fokus auf quality content wohl die cleverste Strategie.

 

 

 

 

Konkurrent Netflix bemüht sich wenigstens, aber Streamingfilme sind eben mehr Prestige als Abofänger. Da kommt ein bisschen Mundpropaganda ganz gelegen, auch wenn die wie im Fall von BLOND von Andrew Dominik mit scharfer Zunge formuliert wurde. An der Verfilmung des gleichnamigen fiktiven Romans über Marilyn Monroe von Joyce Carol Oates wurde kein gutes Haar gelassen, zu verstörend, zu wenig Biopic, Marilyn als ewiges Opfer, gar die „Anti-Abtreibungspropaganda“-Karte wurde gezogen. BLOND ist sicherlich ein wenig sperrig, aber Ana de Armas ist überragend und die Musik von Nick Cave und Warren Ellis schlicht umwerfend.

 

 

 

 

Das exklusive Filmangebot von Amazon Prime dagegen fällt qualitativ ernüchternd aus. Weder konnte die Graphic Novel Adaption SAMARITAN mit Sylvester Stallone überzeugen noch das US-Remake von ICH SEH ICH SEH namens GOODNIGHT MOMMY mit Naomi Watts. Wirklich gut gefallen hingegen hat mir THIRTEEN LIVES von Ron Howard, welcher im August ins Programm von Prime Video aufgenommen wurde und der die waghalsige Rettungsaktion einer Jugendfußballmannschaft im Tham-Luang-Höhlensystem in Thailand nacherzählt. Das gelingt Howard ohne Pathos oder White Savior Attitüde, trotz der Hauptdarsteller Viggo Mortensen und Colin Farrell. THIRTEEN LIVES schaffte es, alle Perspektiven des Unglücks zu zeigen und ist dabei höllisch spannend.

 

 

 

 

Auch auf Disney+ gab es 2022 viel Exklusives, von PREY abgesehen vornehmlich für eine jüngere Zielgruppe. Die Realverfilmung des Disney Zeichentrickklassikers PINOCCHIO mit Tom Hanks als Meister Gepetto entstand unter der Regie von Robert Zemeckis und ist im Gegensatz zu MULAN wieder recht konservativ und klassisch geraten, schlecht beileibe nicht, aber auch nicht so toll wie die Adaption von Guillermo del Toro, die exklusiv auf Netflix erschien. Während das TOY STORY Spin-off LIGHTYEAR in die Kinos kam, ging Pixars RED wieder direkt aufs Portal. Neben ein paar Gürkchen wie die uninspirierten Fortsetzungen HOCUS POCUS 2 und VERWÜNSCHT NOCHMAL gab es aber auch noch eine positive Überraschung. Mit CHIP UND CHAP: DIE RITTER DES RECHTS entstand 33 Jahre nach der beliebten Zeichentrickserie eine Fortsetzung als Live-Action & Animationsspektakel mit einer Lawine durchgeknallter Ideen rund um Produktpiraterie und jeder Menge wahnwitziger Insidergags. Rettungstruppe, so geht das!

 

 

 

 

Nochmal zurück zu GUILLERMO DEL TOROS PINOCCHIO, welcher im Dezember exklusiv auf Netflix erschien. Für del Toro war es ein wankelmütiges Filmjahr, nachdem NIGHTMARE ALLEY künstlerisch wie finanziell floppte und die Horroranthologie GUILLERMO DEL TOROS CABINET OF CURIOSITIES hinter den Erwartungen zurückblieb. Zum Glück lief es mit der PINOCCHIO Adaption besser, der Stop Motion Film strotzt nur so voll düsterer Details, interpretiert die Vorlage neu und ist im Gegensatz zum Disney Pendant definitiv kein Kinderfilm. Auch erinnert der Film an del Toros Meisterwerke THE DEVIL’S BACKBONE und PANS LABYRINTH und das nicht nur in visueller Hinsicht, auch PINOCCHIO ist eine bedrückende Fabel über Kinder in totalitären Systemen.

 

 

 

 

Immerhin gelang es Netflix, auch mit anderen kleineren Produktionen Erinnerungen an einige geliebte Filme anzustoßen. Fast unter dem Radar erschien im Februar ein neuer Film von Regisseur Jean-Pierre Jeunet (DELIKATESSEN, DIE FABELHAFTE WELT DER AMELIE) mit dem Titel BIGBUG, in dem Hausroboter eine Familie plus Nachbarn in Geiselhaft nehmen, während draußen vor dem Wohnhaus künstliche Intelligenzien die Macht übernehmen wollen. Das ist zwar nicht ganz so schräg wie zu Jeunets Hochzeiten, aber immer noch skurril und herzlich. Auch Henry Selick ist wieder zurück, nachdem seit seinem letzter Film CORALINE bereits 13 Jahre ins Land gezogen sind. Selicks neuer Stop Motion Animationsfilm WENDEL & WILD erschien im Oktober auf Netflix und ist wie gewohnt ein optisch eigenwilliges und schräges Abenteuer meisterlichen Handwerks.

 

 

 

 

Das Gros an exklusivem Content erscheint nach wie vor auf Netflix, so wundert es nicht, dass sich hier auch einige Rohrkrepierer versammeln, die eigentlich als garantierte Hits gehandelt wurden. 2021 butterte man mutmaßlich 150 Millionen US-Dollar in den Actionmurks RED NOTICE, 2022 legte man noch eine Schippe drauf und produzierte für 200 Millionen US-Dollar mit THE GRAY MAN die bislang teuerste Auftragsproduktion. Genützt hat es abermals nix, auch THE GREY MAN ist Hochglanzquatsch, immerhin mit Ryan Gosling und Ana de Armas. Nicht ganz so teuer, aber ebenso halbgar geriet der nostalgische Zeitreisemumpitz THE ADAM PROJECT von Shawn Levy, der immerhin zu den meistgeschauten Filmen auf Netflix avancierte, mich aber größtenteils langweilte.

 

 

 

 

Doch es geht immer noch schlechter. Nachdem im letzten Jahr die Amazon Prime Produktion DER PRINZ VON ZAMUNDA 2 zur Gurke des Jahres gewählt wurde, geht dieser Award 2022 wieder zurück zu Netflix – für den grandios-schlechten Film THE BUBBLE von Judd Apatow („JUNGFRAU (40), MÄNNLICH, SUCHT…“). Woran hats gelegen? Einen Film innerhalb einer Pandemie zu drehen, der den Filmdreh während einer Pandemie thematisiert? Klingt lustig. Die Besetzung mit Karen Gillan, David Duchovny, Keegan-Michael Key, Leslie Mann und Pedro Pascal? Top! Was aber da am 1. April 2022 auf dem Streamingsender landete, konnte nur ein Aprilscherz sein, dagegen war ja selbst TROPIC THUNDER ein Meisterwerk. Trotzdem danke für die filmjournalistische Steilvorlage.

 

 

 

 

Einige der Streaming Exclusives hätten im Jahr 2022 auch im Kino eine gute Figur gemacht. Haben sie zum Teil auch mit minimalem Leinwandeinsatz, um wie CODA überhaupt bei den Oscars zugelassen zu werden. Doch auch 2022 stellen Streamingfilme keine Konkurrenz für das Kino dar. Ganz anders dagegen Serien, das Hauptgeschäft der Dienste, Nutzer zu finden, in die Verdunkelung zu treiben und ewig zu binden. Was war das nur für eine Seriensause 2022! Ringträger, Drachenreiter, Rebellenabschaum, Gothicgören, kein Wunder, dass mein Kiefergelenk weh tut, es war das Serienjahr der offenen Münder in jeglicher Hinsicht. Und wie so oft, wenn sich die Großkupferten um einen Award rangeln, stibitzt sich ein Underdog die Trophäe.

 

Serien haben uns zu Königen gemacht

 

Der Award Beste Serie des Jahres 2022 geht an die Apple TV+ Produktion SEVERANCE. Was ist da los? Produziert und größtenteils inszeniert wurde SEVERANCE von Ben Stiller. Doch haben wir es hier nicht mit Holzhammerhumor á la ZOOLANDER zu tun, sondern mit einem der cleversten Sci-Fi-Plots der letzten Jahre. Bei Lumon Industries wird Work-Life-Balance großgeschrieben, bei den Mitarbeitenden werden die Erinnerungen an ihre Arbeit von denen ihres Privatlebens durch einen chirurgischen Eingriff getrennt. Welche Folgen das hat, enträtseln die 9 Folgen der ersten Staffel nicht gänzlich, dafür aber ohne Dauer-Getease und Aufschübe für Staffel 6. Was für ein weirder Tripp, eine bizarre Hommage an Terry Gilliams BRAZIL, fantastisch besetzt mit Adam Scott, Britt Lower, John Turturro, Christopher Walken und Patricia Arquette. Mindfuck pur vom Intro bis zum Abspann, Anschaubefehl!

 

 

 

 

Fantasy war das Genre des Serienjahres 2022 und es gab einen epischen Zweikampf GAME OF THRONES versus LORD OF THE RINGS. Ein bisschen zumindest. Beide Stoffe wurden in neuen Serien umgesetzt, beides mehr oder weniger Prequels, doch da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Den Anfang machte im August die Serie HOUSE OF THE DRAGON auf HBO. Das Spin-off und Prequel zu GAME OF THRONES spielt 200 Jahre vor dessen Ereignissen und fokussiert die Vorgeschichte des Hauses Targaryen. Erwartet hatte ich genau das, ein Spin-off, aber HOUSE OF THE DRAGON schaffte es bereits mit der ersten Folge, wieder dieses mulmige GoT-Feeling entstehen zu lassen. Welch schrecklich-schönes Ränkespiel, grandios besetzt und visuell brachial wie umwerfend. Die größte Leistung der Showrunner liegt aber darin, aus einer wesentlich mageren Vorlage eine mindestens so intensive Serie wie GAME OF THRONES gezaubert zu haben, vielleicht sogar noch eine Spur besser, aber warten wir ab.

 

 

 

 

Im September konterte dann Amazon Prime mit DIE RINGE DER MACHT und superlativierte: der Deal mit den Tolkien Erben um 250 Millionen US-Dollar, Produktionskosten für 5 Staffeln bei 1 Milliarde Dollar, allein Staffel 1 soll 462 Millionen gekostet haben. Ähnlich wie bei HotD war die Vorlage nicht dramatisiert wie die von „The Lord of the Rings“ oder „The Song of Fire and Ice“ und ebenso ein Prequel zu späteren Ereignissen in Mittelerde. Bei DIE RINGE DER MACHT gabs es vorher aber wesentlich mehr Gepolter um Diversität und Optik. Das Ergebnis war, zumindest für mich, ebenso umwerfend. Ich kann schwer nachvollziehen, warum die Serie so viel Unliebe abbekommt, auch abgesehen von den ewig Gestrigen. Passiert nicht viel, zu zäh, die Figuren sind einem egal, die Haarfüße nerven? Sehe ich nicht so. Wenn ein Elf um einen sterbenden Baum weint, weiß man, wieviel tolkiensche Liebe in der Serie steckt. Nur das Rätselgerangel am Ende, wer denn nun Sauron ist, hätte ich nicht gebraucht. Davon ab steckt in DIE RINGE DER MACHT eine ähnliche Epik und Magie wie in den Filmen von Peter Jackson.

 

 

 

 

Noch mehr Fantasy auf allen Streamingkanälen wartete 2022 auf Zuschauergunst. Im November erschienen die ersten Folgen von WILLOW auf Disney+, kein Prequel, sondern eine echte Fortsetzung des Fantasyklassikers von 1988 aus dem Hause Lucasfilm. Und genau so fühlte es sich auch an, das kann man gut oder schlecht finden. Denn in WILLOW 2022 gibt es holprige Fantasyaction, überkandidelte Figuren und Gags mit dem Holzlöffel, also genau wie in WILLOW 1988. Ich mag das sehr und das Wiedersehen mit Warwick Davis und Joanne Whalley ist ebenso herzlich. Ob Val Kilmer noch auftaucht? Die Serie läuft noch bis zum 18. Januar 2023.

 

 

 

 

Was waren das noch für Zeiten, in denen es Franchises gab? Im Expander der Phasen und Multiversen reicht das Konzept Franchise nun nicht mehr aus, alles wird hypertonisiert. Während im Kino noch traditionelle Fahnen hochgehalten werden, dürfen Serien gern mal das enge Korsett ablegen und frischen Wind zwischen die Zeilen bringen. Etwas anderes ist zumindest für das MCU kaum mehr möglich, um neue Zielgruppen zu erreichen und das ist auch gut so. Das Marvel Cinematic Universe bescherte der Fangemeinde auch 2022 neue Serien abseits der Kinoformel. Allen voran SHE-HULK: DIE ANWÄLTIN mit Tatjana Maslani in der Titelrolle. Das war ebenso frisch wie zum Teil fremdschämig, das Finale der Serie mit wilden Sprüngen in den Metaebenen aber war so köstlich, dass ich mich bei SHE-HULK ebenso amüsiert habe wie bei WANDAVISION im Jahr davor.

 

 

 

 

Im STAR WARS Universum gab es 2022 viel Unmut, aber auch eine kleine Sensation. Die Serie THE BOOK OF BOBA FETT startete bereits Ende Dezember 2021 als Spin-off zu THE MANDALORIAN. Doch die Rückkehr des beliebten Kopfgeldjägers kam nur bedingt gut an beim harten Kern der Fangemeinde. Ich kenne allerdings Vertreter jüngerer Zielgruppen, die Boba und seine Mopedgang ganz cool fanden. Auch mir hat THE BOOK OF BOBA FETT Spaß gemacht und ich will jetzt auch mal Rancorreiten. Aber was bitte schön ist bei OBI WAN KENOBI nur schiefgelaufen? Alle Zutaten stimmten, McGregor und Christensen als Obi Wan und Vader back in action, die kleine Leia ist fantastisch, das Production Value stimmt und dennoch wirkt alles zu selbstsicher, holprig, ja fast schon ein wenig lieblos. Auch wenn OBI WAN KENOBI gen Ende die Kurve noch kriegt, hier wäre noch so viel mehr drin gewesen.

 

 

 

 

Ganz anders verhält es sich bei ANDOR, eine Serie um die Figur Cassian Andor aus ROGUE ONE, ein Spin-off eines Spin-offs sozusagen, dem wohl niemand zugetraut hätte, in Sachen Epik und Dramatik das Zusammentreffen von Kenobi und Vader weit in den Schatten zu stellen. Doch ANDOR gelang das Kunststück, das enge Korsett der Franchise ein Stück weit aufzudröseln, das Imperium als den faschistischen Machtapparat zu zeigen wie nie zuvor und auch mal die Jedi und die Lichtschwerter ruhen zu lassen. ANDOR ist ein erstklassiger Thriller im STAR WARS Universum und grandios besetzt bis in die kleinsten Nebenrollen, vor allem Stellan Skarsgard läuft zu Hochform auf. Das beste STAR WARS seit STAR WARS, Staffel 2 kann nicht früh genug erscheinen.

 

 

 

Gibt es eigentlich noch Franchises außerhalb des MCU oder STAR WARS Universums? Zumindest für die Fans von STAR TREK war 2022 ein Freudenfest, hier gab es wirklich eine Menge Content. Neue Staffeln für PICARD, DISCOVERY, LOWER DECKS und PRODIGY waren am Start, neu hinzu kam das DISCOVERY Spin-off STRANGE NEW WORLD um die neue Crew von Captain Christopher Pike. STRANGE NEW WORLD war wirklich eine freudige Überraschung, klassisches STAR TREK Feeling in Hochglanzverpackung, herrlich unaufgeregt und ohne riesigen Backstory Überbau, einfach nur eine coole Crew, die die Weiten des Universums erforscht, geht doch. Bis auf STAR TREK: PICARD (auf Amazon Prime) sind die neuen STAR TREK Serien allesamt auf der neuen Streamingplattform Paramount+ zu sehen und neue Staffeln werden bereits fleißig produziert. Machen sie‘s so!

 

 

 

 

Einen Überraschungserfolg feierte im November die Serie WEDNESDAY auf Netflix, bester Start einer englischsprachigen Serie, in 83 Ländern Platz 1 der Netflix Charts. Produziert wurde das ADDAMS FAMILY Spin-off von Tim Burton, der auch bei 4 Episoden Regie führte. Ob nun in WEDNESDAY wieder echte Burton Magie steckt, ist fast zweitrangig, Burtons Stil und Regie sind routiniert, der große Glücksgriff bei WEDNESDAY aber heißt Jenna Ortega, die es im eiskalten Händchenumdrehen schaffte, eine neue ikonische Filmfigur zu erschaffen. Wednesdays Schulballtanz ging viral steil und das Kostüm wird für die nächsten Halloween- und Faschingveranstaltungen wohl die Stylevorlage schlechthin werden. WEDNESDAY ist morbide und herzallerliebst zugleich, ein bisschen HARRY POTTER, ein bisschen Teenie-Superheldenklamauk, extrem stilsicher und aberwitzig, kurzum ein Volltreffer.

 

 

 

 

Mysteryfans kamen 2022 ein wenig mehr auf ihre Kosten als Horrorfans, zumindest, was Serien betrifft. In OUTER RANGE, einer Mysteryserie mit TWIN PEAKS Touch, taucht auf dem Weideland eines Ranchers ein großes schwarzes Loch im Boden auf. Was es wohl bedeuten mag? In NIGHT SKY öffnen zwei Rentner im Gartenschuppen ein Tor zu einer anderen Dimension. Und in Genremix YELLOWJACKET kämpft eine Mädchen-Fußballmannschaft nach einem Flugzeugabsturz in bester LOST Manier ums Überleben. Macht alles Spaß, ist clever geschrieben und super besetzt. Die Highlights an Horrorserien wiederum enttäuschen dezent. ARCHIVE 81 fand ich schlicht langweilig, THE MIDNIGHT CLUB von Mike Flanagan erreicht leider nicht Qualität des Vorgängers MIDNIGHT MASS und auch GUILLERMO DEL TOROS CABINET OF CURIOCITIES liefert eher seichten Grusel statt wohligen Horrors.

 

 

 

 

So viel Fiktion und Genreware, gab es eigentlich noch etwas anderes in diesem Jahr? Mit PAM & TOMMY wurde der Skandal um die Sextapes von BAYWATCH Star Pamela Anderson und Mötley-Crüe Schlagzeuger Tommy Lee in den 90er Jahren verfilmt und ist stellenweise absurd witzig. Vor allem Sebastian Stan als Tommy Lee liefert hier eine Galavorstellung erster Kajüte ab, aber auch Lily James als Pamela Anderson ist einfach entzückend. Die Serie stieß allerdings auch auf Kritik, ein Einbruch in die Privatsphäre der echten Opfer Anderson und Lee zu sein, die in keiner Weise an der Serie beteiligt gewesen waren. Schwieriges Thema, aber PAM & TOMMY geht alles andere als respektlos mit den Figuren und den Folgen des Skandals um.

 

 

 

 

Die Miniserie INVENTING ANNA portraitiert die Hochstaplerin Anna Sorkin, die mit diversen Betrügereien in der New Yorker High Society einsteigen wollte. Julia Garner spielt das mit einer unglaublichen Hingabe zwischen Zerbrechlichkeit und egozentrischen Wutausbrüchen, Anna Chlumsky (MY GIRL) als Journalistin Vivien Kent dagegen ist wie immer ein bisschen drüber. Erzählerisch wie inszenatorisch ist INVENTING ANNA jedoch recht anstrengend und driftet immer dann ab, wenn es inhaltlich spannend wird. Eine Serie wie ein Unfall, bei dem man irgendwie doch nicht wegkucken kann.

 

 

 

 

Apropos Wegkucken. Auch die Serie DAHMER um den Serienkiller Jeffrey Dahmer wurde ein Riesenhit für Netflix, wundert mich, dass so viele über die erste Folge hinaus weitergeschaut haben. Ich war erst skeptisch, denn Showrunner Ryan Murphy hatte sich nach den unterhaltsamen AMERICAN HORROR STORY Staffeln mit AMERICAN CRIME STORY ein wenig verhoben. Ist DAHMER nun Horror Trash á la AHS oder überkandidelter True Crime Porridge á la ACS? Weder noch, zu meiner Verwunderung liefert Murphy mit DAHMER eine der besten Serienkillerverfilmungen aller Zeiten ab. Das liegt in erster Linie an Ewan Peters in der Titelrolle, der sich die Seele aus dem Leib spielt, ebenso Richard Jenkins. Schwerer Tobak fürwahr, aber meisterlich geschrieben und inszeniert.

 

 

 

Was für ein Serienjahr! In den besten Monaten 2022 konnte man alle zwei Tage in einen neuen Serienkosmos eintauchen, Montag HOUSE OF THE DRAGON, Mittwoch ANDOR, Freitag DIE RINGE DER MACHT und sich an den übrigen Tagen ganze Miniserien reinziehen, wann gab es das schonmal in einer solchen Dichte? Doch damit nicht genug, denn strenggenommen war das nur der Blick auf die neuen Serienstarts 2022. Doch es gab in diesem Jahr noch wesentlich mehr Highlights.

 

 

Das Finale von BETTER CALL SAUL mit Staffel 6 katapultierte das BREAKING BAD Spin-off endgültig in den Serienolymp der Götter. Staffel 4 von STRANGER THINGS ist nicht ganz so genial wie Staffel 3, aber Eddie Munson und Max Mayfield bringen alte Metallica und Kate Bush Songs zurück in die Gegenwart, was für ein audiovisuelles Fest. Dazu neue Staffeln von THE BOYS, THE UMBRELLA ACADEMY, FOR ALL MANKIND, WESTWORLD und noch so viel mehr. Wenn das 2023 so weiter geht, muss ich den Jahresrückblick in Filme und Serien aufsplitten, das hält doch keiner aus. Das hält im Übringen auch die Tastatur nicht aus.

 

Stars, Comebacks, Breakthroughs & Goodbyes

 

Kommen wir nun zu den Verleihungen der besten Schauspieler und Schauspielerinnen des Jahres, doch wie immer zuvor ein Blick auf die besten Performances, ein paar Namen sind ja bereits gefallen. Paddy Considine lieferte als König Viserys in HOUSE OF THE DRAGON trotz erschütterndem Schicksal eine wahre Glanzvorstellung ab, dicht gefolgt von Paul Walter Hauser aus der Apple TV+ Serie IN WITH THE DEVIL. Brian Tyree Henry spielte an der Seite von Jennifer Lawrence in CAUSEWAY und dieselbige glatt an die Wand, Taylor Russell hat mich schwer umgehauen in BONES AND ALL, ebenso Kristen Stewart als Lady Di in SPENCER.

 

 

 

 

Der Award Bester Schauspieler 2022 geht an einen guten alten Freund, welch Freude. Er war eigentlich immer da, begleitete meine Kindheit mit dem Film EXPLORERS, rührte mich in DER CLUB DER TOTEN DICHTER, verliebte sich in Julie Delphi in BEFORE SUNRISE und wollte unter allen Umständen zum Saturn in GATTACCA. Seit 1985 ist er einer meiner Helden, er war nie weg, aber nie so präsent wie in diesem Jahr. Mit MOON KNIGHT, RAYMOND AND RAY, THE NORTHMAN und THE BLACK PHONE bewies er 2022 eine unfassbare Bandbreite, so viel Charisma, so viel Traurigkeit in seinen Augen. Schauspieler des Jahres ist Ethan Hawke.

 

 

Die Schauspielerinn des Jahres für mich indes wirkt ein bisschen wie vom anderen Stern. Kein Wunder, wenn man in einem Film von Lars von Trier debütiert. Auch nach NYMPHOMANIACS hat sie sich diese wundersame Aura bewahrt, ich glaube ja, sie ist ein Alien. Wie dem auch sei, 2022 war ein fantastisches Jahr für Mia Goth, mit einer Doppelportion Horror in Ti Wests X und PEARL, ich weiß gar nicht, welche Rolle mir besser gefallen hat. Dazu noch ihr ekstatischer Auftritt in dem Film MAYDAY, der hier leider nicht in die Kinos kam, aber das Triple war somit perfekt. Herzlichen Glückwunsch, Mia Goth.

 

 

 

 

Wenn jemand den Award Bester Durchstarter 2022 verdient, dann wohl Jenna Ortega, die in IRON MAN 3 debütierte und danach größtenteils in Serien auftrat, bis sie in diesem Jahr völlig freidrehte. Den Award Bester Durchstarter hatte sie bei mir im Übrigen schon vor WEDNESDAY inne, aber es war dann die ultimative Krönung. Mit Ti Wests X, SCREAM 5, AMERICAN CARNAGE und STUDIO 666 spielte sie in gleich vier Horrorfilmen, durch WEDNESDAY aber wurde sie zur Stilikone schlechthin. Hätte auch Potential als Beste Schauspielerin gehabt, aber da wird noch viel kommen in Zukunft.

 

 

 

 

So richtige Newcomer zu finden ist gar nicht so leicht, auch scheinbar neue Gesichter haben bereits ellenlange Viten und ihre Debüts schon lange hinter sich. Aber in diesem Jahr gab es gleich drei Newcomer, hui! Zum einen Iman Vellani als MS. MARVEL, die frech und frisch aufspielte, als wäre sie bereits ein alter Hase im Schaugeschäft. Noch kurioser wird es mit dem Film LICORICE PIZZA, in dem es gleich mal ein Doppeldebut gab. In Paul Thomas Andersons Werk bekleidete neben der fantastischen Neuentdeckung Alana Haim auch ein junger Mime namens Copper Hoffman eine Hauptrolle. Dahinter verbirgt sich niemand geringeres als der Sohnemann des 2014 leider verstorbenen Schauspielers Philip Seymour Hoffman. Er sieht nicht nur so aus wie der Papa, Cooper Hoffman scheint mit einem ebenso großen Talent gesegnet zu sein. Ich freue mich auf mehr, Cooper.

 

 

 

 

Das Comeback des Jahres wurde ja bereits angesprochen, der Award geht an Brendan Fraser. Welch traurige Geschichte eigentlich. Geschunden durch unzählige Stunts und sexuell belästigt wie genötigt zog sich Fraser in den frühen 2000er Jahren aus Hollywood zurück. Seine Wiederauferstehung feierte er dann 2019 mit der Serie DOOM PATROL, allerdings nur als Voice Actor und in Rückblenden. Dann folgte das große Rollenangebot eines Bösewichtes im DC Universum, man sagt, Fraser wäre als Firefly auch grandios gewesen, aber Warner Bros. Discovery stampfte 2022 den Film BATGIRL ein. Doch da war noch dieses Angebot von Regisseur Darren Aronofsky für den Film THE WHALE, in dem Fraser einen übergewichtigen Homosexuellen spielte, frenetische Begeisterung auf Festivals auslöste und bereits jetzt als der Oscarkandidat gehandelt wird. Schön, dass du zurück bist Brendan.

 

 

 

 

Wenn ich auf eine Rubrik im Jahresrückblick verzichten könnte, dann die Lebewohlsagungen. Könnt ihr das nicht lassen bitte? Naja, bringen wir es hinter uns. Leider heißt es auch 2022 wieder Abschied nehmen von einigen großen Stars und kleinen Sternchen, die wie immer zu früh von uns gegangen sind. Ich sage ja immer wieder Leute, lass euch digitalisieren, dann könnt ihr es auch mal ruhiger angehen lassen. Das nennt sich dann aber Death Fake statt Deep Fake, doch ich merk schon, is nicht so witzig, ne? Aber wie sagte Daemon Targaryen so schön dieses Jahr: „Jeder trauert auf seine Weise.“

 

 

 

Weltensprenger

 

Während neue Streamingfilme und Serien meist überraschend erscheinen, meint man, das Kinojahr ist bereits ab Anfang Januar vorgezeichnet. Stimmt natürlich nicht ganz, aber das hat durchaus Auswirkungen auf die Erwartungshaltung. In diesem Jahr gab es für mich eigentlich nur eine sehnliche Erwartung – THE BATMAN von Matt Reeves. Aber nicht nur diese, es hätte das große Batman Jahr schlechthin werden können, denn es standen auch BATGIRL und THE FLASH auf dem Programm. Doch nicht die beiden Filme an sich erwartete ich mit Vorfreuden, sondern die versprochene Rückkehr von Michael Keaton im original Batman 89 Kostüm. Da wurde leider nix draus, BATGIRL wurde abgesäßt und THE FLASH verschoben, hm. Also nur THE BATMAN.

 

 

 

 

Zum Glück schlug THE BATMAN ein wie eine Bombe mit Geschenkschleife, ein Batmanfilm nur für mich. Denn endlich wurde auch mal die Facette des dunklen Ritters als world greatest detective dramatisiert, mit Reeves als Regisseur eine erstklassige Wahl getroffen, auch Robert Pattinson gefiel mir im Fledermauskostüm, dazu noch Paul Dano, Colin Farrell, Zöe Kravitz als Catwoman und John Turturro, was kann da schiefgehen? Ich werd es euch sagen Leute: Nichts! Für mich ist THE BATMAN der perfekte Batman Film. Das sehen allerdings nicht alle so, für den einen ist Bruce Wayne zu depressiv, für andere die Story zu wirr. Beides kann ich nur bedingt nachvollziehen. THE BATMAN ist storytechnisch komplex und hat sicherlich ein paar Ecken und Kanten, wird aber von mal zu mal griffiger. Und in dieser Phase seiner Evolution ist der Pattinson Batman genau die richtige Figur, mit all seinen Abgründen und all seiner Wut. Ist THE BATMAN damit auch Film des Jahres? Nein. Ein anderer Film war einfach noch so viel besser.

 

 

 

 

Völlig von den Socken gehauen hat mich 2022 EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE von Dan Kwan und Daniel Scheinert und somit ihr Zweitwerk nach dem ebenso überraschenden Film SWISS ARMY MAN aus dem Jahr 2016. Wenn es ein filmisches Leitmotiv 2022 gab, dann war es das Thema Multiversum. Multiversen überall, die meisten davon sind aber Notausgänge, um Franchises am Leben zu erhalten oder diverse Resetknöpfe drücken zu können. EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE ist anders, eine Science-Fiction-Actionkomödie, mit deren Einfallsreichtum man hätte zehn Filme füllen können. Worum geht’s darin? Das kann man gar nicht so leicht beantworten, als hätte Pixar gleichzeitig BEING JOHN MALKOVICH und FIGHT CLUB gedreht. Und trotzdem ganz anders. Der Titel trifft den Inhalt wohl am besten, es geht einfach um ALLES. In jeder Hinsicht ist EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE ein monumentales Meisterwerk, die wahnwitzige Geschichte, die Besetzung (Michelle Yeoh ist gottgleich, Jamie Lee Curtis in ihrer besten Rolle ever!), jeder Schnitt sitzt, bei jeder Sichtung entdeckt man neue Details und jedes Mal berührt er erneut.

 

 

 

 

So einige Filmemacherlieblinge waren 2022 zurück mit neuen Werken, nicht alles war gewohnt grandios. Über Jordan Peele gehen die Meinungen ja auseinander, GET OUT wurde gefeiert, den fand ich gar nicht so prickelnd, mir gefiel dafür WIR ausgezeichnet, den wiederum keiner mag. 2022 kam nun sein drittes Werk NOPE in die Kinos, auch hier gab es Zwiespälte. Ich für meinen Teil fand NOPE durchaus gelungen, sowohl als Jordan Peele Movie mit dem gewissen Etwas wie auch als klassischer Sci-Fi-Film. Auch George Miller ist wieder da, seit dem furiosen MAD MAX: FURY ROAD (Film des Jahres 2015) kam nix mehr, nun aber meldet sich der mittlerweile 78-jährige Regisseur mit THREE THOUSAND YEARS OF LONGING zurück und irritiert etwas mit einer Geschichte über einen Flaschengeist, der sich mit einer Literaturwissenschaftlerin 2 Stunden lang in metaphysischen Diskussionen verstrickt. Fanden viele langweilig, ich hingegen durchaus herzlich, Tilda Swinton und Idris Elba harmonieren hervorragend.

 

 

 

 

Das letzte große Kinoevent 2022 war sicherlich AVATAR – THE WAY OF THE WATER von James Cameron, zumindest im Potential, TOP GUN: MAVERICK noch von Box Office Thron zu stürzen. Zum jetzigen Stand steht er auf Platz 5 der Jahrescharts. Trotz der Gigantomanie, dem 3D Hype und dem exorbitanten Einspielergebnis gelang es AVATAR 2009 leider nie, einen popkulturellen Fußabdruck zu hinterlassen, kaum Merch, kaum Kult, kaum filmische Referenzen. Das ändert sich meiner Meinung nach auch mit Teil 2 nicht. AVATAR – THE WAY OF THE WATER ist inhaltlich noch etwas schlichter gestrickt als Teil 1, visuell und technisch selbstverständlich umwerfend, auch wenn ich immer noch mit dem Design der Na’vi fremdel. Ich finde das Unterwasserszenario von Pandora zwar aufregender, aber leider nicht so mystisch und fremdartig wie den Dschungel. Der Fokus auf die Familie ist ein stärkeres Motiv als in Teil 1, aber nur Zoey Saldana als Neytiri nehme ich das emotional wirklich ab. Verzaubert hat mich vor allem Sigourney Weaver, die in AVATAR – THE WAY OF THE WATER eine 13-jährige spielt, das fühlt sich doch mal wirklich neu an.

 

 

 

 

Die epischen Kämpfe der Comicverfilmungsriesen, auch das gab es 2022 wieder im Kino, müßig zu sagen, wer da wohl wieder die Nase vorn hatte. Das Duell BLACK ADAM gegen BLACK PANTHER: WAKANDA FOREVER ging natürlich an das MCU, trotzdem muss man anmerken, es gab schon schlechtere DC-Verfilmungen als BLACK ADAM und BLACK PANTHER von 2018 ist leider viel besser als die Fortsetzung. An Marvel Comicstoffen austoben durften sich 2022 auch wieder Sam Raimi und Taika Waititi, jeweils mit DR. STRANGE IN THE MUTLIVERSE OF MADNESS sowie THOR: LOVE & THUNDER, beide schrieben gute Zahlen an der Kinokasse.

 

 

 

 

Der neue DR. STRANGE ist ganz cool, man sieht Raimis Handschrift, Ohlsen und Cumberbatch harmonieren perfekt, die Verknüpfung mit WANDAVISION fand ich überaus gelungen. THOR: LOVE & THUNDER hingegen ist nicht so toll wie sein Vorgänger, Waititis Humor nutzt sich langsam ab, der Subplot um MIGHTY THOR alias Jane Foster ist grauenhaft und ehrlich gesagt kann ich auch keine Guns ´n Roses Songs mehr in seinen Filmen hören. Aber Christian Bale als Götterfresser rockt, wenigstens was.

 

 

 

 

Noch mehr Action bot 2022 der Film BULLET TRAIN mit Brad Pitt, die Handlung ist käsig, aber Spaß macht das durchaus, wenn Pitt in einem Shinkansen-Zug einen Geldkoffer stehlen will und es mit diversen Auftragskillern zu tun bekommt. Ins Kino kam sogar das Actionpotpourri MASSIVE TALENT mit Nicolas Cage und Pedro Pascal, ein Metafilm, in dem Cage sich mal wieder selbst spielt und es mit Gangstern und der CIA aufnimmt. Fand ich fast witziger als BULLET TRAIN. Man darf das Ganze nur nicht so ernst nehmen. Doch Moment, gab es 2022 nicht noch einen erfolgreichen Actionstreifen?

 

 

 

 

TOP GUN: MAVERICK katapultierte sich nicht nur an die Spitze diverser Kinocharts rund um den Globus, er ist irgendwie auch die Überraschung des Jahres. Ich war nämlich nie so der größte Fan von TOP GUN, der zwar auch in meiner Kindheit hohe Wellen geschlagen hatte, aber das ganze Kriegsspielgeplänkel war mir immer schon suspekt. Nach knapp drei Jahren pandemiebedingten Verschiebens hatte ich TOP GUN: MAVERICK auch keine guten Chancen an der Kinokasse eingeräumt. Aber ich lag doppelt falsch. Zum einen ist Tom Cruise ein Wahnsinniger und auch mit TOP GUN: MAVERICK zeigt er wieder, wie handgemachte Action und Stunts auszusehen haben. Da der Film auch nach gleicher Schablone wie Teil 1 gezeichnet ist und gar nicht versucht, aktuelle Kriegsrealitäten widerzuspiegeln, kommt er mir gar nicht so vor wie eine Werbung für das Militär Anno 1986. Es ist und bleibt Actionquatsch, aber man muss sagen, TOP GUN: MAVERICK sieht irre gut aus, fühlt sich wuchtig an und macht großen Spaß.

 

 

 

 

Enttäuschung hingegen beim Rest des Mainstreamkinos, mal mehr, mal weniger. JURASSIC WORLD: EIN NEUES ZEITALTER mag besser als der Vorgänger sein, wirklich gut sind die neuen Ableger leider nicht, daran ändert auch die Rückkehr von Sam Neill und Laura Dern nichts. Was mochte ich die beiden KING’S MAN Filme von Matthew Vaughn, was ist wohl beim Prequel THE KING’S MAN: THE BEGINNING schiefgelaufen, der tonal nun gar nichts mehr mit den Vorgängern zu tun hat? Und auch der dritte Teil der Reihe PHANTASTISCHE TIERWESEN mit dem Untertitel DUMBLEDORES GEHEIMNISSE ging wieder in eine Richtung, die mir gar nicht gefällt, viel zu düster, viel zu schwer, vom Esprit des ersten Teils ist hier gar nix mehr zu spüren.

 

 

Ein Film, der mich in diesem Jahr restlos begeistert hat, ist LICORICE PIZZA von Paul Thomas Anderson. Selten zuvor hab ich ein so tolles Leinwandpaar gesehen wie Gary und Alana, gespielt von den Newcomern Alana Haim und Copper Hoffman, gerade weil die beiden eher ein bizarres Antipärchen abgeben. Gary ist 15 und hat eine schräge Geschäftsidee nach der anderen, Alana 25 und weiß nichts mit ihrem Leben anzufangen. Als sich beide begegnen, ist Alana noch Garys Aufpasser, alsbald geht es in verschiedene Richtungen des Lebens, mal getrennt, dann wieder zusammen, sie passen gar nicht zueinander, genau wie Lakritze und Pizza. Doch genau daraus bezieht der neue Film von Paul Thomas Anderson seine Magie, es ist einfach die schönste Liebesgeschichte des Jahres, mit fantastischen Nebenrollen für Sean Penn, Bradley Cooper und Tom Waits.

 

 

 

 

Ein paar Genregrenzgänger sorgten im Arthouse Kino für Aufregung. Zunächst einmal BONES AND ALL von Luca Guadagninos. In BONES AND ALL begibt sich ein junges Mädchen auf eine Reise quer durch die USA um ihre Mutter kennenzulernen. Sie hofft, von ihr zu erfahren, warum sie Zeit ihres jungen Lebens den Drang verspürt, Menschen zu töten und zu essen. Guadagninos Cannibal Lovestory wirkt wie ein Bastard seiner beiden letzten Werke CALL ME BY YOUR NAME und dem SUSPIRIA Remake, ist mit Taylor Russel und Timothée Chalamet fantastisch besetzt und hallt noch lang nach. Ebenso faszinierend wie ungemütlich geriet THE MENU mit Ralph Fiennes, der einen Küchenchef spielt, welcher einer Gruppe ausgewählter Gäste ein ganz besonders Diner kredenzt. THE MENU ist eine satirische Gesellschaftskritik in Form eines makabren Theaterstücks, fies und überraschend.

 

 

 

 

SPENCER von Pablo Larraín mit Kristin Stewart als Prinzessin Diana verfolgt mich noch heute in meinen Träumen. Dabei ist das Biopic nicht annähernd so sperrig wie Pablo Larraíns Film JACKIE: DIE FIRST LADY mit Nathalie Portman. Genauer gesagt ist SPENCER fast ein Gegenstück zu JACKIE, während Jackie Kennedy über die Laufzeit des Films immer manischer und wahnsinniger wird, legt Diana ihren Wahn und ihre Wut schichtweise ab und findet zu sich selbst. Das ist umwerfend inszeniert und noch besser gespielt von Kristen Stewart, ein grandioses Highlight des Kinojahres.

 

 

 

 

Was gab es sonst noch so abseits des Mainstreams? Zwei illustre Filmemacher kehren mit neuen Werken zurück, zum einen David O. Russel (AMERICAN HUSTLE) mit Christian Bale, Margot Robbie und John David Washington in den Hauptrollen, die 1933 in den USA einen faschistischen Putschversuch vereiteln wollen. Baz Luhrman (MOULIN ROUGE) dagegen hat ELVIS exhumiert und beschert dem King ein illustres wie ekstatisches Biopic, die Besetzung von Austin Butler ist formidabel, aber auch Tom Hanks als Manager Colonel Tom Parker spielt mal wieder groß auf.

 

“Ich liebe den Geruch von Fondue am Morgen”

 

In Sachen German Genre gab es in diesem Jahr nicht den großen Kracher wie BLOOD RED SKY, aber doch die ein oder andere positive Überraschung. Entgegen meiner Erwartung hat mich die Serie KLEO von Zeitsprung Pictures für Netflix vollkommen geflasht. Darin spielt Jella Haase die Titelrolle Kleo, eine Ex-Stasi Auftragskillerin, die nach dem Ende der DDR einen Rachefeldzug gegen Mielke und Co. zieht. KLEO ist einfach umwerfend, vor allem Jella Haase in der Titelrolle ist eine Wucht, sie ist schrill, schräg, aber auch einfühlsam, offenherzig und unberechenbar. Auch der Rest stimmt, tolle Optik, grandioser Soundtrack, größtenteils gelungene Gags, viel Liebe zum Detail und überaus punkig. Der German Genre Award geht an KLEO!

 

 

 

 

Mit Spannung erwartet wurde die neue Serie der DARK Macher Baran bo Odar und Jantje Friese 1899, die im November 2022 auf Netflix erschien. Die DARK Fußstapfen waren recht groß, klar war, es wird wieder mysteriös und mindfuckig, wenn eine Gruppe europäischer Auswanderer im Jahr 1899 von London nach New York aufbrechen und auf ihrer Überfahrt auf ein anderes vermisstes Passagierschiff treffen. 1899 baut nach und nach ein herrlich verwobenes Netz aus unheimlichen wie unerklärlichen Zwischenfällen auf und ist ungemein stimmungsvoll inszeniert und glänzend besetzt, vor allem mit Emily Beecham (LITTLE JOE) in der Hauptrolle. Leider verlirrt sich das Katz und Maus Spiel gen Ende aber ein wenig, da wurde mir zu viel durch Röhren hin und her gekrochen. Aber 1899 hat sein Mysterypulver noch nicht ganz verschossen, Staffel 2 kann gern kommen.

 

 

 

 

Ein Großteil deutscher Genreproduktionen wanderte zu Netflix, lediglich die Mystery Dramaserie SOULS wurde exklusiv für Sky produziert. Regisseur Andy Fetscher ist wieder da, sein letzter Horrorfilm URBAN EXPLORER liegt bereits 11 Jahre zurück, umso gespannter war ich auf OLD PEOPLE, der im Oktober zu Netflix wanderte. Darin geht es um die Bewohner eines Altenheims, die auf irgendeine Weise mit einer Art Zombievirus befallen werden und Jagd auf alles machen, was jung und frisch erscheint, in erster Linie die Besucher einer Hochzeitsveranstaltung. Der Stoff ist cool und hat so einige bizarre sozialkritische Untertöne, auch auf die Regie von Fetcher ist Verlass, handwerklich ist OLD PEOPLE sauber inszeniert. Aber, so leid es mir tut, das Drehbuch ist Murks, die ewig alte Leier von Trennung, Scheidung, Versöhnung und der ganze Käse zerstört das wunderschöne Rentnerzombieidyll.

 

 

 

 

Eine fette Überraschung in diesem Jahr war noch eine andere Serie neben KLEO, die auch mit diversen Versatzstücken rund um Ex-Stasiagenten spielt, aber doch ganz anders daherkommt – ZE NETWORK von Christian Alvart. ZE NETWORK spielt mit derselben Metaidee wie der Nicolas Cage Film MASSIVE TALENT, wenn es nur darum geht, finde ich ZE NETWORK sogar gelungener. Hier ist es David Haselhoff, der sich selbst spielt und in ein verworrenes Agentenabenteuer um eine Abteilung der Stasi geschleudert wird, in der Prominente als Agenten angeworben wurden. Das Ganze ist noch eine Spur wahnwitziger und trashiger als KLEO und vor allem deshalb so gut, weil man nicht alles dem Duo Haselhoff Hübchen überlässt, sondern vor allem die schrägen Nebenfiguren begeistern. Gen Ende driftet es dann völlig ab und weckt wohlige Erinnerungen an die geniale Meta-Actionkomödie SCHNEEFLÖCKCHEN, immerhin hat Autor Arend Remmers auch bei ZE NETWORK am Drehbuch mitgewirkt.

 

 

 

 

Auch wenn es kein German Genre Movie ist, aber MAD HEIDI aus der Schweiz verdient in diesem Jahr definitiv eine Erwähnung hier. Der Swissploitation Kracher war lange in der Mache und via Crowdfunding produziert und kam Ende 2022 endlich in die Kinos. Das Ergebnis ist eine stilvoll inszenierte Trashkanone um einen schweizerischen Diktator (Casper Van Dien), der die Welt mittels schweizer Käse in willige Zombies verwandeln will. Zum Glück gibt es Heidi und Opa Alpöhi, die sich gegen die Molkereifaschisten auflehnen, dass es nur so splattattert. Tod durch Toblerone und Folter durch Fondue, sag ich nur. Bitte mehr davon!

 

 

 

 

Neben KLEO und ZE NETWORK soll auch das Regiedebüt von Lucas Rinker ACH DU SCHEIßE! abgefahrener Shit vor dem Herrn sein, wann spielte ein Film schonmal 90 Minuten lang in einem Dixi-Klo. Das hätte ich gern noch gesehen, doch das war mir bislang noch nicht vergönnt. Das gilt auch für KING OF SCHTONKS, eine 6-teilige Miniserie, welche satirisch den Wirecard Skandal dramatisiert und ein bisschen an THE BIG SHORT erinnern soll. Wird alles nachgeholt nach dem Krieg. Mit BUBA gibt es ein Prequel zur Erfolgsserie HOW TO SELL DRUG ONLINE (FAST) um die Figur Jacob „Buba“ Otto (Bjarne Mädel), der tonal ganz anders als die Serie daherkommt. Für mich ne gute Nachricht, denn ich bin kein großer Fan von HTSDO(F) (kann man leicht mit HOTD verwechseln), BUBA aber hat meinen Geschmack getroffen, was hauptsächlich am Gespann Mädel und George Friedrich liegt.

 

 

Abseits von German Genre gab es für mich noch weitere Highlights aus deutschen Landen. IM WESTEN NICHTS NEUES von Edward Berger ist bereits die dritte Verfilmung des Romans von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1929, aber die erste deutsche Produktion des Stoffes. IM WESTEN NICHTS NEUES kam im Oktober in die Kinos, landete im November auf Netflix, ist bereits für den Golden Globe nominiert und deutscher Kandidat für die Oscars 2023. Zu meiner Überraschung hat mich IM WESTEN NICHTS NEUES überaus gefesselt, ich find ihn sogar besser als 1917 von Sam Mendes. Sachen gibt’s. Noch mehr freut es mich für Karoline Herfurth, deren Regiearbeiten WUNDERSCHÖN und EINFACH MAL WAS SCHÖNES 2022 ins Kino kamen, großen Erfolg feierten und nebenbei auch wirklich wunderschön sind. Wer hätte das gedacht?

 

Horrorskop 2022

 

Das internationale Genrefilmgeschäft brummt und auch in diesem Jahr gab es einige bemerkenswerte Produktionen bekannter und beliebter Genrespezialisten. David Cronenberg ist zurück mit CRIMES OF THE FUTURE, trotz des Titels ist der Film kein Remake seines frühen Kurzfilms, wohl aber ein faszinierender Body Horror Schocker back to the Cronenberg roots, gepaart mit den kammerspielartigen Anleihen neuerer Filme des kanadischen Enfant Terribles. CRIMES OF THE FUTURE mag ein wenig redselig daherkommen, atmosphärisch und kryptologisch ist Cronenberg aber wieder ein Glanzstück gelungen. Neben Viggo Mortensen und Léa Seydoux spielt sich vor allem Kristin Stewart die tätowierten Eingeweide aus dem Leib. Surgery Is the New Sex!

 

 

 

 

Wie immer schauen wir am Ende auf die besten Horrorfilme 2022, es war gar kein schlechter Jahrgang, wenn auch ein richtiger Kracher wie MALIGNANT fehlte. Es war das Jahr schlechthin für Regisseur Ti West, der bereits mit seinen Werken YOU’RE NEXT oder THE INNKEEPERS launige Horrorkost inszenierte und in diesem Jahr mit dem Doppelpack X sowie PEARL auftrumpfte. In beiden Filmen machte er Mia Goth zur Schauspielerin des Jahres, X als klassischer Slasher und PEARL als dessen Vorgeschichte, stilistisch völlig verschieden, beide jedoch extrem faszinierend, dunkel und boshaft, aber auch mit feinem Humor durchzogen. Ich freue mich schon auf Teil 3 mit dem Titel MAXXXINE, Mia Goth ist wieder mit an Bord, ich hoffe auch das wird ein Horrorfest.

 

 

 

 

Trotzdem vergebe ich den Award Bester Horrorfilm 2022 an einen kleineren Streifen, der mich dezent aus den Socken gehauen hat – HATCHING von Hanna Bergholm aus Finnland. HATCHING handelt von der 12-jährigen Tinja, die mit ihrer Familie hadert. Die Mutter, eine ehemalige Eiskunstläuferin, vermarktet die heile Familie via Instagram und zwingt Tinja unbarmherzig, auch mal eine große Eiskunstläuferin zu werden. Eines Tages findet Tinja das Ei eines toten Vogels im Wald, nimmt es mit nach Hause und brütet es in ihrem Bettchen aus. Was dann nach einiger Zeit aus dem Ei schlüpft, ist nicht nur die groteskeste Horrorfigur des Jahres, auch scheint es eine tiefe Verbindung zwischen Tinja und der Kreatur zu geben, die bald den Familienfrieden auf blutige Weise zerstört. HATCHING ist aber kein plakativer Monsterfilm, sondern ein feinfühliger Coming-of-Age Horror mit schauderlichem Creature Design, cleverem Script und einer tollen Jungdarstellerin.

 

 

 

 

Auch THE BLACK PHONE von Scott Derrickson (SINISTER) mit Ethan Hawke als ultrafiesen Serien-Kindesentführer hätte das Zeug zum Horrorfilm des Jahres gehabt. Hawke darf endlich mal eine richtig diabolische Hauptrolle spielen, die Optik ist umwerfend und die Schocks sitzen. Am Ende war mir die Geistertelefoniererei aber ein bisschen zu viel, das übersinnliche Brimborium hätte es bei den Zutaten fast nicht gebraucht. THE BLACK PHONE ist eine Adaption einer Kurzgeschichte von Joe Hill, der mit bürgerlichem Namen Joseph Hillström King heißt und der Sohn des berühmten Horrorautors Stephen King ist. Aus seiner Feder stammte auch die Vorlage für den Film HORNS, zusammen mit THE BLACK PHONE kann man also gespannt sein, was da noch von Joe Hill kommt.

 

 

 

 

Alex Garland (EX-MACHINA, ANNIHILATION) hat einen Horrorfilm gedreht, man höre und staune. Natürlich keinen profanen Slasher oder Splatter, sondern ein verschachteltes und metaphysisches Horrordrama namens MEN. Neben Jesse Buckely spielt Rory Kinnear alle männlichen Rollen im Film, in dem eine junge Frau den Selbstmord ihres Freundes in einem alten Landhaus verarbeiten will. Bei MEN darf man nicht so viel verraten, außer dass man sich auf das Ende gefasst machten muss, damit einem nicht das Blut in den Adern stockt. Wer die denkwürdige Szene im WTF-Finale kennt, weiß, was ich meine, alle anderen dürfen sich gern schocken lassen. Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.

 

 

 

 

Für Slasherfans war 2022 wirklich ein guter Jahrgang, neben X gab es diverse Wiedersehen mit bekannten Horrorikonen. Den Anfang machte SCREAM, mittlerweile Teil 5 der Franchise und wieder eine Spur besser als sein Vorgänger, Teil 6 ist bereits in der Pipeline. Auch Leatherface kehrte mit TEXAS CHAINSAW MASSACRE zurück und schließt direkt an Teil 1 von 1974 an, alle anderen acht Filme wurden ignoriert, wäre ja auch Quatsch bei einer direkten Fortsetzung. Fand ich immerhin besser als die Vorgänger.

 

 

 

 

HALLOWEEN ENDS, der dritte Teil der neuen Trilogie, konnte mich dagegen wieder nicht erreichen, ich bin froh, dass der Spuk nun ein Ende hat, aber wir wissen alle, dass Michael Myers irgendwann zurückkommen wird. Eine richtige Überraschung dagegen war das HELLRAISER Remake von David Bruckner (THE SIGNAL), der die Fangemeinde zweimal schockte, einmal mit dem Genderswap rund um Pinhead und dann mit dem Umstand, dass diese Entscheidung auch wirklich funktioniert hat, zumindest bei mir. Die Atmosphäre und der Gewaltgrad stimmen und machen das Remake tatsächlich zu einem der besten HELLRAISER Filme überhaupt, das sich nicht vor Teil 1 und 2 verstecken braucht.

 

 

 

Noch eine gelungene Horrorfortsetzung gab es mit ORPHAN: FIRST KILL, erneut mit Isabelle Fuhrman in der Titelrolle, ein Prequel zum Überraschungshit aus dem Jahr 2009. Hätte nicht gedacht, dass der Film was kann, aber das Drehbuch ist ziemlich clever und statt den Plot vom Vorgänger bzw. Nachfolger einfach zu wiederholen, gibt es einen durchaus intelligenten Twist. Mit SMILE und BARBARIANS gab es 2022 zwei Horror Hochkaräter, umgehauen haben mich aber beide nicht. SMILE ist in Sachen Psychohorror zwar ungemein effektiv, aber nicht unbedingt innovativ. BARBARIANS hingegen verschwendet Potential durch seine Zeitsprünge und wie so oft verdirbt mir Justin Long das Filmvergnügen.

 

 

Für Wirbel sorgte Ende 2022 noch die Fortsetzung TERRIFIER 2 um einen grotesken Horrorclown, das Box Office Wunder kostete schmale 250.000 US-Dollar und spielte bislang 11,5 Millionen ein, nicht schlecht. Innovativ ist hier zwar gar nichts, aber Spaß macht die Schlachteplatte durchaus, zumal der Film auch hierzulande ungeschnitten im Kino lief. Obacht: Fürs Heimkino müssen leider 3 Minuten raus. Auch gibt es in diesem Jahr wieder eine neue V/H/S Anthologie, inzwischen ist V/H/S 99 der fünfte Ableger der Reihe, leider nicht ganz so gut wie sein Vorgänger V/H/S 94, aber Teil V/H/S 85 ist bereits angekündigt und darf gern kommen.

 

Zwischen den Filmen

 

Nun sind wir schon wieder am Ende angekommen, wie schnell doch die Zeit vergeht, wenn man die Batterien aus den Funkuhren rausnimmt. Es war ein wundervolles, geradezu fantastisches Film- und Serienjahr. Es war deshalb so gut, weil einfach alles andere so bekackt war. Das führt zu einem unangenehmen Dilemma. Was wünscht man sich nun für die Zukunft? Der Hauptmotor für die Fiktion ist der Konflikt. Filme arbeiten sich an der Welt ab und entwerfen unzählige neue, bessere Welten. Ich will eigentlich nicht, dass diese Welt den Bach runtergeht. Aber es wäre schade um die schönen Filme. Würden wir nämlich in einer Utopie leben, in der alle Konflikte gelöst sind, bräuchte es keine Filme oder Serien mehr. Je besser die Welt, desto nutzloser die Fiktion.

 

 

 

 

Aber auch auf der Titanic wurde noch bis kurz vor Schluss gefiedelt, das hab ich mal in einem Film gesehen, wie hieß der nur? Egal, denn nun beginnt für mich die stille Zeit zwischen Rückschau und Vorfreude. Zwischen den Jahren nennen es die einen, ich nenne es Zwischen den Filmen. Die ominösen Raunächte, in denen man keine Wäsche waschen und aufhängen darf, weil die Geister sie stibitzen. Darauf freu ich mich schon. Sollte es danach weiter so schlecht laufen mit der Welt, sehen wir uns Ende 2023 zu einem weiteren Jahresrückblick wieder. Ich halte euch die Fluchttüren offen. Bis dahin, Eure Traumfalter Filmwerkstatt.