Die kleine Genrefibel Teil 35: S.E.T.I.
In der kleinen Genrefibel sind Science-Fiction Themen immer etwas besonderes. In kaum einer anderen Filmgattung der Phantastik werden so viele Fragen gestellt, nach dem Stand der Wissenschaft und des Fortschritts, der Zukunft unserer Spezies, gesellschaftspolitische Debatten, das Fortbestehen der Zivilisation, Moral, Ethik, Gott, der ganze Kladeradatsch. Im Bereich Science-Fiction ist der Mensch Schöpfer, er adaptiert die Natur, widersetzt sich Naturgesetzen, versucht Grenzen zu überwinden. Nicht nur physische Grenzen wie die unendlichen Weiten des Universums oder die winzigsten Bestandteile in einem Atom. Auch die Überwindung der eigenen Vorstellungskraft, welche der Motor ist für Forschung und Fiktion.
Wir haben uns mit Zeitreisen beschäftigt, mit künstlicher Intelligenz, Robotern Androiden, Cyborgs sowie dem Einfluss des Atomzeitalters auf das Medium Film. Doch nichts beschäftigt die Menschheit so sehr wie Frage, ob wir allein im Universum existieren oder ob es da draußen noch mehr gibt – außerirdisches Leben, extraterrestrische Intelligenz, Bewohner fremder Galaxien, Freunde aus dem All oder gefährliche Invasoren von fernen Sternensystemen?
Lektionen in Kohlenstoffchauvinismus
Heute geht es ausschließlich um Außerirdische Lebensformen im Film. Sind das immer nur kleine grüne Männchen oder graue Wesen mit mandelförmigen, schwarzen Augen? Das klassische Bild eines Aliens prägte über Jahrzehnte den Science-Fiction-Film, aber ein Alien ist nicht gleich ein Alien. Eine außerirdische Lebensform kann eine humanoide Erscheinungsform haben, andere bilden ein tolles Spektrum biologischer Systematik ab, vom Einzeller über Würmer, Insektoide, Schleime, Amphibien, Echsenwesen, Geflügel und extraterrestrische Raubtiere, im Alienzoo ist so gut wie alles vertreten, was kreucht und fleucht.
Es gibt Dreibeiner, Fungoide Spezies (also Pilzartige), flüssige und gasförmige Arten, mikroskopisch klein oder von schier unvorstellbarer Größe (Lovecraftians). Es gibt Aliens, die sich physisch wie genetisch verändern können (Metamorphozise, Transgenic Organisms), Superorganismen, Amorphe Gestalten sowie knuddelige Vertreter zum Liebhaben. Doch Aliens nach ihrer Erscheinungsform zu klassifizieren, ist für das Genre nicht wirklich zielführend. Oder doch?
Der Genrebegriff ist in der Science-Fiction schwierig, denn Filme grenzen sich vor allem thematisch ab. Doch nicht jeder Film um Aliens muss ein Science-Fiction-Film sein. Innerhalb von Sci-Fi befasst man sich mit der Suche nach extraterrestrischem Leben, einer Alieninvasion, dem Zusammenleben mit fremden Spezies und reflektiert darüber den eigenen Stand der Evolution. Aber auch Ängste gehören zu diesem Komplex, so ist es nicht verwunderlich, dass Aliens auch den Horrorfilm okkupieren. Und im Bereich Fantasy trifft man nicht nur auf Einhörner, Trolle oder Riesen, sondern auch auf Kreaturen anderer Sternensysteme.
Redet man von Aliens in Fantasyfilmen, fehlt oft der Bezug zum “ahnungslosen” Menschlein, in STAR WARS und Co. können verschiedene außerirdische Rassen ganz friedlich nebeneinander leben, naja, mehr oder weniger. Doch alles was um Außerirdische und ihre Wirkung auf den normalen Erdenbewohner thematisiert, gehört in den klassischen Science-Fiction-Bereich. Bevor wir uns etlicher Subgenres rund um Aliens hingeben, wo hat das alles seinen Ursprung?
Außerirdische haben die Menschheit schon von Anbeginn beschäftigt. Nur nannte man sie selten Aliens. Götter hingegen waren allgegenwärtig. Sie leben im Himmel, sie haben Kräfte, die weit über das menschliche Vorstellungsvermögen hinausgehen und man verherrlichte sie in Schriften, in Zeremonien, man baute ihnen Tempel und schuf Religionen.
Der Glaube an Götter aber war auf den Menschen ausgerichtet, begründet vom Gedanken, ein Gott hat den Mensch nach seinem Ebenbild geformt und Naturwunder wie Blitze, Donner, Sintfluten, Erdbeben, sie alle waren Gottes Werk, die den Menschen auf die Probe stellten, seinen Glauben herausforderten.
Der Mensch stand immer schon im Mittelpunkt seines Denken, alles drehte sich um ihn, auch die Sonne. Erst mit der Einführung und Verbreitung des heliozentrischen Weltbildes durch Kopernikus gerät alles durcheinander. Demnach ist nicht die Erde Mittelpunkt des damals bekannten Universums, sondern die Sonne, die von allen Planeten umkreist wird. Solche Sternensysteme gab es zu Hauf im Universum und damit kamen auch Zweifel auf, ob der Mensch die alleinige Spezies im All war.
Der Mann im Mond fiel vom Himmel
Diese Zweifel wurden vor allem durch wissenschaftliche Neugier genährt. Die Erfindung besserer Fernrohre, mit denen man den Mond und den Mars beobachten konnte, trat eine Welle von Überlegungen los. Gibt es Leben auf dem Erdtrabanten, den sprichwörtlichen Mann im Mond? Und was verbarg sich hinter den Marskanälen, die 1877 von dem italienischen Astronomen Giovanni Schiaparelli beobachtet wurden? Diese Fragen beflügelten vor allem die Phantasie junger Autoren Ende des 19. Jahrhunderts wie Jules Verne und H.G. Wells.
Auch die ersten Filmversuche wie die Werke von Georges Méliès beschäftigten sich mit Wesen vom Mond und wie man ihnen zu begegnen hatte. Doch die große Zeit der Science-Fiction begann erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts – in Pulp Magazinen mit Geschichten von John W. Campbell, Robert Heinlein, Isaac Asimov, H.P. Lovecraft oder Arthur C. Clarke.
Nach dem zweiten Weltkrieg, bedingt durch den kalten Krieg, Wettrüsten, dem Wettlauf um die Eroberung des Weltalls, war Science-Fiction im Buch und Film präsenter den je. Als die Raumsonde Mariner 4 erste Bilder des Mars zur Erde schickte, die Venera-Missionen offenbarten, dass sich kein dichter Dschungel unter der Wolkenatmosphäre der Venus befand, beflügelte das die Fantasie ebenso wie die angeblichen Ereignisse rund um den Roswell-Vorfall 1947, die Alien-Untersuchung in Fort Worth, Area 51 und andere Verschwörungstheorien. All das gab dem Alien-Boom neues Futter.
Doch im Gegensatz zur Entwicklung der Atombombe und der Erforschung von Radioaktivität und der Urbarmachung des Atoms kann man die Geschichte von Aliens im Film nicht parallel zur Weltgeschichte aufrollen. Denn nach wie vor gibt es keinen Beweis für außerirdische Existenz oder wirklich bahnbrechende Entdeckungen seit den fünfziger Jahren. Vielleicht ist das aber der Grund für eine so beharrliche Beschäftigung mit Außerirdischen und der Frage, was ein etwaiger Beweis für die Menschheit bedeuten könnte.
Invasion!
Schauen wir uns lieber einige Subgenres an, die im Zuge vieler Fragen um außerirdisches Leben entstanden. Bei aller Faszination, die größte Frage war, ob uns außerirdische Zivilisationen freundlich gesinnt waren oder kriegerische Invasoren. Der Ursprung dieser Überlegung lag bereits in dem 1889 erschienenem Buch “Krieg der Welten” von H.G. Wells inne, dem 1938 ein Hörspiel von Orson Welles und 1953 die Verfilmung von Byron Haskin folgten.
In THE WAR OF THE WORLDS wird die Erde von Marsbewohnern angegriffen, der Klassiker gilt als einer der ersten Alien-Invasion-Filme, die ab den 50er Jahren die Kinos überschwemmten. Außerirdische, die die Erde unterjochen wollten, sich ihrer Reichtümer und Bodenschätze bedienten, den Menschen versklavten oder vernichteten, all diese Ängste wurden in unzähligen Filmen thematisiert. Dazu bedurfte es nicht immer einer außerirdischen Armada wie in THE WAR OF THE WORLDS.
In THE DAY THE EARTH STOOD STILL (1951) landet der Außerirdische Klatuu auf der Erde, um der kriegerische Menschheit, die am Rande der Eroberung des Weltalls stand, Einhalt zu gebieten. Mit Hilfe des riesigen Roboters Gort versucht er, die menschliche Rasse zum Pazifismus zu “überreden”, andererseits droht ihre Auslöschung. Ein klares Zeichen im beginnenden Kalten Krieg.
In den fünfziger und sechziger Jahren musste sich der Mensch immer wieder außerirdischen Invasoren widersetzen – meist gewann er den Kampf. Eine zweite große Alien-Invasion-Filmwelle rollte dann ab den neunziger Jahren durch die Kinos, die sich erzählerisch auf die großen Klassiker bezogen, inhaltlich kaum andere Themen ansprachen als in den Fünfzigern.
Das Revival von Alien-Invasion-Movies war hauptsächlich dem Siegeszug der digitalen Special-Effekts verschuldet. Riesige Raumschiffe, die am Himmel auftauchten, Laserstrahlen, die ganze Häuser zerstören konnten, das alles konnte nach technischen Meilensteinen wie TERMINATOR 2 oder JURRASIC PARK wesentlich eindrucksvoller auf die Leinwand gebracht werden. Im Grunde sind aber Filme wie INDEPENDENCE DAY, MARS ATTACKS, MEN IN BLACK oder STARSHIP TROOPERS typisches 50er-Jahre-Kino, in denen man sich noch gefürchtet hat vor den Angreifern aus dem All.
Grüne Männchen vom Mars
Der Angriff auf die Erde durch Außerirdische war aber nur ein Teil der Alien-Euphorie im Film. Aliens verband man auch immer mit fremden Welten, obwohl die so fremd nicht sein mussten. Ganz am Anfang war es der Mond, hinter dem man fremdartige Wesen vermutete. Doch der Mond hat filmtechnisch nicht so große Spuren hinterlassen wie beispielsweise der Mars. Der war aufgrund seiner Helligkeit am Sternenhimmel dem Menschen seit dem Altertum mehr oder minder bekannt. Mögliches Leben auf dem Mars ist auch heute noch eine heiß diskutierte Frage. Auch nachdem Sonden wie die Mariner 4 Bilder vom roten Planeten übermittelten und dort keine Außerirdischen zu entdecken waren, der Mars blieb der wohl beliebteste Planet in der Filmgeschichte. Was verbarg sich wohl hinter den Marskanälen, die man für Bewässerungs-Konstrukte hielt, oder dem berühmten Marsgesicht?
Bereits 1910 wurde der rote Planet in Thomas Edinsons Stummfilmklassiker A TRIP TO MARS thematisiert. In den fünfziger Jahren folgten Streifen wie FLIGHT TO MARS oder THE ANGRY RED PLANET. Im Gegensatz zu Alien-Invasion-Filmen ist hier der Mensch Eindringling auf einem fremden Planeten und hat sich mit der dort lebenden Spezies auseinanderzusetzen. Nachdem aber die Marsmissionen immer mehr Details und Wissen über den roten Planeten zu Tage förderten, stellte sich Ernüchterung in Sachen Marsmenschen ein. Karge Wüsten und Geröll, mehr war da nicht auf der Oberfläche des so beliebten Planeten.
Ende der siebziger Jahre war der Mars dann out, andere fiktive Planeten mit Vegetation und allerlei Getier waren für Autoren und Filmemacher dankbarere Locations. Aber auch der Mars kehrte hin und wieder auf die Leinwand zurück. Als in den späten neunziger Jahren Marsrover die Oberfläche des roten Planeten durchquerten und spektakuläre Bilder lieferten, kam es zu einem kleinen Mars-Revival im Kino. MISSION TO MARS von Brian de Palma, RED PLANET aus dem Jahr 2000, Mars-Horror von John Carpenter (GHOSTS OF MARS), DOOM, zuletzt JOHN CARTER OF MARS und THE LAST DAYS ON MARS, die rote Kugel lässt die Menschheit nicht los. Noch immer träumt diese von einem bemannten Marsflug, einer Kolonialisierung des Mars, das Projekt “Mars One” soll bis zum Jahr 2025 eine bemannte Marsbasis errichten. Viel Zeit für eine Menge Fiktion.
Doch was ist mit dem Marsmenschen, dem Marsianer, dem Urtypus des kleinen, grünen Männchens mit großem Kopf und Antennenfühlern. Warum ausgerechnet grün? Und gab es keine Marsweibchen? Fragen, die auch heute noch schwer zu beantworten sind. Vielleicht weil Grün ein so schönes Komplementär zum roten Planet darstellt? Grün als Farbe des Lebens?
1917 beschrieb Tarzan Erfinder Edgar Rice Burroughs in seinem Roman “Die Prinzessin vom Mars” erstmals Marsbewohner als kleine grüne Männchen und bis zu MARS ATTACKS von Tim Burton aus dem Jahr 1996 hat sich dieses Erscheinungsbild in den Köpfen der Science-Fiction Fans gehalten. Dennoch ist der heutige Außerirdische in der Fiktion selten grün, sondern eher grau.
Diese sogenannten “Greys” haben ihren Ursprung in der Beobachtung von Außerirdischen auf Erden, durch den Roswell-Vorfall und der angeblichen Entführung des Ehepaars Hill im Jahre 1961. Es waren die Jahre der Alien Hysterie, die bis heute wohl größte Verschwörungstheorie.
Ufo-Crash, ET-Highway & Wow!-Signal
Nicht jeder Außerirdische kommt mit einer Flotte auf die Erde, um sie in die Luft zu jagen. Manche Wesen sind scheu und werden nur durch Zufälle entdeckt. Als im Jahr 1947 in der Kleinstadt Roswell in New Mexico angeblich ein Ufo abgestürzt ist, ranken sich Legenden und Verschwörungstheorien um jenen Vorfall. Heute scheint zwar festzustehen, dass es sich entweder um einen Wetterballon gehandelt hat (Ufo-Sichtung) und/oder um das Schicksal einer Crashtest-Puppe, an der Fallschirme und Freifallverhalten getestet werden sollte. Doch die Phantasie schlug größere Wellen.
In Roswell ist ein Ufo abgestürzt, ein toter Außerirdischer wurde in einer Militäranlage namens Area 51 obduziert, es gibt sogar Filmaufnahmen, den sogenannten Santilli-Film. Obwohl sich dieses Machwerk als Fälschung herausstellte, noch immer glauben viele an die erste wirkliche Ufolandung und an das Erscheinungsbild eines kleinwüchsigen Aliens mit grauer Haut und großen Augen – jenes Bild eines Außerirdischen, das in die Popkultur einging. Beflügelt von den Ereignissen wollten Filme um dieses Thema auch immer ernster genommen werden als Alien-Invasion-Filme wie THE WAR OF THE WORLDS. Um das zu erreichen, mischten sich krude Phantasien mit Halbwahrheiten und angeblichen Beweisen. Zwar inspirierten jene Begebenheiten alle möglichen Arten von Science-Fiction-Filmen, doch Filme, die sich ernsthafter mit einer Alienbegegnung beschäftigen, gibt es gar nicht so häufig und sie sind eher jüngeren Datums.
Der Santilli-Film, welcher 1995 der Öffentlichkeit präsentiert wurde, löste einen neuen Alien-Boom aus, der bereits Ende der Achtziger Jahre begann. Filme, die sich nicht in Effekthascherei mit Aliens beschäftigten, waren vor allem COMMUNION von 1989 und FIRE IN THE SKY aus dem Jahr 1993. Dazwischen rangierten die beiden Fernsehserien TWIN PEAKS und AKTE X, bei denen sich besonders letztere als einer der wirkungsvollsten Auslöser der Alien-Hysterie in den frühen Neunzigern herauskristallisierte. Aliensichtungen, Singale aus dem All, all das rückte plötzlich wieder näher an das Interesse der Bevölkerung.
1977 ging dem ein Vorfall voraus, der unter dem Namen “Wow!-Signal” bekannt wurde. Es handelte sich um die Aufzeichnung eines Signals, welches bis heute nicht wirklich aufgeklärt werden konnte. Ob dieses Signal nur ein interstellarer Kommunikationsversuch war oder nicht, er trieb die fiktive Vorstellung extraterrestrischen Lebens in eine neue Richtung, weg von Laserstrahlen und grünen Männchen hin zu einer realistischeren Betrachtung. Auch die Vorfälle in Roswell und das große Fragezeichen Area 51 wurden erst ab den Neunzigern thematisiert, wahrscheinlich weil erst dann Details an die Öffentlichkeit kamen oder hinterfragt wurden.
S.earch for E.xtraT.errestrial I.ntelligence
Ob nun irgendwer irgendwen gesehen hat, der irgendein Alien irgendwo widerrechtlich vertuscht hat oder vertuschte Aliens retuschiert hat, die Wahrheit ist, seit 1960 gibt es offizielle Forschungsprogramme, die sich der Suche nach außerirdischen Zivilisationen verschrieben haben, SETI genannt. Jene Suche geht von theoretischen Überlegungen bis zur Untersuchung von Signalen aus dem All, der Auswertung neuer Bilder von Großraumteleskopen und Daten. Einige Programme wurden in den neunziger Jahren von der amerikanischen Regierung finanziert und das Interesse am SETI-Programm stieg.
Einer der wenigen wissenschaftlich-ambitionierten Filmprojekte um diese Suche und möglicher Folgen ist CONTACT aus dem Jahr 1997. CONTACT lebt von der Sehnsucht nach dem Unbekannten da Draußen, auch wenn kein Alien wirklich zu sehen ist. Denn die Suche nach fremden Wesen ist beileibe nicht so spannend wie ein Science-Fiction-Klassiker, es ist staubtrockene Datenverarbeitung, Zahlen, Zahlen, Prozente, Tausendstel. Dort, wo die Realität der SETI beginnt, hält sich die Fiktion nicht mehr auf. Die Fiktion um Außerirdische ist über die bloße Frage, ob es sie gibt, schon längst hinaus. Das SETI-Programm hatte kaum Einflüsse auf die Alienfilmlandschaft. Die unterschied immer noch strikt zwischen Gut und Böse.
Freundliche Außerirdische sind dabei gar nicht so häufig anzutreffen. Die UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART von Steven Spielberg war eine der wenigen friedlichen Stelldicheins in der Alienhistorie. Eine solche Begegnung war wissenschaftlich klassifiziert, der sogenannte CE-3, der “close encounter of the third kind”, gilt als letzter, unausweichlicher Schritt nach einer Sichtung (CS-1), einem Fund (CS-2) – der Kontakt. In den fünfziger und sechziger Jahren war der erste Kontakt vornehmlich kriegerischer Natur. Böse Alieninvasoren kommen auf die Erde, friedliche Raumfahrer dringen in fremde Alienhochburgen ein, am Ende gab es immer Stunk und böses, grünes Blut.
In DIE UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART verständigen sich die Außerirdischen mittels akustischer Signale, die generelle Friedlichkeit im Film war auch dem Abklingen des Wettrüstens und einer gemäßigten Politik von Jimmy Carter verschuldet, zudem lag Steven Spielberg viel daran, in der Öffentlichkeit ein besseres Bild von außerirdischen Leben zu zeichnen.
1982, fünf Jahre nach der UNHEIMLICHEN BEGEGNUNG inszenierte Spielberg eine zweite, heimliche Begegnung zwischen einem außerirdischen Sammler, der auf der Erde vergessen wurde und einem zehnjährigen Jungen – E.T. – DER AUSSERIRDISCHE wurde ein riesiger Welterfolg und rührt auch heute noch zu Tränen. Dennoch sind Filme über knuddelige, liebreizende Aliens eher selten, hier mal ein MICK VOM ANDEREN STERN, da mal ein paar CONEHEADS. Möglicherweise steckt in “Alien und Mensch geben sich die Hand und chillen ab” nicht das dramatische Potential, welches Spannung und Nervenkitzel zu Tage fördert.
Auch Spielberg hat sich mit dem Remake von THE WAR OF THE WORLDS wieder verstärkt der kriegerischen Auseinandersetzung hingegeben. Den wenigen Knuddelaliens steht eine Armee von fiesen Außerirdischen gegenüber, die mit den Zähnen fletschen.
Mein böser, kleiner Xenomorph
Der Umstand, dass außerirdische Invasoren die Erde angreifen oder man in den Weiten des Alls einer fremde Lebensform begegnet, war eine Horrorvorstellung. Die Umsetzung in den fünfziger und sechziger Jahren hingegen war ein Kompromiss, den so gut wie immer steckte ein Mensch hinter der Aliensverkleidung. Da mal eine Maske mit Tentakeln, Gumminoppen, hier und da ein wenig Glibber – fertig war der fiese Aggressor vom anderen Stern.
Bedrohlich war das nur bedingt, aber immerhin bedrohlicher als ein rosafarbener BLOB oder eine Kautschukspinne. Erst Ende der siebziger Jahre betrat eine Lebensform die Bühne, die einen das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte – es war das Alien schlechthin – der Xenomorph aus Ridley Scotts Genremeilenstein ALIEN. Statt eines Menschen in einem gepimpten Neoprenanzug war jenes Wesen ein bizarres Raubtier, bewegte sich auch wie ein solches, besser noch, man sah es kaum.
Statt eines Menschen in einem gepimpten Neoprenanzug war jenes Wesen ein bizarres Raubtier, bewegte sich auch wie ein solches, besser noch, man sah es kaum. Das vom Schweizer Künstler H.R. Giger entworfene Alien bediente sich aller Handwerkzeuge des Horrorfilms und schockte Millionen von Kinozuschauern. Auch auf mich hatte der Film, den ich in jungen Jahren vergrieselt auf dem ZDF gesehen habe, einen nachhaltigen Eindruck.
Mit diesem Exemplar konnte man nicht reden, jedes Stadium seines Daseins war tödlich, ein echtes Raubtier aus dem Weltall, und es sollte das Bild des außerirdischen Monsters im Kino nachhaltig verändern.
Nach dem Erfolg von ALIEN 1979 sprossen nicht nur unzählige ALIEN-Rip offs aus dem Boden, aus ALIEN wurde ein Franchise mit drei offiziellen Fortsetzungen, einer Art Prequel namens PROMETHEUS und einem Crossover mit einer anderen, kreuzgefährlichen Alienspezies – dem PREDATOR. In PREDATOR aus dem Jahr 1987 steckte zwar wieder ein Mensch in Alienmontur (am Anfang sogar Jean Claude Van Damme), doch gehört der Trophäensammler zu den tödlichsten und schaurigsten Vertretern seiner Art.
Nach der gelungenen Fortsetzung PREDATOR 2 kam es im Jahr 2004 zum Gipfeltreffen der Raubtiere – ALIEN VERSUS PREDATOR, dem 2007 eine Fortsetzung namens ALIENS VS. PREDATOR 2: REQUIEM vergönnt war.
Beide Wesen dürften nicht nur die gefährlichsten Spezies im All sein, ihre Beliebtheit ist noch immer ungebrochen. 2010 erhielt PREDATOR eine Art Reboot mit PREDATORS von Nimród Antal und Regisseur Neil Blomkamp (DISCTRICT 9) sollte einen weiteren ALIEN-Film inszenieren, abermals mit Amazone Ripley (Sigourney Weaver). Doch dazu kam es nicht, denn Ridley Scott inzensierte 2017 die PROMETHEUS Fortsetzung ALIEN COVENANT und setzte damit ein weiteres Prequel zu ALIEN aus dem Jahr 1979.
Geht es um bloße Physis, um messerscharfe Zähne und Säure als Blut, kann wohl kein Alien in Sachen Gefährlichkeit mit dem Xenomorph konkurrieren. Doch es gibt noch andere Arten von außerirdischen Widerlingen, die wirklich fiese Tricks drauf haben, welche nicht minder tödlich sein können.
Mit vollem Körpereinsatz
1955 begründete der amerikanische Autor Jack Finney mit seinem Roman “The Body Snatchers” einen neuen Typus von Alienangreifer – den des boshaften Körperfressers. Bereits ein Jahr später wurde der Roman von Don Siegel als INVASION OF THE BODY SNATCHERS verfilmt, mit dem großartigen Kevin McCarthy in der Hauptrolle. Der Film mit dem deutschen Titel DIE DÄMONISCHEN handelt von einer Alienspezies, die die Menschheit ganz heimlich still und leise bedroht, in dem sie die Menschen als Wirtskörper bewohnen und sie zu gefühllosen Marionetten machen.
Das war ungemein effektiv und unheimlich, denn man konnte sich so nie sicher sein, wer schon von der fremde Art assimiliert wurde. 1978 erschien das Remake von Philip Kaufman, der ebenfalls zum Klassiker wurde – DIE KÖRPERFRESSER KOMMEN mit Leonard “Spock” Nimoy, Jeff Goldblum und natürlich Donald Sutherland. Der außerirdische Organismus ist hier mikroskopisch klein, aber die Folgen für Befallene sind verheerend.
Ein ähnliches Szenario beschreibt der Roman “Die Marionettenspieler” von Robert Heinlein (“Starship Troopers”) aus dem Jahr 1951, der als THE PUPPET MASTERS 1994 verfilmt wurde. Auch hier übernehmen außerirdische Parasiten die Kontrolle über menschliche Körper, Ziel ist wie immer die Weltherrschaft. Doch anders als bei prolligen Alien-Invasion-Filmen kommt hier die Bedrohung schleichend daher, viel Platz für Paranoia und Unsicherheit auf beiden Seiten der Leinwand.
Das Konzept der Körperfresser, bzw. die Romanvorlage von Jack Finney wurde noch zwei weitere Male verfilmt, von Abel Ferrara (BODY SNATCHERS, 1993) und von Oliver Hirschbiegel (INVASION, 2007). Aber auch Filme wie THE HIDDEN, FACULTY oder THE ASTRONAUTS WIFE beschreiben solche Szenarien der Alienübernahme im eigenen Leib. Und THE HOST (SEELEN) von Andrew Niccol geht sogar noch einen Schritt weiter und thematisiert den inneren Kampf des Menschen gegen den feindlichen Eindringling – zwar kann man die Stephenie Meyer Verfilmung nicht wirklich mit Finney oder Heinlein vergleichen, er gehört aber irgendwie dazu in das faszinierende Subgenre BODY SNATCHERS.
Was kann eigentlich schlimmer sein als ein fieses Weltraum-Alien? Richtig, ein fieses Weltraum-Alien in einem heißen Frauenkörper. Auch das ist in der langen Geschichte von Außerirdischen im Film vorgekommen und bedeutete für gestandene Männer meist den Tod. LIFEFROCE aus dem Jahr 1985 ist ein absoluter Klassiker zwischen Alienfilm, Body Snatcher Thematik, ein bisschen Vampirfilm und viel Erotik – mit einer schmucken Mathilda May, die völlig unbekleidet ihrem fiesen Tagewerk nachgeht und Erdenbwohner aussaugt.
Streng genommen ist Sil aus der Reihe SPECIES gar kein richtiges Alien, sondern eine genetische Kreuzung, minder gefährlich ist sie deshalb nicht. SPECIES von 1995 wurde ein wenig als ALIEN-Abklatsch verschrien, immerhin entwarf Giger auch die Effekte für Sil. Heute finde ich, SPECIES ist ein kleiner Klassiker, temporeich, gut besetzt (Ben Kingsley, Forrest Whitaker, Alfred Molina), ein klasse B-Movie. Und erst kürzlich durfte Scarlett Johansson in UNDER THE SKIN Männer mit Sex locken, nur um sie zu lecker Sülze weiterzuverarbeiten. Alle drei Gespielinnen sind sich ihrer Reiz wohl bewusst, können aber auch ziemlich derb werden.
The Truth Is Out There
Bei all der unterschiedlichen Herangehensweise in Sachen Aliens im Film, die große Zeit der Außerirdischen scheint vorbei zu sein oder auf Eis zu liegen. Damit meine ich eher Filme, die einen first contact thematisieren oder die Suche nach einer außerirdischen Intelligenz. Die Antwort scheint einfach, jahrzehntelang hat die Menschheit gesucht, in der Wissenschaft, in der Literatur und im Film. Während andere Zukunftsvisionen oder Phantastereien Realität wurden, warten wir noch immer auf Besuch von anderen Sternensystemen. Dieses Warten ermüdet.
In den fünfziger und sechziger Jahren gingen Filme und technischer Fortschritt in der Forschung Hand in Hand, Mondlandung, Marsmissionen, Raumsonden, all das heizte auch die Alien-Euphorie an. Doch wenn heute der Marsrover an irgendeinem Stein hängen bleibt, haut das erstmal keinen mehr vom Hocker. In den neunziger Jahren kam es zumindest im Film zu einer digitalen Revolution und Gummialiens wurden durch CGI abgelöst. Filigranere Wesen betraten die Leinwand, Städte konnten nun fulminant dem Erdboden gleichgemacht werden, die großen Fragen aber bleiben die Gleichen.
Aliens überrennen momentan jedwede Sci-Fi oder Fantasyproduktion, ob nun in THE AVENGERS, STAR WARS, STAR TREK oder GUARDIANS OF THE GALAXY. Aliens sind allgegenwärtig geworden, wirken integriert und selbstverständlich. Nur noch wenige Filme thematisieren soziale und gesellschaftspolitische Fragen wie etwa DISTRICT 9 oder auch AVATAR. Vielleicht wird ein wenig zu konservativ mit Aliens umgegangen. Früher waren sie Bedrohung oder Rettung unseres Planeten. Außerirdische Pflanzen wie die TRIFFIDS oder Lebensformen, die nicht nach der Weltherrschaft lechzen (friedliche Banta-Herden, DUNE-Würmer, kiffende Würmer in MEN IN BLACK), sind leider rar. Doch irgendwo da draußen gibt es bestimmt eine Alien-Story, die noch nicht erzählt wurde.
Außerirdische Lebensformen, oder Aliens – nicht jeder springt sofort begeistert auf und schreit: “Hurra!”. An Aliens scheiden sich die Geister – was für ein Blödsinn, Raumschiffe, kleine grüne Männchen, totaler Humbug! Vampire, Werwölfe, Geistererscheinungen, an die glaubt zwar auch niemand so richtig, doch geht es um Aliens, steht man schnell im gesellschaftlichem Abseits.
Ich kenne viele Phantastikbegeisterte, die sich allen möglichen Unfug reinziehen, aber sobald ein Außerirdischer auftaucht, fängt das Gestöhne an. Es wird regelrecht gekeift bei der Frage, ob es Leben auf fremden Planeten gibt. An jeder Legende, jedem Ammenmärchen vermutet man ein Stück Wahrheit, aber Aliens? Vielleicht sind solche Reaktionen pure Schutzbehauptungen, ein Ablenken vom überfordertem Gehirn, ein Zugeständnis an die eigene Winzigkeit.
Wer kann sich schon ein unendliches Weltall vorstellen. Wenn wir in den Nachthimmel schauen und begreifen, dass fast jeder Stern da oben eine Sonne ist, ein Mittelpunkt eines Sternensystems, die wiederum zu Millionen Galaxien bilden, diese unvorstellbar große Zahl, das Universum in seiner Geschichte, Milliarden Jahre alt und wir werden skeptisch, dass wir in den letzten fünfzig Jahren keinerlei Kontakt herstellen konnten. Die von uns so hochgeschätzte menschliche Intelligenz, sie wird plötzlich sehr klein und unbedeutend. Und das darf ja wohl nicht sein.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
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