Die kleine Genrefibel Teil 66: Tatsächlich Liebe
Wieder einmal müssen wir die Kleine Genrefibel bemühen, um auch die großen gesellschaftlichen Problemfelder verstehen zu können, die uns das Menschsein auferlegt hat. Drogen, Sex, fleischfressende Pflanzen, vor keinem Tabuthema wird zurückgewichen. Und heute heißt dieses Thema tatsächlich Liebe. Doch was ist das überhaupt, Liebe? Nun, die Liebe ist, wie soll ich es mit eigenen Worten sagen, ein seltsames Spiel. Sie kommt und geht von einem zum andern. Sie nimmt alles, doch sie gibt auch viel zu viel, kurzum, die Liebe ist ein seltsames Spiel. Eine neue Liebe ist zudem wie ein neues Leben. Was einmal war ist vorbei und vergessen und zählt nicht mehr. Doch was, wenn sich die Liebe abnutzt, was bleibt dann noch? Dann will man wieder ein neues Ziel finden und sich nicht mehr an sich binden, da stehen dann gepackte Koffer, was gewesen, ist gewesen.
Ich weiß mich wirklich nicht besser auszudrücken. Vielleicht liegt es einfach nur an der Hitze. Sonnenstich. Eine Genrefibel über Liebesfilme, kann das überhaupt gut gehen, sagt da keiner was? Wir wissen doch alle, Liebesfilme sind die Geißel der Menschheit, das Erzübel, der Zankpafel im Genrestreichelzoo. Frauen beginnen wild zu kreischen und Männer auch, sie verkriechen sich hinter Nockenwellen und Ölfilterpatronen tiefer gelegter Subarus und hoffen, dass der Kelch der Liebe an ihnen vorübergeht, was immer das auch heißen mag. Zum Glück gibt’s heute Netflix. Früher zwangsverschleppt ins Kino zur drölftausendsten Romanze mit Reese Witherspoon und Owen Wilson, die Klaviatur des Wahnsinns so oft getreidemühlenartig heruntergebetet und bonbonfarben projiziert auf Kinoleinwände, bis Mann nicht mehr wusste, was Realität war und was Film. Ersoffen im Klischee.
So, mehr gibt’s glaube ich nicht zu sagen über den Liebesfilm. Oder doch? Ob wir nun wollen oder nicht, lasst uns über Liebe reden! Also Liebe im Film, meine ich. Diese unterscheidet sich nämlich gewaltig von der Realität. Der Liebesfilm und seine Abarten verhalten sich in der Genrekonzeption widerborstig. Liebesfilme sind die wahren Genrefilme. Sie sind fantastischer als Fantasy und schrecklicher als Horrorfilme. Genre besteht aus Bausteinen und keine Filmgattung verfügt über mehr Klötzchenbauerei als der Liebesfilm. Auf jedes Horrorfilmklischee kommen zehn Liebesfilmklischees, verkauft wird einem das allerdings als Hyperrealität. Bei Elfen und Trollen verdreht jeder die Augen, wie unrealistisch, aber alles in Liebesfilmen wird für bare Münze genommen, mehr noch, der Liebesfilm hat die Realität verzerrt. Das macht ihn so gefährlich, dass er eigentlich auf den Index gehört.
Liebe Liebe Liebelei
Doch der Reihe nach. Schauen wir uns erstmal an, wie sich der vermaledeite Liebesfilm ins Genrekorsett einfügt. Denn da fangen die Probleme bereits an. Der Liebesfilm als Begriff ist recht wankelmütig. Ihm liegt ein thematischer Komplex zu Grunde und zwar die Liebe. Aber Liebe ist im Film ja omnipräsent, 95% aller Filmhandlungen beinhalten Liebeshandlungen.
Man muss schon scharf nachdenken, dass einem mal ein Film ohne Liebeshaupt- oder Nebenhandlung einfällt. PREDATOR zum Beispiel. Aber das nennt man glaube ich Bromance. Wenn in einem Film Liebeshandlungen vorkommen, muss das noch kein echter Liebesfilm sein. In Liebesfilmen steht das Thema Liebe im Mittelpunkt und sehr häufig als dramaturgisches Ziel. Figuren lernen sich kennen und verlieben sich am Ende. Oder heiraten. Oder finden jemand anderen oder trennen sich einfach oder…
Hier spliced sich der Liebesfilm in zwei Tentakel, denn die Liebesmüh kann entweder fruchten oder scheitern. So resultieren die Romanze und das Melodram. Die Romanze führt zum Happy End, das Melodram dagegen endet für gewöhnlich in unerfüllter Liebessehnsucht, Berge verheulter Tempotaschentücher hinterlassen beide Ausrichtung aber gleichermaßen. In Wahrheit gibt sich der Liebesfilm aber nicht so puristisch, jede Romanze hat auch ihre melodramatischen Szenen und umgekehrt. Echte Subgenre stellen Romanze und Melodram aber nicht dar bzw. sind noch zu unkonkret.
Zwei echte Subgenrebegriffe hingegen sind das Liebesepos (historical romance) und das Liebesdrama (romantic drama). Beide Subgenre beziehen ihr erzählerisches Potential aus dem dramatischen Aufeinandertreffen von Liebe und gesellschaftlichen Konventionen. Im Liebesepos sind diese hauptsächlich in der Vergangenheit verortet, die Liebe muss sich nicht nur der Widrigkeiten ihrer selbst behaupten, sondern auch im gesellschaftlichen Kontext des jeweiligen Zeitalters.
Es geht im Liebesepos und im Liebesdrama nicht nur um die Liebe als solche, sondern auch darum, wie das gesellschaftliche Umfeld diese Liebe beeinflusst. Die Figuren im Liebesepos und Liebesdrama müssen sich oft zwischen ihrer Liebe und den Anforderungen der Gesellschaft entscheiden, Konflikte entstehen nicht nur der Liebe wegen, sondern auch wegen dem Drumherum.
Im historischen Liebesepos sind das Klassenunterschiede, Gleichberechtigung und Politik, im gegenwärtigen Liebesdrama entscheiden zudem Kultur, Milieu, Einkommensunterschiede und andere soziale Belange. Ein wenig aus der Art schlägt das Subgenre Coming-of-Age, welches wir bereits sehr ausführlich besprochen haben. Doch Coming-of-Age Filme thematisieren den Prozess des Erwachsenwerdens, auch wenn die erste große Liebe dabei häufig im Mittelpunkt steht. Dieses Wechselspiel zwischen romantischer Verzückung und melodramatischer Verzweiflung ist ein wichtiges Wesensmerkmal von Coming-of-Age Filmen, aber eben nicht das Einzige.
Das wohl bekanntest Subgenre des Liebesfilms aber ist die Romantische Komödie, kurz RomCom. Im Mittelpunkt der romantischen Komödie steht das idealisierte Konzept der wahren Liebe, dramatische Liebesverwicklungen werden leichtfüßig erzählt und sie alle haben ein Happy End. Die RomCom bedient sich oftmals der komödiantischen Werke Shakespeares und fokussiert die Irrungen und Wirrungen der Liebesmüh mit Naivität und zum Teil übertriebener Gesten der Romantik.
Unterarten der Romantischen Komödie sind die romantische Screwball-Komödie, die sich auf Ungleichheiten und Gegensätze innerhalb von Beziehungen fokussiert und sogenannte Chick Flicks, die speziell auf ein weibliches Zielpublikum ausgerichtet sind.
Trotz starker Frauenfiguren und Sichtweisen ist der Chick Flick aber eher ein Marketingbegriff, der im Kino oft als Ladies Night verkauft wird, besonders gern um den Valentinstag herum. Dass das Gegenstück zum Chick Flick der sogenannte Dick Flick oder schlicht Porno sei, ist filmtheoretisch unsinnig. Das Gegenstück zum Chick Flick ist der Film PREDATOR.
Only Lovers Left Alive
Liebeshandlungen kommen in so gut wie allen Genres und Subgenres vor, doch manchmal sind die Gewichtungen so gestaltet, dass neue Subgenre resultieren, auch in Sachen Liebe. Dazu zählt zum Beispiel das Subgenre Romantic Fantasy. Die Rezeptur scheint einfach. Gehen einem Autor oder Filmemacher alle Eventualitäten der Liebe im Hier und Jetzt aus, kann er immer noch ein Was-wäre-wenn-Szenario aufbauen.
Was wäre, wenn die Liebe ewig währt, wenn die Geliebte ein Zombie ist oder der Angebetete ein Vampir? Was fühlt die Frau des Zeitreisenden, was wollen Frauen wirklich? Konzeptionell sind solche Filme relativ clever, denn sie dröseln die altbekannten Liebesklischees um andere Genreklischees und das kann mitunter witzig sein. In der Fantasy scheint das einfach, denn Märchenmotive zum Beispiel hat der Liebesfilm jedweder Ausrichtung schon immer kopiert. Es wurde sogar regelrecht verplottet wie im Fall Cinderella, nach dessen Muster heute dutzende Liebeskomödien ablaufen.
Im Bereich Science-Fiction ist das schon schwieriger, Dystopien wie EQUALS verbieten Liebe und Emotionen und sind nicht sonderlich romantisch, auch in STAR TREK macht sich die Liebe rar, von Kirk mal abgesehen. Aber es gibt sie trotzdem, die romantische Science-Fiction wie PASSENGERS, DEN STERNEN SO NAH oder HER.
Kompatibler scheint da der Horrorfilm zu sein, auch wenn es verrückt klingt. Im gesamten Phantastikbereich scheint die Liebe jene Kraft zu sein, das Böse zu überwinden. Sex hat ohnehin eine Doppelbedeutung im Horrorfilm. “Dracula” von Bram Stoker ist eine der kraftvollsten Liebesgeschichten überhaupt, in BRAINDEAD gehen die Liebenden Lionel und Paquita Hand in Hand durch allerlei Gedärm, um zueinander zu finden und in ONLY LOVERS LEFT ALIVE wird der innige Wunsch nach der ewigen Liebe bittersüß karikiert. Und Zombieromanzen braucht nur noch ein paar Ableger, um ein eigenes Kleinstgenre zu begründen.
Eine Abnormalität zwischen Liebes- und Fantasyfilm stellen dann noch Filme dar, in denen sich der oder die Hauptfigur in ein waschechtes Monster verliebt. Das muss nicht immer wie in DIE FLIEGE am Ende Herz- und Gewebezerreißend sein, aber tragisch ist es fast immer.
So will auch der gute alte Frankenstein gern eine eigene Braut zum Verlieben, die Schöne verliebt sich über kurz oder lang in das Biest und erst in diesem Jahr wurde die Liebesgeschichte zwischen einer stummen Putzkraft und einer amphibischen Kreatur in THE SHAPE OF WATER mit Oscars überhäuft.
Neben einigen reinrassigen Action-Romanzen und romantischen Thrillern aber erschöpfen sich die Genrecrossover, denn die Liebe findet ohnehin in jeder Sparte des Films Platz. Neben dem Thema und der Verquickung mit anderen Genrestrukturen gibt es aber noch andere Wesensmerkmale von Liebesfilmen, welche den Komplex definieren. Denn allein in einem Liebesdrama oder einer Romantischen Komödie stecken unzählige verschiedene Aspekte der Liebe, die Geschichten und Plots resultieren lassen können. Denn Liebe ist alles andere als ein eindeutiger Begriff.
Je t’aime – wer mit wem?
Allein die Stadien der Liebe, vom Kennenlernen (boy meets girl) über Verlieben, Herzschmerz, Beziehung, Hochzeit, Ehe, Eifersucht, Krise, Fremdgehen bis zur Trennung oder Wiedervereinigung, kaum ein anderes Thema hat eine so große Bandbreite, um Filme zu füllen. Rein dramaturgisch gesehen ist diese Vielfalt an dramatischen Stationen für den Filmemacher Gold wert.
Hinzu kommen große kulturelle Unterschiede, Altersunterschiede sowieso, Liebe ist eine global verständliche Sache, fast jeder wird sie erfahren oder von ihr überfahren, was bedeutet, Liebesgeschichten kann man immer und überall erzählen. was man auch getan hat in der Filmgeschichte.
Die Evolution des Liebesfilms ist nicht mit der Darstellung von Erotik und Sexualität gleichzusetzen, obwohl beides in der Filmgeschichte Hand in Hand ging. Die Darstellung der Liebe ohne Anzüglichkeiten war schwierig, bereits der erste öffentliche Filmkuss erregte die Gemüter und das nicht nur in Verzückung. Die Thematisierung von Sex hat den Liebesfilm gewaltig verändert. Aber auch mit der Rolle von Sex im Film haben wir uns schon genauer beschäftigt.
Liebe war für das Kino und den Film ein mächtiger Zugmagnet. Die Sehnsucht nach romantischen Geschichten war überaus logisch, Liebe war ein Wunschzustand, die perfekte Liebe zumindest. Auf der Leinwand projizierten berühmte Paare diese Sehnsucht in die Köpfe der Zuschauer, Leinwandpaare wie Katherine Hepburn und Spencer Tracy waren Publikumsrenner.
Zwar hatte die Liebe im Film immer etwas phantastisches, aber es fiel nicht so auf wie beispielweise Alienangriffe. Denn szenisch waren Liebesverrenkungen durchaus realistisch. Ganze Filme dagegen nie. Das wurde dem Zuschauer über die Jahre schon bewusst, aber es machte den Liebesfilm noch stärker. Der Liebesfilm wurde zur Wunschprojektion.
Natürlich hat sich das Thema Liebe im Film über die Jahrzehnte verändert. Die großen Gesten der 50er Jahre wichen alsbald einer Liebesernüchterung, die 60er und 70er Jahre waren die großen Scheidungsjahrzehnte, in denen das Konzept der Liebe bis zum Tod im Film nicht mehr vermittelt werden konnte. Hinzu kamen gesellschaftliche Veränderungen wie Geschlechterkampf und Emanzipation, Freie Liebe und Entromantisierung, voreheliche sexuelle Beziehungen wurden gesellschaftlich akzektabel. Doch genau aus diesem Grund verwandelte sich der Liebesfilm wieder in Richtung Wunsch und Eskapismus.
In Zeiten des New Hollywood galt der Liebesfilm als tot, später wurde der Sex für den Untergang der romantischen Komödie verantwortlich gemacht. Das Revival des Liebesfilms begann dann in den 90er Jahren durch die Blockbuster PRETTY WOMAN und GHOST. Beide Filme verstärkten das Märchenpotential im Hier und Jetzt und waren damit an der Kinokasse unglaublich erfolgreich.
Das lag aber nur zum Teil am Plot. Die wichtigsten Säulen des Liebesfilms waren die Hauptfiguren. Davon gab es immerhin zwei, die zum Teil gleichwertig behandelt wurden. Ein Autor musste alle Tricks drauf haben, zwei Hauptfiguren zu arrangieren und zueinander zu führen. Aber allein das macht noch keinen guten Liebesfilm aus. Liebesfilme stehen und fallen mit der Besetzung, mehr aber noch mit der Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren respektive Darstellern.
Die Renaissance des Liebesfilms ab 1990 war vor allem durch Figuren und Darsteller begründet. Julia Roberts und Richard Gere, Demi Moore und Patrick Swayze, das waren noch Stars der alten Liebesschule und die regulären Nachfolger von Hepburn, Taylor, Tracy, Burton und Co. Aber das änderte sich bald, früher wurden Stars zu Filmliebespaaren, ab den 90ern war es oft auch umgekehrt, dort wurden aus Leinwandpaaren Stars. Ein weiterer Grund für den expandierenden Erfolg von Liebesfilmen war die Erweiterung der Zielgruppe durch Teenies. Frühere Vorbehalte um Sitte und Moral waren passé, die Jugend suchte die Liebe unverkrampft.
Die Romantische Komödie nahm ab den 90er Jahren erst so richtig Fahrt auf, sie wurde wilder, freier, lockerer, aber eigentlich blieben die gängigen Liebesklischees alle erhalten, mehr noch, sie verselbstständigten sich. Irgendwann gab es kein Zurück mehr. Liebesfilme wurden zu einer universellen Sprache. Man konnte sie lernen, durch Filme, egal ob sie aus Lappland oder Hollywood stammten. Liebe und der ganze Kram drum herum wurde Zerrtanz.
“Liebe ist eine schwerwiegende Geisteskrankheit.”
Die Rezeption und Weiterentwicklung des Liebesfilms ist beinahe paradox. Aus dramaturgischer Sicht ist der Liebesfilm geradezu omnipotent. Figuren, Wünsche, Ziele – all das ist verhältnismäßig komplex, die Stadien der Liebe mannigfaltig, woraus unzählige Szenen entstehen können.
Eine Liebe und eine Beziehung liefern ja praktisch einen dramaturgischen Leitfaden, die Geschichte von zwei Figuren, die sich verlieben, ist bereits überaus filmreif. Hinzu kommen dutzende Variationsmöglichkeiten, bedingt durch verschiedene Altersgruppen, Zeiten und Kulturen. Und letztendlich hat ein Liebesfilm als Abbild der Realität sogar eine praktische Bedeutung. Geheimagenten, Raumfahrer oder Superhelden werden die wenigsten, aber verlieben wird sich wohl jeder mal.
Die Schwierigkeiten im konzeptionellen Bereich liegen eher woanders, bei Glaubwürdigkeit und Appeal. Die Liebesgeschichte kann noch so gut geschrieben sein, sind die Darsteller der Figuren nicht charmant oder stimmt die Chemie nicht, kann das Drehbuch auch nichts mehr retten. Denn obwohl die Liebe vor allem nonverbal kommuniziert, waren Liebesfilme überaus dialoglastig.
Aus wirtschaftlicher Sicht ist wiederum alles fluffig, Liebesfilme müssen nicht teuer sein, historische Stoffe mal ausgeklammert. Sie sind in Kostümbild, in Ausstattung und Setting und Location überaus günstig, bei einer gleichzeitig riesigen Interessengruppe. Jeder kann sich mit Liebesthemen identifizieren. Diese dramaturgischen und wirtschaftlichen Aspekte sind der Grund für den Erfolg von Liebesfilmen, egal ob Romanze oder Melodram. Doch gleichzeitig zählt das Genre nicht zu den beliebtesten, im Gegenteil. Bei keiner andere Filmgattung gibt es so viele Gehässigkeiten und Begriffe wie Schnulze, Schmonzette oder ranzige Romanze.
Und wer hat Schuld? Das alberne Klischee, Frauen kucken Liebesfilme und Männer PREADTOR? Nein, der Liebesfilm selbst hat sich in diese, wenn auch komfortable, Ecke manövriert. Denn diese vermeintliche Omnipotenz des Liebesfilm existiert nur in der Theorie. Bei keinem anderen Genre gibt es so viele Klischees und Kalauer, so viele Schwierigkeiten und Fehlinterpretationen.
Obgleich wie erwähnt die Bandbreite an Geschichten um das Thema Liebe riesig ist, sind sie doch so gut wie alle gleich gestrickt. Verlieben, verlieren, wiedergewinnen, das ist die Struktur von fast jeder RomCom. Diese Struktur trifft auch auf Filme rund ums Heiraten zu, am Ende steht die glückliche Einheit. Ist das per se schlecht? Nein, bitte nicht falsch verstehen, das Konzept ist super.
Aber Liebesfilme drehen sich schon lange nicht mehr um die Figuren, sondern ausschließlich um die Zufriedenheit des Zuschauers um ihrer Selbst willen. Die Romantische Komödie zum Beispiel hat sich seit 1990 dezent fehlentwickelt. Denn eine Romantische Komödie war in den Jahrzehnten zuvor etwas anderes. Die Komik entstand aus der Banalität der Liebe. In heutigen RomComs entsteht Komik aus Absurditäten.
Wo es früher darum ging, ein Paar beim Verlieben zu beobachten, geht es in neueren RomComs eher darum, ihnen möglichst viele Steine in den Weg zu legen, zueinanderzufinden. Es regiert der Irrglaube, diese Stolpersteine lassen Komik resultieren, aber es ist vielmehr alberner Klamauk. Vielleicht wurde der Begriff falsch verstanden. In Liebesfilmen geht es nicht um die Story an sich, die Story wird von den Figuren geschrieben bzw. vorgegeben, sie folgen ihr nicht. Deshalb braucht es keinen Storyauslöser für die Liebe, die Liebe selbst stößt das Geschehen wie Dominosteine an.
Doch das ist nur ein Teilaspekt. Vielen ist klar, dass eine Romanze oder ein Melodram nicht das wahre Leben widerspiegelt. Doch die Wirkung von Liebesfilmen ist verheerender als andere Genres. Das Klischee ist vom Film in die Realität gehüpft und hat dort Erwartungen ausgelöst, die wiederum neue Filme am Leben erhielten. Romanzen tun nur so, als würden sie Realität wiederspiegeln.
Aus dem Klischee manifestieren sich Lebens- und Verhaltensweisheiten, wie was wie zu sein hat. Die Leute werfen Horrorfilmen vor, die Menschheit zu verrohen, aber in Wahrheit macht der Liebesfilm die Menschen meschugge. Man sagt, der Valentinstag sei eine Erfindung der Wirtschaft, Blödsinn, die Romantische Komödie hat viel mehr Macht.
Natürlich gibt es die wirklich guten Liebesfilme, die ehrlich sein wollen, aber auf jeden solchen einen Film kommen 100 unerträglich unrealistische Schnulzen um Mr. Right und Rosenblätter. Doch wesentlich schlimmer sind die Sachen, die fast unbemerkt dahin genommen werden in Liebesfilmen und daraus ein verquerter Blick auf die Realität resultiert.
Das fängt bei den Berufen an, geht über die schicke Appartementwohung über den Kleidungsstil bis zu den ausgefeiltesten Lebensphilosophien. Frauen haben immer Zweifel, sind immer auf der Suche, es ist alles da, nur eins fehlt, Männer können sich nicht entscheiden oder Verantwortung übernehmen, müssen erst erzogen werden und so weiter. Das alles ist in die Realität rübergeschnappt und wird für bare Münze genommen. Die Erwartungshaltung innerhalb der Wirklichkeit wird beinahe unstillbar, daraus resultiert eine Leere, die dann wieder kitschige Liebesfilme im Kino füllen und immer so weiter.
Tatsächlich Liebe!
Fast alle Romanzen fokussieren die Anfangsphase einer Beziehung, das Verlieben, und machen daraus eine Challenge. Im wahren Leben jedoch ist das Verlieben der einfachste Teil der Sache. Deshalb gibt es auch kaum Fortsetzungen von Liebesfilmen, denn die müssten irgendeinen Zustand wiederherstellen, dass beide sich wieder finden. Es gibt unzählige Filme übers Verlieben, aber kaum Filme über Beziehungen. Und die Filme, die es gibt, vermitteln alles andere als die Realität. Dererlei Figuren existieren in der Wirklichkeit nicht. Alles andere schon, jede noch so verrückte Sache. Deshalb glaubt man dem Liebesfilm erstmal.
Diese Diskrepanz nimmt der Zuschauer natürlich wahr und das ist wohl der Grund, warum viele Liebesfilme zu Hassobjekten werden, von Männern wie Frauen. Wahr ist aber auch, es hat viel mit der eigenen Einstellung zu tun. Kritik an Liebesfilmen ist leicht, wenn man gerade verlassen wird, führen RomComs zu Würgereflexen, ist man verliebt, mag man plötzlich vielleicht Filme mit Jennifer Aniston. Wenn man es schafft, sich vom ganzen Gehabe zu lösen, dann wird man auch feststellen, dass bei Filmen wie ZWEI AN EINEM TAG am Ende etwas fehlt, nämlich das Happy End. Es ist nichts schlimmes daran, wenn zwei sich finden.
Es geht nicht nur um Klischees, um das hässliche Entlein, das zum schönen Schwan wird, um unausgesprochene Dinge trotz viel Gelaber, um ekelhafte Soul- und Swingmusik und die drehende Kamera um die Küssenden. Klischees gibt es auch in anderen Genres. Aber in der Realität hat man selten das Problem, sich mit dem PREDATOR auseinanderzusetzen, aber ratet mal, was los ist, wenn Mann den Valentinstag vergisst?! Dann wird wieder herumgeheult, dass man nicht wie Ashton Kutcher sei oder Rasputin.
Normalitäten sind vielleicht nicht gut für´s Kinogeschäft, mag sein. Deshalb gibt es wohl nur das extrem Kitschige oder das derb Depressive, nix dazwischen. Aber die Ausrede anderer Subgenres zählt nicht, auch die Normalität der Liebe ist ein guter Stofflieferant und auch in einer scheinbar normalen Beziehung steckt viel dramaturgischer Zündstoff für gute Geschichten.
Aber der Liebesfilm rotiert weiter in der Echokammer seiner selbst. Vielleicht muss das auch so sein, vielleicht sind Liebesfilme die extremste Art des Eskapismus. Liebesfilme können sogar noch mehr, sie können anstacheln und in Aktivität herumschlagen, leider erweisen sich derartige Nachahmungsversuche in der Realität als fatal. Und sollte doch Eine wie Keine mal anbeißen, dann Obacht, vielleicht sieht sie in Euch nur das Wunschobjekt ihrer Liebesfilmobsession.
Vielleicht wird aber auch alles gut. Ich selber hab keine Ahnung, ich hab mich mit diesem Thema nur zu Forschungszwecken innerhalb meiner Agentenausbildung befasst. Ich habe auch keinerlei Vorurteile, für mich ist der Liebesfilm und die Realität gleichermaßen grausam und unerträglich. Aber ich mag Sandra Bullock und Anne Hathaway und Ron und Hermine und Buffy und Spike und die Serie Coupling. Liebe im Film ist super. Liebesfilme dagegen sind schwierig. Aber wenn man beides mal unter einen Brautstrauß kriegt, bitte sehr, dann bin ich auch wieder lieb zu Liebesfilmen.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
Lesen Sie in der nächsten Folge:
[…] der Filmkomödie: Slapstick (SAFETY LAST, 1923), die Satire (DER GROßE DIKTATOR, 1940), die romantische Komödie, speziell die Screball Komödie (DIE NACHT VOR DER HOCHZEIT, 1940), der Buddy Movie (TANGO […]