Die kleine Genrefibel Teil 77: Graphic Novel
Alles Marvel, oder was? Nach 23 Filmen des Marvel Cinematic Universe und dessen Höhepunkt mit AVENGERS: ENDGAME in diesem Jahr treten die Superhelden der Megafranchise in eine neue Phase ein. Götterdämmerung der Superheroes, doch trotz Milliarden Dollar Einspielergebnis und globaler Hysterie scheinen auch die Ultrafans allmählich gesättigt zu sein. Die können immerhin noch zwischen Marvel und DC Figuren unterscheiden, für den Ottotnormalkinozuschauer fällt das Urteil weniger differenziert aus: “Nicht noch eine Comicverfilmung!” Weil Superhelden in Comicverfilmungen omnipräsent sind, neigt man nicht selten dazu, diese beiden Begriffe synonym zu betrachten. Doch wie immer in der Kleinen Genrefibel ist das nicht die ganze Wahrheit.
Das Medium Comic hatte natürlich mit ähnlichen Anfeindungen zu kämpfen. Für viele waren die bunten Bilderbücher die unterste Schublade aller Literaturgattungen, nicht wenige sprachen ihnen generell eine Zugehörigkeit zur Literatur ab. Über Jahrzehnte lieferten Marvel, DC & Co. ihren Kunden das, wonach sie scheinbar begehrten, kurzweilige Comicaction in endloser Wiederholung. Die Verachtung der Hochkulturisten änderte nichts am Erfolg des Mediums, die Fans wiederum begnügten sich mit der ständigen Wiederkehr ihrer Lieblingsfiguren. Aber es gab auch Leidtragende – die Schöpfer jener Superhelden, Autoren wie Zeichner, die sich vom ewigen Comickreislauf eingeengt fühlten und auch in ihrem Medium die erzählerische Grenzerweiterung suchten.
Blasenfutter für Analphabeten?
Wir wollen uns heute mit den Synergien zwischen Comics und deren Verfilmungen beschäftigen und Künstler ehren, die durch ihre Imaginationsgabe beide Medien verändert haben. Denn zwischen Comics und Filmen herrscht reges Ping Pong, als visuell erzählte Medien haben sie sich immens gegenseitig beeinflusst. Besonders deutlich wird das, wenn man sich eine Sonderform des Comics anschaut, welche seit den 80er Jahren die Grenzen des Mediums zu sprengen versucht hat – die Graphic Novel. Denn in Wahrheit war es die Graphic Novel, welche die Comicverfilmung erzählerisch wie stiltisch in jene Bahn gelenkt hat, in der sie sich heute befindet. Was also verbirgt sich hinter dem Begriff Graphic Novel, welcher ganz und gar nicht eindeutig erscheint?
Graphic Novel heißt schlicht illustrierter Roman. Demzufolge ist jede Graphic Novel im eigentlichen Sinne ein Comic. Aber nicht jeder Comic ist eine Graphic Novel. Anfangs nutzten die Autoren und Zeichner diesen Begriff, um ihr Medium zu emanzipieren und auf eine neue Stufe zu heben. Während die Verlage an der Erfolgsformel ihrer Produkte festhielt, also kurzweilige Unterhaltung für eine sehr junge Leserschaft, suchten Autoren und Zeichner neue Ausdrucksformen und auch eine neue Zielgruppe. Letzteres veranlasste die Verlage dazu, diese Veränderung mitzutragen, denn an neuen Zielgruppen war nichts auszusetzen. Der Comic hatte schon immer den Ruf, Kinderkram zu sein. Wie aber brachte man erwachsene Leser zum Kauf eines Comichefts?
1978 erschien eine Sammlung von Kurzgeschichten des Comiczeichners Will Eisner namens “Ein Vertrag mit Gott” und Eisner selbst bezeichnete dies als Graphic Novel, der Begriff ward geboren. Die Verlage nutzten ihn seither als Marketingvehikel für neue Zielgruppen. Aber auch formell und inhaltlich unterschied sich die Graphic Novel vom gewöhnlichen Comicheft. Während Comics auf eine serielle Erscheinungsweise ausgelegt waren, handelte es sich bei einer Graphic Novel um eine in sich abgeschlossene Geschichte, welche allerdings auch mehrere Bände umfassen kann. Für die Künstler aber waren inhaltliche Aspekte wichtiger als wirtschaftliche. Sie wollten erwachsenere Geschichten mit ernsteren Themen erzählen wie Ängste, Gewalt, Philosophie und Politik.
Neben den Themen wollten Autoren auch eine Aufsprengung der Narrative. Hier kommt nun der Film ins Spiel, denn dieser hatte großen Einfluss auf das Storytelling in Comics. Filmen und Comics liegt dieselbe Erzählform zugrunde, das Erzählen mit Bildern. So gelten beispielweise Höhlenmalereien als Urform visuellen Erzählens in Comics. Der Film fand einen Weg, Bilder in Bewegung zu bringen und dadurch Geschichten zum Leben zu erwecken. Dazu bedurfte es zuerst keinen Ton oder Dialog. Die filmische Erzählung wurde von Einstellungsgrößen bestimmt, weite Totalen und nahe Details, sowie von visuellen Abfolgen, Szenenwechseln und Schnitten. Derselben Werkezuge bediente sich auch der Comic, er ahmte in gewisser Weise das filmische Erzählen nach.
Beispiele dafür sind die ersten Strips aus dem Hause DC Comics, insbesondere Batman, welcher 1939 die Comicbühne betrat und dessen Visualität und Tonalität stark vom Film Noir der 40er Jahre geprägt war. Wie der Film an sich verdichtete und stilisierte der Comic. Aber über die Jahrzehnte veränderte sich das Aussehen des Films, es war sowohl technisch als auch dramaturgisch bedingt. Jene Graphic Novel Künstler wie Will Eisner, Frank Miller oder Alan Moore wurden in ihren Arbeiten sehr stark vom Film beeinflusst, dass sie diese visuelle Dramaturgie in ihre Werke einarbeiteten. Sie haben sich also die visuellen Werkzeuge des Films für ihre Erzählstile geliehen. Der Unterschied zum Film aber war, dass sie ihm thematisch und tonal weit voraus waren. In den Graphic Novels der 80er Jahre wurden thematische Eisen angefasst, an die sich der Film noch längst nicht traute.
1986 erschien im Kino die Marvel Comicverfilmung HOWARD THE DUCK und wurde mit Schmähungen überhäuft. Im selben Jahr erschien Frank Millers “The Dark Knight Returns” und legte den Grundstein für das Gesicht der Superheldencomicverfilmungen bis heute. Als der Verkauf von Comics im Jahr 1984 stark zurückging, suchte man eine stilistische Veränderung für eine neue Zielgruppe und wählte mit Millers Vision eine erwachsenere, düstere Variante des DC-Aushängeschilds Batman. Die Graphic Novel beeinflusste dann auch Tim Burtons BATMAN aus dem Jahr 1989, der im Gegensatz zur BATMAN Fernsehserie aus dem 60er Jahren aus einem anderen Universum zu stammen schien. Dieser “ernsthafte” Grundton von Comicsuperhelden im Kino hält bis heute an.
Denn im Grunde sind alle Superhelden ab BATMAN nur inhaltlich von den Comicursprüngen geprägt, stilistisch hingegen von den Graphic Novels, beginnend mit Millers “The Dark Knight Returns”. Trotzdem meint man, erst seit Nolans Interpretation des Batman Mythos’ sei der Superheldenfilm erwachsen geworden, ein Trugschluss. Das wahre Gesicht moderner Comicverfilmungen basiert auf Graphic Novels. Dennoch reichte diese Stilisierung nicht, um eine vergleichbare Wirkung zu erzeugen wie die Graphic Novel, denn diese schaffte es, den Comicrahmen tatsächlich zu sprengen und neue Wege innerhalb des Mediums zu bestreiten. Das war dem Film nicht vergönnt, was nicht unbedingt als Kritik zu verstehen ist, aber dafür war sein Rahmen zu eng.
Doch in Teilen war die Befruchtung der Materie durch die neuen Herangehensweisen der Comicautoren und Zeichner für den Film ein Glücksfall, sie veränderte Tonalität, Stilistik und die popkulturelle Betrachtung. Leider war Film immer noch Film und hatte sich an strengere Regeln zu halten. Mit der Graphic Novel ist der Comic erwachsen geworden und schaffte es, die Grenzen des Mediums zu erweitern. Der Film hat dies auch versucht, das MCU, obgleich eine Adaption “normaler” Comics, versuchte es über Komplexität, so auch neue Serien basierend auf Comics oder Graphic Novels. Aber diesen Impact erreichten sie nie. Vielleicht lag es auch daran, dass alle berühmten Graphic Novels Werke starköpfiger Autoren waren, die gegen jede Beeinflussung kämpften.
“Das Werk hat die Kraft eines guten Romans in Bildern”
Der US-amerikanische Comiczeichner Will Eisner trägt heute Titel wie “Godfather der Graphic Novel” oder gar “Orson Welles der Comicszene”, ist hierzulande aber nicht so bekannt wie Stan Lee (Spider-Man) oder Bob Kane (Batman). Bevor Eisner den Begriff Graphic Novel 1978 für sein Werk “Ein Vertrag mit Gott” erdachte, war er bereits eine Comiclegende, der das Medium verändert hatte. Stark beeinflusst vom Film Noir der 40er Jahre und von den ersten Batman Comics schuf er 1949 mit “The Spirit” seinen eigenen Superhelden, der sich weniger inhaltlich als formell von anderen Comicveröffentlichungen unterschied. “The Spirit” war zwar wie Batman ein maskierter Detektiv und Verbrechensbekämpfer, aber er hatte auch Selbstzweifel und Ironie.
Formell jedoch war die Comicreihe “The Spirit” weit weg vom Comicmainstream jener Zeit. Eisner veröffentlichte sein Werk nicht bei einem der großen Verlage, sondern als Beilage in Sonntagsausgaben amerikanischer Zeitungen. In dieser Unabhängigkeit von den Comicverlagen konnte er neue Akzente im Storytelling setzen, die wie die Visualität stark vom Film beeinflusst waren. Er übernahm Kameraeinstellungen, Blickwinkel und Schnittfolgen aus dem Film, war aber an keine technische Limitierung gebunden, was wiederum den Film anstachelte, neue visuelle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Inhaltlich dagegen war er dem Film weit voraus, es gab weniger eine strikte Trennung zwischen Gut und Böse, statt Superheldeneinerlei thematisierte er auch das normale Alltagsleben der Menschen und richtete sich somit nicht nur an Kinder, sondern an ein erwachsenes Publikum.
“The Spirit” erschien von 1940 bis 1952 und wurde sowohl für das Fernsehen als auch für das Kino adaptiert. Bereits in den 70er Jahren arbeitete William Friedkin (FRENCH CONNECTION, DER EXORZIST) an einer Verfilmung, in den 80ern werkelte Brad Bird (DIE UNGLAUBLICHEN) an einem Animationsfilm. 1987 wurde die Comicreihe dann unter THE SPIRIT für das Fernsehen verfilmt. Auch die Produzenten Michael Uslan und Benjamin Melniker, welche 1989 BATMAN mit gigantischem Erfolg in die Kinos brachten, waren Anfang der 90er Jahre an einer Adaption interessiert, doch dauerte es noch bis zum Jahr 2008, bis diese Realität wurde.
Als Will Eisner den Begriff Graphic Novel etablierte und ein Jahrzehnt später andere Künstler diesen Weg bestritten, brachte das die Verfilmung von THE SPIRIT in eine komfortable, aber auch schwierige Lage. Der Erfolg von BATMAN im Jahr 1989 schien dem Projekt Tür und Tor zu öffnen. Aber Eisner wollte größere Kontrolle und Einfluss, nachdem er sich jahrelang hatte freikämpfen müssen im Comicsektor, wo er nach “The Spirit” hauptsächlich Comicgebrauchsanweisungen für das Militär kreierte. Mit der Graphic Novel “Ein Vertrag mit Gott” hatte er ein Ansehen erreicht, welches ihm half, für das Filmprojekt auf einen geeigneten Kandidaten zu warten. Und Eisner fand diesen in einer anderen Graphic Novel Legende – Frank Miller.
Als Eisner und Miller 2008 gemeinsam THE SPIRIT auf die Leinwand brachten, war das vor allem für Frank Miller der Höhepunkt seines Filmschaffens. Als Comicautor war er längst eine Legende, aber Frank Miller war wie Eisner derart vom Film beeinflusst, dass er nach seinen großen Erfolgen in den 80er Jahren ins Filmgeschäft überwechselte. Das verlief am Anfang nicht sonderlich glücklich, Miller verfasste die Drehbücher zu ROBOCOP 2 und 3, welche aber massiv umgearbeitet wurden und Miller den Filmjob schon wieder an den Nagel hängen wollte. Das lag auch daran, dass die frühen 90er Jahre, trotz BATMAN 1989, noch nicht bereit waren für die Tiefe der damaligen Graphic Novels.
Millers Batman
Zu jener Zeit aber hatte Frank Miller, geboren 1957, den Comic und auch den Film mit seinen Graphic Novels bereits grundlegend verändert. 1986 erschien “The Dark Knight Returns” und gab der Batman Franchise einen fulminanten Neustart. Dieser ging mit einer ganz großen stilistischen wie tonalen Veränderung einher. Die vierteilige Miniserie führte einen gealterten Batman mit Selbstzweifeln, Wut, Zynismus und Schwermut ein, etwas, was völlig konträr zum bisherigen Comicsuperheldenbild stand. Sein graphischer Stil war von extremen Kontrasten geprägt, die den Film Noir der 40er Jahre spiegelten, die Bilddramaturgie aber vom aktuellen Film inspiriert. All das wurde stilprägend für die kommenden Comicjahrzehnte und vor allem ihrer Filmadaptionen.
Millers “The Dark Knight Returns” beeinflusste vor allem Tim Burtons BATMAN, welcher als erste ernsthafte Comicverfilmung zum erfolgreichsten US-Film des Jahres 1989 wurde. Auch wenn Tim Burton noch nicht die volle kreative Kontrolle über BATMAN hatte, die Einflüsse sind unübersehbar. Doch eben nicht nur Filmemacher wurden von Millers Opus beeinflusst, sondern auch andere Comickünstler wie Alan Moore (“The Killing Joke”) oder Grant Morrison (“Arkham Asylum”).
Wie stilprägend “The Dark Knight Returns” und auch “Batman: Year One” aus dem Jahr 1987 waren, zeigen sämtliche BATMAN Verfilmungen seit 1989. Selbst in den eher poppigen BATMAN FOREVER und BATMAN & ROBIN finden sich Anleihen. Dramaturgisch übernahm dann Christopher Nolan Aspekte wie Zeitsprünge und Rückblenden, also Elemente, die Miller zuvor aus Filmen adaptierte. Vom Comic zum Film zur Graphic Novel und wieder zurück, so schaukelten sich beide Medien über die Jahre gegenseitig in neue Höhen.
Die Einflüsse der Batman Graphic Novels auf die Filme sind zudem bedeutender als die reinen Verfilmungen der Comic-Miniserien, die 2011 und 2012 mit BATMAN: YEAR ONE und THE DARK KNIGHT RETURNS aus dem Hause DC Universe Animated Originals Movies erschienen. Wohl auch, weil im direkten Vergleich die Adaptionen nicht mit der Wucht der Vorlagen mithalten konnten. Was für Graphic Novels neu und radikal war, verschwamm in der filmischen Adaption, denn deren Werkzeuge waren dem Zuschauer weit geläufiger. So kam die Idee auf, eine Graphic Novel Adaption mit noch stärkeren Stilmitteln des Comics zu erschaffen.
Jene bescherten Frank Miller auch endlich seinen lang ersehnten Erfolg im Filmbereich, nach dem anfänglichen ROBOCOP Debakel schien die Zeit nun reif für die Bissigkeit seiner Werke. Obgleich er anfänglich keine Rechte an seinen Büchern mehr veräußern wollte, überredete ihn Filmemacher Roberto Rodriguez in den frühen 2000er Jahren, seine 13-teilige Graphic Novel Reihe “Sin City” aus den Jahren 1991 bis 1992 zu verfilmen. Frank Miller schrieb das Drehbuch und führte Co-Regie. 2005 erschien dann SIN CITY auf der Leinwand und führte beide Medien, Comic und Film, noch näher zusammen.
Style & Overkill
Rodriguez und Miller gingen noch kompromissloser vor, SIN CITY ist wie die Vorlage bis auf wenige Elemente in Schwarz-Weiß gehalten, Filmszenen wurden komplett und originalgetreu der Graphic Novel entnommen und haben durch verschiedene Schnitttechniken die Wirkung von Einzelbildern, so wie sie im Comic vorkommen. Voice Over ersetzen Gedankenblasen, die Sets sind artifiziell, die Kontraste hart, jede Einstellung wirkt wie ein Comicpanel, SIN CITY ist wahrlich der zu Film gewordene Comic.
SIN CITY war weniger eine Adaption, sondern die Überetzung des Comics mit filmischen Mitteln. Kein Werk hat das so stringent verfolgt wie SIN CITY. Doch gerade bei diesem positiven Beispiel sieht man auch den Widerspruch eines solchen Unterfangens. Die Weiterentwicklung des Comics zur Graphic Novel, beziehungsweise die Erweiterung des gesamten Comichorizontes, dessen Ergebnis die Graphic Novel war, funktionierte so für den Film nicht. Die erzählerische Weitung der Materie erfährt der Film durch die Adaption, wenn etwas für das Medium angepasst wird. Aber so etwas fand in SIN CITY oder auch 300 nicht statt.
Auch 300, nach Millers Graphic Novels aus den Jahren 1998 und 1999, verfilmt von Zack Snyder im Jahr 2006, ist eher eine Abfilmung des Comics statt einer Adaption. SIN CITY und 300 werden der Comicvorlage gerecht, aber weniger dem Medium Film. Andere Aspekte standen im Vordergrund, die exakte Farbpalette der Vorlage, die Bildkomposition. Aber immer dann, wo Film Film sein musste und nicht Comic sein konnte, geriet das Gefilmte in Konservativität. Waren nun alle Comicverfilmungen von bildkompositorischen Bombast, hob sich kaum ein Werk mehr dagegen ab, nicht in dem Maße, wie es Graphic Novels zu normalen Comics vermochten. Neben der visuellen und thematischen Erneuerung fehlte den Filmen oft ein eigener Sprachkanal.
So sind werksgetreue Comicverfilmungen zwar beliebt bei der Fangemeinde, aber keineswegs bei allen Filmfreaks. Eine Graphic Novel so detailgetreu in einen Film zu übersetzen, lässt viele andere Möglichkeiten nicht zu. So sind Adaptionen von Graphic Novel Elementen wie in Nolans THE DARK KNIGHT Trilogie, die sich nur dezent aus diversen Vorlagen bedient, eigentlich interessanter als die gedankliche Herangehensweie von Filmen wie SIN CITY und 300. Diese meine These wird auch dadurch untermauert, wenn man sich die Fortsetzungen SIN CITY: A DAME TO KILL FOR und 300: RISE OF AN EMPIRE anschaut. Nachdem der Wow-Effekt der Machart verflogen ist, wirken beide Filme plötzlich überaus konventionell.
Für Graphic Novel Künstler wie Frank Miller kamen Interpretationen ihrer Werke oft nicht in Frage, so sie sie nicht selbst gestalten durften. Ein bisschen schade ist das schon, denn sie selbst kämpften um Unabhängigkeit in der Art, wie sie Geschichten erzählen wollten. Die gleiche Befähigung eines Filmemachers, etwas Neues zu erschaffen, in welcher Form der Adaption auch immer, wurde stets angezweifelt. Für Miller stand nach der Verfilmung von 300, trotz ihrer Stiltreue, fest, er werde in Zukunft seine Werke nur noch selbst adaptieren und verfilmen. Als er 2008 auf dem Höhepunkt seines Schaffens Eisners THE SPIRIT verfilmte, musste er wohl anerkennen, dass er an selbige Grenzen stieß wie andere Filmemacher vor ihm mit seinen Comics.
“I love the smell of paper in the morning…”
Noch wesentlich unumgänglicher in Sachen Adaption seiner Werke verfuhr Graphic Novel Star Alan Moore, der in seiner Kritik nur teilweise zu unterstützen ist. Von Alan Moore, welcher in den 80er Jahren das Zeichnen aufgab und sich auf das reine Schreiben von Comics konzentrierte, stammen die wegweisenden Werke “From Hell”, “Hellblazer”, “V For Vendetta”, The League of Extraordinary Gentlemen” und natürlich Moores Magnus Opus “Watchmen” – alle wurden unter diesen Titeln verfilmt, bis auf “Hellblazer”, der 2005 als CONSTANTINE in die Kinos kam.
Ein Frühwerk Alan Moores war ebenfalls eine Adaption der Legende Batman, mit “The Killing Joke” schuf er 1988 eine gefeierte Graphic Novel mit Zeichnungen von Brian Bolland, welche 2016 auch als DC Universe Animated Originals Movie verfilmt wurde.
Ebenso wie “The Dark Knight Returns” von Frank Miller inspirierte “The Killing Joke” Filmemacher wie Tim Burton zu BATMAN (Jokers Verwandlung in Säure) sowie Christopher Nolan und Heath Ledger zur Darstellung des Jokers in THE DARK KNIGHT. Das besondere an “The Killing Joke” war die extreme Psychologisierung der Figuren, ein Element aller Werke von Alan Moore, seien es die Figuren John Constantine, Frederick Abberline aus “From Hell” und vor allem V und Evey Hammond aus “V For Vendetta”.
2001 nahmen sich die Hughes Brothers der Adaption FROM HELL an, mit Johnny Depp und Heather Graham in den Hauptrollen, welche eine mögliche Version der Morde von Jack the Ripper im London des Jahres 1888 erzählt. Im Gegensatz zur Graphic Novel ist FROM HELL kein Whodunit und wird nur aus der Perspektive der Hauptfigur Abberline erzählt, darüber hinaus ist der Film ein brillantes Werk über die Abgründe der menschlichen Psyche. Stilistisch will FROM HELL ohnehin nicht mit der Schwarz-Weiß gezeichneten Vorlage konkurrieren. Doch für Alan Moore war FROM HELL der Beginn einer langen Reihe von Enttäuschungen.
2003 verfilmte Stephen Norrington (BLADE) Alan Moores THE LEAGUE OF EXTRAORDINARY GENTLEMEN mit Sean Connery in seiner letzten Hauptrolle, zu jener Zeit war die Graphic Novel Vorlage keine 4 Jahre alt. Hier wagte die Produktionsfirma eine stark abweichende Adaption des ersten von sechs Bänden, erfand eine neue Hauptfigur und schrumpfte die komplexe Handlung extrem ein. Herausgekommen ist dabei zumindest ein seltener, visuell ansprechender Fantasyfilm mit seltenen Steampunk Anleihen, doch der Groll von Alan Moore über die Abweichungen war so groß, dass er sich ab da von allen Verfilmungen distanzierte und die Verwendung seines Namens untersagte. Seine Kritiken trafen auch alle folgenden Adaptionen, zum Teil zu Recht, zum Teil nicht.
CONSTANTINE und V FOR VENDETTA fielen in die Zeit der großen Graphic Novel Verfilmungen von SIN CITY und 300 und schafften es im Gegensatz zu ihnen zu einer eigenen Bildsprache, die keine Comicblaupause sein wollte. Inhaltlich dagegen waren beide Filme aber längst nicht so bissig und zynisch wie die Vorlagen, Alan Moore wetterte also zum Teil berechtigt. Doch es kam der Verdacht auf, dass man es den Graphic Novel Künstlern in keiner Weise Recht machen konnte, immerhin waren auch sie Visualisten und ihre Bildsprache auch dem Film entliehen. Das Ganze steigerte sich 2009 zum Höhepunkt, als WATCHMEN von 300 Regisseur Zack Snyder verfilmt wurde, dem ebenso wie Miller und Rodriguez die totale (Anti)Comicverfilmung vorschwebte.
Keine Kompromisse
“Watchmen” wurde im goldenen Graphic Novel Jahr 1986 veröffentlicht und war neben “The Dark Knight Returns” stilprägend für das sogenannte “Dark Age Of Comic Books”. Alan Moore (Text) und Dave Gibbons (Zeichnungen) gingen aber noch ein Stück weiter als Frank Miller, der die heroische Figur Batman nur teilweise psychologisch brach. In “Watchmen” geht es um die wirklich dunklen Seiten von Comicsuperhelden, allesamt gebrochen, zynisch und an ihrem Wirken und Sein hadernd.
“Watchmen” war das komplette Gegenstück zu all den Superheldenteams zuvor, die Graphic Novel war hochkomplex und extrem stilisiert. Alan Moore hielt sein Werk für nicht verfilmbar, wohl auch, weil er ihn so kreierte. “Watchmen” sollte in seiner Stilistik nicht als Film oder Roman reproduzierbar sein, er wollte den Comic auf eine neue Stufe bringen. Nichts desto Trotz versuchten sich einige Filmemacher an dem Stoff, Terry Gilliam, Darren Aronofsky, Paul Greengras, alle scheiterten mit den Studios oder an Moore. Bis es dank SIN CITY und 300 zu einer Sichtweisenänderung von Comicadaptionen kam. Zack Synder wurde beauftragt, Moores Werk so originalgetreu wie möglich zu verfilmen, schon allein deshalb hatte die Produktion von Anfang an keinen Segen des Autors.
Aber Zeichner Dave Gibbons war mit im Team und Snyder schaffte es zumindest zu einem Ergebnis, die monumentale Verfilmung WATCHMEN, die 2009 in die Kinos kam und, naja, floppte. Woran lag es? Zum einen war auch die emanzipierte Comicfilmwelt 2009 noch nicht wirklich reif für Moores Werk und seiner Doppelbödigkeit. Zum anderen sieht man an WATCHMEN die Teilung zwischen exakter Adaption der Vorlage und einer filmeigenen Erzählweise. Besonders bei WATCHMEN fällt auf, dass die originalgetreue Adaption filmisch alles andere als spannend ist. WATCHMEN wird kurioserweise immer dann spannend, wenn er konventionell erzählt, zum Beispiel in Szenen um Rorschach, er als Erzähler fungiert, dem Crimeplot. Andere Szenen, die visuell eins zu eins der Graphic Novel entnommen wurden, wirken spöde. Action ist in WATCHMEN ohnehin kaum vorhanden.
Letztlich mag ich WATCHMEN aber doch, wegen seiner Welt und seinen Figuren, doch immer mehr, wenn er versucht, eigene filmische Wege zu gehen, wenn auch nur konventionelle. So drängt sich eine große Frage auf, wo liegen die Missverständnisse im Bereich Comicadaption, Graphic Novel und Film? Für Künstler wie Moore und Miller mögen sie nicht werksgetreu sein, es gar nicht sein können, weil sie doch eher Experimente am Medium Comic sind. Aber sie sind so vom Film geprägt, dass sie ihre Herkunft nicht verleugnen können und erst Recht nicht ihre filmische Weiterentwicklung.
Seit der Serienrevolution in (Pay)TV scheint jenes Format für Graphic Novel Adaptionen wegen ihrer Mehrteiligkeit noch besser geeignet zu sein. Aber Serien wollen Erfolg und Erfolg bedeutet Staffelfortsetzungen, was wiederum die Dramaturgie und die Radikalität beeinflusst.
Eine 10teilige, abgeschlossene Miniserie ist möglicherweise das beste Format für eine Graphic Novel Adaption, aber selten hat ein Produzent den festen Willen, etwas wirklich Abgeschlossenes zu produzieren. Für die kommende TV-Adaption von “Watchmen” auf HBO stellt sich zudem eine andere Frage – sie kann nicht noch einmal eine exakte Kopie der Graphic Novel werden, das war WATCHMEN bereits. Vielleicht gelingt es aber in der Adaption, die Radikalität der Vorlage filmisch zu spiegeln.
Superhelden, Comics, Comicverfilmungen und Graphic Novels – in diesem Komplex mehren sich Vorurteile und Falschannahmen. Denn bei Comicverfilmungen denkt ein Groß in erster Linie an Superhelden. Die großen Werke, von “The Spirit” über “The Dark Knight Returns” bis zu “Watchmen” sind das auch, wenngleich die den Superhelden demontieren. Aber es gibt auch einige bemerkenswerte Graphic Novels und vor allem deren Verfilmungen, die so gar nicht ins Comic- oder Superheldenkorsett passen.
AutobioGraphic Novels
Neben Fantasy, Science-Fiction, Actionthrillern und Horror, welche ein Groß der Graphic Novels ausmachen, hat sich noch ein weiterer Zweig der bebilderten Romane gebildet – Coming of Age Geschichten, Young Adult Stories und Autobiographic Novels. Dass es so etwas auf dem eigentlich knallhart kalkulierten Comicmarkt gibt, ist ebenso ein Verdienst der großen Graphic Novel Künstler wie Will Eisner, Frank Miller oder Alan Moore, die in ihrem Medium um erzählerische Freiheit kämpften.
Denn oft ging es lediglich darum, eine Geschichte mit dem Medium überhaupt erzählen zu können. Während die großen Häuser selten Risiken eingingen, gaben kleine Verlage jungen passionierten Künstlern, die wirklich etwas zu erzählen hatten, eine Chance. Da die Graphic Novel stark auf den Künstler und seine Philosophie fokussiert ist, kam es zu einigen bemerkenswerten autobiographischen Graphic Novels, die auch verfilmt wurden.
In die goldenen Jahren der Graphic Novel Verfilmungen fiel 2007 auch der französische Zeichentrickfilm PERSEPOLIS nach dem vierteiligen Comic von Marjane Satrapi, die auch das Drehbuch schrieb und Regie führte. PERSEPOLIS erzählt aus dem Leben der anfangs achtjährigen Marjane, welche während der Herrschaft des Schah Mohammed Reza Pahlavis in Therean aufwächst. PERSEPOLIS vereint alle Elemente der modernen Graphic Novel, erwachsene, ernste Themen wie Krieg, Religion und Politik, gespiegelt durch eine sehr persönliche Erfahrung der Autorin und Zeichnerin in Form einer wundervollen Bildergeschichte, die als Film ebenso funktioniert wie im Medium Comic.
Die Probleme des Erwachsenenwerdens, Liebe, Schmerz, Verunsicherungen, Depressionen, kaum jemand vermutet, diese Dinge in eine Comicheft wiederzufinden, aber die Graphic Novel bot jungen Künstlern genau diese Möglichkeit. Manchmal, wie im Fall PERSEPOLIS, wird das dann auch zum Sprungbrett für den Film. So verfilmte auch Comic- und Drehbuchautor Daniel Clowes zusammen mit Regisseur Terry Zwigoff seine preisgekrönten Graphic Novels als GHOST WORLD und ART SCHOOL CONFIDENTIAL.
Manchmal ist man regelrecht überrascht, welcher Film tatsächlich auf einer Comicvorlage basiert. Dazu zählen auch BLAU IST EINE WARME FARBE oder David Cronenbergs A HISTORY OF VIOLENCE. Alan Moore mag Techniken entwickelt haben, die seiner Meinung nach unmöglich in einen Film zu übersetzen sind, aber der Comic und der Film haben sich von Anfang an gegenseitig angestachelt und beiderlei Künstlerwesen, den Comicautor und Zeichner wie den Filmemacher, herausgefordert. Die Graphic Novel hat zudem die Tür des Mediums für ernsthafte, erwachsene, sehr persönliche Geschichten geöffnet und dadurch beide Medien bereichert.
Denn die Graphic Novel trägt die Essenz filmischen Erzählens in sich und deren Verfilmungen wiederum haben versucht, deren Essenz auch stilistisch einzufangen. In Wahrheit ist die Graphic Novel freier als der Film, ihr stehen alle Handwerkszeuge aus beiden Medien bedingungslos zur Verfügung. Der Film braucht den Comic oder die Graphic Novel weitaus mehr als umgekehrt. Spannend zu beobachten, wie sich beide Medien in Zukunft weiter verändern und befruchten werden.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
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