Der Traumfalter Jahresrückblick 2017

Es ist nun kurz vor Silvester und trotzdem arbeiten wir weiter und weiter. “Wir”, das sind bzw. ist in diesem Fall nur ich. Das königliche Wir. Aber so ein “wir” im Text ist ein klasse Schutzschild und man kann hinterher immer alles abstreiten und sagen, der “andere” hätte das geschrieben. Aber wenn ich schreibe “wir” arbeiten weiter und weiter, dann könnte das auch heißen, das Jahr und ich. Beide sind wir wahre Arbeitstierchen. Das Jahr ist sogar noch produktiver, es rackert sich ab bis zum 31.12. und anstatt dann mal ein Jahr Urlaub zu machen, fängt es am 01.01. gleich wieder an mit malochen. Ich mag das Jahr, seiner Produktivität und auch seiner Ignoranz wegen, es macht einfach immer weiter. So wie ich auch. Auch wenn´s stinkt. Weil ich das Jahr so mag, widme ich ihm am Ende seiner selbst einen Rückblick und rekapituliere die vergangenen zwölf Monate. Natürlich alles aus filmischer Sicht, aber nicht ausschließlich, denn Film, Gesellschaft und Politik, manchmal ist das alles nah beieinander.

 

2017 – Das Jahr, in dem der Film stillstand

 

Wir schreiben das Jahr 2017. Ein verrücktes Jahr. Trotz aller Befürchtungen hat Donald Trump die Welt noch nicht kaputt getwittert. Wir hier in Deutschland haben einen regelrechten Bundestagswahlthriller hinter uns, es gab gesellschaftliche Staudammbrüche mit der “Ehe für Alle”, einen knüppelharten G-20 Gipfel in Hamburg, Helmut Kohl verstarb und die Nazis zogen wieder in den Bundestag ein. Was für ein Jahr. Es heißt, die Gesellschaft sei gespalten. Aber was heißt das wirklich?

 

Das heißt wohl, die Gesellschaft hat Ängste, Unsicherheiten und Zweifel. Das ist nachvollziehbar in einer so bewegten Zeit. Nur manchmal finden sich für diese Gefühle zwiespältige Ventile in Form von Hass, Neid, Ablehnung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Schlimme Sachen. Aber da ist auch noch ein anderes Ventil gegen den Unbill der Welt – die Flucht in die Fantasie. Denn im Grunde sind alle Menschen Flüchtlinge und suchen Asyl in der Fiktion. Die Fiktion als ein Land, in dem alle gleich sind, es keinerlei Zwist oder Hass gibt, ein schöner Gedanke fürwahr, aber leider stimmt das nicht so ganz.

 

Denn auch in der Fiktion herrschen Ablehnung, Fremdenfeindlichkeit und Ignoranz. Filme und Serien, Remakes und Fortsetzungen, überall entladen sich die Gemüter und fördern Zwietracht zu Tage. Neues wird skeptisch beäugt oder gar abgelehnt, Bekanntes und Geprägtes geradezu angebetet. In der Politik wird der Stillstand verdammt, in der Fiktion wird er geradezu gefeiert. Das Filmjahr 2017 wird als das Jahr der Retrospektive und der Rückbesinnung in die Geschichtsbücher eingehen und es steht fast gänzlich unter dem Diktat der unverhohlenen Forderungen, wie dieses oder jenes nun mal eben zu sein hat.

 

Filmfans haben Wünsche und Sehnsüchte und das ist großartig. Die Filmhersteller bedienen diese Wünsche, auch das ist im Grunde fantastisch, aber im Jahr 2017 ist dieses Gleichgewicht in Schieflage geraten wie ein Teich voller Entengrütze. Denn wenn man dem Fan nur das geben braucht, was er kennt und anbetet, kann man sich die Anstrengungen sparen, etwas Neues zu erschaffen.

 

 

In der Echokammer reinen Fanservices gefangen: STRANGER THINGS 2, STAR WARS: THE LAST JEDI, ALIEN COVENANT

 

 

Manch Filmfanatiker geht sogar soweit, Unliebsames im besten Falle komplett auszumerzen. Da ertönt ein erleichtertes Aufatmen unter den Fans, wenn James Cameron ankündigt, für einen weiteren Teil von TERMINATOR alles nach Teil 2 zu ignorieren. Super, finden die Fans, denn alles, was nicht so ist, wie man es gern hätte, muss ausradiert werden. Stattdessen wünscht sich der Fan lieber heimelige Erinnerungen an die Vergangenheit zurück und bekommt das auch mit STRANGER THINGS Staffel 2 serviert.

 

Alles muss schön Retro sein, dafür stehen neue Geschichten nur im Wege oder sind sogar hinderlich, wer braucht Story oder nachvollziehbare Figuren, hey, die Kids haben GHOSTBUSTERS Anzüge an, wie geil is das denn?! Die Leute wollen einen neuen STAR WARS Film? Nein, sie wollen wiedererkennbare Bilder aus den alten STAR WARS Filmen, der Rest ist egal, Hauptsache man fühlt sich an die alten Zeiten erinnert. Ein Ridley Scott hat eine Vision von einem epischen Science-Fiction Film? Aber die Leute wollen nur das ALIEN mit den Zähnen klappern sehen, also weg mit so unnützen Ballast wie Story oder Subtext.

 

2017 war das Jahr der Retrospektive, das Jahr der Rückkehrer und das Jahr des Fanservices. Aber eben auch das Jahr des Beinahestillstands. Auch bin bin Fan und auch ich liebe die Rückkehr von vertrauten Dingen in der Fiktion, aber nicht zum Preis des inhaltlichen und erzählerischen Stillstandes. In diesem Jahr haben mich vor allem Filme und Serien begeistert, die sich diesem Diktat entgegen gestellt haben, die etwas Neues versucht haben oder im Vertrauten neue Aspekte und Ausdrücke gesucht und gefunden haben. Doch sind die in der Minderheit.

 

Wenn es so weiter geht, dann wird die wundervolle Fluchtwelt der Fiktion irgendwann eine reine Echokammer, in der jeder nur das bekommt, was er will, ungeliebtes ausradiert und Neues zugunsten Vertrautem vermieden wird. Keine schönen Aussichten. Doch genug der langen Vorrede, lasst uns das genauer anschauen, lasst uns das Film- und Serienjahr 2017 rekapitulieren und auch feiern, aber nicht unkritisch durch die rosa Brille der Prägung und Bevormundung. Willkommen zum Traumfalter Jahresrückblick 2017.

 

 

Direct-to-Pay-TV

 

Der Traumfalter Jahresrückblick beginnt für gewöhnlich mit Filmen, die es nicht ins Kino geschafft haben. Bislang waren diese Werke fast ausschließlich im Direct-to-Disc Markt zu finden, aber 2017 etablierte sich eine weitere Verwertungsanstalt. Auch die Pay-TV Anbieter wie Netflix und Co. produzieren nun neben Serien exklusive Spielfilme, die nie das Licht der Leinwand erblicken dürfen und wenn doch, werden sie manchmal sogar ausgebuht wie der Film OKJA von Bong Joon-ho, weil Netflix sich nicht um Auswertungsintervalle schert.

 

Ein Film wie WAR MACHINE mit einem Budget von 60 Millionen Dollar, besetzt mit Brad Pitt in der Hauptrolle, früher wäre so etwas ein Kinoblockbuster gewesen, nun gibt es das für Netflix Kunden exklusiv für den heimischen TV oder das Smartphone. Die Zeiten ändern sich. Aber die guten alten Videopremieren gibt es noch immer, auch mit großen Namen wie Arnold Schwarzenegger oder Bruce Willis, die zwar immer noch beliebt sind, aber kaum mehr die Kinosäle füllen würden.

 

 

In diesem Jahr begeisterten einige Produktionen, die es nur in die Videotheken geschafft haben wie der clevere Thriller BLACK BUTTERFLY mit Antonio Banderas oder INTO THE FOREST mit Ellen Page und Evan Rachel Wood. Netflix Kunden dürfen sich dafür exklusive Filme wie I DON`T FEEL AT HOME IN THIS WORLD ANYMORE (mit Elijah Wood und Melanie Lynskey), OKJA, WAR MACHINE, LITTLE DEVIL, die Stephen King Verfilmung 1922 und BRIGHT mit Will Smith anschauen.

 

Antonio Banderas und Johnathan Rhys Meyers im klugen Mysterythriller BLACK BUTTERFLY

Elijah Wood und Melanie Lynskey in I DON’T FEEL AT HOME IN THIS WORLD ANYMORE (auf Netflix)

 

Überhaupt, Netflix wurde im Jahr 2017 zu einer Art Übermacht im Pay-TV Bereich. Munkelte man noch vor ein paar Jahren, im TV werden die besseren Geschichten erzählt, scheint sich das im Jahr 2017 erst Recht zu bewahrheiten. Aber nicht nur Netflix, auch amazon und Sky konkurrieren um die besten Inhalte, Serien, Geschichten und Stars, der Gewinner ist immer der Kunde, noch nie wurde er mit so viel hochwertigem und spannendem Content versorgt wie 2017. Aber auch hier zeigen sich die ersten Auswüchse der von mir in der Einleitung angesprochenen Fanruhigstellung.

 

 

Winona Ryder ist etwas releaxter geworden, Neuzugang Mad Max (rechts) ist cool, ihr Bruder dafür eine sinnbefreite Serienfigur. Vieles an STRANGER THINGS 2 wirkt halbgar und lustlos.

 

 

Sehnlichst erwartet wurde die zweite Staffel von STRANGER THINGS und mit ihr die Rückkehr jenes Gefühls der Achtziger Jahre, in denen Spielbergfilme noch Spaß machten und man mit den GOONIES oder E.T. mitfieberte. Dieses Gefühls weiß STRANGER THINGS vorzüglich zu reaktivieren, aber die Serie verlässt sich zu sehr auf die emotionale Retrospektive und pfeifft auf eine gute Story und nachvollziehbare Figuren. Schon Staffel 1 hatte so seine inhaltlichen Schwächen, was einem in Staffel 2 aufgetischt wird, ist zum Teil haarsträubend. Eine andere Dimension ohne wirkliches Mysterium, ein paar Demogorgon Hunde, zwielichtige Wissenschaftler, die einfach nicht schlauer werden und eine toll gespielte Figur wie Elfi, die eine unbefriedigende Entwicklung durchmacht. STRANGER THINGS 2 leidet unter schwachem Storytelling und dezenter Fantasielosigkeit der Macher, ist aber voll von Nostalgie und Referenzen, die Fans schlucken es und wollen mehr. Traurig eigentlich.

 

 

Thank you, Mr. Jackpots!

 

Doch es gibt auch das komplette Gegenteil. 2017 war das Jahr der größten Rückkehr von allem – TWIN PEAKS kehrte nach über 25 Jahren auf die Bildschirme zurück. Keiner hat TWIN PEAKS so geliebt wie ich, abgesehen von all denen, die TWIN PEAKS genauso sehr geliebt haben wie ich. Als TWIN PEAKS dann kam, gab es erstmal lange Gesichter. Nichts, aber auch gar nichts erinnerte an das TWIN PEAKS der frühen Neunziger Jahre. “Da ist ja gar kein TWIN PEAKS in TWIN PEAKS drin!” schallte es durch das Fandom. Abgesehen davon, dass das nicht stimmte, TWIN PEAKS begeisterte mich vor allem wegen seiner Andersartigkeit und dem Bruch mit dem, was man erwartete. Dieser Bruch wurde sogar zum Motor für die dritte Staffel.

 

 

Schlingel Lynch foppt die Fangemeinde, macht was er will und gewinnt – mit TWIN PEAKS: THE RETURN

 

 

TWIN PEAKS hat eine riesige Fangemeinde und Lynch hätte diese ganz leicht mit Kaffee und Kirschkuchen ruhigstellen können, aber Lynch ist Lynch und schneidet dem Zuschauer gern Fratzen. Das hatte er bereits mit TWIN PEAKS – DER FILM getan und setzte mit TWIN PEAKS: THE RETURN nun noch einen drauf. Die dritte Staffel wagt Dinge, die man im TV nie für möglich gehalten hätte, sie ist nicht weniger Revolution der Sehgewohnheiten als es TWIN PEAKS vor 25 Jahren schon war. Für diesen Mut, trotz der ikonischen ersten beiden Staffeln, etwas Neues zu kreieren, verdient TWIN PEAKS die Auszeichnung Beste Serie des Jahres.

 

Echte Serienkiller, noch bevor es diese Bezeichnung überhaupt gab – David Finchers MINDHUNTER

Eine echte emotionale Bewährungsprobe – die Serie THE HANDMAID’S TALE schockiert und fesselt

 

Neben TWIN PEAKS und STRANGER THINGS gab es noch mehr Fanservice, der zum größten Teil gelungen ist und sich nicht nur auf Nostalgie verlässt, sondern auch etwas eigenes versucht. Neben der Serie THE PUNISHER, die straff, schnörkellos und vor allem radikal inszeniert wurde, begeisterte auch die neue STAR TREK Serie DISCOVERY, die dem geprägten Universum neue Aspekte hinzufügt. Das schmeckte nicht jedem Fan, der mit der langsamen Dramaturgie von THE NEXT GENERATION aufgewachsen ist und die actionreiche Neuausrichtung bereits in den Kino Reboots verdammt hat. Aber STAR TREK DISCOVERY ist angenehm anders und macht vor allem Spaß, vertraute Elemente werden aufgegriffen, aber es werden auch neue Dinge versucht.

 

 

Epische Vorbereitungen auf das große Serienfinale 2019 – GAME OF THRONES Staffel 7 begeistert, aber vieles wirkt gehetzt und komprimiert

 

 

Neben diesen Rückkehrern und Reminiszenzen gab es 2017 aber auch wirklich neue Sachen, sowohl storytechnisch als auch erzählerisch und inszenatorisch. THE HANDMAID’S TALE erzählt eine erschütternde Dystopie einer nicht allzu fernen oder abstrakten Zukunft, in der Frauen als Gebärmaschinen versklavt werden, während die Menschheit in Diktatur um das Überleben ihrer Art kämpft. THE HANDMAID’S TALE ist die wohl bedrückendste Serie seit Langem, aber sie ist auch fesselnd und klug geschrieben und wurde völlig zu Recht mit dem EMMY als beste Dramaserie ausgezeichnet.

 

Clever und originell ist auch die Mockumentary AMERICAN VANDAL, die akribisch und bockbierernst einen Vorfall um Penisschmierereien an einer High School als Crime Doku Fiction Format zu untersuchen und aufzuklären versucht. Das Ganze ist so absurd, dass man aus dem Lachen nicht mehr herauskommt, aber es ist gleichzeitig so spannend, als ginge es um die Suche nach einem Serienmörder. Einfach grandios, sowohl von der Idee als auch von der Machart her.

 

 

Aprospos Serienkiller, MINDHUNTER von David Fincher erzählt ebenso ernsthaft die wahre Geschichte um die frühen Jahre der Kriminalpsychologie, setzt voll und ganz auf Realismus und nicht auf plakative Zurschaustellung und ist genau deswegen so nervenaufreibend spannend und fesselnd. Auch THE SINNER mit Jessica Biel erzählt einen interessanten Krimiplot, nur so ganz durchdacht wirkt das am Ende leider nicht. Während AMERICAN GODS ein wenig überstilisiert und überdramatisch rüberkommt, überraschte die zweite Staffel von PREACHER mit einer spannenden Fortsetzung des Dreiergespanns um Jesse Custer und ist in allen Belangen besser als Staffel 1.

 

 

Stars, Comebacks, Breakthroughs & Goodbyes

 

Es gibt sie nicht mehr, die Fernseh- und die Kinostars, die in ihren eigenen Nischen hausen. Eine Rolle in einer neuen Serie zu ergattern, scheint für viele Schauspieler inzwischen die Krönung ihrer Laufbahn zu sein. Im Pay-TV tummeln sich genauso viele Größen wie auf der Kinoleinwand, vielleicht sogar noch mehr. Auch in diesem Jahr gab es wieder fantastische Figuren und vor allem Schauspieler und Schauspielerinnen, die diesen Figuren auf ganz besondere Art Leben eingehaucht haben.

 

In diesem Jahr sind es vor allem etablierte alte Hasen und Häsinnen, auf die schon immer Verlass war. Weil 2017 aber das Jahr der Rückkehrer ist, begeistern auch zwei Comebacks im Schauspielgeschäft. Schauspieler des Jahres 2016 war für mich Daniel Radcliffe, der in vier Filmen nicht nur überzeugte, sondern auch glänzte. Die Trophäe teilen sich in diesen Jahr gleich zwei Schauspieler, einer davon ist ein fulminantes Comeback in einer Serie, in welcher er vier verschiedene Rollen bekleidete, jede einzelne ein Glanzstück der Schauspielkunst. Ein Schauspieler des Jahres ist Kyle McLachlan in TWIN PEAKS.

 

 

Schauspieler des Jahres 2017 #1: Kyle McLachlan in TWIN PEAKS: THE RETURN

 

 

Kyle McLachlan durfte in TWIN PEAKS so gut wie alles, nur den geliebten Special Agent Dale B. Cooper hielt Lynch bis kurz vor Schluss der Fangemeinde vor. Dafür mimte McLachlan einen frivolen und später geistig abwesenden Dougie Jones, einen alptraumhaften Evil Cooper und am Ende wieder den alten Good Cooper in vollem Glanz. Diese Wandlungsfähigkeit in einer Serie ist aber nur das eine, was McLachlan für Lynch vor der Kamera alles tun musste, ist beinahe unvergleichlich. Ewigkeiten musste er eine Statue anstarren, Lynch ließ ihn genüsslich Kaffee ausspucken, Evil Cooper sorgte durch seine bloße Präsenz für Angstattacken und nach gefühlten Jahren brauchte es nur einen Satz, um erneut in die Rolle seines Lebens zu schlüpfen: “I´m the FBI!”

 

Glückwunsch, Kyle!

 

Aber ebenso grandios war in diesem Jahr ein alter Hase im Schaugeschäft, auf ihn ist immer Verlass, doch so präsent war er selten zuvor: Woody Harrelson. Harrelson ist das Glanzlicht in stolzen vier Filmen diesen Jahres, darunter die britische Satire LOST IN LONDON, als verschrobener Weltverbesserer in WILSON, als alkoholkranker Familienvater in THE GLASS CASTLE und als unerbittlicher General in WAR OF THE PLANET OF THE APES. Was für eine Wandlungsfähigkeit!

 

 

Schauspieler des Jahres 2017 #2: Woody Harrelson in LOST IN LONDON, WILSON, THE GLASS CASTLE & WAR OF THE PLANET OF THE APES

 

 

Zu den beiden Herren gesellen sich zwei Schauspielgöttinnen, auch auf sie war immer Verlass und sie sind ein illustrer Spiegel ihrer männlichen Kollegen, spielten sie doch oft zusammen oder vollführten das große Comeback. Schauspielerin des Jahres ist für mich Naomie Watts, die vier Filme mit ihrem Talent adelte. An der Seite von Woody Harelson spielte sie in THE GLASS CASTLE eine existentialistische Mutter, in BOOK OF HENRY greift sie als Mama zum Scharfschützengewehr, sie spielte wundervoll in der Serie GYPSY und natürlich war Watts grandios an der Seite von Kyle McLachlan in TWIN PEAKS.

 

 

Schauspielerin des Jahres: Naomie Watts in TWIN PEAKS: THE RETURN, BOOK OF HENRY, THE GLASS CASTLE & GYPSY

 

 

Das Comeback des Jahres passt hervorragend in diese Runde. Denn auch Laura Dern vollbrachte schauspielerische Wunder in drei Filmen und zwei Serien. Sie verkörperte die bislang nie gesehene Diane in TWIN PEAKS: THE RETURN mit unverschämter Laszivität und Abgefucktheit, dass es einem die Sprache verschlägt. Mit lila Haaren schaffte es Dern auch in den neuen STAR WARS Film THE LAST JEDI, die First Order wird ihren Auftritt wohl niemals vergessen.

 

In WILSON spielte Dern an der Seite von Woody Harelson eine durchgeknallte Mutter und für die Serie BIG LITTLE LIES ist Dern für den Golden Globe nominiert. Zudem tritt sie als Zeichentrickfigur in der Serie F IS FOR FAMILY auf. Wenn das kein Comeback ist.

 

 

Comeback des Jahres: Laura Dern in TWIN PEAKS: THE RETURN, STAR WARS: THE LAST JEDI, WILSON & BIG LITTLE LIES

 

 

Neben diesen vier grandiosen Schauspielern gab es aber noch einige andere fulminante Einzelleistungen wie die von Michelle Pfeiffer in MOTHER oder Anne Hathaway in COLOSSAL, bei den Männern begeisterten James McAvoi in SPLIT, Patrick Stewart in LOGAN und Michael Fassbender ist wenigstens das Beste im eher misslungenen ALIEN COVENANT.

 

 

Überwältigende Schauspielleistungen 2017: Michelle Pfeiffer in MOTHER, Maryl Streep in FLORENCE FOSTER JENKINS, Anne Hathaway in COLOSSAL, Gal Gadot in WONDER WOMAN, James McAvoi in SPLIT, Doppelrolle für Michael Fassbender in ALIEN COVENANT, Patrick Stewart in LOGAN & OSCAR Gewinner Casey Affleck in MANCHESTER BY THE SEA

 

 

So viele alte Hasen, was aber ist mit dem Nachwuchs und gab es 2017 irgendwelche Durchstarter im Schauspielbusiness? Beginnen wir mit den Damen, dort rangiert bei mir die argentinisch-britische Jungschauspielerin Anya Taylor Joy auf Rang 1 der Durchstarter. Joy glänzte im letzten Jahr in THE WITCH von Robert Eggers, in diesem Jahr lieferte sie in SPLIT von M. Night Shyamalan eine Killerperformance ab. Killerperformance ist auch die treffende Beschreibung für Dafne Keen als Mini-Wolverine in LOGAN.

 

In STAR WARS: THE LAST JEDI bekommt der Cast Verstärkung durch Kelly Marie Tran als Rose, die ich in der Rolle wirklich klasse fand. Billie Lourd, die Tochter von Carrie Fisher, durfte in THE LAST JEDI zwar nur als optische Referenz von Prinzessin Leia auftreten, dass Lourd aber ein Talent ist, bewies sie als Winter in der siebten Staffel von AMERICAN HORROR STORY.

 

 

Newcomer & Durchstarter #1: Anya Taylor Joy in SPLIT, Dafne Keen in LOGAN, Kelly Marie Tran in STAR WARS: THE LAST JEDI & Billie Lourd in AMERICAN HORROR STORY 7

 

 

Bei den Buben führt in diesem Bill Skarsgård die Riege der Newcomer an mit seiner fantastischen Leistung als der neue Pennywise, der Clown aus der Neuverfilmung von Stephen Kings ES. Nach seiner großartigen Performance als Lee Harvey Oswald in der Serie DER ANSCHLAG mauserte sich Daniel Webber in THE PUNISHER gar zum besten Bösewicht des Jahres, die von ihm gespielte Rolle des traumatisierten Ex-Soldaten Lewis Walcott ist wirklich angsteinflößend.

 

Dane DeHaan adelte in diesem Jahr zwei mittelprächtigen Filme, in VALERIAN machte er neben Cara Delevingne eine äußerst coole Figur und im gehörig verhauenen A CURE FOR WELLNESS spielte DeHaan einen überambitionierten Banker. Last not least empfahl sich Charlie Hunnam als KING ARTHUR für höherwertige Spielfilmeinsätze. Ein wirklich gutes Jahr für den Nachwuchs.

 

 

Newcomer & Durchstarter #2: Bill Skarsgård in IT, Daniel Webber in THE PUNISHER, Dane DeHaan in VALERIAN, Charlie Hunnam in KING ARTHUR

 

 

Doch auch 2017 heißt es wieder Abschied nehmen von geliebten Starts wie Filmemachern. Die Filmwelt trauert um die Regiegrößen George A. Romero und Tobe Hooper, um Kameramann Michael Ballhaus, um Batman Star Adam West und Roger “Bond” Moore. Der darf jetzt zusammen mit Bondgirl Karin Dor auf irgendeiner himmlischen Sonnenbank herumhängen und Musik hören, ist doch auch schön. Zumal es im Himmel momentan genügend Musiker gibt, die zusammen eine grandiose Band gründen könnten.

 

 

Rest In Peace 2017: Miguel Ferrer (TWIN PEAKS), Bill Paxton (ALIENS), Michael Ballhaus, Roger Moore (James Bond), Mikael Nyqvist (VERBLENDUNG), Adam West (BATMAN 66), George A. Romero, Martin Landau (ED WOOD), Tobe Hooper, Harry Dean Stanton (WILD AT HEART), John Hurt (ALIEN), Karin Dor (YOU ONLY LIVE TWICE)

 

 

Zu viel Sarkasmus? Na gut, kommen wir zum nächsten Kapitel.

 

 

Was ihr wollt

 

Auch wenn Serien und Exklusive Pay-TV Filme 2017 auf dem Vormarsch scheinen, es gibt es noch, das klassische Kino in all seiner Pracht. Dennoch war 2017 eine Wundertüte der falschen Erwartungen. Zwei Beispiele zeigen recht gewitzt Irrungen und Wirrungen in der Erwartungshaltung und ergeben zudem eine schöne Klammer des Filmjahres. 2017 begann mit einem Film, über den ich in der Jahresvorschau noch abgelästert habe. Ich schrob, der Film sei “…eine Schmonzette mit dem Klebrigkeitsgehalt von Nuspli, dass einem bisschen übel wird…”. Die Rede ist von PASSENGERS mit Jennifer Lawrence und Chris Pratt.

 

Doch das war ein Irrtum, denn PASSENGERS macht eigentlich alles richtig, hat eine clevere Geschichte, extreme spannende Motive der Figuren, die wunderbar von Lawrence und Pratt gespielt werden und ist von Anfang bis Ende ein tolles Erlebnis.

 

 

Überraschung des Jahres: PASSENGERS

 

 

Dagegen stand bereits im Januar fest, STAR WARS; THE LAST JEDI kommt in meine Top 12 der besten Kinofilme des Jahres. Doch als dann zwölf Monate später THE LAST JEDI über die Leinwand flimmerte, traute ich meine Augen und Ohren nicht mehr. THE LAST JEDI ist rasant und effektvoll, aber verkrampft und unschlüssig in Sachen Story, Storytelling und Figuren.

 

STAR WARS: THE LAST JEDI ist innerhalb der Fanservicediskussion ein schwieriger Fall. Auf der einen Seite versucht er neue Dinge, vor allem inszeniert er das Loslassen von vertrauten Dingen, aber es wirkt verlogen, denn dafür kopiert er noch zu viel ikonisches und fügt es in eine halbgare Geschichte ohne epische Kraft ihrer selbst. Auch wenn Kylos und Reys Entwicklung spannend ist und für sich genommen funktioniert, sie ist in ein unepisches Fundament gebettet.

 

 

Abschiedsvorstellung: Carrie Fisher als Leia in STAR WARS: THE LAST JEDI

 

 

Die Dinge, die ich an THE LAST JEDI kritisiere, sind allesamt dramaturgischer und erzählerischer Natur. Das Fandom aber ist wegen anderer Dinge gespalten. Ihr geht das Loslösen von der Vergangenheit zu weit, mir noch lange nicht weit genug. Nun gibt es bereits Petitionen, THE LAST JEDI aus dem Kanon zu streichen. Himmelherrgott, hatten wir das nicht alles schon mal?

 

Ich glaube, die Fans kommen mit neuen Dinge, auch im STAR WARS Universum, wunderbar klar. Aber sobald die Macher entscheiden, alte Figuren oder vertraute Dinge zu verwenden, können sie beim Fan nur verlieren. So wird nun die alte Garde, auf die man sich so gefreut hat, sie wiederzusehen, fast zum Bremsklotz für die neuen Figuren. THE LAST JEDI steckt da irgendwie fest.

 

Aus der Top 12 der besten Filme des Jahres fliegt STAR WARS: THE LAST JEDI nicht wegen falsch erfüllter Erwartungen, sondern weil er ohnehin schwierige vorhandene Potential beinahe fahrlässig verschleudert, die Story einfach nicht packend genug ist und der Film keinen epischen Impact hinterlässt, sondern eher ein flaues Gefühl in der Magengegend.

 

Stilistisch ok, aber erzählt keine Geschichte – TRANSPOTTING 2 von Danny Boyle

Tolle Figuren, maue Story – GUARDIANS OF THE GALAXY 2

 

2017 – das Jahr der Rückkehrer. Zwar gibt es jedes Jahr Fortsetzungen und Remakes, aber 2017 tauchten längst Vergessene wieder auf, um das Publikum zu verzaubern oder eben auch nicht. 21 Jahre nach TRAINSPOTTING legt Danny Boyle nochmal nach mit TRAINSPOTTING 2, doch Boyle weiß außer heimeligem Retrofeeling keine spannende Geschichte zu erzählen.

 

Auch der zweite Auftritt der GUARDIANS OF THE GALAXY funktioniert nur über die Wirkung der Figuren, nicht aber über Story und Storytelling. Was ist da los? Nie standen die Filmsterne so günstig, nie sahen die Filme opulenter aus, die Figuren sind großartig und doch bleiben die ganze großen Würfe in Sachen Storytelling aus. Viel hat natürlich mit der Erwartungshaltung zu tun, auch in diesem Jahr. So gibt es positive wie negative Überraschungen, die man so nicht erwartet hatte.

 

 

Zweikämpfe

 

Beginnen wir positiv. Oder doch eher negativ? Ein neuer ALIEN Film kam 2017 in die Kinos und er krankt an verschiedenen Ausrichtungen. Ridley Scott wollte eigentlich seine hochphilosophische Geschichte von PROMETHEUS weiterführen, das Studio aber meinte, die Fans wollen ALIEN Action. So wurde aus ALIEN COVENANT nichts Halbes und nichts Ganzes, gepaart mit Logiklöchern und fahriger Figurenmotivation. Doch da gab es auch den Film LIFE, der als ALIEN Kopie verschrien wurde, aber im Gegensatz zu ALIEN COVENANT alles richtig macht. Daumen hoch für LIFE und das putzige Wesen Calvin.

 

Wir brauchen ein Ei, wir brauchen jemanden der da reinkuckt und wir brauchen das Alien, der Rest ist optional – ALIEN COVENANT

Schnörkelloser ALIEN Verschnitt ohne philosophischen Subtext und Fanservice – LIFE ist der bessere ALIEN 2017

 

Auch KONG: SKULL ISLAND und GHOST IN THE SHELL sind besser als ihr Ruf, sie sind nicht ohne Makel, aber sie konzentrieren sich auf gutes Storytelling und verlassen sich nicht nur auf Fanservice. VALERIAN hat gute Storyansätze, leider fällt das Mysterium gegen Ende in sich zusammen und wirkt eher schwach, auch gibt Commander Clive Owen eine erbärmliche Figur ab. Aber die positiven Aspekte überwiegen, die Hauptdarsteller DeHaan und Delevingne haben Spaß, der Film sieht umwerfend aus und hat möglicherweise mehr STAR WARS Feeling als THE LAST JEDI.

 

Auch andere Comicverfilmungen gab es 2017 wieder reichlich und der Wettstreit zwischen dem MCU und DC geht inzwischen in eine spannende Phase. Es macht sich ein wenig MCU Müdigkeit breit beim Trailer zu AVENGERS INFINITY WAR 2018. Haben die Zuschauer noch Interesse an der Zerstörung bzw. Rettung des ganzen Universums?

 

Bis es 2018 soweit ist, begeisterte das MCU 2017 eher mit Einzelabenteuern beliebter Superhelden wie Thor in THOR RAGNAROK unter der Regie von Taika Waititi und SPIDER MAN HOMECOMING. Beide Marvel Filme sind überaus sympathisch, auch wenn sich IRON MAN in SPIDER MAN HOMECOMING ein wenig in den Vordergrund drängelt, THOR schadet der Einsatz ohne die Avengers kein bisschen. Zudem treten sowohl in THOR 3 und dem neuen SPIDER MAN für Marvel Verhältnisse coole Bösewichte auf wie Cate Blanchet (sieht aus wie 20 und hat Riesenspaß) und Michael Keaton (endlich mal ein Bösewicht ohne Weltherrschaftspläne).

 

Will einfach nur Kohle verdienen – so wird aus Adrian Toomes der raffsüchtige Vulture in SPIDER MAN HOMECOMING

Will natürlich wieder das Universum zerstören – Steppenwolf in JUSTICE LEAGUE

 

Bösewichte im Marveluniversum waren ja selten ikonisch, aber das wurde in diesem Jahr locker von den eigentlich gelungenen DC Verfilmungen unterboten. Danny Houston als General Ludendorff nebst Sidekick Doctor Poison waren eigentlich ganz finster, aber der wahre Bösewicht Ares verkam letzten Endes zur Lachnummer. Steppenwolf, der Widersacher in JUSTICE LEAGUE war sogar noch eindimensionaler und von ulkiger CGI-Gestalt. Abgesehen davon waren die DC Filme in diesem Jahr eher positive Überraschungen.

 

 

Entgegen aller Befürchtungen ergeben die JUSTICE LEAGUE Mitglieder ein cooles Ensemble – nicht auf dem Bild: Batman (Ben Affleck)

 

 

WONDER WOMAN begeisterte durch fulminante Optik und eine grandiose Gal Gadot, das hatte sich in BATMAN VS SUPERMAN schon angekündigt und Gadot zieht das auch in JUSTICE LEAGUE in wundervoller Naivität durch.

 

Das Zusammentreffen der DC Helden ist ein zweischneidiges Schwert, viel wurde nachträglich von Josh Weadon verändert, weil Zack Snyder die Produktion aus privaten Gründen verlassen musste. So hat JUSTICE LEAGUE zwar nicht die penetranter Ernsthaftigkeit und erzwungene Epik der Vorgänger, aber ein runder Spaß ist es auch nicht wirklich geworden. Dennoch bin ich eher positiv überrascht, weil JUSTICE LEAGUE deutlich mehr Spaß macht als BATMAN VS SUPERMAN.

 

Remake #1: FLATLINERS mit Ellen Page wird leider zu üblem Mysteryschmarrn

Remake #2: MORD IM ORIENT EXPRESS mit Kenneth Branagh und Daisy Ridley ist durchaus unterhaltsam

 

Aber es gibt auch Enttäuschungen, und damit meine ich weniger vollkommen misslungene Filme 2017 wie THE DARK TOWER (95 Minuten unepisches Komprimat), A CURE FOR WELLNESS (145 Minuten Langeweile) oder THE CIRCLE (110 Minuten böser social media DuDu Finger). Das lässt sich zum Glück alles schnell vergessen. Aber Enttäuschungen wie ALIEN COVENANT oder THE LAST JEDI sind schwerer zu verkraften, weil viel Liebe an den Franchise hängt.

 

Der OSCAR Skandal – LA LA LAND wird zum Gewinner ausgerufen. Schuld hatte wohl Emma Stone…

Leider nicht ganz so gelungen wie die Realverfilmung von DAS DSCHUNGELBUCH – THE BEAUTY AND THE BEAST

 

Aber was zum Teufel war in diesem Jahr mit Christopher Nolan und DUNKIRK los? Nolan gelang es in artifiziellen Filmen wie INTERSTALLAR unglaublich emotionale Geschichten und Figuren zu inszenieren. Bei einem echten emotionalen Szenario wie Dünkirchen aber versagt er auf der emotionalen Seite, selten war ein Film so distanziert und gefühllos erzählt wie DUNKIRK. Natürlich ist DUNKIRK ein technischer Kraftakt, aber er zündet bei mir einfach nicht.

 

Im Schnickschnack der einzelnen Storysegmente verliere ich das Gefühl für das gigantische, beklemmende Szenario, der Hauptfigur kann ich emotional nicht folgen, von Anfang bis Ende ließ mich DUNKIRK kalt wie das Wasser des Atlantik. Schade, auch DUNKRIK wähnte ich unter den besten Filmen des Jahres.

 

 

Die Filme des Jahres

 

Wozu wir nun auch endlich kommen. Gab es ihn überhaupt, den vollkommen gelungenen Film 2017? Nein den gab es nicht, aber das ist auch keine Bedingung, um zu begeistern. Nur ein Film in diesem Jahr würde ich als perfekt bezeichnen, obgleich er über die Maßen streitbar und polarisierend ist. Aber genau deswegen, wegen seiner Andersartigkeit, seiner Größe und seiner Wucht, ist er für mich Film des Jahres – MOTHER von Darren Aronofsky.

 

 

Film des Jahres 2017: MOTHER! von Darren Aronofsky

 

 

MOTHER erzählt eine ganz eigene Geschichte, die Figuren haben keine Namen, es ist eine originäre Geschichte, kein Fanservice, kein Schielen auf Trends oder Wünsche, einfach nur ein überaus wuchtiges und wahnsinniges Werk eines fantastischen Filmemachers. MOTHER ist unvorhersehbar, schlägt Haken und Ösen, weiß von Szene zu Szene eine Spannung aufzubauen, die fast bis ins Unermessliche reicht, um dann noch einen draufzusetzen. MOTHER ist von der ersten bis zur letzten Minute ein Meisterwerk, es ist trotz Versatzstücken aus dem Baukasten des Genrefilms ein Werk, auf das man sich nicht vorbereiten kann.

 

Ebenso überzeugend sind die beiden Hauptdarsteller Jennifer Lawrence und Javier Bardem, mehr noch die Nebenfiguren, gespielt von Michelle Pfeiffer und Ed Harris. Wer auch meint, dass das Jahr 2017 größtenteils eine Echokammer der Retrospektive ist, der kann sich mit MOTHER von Darren Aronofsky eines Besseren belehren lassen. Film des Jahres!

 

 

Gigantische Zukunftswelten in BLADE RUNNER 2049 von Denis Villeneuve

 

 

Der Film des Jahres 2016 war für mich ARRIVAL und in diesem Jahr sah es so aus, als könne nur noch der neue Film von Denis Villeneuve dem gigantischen MOTHER das Wasser reichen. Die Sterne standen günstig, immerhin war BLADE RUNNER 2049 auch ein Rückkehrer und Fanliebling. Auch BLADE RUNNER 2049 fesselt einen in der ersten Stunde mit schierem Optikwahnsinn und tief berührenden Szenen, baut aber gen Ende hin ein wenig ab, und zwar mit dem Auftreten von Harrison Ford als Deckard. Wieder so ein Fall, wo das Altvertraute dem Neuen hinderlich ist. Trotzdem, dank der Erzählweise und der überragenden Gestaltung der Welt reicht es für BLADE RUNNER 2049 für Platz 2.

 

Rührender Abschied zweier Ikonen – Patrick Stewart und Hugh Jackman in LOGAN von James Mangold

Fette Fantasyaction á la Herr der Ringe mit KING ARHUR von Guy Ritchie

 

Völlig überraschend dagegen kam der neue Film von M. Night Shyamalan daher, den einige bereits abgeschrieben hatten und der mit THE VISIT ein kleines Comeback hinlegte. Dem folgte nun mit SPLIT ein großes Comeback mit einer kniffligen und spannenden Story, zwei grandiosen Hauptdarstellern und einem cleveren Ende. WAR OF THE PLANET OF THE APES gelingt es wieder, an den Erstling des Reihenreboots anzuknüpfen, die Performance Capture Gestaltung der Affen ist noch einen Tick beeindruckender, er ist optisch abwechslungsreicher als Teil 2 und hat mit Woody Harrelson auch einen fantastischen Bösewicht am Start, wo Gary Oldman im vorherigen Teil versagte.

 

Neben WONDER WOMAN, der hauptsächlich durch Gal Gadot und ihre Darstellung begeistert, aber am Ende auch etwas abbaut, war es 2017 vor allem der Film LOGAN, der der ganzen X-MEN Hatz einen wahrhaft berührenden Schlusspunkt setzte. Patrick Stewart als gealterter und dementer Professor Charles Xavier und Hugh Jackman als umso grimmiger Wolverine geben eine Abschiedsvorstellung, die unter die Haut geht.

 

 

Ebenso überrascht hat mich KING ARTHUR, der vor allem in den ersten Minuten ein nie gesehenes Fantasyfeuerwerk abfackelt. Mit Charlie Hunnam und vor allem Jude Law bestens besetzt schafft es Regisseur Guy Ritchie, die angestaubte Arthus Sage in moderner Tonalität zu erzählen, groß, wuchtig und äußerst unterhaltsam.

 

Natürlich sind 2017 auch Animationsfilme wieder ganz vorn dabei im Geschäft, neben dem LEGO BATMAN MOVIE, der sogar noch etwas besser als sein Vorgänger ist, begeistern auch die PIXAR STUDIOS mit ihrem neusten Werk COCO, der eine wunderschöne Geschichte erzählt und einfach toll gestaltet ist.

 

SPIDER MAN HOMECOMING und THOR RAGNAROK schließen die Runde der besten Filme des Jahres, hier und da gibt es Anlass zur Kritik, aber im Gesamtbild sind das alles coole Filmchen mit lebendigen Figuren und toller Gestaltung in allen Gewerken.

 

Abseits der Genre Blockbuster Unterhaltung kann sich der Filmfan eigentlich auch nicht beschweren, viele bekannte und beliebte Regisseure hatten neue, aber eher kleinere, persönlichere Filmchen am Start wie Ole Bornedal mit dem schwarzhumorigen SMALL TOWN KILLERS, Paul Verhoeven ist zurück mit dem beklemmenden Film ELLE, THE GLASS CASTLE ist emotionales Schauspielkino par excellence und mit THE EYES OF MY MOTHER schaffte es ein schaurig schöner Arthaus Horrorfilm nach seinem Fantasy Filmfest Einsatz sogar ins reguläre Kinoprogramm.

 

 

Genrebeben Made In Germany

 

Neben all den Blockbustern und Werken außerhalb des Mainstream liegt mir natürlich der Deutsche Film besonders am Herzen, oder sagen wir besser, der Deutsche Genrefilm. Die Reanimierungsversuche der letzten Jahre waren durchaus erfolgreich, im Jahr 2017 gibt es eine ganze Reihe von deutschen Genrewerken, die nicht nur zeigen, was man mal machen will, wenn man groß ist, sondern die bereits mit Erfolg gesegnet sind. Die GENRENALE im Februar gab bereits die Marschrichtung vor, es liefen neben dem Kurzfilmprogramm auch Spielfilme wie OFFLINE – DAS LEBEN IST KEIN BONUSLEVEL, IMMIGRATION GAME, DAS LETZTE ABTEIL, FREDDY EDDY und ONE SHOT LEFT. Doch damit startete der Deutsche Genrefilm erst durch.

 

 

Bester Deutscher Film des Jahres: SCHNEEFLÖCKCHEN von Adolfo J. Kolmerer und Arendt Remmers

 

 

Man kann sogar sagen, ein paar Deutsche Genrewerke umschiffen das Echoproblem reinen Fanservice ganz geschickt, obwohl sie auch bekannte Genrestrukturen der letzten Jahrzehnte bedienen und variieren. Aber ein Film und eine Serie machen das sehr clever und erzählen oder inszenieren nebenbei auch wirklich neue Dinge. Der Deutsche Genrefilm des Jahres ist SCHNEEFLÖCKCHEN von Adolfo J. Kolmerer und Arend Remmers. Bekannte Genreversatzstücke mischt SCHNEEFLÖCKCHEN mit einer wahren Flut an skurrilen Ideen und irren Wendungen, so vital, potent und unverkrampft hat man selten einen deutschen Film gesehen. Bravo!

 

 

Und auch in Sachen Serien mischen die Deutschen nun mit, angefangen mit der noch etwas biederen Verschwörungsserie YOU ARE WANTED für amazon, dem packenden sechsteiligen Crime-Drama 4 BLOCKS und der 40 Millionen Euro teuren Reise in die Zeit der Weimaer Republik mit BABYLON BERLIN. Doch Ende des Jahres stellte eine andere Serie alles vorherige Genrebemühen in den Schatten – DARK von Baran bo Odar.

 

 

Gut möglich, dass DARK nur des Erfolges von STRANGER THINGS wegen realisiert werden konnte. Auch setzt DARK auf bekannte Versatzstücke aus STRANGER THINGS, ein Dorf, ein verschwundener Junge, ein Mysterium, eine zwielichtige Organisation im Hintergrund und eine Reise in die 80er Jahre, soviel haben DARK und STRANGER THINGS gemeinsam.

 

Doch erzählerisch schlägt DARK STRANGER THINGS um Längen, fesselt ungemein an den Bildschirm und spielt eine Ideenvielfalt aus, die für zwei oder drei anderen Serien gereicht hätte. DARK ist deswegen kein Mischmasch, es ist straight und präzise erzählt und noch treffsicherer inszeniert, die Figuren sind klasse, die Schauspieler bestens besetzt, DARK ist so rund, dass ich sogar sage, es ist die zweitbeste Serie nach TWIN PEAKS: THE RETURN international.

 

 

Beste Deutsche Serie: DARK von Baran bo Odar

 

 

Es muss auch nicht immer nur Genre sein, schön zu sehen, dass auch Komödien und Krimis aus Deutschland nicht immer dröge und unwitzig daherkommen müssen. Ich habe mich über OFFLINE, LOMMBOCK und MAGICAL MYSTERY köstlich amüsiert und auch TIMM THALER von Andreas Dresen ist wirklich gut geworden.

 

Mit ein paar Abzügen gehen auch FACK JU GÖHTE 3 und BULLYPARADE – DER FILM noch als gute Komödien durch, obgleich sich in beiden Produktionen Abnutzungserscheinungen breit machen. LOMMBOCK ist irgendwie der deutsche TRAINSPOTTING 2, also auch ein Rückkehrer nach langer Zeit, der Film war ganz ok. Dafür begeisterte umso mehr das Regiedebüt von Josef Hader WILDE MAUS und AUS DEM NICHTS könnte der erste Fatih Akin Film sein, der mir gefallen hat.

 

 

 

 

The Bad Batch

 

Deutsche Genreware scheint noch verschwindend gering im internationalen Vergleich, aber wirkt frischer und eigenständiger als die Genrekonkurrenz rund um den Globus. Den größte Kassenerfolg eines Horrorfilms generierte 2017 die Neuverfilmung von Stephen Kings ES, das hätte kaum jemand für möglich gehalten. Und obendrein ist ES 2017 auch noch gelungen, wenngleich man auch ihm den Vorwurf machen kann, stark auf der STRANGER THINGS Retrowelle zu reiten.

 

Bester Horrorfilm 2017: IT von Andrés Muschietti

Überraschung: LEATHERFACE ist kranker Splatter vom Feinsten

 

Aber die Figuren sind klasse, Bill Skarsgård als Pennywise eine Wucht und die Fortsetzung darf gern schnell kommen. Überhaupt ein gutes Jahr für Stephen King Verfilmungen, 1922 mit Thomas Jane war richtig gut, GERALD`S GAME und die Serie THE MIST nicht so ganz, aber immer noch brauchbar, THE DARK TOWER hingegen ein richtiger Vollflopp. Aber King Verfilmungen scheinen immer noch zu ziehen beim Publikum.

 

Von ES, REMEMBER YOU und RAW als Horrorspeerspitze abgesehen gab es 2017 ein Wiedersehen mit dem guten alten Onkel Jigsaw, die erste Horror Anthologie aus rein weiblicher Hand und den Horrorfilm GET OUT mit durchaus interessantem Subtext.

 

Mir persönlich haben noch zwei weitere Filme überaus gefallen, der ganz klassische THE LIMEHOUSE GOLEM mit Bill Nighy, der wunderbar in eine Reihe mit FROM HELL oder THE RAVEN passt und, haltet Euch fest, der neue LEATHERFACE Film. Sicher werden die Fans des Originals aufheulen, aber LEATHERFACE von Julien Maury und Alexandre Bustillo (INSIDE) ist wirklich gutes, altes Splattervergnügen, was es nur noch selten gibt. Insgesamt hat der Horrorfilm aber schon mal bessere Jahrgänge gehabt.

 

Das gilt nicht für andere Genrewerke außerhalb der Horrorsparte. Hier glänzten in diesem Jahr vor allem der neue Film von Nacho Vigalondo COLOSSAL mit Anne Hathaway, eine wundervolle Monsterparabel, der aufwühlende Serienkillerthriller HOUNDS OF LOVE, der bis zum Schluss für schweißnasse Hände sorgt und natürlich auch der Genrepublikumsliebling JOHN WICK mit seinem zweiten Auftritt.

 

FREE FIRE von Ben Wheatley ist wieder ein gelungenerer Film, nachdem HIGH RISE nur bedingt überzeugte und mit THE BAD BATCH von Ana Lily Amirpour bekommt man einen Endzeitfilm serviert, der sich in keine Schublade stecken lässt und vielleicht deshalb so fasziniert.

 

Der Hühne und der Krüppel im ungewöhnlichen THE BAD BATCH von Ana Lily Amirpour

Witzig, spannend, originell und rührt zu Tränen – COLOSSAL von Nacho Vigalondo

 

Das war er nun, mein Rückblick auf das Film- und Serienjahr 2017. Es war besser als das Vorjahr, welches die Kurve erst spät mit ARRIVAL und ROGUE ONE bekommen hat und nur ein wenig schwächer als 2015, weil STAR WARS: THE LAST JEDI auf den letzten Metern strauchelte. Aber insgesamt ein brauchbares Filmjahr, nur eben mit schwierigen Perspektiven für die Zukunft. Wenn dem Publikum reiner Fanservice und das Servieren von Altbekannten ausreicht und er dafür auf Story und Figurenentwicklung pfeift, wird es in Zukunft in der Echokammer der Retrospektive nicht mehr auszuhalten sein.

 

So schön die Erinnerungen und Reminiszenzen an geliebte Klassiker auch sind, sie sind die Kür des Filmemachens und ersetzen nicht die Pflicht, etwas Neues zur geliebten Filmwelt beizutragen. Die Mischung macht’s. 2015 und 2016 waren da mit Filmen wie MAD MAX FURY ROAD oder ARRIVAL mutiger und verstanden es besser, Fanservice und eigene Ideen unter einen Hut zu bringen. Wir werden sehen, wohin die Reise geht, im Januar blicken wir auf das kommende Filmjahr 2018, ich werde mich hüten, Filme wie PASSENGERS im Vorfeld zu verhöhnen, aber auf HAN SOLO freu ich mich ungebrochen, trotz der Enttäuschung über THE LAST JEDI.

 

Bis dahin bleibt mir nur noch, meinen standhaften Lesern einen guten Jahreswechsel zu wünschen. Wir lesen uns im neuen Jahr wieder, bis dahin einen guten Rutsch, seid artig, streitet euch nicht und lasst auch die Filme in Ruhe, die nicht in eure heile Fanwelt passen. Denn die gäbe es ohne den Mut für Neues gar nicht.

 

 

 

3 Comments

  1. Antworten

    […] im Februar oder April in den regulären Kinos starten. Das neue Jahr beginnt also recht frisch, so wie ich es im Jahresrückblick 2017 gefordert hatte. Sehr schön, darauf einen großen Schuck Thala-Sirenen […]

  2. Antworten

    […] sind verschieden und so ist immer was Neues drin in der Wundertüte des Films. Möchte man meinen, doch wer sich das Jahr 2017 genauer angeschaut hat, dem deucht, dass sich ab und an etwas wiederholt im Schaugeschäft. Retroschiene und Fanservice […]

  3. Antworten

    […] Fanservice war das Filmunwort des Jahres 2017 – harmlos im Vergleich zu den Schlagwörtern des Jahres 2018: Blackwashing, kulturelle Aneignung und voreilender Gehorsam, der Ton wird rauer, auch innerhalb von Film und Fankultur. Hersteller und Konsumenten sind gleichermaßen Schuld an der hochgeschaukelten Diskussion. Die Fans wittern politische Meinungsmache hinter BLACK PANTHER, hinter einem möglichen schwarzen oder weiblichen James Bond, eine Asiatin in STAR WARS? Wo kommen wir denn da hin? Die Filmhersteller wiederum haben Angst, denn es geht um Millionen, ja Milliarden. Roseanne Barr wird nach einer rassistischen Tirade gefeuert, zu Recht. James Gunn wird auch gefeuert, wegen zehn Jahre alter Tweets. Auch zu Recht? Oder fußt dieser vorauseilende Gehorsam auf der Angst, irgendjemand irgendwann einmal auf die Füße zu treten? […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de