Der Traumfalter Jahresrückblick 2013

Das Jahr neigt sich mit übermütiger Schiefwinkligkeit dem Ende entgegen. Soll es doch, ich werde es nicht aufhalten. Lass es ziehen wie Kamillenblütenblättertee. Das Jahr 2013 war, wie der Name schon sagt, ein ungerades Jahr. Was immer das auch heißen mag. Es macht jedenfalls großen Spaß, so ein Filmjahr am End nochmal resümieren zu können, die ganzen vorgeworfenen Audiovisualbrocken mal ordnen in seinem inneren Setzkasten der Filmleidenschaft. Die Sache ist die: Am Anfang eines neuen Jahres verschaffe ich mir meist einen Überblick über die Filme, die in den kommenden zwölf Monaten erscheinen werden. Da schwingt immer eine gewisse Erwartungshaltung mit, sei es man ist von einem Storyfetzen angefixt, von einer interessanten Adaption oder freut sich schlicht auf den neuen Film von oder den neuen Film mit, tja, sonstwem.

Ode on Melancholy

Heute ist ein trauriges Datum. Der 13. November war seit jeher ein gebeutelter Tag. Am 13. November 1940 hatte Walt Disneys Film FANTASIA Premiere. Das war schön. Wolf Biermann kritisierte 1976 bei einem Konzert in Köln das DDR-Regime und wurde Tage später ausgebürgert. Das war weniger schön. Konstantinopel wurde an einem 13. November von feindlichen Truppen besetzt, Michael Schumacher gewann seinen ersten Weltmeistertitel und Ludwig VII. von Frankreich heiratet, und zwar seine dritte Frau. Das war 1160. 2013 hingegen schließt mein Kino. Nicht mein eigenes, meine Multiplexkinos laufen alle noch. Das Kino, was ich meine, hat sieben Jahre meines Lebens geprägt und geformt wie eine Tiefziehpresse Plastikboote. Nun gibt es am 13. November 2013 seine Abschiedsvorstellung.

Schiefe der Ekliptik

Wenn Heute das Gestern nicht Morgen wäre, sondern Gestern, dann wäre Heute der längste Tag des Jahres. Nur leider war der eben Gestern. Gestern, Heute, Morgen, in der Physik sind sie alle gleich. Nur erklären kann man das nicht. Das ist das tragische an der Physik, sie ist haltlos. Der längste Tag des Jahres dauert zum Beispiel gerade mal einen Tag. Sinnlos!

R.I.P. VHS

Ich hab da ein kleines Zimmerlein, eine Abstellkammer, Besenraum, wir in unserer Gegend sagen dazu Kabuff. Dort lagert allerlei Zeug, Wäscheständer, Staubsauger, Putzmittel und Werkzeugkasten, na ja, all die Dinge eben, die ein Autor so täglich braucht. Ich kuck da nich mehr sonderlich rein, das sind eher so mechanische Griffe. Vor kurzem aber hielt ich mit der Flasche Weißer Propper einmal inne und sah zur Decke des schmalen Kämmerleins hinauf. Ich hatte es fast verdrängt. Dort, wo sicher der Swiffer und der Abflusspömpel Gute Nacht sagen, lagerte ja seit Jahren noch etwas anderes. Ein Relikt aus ferner Zeit. Brav aufgereiht in selbst gezimmerten Baumarktregalen, zweireihig, exakte Beschriftung, heraus gebrochene Überspielschutzklappe – die VHS-Kassette.

Eternal Fear of the paranoid mind
Script Development Spezial: Ungeschützter Plotverkehr

Ein Drehbuchautor muss komplexe Gefühle beherrschen, das ist wichtig, um seinen Figuren den nötigen Blub zu geben. So mancher Autor könnte perfekte Thriller schreiben, wenn er eine seiner größten Ängste in seine Figuren pressen würde: Die Paranoia vorm bösen Ideenklau. Eigentlich dachte ich, dieses Relikt der Paranoia wäre längst Geschichte, aus Zeiten stammend, in der die Leute noch gefaxt oder Telegramme verschickt haben. Die Möglichkeiten des Internets hat Filmemacher doch eher beflügelt, ihre Stoffe progressiv zu bewerben. So ist es ja auch, im Großen und Ganzen. Aber auch in Zeiten von Script Development 2.0 erlebt man durchaus noch die ein oder andere urbane Legende.

Ein Teller Milchreis mit Tim Burton

Anlässlich des bevorstehenden Jubiläums der Völkerschlacht bei Leipzig traf Autor und Dramaturg Christian Hempel Regisseur Tim Burton zu einem lange vorher ausgehandelten Spontaninterview und beide sprachen über Drehbuchfiguren, Kringel, Helena Bonham Carter und die Verwendung von Blaubeerwackelpudding im Spezialeffekt-Bereich.

Zucker im Arsch

Die folgende Kolumne ist ein noch persönlicheres Anliegen als sonst.

Was müssen wir alles ertragen, wir Dramaturgen und Stoffentwickler. Nicht in Drehbuch-besprechungen, in Seminaren oder Pitchingveranstaltungen, sondern im ganz normalen Alltag. Es sind die ewig gleichen Diskussionen unter Bekannten und Freunden, unter Filmliebhabern, dürfte man meinen. Pustekuchen! Ich kann nicht mehr! Meine Kraft neigt sich dem Ende. Ich antworte schon gar nicht mehr. Muss ich auch nicht, ich hacke meinen Groll einfach hier rein. Platz is genug!

Die kommenden Jahre

Im Smalltalk unter Filmliebhabern hält sich wacker die These: Der deutsche Genrefilm ist tot. Er hat keine Identität, ist Nicht-existent, ein Witz! Was dann meist folgt, ist die rotierende Argumentationskeule mit Schlagwörtern wie Komödienstadl oder deutsche Vergangenheit, und sollte das nicht reichen, ist ein Schuldiger schnell gefunden: Til Schweiger muss verantwortlich sein. Nun ist der Verbalauswurf, der deutsche Genrefilm sei tot, ungefähr so objektiv wie die tägliche Hetze gegen unkreative Remakes oder das Jammern über die angeblichen Selbstbeweihräucherungs-praktiken dieses ach so doofen Hollywoods. Damit das nicht so auffällt, relativiert man die Wutrede gegen deutsche Genreproduktionen am Ende gern mit: „…es gibt Ausnahmen!“ Sammeln wir mal ein paar Ausnahmen der letzten Jahre und schauen, was die mit dem Problemfall deutscher Genrefilm zu tun haben.

Die glorreichen Siebenvonzehn

Ob TÜV-Stempel, das Siegel Geprüfte Sicherheit oder die Ergebnisse von Stiftung Warentest – so manche Prädikatisierung ist ein Segen für Hersteller und Kunde. Oft und gerne werden Siegel, Label, Zertifikate oder Prämierungen auf Pappschachteln und Eingeschweißtes geklatscht, um objektiv auf die unbestreitbaren Qualitäten der jeweiligen Produkte aufmerksam zu machen. Natürlich auch beim Film. Die deutsche Film- und Medienbewertung mit Sitz in Wiesbaden vergibt beispielsweise seit 1951 ihre Gütesiegel WERTVOLL und BESONDERS WERTVOLL an ausgewählte Filmproduktionen, von 21 GRAMM bis RAMBO 3 wurden bislang ca. 26000 Filme damit bewertet.

Hemingway hat sich gefälligst auch bei mir zu entschuldigen!

In einer Melange aus Bier, Kaffee, Bolognesesoße und Nussbeißer wache ich auf. Ich fühle mich durchgewalkt, ausgezutscht. Das, was die alle sagen, stimmt: Die Oscars saugen! Und zwar Lebensenergie! Dabei ging alles so witzig los, Sonntag früh, nach dem Aufstehen. Zur Einstimmung noch was Lustiges schauen: LIEBE von Michael Haneke. Kurze Pause für Antidepressiva einlegen und dann vorschlafen. Der Abend naht, mit ihm die 85. Academy Awards Verleihung. Bevor es losgeht, muss man allerdings durch eine Art Sumpf waten. Das allerschlimmste dabei ist, eine Stunde auf Steven Gätjens Hinterkopf starren zu müssen, während der Warane kuckt. Doch nach 42 Werbeunterbrechungen ist auch das vorbei.

Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de