Die glorreichen Siebenvonzehn
Ob TÜV-Stempel, das Siegel Geprüfte Sicherheit oder die Ergebnisse von Stiftung Warentest – so manche Prädikatisierung ist ein Segen für Hersteller und Kunde. Oft und gerne werden Siegel, Label, Zertifikate oder Prämierungen auf Pappschachteln und Eingeschweißtes geklatscht, um objektiv auf die unbestreitbaren Qualitäten der jeweiligen Produkte aufmerksam zu machen. Natürlich auch beim Film. Die deutsche Film- und Medienbewertung mit Sitz in Wiesbaden vergibt beispielsweise seit 1951 ihre Gütesiegel WERTVOLL und BESONDERS WERTVOLL an ausgewählte Filmproduktionen, von 21 GRAMM bis RAMBO 3 wurden bislang ca. 26000 Filme damit bewertet.
Qualitätssiegel per Schlagwort, so werben auch Produzenten und Verleiher, in Trailern und auf Plakaten wird dezent darauf hingewiesen, dass der Streifen HILARIOUS, GORGEOUS oder mindestens FUNNY ist. Die Schlagwortmafia hat das direkt von den Filmfans gelernt. In meiner Kindheit haben wir uns auch lediglich Schlagwörter um die Ohren gehauen, als wir im Kino KAMPF DER TITANEN oder DIE UNENDLICHE GESCHICHTE gesehen haben.
Unsere verbalen Prädikate waren: „KRASS“, „SAUSTARK“ oder „ÜBELST GUT“. Ich dachte immer, je älter man wird, desto feinfasriger stempelt man dann auch. Aber Pustekuchen, bei den meisten Diskussionen um Filme wird auch heute noch Stakkato gesiegelt.
Es ist entweder eine Genreperle oder Müll, besser Sondermüll, Sonderklasse, Spitzenklasse. Es wird unterschieden zwischen Schrott und Hochglanzschrott, Meisterwerk und Rohrkrepierer, Gülle und Geilomat. Doch bald, so orakle ich mal ins Dunstige, werden all diese mündlichen Euphemismen und Kakophemismen durch etwas Besseres, Fassbareres ersetzt werden. Ich habe es erlebt! Kürzlich schwang sich jemand vor meinen Augen zu einer Verbalattacke gegen DJANGO UNCHAINED auf, redete sich über die Mängel an Tarantinos Spagettiwestern in eine Art Rage und presste ganz zum Schluss mit hochrotem Kopf gerade noch so ein objektives Gütesiegel an seine Schmährede:
Malen nach Zahlen in Filmreviews
Dabei ist diese Skalenprädikatisierung, wie ich es mal nennen will, eigentlich schon ein alter Hut. Als ich Anfang der Neunziger Jahre die Zeitschrift CINEMA las, wurden Filmkritiken bereits mit Prozentwertungen in Zwanzigerschritten von Null bis Einhundert verschubladet. Später wurden Prozente durch Daumen ersetzt, was an der Abstufung aber nichts änderte. In Zeiten von Onlinekritiken, Reviews und IMDb-Scores erlebt die Zahlenmalerei nun schon seit ein paar Jahren eine neue Blüte.
Neben Schulnoten ist vor allem das Zehnersystem beliebt. Ich mag es ja auch, irgendwie. Ich finde Wertungssysteme gut, verwende sie aber in eigenen Reviews nicht mehr. Denn Wertungssysteme haben einen Haken. Um sie verstehen zu können, müsste jeder Kritiker eine umfassende Legende, einen Abstufungsplan, eine Fahrschulprüfschablone beilegen. Kennt man diese Matrix nicht, nützt einem selbst die schönste ZEHNVONZEHN lediglich einen feuchten Kehricht.
Ich selbst lese Reviews auf ofdb.de und habe dort sogar einen Lieblingsreviewer, mit dem ich im Großen und Ganzen auf einer Wellenlänge schwimme (Liebe Grüße, Maichklang!). Nur dass ich generell 1 bis 2 Punkte drüber liege. Das Problem liegt nämlich nicht nur an der Unmöglichkeit, zu Filmen allumfassend objektive Maßkriterien anzulegen, sondern viel mehr daran, dass jeder die Zahlen Null bis Zehn inhaltlich anders auslegt.
Die Rechnung ohne den Wirt
Versuch wir uns der Materie mathematisch zu nähern. Wenn man Filme in Zehnerschritten bewertet, kann man den einzelnen Zahlen bereits am Anfang ganz leicht logische Positionen zuordnen. Eine NULLVONZEHN ist demnach gar kein Film, sondern irgendwas in Richtung Thema verfehlt – 6! Setzen! Eine Filmwertung 0/10 kann in meinen Augen nur vergeben werden, wenn der Filmemacher zufällig vergessen hat, das Ende der Geschichte zu erzählen. In den meisten Fällen wird aber von einer NULLVONZEHN lediglich aus dem Grund gebrauch gemacht, um einen adäquaten Ausdruck der Unzufriedenheit in den Äther zu posaunen. Doch später dazu mehr.
Wenn die Null also gar kein Film ist, was ist dann die Zehn? Nehmen wir erstmal die goldene Mitte ins Visier – die FÜNFVONZEHN. Die Fünf stellt nach Adam Riese die Hälfte der Zehn dar, in der Formulierung will ich mich nicht festlegen. Man könnte aber sagen, eine FÜNFVONZEHN ist der Durchschnitt, Mittelmaß. Wie aber definiert man Mittelmaß? Der Film ist erstmal vorhanden, das is schon mal gut. Er ist routiniert gefilmt, weder schlecht, aber auch nicht besonders gut.
Mittelprächtig eben, das Pedant aus meiner Kindheit wäre gewesen: „SO LALA!“ Eine 5/10 oder 6/10 sieht man aber schnell als Totalverriss an. Wenn eine FÜNFVONZEHN aber Durchschnitt ist, kann man eine SECHSVONZEHN getrost als überdurchschnittlich bezeichnen, nämlich über dem Durchschnitt. Der Film ist gegenüber der 5 also schon von etwas besserer Machart, vielleicht technisch sauber, ganz gut besetzt, vielleicht zäh, aber nicht sterbenslangweilig.
Siebenvonzehn
Die Titelgebende SIEBENVONZEHN würde dann einen guten Film charakterisieren, der in seiner Art nichts falsch macht, aber auch nicht übermäßig originell ist. Die ACHTVONZEHN stellt dagegen bereits eine gedankliche Hochsprunglatte dar. Ein Film, der 8/10 Punkte einfährt, muss in irgendeinem Punkt, sei es Technik, Story, Dramaturgie, Thematik oder Stil, originell sein. Ist das bereits eine fahrige Aussage, macht es einem die NEUNVONZEHN noch schwerer. Ist das nun besser als 8 oder eine Abwertung der 10?
Kann dann eine ZEHNVONZEHN noch ein Meisterwerk mit Makeln sein? Viele definieren die 10/10 als faktisch nicht erreichbar oder für absolute, zeitlose Meisterwerke reserviert. Eine 10/10 könnte aber lediglich ein rundum gelungener Film sein, bei dem es kaum einer Verbesserung bedarf. Es ist diese Definitionsfrage, die so ein Wertungssystem dadurch praktisch nutzlos macht.
Denn jeder definiert die Zahlen 0-10 anders. So ist eine Zahlenwertung im Prinzip immer richtig, auf den bezogen, der diese Wertung vergeben hat und faktisch immer falsch für jemanden, der die Skala anders auslegt. Die größte Schwachstelle dieses Systems aber ist, dass man Filme, wenn überhaupt, nur innerhalb eines Genres vergleichen und bewerten kann. Es ist das alte Spiel von Äpfeln und Birnen. Bewertet man L.A.CRASH mit einer 8/10 sowie JOHN CARPENTERS HALLOWEEN mit 10/10, ist Stunk vorprogrammiert.
Unrecht muss man deswegen trotzdem nicht haben, denn für einen Slasherfilm ist HALLOWEEN so ziemlich perfekt, gilt sogar als Begründer dieses Subgenres, während dessen L.A.CRASH zweifelsohne ein toller Film ist, aber in meinen Augen mit einigen dramaturgischen Schwächen und viel Luft nach oben. Jeder anderweitige Vergleich wäre unnütz.
Zudem fließt bei einer Zahlenwertung selten der Aspekt der Erwartungshaltung mit ein, also ob ein Film überrascht oder enttäuscht hat. So würde ich, wenn ich müsste, FRIGHT NIGHT (das Remake) sowohl DJANGO UNCHAINDED mit 8/10 bewerten, nur hat mich FRIGHT NIGHT entgegen meiner Erwartung positiv überrascht, während DJANGO vom erwarteten Meisterwerkthron auf eine „nur“ 8/10 heruntergepurzelt ist. Die gleiche Zahlenwertung steht hier für zwei völlig unterschiedliche Betrachtungsweisen.
Dazu kommt die Irrationalität im Detail. Für mich ist KRIEG DER STERNE von 1977 ganz klar einer DER Meilensteine des Kinos, in Sachen Story, Dramaturgie, Figuren, Ausstattung, Musik, Effekte, einfach allem, grandios – 10/10, nimm hin! Was aber ist dann DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK, der in allen Belangen da noch eine Schippe drauflegt? Ne 12/10? Oder muss man dann KRIEG DER STERNE plötzlich abwerten, nur damit man die Verhältnismäßigkeiten seiner Skala aufrecht erhält?
Keine Ahnung von Filmen
Liest man sich wahllos eine Filmreview durch, stellt sich zudem die Frage: Kann man dieser Meinung überhaupt trauen? Ich merke selbst, dass man an vielen Filmen Gefallen finden kann, wenn man nicht bewerten muss. Ich zucke dann mit den Schultern, sage so was wie: „Nuja, mein Gott!“ und nehme ZORN DER TITANEN aus dem Player. Nur ändern sich die Dinge, sobald man seine Meinung im Internet kundtut und diese mit einer Zahlenwertung schließt. Warum ist das so?
Nun, ich denke, Enthusiasmus wird im Internet meist bestraft, Kritik eher gefeiert oder zelebriert (Schlagwort: Shitstorm). Wenn man aber, wie ich, in Hingabe jeden noch so großen Schrott anschaut und daran auch noch Spaß hat, erntet man gelegentlich Spott und Häme, setzt sich dem Vorwurf aus, unkritisch zu sein oder bekommt zu hören: „Du hast ja keine Ahnung von Filmen!“ Aus diesem Grund gibt es nicht wenige Reviewer, die sich gar nicht trauen, eine 10/10 zu vergeben.
Andere hingegen fühlen sich erst dann befriedigt, wenn sie aus pseudointellektuellen Gründen den letzten Spielbergfilm mit 2/10 abwatschen, um der Außenwelt zu zeigen, was für ein geiler Kunstkennerhecht man doch ist. All das machen Zahlenwertungen zu einer höchst undurchsichtigen Angelegenheit.
Trotzdem sage ich JA zu Zahlenwertungen, auch wenn ich mutmaße, dass in ein paar Jahren anstelle von PRÄDIKAT: WERTVOLL das neue Wort SIEBENVONZEHN auf Filmplakaten und Blu-ray-Hüllen prangt. Heute benutzt man die Zahlenwertung ja als Ergänzung einer verfassten Kritik. Die eigene Vorstellung über die Aussagekraft einer Zahl spiegelt sich dann auch in der Kritik wieder und wenn man für sich eine funktionierendes Abstufungssystem gefunden hat und danach Einzelteile des Films bewertet, ist das zwar immer noch nicht objektiv, aber zumindest nachvollziehbarer und logischer. Ich finde, der Hang zu Zahlenwertungen und die Diskussion über deren Objektivität haben Filmkritiken oder Reviews im Allgemeinen verbessert und differenzierter gemacht.
Es existiert mehr zwischen den Polen Vollschrott und Meisterwerk, im Fall von Zahlenwertungen wenigstens schon mal zehn Abstufungen. Aber jedem sollte auch klar sein, dass ein Film eben mehr als die Summe seiner Teile ist und eine Zahl vielleicht dramaturgischen Aufbau und Struktur, technische Akkuratesse und Stilsicherheit ausdrücken kann, aber niemals Sympathie, Emotionsbindung oder Nostalgie. Aber gewiefte Werbefachmänner kriegen das bestimmt auch noch unter den Zahlenhut und dann heißt es halt irgendwann: SIEBENVONZEHN MIT STERNCHEN oder VIERVONZEHN ABERERHATSICHBEMÜHT!
[…] gibt´s nich (siehe hier). Trotzdem: Der (fast) perfekte Partyfilm. Gnadenlos trashig inszeniert, eklig und total zum […]
[…] überprüfen, was der Erwartungshaltung gerecht wurde und was nicht. Wie ich schon mal in Sachen Filmreviews angemerkt habe, interessanter als die Differenzierung zwischen mutmaßlich guten oder beschissenen […]