Das eierlegende Wollmilchscript
Script Development XV: Die Zielgruppe

So, die Horrorwochen sind vorbei, ab jetzt keine Horrorfilme mehr kucken, das is voll Oktober, Leute! Wie aber nun weitermachen? An Halloween war ich auf einer Kostümparty, als Joker, und da traf ich doch tatsächlich auch eine Harley Quinn, die sich mit mir fotografieren lassen wollte. Als wir uns da so ablichten ließen, fiel es mir wie Lüsterklemmen vom Baumarkttransporter: wir sind üble Opfer an Comicnerds, umzingelt von Horrorfans, in einer Discothek für Liebhaber alternativen Musikgeschmacks. Zielgruppen wohin das Auge und Ohr reicht. Zielgruppen beim Film, welch schönes Thema! Was war wohl eher da, Ei oder Eigelb? Film oder Zielgruppe? Ist über dieses Thema schon alles gesagt worden oder gibt es im Jahre 2015 nach Christus noch neue Erkenntnisse?

 

Zielen will gelernt sein

 

Wie funktioniert das mit der Zielgruppe, wen betrifft es im Herstellungsprozess eines audiovisuellen Produktes? Denn Zielgruppenanalysen kennt man vorrangig aus dem Marketingbereich. Dort heißt es, Zielgruppen sind bestimmte Mengen an Marktteilnehmern, die auf bestimmte Aspekte der Werbekommunikation homogener anspringen als der Rest. Man spricht vom Finden, Analysieren und Bedienen einer bestimmten Zielgruppe, bezogen auf ein bestimmtes Produkt. Nun heißt unser Produkt Film und an dessen Entstehung sind eine Menge Urheber beteiligt. Wer kümmert sich nun um die Belange der Zielgruppe?

 

Ist es der Autor, der einen Film schreibt und deshalb die Zielgruppe kennen muss, für die er etwas schafft? Oder der Regisseur, der das dann umsetzt, so, wie er es für die Zielgruppe als richtig erörtert? Oder am Ende gar der Produzent, der dieses oder jenes Produkt an Film oder Serie nur noch an die richtige Zielgruppe vermitteln muss? Ist das Produkt Film deshalb etwas komplizierter als beispielsweise die Weinbrandbohne? Fragen über Fragen!

 

 

 

 

Früher war wie immer alles einfacher. Das Material war flach und ein Film dauerte neunzig Minuten, so eine alte Filmemacherweisheit. Filme liefen im Kino, man las davon im Glasschaukasten und man sah sich einfach alles an, weil´s nix anderes gab. Natürlich wurde Werbung gemacht, Plakate, Trailer, doch alles fand sozusagen im geschlossenen System Kino statt. Dort, wo sich Menschen zusammenfinden, um Filme zu schauen, konnte man gut für Filme werben. Die Zielgruppe für Filme waren Kinogänger. Doch der Film begann sich zu verschachteln, Genres entstanden und zersplitterten sich zu Subgenres. Filme wurden altersspezifischer, variierten im Thema und der Stilistik. Manche fanden mehr Anhänger, manche weniger. Für das Kino bedeutete das, dass es nicht mehr nur die eine Zielgruppe an Filmfans gab, sondern Untergruppen, die man direkter ansprechen musste.

 

Vieles davon war auch dem Zeitgeist verschuldet, Erfolge zogen Erfolge nach sich, Genres standen in Blüte und vergingen wieder. Und der Film wurde mehr und mehr Produkt, auch über das Kino hinaus. Über das Videozeitalter, Laserdisc, Kaufkassetten, DVD, Blu-ray bis zur Digitalisierung und Onlinegeschäft liegt uns heute der Berg an filmischer Geschichte praktisch vor den Füßen und es reicht nicht mehr aus, ihn lediglich an Filmfans weiterzuvermitteln. Mit dieser Entwicklung expandierten auch die Zielgruppen, dass man heute fast von Zielgruppengranulat sprechen möchte. Was kompliziert klingt, war eigentlich eine Vereinfachung, denn je enger die Zielgruppe, desto einfacher schien es, auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Doch noch heute ist das Suchen, Finden und Bedienen einer Zielgruppe eine Herausforderung erster Kajüte.

 

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Zielgruppenbelange definieren sich aus verschiedenen Faktoren. Zudem sind diese Faktoren auch noch wankelmütig oder ein Klischee. Zielgruppen unterteilt man nach Alter, nach Geschlecht, nach Status und Wohnort, Beruf, Bildungsstand, Gehalt, Motivation, speziell beim Film darüber hinaus nach Genres, Thema und Stilistik.

 

Neu hinzugekommen und von immenser Wichtigkeit sind soziale Faktoren wie Netzwerkbindungen und Rudelbildung von Nerds und Geeks.

 

 

Diese einzelnen Faktoren können eine Zielgruppe allein nicht beschreiben, sie treten zumeist in Abhängigkeit zueinander auf und sind total verknotet miteinander. Sie zu interpretieren ist Aufgabe einer Marktanalyse, Auswertungen von Besucherzahlen und statistischer Erhebungen und das teilweise über Jahre hinweg. Sollten dann neue Trends auftreten, kommt man mit dem analysieren manchmal gar nicht hinterher, denn Ziel ist es ja, als Filmhersteller auf die Bedürfnisse dieser oder jener Zielgruppe einzugehen.

 

 

Freigabe-Pimping

 

Beginnen wir mal mit dem Faktor Alter. Für den Film sind Altersgruppen nicht uninteressant und deshalb wird beim Thema Zielgruppe auch häufig mit dem Alter der Konsumenten argumentiert. Zwar lässt sich bei einer sehr kleinen, engen Zielgruppe deren Bedürfnisse leichter ermitteln und bedienen, doch ist das Ziel eines jeden Filmemachers der Erfolg und der lässt sich nur über eine möglichst große Zielgruppe erreichen. Die berühmte Zielgruppe 14 – 49 Jahre, die sogenannte werberelevante Zielgruppe, definiert sich eigentlich als Zuschauergruppe für die Werbepreisgestaltung eines Senders, nicht auf das Programm bezogen. Aber jene Zielgruppe ist dementsprechend auch werbeaffin, wenn es um die Vermarktung von Filmen geht. Doch lassen wir das mal außen vor und nähern uns Altersspezifikationen mal von einer anderen Seite.

 

Im Kino scheint es ein allgemein verständliches Gesetz zu sein, je jünger die Altersfreigabe, desto größer die Zielgruppe. Wenn nötig, muss sogar der Gesetzgeber nachhelfen. Seit dem neuen Jugendschutzgesetz ab dem Jahr 2003 ist es möglich, als 6jähriger in einen Film freigegeben ab 12 Jahren zu gelangen, so ein Erziehungsberechtigter in Begleitung ist. Das kam das erste Mal bei HARRY POTTER UND DER GEFANGENE DER ASKABAN zum Einsatz, manche vermuten sogar ein Geheimabkommen zwischen der Bundesregierung und Warner Bros..

 

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Ein Film ohne Altersbeschränkung kann theoretisch nun mal ein größeres Kinopublikum generieren als ein Film ab 18 Jahren. In den Staaten gilt die höchste Freigabe NC-17 nicht selten als Kassengift. Im Heimkinomarkt ist das genau umgekehrt, eine höhere Freigabe macht einen Film für den Videothekengänger attraktiver. Was diese allgemeine Aussage eigentlich unhaltbar macht ist, dass weitere Zielgruppenfaktoren hinzukommen, denn die bloße Altersfreigabe ist es nicht, auch das Genre ist hierfür entscheidend, denn Horrorfilme freigegeben ab 6 Jahren sind rar und genauso selten mit Erfolg beschieden. Im Heimkinobereich sind die Genres Action und Horror mit höheren Altersfreigaben erfolgreich, weil die Zielgruppe dort größere Schauwerte erwartet. Nicht selten werden Freigaben sogar nach oben gepimpt, ein Horrorfilm, freigegeben ab 16 Jahren wird auf DVD oder Blu-ray mit Trailern ohne Jugendfreigabe bestückt und als ab 18 in die Regale gestellt. Die rote Plakette hat in dem Fall einen höheren Magnetismus.

 

Doch im Herstellungsprozess eines Filmes beginnt man wohl selten mit der Überlegung der Altersfreigaben. Hier ist das Genre wesentlich entscheidender und die Alterszielgruppe eher ein Resultat. Produziert man einen Horrorfilm, will man damit nicht 6-12jährige ansprechen. Doch in der Praxis kann sowas schon mal vorkommen, Horrorfilme ohne Schauwerte, ohne fachgerechte Genrekenntnisse und dem Bestreben, der Zielgruppe das zu geben, wonach sie dürstet. In dem Fall geht ein solches Produkt aalglatt an der Zielgruppe vorbei. Das betrifft auch Actionfilme ohne Action, Dramas ohne Dramatik oder Fantasyfilme ohne Phantasie. Hinzu kommt, dass neben dem Genre auch inhaltliche Aspekte wie Story und Figuren verschiedene Altersgruppen unterschiedlich ansprechen.

 

 

Wenn ich groß bin…

 

Schon immer wollte man als junger Bub das sehen, was dem eigenen Alter nicht unbedingt entsprach. Ich meine damit weniger, dass man sich an der Kinokasse in BLADE geschmuggelt hat, obwohl man erst 15 war. Figuren in Filmen geben oft vor, für welche Alterszielgruppen sie attraktiv sind oder nicht. Junge Figuren sprechen ein junges, ältere ein älteres Publikum an. Das ist aber gar nicht so linear wie man meint. Actionhelden der Achtziger Jahre, die waren vor allem für junge Knaben interessant, sie waren Projektionsfläche für Phantasien. Nicht ausschließlich, auch gleichaltrige Protagonisten konnten binden, mehr aber taten es BATMAN, Schwarzenegger, Stallone oder Willis. Ein junges Publikum liebt ältere Helden, denn es entfacht die Sehnsucht nach der Zukunft. Es bedarf aber auch eines gewissen Alters, um solche Dinge nachvollziehen zu können.

 

Der Coming-of-Age Film als Genre hingegen ist nämlich für die gleichaltrige Zielgruppe völlig uninteressant, obwohl man meinen könnte, es wäre genau das Richtige. Aber der Interpretation solcher Stoffe kann man sich wohl erst hingeben, wenn man dem Alter der Protagonisten entwachsen ist, in der Retrospektive sozusagen. Ich kenne keine 14jährigen, die auf SUBMARINE oder THE WAY WAY BACK abfahren. Ein Zwiespalt, der allerdings in den letzten Jahren durch einen Kniff übertölpelt wurde. Denn Coming-of-Age-Strukturen können sehr wohl Massen in die Kinos bewegen, wenn sie auf einer anderen Ebene gespiegelt werden, im Phantastischen, wie in den HUNGER GAMES Filmen oder auch in Harry Potter. Doch auch da gibt es Widersprüche.

 

Helden und Zielgruppen werden gemeinsam alt: HARRY POTTER

Der am wenigsten erfolgreiche Harry Potter Film ist HARRY POTTER UND DER GEFANGENE DER ASKABAN, Teil 3 der Filmreihe. Waren in den ersten beiden Filmen noch wesentlich mehr märchenhafte Züge vorhanden, die Protagonisten noch Kinder, verschob sich das ab Teil 3 in eine erwachsenere Richtung, denn Figuren und Zuschauer wurden älter. Doch mit zunehmendem Alter verschieben sich beim Zuschauer häufig auch die Projektionsflächen.

 

 

Dem Film selbst ist nicht einmal ein Vorwurf zu machen, der dritte Harry Potter macht eigentlich genau das richtig, was andere Filme falsch machen, er nimmt seine Zielgruppe ernst, weiß um dessen Weiterentwicklung und geht in der Figurenentwicklung mit dem Zuschauer. Doch nicht selten scheitert es daran, dass sich jener Zuschauer nicht damit befassen will, was er selbst im realen Leben zu durchleiden hat. Mich würde interessieren, ob der Besucherschwund von HARRY POTTER UND DER GEFANGENE DER ASKABAN (der immer noch sehr erfolgreich war, keine Frage) auf den Verlust von jungen männlichen Zuschauern zurückzuführen ist. Denn damit wären wir bei einem weiteren wichtigen Faktor der Zielgruppenanalyse.

 

 

Sex and the Furious

 

Zielgruppentechnisch scheint das Geschlecht ein leicht zu bestimmender Faktor zu sein, denn es gibt im besten Fall nur zwei. Im Geschlecht schlummern aber auch heute noch große Missverständnisse, was Zielgruppenarbeit betrifft. Filme für Kerle, Frauenfilme, so einfach ist das heute nicht mehr. Denn Frauen schauen mitnichten nur Frauenfilme oder die GILMORE GIRLS. So sind gute Frauenfilme in erster Linie gute Männerfilme, Actionfilme, Autos, BOND, GAME OF THRONES, oft wird missverstanden, was Frauen wirklich sehen wollen und warum. Der Mann mag als Zielgruppe leichter zu ködern sein. Aber das Geschlecht spielt in der Zielgruppenfindung eher eine untergeordnete Rolle.

 

Das eher seltene Klischee: FAST AND THE FURIOUS als reiner Männerfilm und SEX AND THE CITY als purer Frauentraum

Dabei glaube ich gar nicht, dass es mit der zunehmenden Genderdebatte in den letzten Jahren zu tun hat. Wenn man keine Matchboxautos oder Barbies hatte, haben Kinder alle das gleiche gespielt. Stereotype Geschlechterrollen sind auch ein Produkt einer Gesellschaft. Ich will mich psychologisch nicht auf zu dünnes Eis bewegen, dafür habe ich dann doch nicht so die Ahnung, aber mir drängt sich die Frage auf, ob stereotype Bilder von Männern und Frauen im Kino und Fernsehen das nicht unterstützt haben. Gibt es wirklich solche Figuren wie in SEX AND THE CITY oder gibt es sie erst, weil es SEX AND THE CITY gibt?

 

Schwierig, schwierig. Trauen sich Frauen heute zu sagen, dass sie gern Actionfilme mit stinkenden Feinrippunterhemdenträgern mögen, ohne von ihren Freundinnen schief angekuckt zu werden. Ich weiß, das klingt alles sexistisch, aber ich meine das gar nicht so. Vielleicht ist wirklich der Film selbst daran Schuld, weil dort immer wieder durchgekaut wurde, dass Männer mit der Stirn runzeln, wenn Frauen Liebesschnulzen im Kino raussuchen und Frauen nicht verstehen, warum Mann Actionfilme schaut.

 

Horrorfilme zum Beispiel haben zweifelsohne eine jüngere Zielgruppe und ebenso einen hohen Frauenanteil. Das spiegelt sich auch inhaltlich, in den letzten Jahren gibt es im Horrorfilm wesentlich mehr weibliche Protagonisten, die kämpfen und sich wehren können. Männer hingegen holt oft der fiese Schlitzstrolch, noch bevor sie “Moped” sagen können. Wirkliche Männerdomänen an Genres sind rar, Science-Fiction gehört dazu, der Actionfilm, aber auch da ist beispielsweise Bond nicht mehr der Macho, der er in den sechziger Jahren war. Heute hört man vor allem “Whhhaaa, Daniel Craig!” schreien in den Frisörläden. Ich glaube, ich verzettel mich, gehen wir über zum nächsten Punkt.

 

 

Im falschen Film

 

Neben Genre, Alter und Geschlecht gibt es viele weitere Faktoren, die die Zielgruppe definieren. Da wäre zum Beispiel das Thema. Filme über das Einlegen saurer Gurken ziehen weit weniger Zuschauer an als beispielsweise der Untergang der Titanic. TITANIC war aber nicht nur deshalb so erfolgreich, weil es ein bekanntes historisches Ereignis schilderte, welches Jung und Alt wie Mann und Frau vertraut war. TITANIC bezog seine große Zielgruppe aus der Vermischung mehrerer Genres: Katastrophenfilm, Liebesschnulze, Action und Drama, hier war alles so breit wie der Rumpf des Ozeanriesen. Als Geheimrezept muss das nicht immer funktionieren, nach genau diesem Schema wurde auch PEARL HARBOR von Michael Bay gestrickt, doch war der Film zwar erfolgreich, nur weit von den Zahlen von TITANIC entfernt, was wieder andere Gründe hatte, länderspezifische. Ein amerikanisches Trauma wie das von Pearl Harbor ist eben nicht so global verständlich wie die Katastrophe im Jahr 1912.

 

 

Das Thema eines Films ist auch mit verschiedenen Altersgruppen verknüpft. Der Film PIXELS beispielsweise erzählt von der Invasion klassischer Videospielmonster. Der Film zielt in seiner Machart auf ein recht junges Publikum ab, welches mit den klassischen Figuren aber womöglich nicht viel anfangen kann.

 

Älteren Semester, die noch selbst PACMAN oder SPACE INVADERS gespielt haben, dürfte der Film hingegen zu kindisch und hibbelig sein, zumal er mit Schauspielern besetzt ist, die wieder eine ganz andere Zielgruppe bedienen (Adam Sandler, Kevin James, Peter Dinklage). Daraus resultierten nicht nur verheerende Kritiken, sondern auch ein relativ unspektakuläres Einspielergebnis, sowohl in den Staaten als auch in Deutschland. Ein Beispiel, wie in Sachen Zielgruppen auch wirklich alles schief gehen kann.

 

Noch bevor der Film DIE PASSION CHRISTI in den Kinos anlief, mutmaßte man ihn als womöglich erfolgreichsten Film aller Zeiten, weil die vermeintliche Zielgruppe gläubiger Christen das versprach. DIE PASSION CHRISTI war ein Welterfolg, zog aber keine 2,2 Milliarden Christen in die Kinos.

 

 

 

Von Darren Aronofkis NOAH versprach man sich ein monumentales Bibelepos, der Film bediente aber eine ganz andere Zielgruppe, jene, die Fantasyfilme mögen. Das hat beide Zielgruppen gleichermaßen verschreckt, denn Fans von DIE ZEHN GEBOTE war der Film zu kindisch, Fantasyliebhaber sind ob des biblischen Themas dem Film wohl eher ferngeblieben.

 

 

NOAH verschreckt sowohl Fantasy- als auch Monumentalschinkenfans

 

NOAH ist ein gutes Beispiel, wie ein Film nicht zielgruppengerecht vermarktet werden kann. Denn zielgruppengerechtes Marketing bedient weniger die Faktoren Alter und Geschlecht als Genrespezifikationen.

 

Das liegt daran, dass neben dem Thema (“Wow, ein Film über den Untergang der TITANIC!”) das Genre (“Das soll doch dieser krasse Actionfilm sein!”) die größten Erwartungen bündeln kann. Auch das ist ein Produkt neuerer Zeit, denn durch die Vielfalt an Genres und deren Merkmalen haben sich Erwartungen daran erst profiliert.

Wenn Trailer falsche Erwartungen generieren: MONSTERS (mitnichten ein Horror-Science-Fiction-Film), BIRDMAN (keine Comicverfilmung), BRIDGE TO TERABITHIA (kein NARNIA), SWEENEY TODD (Oh Gott, ein Musical???), HANCOCK (zu ernst für eine Will Smith Komödie), DRIVE (nix mit Action und Autorennen!)

 

Wer in einen Actionfilm geht, der erwartet Krawall und Explosionen, geht man tiefer, erwartet man einen Helden, der kämpft, gegen jede Widrigkeit. Beim Horrorfilm will man sich fürchten, ekeln, mitfiebern mit dem Helden, der dem Tod entgehen will. Bekommt man das nicht geliefert, ist man enttäuscht vom ganzen Film, egal welche anderen Faktoren eventuell positiv waren. CRIMSON PEAK von Guillermo del Toro zum Beispiel verspricht einen Geisterfilm á la DAS GEISTERSCHLOSS, ist aber eigentlich ein Drama mit einem Hauch Grusel auf einer eher metaphysischen Ebene. Hat jetzt der Film sein Genre missachtet und deshalb enttäuscht. Das muss nicht sein, denn das wiederum kann das Ergebnis eines falschen Marketings sein.

 

 

Fans & Fanatiker

 

Möglicherweise stehen Produzenten oder Rechteinhaber da vor einem schwierigen Problem. Man hat einen Film eines renommierten, international bekannten Regisseurs, der inhaltlich und von Genre her schwierig zu vermarkten ist, denn er ist zu erwachsen für die Kids und eventuell zu verspielt für ein klassisches Dramapublikum. Im Marketing setzt man dann vielleicht darauf, ihn als Horrorfilm anzupreisen, denn CRIMSON PEAK hat einen Startplatz im Oktober und durchaus einen unheimlichen Grundton. Da er leider über keinen Mainstreamcast verfügt, richtet man das Marketing darauf aus. Denn Marketing bedeutet auch, Gruppen zu vernachlässigen, die ohnehin den Film sehen möchten – in dem Fall Filmkunstfans, die mit dem Namen Guillermo del Toro vertraut sind. Die sind nämlich recht überschaubar und werden ohnehin reingehen.

 

Schwer zu vermitteln: CRIMSON PEAK von Guillermo del Toro

 

So ist jener Faktor, die Fangemeinde, ein zweischneidiges Laserschwert. Nerds und Geeks, auf die ist Verlass, sie schauen Filme ihres Genres ohnehin, weil sie besser informiert sind im Vorfeld, Namen von Machern und Cast schätzen, die andere nicht mal aussprechen können und auch über große Kaufkraft verfügen. Sammler holen sich oft und gern teure Mediabooks oder Special Editions für die Glasvitrine, sind Vorbesteller, haben Dauerkarten fürs Festival und schauen Filme auch gern im Original. Sie schreiben in Foren und tauschen sich rege in sozialen Netzwerken und Gruppen aus, machen Mundpropaganda. Was fantastisch klingt, hat aber einen Pferdefuß.

 

Denn diese Gruppe ist zwar laut, aber verhältnismäßig klein. Comicverfilmungen wie THE AVENGERS, SPIDERMAN oder THE DARK KNIGHT sind mitnichten so erfolgreich, weil sie Nerdfilme sind. Das betrifft Filme genauso wie Videospiele, würden nur Nerds und Geeks diese Produkte ansehen oder kaufen, dann wären THE AVENGERS oder GTA Vollflops vor dem Herrn.

 

Aber die Gruppe der Hardcorefans darf man nicht missachten, sie hat auch eine große psychologische Wirkung. Denn der Rest der Welt glaubt gern, dass diese Gruppe eine ungeheure Macht besitzt und will nicht selten daran teilhaben. “Schnell Karten kaufen, sonst sind die alle weg wegen diesen Verrückten!”, mutmaße ich jetzt mal. Mundpropaganda wird häufig auch von beinharten Fans initialisiert. Schaut man sich aber die Zahlen in Deutschland 2015 an, liegen ganz andere Filme als die jener Zielgruppe auf den vordersten Plätzen.

 

 

Der Produzent hat seine Schuldigkeit getan

 

Die Top 10 spiegelt sehr gut alle Faktoren der Zielgruppenbildung. FACK JU GÖHTE ist im Komödienland Deutschland unschlagbare Nummer Eins. MINIONS, ALLES STEHT KOPF und SHAUN DAS SCHAF erreichen ein sehr junges Publikum. Frauen, hier scheint das Klischee mal zu passen, rennen in FIFTY SHADES OF GREY und Männer in FAST & FURIOUS 7, nur THE AVENGERS und JURASSIC WORLD scheinen Filme für ein Nerdpublikum zu sein, was sie aber anhand der Zahlen nicht sind und vergleichbare Produkte wie ANT-MAN oder A WORLD BEYOND auf abgeschlagenen Plätzen verweilen.

 

Film für die neue Zielgruppe Youtube-Generation: KARTOFFELSALAT

 

Das Wissen um Zielgruppen ist wertvoll für Filmproduzenten und Rechteinhaber, aber welche Schlüsse kann ein Autor nun daraus ziehen? Die berüchtigte eierlegende Wollmilchsau als Film, der alle Zielgruppen anspricht, ist die pure Fiktion. Wenn er aber wiederum zu spezifisch auf eine kleine Zielgruppe ausgelegt ist, wird ihm auch kein großer Erfolg beschieden sein. Als Autor kann man dann nur eins machen, ehrlich seinen eigenen Emotionen folgen und Filme schreiben, die man auch selbst gern sehen möchte. Denn man ist als Autor nicht außerhalb der Peripherie, man ist bestenfalls Fan, Nerd, Junggeblieben, Altersweise und Mann und Frau gleichzeitig. Bildlich gesprochen.

 

 

 

 

Einzig das Genre ist und bleibt ein Gradmesser, wenn auch nicht für Erfolg. Viele großartige Genrefilme fanden kein Publikum. Aber das Genre ist zumindest ein Angriffspunkt, an dem man ansetzen kann. Das heißt, Genrestrukturen erkennen und verinnerlichen. Und auf ein gutes Marketing hoffen, dass diese auch bei der Zielgruppe ankommen und sie ködern. Sollten alle Stricke reißen, kann man durch geschicktes Tricksen aus TAXI DRIVER via Trailer immer noch eine Liebeskomödie machen.

 

Es scheint, als hätte der Produzent seine Schuldigkeit getan, sobald er das Publikum in den Kinosessel bekommen hat. Dann läge es am Autor, Regisseur und allen anderen Beteiligten einzelner Gewerke, dem Zuschauer das zu geben, was er erwartet und bestenfalls noch mehr. Doch das ist eine Milchmädchenrechnung. Denn Zielgruppenarbeit beginnt schon in den ersten Überlegungen eines Filmvorhabens und ist ein Tau, an dem alle Beteiligten zu ziehen haben.

 

 

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de