Die kommenden Jahre
Im Smalltalk unter Filmliebhabern hält sich wacker die These: Der deutsche Genrefilm ist tot. Er hat keine Identität, ist Nicht-existent, ein Witz! Was dann meist folgt, ist die rotierende Argumentationskeule mit Schlagwörtern wie Komödienstadl oder deutsche Vergangenheit, und sollte das nicht reichen, ist ein Schuldiger schnell gefunden: Til Schweiger muss verantwortlich sein. Nun ist der Verbalauswurf, der deutsche Genrefilm sei tot, ungefähr so objektiv wie die tägliche Hetze gegen unkreative Remakes oder das Jammern über die angeblichen Selbstbeweihräucherungs-praktiken dieses ach so doofen Hollywoods. Damit das nicht so auffällt, relativiert man die Wutrede gegen deutsche Genreproduktionen am Ende gern mit: „…es gibt Ausnahmen!“ Sammeln wir mal ein paar Ausnahmen der letzten Jahre und schauen, was die mit dem Problemfall deutscher Genrefilm zu tun haben.
Die Wurzeln des deutschen Films liegen im Genre. Lang, Murnau, Wiene oder Wegener haben Genrefilme gemacht, das ist unbestritten. Es ist auch löblich, sich an diese Wurzeln zu erinnern, nur helfen sie einem bei der aktuellen Diskussion nicht wirklich weiter. Ebenso wenig der Vergleich mit dem US-Markt. Es heißt, der deutsche Genrefilm hat den Anschluss verpasst. Den Anschluss an was? Schaut man sich den Stand von Genreproduktionen in Frankreich, Großbritannien oder Skandinavien an, scheint zumindest eins aufzufallen: Da gibt es Typen wie Alexandre Aja, Xavier Gens, Neill Marshall, Tommy Wirkola oder Ben Wheatley, allesamt Genrefilmemacher, Visionäre und vor allem eins: Filmfreaks. Gibt es vielleicht zu wenig Filmfreaks in Deutschland, die gleichzeitig Autoren oder Regisseure sind?
Tarantino ist nur ein Kind seiner Kulturgeneration
Ich las kürzlich: „Einen deutschen Tarantino wird es so schnell nicht geben!“ Das ist eine vollkommen richtige Aussage, wenn man sich mit Tarantinos Biografie beschäftigt hat. Denn Tarantino ist „nur“ ein Kind seiner Kulturgeneration, sein Output geprägt durch die Kultur seines Landes, nicht nur dessen Filmgeschichte. Die meisten aber verbinden Tarantino mit seiner Stilistik, den Umgang mit Gewalt oder bestimmte Markenzeichen und sind enttäuscht, wenn deutsche Filmemacher diese Attitüden mal besser (BANG BOOM BANG) und mal schlechter (DER EISBÄR) variieren. Denn das ist meist gemeint, wenn man sagt, es gibt keinen deutschen Tarantino. Aber das ist nicht richtig, meiner Meinung nach ist Fassbinder ein deutscher Tarantino seiner Generation gewesen, ein Autorenfilmer, der seine kultur- wie gesellschaftspolitische Weltsicht filmisch komprimiert hat.
Das Tarantino-Argument führt aus dem Grund ins Leere, weil Tarantino eben nicht nur Cineast ist. Man sollte besser fragen, warum es keinen deutschen Aja, keinen deutschen Wirkola oder Wheatley gibt, Filmemacher, die Genrefilme machen, weil sie Genrefilme lieben. Fehlt es der deutschen Filmlandschaft an solchen Freaks? Mag sein. Doch auch wenn es hier in Deutschland solche Typen gäbe, und warum sollten Dennis Gansel oder Peter Thorwarth nicht dazu gehören, löst es meiner Meinung nach das Problem des deutschen Genrefilms nicht. Warum?
Solche Filmemacher-Typem entstehen nicht aus der Retorte, man kann sie nicht heranzüchten wie Drahthaardackel. Sie bilden sich sich eher auf einer Petrischale, wenn man einen guten Agar anlegt. Der Marktanteil französischer Filme an Kinobesuchen liegt in Frankreich bei ca. 40%. Kein Wunder, dass auf diesem Agar putzige Kulturen wie die Neue Französische Härte gedeihen können. Das Problem liegt im Verhältnis. Denn in Frankreich oder Großbritannien gibt es genauso viel Genrefilmschrott wie in Amerika, aus denen dann Produktionen wie HIGH TENSION oder THE DESCENT herausragen. Und genau das ist in Deutschland nicht der Fall. Es wäre zu schön, wenn die kreative Spitze des deutschen Eisbergs Filme wie HELL oder REQUIEM wären. Sie sind es, nur existiert kein Eisberg. Sie treiben einsam wie Strandgut auf hoher See.
Gäbe es eine deutlich größere Masse an Genrefilmproduktionen, wäre die Hürde, die manche Genreproduktion überspringen muss, nicht länger so hoch. Es ist nicht so, dass es in diesem Land keine guten Ideen gibt, keine ambitionierten Filmemacher, die narrativ und technisch internationalen Produktionen das Wasser reichen können. Sie können es, HELL, REQUIEM oder RAMMBOCK sind vorzügliche Genrevertreter, Filme wie TANNÖD, DIE TÜR oder URBAN EXPLORER stehen technisch ausländischen Produktionen in nichts nach. Das Problem sind wie immer Vorurteile und Vorverurteilungen. Eine Bestseller-Verfilmung wie DAS KIND hat keine Chance auf staatliche Förderung mit der Begründung: „Ein deutscher Psychothriller funktioniert nicht“!!! Hallo?!! Auf Seiten des Publikums sieht es aber nicht besser aus. Ein deutscher Genrefilm muss schlecht sein, für viele sind Deutsch und Genre Antonyme. WIR SIND DIE NACHT beispielsweise ist nicht gefloppt, weil er etwa ein schlechter Film ist, sondern weil der Kinobesucher an der Kasse einem deutschen Genrefilm nicht traut.
Genre machen oder Genre zulassen?
So ist es nicht verwunderlich, wenn Filmemachern in diesem Land der Mut für Neues fehlt. Ich als Konsument finde die oben aufgeführten Filme klasse, keine Frage. Aber man muss auch konstatieren, dass aus fehlendem Mut viele dieser Genrestreifen anderen Vertretern und Vorreitern nacheifern. Ich kann bei Leibe nichts Verwerfliches daran feststellen, immerhin redet man in diesem Bezug ja auch von Genrebeitrag, also etwas beitragen. Als Konsument kann ich da Klagen selten verstehen. Wenn ich eigene Geschichten entwickle, als Autor, habe ich aber persönlich kaum ein Interesse daran, einen klassischen Backwoodslasher oder einen geradlinigen Torture Porn zu schreiben. HELL ist beispielsweise ein phantastischer Endzeit-Backwood-Verschnitt. Aber auch nicht mehr. HELL besitzt ein originelles Setting, aber Setting ist nicht Story, und auch die Figuren, so toll sie von Lars Eidinger, Stipe Erceg oder Hannah Herzsprung auch gespielt werden, sind zum Teil Abziehbilder ihrer Inspirationsquellen.
Man kann sich also hinsetzen und einen Survival Thriller schreiben wollen, nach allen Genreregeln der Kunst, einen tollen Genrebeitrag liefern. Das ist super! Doch das ist nicht alles. Man kann sich Genreware auch anders nähern. Ich hatte Geschichten, Plots oder Stories vor mir liegen, bei denen ich verschiedene Möglichkeiten hatte, sie zu erzählen, als Drama, als Thriller oder als Horrorfilm. Ich hab einfach mal vieles ausprobiert. Wenn man viel selbstverständlicher an die Materie heran geht, mit Genrestrukturen spielt, Regeln beachtet oder nicht, sie biegt oder gar zu bricht, kann sogar etwas Neues herauskommen. Ich hab da die Weisheit sicherlich nicht mit ´nem Stohhalm gezutscht und bin mir auch nicht sicher, ob das, was daraus entsteht, Zielgruppenkonform ist. Aber in dieser Art und Weise funktioniert zum Beispiel auch MARTYRS von Pascal Laugier, der die Regeln des Subgenres mikroskopisch genau kennt und trotzdem dagegen verstößt.
Die Kluft zwischen Amateur- und Hochglanzproduktionen
Leider krankt der deutsche Genrefilm meines Erachtens daran, weil er von Null auf Hundert etwas nachholen will, was viele Jahre nur zaghaft unternommen wurde. Der Versuch, DEN Deutschen Genrebeitrag zu liefern, kann so nicht funktionieren. Ich halte HELL für aufwändiger inszeniert als THE DIVIDE. Das ist eine tolle Leistung. Aber zwischen HELL oder DIE KOMMENDEN TAGE und ambitionierten Amateurfilmen wie DEAD PAST klafft eine Lücke. Mehr Filmemacher sollten sich an Genreware versuchen! Der deutsche Genrefilm braucht wie in allen anderen Ländern Beiträge, die einfach aus der Faszination einzelner Subgenre heraus gemacht werden. Er braucht aber auch neue Impulse, und die entstehen wahrscheinlich, wenn man wieder einen Schritt vom Genregerüst zurücktritt. Ich halte deswegen RAMMBOCK für überaus gelungen, weil er eine originäre Story mit Hilfe von Zombie-Endzeit-Genrestrukturen erzählt.
Was der deutsche Genrefilm aber am meisten braucht, ist Akzeptanz, nicht nur unter Produzenten und Entscheidern. Vor allem unter den angeblichen Genreliebhabern, die zwar liberal sein wollen, aber einem SAW 3D – VOLLENDUNG den Vorzug vor WIR SIND DIE NACHT geben. Denn der deutsche Genrefilm ist alles andere als tot, und ich finde, gerade in den letzten zehn Jahren hat sich schon viel verbessert im Umgang mit Genre. Beispielsweise, dass man bei Genrefilm wesentlich breiter denken kann und muss.
Noch immer wird Genre oft mit Horror gleichgesetzt. Aber Filme wie DIE TÜR oder TRANSFER zeigen gerade mal ansatzweise, was Genre ausmacht. Deutschland braucht keinen Genremeilenstein, keinen HIGH TENSION oder MARTYRS, viel mehr einen selbstverständlicheren Umgang mit Genrefilmen. Denn was andere Filmemacher im europäischen Raum verwirklichen können, seien es kleine, aber feine Genrefilme wie THE DAISY CHAIN, SHIVER, OUR DAY WILL COME, KILL LIST, EVA, MOON, REC, CALVAIRE, ASYLUM BLACKOUT und unzählige andere Produktionen zwischen Amateur und Big Budget, dass muss auch in Deutschland möglich sein.
Nicht so toller Artikel, es fehlen eine ganze Menge von Genre-Filmen aus Deutschland!
Natürlich fehlt da eine Menge, selbst für den Zeitraum, den ich betrachtet habe. Anatomie 1+2, Sieben Monde, Das Fenster zum Sommer, Hinter Kaifeck, Krabat oder Tattoo gehören sicherlich genauso dazu wie die vielen Amateurfilmperlen von Schnaas bis Ittenbach. Sollte aber kein reiner Aufzählbericht werden. Aber dafür ist ja die Kommentarfunktion da, ich würde dich sogar bitten, her mit allen deutschen Genretiteln, gern alle hier aufzählen. Was sind eure Favoriten deutscher Genreproduktionen? (von mir aus auch deutschsprachige Produktionen, denn ich finde sogar IN 2 TAGEN BIST DU TOT 2 gelungener als Cold Prey, ist aber aus Österreich).