Die kleine Genrefibel Teil 89: Thriller

Der Mensch ist Zeit seines Lebens auf der Suche, nach dem Sinn, der Erfüllung, dem Glück, aber manchmal auch nach zwiespältigen Gefühlslagen zwischen Lust und Angst. Nur allzu gerne treibt er sich auf diversen Rummelplätzen herum und fordert ihn in Geister- oder Achterbahnen heraus – den Nervenkitzel. Im Extremsport, in gefährlichen Expeditionen oder beim Magnetangelspiel, wieder und wieder setzt er sich auf der Suche nach dem Kick einer Hochspannung aus. Nervenkitzel nennen es die einen, Angstlust die anderen, wir Filmliebhaber wiederum bedienen uns einem eigenen Begriff – Thrill. To Thrill – anglizistisch für durchbohren oder durchdringen, Erregung, Anspannung, Schnappatmung, Unrast, Kick & Tension – für das Medium Film scheinen diese Begriffe unverzichtbar, insbesondere dann, wenn sich ein Genre gänzlich den Gefühlslagen der Angstlust verschreibt wie der Thriller.

 

 

 

 

Ein Thriller scheint auf den ersten Blick ein klarer Genrebegriff, so wie der Western, doch während sich der Western durch einen konkreten Schauplatz und eine bestimmte zeitliche Verortung definiert, geht es beim Thriller immer um die Art und Weise, wie eine Handlung vorangetrieben wird. Im besten Fall bedeutet dieses wie durchgehende Anspannung und Abspannung, Spannungsaufbau und Entladung. Wenn ein Thriller nun aber nicht durch konkrete dramaturgische Elemente wie Ort und Zeit bestimmt wird, sondern durch eine spannende Erzählweise, ist er da als Genre überhaupt greifbar? Sind Spannungselemente für den Film jedweden Genres nicht generell notwendig? Die Wahrheit ist, der Thriller ist eine eher vage Genrebezeichnung und nicht selten uneindeutig.

 

Hold me, Thrill me, Kiss me, Kill me

 

Die Hauptaufgabe eines Thrillers ist es, Spannung aufzubauen, Spannung aber auch wieder abzubauen, ein ewiges Hin und Her zwischen Reiz und Entladung. Das Problem dabei ist, dieses Wechselspiel gehört dem Thriller nicht allein. Jedwedes Genre wird durch intellektuelle wie emotionale Elemente bestimmt, in unterschiedlicher Gewichtung, gewiss, aber auch ein Western wird davon dramaturgisch bestimmt. Spannung allein aber macht aus einem Western noch keinen Thriller. Als Genreoberbegriff wie Horror oder Science-Fiction taugt der Thriller nur bedingt, spezifisch wird er erst innerhalb seiner zahlreichen Subgenres.

 

 

North by Northwest

DER UNSICHTBARE DRITTE (NORTH BY NORTHWEST, 1959) von Alfred Hitchcock

 

 

Ganz allgemein erzählt ein Thriller eine spannende Geschichte und meist geht es dabei um Leben oder Tod der Hauptfigur. Diese ist im Thriller oft einer solchen Bedrohung des eigenen Lebens, mindestens aber der eigenen gesellschaftlichen Existenz, ausgesetzt und Spannung entsteht in erster Linie dann, wenn man sich mit jener Hauptfigur emotional verbunden fühlt, also mit ihr mitfleidet. Wie das im Thriller funktioniert, erkennt man besser im Vergleich mit anderen Genres, am deutlichsten in der Gegenüberstellung mit dem Krimi. Im klassischen Krimi ist die Hauptfigur meist ein Ermittler, welcher ein Verbrechen aufklärt, in das er persönlich nicht verwickelt ist. Die Lösung des Falls kann selbstverständlich auch spannend sein, funktioniert aber eher über den Intellekt.

 

Mord im Orientexpress

Der typische Ermittlerkrimi, die Hauptfigur löst den Fall analytisch – MORD IM ORIENTEXPRESS (1974).

Seven

SIEBEN (1995) – Ist die Hauptfigur emotional in den Fall verwickelt und bedroht seine Existenz, handelt es sich um einen Thriller.

 

Ist die Hauptfigur Ermittler in einem Kriminalfall aber emotional verwickelt, entweder weil es der Antagonist auf ihn persönlich abgesehen hat, er selbst unter (falschem) Mordverdacht steht, sein eigenes oder andere Leben auf dem Spiel stehen, wandelt sich der Krimi in einen Thriller. Der Zuschauer wird in diesem Fall nicht über den Intellekt, sondern über die Emotion geködert und Spannung entsteht über das Mitfiebern mit der Hauptfigur, unter Zuhilfenahme diverser dramaturgischer Mittel. Dieser Unterschied zwischen Krimi und Thriller ist richtig, aber nicht allumfassend, denn in Thrillern müssen Hauptfiguren nicht immer Ermittler sein. Oft sind es ganz gewöhnliche Menschen, manchmal sogar völlig Unbeteiligte, Unschuldige oder scheinbar schwache Figuren.

 

 

Nick of Time

Der Thriller wird größtenteils von Unbeteiligten, Unschuldigen und Antihelden bestimmt – GEGEN DIE ZEIT (1995)

 

 

Wegen dieses treffenden Vergleiches zwischen Krimi und Thriller nimmt man an, ein Thriller ist in jedem Fall im Bereich Crime, also Verbrechen, angesiedelt. Andere behaupten, der Thriller sei eine Sonderform des Krimis oder andersherum, auch das trifft nicht immer zu. Selbstverständlich ist die Bedrohung des Lebens eines Protagonisten der Kern eines jeden Thrillers, aber er wird mehr von einem jeweiligen Sujet bestimmt. Aus dem Sujet resultieren konkret die Subgenres des Thrillers, diese sind thematischer Natur wie Politik, Psychologie, Erotik oder drehen sich um Figurentypen wie eben Ermittler, aber auch Journalisten, Agenten oder Spione.

 

 

Thriller Dramaturgie

Die wichtigsten dramaturgischen Werkzeuge des Thrillers: Suspense – der Zuschauer hat mehr Wissen als die Hauptfigur (THE STRANGERS), Surprise – der Zuschauer und die Hauptfigur werden überrascht (PSYCHO) & Mystery – weder der Zuschauer noch die Hauptfigur wissen, was gespielt wird (THE GAME).

 

 

Die Motive der Figuren bestimmen den Thriller – Intrigen, falsche Anschuldigungen, das Beweisen der Unschuld, Verfolgung, Selbstjustiz, Rache. Dabei wandelt der Thriller häufig in Grauzonen, ein klares Gut und Böse verschwimmt nicht selten, der Thriller beleuchtet ebenso die Motive des Antagonisten und nicht immer muss der Held am Ende auch gewinnen. Der Thriller bedient sich einer ganzen Palette von dramaturgischen Werkzeugen wie plot twists, red herings, Cliffhangern, unzuverlässiger Erzählweise, vor allem dreier Dinge – Surprise, Suspense und Mystery. Kaum ein Thriller kommt in puristischer Form daher, ein Thriller ist eigentlich immer ein Crossover mit anderen Genres. Aber nicht jede dieser Kopplungen ergibt ein eindeutiges Thrillersubgenre.

 

Action versus Thrill

 

Ein wankelmütiger Subgenrebegriff ist der Actionthriller, der eher umgangssprachlich verwendet wird, filmwissenschaftlich erscheint er mir unhaltbar. Zum einen ist der Unterschied zwischen einem Actionfilm und einem Actionthriller nur schwer zu vermitteln. Denn ein jeder Actionfilm wird normalerweise von Spannung angetrieben. Hier muss man den Thriller respektive Actionthriller genauer definieren. Von einem Thriller erwartet man eher einen realistischen Plot. Denn je realistischer ein Plot ist, desto mehr kann man sich mit der Hauptfigur identifizieren und mit ihr mitfiebern. Das ist gar nicht so leicht zu unterscheiden, ist STIRB LANGSAM nun ein Actionfilm oder ein Actionthriller? Viele Elemente des Thriller sind für STIRB LANGSAM zutreffend.

 

 

Actionthriller

Klassische Actionthriller im Bezug auf Figuren und Plot – trotzdem fungiert der Begriff Actionthriller mehr als Genreoberbegriff.

 

 

Das Problem ist, Actionelemente in Filmen können Spannung generieren, müssen es aber nicht. Action an sich bedeutet noch keine Spannung. Das Gegenteil kann der Fall sein, zu viel Action kann in Langeweile driften. STIRB LANGSAM ist da ein Grenzfall, die Geschichte um den anfangs unbeteiligten John McLane, der an Weihnachten zufällig an Terroristen gerät, entfesselt in jedem Fall auch Thrill. Anders sieht das bei THE AVENGERS aus, den wohl kaum jemand als Actionthriller bezeichnen würde. Action in Filmen gleicht eher einer Entladung von Spannung, thrill, resultierend aus suspense, hingegen dient dem Spannungsaufbau.

 

 

Auf der Flucht

AUF DER FLUCHT (1993) von Andrew Davis

 

 

Der Begriff Actionthriller funktioniert besser, wenn man ihn als Genreoberbegriff definiert, denn diverse Subgenres des Thrillers sind in jedem Fall Actionthriller, in denen sich Spannung durch physische Action entläd. Dem gegenüber steht möglicherweise der Psychothriller, der Spannung weniger durch physische Action als durch einen psychologischen Ansatz entstehen lässt. Der Thriller bedient sich für gewöhnlich beider Ausprägungen in Kombination. Actionthriller und Psychothriller sind keine Gegensätze.

 

 

Actionthriller

Motive der Hauptfiguren im Actionthriller: Unbeteiligt in ein Verbrechen gezogen werden (COLLATERAL, 2004), persönliche Vendetta (96 HOURS, 2014) und “Aus Spiel wird Ernst” (NERVE, 2016).

 

 

Der Actionfilm wird zudem von Heldenfiguren getragen, im Thriller hingegen sind es meist gewöhnliche Figuren oder Unbeteiligte. Allein das ergibt ein anderes Spannungspotential, bedingt durch Prägung. Beim klassischen Helden geht man davon aus, dass er jedwede Gefahr überstehen kann. Das ist in Thrillern nicht der Fall. Selbst wenn die Hauptfigur einen Heldencharakter besitzt, wird diese im Thriller oft in eine ungewohnte Situation geworfen, beispielsweise durch falsche Verdächtigungen oder Manipulation. Das zwingt ihn in eine andere Position und in ein anderes Handeln, oft sind die Hauptfiguren in Thrillern demzufolge Antihelden.

 

 

Breaking Surface

Werden ob permantenter Spannungsgenerierung als Thriller wahrgenommen, doch Figuren und Plots im Survival-, und Katastrophenthriller unterscheiden sich oft stark von klassischen Thrillern – BREAKING SURFACE (2020)

 

 

Das ein Thriller nicht immer im Kontext Verbrechen angesiedelt sein muss, zeigt das Subgenre des Katastrophenfilms und des Survivalfilms. Manche Filme dieser Sparten werden als Thriller wahrgenommen. Nicht immer, ein Film wie VOLCANO ist weniger Actionthriller als beispielweise DANTES PEAK. Auch ein Überlebensdrama wie 127 HOURS kann man als Thriller betrachten, ein realistisches Setting, eine Hauptfigur im Überlebenskampf, Zeit als Antagonist. Trotzdem haben wir es in diesem Bereich ebenfall mit eher umgangssprachlichen Thrillern zu tun als dass sie konkrete Merkmale des klassischen Thrillers aufweisen.

 

 

Katastrophen Thriller

Mehr zu Katastrophenfilmen in der Kleinen Genrefibel Teil 58: Big Disaster und mehr zu Survivalfilmen in der Kleinen Genrefibel Teil 83: Survival

 

 

Der Actionthriller ist also alles andere als eine eindeutige Genrebezeichnung. Nur wenige Filme sind in dieser Tradition puristisch, wie beispielsweise AUF DER FLUCHT oder COLLATERAL, in denen die anfangs unschuldigen wie unbeteiligten Hauptfiguren wie Ziele verfolgen, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen und den Gegenspieler zu bezwingen. Die echten Subgenres des Thrillers respektive des Actionthrillers werden zudem von diversen Sujets und Themen bestimmt und diese sind mitunter sehr spezifisch.

 

Agenten, Spione, Politik, Verschwörung & Paranoia

 

Klare Subgenre des Actionthrillers sind der Spionagethriller und der Agententhriller, oft treten sie in Kombination auf. Sie sind klar definiert über ihre Hauptfiguren, den Spion und den Agenten, deren Betätigungsfeld in jedem Fall Spannung generieren kann, nicht nur über Action. Der Agent ist eine Form des Ermittlers mit anderer Methodik. Er muss in jedem Fall einen Fall lösen, zum Thriller macht es der Umstand, dass Protagonist und Antagonist stark miteinander verbunden sind und beide ein tödliches Spiel spielen.

 

 

Agententhriller

Agenten- und Spionagethriller. Mehr zu Agenten und Spionen in der Kleinen Genrefibel Teil 36: spy versus spy

 

 

Aber auch andere Elemente des Agenten- oder Spionagethrillers generieren Spannung und Thrill, eine verdeckte Ermittlung, ein Einschleusen in die Höhle des Löwen, Geheimidentitäten, die es zu bewahren gilt, der Kampf gegen unbekannte Feindbilder, das gefährliche Dasein als Doppelspion. In seiner Hochphase im Kalten Krieg wusste der Agenten- und Spionagethriller aber auch politische Aspekte zu beleuchten, was ihn  realistischer machte und den Figuren ein größeres Identifikationspotential verlieh.

 

 

Spione

SPIONE (1928) von Fritz Lang

 

 

Action ist für beide Subgenres unverzichtbar, doch es gibt sie in unterschiedlicher Dosierung. In Hitchcocks DER MANN DER ZUVIEL WUSSTE beispielsweise spinnt sich eine Agentengeschichte um zwei unbescholtene Durchschnittsbürger, welche in ein Netz aus Spionage, Verschwörung und Intrigen geraten. In MISSION IMPOSSIBLE von Brian De Palma wird der Agent Ethan Hunt selbst zum Gejagten, nachdem er verraten wurde und nun auf eigene Faust seine Unschuld beweisen muss. Beide Filme sind ob ihrer Figuren und Storyentwicklungen klassische Thriller und unterscheiden sich nur über die Dosierung von Action.

 

 

Agententhriller

Agenten und Spione am körperlichen und psychischen Abgrund – DIE BOURNE IDENTITÄT (2002), THE INTERNATIONAL (2009) & RED SPARROW (2018).

 

 

Bestimmen im Agenten- und Spionagethriller die Hauptfiguren das Subgenre, wird der Politthriller mehr vom Sujet als von einem Figurentypus bestimmt. Die Bühnen des Politthrillers sind kriminelle Machenschaften staatlicher Institutionen, Verwicklungen auf politischer Ebene, aber auch Spionage oder Agententätigkeiten, so dass man Agenten- und Spionagethriller auch dem Politthriller allgemein unterordnen kann. Anfangs unbeteiligt sind die Figuren im Politthriller auch, aber sie müssen nicht Agenten oder Spione sein, die Figurenbandbreite reicht vom investigativen Journalisten über Berufspolitiker bis hin zu Staatsoberhäuptern.

 

 

Politthriller

Politthriller. Mehr zu Politthrillern in der Kleinen Genrefibel Teil 65: Politiká

 

 

Politthriller schildern fiktive oder reale politische Ereignisse in realistischer Erzählweise und treten analog zum politischen Zeitgeschehen auf, nicht selten benötigen Politthriller einen gewissen Abstand zu diesem, um einen politischen Sachverhalt aufzuarbeiten und wieder zu fiktionalisieren. Der Antagonist in Politthrillern muss nicht ausschließlich eine Person sein, viel mehr ist es eine Institution, was in höchstem Maße spannungsfördernd ist. Denn für die Protagonisten bedeutet das oft einen Kampf gegen einen unpersönlichen, übermächtigen Gegner wie dem Staat an sich oder dessen Organe. Einige zentrale Elemente des Politthrillers wie das Komplott oder die Verschwörung führen direkt zu einer weiteren Spezifizierung des Politthrillers.

 

 

Die Dolmetscherin

DIE DOLMETSCHERIN (2005) von Sydney Pollack

 

 

Steht ein Komplott oder eine Verschwörung im Mittelpunkt eines Politthrillers, spricht man von einem Verschwörungsthriller, der noch stärker vom Figurentypus des anfangs Unbeteiligten geprägt wird. Jene Figuren, die in das Netz einer Verschwörung geraten und somit zu Gejagten werden, bündeln beim Zuschauer das größtmögliche Gefühl der Anteilnahme, woraus Figurenspannung resultiert. Nicht immer müssen die antagonistischen Kräfte in der Politik verortet sein wie Geheimdienste, der conspiracy thriller umfasst auch Geheimbünde oder andere verschwörungstheoretische Vereinigungen.

 

 

Verschwörungsthriller

Verschwörungsthriller

 

 

Wie fließend die Übergänge im Thrillerbereich sind, zeigt der Film STAATSFEIND NR. 1 von Tony Scott aus dem Jahr 1998. Er ist in erster Linie ein Actionfilm und ob der Genremerkmale ein klarer Actionthriller, in dem die anfangs unbeteiligte Hauptfigur in eine Verschwörung auf höchster politischer Ebene gerät. Somit ist STAATSFEIND NR. 1 natürlich auch ein Politthriller, weil aber die Verschwörung aber Kern des Plots ist, ist der Film ein spezifischer Verschwörungsthriller, wenn nicht gar pures Paranoia Kino.

 

 

Staatsfeind Nr. 1

STAATSFEIND NR. 1 (1998) von Tony Scott

 

 

Der sogenannte Paranoia Film der 70er Jahre stellt eine Sonderform dar, in dem es nicht unbedingt um eine Verschwörung gehen muss. Ausschlaggebend hier ist die Angst des Protagonisten vor einer möglichen Intrige. Entstanden ist diese Abwandlung bereits in den 20er Jahren mit Werken von Fritz Lang wie DR. MABUSE, evolutionierte in den 60er Jahren im Politthriller (THE MACHURIAN CANDIDATE) und hatte seinen Höhepunkt in den 70ern im Paranoia Kino (THE PARALLAX VIEW).

 

 

Paranoia Kino

Paranoia Kino

 

 

Im Verschwörungsthriller, mehr aber noch im Paranoia Film der 70er Jahre, verschwimmen die Grenzen vom Actionthriller zum psychologischem Thriller, andere Werke beziehen ihre Faszination gerade aus der Spekulation wie JFK von Oliver Stone. Ein wichtiges Figurenelement des Thrillers neben dem Unbeteiligten, welcher in eine politische Intrige hineingezogen wird, ist der Figurentypus des unschuldig Beschuldigten, Figuren, die unter falschem Tatverdacht stehen und ihre Unschuld beweisen müssen.

 

legal thriller

 

Nicht immer müssen sie das im Actionthriller. Von eher analytischer Herangehensweise, welche aber thrill nicht ausschließt, zählt der Justiz- und Gerichtsthriller, englisch legal thriller. Er ist zu unterscheiden vom Justizdrama, welcher oft auf Thrillerelemente verzichtet und ähnlich dem Krimi eher auf intellektueller Ebene funktioniert. Im legal thriller gibt es eine Kombination aus eher analytischem Ansatz (Ankläger, Strafverteidiger, Richter) und dem Emotionsträger, dem unschuldig Beschuldigten.

 

 

Justizthriller

Justiz- oder Gerichtsthriller

 

 

Der Justizthriller gehört eher in die Schublade des psychologischen Thrillers, schon allein deshalb, weil die Hauptfigur nicht im Stande ist, mit eigenen Kräften um seine mutmaßliche Unschuld zu kämpfen, es ein indirekter Kampf ist, der mit Theorien und Beweisen geführt wird. Doch auch in diesem Sujet kann ein legal thriller alle Handwerkzeuge der Spannungserzeugung nutzen, besonders dann, wenn die Bedrohung des Lebens die Todesstrafe darstellt, der es sich zu entwinden gilt.

 

 

Die Firma

DIE FIRMA (1993) von Sydney Pollack

 

 

Ein literarischer Meister des legal thrillers ist der Autor John Grisham, dessen Werke in den 90er Jahren in Reihe verfilmt wurden. Sie beinhalten alle bisher genannten Thrillerelemente und gipfeln immer in einem Klimax innerhalb eines Gerichtssaales, in der sich das Schicksal der Hauptfigur entscheidet. Der Nervenkitzel entsteht weniger durch Suspense und Actionthrill, sondern im Kampf gegen die Gerichtsbarkeit als Institution und im Streit um die Wahrheit.

 

 

John Grisham

Verfilmungen nach Romanen von John Grisham.

 

 

Der legal thriller ist eine Mischform zwischen dem Actionthriller und dem psychologischen Thriller, die Suche nach Beweisen durch einen Anwalt oder Ermittler kann durchaus durch Action vorangetrieben werden, für den unschuldig Beschuldigten ist der Kampf um die Wahrheit ein überaus psychologischer. Doch weitere Subgenres des Thrillers haben ihren Schwerpunkt eindeutig im psychologischen Bereich, doch auch der gängige Begriff des Psychothriller ist genretechnisch alles andere als eindeutig.

 

Der mit psychologischen Mitteln arbeitende Thriller

 

Im Psychothriller ist der Konflikt zwischen den Hauptfiguren Protagonist und Antagonist in erster Linie geistig wie emotional und weniger physisch getrieben. Ein wichtiges Element ist die Wahrnehmung der Figuren und die Fähigkeit bzw. die Unfähigkeit dieser, zwischen Wahrheit und Täuschung zu unterscheiden. Im Psychothriller wie im Verschwörungsthriller kann es um eine Intrige gehen, doch während im Actionthriller die Hauptfigur um ihre Reputation kämpft, wird sie im Psychothriller von Selbstzweifeln bestimmt und ist nicht selten das eigentliche Ziel der Intrige – sie soll in den Wahnsinn oder gar in den Selbstmord getrieben werden.

 

 

Psychothriller

Psychothriller

 

 

Alle Thrillersubgenres spielen mit Unsicherheiten, doch nie so direkt wie der Psychothriller. Im Gegensatz zum Paranoia Film, in dem die Angst vor etwas, was es möglicherweise gar nicht gibt, die Figuren in ihren Handlungen bestimmt, wird der Psychothriller ungleich konkreter. Thrill entsteht im Psychothriller zum einen durch einen Wissensvorsprung des Zuschauers (suspense) als auch durch ein Tappen im Dusteren (mystery), zu diesen Begriffen gleich mehr. Was den Psychothriller aber vor allem von anderen Thrillersubgenres unterscheidet, ist die Fokussierung auf die Täterfigur, den Psychopathen.

 

 

Psychothriller

Motive im Psychothriller: Wahnvorstellungen (THE MACHINIST), fälschliche Beschuldigung und Zwang (UNSANE) & perfide Psychospielchen und Abhängigkeiten (GRETA).

 

 

Über Dekaden war der Psychothriller an normale Figuren gekoppelt, welche durch eine Intrige ins Wahnhafte gedrängt wurden. Frauen wurden von ihren Ehemännern in den Wahnsinn getrieben, um an ihr Vermögen zu kommen, natürlich auch umgekehrt. Figuren verloren durch psychologische Sperenzien ihre Glaubwürdigkeit, man litt mit ihnen. Durch den Film PSYCHO von Alfred Hitchcock verschob sich das Gefüge erstmals von der Opfer- in die Täterperspektive.

 

 

Silence of the Lambs

DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER (1991) von Jonathan Demme. Mehr über Serienkiller Thriller in der Kleinen Genrefibel Teil 11: Serienkiller

 

 

Eine Sonderform des Thrillers bzw. Krimis entstand dann vor allem in den 90er Jahren um das Thema Serienkiller. Nicht selten wurde der Ermittler von einem Serienkiller ins Fadenkreuz genommen und ein perfides wie morbides Psychospiel begann. Diese Verwicklungen, zudem das Spiel auf Zeit, bis der Täter wieder zuschlägt, brachten Ermittlerfiguren immer in eine emotionale Zwangslage, was aus dem Serienkillerfilm ein klares Subgenre des Thrillers werden ließ, nicht des Krimis.

 

 

Erotikthriller

Erotikthriller. Mehr zu Erotikthrillern in der Kleinen Genrefibel Teil 50: Der Sexreport

 

 

Ein anderes Subgenre des psychologischen Thrillers ist der Erotikthriller, in dem Figuren durch erotische Versuchung und sexuelle Abhängigkeit ins Verderben geraten. Auch der Erotikthriller ist stark mit dem Kriminalfilm verbunden bzw. daraus entstanden und hatte seinen Höhepunkt in den 80er und 90er Jahren durch Filme wie EINE VERHÄNGNISVOLLE AFFÄRE oder BASIC INSTINKT. Ein häufiger Plot von Erotikthrillern ist, dass sich die Ermittlerfigur in eine Mordverdächtige verliebt oder aber sexuell in ihren Bann gezogen, von ihr manipuliert und gesteuert wird. Die Hauptfigur ist in dem Fall zwar weder unbeteiligt noch unschuldig beschuldigt, wohl aber Spielball des Antagonisten, was seinen Untergang oftmals besiegelt.

 

Sci-Fi-Thrill of Horror

 

Zu großen Teilen spielen Thriller im Komplex des Verbrechen, das Verbrechen betrifft Protagonisten direkt oder im Ergebnis. Das Verbrechen ist im Thriller der Motor für die existenzbedrohende Situation der Hauptfigur, der sie sich zu erwehren hat. Demzufolge kann Thrill in allen Genres erzeugt werden. Wenn auch klassische Thriller durch eine mehr oder weniger realistische Handlung bestimmt werden, Thriller kann man mit allen Genres kombinieren, auch innerhalb eines Science-Fiction Plots.

 

 

Sci-Fi-Thriller

Sci-Fi-Thriller und manch Ableger der Sonderform Sci-Fi-Noir-Thriller

 

 

Entscheidend dabei ist nur, dass die Gefahr für das Leben des Protagonisten nachvollziehbar ist, dann funktioniert Thrill auch in Zukunftssettings des Science-Fiction Film. Schwammiger wird es in Richtung Horror, es gibt zwar den Begriff Horrorthriller, aber ich halte ihn für ebenso schwierig wie den Begriff Actionthriller. Denn Thrill kann purer Horror sein, aber Horror ist nicht immer Thrill.

 

 

The Adjustment Bureau

Sci-Fi-Thriller nach klassischem Thriller Strickmuster – DER PLAN (THE ADJUSTMENT BUREAU, 2011) von George Nolfi.

 

 

Es gibt natürlich Filme, da ist die Bezeichnung Horrorthriller passend, GET OUT von Jordan Peele zum Beispiel ist ein klassischer Horrorthriller. Zum Teil werden aber auch Slasherfilme als Horrorthriller bezeichnet, in denen es natürlich nicht an Thrill mangelt, aber nach dieser Rechnung könnte man jeden Horrorfilm auch gleich als Horrorthriller bezeichnen. Mysterythriller, ist ein weiterer Begriff, der möglicherweise auf manche Filme treffend erscheint, vor allem weil Mystery eine tragende Säule des Thrillers ist. Aber im sogenannen Mysterythriller meint Mystery etwas anderes als der dramaturgische Mysterybegriff.

 

 

Horrorthriller

Horror- oder Mysterythriller

 

 

Die Begriffe Horrorthriller oder Mysterythriller werden eher umgangssprachlich verwandt. Es wäre zudem auch nicht sinnvoll, jedes Thrillersubgenre hier in der Kleinen Genrefibel einzeln zu beleuchten, weil viele Filme über Thematik (Politik) oder Figurentypen (Agenten, Serienkiller, Femme Fatale) weit besser zu klassifizieren sind. Der Thriller ist ein großer Spielplatz für Genrecrossover. Manchmal aber sucht man nach etwas puristischem, einen klassischen Thriller, ihn findet man jedoch weniger über den Weg der Subgenres als über Autoren und Filmemacher, welche das Genre des Thrillers als solches geprägt und beeinflusst haben.

 

The Master of Suspense

 

Der Thriller ist wesentlich mehr als die Summe seiner Subgenres, ihm liegen die Grundrezepte der Spannungsgenerierung inne. Spannung zu erzeugen war für den Film nach seiner Geburt im Jahr 1986 ein Leichtes, filmische Abbildung selbst war bereits Thrill. Als in DIE ANKUNFT EINES ZUGES AM BAHNHOF IN LA CIOTAT eine Lokomotive auf der Leinwand erschien, sorgte allein dieser irreale Anblick für Panik. Als man aber verinnerlicht hatte, wie Bewegtbild funktionierte, brauchte es mehr zum Spannungsaufbau.

 

 

Thriller History

Thriller History: DIE ANKUNFT EINES ZUGES AM BAHNHOF IN LA CIOTAT (1896) & AUSGERECHNET WOLKENKRATZER (1923) bereiten visuellen Thrill, SPIONE (1928) und M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (1931) von 1931 von Fritz Lang als frühe Spionage- und Psychothriller.

 

 

Spannungsstoffe waren natürlich kein Neuland in den ersten Dekaden des Films, auch thematisch fand man geeignete Vorlagen in der Kriminalliteratur oder der Tagespresse. Ein Filmemacher verstand dieses Handwerk nur zu gut, nachdem er verschiedene erzählerische und dramaturgische Aspekte mit seinen Themen und psychologischen Interessen kombinierte. 1927 inszenierte der damals 28jährige Alfred Joseph Hitchcock den Stummfilm DER MIETER, es war seine dritte Regiearbeit und sein erster Thriller.

 

 

Alfred Hitchcock

Sir Alfred Joseph Hitchcock (1899 – 1980)

 

 

Mit der losen Adaption des Buches Jack the Ripper von Marie Adelaide Belloc Lowndes um einen Londoner Serienkiller hatte Hitchcock sein Thema gefunden, das Verbrechen, und er verknüpfte es mit einer psychologisierten Sicht auf seine Figuren, mit der er Figurentypen erschuf wie der oder die unschuldig Verfolgte. Diese Kombination jener Elemente sowie Hitchcocks Gespür, wie man Spannung aufbaut, wurden zur Blaupause des jungen Genres Thriller, den er maßgeblich bestimmte und der seit dem das Gütesiegel Hitchcockfilm trug.

 

Die immer wiederkehrenden Motive in Hitchcocks Thrillern waren Angst, Schuld und Identitätsverlust, seine Figuren waren nicht nur Kriminelle oder Spione, sondern zunehmend Normalbürger, die zu Beginn der Geschichte nichts mit kriminellen Machenschaften zu tun hatten. Das Motiv des unschuldig Verdächtigten, dessen bürgerliche Existenz bedroht wird, zog sich durch eine Vielzahl seiner Filme und wurde zur Blaupause des Thrillers für die nächsten Jahrzehnte.

 

Durch Figurentypen abseits klassischer Filmhelden erhöhte Hitchcock das Identifikationspotential beim Zuschauer als Basis für Spannungsgenerierung. Doch wesentlich entscheidender war Hitchcocks Verständnis, wie man Spannung erzeugte. Die Vorlagen aus der Kriminalliteratur waren vornehmlich Ermittlerkrimis, das dramaturgische Konzept des Krimis wiederum war das whodunnit, das eher intellektuelle Rätselraten um den Mörder. Dieser Mörder wurde am Ende der Geschichte vom Ermittler präsentiert und das überraschte sowohl die Figuren wie den Zuschauer. Hitchcock war sich des Effekts der Überraschung (suprise) bewusst, aber er erkannte ihn auch als ungenügend für sein Spannungsverständnis.

 

 

The Lodger

DER MIETER (THE LODGER, 1927) von Alfred Hitchcock

 

 

Hitchcock erklärte es auf diese Weise: Unter einem Tisch, an dem verschiedene Personen sitzen, befindet sich eine Bombe. Weder der Zuschauer noch die Personen wissen davon. Plötzlich explodiert die Bombe, Bumm, Surprise. Der Effekt überrascht Figuren und Zuschauer, doch jener Effekt ist kein Spannungsmoment, die Überraschung fesselt nur kurze Zeit. Anders verhält es sich, wenn der Zuschauer die brennende Lunte an der Bombe bemerken, die Personen am Tisch aber nicht. Nun wird aus der Zeit, die vergeht, bis die Bombe unweigerlich explodiert, ein Zeitraum, in dem Spannung innewohnt, die sich mehr und mehr steigert.

 

 

Hitchcock Thriller

Frühe Hitchcock Thriller Meisterwerke: REBECCA (1940), SABOTEUR (1942) & BEI ANRUF MORD (1954).

 

 

Dieser Effekt tritt ein, wenn der Zuschauer einen Wissensvorsprung vor den Figuren hat, er mehr weiß als die Figuren, ihnen aber nicht helfen kann, der Zuschauer kann die Personen nicht warnen, dass die Bombe gleich explodiert. Diesen Effekt nennt man suspense und Alfred Hitchcock war in dieser Disziplin ein wahrer Meister. In gewisser Weise macht dieser Effekt aus den Figuren Verbündete des Zuschauers, weil Figuren die Rolle des Zuschauers einnehmen. Suspense, also “in Unsicherheit schweben”, wurde zur wichtigsten Tragsäule des Thrillers.

 

Zur Spannungsgenerierung gehören neben suspense aber auch surprise und mystery, im Bestfall gehen diese drei Elemente ineinander über. Suspense entläd sich in surprise und auf surprise folgt wiederum suspense. Mystery hingegen ist ein Element, bei dem sich weder Figuren noch Zuschauer gewahr sind, was wirklich passiert, diverse Informationen werden beiden vorenthalten. In diesem Wechselspiel funktionieren alle Thriller von Alfred Hitchcock, der dieses Prinzip bis zum Äußersten ausreizte.

 

Hitchcock hat in seiner exorbitanten Karriere 53 Spielfilme gedreht, ein überwiegender Teil davon waren Thriller. Es war aber nicht nur das Spannungsfach, was Hitchcock beherrschte, seine Figuren wurden psychologisch durchleuchtet, zum Teil angelegt an Hitchcocks eigene psychische Befindlichkeiten, zudem hatte er einen feinfühligen Sinn für schwarzen Humor und natürlich Storytelling, denn suspense verlangte natürlich nach einer hohen Identifikation des Zuschauers mit den Figuren.

 

 

Hitchcock Thriller

Hochphase der Hitchcock Thriller Meisterwerke: DER MANN, DER ZUVIEL WUSSTE (1956), DAS FENSTER ZUM HOF (1954) & VERTIGO (1958).

 

 

In Hitchcocks Filmen wurden diese Elemente bis zur Perfektion getrieben. Das Motiv des unschuldig Verdächtigten wurde sowohl in DER UNSICHTBARE DRITTE als auch in DER MANN, DER ZU VIEL WUSSTE legendär. In DAS FENSTER ZUM HOF übernahm die Hauptfigur die Rolle des Zuschauers, der an einem Rollstuhl gefesselt einen mutmaßlichen Mord im Nachbarhaus beobachtete.

 

 

Psycho

Alfred Hitchcock am Set von PSYCHO (1960).

 

 

Das Konzept von suspense und surprise ging vor allem in Hitchcocks Film PSYCHO auf, der generell die Erwartungshaltung des Zuschauers manipulierte. Neben falschen Fährten (Ist Norman Bates ein Voyeur?) über surprise (Norman Bates hat ein Messer) bis zu suspense (Norman Bates ist ein Serienmörder!) überraschte PSYCHO auch mit dem Ableben der Hauptfigur mitten im Film.

 

hitchcockian

 

Doch Alfred Hitchcock war nicht der einzige, der sich mit der Wirkungsweise von Spannungserzeugung und Spannungserhaltung beschäftigte. 1951 kam es zu einer besonderen Art an Gipfeltreffen, als Alfred Hitchcock den Film DER FREMDE IM ZUG nach einem Roman von Patricia Highsmith inszenierte. Auch Patricia Highsmith verstand es über die Maßen, suspense zu erzeugen, obgleich ihre Romane stärker zum (psychologischen) Krimi tendierten. Aber auch sie interessierte sich wengier für den kurzzeitigen surprise Effekt des whodunnit, ihr ging es wie Hitchcock um das Innenleben der Figuren und die Funktionalität des Verbrechens.

 

 

Der Fremde im Zug

DER FREMDE IM ZUG (1951) von Alfred Hitchcock nach einem Roman von Patricia Highsmith.

 

 

Patricia Highsmith verstand es vor allem, dass Spannung aus der Geschichte und den Figuren resultierte und nicht aus Action. Im Grundgerüst ihrer Kriminalromane, welche als Thriller oder psychologische Krimis verfilmt wurden, lag bereits Spannungspotential. 1955 erschien Highsmiths Roman “Der talentierte Mr. Ripley” um einen Kleinkriminellen, der einen reichen Amerikaner ermordet und seine Identität annimmt. 1960 wurde der Roman unter dem Titel NUR DIE SONNE WAR ZEUGE mit Alain Delon verfilmt, eine weitere Verfilmung im Originaltitel folgte im Jahr 1999 mit Jude Law und Matt Damon.

 

 

Patricia Highsmith Adaptionen

Adaptionen von Romanen von Patricia Highsmith.

 

 

Neben den Romanen um Tom Ripley wurden viele Werke von Highsmith verfilmt, darüber hinaus beschäftigte sich Highsmith auch im Sachebereich mit Spannungselementen, ihr Werk “Suspense oder wie man einen Thriller schreibt” aus dem Jahr 1966 gehört zur Standartlektüre in Sachen Thriller und hat sicherlich nicht nur junge Thrillerautoren inspiriert, sondern auch Filmemacher. Doch hauptsächlich waren es die Filme von Alfred Hitchcock, welche die Blaupausen für Spannung auch für andere Regisseure lieferten.

 

 

Patricia Highsmith Adaptionen

NUR DIE SONNE WAR ZEUGE (1960), DER TALENTIERTE MR. RIPLEY (1999) & DER SCHREI DER EULE (2009).

 

 

Die Art und Weise, wie Hitchcock Geschichten erzählte und Spannung schuf, wurde zum Synonym, welches man hitchcockisch nannte. Hitchcocks Bedeutung für den Thriller war immens, er war eine eigene Marke, die er selbst nur allzu gern pflegte. Die von ihm perfektionierten Spannungselemente wurden stilprägend für die nächsten Jahrzehnte, auch heute noch verwendet man für einen passenden Vergleich den Satz “Spannend wie Hitchcock”. Hitchcocks Gesetze der Spannung wurden nicht nur von anderen Regisseuren angewendet, ihnen wurde zum Teil auch überaus euphorisch gehuldigt.

 

 

Blow Out

BLOW OUT (1981) von Brian de Palma

 

 

Vor allem ein Regisseur nahm das Erbe Hitchcocks in seinen Filmen auf und schuf damit eine neue Generation des Hitchcockfilms – Brian De Palma. De Palma zitierte nicht nur aus Hitchcocks Werken, sondern strukturierte sie förmlich am übergroßen Vorbild. Das hat De Palma Zeit seiner Karriere auch Kritik eingebracht, sich stiltisch wie von Storytelling her zu stark bei Hitchcock bedient zu haben, eine Kritik, die nur zu Teilen zutreffend war, galten Hitchcocks Filme doch als Blaupause für den modernen Thriller.

 

 

Brian de Palma

A Brian de Palma Thriller: MEIN BRUDER KAIN (1992), MISSION IMPOSSIBLE (1996) & FEMME FATALE (2002)

 

 

Bereits 1976 inszenierte er mit SCHWARZER ENGEL ein Gegenstück zu Hitchcocks VERTIGO, 1980 übernahm er das Grundgerüst von PSYCHO für seinen Thriller DRESSED TO KILL, 1984 folgte mit DER TOD KOMMT ZWEIMAL eine Variation von DAS FENSTER ZUM HOF. Teilweise zitierte er ganze Kameraeinstellungen und Perspektiven, aber er schuf auch seine eigene Filmsprache, berühmt sind De Palmas Establishing Shots, lange Plansequenzen sowie der erstmalige Einsatz der Split Screen Technik.

 

 

Obwohl sich Brian De Palma in all seinen Filmen unübersehbar vor Hitchcock verbeugte, gehörte er einer neuen Generation an Filmemachern an, die allesamt vom Altmeister des Suspense beeinflusst wurden. Dazu gehörten auch Roman Polanski (FRANTIC), Steven Spielberg (DER WEIßE HAI) und später David Fincher (THE GAME), die sich mehr oder weniger direkt auf Hitchcocks Stilistik und Dramaturgie bezogen und das Element suspense bis zum Äußersten ausreizten.

 

Spannung ist Kaugummi fürs Gehirn

 

Heute gibt es Thriller wie Sand am Meer, denn das Thrillergerüst in Kombination mit einem bestimmten Thema und oder eines bestimmten Figurentypus ließ nicht nur die zahlreichen Thrillersubgenre entstehen, suspense und daraus resultierender Thrill wurden zu dramaturgischen Grundzutaten für fast jedwedes Genre. So mag es den puristischen Thriller vielleicht gar nicht geben, wohl aber die Hommage an Alfred Hitchcock, den Hitchcockfilm als inoffizielles Subgenre.

 

 

THE GAME

In allen Elementen eine Verbeugung vor Hitchcock – THE GAME (1997) von David Fincher.

 

 

Viele Regisseure, die sich mit Thrillern einen Namen gemacht haben, spiegelten dieses Selbstverständnis für Spannungsaufbau, wie David Fincher, Darren Aronosfky, die Coen Brothers oder M. Night Shyamalan, er beeinflusste nicht nur das US-amerikanische Kino, auch das europäische. In Europa gab es eine innige Tradition mit dem Krimi, vor allem in Deutschland, doch heute tut man sich in der deutschen Produktionslandschaft und im Förderwesen mit dem Thriller eher schwer. Selbst Bestsellerverfilmungen von Sebastian Fitzek wird misstraut, und das, obwohl der Thriller durch Fritz Lang auch in Deutschland geprägt wurde.

 

 

Sebastian Fitzek

Adaptionen von Deutschlands Thriller Autor Nr. 1 Sebastian Fitzek: DAS KIND (2012) von Zsolt Bács, ABGESCHNITTEN (2018) von Christian Alvart & PASSAGIER 23 (2018) von Alexander Dierbach.

 

 

Andere Länder hingegen wie zum Beispiel Frankreich hegen eine lange Tradition zum Thriller bis zum heutigen Tag, auch innerhalb der Filmtheorie. Legendär beispielweise wurde das Buch “Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?” nach einem 50stündigen Interview zwischen François Truffaut und Alfred Hitchcock aus dem Jahr 1962, welches heute als Hauptwerk der Filmliteratur gilt und in dem beide Filmemacher dezidierten Fragen der Spannungsgenerierung nachgehen.

 

 

Verblendung

VERBLENDUNG (2009) von Niels Arden Oplev nach einem Roman von Stieg Larsson.

 

 

Doch auch in Skandinavien entstanden eine Vielzahl von Thrillern und psychologischen Krimis, meist basierend auf Bestsellern von Autoren wie Jussi Adler-Olson aus Dänemark oder Steig Larsson aus Schweden. Letzterer bereitete mit seiner Millenium Trilogie den Siegeszug des skandinavischen Thrillers auch im Film, nachdem die Bücher zwischen 2006 und 2008 als VERBLENDUNG, VERDAMNIS und VERGEBUNG verfilmt wurden und international für Aufsehen sorgten.

 

 

Krimi- und Thrillerliteratur sind nach wie vor hoch im Kurs und diverse Adaptionen bescheren auch dem Filmfreund immer wieder ein launiges Thrillervergnügen in bester Hitchcock Tradition. Unzählige Thriller in all seinen Subgenres basieren auf Thrillerliteratur, von den legal thrillern eines John Grisham, den Politthrillern von Robert Ludlum, John le Carré oder Tom Clancy, Verschwörungsthriller nach Dan Brown, skandinavische Thriller nach Büchern von Stieg Larsson, Jo Nesbø oder Lars Kepler bis hin zu neuen Adaptionen junger Thrillerautorinnen wie Gilian Flynn (GONE GIRL) oder S. J. Watson (ICH.DARF.NICHT.SCHLAFEN.).

 

 

Girl on the train

GIRL ON THE TRAIN (2016) von Tate Taylor

 

 

Thema, Figuren, Psychologie, das alles bildet den Kern innerhalb der Krimi- und Thrillerliteratur, der Film aber brauchte eigene Elemente mehr, um echte Spannung zu erzeugen. Deshalb unterscheidet sich der literarische Thriller in der Tat vom Thrillerfilm, in welchem Subgenre auch immer. Suspense, die Königsdisziplin Hitchcocks, war eines dieser Elemente, die nur im Film funktionierten und die das Gerüst für Spannung in allen Genres zementierte, nicht nur im Thriller. So geht die Verwendung von suspense weit über das Zitat hinaus. Der titulierten Frage aus dem Jahr 1962 müssen sich demzufolge auch heute noch Autoren und Regisseure stellen, sie gilt als Kernfrage der Spannungserzeugung und lautet nach wie vor: “Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?”.

 

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

Lesen Sie in der nächsten Folge:

 

 

 

 

2 Comments

  1. Antworten

    […] werden, öffnet das meist eine neue Storypforte, zuerst im eigenen Subgenre des Justizdramas oder Justizthrillers, doch noch interessanter wird es am Ende dieser Geschichten, wenn Übeltäter verurteilt werden und […]

  2. Antworten

    […] Im Gegensatz zu einem schwarzhumorigen Witz bedarf es in der Schwarzen Komödie aber mehr als eine bitterböse Verkürzung. Das ist vor allem eine Stolperstelle für Autoren, die meinen, in einer Schwarzen Komödie vor allem mit dunklem Dialogwitz arbeiten zu können. Guter Schwarzer Humor im Film äußert sich oft in actiongetriebenen Handlungselementen. Es muss schon mindestens um Mord, Totschlag oder derbe Verstümmelung gehen. So bedient sich die Schwarze Komödie auch immer eines anderen festen Genres oder Subgenres, um dessen Handlungselemente mit schwarzer Komik zu färben, vor allem Krimis oder Thriller. […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de