Die kleine Genrefibel Teil 50: Der Sexreport

Da wären wir also, liebe Genrefreunde, ein gar wundervolles Jubiläum zu zelebrieren – 50 Jahre Die kleine Genrefibel! Was war das für eine tolle Zeit. Ich erinnere mich noch genau, als ich die Genrefibel im Frühjahr 1966 konzipiert habe, ganze elf Jahre vor meiner Geburt. Das nenne ich Engagement über die Zeugung hinaus. Apropos Zeugung. Ich habe lang überlegt, welches Genre oder Subgenre denn für ein solches Jubiläum geeignet wäre. Zur Auswahl standen Bee-Movies (also Filme über Bienen), die Geschichte des Daumenkinos und das Microgenre Film im Film im Film. War mir im Endeffekt aber alles nicht prall genug. So blieb nur noch ein Thema übrig, das über genügend Potenz verfügt, dieses Jubiläumsloch zu stopfen. Was gibt es da zu kichern? Die kleine Genrefibel wollte schon immer aufklären, nun endlich scheint die Zeit gekommen, sich mit einem entscheidenden Triebfeld der Kunst zu beschäftigen – Erotik und Sex im Film.

 

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“Fünf Minuten, nachdem 1827 die Photographie und 1894 der Film erfunden wurde, stand eine nackte Frau vor der Kamera.”, so ein Zitat von Horror- und Pornofilmproduzent David F. Friedmann. Und es stimmt, denn die Geschichte von Erotik im Film war schon immer eine Waagschale zwischen Schaulust und Voyeurismus. Aber noch weitaus mehr. Die Geschichte von Sexualität und Erotik im Medium Film ist auch die Geschichte von moralischen Irrfahrten, Zensur, Skandalen, Selbstbestimmung und Findung. Bevor wir diesen Weg bestreiten, müssen wir Genredefinitionen klären.

 

Der Menschheit neustes Sexspielzeug

 

Während Sex im allgemeinen mit sexuellen Handlungen verbunden wird, ist Erotik wesentlich diffuser zu verstehen. Da der Film ein visuelles Medium war, konnte er Erotik auf verschiedene Weise bildhaft machen, explizit oder als Metapher. Es lag in der Natur der Sache, das bewegte Bild auf der Leinwand, die übergroße Projektion von Mann und Frau, Licht, Schatten, die Kamera als stummer Beobachter, das Publikum als Teilhaber, der Film als Erfüllung von Wunsch und Traum. Erotik im Film entsteht auch im Kopf, ausgelöst durch äußere Reize.

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Der Film konnte zwei Reize befriedigen, optische und akustische, Erotik konnte dargestellt werden, Sexualität konnte thematisiert werden. Im Gegensatz zu anderen Themen, die Subgenres beeinflussten, war die Evolution von Erotik im Film nicht geradlinig. Sie ging zwar auch, wie der Komplex Gewalt im Film, den Weg einer immer expliziteren Darstellung und Behandlung, aber schlug bereits in der Frühzeit des Mediums diverse Haken und Ösen am Miederhöschen.

 

 

So ist es zum Beispiel nicht so, dass sich Pornographie aus der Evolution von erotischer Darstellung im Film heraus entwickelt hat. Der Unterschied zwischen erotischer Darstellung und Pornographie war am Anfang relativ schmal. Für das Genre bedeutete es eine Trennung zwischen erotischen und pornographischen Aufnahmen. Mit Sex und Erotik im Film war es wie mit einem Kinderspielzeug, die Menschheit hatte es plötzlich in Händen und man war erstmal sehr experimentierfreudig.

 

Der sexuelle Zeitenwandel in der Kunst. Brauchte man für das Broadwaystück SEX mit Mae West noch ein ärztliches Attest und die Hauptdarstellerin musste ins Gefängnis,…

…ist unverblümter Sex wie in GAME OF THRONES heute sogar im Free-TV eine Normalität.

 

Erst dann entwickelte sich der Gedanke vom moralischen Standpunkt aus, als man begriff, was mittels dieses Mediums möglich war. So hat die Entwicklung von Erotik und Sex im Film auch eher eine Wellenform. Es begann nicht in purer Prüderie und entwickelte sich zum Expliziten. Die Frühzeit der Filmerotik war bereits ziemlich schlüpfrig.

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Man kann aber die Evolution von Erotik im Film gar nicht isoliert betrachten, denn sie ist nur ein Aspekt einer gesellschaftspolitischen Entwicklung hin zur sexuellen Selbstbestimmung. Der Film als Medium war nur eine Ausdrucksform dafür. Sex und Erotik im Film sind sowohl Elemente an Handlung und Stilistik. Pornographie oder der Pornofilm konnte sich ganz klar abgrenzen, er zeigt konkret die Darstellung menschlicher Sexualität und hatte nur ein Ziel – die sexuelle Stimulierung des Zuschauers.

 

Die Darstellung von Erotik war wesentlich vielschichtiger. Aus diesem Grund entstanden unzählige Subgenres innerhalb dieser Thematik. Im Gegensatz zum Pornofilm ist Sex und Erotik im Mainstreamfilm vor allem Handlungselement beziehungsweise dramaturgischer Natur.

 

Sex, beziehungsweise kein Sex, als Handlungselement in 40 DAYS AND 40 NIGHTS

Denn Sex geht weit über eine stimulierende optische Darstellung hinaus. Im Subgenre Erotikthriller zum Beispiel ist Sex ein Handlungselement und stößt andere menschliche Verhaltensweisen an. So geht es bei Sex auch immer um Macht, um Abhängigkeiten, um Zwänge und Sucht, woraus Figuren und Geschichten resultieren. Im Thriller erfahren diese Dinge eine Brisanz, doch nicht ausschließlich.

 

Auch im Drama hat Sex und Erotik vor allem erzählerische Funktionen für das Verhalten und die Entscheidungen von Figuren. Ebenso in der Komödie, wo Sex ebenfalls Handlungselement ist. Im Bereich Phantastik war Sex eher Metapher und Symbol. Dennoch, Erotik und Sex, das war keine Flucht in eine fremde Welt, jedem Menschen war die Bedeutung von Sex vollkommen klar. Trotzdem war Sex als Projektionsfläche für Wünsche und Träume im Film von entscheidender Bedeutung.

 

 

Der moralinsaure Mr. Hays

 

APRÈS LE BAL (NACH DEM BALL) von Georges Méliès (1897) gilt als einer der ersten Filme mit einer Nacktszene.

Die ersten erotischen Filme entstanden aus der Serienfotographie wie die von Eadweard Muybridge, der 1827 die Bewegungsphasen eines galopierenden Pferdes zeigten und der in seinem Band “The Human Figure in Motion” Bildfolgen von Nackedeis veröffentlichte. Serienfotographie galt als Vorläufer des Films, der 1896 entstand und bereits in diesem Jahr Erotik auf die Leinwand brachte.

 

Einer der ersten Erotikfilme war LE COUCHER DE LA MARIÉE, der auch gleich die erste Stripteaseszene enthielt. In der Frühzeit des Films ging es um die Auslotung, was man alles zeigen konnte in diesem Medium. Ebenfalls 1896 erregte der erste Filmkuss in THE MAY IRWIN KISS die Gemüter, in PEEPING TOM aus dem Jahr 1897 war es der erste Blick durch´s Schlüsselloch.

 

Zu jener Zeit gab es noch keine wirkliche Abgrenzung zwischen Erotikfilm und Pornographie. Auch wurden erste erotische Stummfilme eher als Volksbelustigung aufgenommen, ähnlich einer Jahrmarktssensation. Und so war es auch wirklich, die ersten Wanderkinos um die Jahrhundertwende herum zeigte zu später Stunde sogenannte “pikante Filme für Herrenabende”. Doch nach der ersten Euphorie wurden dann auch gleich kritische Stimmen laut, denn man verband diese Art der erotischen Darstellung oft mit Unmoral und Obszönität.

THE HUMAN FIGURE IN MOTION (1879), LE COUCHER DE LA MARIÉE (1896), der erste Filmkuss in THE MAY IRWIN KISS und PEEPING TOM (1897) INTOLERANCE (1916), SYMPHONY DER LIEBE (1933) & Betty Boop

 

Nicht dass Erotik vor dem Film ein Fremdwort war. In der Literatur und am Theater wurde damit nur zu gern gespielt. Aber beim Film war das anders. Es ging nicht nur um die Darstellung. Unmoral wurde vor allem damit verbunden, dass Menschen vor der Kamera eben unmoralische Dinge taten.

 

Interessanterweise betraf das weniger die visuelle Darstellung. Die Einführung des Tonfilms Ende der 20er Jahre machte vieles problematischer. Der junge Film war jedem zugänglich, es gab keine Altersbestimmungen in den Nickelodeons, den ersten US-Kinos, die Filme zeigten. So ging unter Sittenwächtern die Angst um, Filme könnten Jugendliche zur Unmoral erziehen. Denn mit der Einführung des Tonfilms beschäftigten sich die Filme in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren durchaus mit modernen, lebensnahen Themen wie Kriminalität und eben Sexualität.

 

Offener und unverkrampfter Umgang mit Sex und Gewalt in der sogenannten “Pre-Code Ära” 1920 – 1934

Was dazu führte, dass der Staat aufgrund kirchlicher und sozialer Interessengruppe die Notwendigkeit einer Zensur in Erwägung zog, um die “gesunde und erbauliche Geisteshaltung des Durchschnittsbürgers“ aufrecht zu erhalten. Die Filmindustrie zu jener Zeit wollte diese staatliche Zensur verhindern, in dem sie von sich aus eine freiwillige Selbstkontrolle ins Leben rief. 1922 wurde die Motion Pictures Producers and Distributors Association gegründet und unter Leitung von Will H. Hays wurde ein Katalog entwickelt, was in Filmen zu zeigen möglich war und was nicht.

 

 

Doch in einer Zeit der großen Wirtschaftskrise, Kriminalität, Gewalt und Prostitution war es kaum möglich, Filmemachern Themen zu verweigern. Eine Liste von “Dont´s” und “Be Carefuls” wurde zumeist von Filmemachern großzügig umgangen, der sogenannte “Production Code” kam selten zur Anwendung. Im Tonfilm wurden sexuelle Anspielung nun auch verbal gerechtfertigt, was den Druck auf die Öffentlichkeit noch erhöhte. So wurde 1935 der “Production Code” verschärft, der heute als “Hays Code” bekannt ist. Die Filme zwischen Einführung des Tonfilms und der Einführung des “Hays Codes” 1934 nennt man deshalb auch “Pre Code Filme” und unter ihnen waren auch für diese Zeit moderne Klassiker wie NIGHT NURSE (1931), SCARFACE (1932) oder BABY FACE (1933).

 

William Harrison „Will“ Hays (1879 – 1954), Begründer, Verfechter und Verwalter des “Production Code” 1934 – 1967

Doch der “Hays Code” veränderte alles. Filme mussten nun begutachtet werden und die Behörde konnte ihre Veröffentlichung untersagen, sollten sie szenisch den Auflagen des Codes zuwider handeln. Das bedeutete Geldstrafen und, schlimmer noch, ein Aufführungsverbot. So kam es ab 1934 in den Staaten zum großen Subgenresterben, Horror, Crime und Erotik waren schwierig zu produzieren. Aber Filmemacher waren clever und nutzten die Möglichkeiten des Mediums Film, um Sexualität oder Gewalt zu symbolisieren, was dazu führte, dass sich Erotik als diffiziles Gestaltungsmittel entwickelte.

 

Fallende Sittenhürden im Mainstreamfilm: Erster offener Hinweis auf Sex in ROOM AT THE TOP (1959), die erste gezeigte Erektion in ANDY WARHOL’S FLESH (1970), die ersten Leinwandlesben in THE KILLING OF SISTER GEORGE (1969) und der erste akustische Orgasmus in REPULSION (EKEL, 1965)

Vielleicht war der “Hays Code” sogar für den Erotikfilm mitverantwortlich, denn pornographisches Filmmaterial gab es durchaus noch, nur trennten sich die Wege von Pornographie und Mainstreamkino von Anfang an. Für das Mainstreamkino musste ein Filter gefunden werden und es resultierte daraus auch erotische Kunst. Dazu muss man natürlich sagen, dass Moral und Restriktionen länderabhängig waren. In Europa, insbesondere Frankreich, ging man freizügiger mit Sex um, Amerika wird heute noch als prüde bezeichnet. Aber auch das amerikanische Kino hat sich innerhalb der moralischen Grenzen der Sittenwächter emanzipiert und das begann bereits mit der Abschaffung des “Hays Code”.

 

 

 

 

Nachdem ab den sechziger Jahren der “Hays Code” kaum mehr Anwendung fand, war der Weg frei für erotische Literaturverfilmungen wie Stanley Kubricks LOLITA (1962).

Denn der “Hays Code” währte nicht lang, er wurde seit den sechziger Jahren kaum mehr angewandt und 1967 endgültig abgeschafft. Stattdessen entwickelte sich in den Staaten das bis heute gültige freiwillige Bewertungssystem. Die Darstellung von gesellschaftkritischen Themen war nicht sanktionierbar, vor allem, weil Erotik vor allem im Kopf entstand. Das Ende des “Hays Codes” fiel zudem in die Zeit der sexuellen Revolution in den späten 60ern.

 

 

Was sich änderte, war vor allem der Wandel von der gesellschaftspolitischen Betrachtung von Sexualität und Selbstbestimmung, Frauenbild und Macht hin zu einer Beschäftigung von Sex als Unterhaltungselement.

 

 

 

That’s Sexploitation

 

So entstanden diverse Subgenre. Frühe pornographische Filme wurden als “Blue Movies” oder “Stag Filme” bezeichnet, das, was wir heute als Pornofilm bezeichnen, entwickelte sich erst relativ spät mit der Industrialisierung des Genres durch das Videozeitalter. Der erotische Film hingegen verdichtete sich dahingehend, das nun Sex als Handlungselement auftrat und mehr bewirkte, als nur die Stimulans des Publikums. Der Sexfilm entstand, doch ist dieser Begriff eher ein Sammelsurium für verschiedene Subgenres, die Anfangs alle im B-Movie Bereich anzutreffen waren. In den 60er Jahren waren das vor allem zwei Säulen – Sex Comedy und Sexploitation.

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Sexploitation ist ein Kofferwort aus Sex und Exploitation (Ausbeutung). Die Abschaffung des “Hays Codes” und die sexuelle Revolution führte zu einer Vielzahl von billigen Low Budget Filmen, die offen Nacktheit und Sexualität thematisierten, diese im Gegensatz zur Pornographie aber nicht explizit zeigten. Eine kritische Behandlung dieser Themen war das nicht, es war pure Sensationsgier aus dem filmischen Underground, welcher meist in Grindhouse-Kinos beheimatet war.

 

 

Das Grindhousekino als Sündenpfuhl

 

Auch der Sexploitationfilm als Subgenre verzweigte sich weiter, Themen waren hier vor allem Frauen im Gefängnis, sogenannte WIP-Filme (Woman in Prison, 99 WOMEN, CAGED HEAT), Nazis (ISLA – SHE WOLF OF THE SS) und Sexhorrorfilme (VAMPYROS LESBOS). Doch Sexploitation gab es nicht nur in Amerika, auch in Europa entstanden Kleinstgenre wie der europäische Nudistenfilm und der Softsexfilm, der aus dem großen Erfolg von EMANUELLE (Frankreich, 1974) heraus entstand. Softsexfilme waren mitunter ein Gegenentwurf zum rauen, amerikanischen Sexploitationfilm, der auch mit viel Gewalt einherging.

 

 

 

Weichzeichner und zarte Eleganz im europäischen Softsexfilm – BILITIS (1977)

 

Europäische Softsexfilme waren eher verspielt, träumerisch und wurden so auch technisch realisiert. Die Kamera war sanft, das Licht weich und trüb, was den Traumcharakter der Szenen erhöhte. Auch ging es weniger um die Zurschaustellung von Nacktheit als das filigrane Verdecken durch transparente Fummel und Gewänder. So übernahm der Softsexfilm eher Anleihen aus der erotischen Fotographie, was die Phantasie anregte. In Amerika hingegen…naja…

 

 

 

Der Godfather of Sex RUSS MEYER (1922 – 2004)

 

Einer der bekanntesten Filmemacher der goldene Ära der Sexploitation in den Staaten war Russ Meyer, der 1959 mit DER UNMORALISCHE MR. TEAS einen Klassiker und Wegbegründer des Sexploitationfilms drehte. Seit der “Pre Code Ära” wagte es keiner mehr, so viel nackte Haut auf einer Leinwand zu zeigen. Gleichzeitig ging es Russ Meyer nicht um den gesellschaftspolitischen Kontext von Sexualität, aber auch nicht um Pornographie. DER UNMORALISCHE MR. TEAS gilt als erster Mainstreamfilm, der Sex zu Unterhaltungszwecken thematisierte.

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Nach einer Narkose kann der titelgebende Mr. Teas Frauen mit einer Art Röntgenblick betrachten. Was er von nun an sieht, sind Brüste, Hüften, Hinterteile. Russ Meyer machte keinen Hehl daraus, dass seine private Obsession Frauen mit großer Oberweite waren. Er und das Publikum hatten vor allem Spaß an der Frivolität. DER UNMORALISCHE MR. TEAS wurde ein Kassenschlager und Russ Meyer wurde für das Kino so etwas wie der “Godfather of Sex”. Seine Filme spielten das Vielfache ihrer Produktionskosten ein, was Anfang der 70er Jahre dazu führte, dass sich auch große Studios für den Sexfilm interessierten, der vormals ausschließlich für das Underground-Grindhousekino konzipiert war.

 

Und das lag Ende der Siebziger bereits wieder im Sterben, als der Pornofilm dem Sexfilm den Rang abzulaufen schien. Das wiederum ist auf den immensen Erfolg des Pornofilms DEEP THROAT zurückzuführen, der 1972 in die US-Kinos kam. Nicht in die schmuddeligen Pornoschuppen, nein, DEEP THROAT erreichte ein riesiges Publikum innerhalb normaler Lichtspielhäuser.

 

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Mit einem Budget von 25.000 US-Dollar spielte DEEP THROAT über 600 Millionen Dollar ein und gilt damit als profitabelstes Filmprodukt der Geschichte. Natürlich gab es Aufruhr und sogar das FBI war mit dem Fall beschäftigt. Doch das immense Interesse der Öffentlichkeit war größer als die noch immer strapazierten Moralvorstellungen der Sittenwächter.

 

Bereits 1970 bekam Russ Meyer das Angebot der 20th Century Fox, einen großen Hollywoodfilm nach seinem Gusto zu drehen – BEYOND THE VALLEY OF THE DOLLS (BLUMEN OHNE DUFT). Mit 6 Millionen Dollar an der Kinokasse war die Sexkomödie ungleich erfolgreicher als das Prestigeprojekt CLEOPATRA, welches Fox 1966 fast in den Ruin trieb. Sex war plötzlich überall, der Erfolg von BEYOND THE VALLEY OF THE DOLLS und DEEP THROAT aber leiteten auch das Ende des Grindhousekinos ein.

 

 

Ob Dirndl oder Lederhose – gejodelt wird ganz wild drauflos

 

Wenn Sex im Mainstreamfilm plötzlich auf breite Akzeptanz in der Gesellschaft traf und Pornos sogar in normalen Kinos liefen, gab es kaum mehr Bedarf für den Undergroundfilm. Doch nicht nur in den Staaten gab es diese Sexwelle, auch in Europa formierten sich völlig obskure Subgenres.

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Der deutsche Sexfilm hatte in den 60er und 70er Jahren zwei Ausprägungen. Aus der volkstümlichen Komödie heraus entstanden Ende der 60er die sogenannten Lederhosenfilme, in denen tatsächlich eine tiefere Bedeutung steckte. Im Gegensatz zum deutschen Sexklamauk der achtziger Jahre spielten die Lederhosenfilme durchaus mit Themen wie Sittsamkeit, Moral und Spießbürgerlichkeit und waren nicht nur auf Frivolität ausgerichtet.

 

Das wirkt heute aus retrospektiver Sicht natürlich völlig anders. Die Filme standen in der Tradition des deftigen Bauerntheaters. In ihnen aber lag mehr verborgen als frivoler Klamauk, vor allem Ironie im Umgang mit der neuen Freizügigkeit.

 

Ein unstrittener Klassiker der Erotikliteratur, 1970 von Kurt Nachmann verfilmt – JOSEFINE MUTZENBACHER

EROTIK IM BERUF (1971) auf dem Höhepunkt der Sexwelle in Deutschland

 

Auch wenn die Sexfilmwelle in Deutschland den Anschein erweckte, Teil der sexuellen Revolution zu sein, machten die Lederhosenfilme vor allem Geld mit Sex. Einen anderen Anspruch schienen da die sogenannten “Reportfilme” zu haben, die dem Zuschauer sexuelle Handlungen und Vorlieben als wissenschaftlich fundiert verkaufen wollten.

 

visual_sex_reportDas allerdings war nur Fassade, Filme wie DER SCHULMÄDCHEN REPORT waren Sexploitation allererster Kajüte. Dass dererlei Machwerke als Aufklärungsfilme beworben wurden, war eher eine Folge der Filme des Autors und Filmemachers Oswalt Kolle, der 1968 mit DAS WUNDER DER LIEBE Aufsehen erregte. Damit hatten Reportfilme zwischen 1970 und 1974 allerdings wenig gemein. Der Wahrheitsgehalt war verschwindend gering, hier ging’s um sexistische Klischees über Schülerinnen, Krankenschwestern und Hausfrauen.

 

 

 

Die Pflaume der Medusa

 

Ende der Siebziger Jahre allerdings verschwanden so gut wie alle Subgenres des Sexfilms, sowohl in Europa als auch in Amerika. Das Grindhousekino war tot, Sex im Mainstreamkino auf dem Weg der Emanzipation und mit dem Eintritt ins Videozeitalter hielt nun der Porno Einzug in die Haushalte.

visual_sex_classics2Sex im Mainstreamkino hatte es plötzlich schwer, ein Publikum zu finden. Es gab nur noch wenig Möglichkeiten. In den 80er Jahren wurde Kino wieder glamourös, depressive Antihelden wichen wieder großen Leinwandstars. Blockbuster lösten die Ära New Hollywood ab und man empfand wieder eine erotische Spannung. Zu gern würde man die Stars des neuen Kinos auch mal in frivolen Posen erleben, dort wo vorher nur unbekannte B-Movie-Akteure blankzogen. Und die Stars der 80er waren durchaus bereits, ihre Reize auszuspielen.

 

 

Das hatte aber auch andere Gründe. Denn die sexuelle Evolution hat in dieser Zeit zwangsläufig eine weitere Stufe erreicht. Der gesellschaftlichen Akzeptanz folgte die Kommerzialisierung. Und das nicht nur im Film, sondern in allen Bereichen des Lebens. Mit Sex konnte man prima Werbung machen. Filmtrailer, die aufkamen, locken vor allem mit optischen Reizen. Sex ging durch alle Genres, wurde eine globale Sprache. Vor allem der Film profitierte davon, denn Sex verstand man überall. So bekam der Begriff Sexsymbol, der im Jahre 1911 erstmalig Erwähnung fand, auch endlich seine wahre Bedeutung.

 

 

Sexsymbole im Wandel der Zeiten: Asta Nielsen, Rudolph Valentino, Mae West, Marlene Dietrich, Clarke Gable, Rita Hayworth, Gary Cooper, Marilyn Monroe, Ursula Andress, Sean Connery, Bo Derek, John Travolta, Isabella Rosselini, Richard Gere, Kim Basinger, Sharon Stone, Michael Douglas, Brad Pitt, Angelina Jolie, George Clooney, Pamela Anderson, Mark Wahlberg, Gina Gershon, Daniel Craig, Halle Berry, Scareltt Johansson, Hugh Jackman, Eva Green, Bradley Cooper, Megan Fox, Ryan Raynolds, Jennifer Lawrence, Ryan Gosling

 

 

Je freizüger der Film wurde, desto mehr wurde ein Körper zu Kapital. Und mit Sex konnte man alles verkaufen, vor allem im Kino. Sex wurde verbalisiert und persifliert in Komödien, im Horrorfilm spielte Sex eine große Rolle und der Horrorfilm wäre ohne Sex auch nicht so populär geworden. Der Actionfilm kam groß raus und der verlangte natürlich durchtrainierte Körper. Generell war wieder mehr Schönheit gefragt auf der Leinwand. Sex war plötzlich überall, rückblickend kennt man keine Filmfigur, die nicht mit Sex in Verbindung zu bringen ist. Außer Gandalf vielleicht. Aber den Sex wieder in eigene Genreformen zu pressen, dafür reichte nackte Haut allein nun auch wieder nicht aus.

 

Kim Basinger und Mickey Rourke in 9 1/2 WOCHEN (1986)

In den 80er und 90er Jahren lotete man aus, wie weit man im Mainstreamkino gehen konnte, was man zeigen konnte und ob man eine Nische zwischen billigem Sexfilm und Pornographie fand. Man begnügte sich nicht nur damit, erotische Bilder auf die Leinwand zu werfen. Sex wurde wieder zum Handlungselement, wie es ihn seit der “Pre Code Ära” nicht gegeben hatte. Man verband nun das Thema Sexualität vor allem mit zwei Genres – Thriller und Dramen. Dem Erotikthriller ging das Subgenre Femme Fatal voraus. Oder sind nicht alle bekannten Erotikthriller im Grunde Femme Fatal Geschichten?

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Das, was wir heute als Erotikthriller bezeichnen, hatte seinen Höhepunkt in den neunziger Jahren, aber es entstand bereits Anfang der Achtziger, vor allem durch Brian De Palmas DRESSED TO KILL und fand seinen ersten Höhepunkt 1987 in EINE VERHÄNGNISVOLLE AFFÄRE. Der Film machte Michael Douglas zum Sexsymbol und legte seine Rollenwahl in den Neunzigern fest. Richard Gere machte die Frauen wuschig in AMERICAN GIGOLO und Mickey Rourke sah in 9 1/2 WOCHEN noch knackig pornös aus.

 

 

Sharon Stone, kurz vor der Wiedererweckung des Beaver-Movies in BASIC INSTINCT (1992)

Die Frauen indes, obgleich fein anzuschaun, machten einem eher Angst. Mit Glenn Close wollte man lieber nix zu tun haben. Kim Basinger, Heather Locklear, Melanie Griffith oder Daryl Hannah, sie entsprachen gar nicht dem Typus Frau der Jahrzehnte zuvor, sie wussten um ihre Reize und waren darauf aus, das zu bekommen, was sie wollten. Der Erotikthriller wird aus dem Grund vor allem von weiblichem Publikum geschätzt, er entspricht nicht unbedingt einer wüsten Männerphantasie.

 

Als Sharon Stone dann 1992 auf der Leinwand die Beine kreuzte, schien der Sexbogen überspannt. Mit BASIC INSTINCT bekam der Erotikthriller seinen zweiten Höhepunkt, der in den Neunzigern unzählige gleichgestrickte Filme nach sich zog. Dabei war BASIC INSTINCT noch nicht mal ein besonders guter Film. Aber die Provokation durch A-Liga-Stars, das schien ein lukratives neues Geschäftsmodell zu sein. Doch das währte nur kurze Zeit, denn um ein gutes Geschäft mit Erotikthrillern zu machen, dafür brauchte man einem Joe Eszterhas keine Millionen für´s Drehbuch hinterherzuschmeißen. Das ging wesentlich billiger.

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Demzufolge flog das frisch erblühte Subgenre Erotikthriller von der Leinwand in die Videothek. Die Stars waren billiger, trotzdem genauso hübsch (Linda Fiorentino, Drew Barrymore, Elizabeth Berkley) oder versaut (Gina Gershon, Jennifer Tilly), und für wenig Schmott konnte man schmutzige, kleine Filmchen machen, die in den späteren Neunziger Jahren die Videotheken überschwemmten.

 

 

 

ZACK AND MIRI MAKE A PORNO (2008)

 

Junge Stars, die gern blankzogen, gab es genug in Hollywood und auch heute noch ist der Erotikthriller lebendig, im Kino hat ihn komödiantischerer Schweinskram verdrängt Denn vor allem jüngere Zielgruppen sprachen die Sprache der Liebe und als der Teeniefilm ab Mitte der Neunziger boomte, war das eine viel aufgeklärtere Generation, die da ins Kino ging. Vor allem aber, über Sex konnte man herzlich lachen. Die Sexkomödie wirkte vor allem über Klischee, Scham und Slapstick sowie der großen Tragik der Sache an sich.

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Sex als dramaturgisches Motiv ist vor allem in der Komödie unterhaltsam. Denn in diesen Filmen wird Sexualität mehr thematisiert als gezeigt. Da es aber vor allem ab den zotteligen Sexkomödien wie AMERICAN PIE auch optisch immer explizierter wurde, kam der alte Moralaspekt wieder hoch, da sich diese Filme ja vermehrt an Teens richteten. Die sexuelle Freizügigkeit hatte auch ihre Grenzen.

 

 

 

 

Nicht der Homosexuelle ist pervers,…

 

Erst recht beim Thema Homosexualität, das wurde nämlich kaum thematisiert im Mainstreamfilm oder im Klischee des Schwulen persifliert. Der Komödie konnte man das jetzt nicht unbedingt vorwerfen, auch nicht dem Arthouse-Drama, welches Homosexualität thematisierte. Aber die meisten Genres haben das eher konservativ gespiegelt.

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Undenkbar in den 80ern, Bruce Willis hätte einen Schwulen gespielt. Auch heute noch sind Gedankenblockaden in den Köpfen. Es mussten Jahrzehnte vergehen, um eine Geschichte wie im Film BROKEBACK MOUNTAIN so zu erzählen. Nicht dass es kein schwules Kino gab in den Jahrzehnten zuvor, aber es wurde sehr behutsam abstrahiert. Filme über Homosexualität thematisieren nicht so sehr sexuelle Aspekte als soziale und sie passen auch nicht wirklich in eine Aufzählung zwischen Lederhosen und Erotikthrillern. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung hingegen wird auch heute noch viel auf Sexualität reduziert.

 

Obgleich Schwule und Lesben in allerlei Genres vorkamen, eine ernsthafte Auseinandersetzung findet im Film erst ab den späten Neunzigern statt und, das ist das Interessante, diese Entwicklung hat noch gar keinen Abschluss gefunden. Man kann die Evolution gut an Filmen ausmachen, denn zwischen 2000 und jetzt sind bereits wieder 16 Jahre vergangen. Zwischen BROKEBACK MOUNTAIN und BLAU IST EINE WARME FARBE liegen erzählerische Welten, ich meine ausdrücklich nicht die explizite Darstellung der Sexualität, sondern Kontext und Akzeptanz.

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Auch das Thema Transexualität hat sich erzählerisch zwischen TOO WONG FU, THANKS FOR EVERYTHING, JULIE NEWMAR (1996) und TRANSAMERICA (2005) gehörig weiterentwickelt. Am 08. Dezember startet ALLE FARBEN DES LEBENS mit Elle Fanning in der Hauptrolle, ein weiterer Film mit Transgenderthematik und ich bin sehr gespannt, welchen Ton dieser Film trifft.

 

 

 

ALLE FARBEN DES LEBENS (2016)

Trotzdem, Filme über Homosexualität und Transgenderthematiken gehören in die Betrachtung von Sexualität und Erotik im Film, der immer realistischer werden wollte. Wozu hat man sich sonst all die Special Effects erdacht, wenn nicht zu dem Zweck, Geschichten realistischer zu erzählen. Das ist mit Sex im Film nicht anders, nur, dass man dafür keinen Effektkünstler braucht.

 

Was natürlich Quatsch ist, eine gute Sexszene ist ein filmtechnischer Kraftakt. Denn das geschickte Verdecken und Verstecken war schon immer aufwändiger als das bloße zur Schau stellen. So erfahren die meisten Sexszenen im Film eine Abstrahierung. Manche Filmemacher aber wollten die Realität nicht durch eine geblurrte Linse betrachten, weder visuell noch erzählerisch. So kam sie wieder auf, die Diskussion über die Grenzen zur Pornographie.

 

 

Wenn die letzten Hüllen fallen

 

visual_sex_plizitEs gibt eine Handvoll Filme, die für sich beanspruchten, echten Sex auf der Leinwand zu zeigen. Man kann sie in zwei Kategorien einordnen. Filme wie CALIGULA haben das mutmaßlich zur reinen Provokation oder Werbezwecken gemacht, man kann das heute wahrscheinlich nicht mehr nachvollziehen. Auch in PINK FLAMINGO von John Waters ging es eher um Protest. Aber echter, sogenannter Unsimulated Sex, kann durchaus künstlerisch nachvollziehbare Funktionen haben, die den Begriff Pornographie eigentlich ausschließen.

 

 

Das wäre zum einen eine Frage der Stilistik, eine symbolische Frage wie im Fall ANTICHRIST von Lars von Trier. Weitaus mehr wird aber der Fokus auf Realismus gelegt, mit teils erstaunlichen Ergebnissen. Es ist wohl per se so, dass realistisch inszenierter Sex nicht wirklich erotisch wirkt. Im Gegenteil, in Filmen wie KIDS, der im Übrigen keinen unsimulated sex beinhaltet, wirkt Sex eher abschreckend.

 

LOVE von Gaspar Noé (2015)

In LOVE von Gaspar Noè ist das völlig anders, hier wirkt der echte Filmsex weder abstoßend noch erregend im pornographischen Sinne. Es ist eine ehrliche Liebesgeschichte, eigentlich gar nicht realistisch erzählt, sondern stilisiert, aber gerade die Sexszenen geben dem Film so etwas Ehrliches, Wahrhaftiges. Ohne sie hätte der Film nicht diese Wirkung. Ob als Provokation (BAISE MOI), Metaphorik (INTIMACY) oder eventuell nur aus eigener, künstlerischer Befriedigung heraus (THE BROWN BUNNY), echter Sex im Film muss nicht pornographisch wirken und kann durchaus dramaturgische und künstlerische Funktionen haben.

 

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Filme dieser Machart allerdings bleiben eine Nische. Diese künstlerische Nische ist das eine, die künstliche Aufregung um Filme wie FIFTY SHADES OF GREY wirkt dagegen fast bekloppt. Obwohl es im Kino schon alles gegeben hat, immer wieder beginnt das Moralinsäurefass zu gären. Da scheint das Fernsehen schon einen Schritt weiter zu sein. Natürlich waren die moralischen Schranken, die es einzureißen galt, im TV besonders hoch. Die sexuelle Revolution im Fernsehen begann nicht mit TUTTI FRUTTI, sondern ist amerikanischen Pay-TV-Anbietern zu verdanken. Die Serienrevolution ist auch eine interessante Geschichte über Sex.

 

 

Die Sexrevolution im TV: SEX AND THE CITY, THE L-WORD, CALIFORNICATION, MASTER OF SEX, SPARTACUS

Da die Pay-TV-Sender um Abonnenten buhlten, mussten sie schon mehr bieten als der Rest. War der Grad der Gewaltdarstellung und schamlose Sexszenen in GAME OF THRONES am Anfang noch bemerkenswert, hat man sich inzwischen daran gewöhnt. Dagegen wirken die aufgescheuchten SEX AND THE CITY Hühner mittlerweile regelrecht prüde, obwohl sie einen großen Beitrag zur Selbstverständlichkeit von Sex im TV beigetragen haben. Das TV deckt heute mittlerweile so gut wie alle sexuellen Spielarten ab, von Sexsucht (CALIFORNICATION), Sexualforschung (MASTER OF SEX), gemischte Cliquen (THE L-WORD), doch selbst, wenn Sex nicht im Mittelpunkt der Handlung steht, Sex ist in Serien von SPARTACUS über ORANGE IS THE NEW BLACK bis TRUE BLOOD allgegenwärtig.

 

 

Ausgefranste Handtücher aus der Sexualkiste der Hölle

 

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Bei all der freizügigen Darstellung von nackter Haut und Gestöhne auf allen Kanälen gilt mal dem Horrorfilm ein besonderes Lob, denn der Horrorfilm hat sich wenigstens bemüht, Sex vorrangig symbolisch zu inszenieren. Denn vor allem der Horrorfilm hat diese inhaltliche Ebene, Blut, Schmerz, Dominanz, viele Dinge haben eine sexuelle Doppelbedeutung. Das macht den Horrorfilm für Sex unglaublich empfänglich. Erotik und Grusel waren bereits Markenzeichen bei den Hammer Studios, später jedoch wurde Sexualität oft auf kreischende Blondinen reduziert, die halbnackt vorm fiesen Schlitzstrolch davonliefen. Es gibt aber auch Filme, in denen steckt eine großartige sexuelle Symbolik wie in POSSESSION, LA BÊTE oder in HELLRAISER.

 

Sex als Überlebensstrategie in IT FOLLOWS (2014)

Auch thematisch speisen sich Horrorfilme aus sexuellen Themen wie Geschlechtskrankheiten (CONTRACTED) oder Sex als Überlebensstrategie (IT FOLLOWS). Im Science-Fiction-Bereich sind es vor allem lustvolle, aber tödliche Femme Fatals, denen die Männer anheim fallen. Und im Film TEETH geht die Bedrohung sogar von einer Vagina Dentata aus, der gefürchteten bezahnten Möse.

 

Hab ich Möse gesagt? Noch immer sind wir in der Evolution unserer sexuellen Selbstbestimmung nicht am Ziel angelangt, noch immer erklingt die Stimme der Moral, wo auch immer sie herkommt. Wird der Mensch das eines Tages völlig ablegen und frei sein von Scham? Dem Film jedenfalls täte es nicht gut, alles, was mit Sex zu tun hat, zieht noch immer in die Lichtspielhäuser und das ist auch gut so.

 

FIFTY SHADES …was? Noch DARKER (2017)? Die Frage ist, wann kommt der erste Bukkake-Kinofilm?

Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, wenn man in jungen Jahren mit seinen Eltern um 20:15 Uhr einen James Bond Film geschaut hat. Und als der gute James dann irgendeine Trulla küsst und verführt, mit Frivolitäten um sich schmeißt, wie wurde man da rot im Gesicht. Man hoffte, die Szene sei schnell vorbei. Das wird mit zunehmenden Alter besser, aber ganz wegzukriegen ist es nicht. Scham. Ich weigere mich zu glauben, dass das ein Ding der Evolution ist. Wo ist der evolutionäre Nutzen?

 

Bringt man Filmgeschichte und Menschheitsgeschichte übereinander, kommt man aus dem Lachen kaum mehr raus. Der Mensch erstellt sich selbst einen Moralkodex, um ihn dann nach und nach aufzugeben. Man kann die Menschheit nicht unterteilen in Sexfilmemacher, das Publikum und die Sittenwächter. Sittenwächter wollen vielleicht auch mal gern Russ Meyer Filme schauen.

 

Die einen nennen es Verklemmtheit, die anderen meinen, Sexualität geht keinem was an. Bei Gewalt im Film ist das einfacher, die ist zwar auch moralisch verankert, aber man kann es akzeptieren, man kann auch ohne Gewalt bei Lidl einkaufen gehen. Aber ohne Sex wirds kritisch, allein wegen der Arterhaltung. Niemand hat behauptet, Sexfilme sollen uns zum Sex animieren. Aber warum eigentlich nicht? Dann wäre es das einzige Genre, welchen überlebensnotwenig wäre.

 

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

Lesen Sie in der nächsten Folge:

 

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3 Comments

  1. Antworten

    […] Setzkasten der Filmmikrobiologie. Bevor ich also versuche, psychoanalytische Deutungen in Russ Meyers IM TIEFEN TAL DER SUPERHEXEN zu finden, will ich nach der langen Vorrede viel lieber die verrücktesten und schrägsten […]

  2. Antworten

    […] allerlei moralische Instanzen betrachteten den Film argwöhnisch, es gab Debatten über Gewalt und Sexualität, Religion aber war ein noch viel heikleres Thema. Für andere Figuren, ob historisch verbürgt oder […]

  3. Antworten

    […] um eifersüchtige Spieler und Männlichkeitsrituale. Die wenigen Dramen während der Pre Code Ära dagegen thematisierten vor allem […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de