Die kleine Genrefibel Teil 65: Politiká
Wer hätte gedacht, dass im biedergraukarierten und angeblich politikverdrossenen Deutschland mal noch derart Schwung in den Sandkasten der Demokratie kommt, dass die Förmchen und Schäufelchen der Politakteure durch die Luft wirbeln, dass es nur so stoibert? Ich jedenfalls nicht. Am Vorabend der Artikelniederschrift jedenfalls kam es auch in unserem beschaulichen Lande zu einem regelrechten Politthriller. Zufall? Naja zumindest ein bisschen. Mittlerweile hat sich der Sturm im Maßkrug wieder gelegt, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder krach. International kracht es ohnehin seit ein paar Jahren. Politik als Winkelmaß der Geschichte, aber wann wird aus Politik Geschichte, aus Geschichte Politik und aus vergangenen oder zukünftigen politischen Gegenwärtlichkeiten Geschichten und Filme? Und was ist der Unterschied zwischen Politik im Film und einem politischen Film?
Das Wort Politik stammt aus dem Griechischen und es beschreibt die Summe aller Regelungen des bürgerlichen Zusammenlebens im persönlichen und öffentlichen Bereich. Die Stadtstaaten Griechenlands hießen polis, also Städte, die sich selbst verwalteten. Politik aber besteht mindestens aus zwei Polen, auf der einen Seite wird gestaltet bzw. verwaltet, auf der anderen Seite trifft dieser Gestaltungswille auf jene, deren Leben davon betroffen ist. Da es kaum Bereiche des menschlichen Zusammenlebens gibt, die nichts mit Politik zu tun haben, ist irgendwie alles politisch. Auch beim Film scheint sich diese Annahme zu bestätigten, so kann jeder Film als politisch betrachtet werden, der gesellschaftliches Zusammenleben erzählt, egal ob direkt oder als Metapher.
Das macht den Begriff politischer Film zu einer recht schwierigen Angelegenheit. Politik beeinflusst das Leben, natürlich scheint so jeder Film politisch. Man kann Filme politisch nennen, wenn sie in ihrer Absicht politisch sind oder überhaupt einer absichtlichen Agenda folgen, also Partei ergreifen. Der Film wird so zu einem Instrument, ganz gleich von welcher Seite.
Wie eine Gesellschaft verwalten und verwaltet werden kann, können auch politische Filme zwei Pole thematisieren, die der Machtausübung und die der Machtempfänger. Die einen wollen eine Politk für das Volk, andere für den Ausbau ihres Einflusses und ihrer Macht. Das Volk will seine Interessen vertreten sehen, aber wie oft wird am Willen eines Volkes vorbeiregiert? Aber das Volk besitzt eine Stimme, mit der man nicht nur an Wahltagen ein Mitbestimmungsrecht einfordern kann.
Politik ist immer ein Wechselspiel zwischen diesen beiden Seiten, die einen wollen gestalten, egal ob selbstlos oder eigennützig, die anderen sehen sich ob dieser Politik im Guten oder im Schlechten ausgeliefert. Was geschieht in den Zentren der Macht, welche Beweggründe haben Politakteure und wie wirkt sich das auf die Menschen aus, die von dieser oder jener Politik betroffen sind?
Aber ein Film ist nicht ausschließlich politisch, wenn in ihm eine politische Absicht liegt. Ein Film kann auch in der Rezeption politisch sein, ein Spiegel, dazu muss er nicht der politischen Agenda des Filmemachers folgen. Dazu zählen Filme, die unter anderen Gesichtspunkten entworfen wurden, als sie später rezipiert werden. Denn zu Politik, egal ob im Leben oder im Film, gehört immer ein gewisser Kontext, vor allem ein zeitlicher. Andere Filme schaffen Spiegel oder Sinnbilder, verändern Stellschrauben im Getriebe oder bedienen sich eines mehr oder weniger festen Genrekonstruktes, um politische Ansichten zu metaphorisieren. Auch Filme wie DAWN OF THE DEAD oder THE DARK KNIGHT können dann als politische Filme gewertet werden.
Wenn auch der Begriff politischer Film sehr diffus ist, haben sich in der Geschichte des Bewegtbildes auch klare Subgenre und Themenkomplexe herausgebildet, die Politik aus beiden Machtpolen heraus betrachten. Dramaturgisch gesehen eine Herausforderung, denn politische Prozesse im Leben sind oft komplex und zäh, diese dramaturgisch aufzuarbeiten und zu verdichten scheint schwierig, vor allem wenn in politischen Filmen der Anspruch innewohnt, diese Prozesse realistisch und gleichzeitig spannend zu erzählen. Politik hat den Film aber nicht nur dahingehend beeinflusst, dass der politische Film ausschließlich als Mahnmal oder Korrektiv konzipiert und rezipiert wird. Nicht selten wurde der Film selbst zum Instrument der Politik. Folgen wir den wichtigsten Stationen des Films durch die Geschichte hin zu seiner eigenen Mündigkeit und Reife.
Der Film als politisches Werkzeug
Von Anfang an waren Medien ein Mittel, der Öffentlichkeit politische Prozesse und Inhalte zu vermitteln. In erster Linie war und ist das die Presse, die das politische Geschehen aufarbeitet, schildert und bewertet. Medien wurden zur Ausdrucksform gesellschaftlicher Prozesse. Als der Film diese mediale Bühne betrat, war er allerdings ein eher stumpfes Schwert jener neuzeitlicher Medien, um Politik zu spiegeln. Zwar war der Film ein Massenmedium, aber man stand ihm auch skeptisch gegenüber. Film war Jahrmarktstreiben und für nicht wenige Instanzen eine Gefahr für Sitte und Moral. Wie man den Film als politisches Instrument benutzen sollte, war dem Menschen anfangs nicht wirklich gewahr.
Für einen dokumentarischen Ansatz fehlten anfangs die technischen Mittel. Film war eine Konserve, die zur aktuellen Wiedergabe von Geschehnissen nicht taugte. Zu groß war der technische Aufwand, zu langwierig die Meinungsbildung. In der Fiktion hingegen konnte der Film aus einem schier unendlichen gesellschaftspolitischem Fundus schöpfen, allerdings waren die visuellen Darstellungsformen begrenzt. Wie konnte ein Film komplexe politische Zusammenhänge erzählen, wenn ihm doch noch so manches Sinnesorgan fehlte. Doch gerade aus diesem technischen Aspekt heraus entwickelte sich eine neue Ausdrucksform, denn Politik war nicht nur Inhalt, sondern auch Symbolik, wovon der Film als audiovisuelles Medium profitierte.
In der Frühzeit des Films entwickelten sich rasch verschiedene Richtungen, Abbild, Propaganda und Korrektiv und sie entstanden nicht im luftleeren Raum, sondern aus dem gesellschaftspolitischem Kontext heraus. Die retrospektive Darstellung von Politik war wohl das Nachvollziehbarste. Die frühen Historiendramen der Stummfilmzeit und die ersten Shakespeare Verfilmungen war nicht nur Darstellungen von Geschichte, sondern auch von Politik. Und die Verfechter des neuen Mediums erkannten schnell, dass man damit aktuelle Bezüge schildern und vor allem auch beeinflussen konnte.
Der erste Schritt hin zum Film als politische Absichtserklärung war getan. Doch der Film war jung und naiv und ließ sich auch zur politischen Willensbildung missbrauchen. Nachdem der Film Massenmedium wurde, entwickelte er sich schnell zu einem Instrument der Propaganda. Der Propagandafilm wurde zu einem Werkzeug ideologischer Ziele, eine öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen oder zu manipulieren, mal subtil, mal plakativ, fast immer jedoch hinterlistig.
Zu Zeiten des ersten und zweiten Weltkrieges war das natürlich vornehmlich Kriegspropaganda. Aber nicht ausschließlich. Jeder, dessen Ziel es war, die Meinungsbildung hinsichtlich der eigenen politischen Ziele zu beeinflussen, fand im Medium Film einen willfährigen Komplizen. Propagandafilme wurden benutzt, um nachträglich Diskriminierung und Unrecht zu rechtfertigen (BIRTH OF A NATION) oder um ein Weltbild im Sinne der Herrschenden zu propagieren oder zu revolutionieren (PANZERKREUZER POTEMKIN). Nicht jede Propaganda war also solche zu erkennen, im Gegenteil, Propaganda war immer manipulativ. So wurden Ideale mittels Ästhetik glorifiziert (OLYMPIA von Leni Riefenstahl), Feindbilder kreiert (JUD SÜß) oder Durchhalteparolen posaunt (KOLBERG).
Filme als Mittel der Kriegspropaganda werden wir vertiefend noch behandeln, doch der Propagandafilm blieb auch nach beiden Weltkriegen ein Mittel zur gesellschaftlichen Beeinflussung, wenn auch wesentlich diffiziler als zu Kriegszeiten. Nicht immer konnte man ein “Anti” vor das Filmwerk stellen. Propaganda wurde auch als patriotisches und militärisches Mittel genutzt, vor allem zur Stärkung der emotionalen Verbundenheit mit der eigenen Nation.
Nach dem Vietnamkrieg beispielsweise war der Ruf der US Army auch im eigenen Land ziemlich am Boden. Im Film TOP GUN (1986) wurde dieses Image gehörig aufgepeppelt, auch mit Unterstützung der US-Navi. TOP GUN führte zu einem rapiden Anstieg der Bewerber für die US-Navi und ließ das Militär wieder cool wirken. Ob das im Sinne des Regisseurs Tony Scott war? Das US-Verteidigungsministerium jedenfalls war begeistert, der Anstieg der Bewerber wird intern auch als TOG GUN Effekt bezeichnet.
Hinter filmischer Propaganda steckten meist die Machthabenden, Staaten billigten dererlei Filme oder gaben sie in Auftrag. Aber auch andere Gruppen bedienten sich des Medium Films und nährten damit Umstürze oder Revolutionen. Trotz ihres Charakters als Mittel zur Politisierung möchte man sowohl Propagandafilme als auch Aktivistenfilme nur ungern als politische Filme bezeichnen. Die Kunstform der politischen Satire indes schon. Auch diese entstand parallel zum Historiendrama und dem Propagandafilm bereits in der Stummfilmzeit und hatte ihren ersten großen Höhepunkt mit DER GROßE DIKTATOR (USA 1940).
Nach dem zweiten Weltkrieg, inmitten einer neuen Weltordnung, veränderte sich dann auch der politische Film hin zu einem Korrektiv der Macht. Das war in erster Linie Folge der neuen Globalpolitik und derjenigen, die im politischen Diskurs den Film nicht als Instrumentalisierung von Machtansprüchen verstanden. Was nicht heißt, dass es diese nicht mehr gab.
US-Politmakakentum
Doch plumpe Propaganda wich eher einer versteckten Auseinandersetzung, besonders der Kalte Krieg wurde auch über den politischen Film zelebriert. Der politische Film versteht sich seit jeher als Korrektiv der Macht, was wiederum die Machthabenden negativ befeuerte. Waren Propagandafilme Mittel zur Beeinflussung der Gesellschaft seitens der Machthabenden, führte der politische Film als offene Kritik an politischen Missständen fast immer zur Kontroverse, zur Bevormundung und Kontrolle bis hin zur Zensur. Das veränderte wiederum die Gestaltung und Aussage des politischen Films seitens unabhängiger Filmemacher.
So entstanden nach und nach auch echte Subgenre als Spiegel von Zeitgeschehen und Politik. Der in den 40er Jahren entstandene Spionagefilm gelangte im Kalten Krieg zu seinem Höhepunkt, aus dem sich in den USA und in Europa ab den 60er Jahren der Politthriller entwickelte. 1962 kam John Frankenheimers BOTSCHAFTER DER ANGST (THE MANCHURIAN CANDIDATE) in die Kinos, der einen zwar fiktiven, aber durchaus realistischen Plot hatte.
Eine amerikanische Infanterieeinheit gerät während des Koreakrieges in kommunistische Gefangenschaft, wird dort einer Gehirnwäsche unterzogen und die Soldaten kehren als Attentäter in die Vereinigten Staaten zurück, mit dem Ziel, den Präsidentschaftskandidaten zu ermorden. Weil BOTSCHAFTER DER ANGST nicht nur einen politischen Plot hatte, sondern vor allem die Ängste der damaligen Bevölkerung im Kalten Krieg thematisierte, war er nicht nur Polit-, sondern auch Verschwörungsthrillers.
Ein Politthriller konnte echte historische und politische Fakten nacherzählen oder ein Was-wäre-wenn-Szenario entwerfen, welches zwar fiktiv ist, aber als Spiegel tatsächlicher Ereignisse dient. Der Verschwörungsthriller bedient sich dabei eher der unkonkreten Angst und der Mutmaßung. Aber genau so erschien dem Normalbürger der politische Alltagsbetrieb hinter verschlossenen Türen in Gremien und Geheimsitzungen politischer Akteure, denen man nicht vertraute.
Es war die Zeit der großen Paranoia und der Angst, vor einem Atomkrieg, den Russen, den Amerikanern, die Ängste waren groß, das faktische Wissen eher klein, das bedingte sich gegenseitig und ließ eben auch spekulative und politische Filme resultieren. Das Ganze war eine stetige Evolution und ebenso ein langwieriger Weg in das, was wir heute Mediendemokratie nennen.
Den Schritt von der Paranoia auf eine höhere Stufe der Entwicklung des Politthrillers nahm das Subgenre ab den 70er Jahren, als die großen Politskandale publik wurden. Diese bestätigten zum Teil den Verdacht, dass den Machthabenden nicht zu trauen sei und dass der normale Bürger oftmals machtlos der Politik ausgeliefert schien.
Die Initialzündung des Subgenres hieß Watergate, aber auch in Europa, insbesondere Frankreich und Italien blühte der Politthriller nach Verfehlungen der Machthabenden. Gleichzeitig veränderte die Politik bzw. die Wahrnehmung von Politik die Presse als auch den Film als Instrument des Korrektivs. Ein Nachteil des politischen Films war jeher seine Aktualität, der Film konnte nicht so schnell reagieren wie die Presse, aber ab den 70er Jahren verkürzten sich diese Zeiten radikal.
Ein Meilenstein des investigativen Journalismus war die Aufdeckung des Wattergate Skandals durch die Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein, die 1974 letztendlich Präsident Richard Nixon zu Fall brachte. Bereits 1976 erschien DIE UNBESTECHLICHEN (ALL THE PRESIDENTS MEN) von Alan J. Pakula in den Kinos, basierend auf einem Buch von Woodward und Bernstein.
Nicht nur der politische Film, nein der gesamte Filmlandschaft wurde in den 70er Jahren aktueller, was vor allem auf die New Hollywood Ära zurück ging. Der Film bediente sich dem politischen Weltgeschehen vor allem auch deshalb, weil es eine spannende Stoffquelle war.
So entstanden weitere Säulen des politischen Films bzw. des Politthrillers, Filme über Journalismus, über Lobbyismus und vermehrt über politische Akteure der jüngeren Geschichte.
Im Gegensatz zu historischen Filmen und Biopics, in denen Personen weitaus mehr als die durch ihnen verursachten politischen Verhältnisse im Fokus standen, waren die neuen Politdramen und Thriller wesentlich vielschichtiger.
Filme über Journalismus sind vor allem in den USA beliebt, vor allem seit der Aufdeckung der Watergate Affäre, welche die vierte Macht im Lande und ihr Vertrauen darin die Bevölkerung enorm stärkte. Und je mehr die Welt globalisierter wurde, desto weniger war es allein die Politik, von der Macht bzw. Machtmissbrauch ausgehen konnte.
Auch Konzerne konnten Politik gestalten oder beeinflussen, Stichwort Lobbyismus. Beflügelt vom investigativem Journalismus nahmen sich nun auch vermehrt Filmemacher aktuellen politischen Themen an. Natürlich war Politik immer an ihre Akteure geknüpft, das waren ja nicht nur raffgierige Monster mit Schlips, sondern zum Teil große Staatsmänner oder charismatische Kandidaten. Der ganze Politikbetrieb war für die Bevölkerung interessant, Klatsch, Tratsch, das wurde auch in Filmen thematisiert.
Der Film wusste beispielweise den langen und zähen Wahlkampf filmisch geschickt zu dramatisieren, an Stoff mangelte es zumindest in den Vereinigten Staaten nicht, in denen Politik auch immer etwas Glamour hatte. In anderen Ländern sah das anders aus. Doch dazu gleich mehr.
Politisch Filme Machen
Die Politisierung des Films ab den 70er Jahren kann man auch gut mit einem Zitat von Jean Luc Goddard belegen, der forderte, politisch Filme zu machen statt politische Filme zu machen. Das führte zur, wenn auch zaghaften, Politisierung des Genrefilms, die praktisch nur über die Metapher funktionierte, aber dadurch auch clever sein konnte.
Am prädestiniertesten dafür war natürlich der Science-Fiction Film, dessen Teilgebiete der Utopie und der Dystopie sich mit gesellschaftspolitischen Veränderungen beschäftigen. Sie eigneten sich am besten für künstlerisch gut verpackte Kritik an Politik und Gesellschaft. Nicht selten nahmen Werke wie 1984 damit sogar zukünftige Entwicklungen vorweg.
Aber Science-Fiction nahm ab Ende der 70er Jahre einen völlig anderen Weg in Richtung Eskapismus, Der Politthriller wurde immer actionreicher und damit realitätsferner und Innenpolitik verlagerte sich auch in der Fiktion vom Kino ins Fernsehen. Immerhin der Horrorfilm griff früh politische Umwälzungen auf und gab ihnen Symbolbilder. George A. Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD war eine Rassismusmethaper, DAWN OF THE DEAD übte Kritik an der Konsumgesellschaft und dem Vietnamkrieg.
Auch der Science-Fiction Horrorfilm INVASION OF THE BODY SNATCHERS (1978) verpackte gesellschaftspolitische Ängste in einen cleveren Plot. Bereits das Original von Don Siegel aus dem Jahr 1956 war eine Metapher für die Angst vor dem Kommunismus der McCarthy Ära und einer neuen kollektiven Weltordnung, das Remake deutet das um in die Angst vor dem Verlust der Identität und fügt eine perfide Ironie ein – die Überwindung von Aggressionen auf Kosten der Emotionalität und Individualität.
In THEY LIVE aus dem Jahr 1988 wirkt die Bedrohung durch nichtsichtbare Kräfte und Manipulatoren an den Schaltzentralen der Macht sogar satirisch. Dort beeinflussen außerirdische Wesen den Menschen unterbewusst durch Werbemittel und die Abhängigkeit von Konsum. Der Erhalt und das Überleben einer Gesellschaft gegen moralische Vorstellungen ist das Kernthema von Horrorfilmen mit politischem Anstrich, darum geht es auch in neueren Genrewerken wie GET OUT oder AMERICAN HORROR STORY CULT.
Politische Untertöne hatten es schwer, im Genrefilm Akzente zu setzen. Erst in jüngster Zeit speisen sich auch Horrorfilme wieder verstärkt aus politischen Themen. Nur der Bereich der Satire blieb über die Jahrzehnte filmisch beständig. Satire war immer da, nur der Tonfall unterschied sich. Ironie und Sarkasmus lagen der Politik ebenso im Blut wie Drama und Thrill.
Satiregipfel
Bereits 1936 erschien die satirische Komödie MR. DEEDS GEHT IN DIE STADT von Frank Capra, 1940 folgte das Satiremonument DER GROßE DIKTATOR von Charlie Chaplin. In den 60er Jahren waren es Filme wie DR. STRANGELOVE von Stanley Kubrik, in den 70ern THE CANDIDATE oder Woody Allens BANANAS. Ab den achtziger Jahren verschob sich politische Satire aber stärker in Richtung Comedy, was die politische Aussage eher schmälerte, aber dafür Politik im Film unterhaltsamer machte.
Politische Töne klangen nicht nur in Politsatiren an. Die Culture Clash Komödie, die ab den 90er Jahren entstand, ist in ihrer Grundanlage überaus gesellschaftspolitisch und unterhaltsam zugleich. Auch in Generationswechseln lag politischer Zündstoff.
Zugegeben, die Komödie, speziell die Satire hatte es leichter im politischen Umgang als andere Subgenres, denn sie musste im Kern nur bloßstellen, aber selten Lösungen anbieten.
Die Satire war auch nicht jedermanns Sache und vielleicht auch nur intellektuellen Kreisen vorbehalten. Vielleicht ganz gut, dass sich die Comedy auch gern dem Politikbetrieb annahm und zumindest ein paar politische Gedanken sponn. Wer ging in den 90er Jahren noch in düster-pessimistische Politthriller?
Ein Grund für die eher abflauende Politisierung der Gesellschaft war die zumindest äußerliche Befriedung nach dem Kalten Krieg und der zunehmenden Globalisierung, die gerade am Anfang mehr Euphorie als Probleme hervorrief. Aber man spricht auch nicht fälschlich von einer Art Spaßgesellschaft in den 90er Jahren, zwar nahm das politische Bewusstsein durch neue Medien zu, aber da waren auch andere Dinge, die eher ruhigstellten und berauschten. Bis es dann natürlich wieder düsterer wurde auf der Erde.
Der große Spaß der Milleniumskinder endete am 11. September 2001, als ein neues politisches Zeitalter anbrach, in der Realität wie im Film. Zumindest in den Vereinigten Staaten. Man kann den Film gern global betrachten in seiner Geschichte, Politik leider nicht, dafür hat jedes Land auf der Erde einen ganz eigenen Umgang mit Informationen und politischen Visionen. Der 11. September und seine Folgen aber war ein so immenser Einschnitt, der auch im Film global rezipiert wurde.
Michael Moore’s America
Der Film wurde nicht nur wieder politischer, man spricht gar von einer Renaissance des politischen Films. Beispielsweise politische Dokumentarfilme, die ab 2000 aus der unprofitablen Fernsehnische heraus nun auch im Kino auf ein Massenpublikum trafen.
Michael Moore gewann mit BOWLING FOR COLUMBINE 2003 den Oscar für den besten Dokumentarfilm, während der Verleihung skandierte er “Shame on You, Mr. Bush!”. 2004 beleuchtete FAHRENHEIT 9/11 die Hintergründe und Folgen der Terroranschläge vom 11. September und wurde zum erfolgreichsten Dokumentarfilm aller Zeiten.
Natürlich hat dieser Boom an politischen Dokumentarfilmen auch technische Gründe. Bis in die 60er Jahre hinein war es ja technisch praktisch ausgeschlossen, einen nicht inszenierten Dokumentarfilm zu realisieren. Die Möglichkeiten des Internetzeitalters und der digitalen Revolution und die neue Wissbegierde der neuen Mediendemokratie, bereiteten den Siegeszug der Kinodokus. Aber auch in der Fiktion ging man einen Schritt weiter.
Die politische Welt endete nicht nach der prophezeiten Postmoderne, die den Atomkrieg stets vor Augen hatte, sie endete auch nicht in der Spaßgesellschaft, in der alles verschwamm. Politik hatte mehr Auswirkungen auf den einzelnen Menschen als zuvor. Alles wurde politischer. Auch der Film begnügte sich nicht mehr damit, Politik nur abzubilden, zu verfremden oder bloßzustellen.
Politik wurde zum Subtext und dieser Subtext wurde global mehr und mehr verstanden. Plötzlich schien es sogar, als könnte der Film auch die Realität oder Aspekte des gesellschaftlichen und politischen Verhaltens beeinflussen. Der Film wurde auch deshalb politischer, weil die Filmemacher es wurden, ohne in irgendeiner Weise dafür gefördert zu werden. Früher war gerade das Politische in Werken junger Filmemacher zögerlich und zaghaft, oft begnügte man sich damit, dass ein Film zum Nachdenken anregte. Aber die Zeiten ändern sich und somit die Gemüter. Nach dem 11. September kam das Zeitalter der Angst, heute leben wir im Zeitalter des Zorns. Dementsprechend wurden auch die politischen Filme radikaler.
Politserienboom
Nach dem Dokuboom folgte der Politserienboom. Politserien oder politische Serien gab es seit Beginn des Fernsehzeitalters, auch Themen gab es damals schon reichlich, aber eine zähe Dramaturgie und Inszenierung schreckte die Masse eher ab. Man kann sagen, die Politisierung der Massen ist auch ein Verdienst der Serienrevolution. Durch neue Formate und Verwertungsmöglichkeiten konnten Serien komplexer werden und somit gut politische Prozesse abbilden, nur jetzt auch in spannender Inszenierung.
Nach dem Erfolg von HOUSE OF CARDS, basierend auf der BBC Serie EIN KARTENHAUS aus dem Jahr 1990, sprossen überall Politserien aus dem Pay-TV-Boden. Nicht alle sind gleich gestrickt. Wie beim Politthriller oder Politdrama kann man das in verschiedene Richtungen entwickeln. Es kann ein positives Politikerbild idealisieren (THE WEST WING), Realpolitik spiegeln oder dramatische Machtpolitik (HOUSE OF CARDS). Die Extreme sind filmisch natürlich reizvoller.
Ausgehend von den Vereinigten Staaten nahmen Politserien nun auch in anderen Ländern Fahrt auf wie BORGEN aus Dänemark, MARSEILLE aus Frankreich oder die britische Miniserie COLLATERAL. Wie geht Politikverdrossenheit und Politserienboom überein? Vielleicht gerade deshalb, weil die neuen Politserien die meisten Vorurteile gegenüber machtbesessenen Politikern zu bestätigen scheinen. Auch machen die neuen Serien den Zuschauer zum konspirativen Mitwisser und offeriert ihm eine Rolle, den er in der Realpolitik nicht hat. Es muss nicht einmal Mitgestaltung von Politik sein, eine Positionierung und eine gewisse Gehässigkeit gegenüber den Gewinnern und Verlierern der Politik reicht völlig.
Ein Grund für den Politboom ist natürlich auch der bereits angesprochene Glamourfaktor und die Frage, was man mit Macht und ohne Moral alles erreichen kann. Nicht jeder Bürgermeisterposten ist deshalb für eine Politstory gut. Das A und O eines guten Politthriller und vor allem einer Politserie ist eine nachvollziehbare Dramaturgie und eine geschliffene Inszenierung. So kann auch der Bürgermeisterposten eine spannende Geschichte ergeben, es muss nicht immer der Präsident der Vereinigten Staaten zu sein. Das beschreibt so in etwa auch das Problem unseres Landes mit politischen Themen und Politik im Film.
Das Drama der Innenpolitik
Oft wird argumentiert, deutsche Politik(geschichte) sei grau, trist und langweilig, geradezu provinziell im Vergleich mit der Weltbühne. Aber gerade in Zeiten des Politserienbooms zeigen vor allem andere europäische Länder, wie man auch Lokalpolitik filmisch spannend umsetzen kann. Denn genau da liegt der Knackpunkt, in Dramaturgie und Inszenierung.
Der deutsche Film hat sich thematisch vieler politischer Themen bedient, das aber zumeist sehr bieder aufbereitet. Selbst wenn man einen Politthriller im Sinn hatte, mehr als ein Politdrama kam selten dabei heraus. In letzter Zeit hört man auch, dass der Deutsche kein Interesse an Politstoffen hat, das wiederum ist eine einseitige Schuldzuweisung an den Zuschauer, der über Jahre mit drögen Politdramen gequält wurde. Internationale Politserien sind nämlich auch beim deutschen Publikum beliebt.
Die Wahrheit ist, es liegt wieder einmal am Genrefilm. Traurig genug, dass es die Phantastik schwer hat in unserer Filmlandschaft, aber selbst Politthriller, eine Königsdisziplin des Genrefilms, scheitern hierzulande schon in der Entwicklungsphase.
Dabei ist Deutschland ein überaus politisches Land mit extrem fesselnder Geschichte, an Themen und Protagonisten mangelt es nicht. Aber die wenigen Versuche der letzten Jahre wie KANZLERAMT oder DIE STADT UND DIE MACHT sind allesamt wenig unterhaltungstauglich, spannend schon gar nicht.
Fairerweise muss man aber anfügen, dafür hat der Deutsche ein Faible und auch ein Talent für Satire. Politisches Kabarett hat in Deutschland Tradition, einige frühe Formate wie die Puppenshow HURRA DEUTSCHLAND sind sogar recht originär.
Politische Untertöne gibt es sogar in Filmen von Otto Waalkes oder in den frühen Gagafilmen von Dieter Hallervorden. Die großartige deutsche Satire SCHTONK schaffte es 1983 sogar zu einer Oscar-Nominierung.
Leider fehlt deutschen Filmen und Serien um politische Themen zudem der Mut für das Fiktionale und die Metapher, schon im Vorfeld scheiden Was-wäre-wenn-Szenarien aus, Politik wird oft mit Scheuklappen betrachtet. Aufhänger der Satire ER IST WIEDER DA nach dem Buch von Timur Vermes ist natürlich Adolf Hitler, der im Berlin des 2011 plötzlich wieder auftaucht. Doch ist es vor allem die Reaktion des Umfeldes, die skurrilen Begegnungen mit der Bevölkerung, welche einen satirischen Blick auf Politik und Gesellschaft unseres Landes werfen.
Es gibt viele Stoffe um Politik aus Deutschland, aber dafür wenig gute politische Filme. Politik wird häufig nur mit Geschichte verwechselt. Es reicht aber nicht, lediglich einen geschichtlichen Blick auf politische Umstände zu werfen, wenn man einen Film mit politischem Subtext inszenieren will.
Trotz ihrer politischen Brisanz sind Filme wie DER BAADER MEINHOFF KOMPLEX teils erschreckend unpolitisch. Die Filme von Fatih Akin beschreiben zwar in filigranerer Weise gesellschaftspolitische Brüche und Strukturen, sind aber auch nicht unbedingt spannende Thriller. Besser machen das die jungen Wilden des Neuen Deutschen Genrefilms wie beispielsweise IMMIGRATION GAME, der die Flüchtlingskrise in eine erschreckende, aber durchaus denkbare Dystopie verpackt.
Mittlerweile hat sich der Sturm im Maßkrug um die Streitigkeiten zwischen CDU und CSU gelegt, zumindest bis zur nächten Auseinandersetzung. Ob daraus mal ein spannendes Politfilmwerk á la DIE DREI TAGE DES SEEADLERS wird, wer weiß? Es kann nur besser werden, denn der Umgang mit Politik und politischen Stoffen verändert sich nicht nur von Generation zu Generation.
Politikverdrossenheit heißt ja nicht vollkommenes Desinteresse. Vielleicht gibt es ja bald auch eine die deutsche Politserie, die nicht nur ein Pauspapierabdruck von HOUSE OF CARDS sein will, sondern wirklich etwas originäres zu erzählen hat, im besten Falle auch spannend inszeniert. Vielleicht geht auch vom neuen politischen Film, egal ob aus unserem Lande, aus Lateinamerika und natürlich aus den Vereinigten Staaten, eine Initialzündung für eine gerechtere Gesellschaft aus. Möglicherweise ist das Science-Fiction. Aber beim Film liegt die Macht für eine Massenbewegung oft in einer Hand, der des Autors oder Filmemachers. Und gerade von der Politk lernen wir ja, dass jede Stimme zählt.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
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