Oh no! Her again?
Mit der Verleihung der 84. Academy Awards endete an diesem Wochenende die jährliche OSCAR-Saison. Endlich! Nach anstrengenden Wochen medialer Dauerbeschallung über betroffene Hawaiihemdenträger und die Wiederbelebung des Stummfilms kann der geneigte Cineast endlich aufatmen und sich neuen filmischen Herausforderungen stellen – immerhin starten in den Staaten bald 21 JUMP STREET und AMERICAN PIE: KLASSENTREFFEN! Für viele bleibt aber auch dieses Jahr die Verleihung der goldenen Kameraden eine überflüssige Veranstaltung. Man kennt es: „Selbstbeweihräucherung“, „Wen interessiert denn das?“, Also ehrlich! Wer ist diese Academy? Und was fällt ihr ein, jährlich erfolglosen, intellektuellen Mist zu küren, sich selbst zu feiern. Ach ja, das Totschlagargument fast vergessen: „Typisch Hollywood!“
Nun, der Academy den Vorwurf zu machen, ihre Auswahl an Nominierungen sei eitel und selbstverliebt, hinkt auf dem linken Bein. Denn diesen Vorwurf könnte man auch allen anderen Festivals machen, die im Vorfeld nominieren und Preise vergeben. Denn der OSCAR ist nun mal der letzte Preis, der in der Festivalsaison verliehen wird. Angefangen von den independent spirit Nominierungen, den Preisen der Gewerkschaften für Autoren (WGA), Regisseure (DGA), Schauspieler (SAG) und der Producer (PGA) über die Golden Globes, die Favoriten resultieren schon recht früh aus dem Groß der Produktionen und sind mit Bekanntgabe der Academy Award Nominees eigentlich schon ein alter Hut. Vor diesem Hintergrund könnte man der Academy sogar Mut bescheinigen, Gary Oldman, EXTREM LAUT & UNGLAUBLICH NAH oder MARGIN CALL zu nominieren, die innerhalb der Saison reichlich untergegangen sind. Egal!
So wird auch viel Gemecker laut, wenn man innerhalb der Nominierungen auf viele Altbekannte trifft, und der Gedanke ist gar nicht so abwegig: Immer die gleichen Gesichter, immer die alten Knochen, immer und immer wieder Meryl Streep? Man hat das Gefühl, die OSCARs reflektieren nicht das ganze vergangene Kinojahr, so gut wie alle Nominierungen spiegeln die aktuellen und derzeitig präsenten Produktionen wieder. Hollywoodgesetz? Nicht wirklich, und auch nicht wirklich überraschend. Noch vor zehn Jahren musste man Glück haben, einen der nominierten besten Filme überhaupt zu kennen. Mittlerweile, der Globalisierung sei Dank, starten auch bei uns die meisten Produktionen relativ zeitnah mit den US-Starts. Aber manch einer meint, die Nominierungen werden mit Bleistift im Kinoprogramm der Tageszeitung ausgelost.
Warum viele der Nominierungen derzeit aktuell über die heimischen Leinwändeflimmern, liegt nun mal darin begründet, dass potentielle Preisträger natürlich innerhalb dieser Festivalsaison zwischen Dezember und März starten. Blockbuster starten gewöhnlich im Sommer und Herbst. Klingt nach Anbiederung und strategischen Schachzügen seitens der Produzenten? Und das ist es auch. Aber ist das verwerflich? Macht man einem Tannenbaumverkäufer im Dezember solche Vorwürfe?
Und welche Relevanz haben die Nominierungen und Preisträger überhaupt? Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, die OSCARS wären ein politisches Filmfestival. Sind sie nicht und waren sie auch noch nie. Es ist der Preis der Unterhaltungsbrache, eine Huldigung an den Film selbst. Klar kann man das Selbstbeweihräucherung nennen. Muss man aber nicht. Da sind Festspiele wie die BERLINALE, die sich als politisches Filmfestival verstehen, geeignetere Plattformen. Doch gerade weil die OSCARs in erster Linie keine Bühne für politische Statements sind, können Filme mit klaren Positionen weit mehr Aufmerksamkeit erregen als bei anderen Veranstaltungen. Man denke nur an Michael Moores Statement nach der Verleihung als bester Dokumentarfilm für BOWLING FOR COLUMBINE („Shame on you, Mr. Bush!“).
Streitigkeiten über die Relevanz der OSCAR-Verleihung sind so alt wie die Awards selbst. Ob sie gerechtfertigt sind oder nur populistisches Geschwafel, das ist mir alles Wurst. Wenn es sich lohnt, über etwas zu streiten, dann über die Nominierten, die Schauspieler, die Schauspielerinnen, die Regisseure, die Filme natürlich. Da macht auch das Streiten viel mehr Spaß, weil eine objektive Bewertung sowieso nur bedingt funktioniert. Je mehr nominierte Filme man gesehen hat, desto öfter liegt man daneben. Und selbstverständlich kann man sich auch auf ein Podest stellen und lauthals die Entscheidungen über die Gewinner in Frage stellen. Denn dann beschäftigt man sich wenigstens mit den Inhalten, und nicht nur mit der Frage, ob die OSCARs nicht doch besser abgeschafft gehören. Womit wir bei den diesjährigen Preisträgern wären.
Passend zur Selbstbeweihräucherungskritik reflektieren gleich zwei Filme in diesem Jahr die Magie des Kinos an sich und erzählen Geschichten über den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm (THE ARTIST) und eine Hommage an den Filmpionier Georges Méliès (HUGO CABRET). Damit waren beide Filme auch Favoriten. Doch noch ein Filmreiht sich in dieses Metier ein, wenn auch unfreiwillig: Steven Spielbergs GEFÄHRTEN. Drei Filme, die sich hauptsächlich nostalgisch geben und an die goldenen Zeiten Hollywoods erinnern. Ironischerweise ist es Martin Scorcese, der mit HUGO CABRET die Entstehung des Films im ausgehenden 19. Jahrhundert erzählt. Denn Scorcese ist einer der jungen Wilden, die in den Siebziger Jahren Hollywood revolutionierten.
Seine Hommage in 3D zu drehen, ist bei aller 3D Skepsis absolut nachvollziehbar, weil sie dem Geist von Filmpionier George Melies folgt, durch technische Errungenschaften Kinomagie zu produzieren. THE ARTIST erzählt die Geschichte eines Stummfilmstars, der am Übergang vom Stumm- zum Tonfilm zerbricht. Obwohl beide Filme höchst nostalgisch daherkommen, sind beide technisch und erzählerisch überaus modern. Ganz im Gegensatz zu GEFÄHRTEN. Steven Spielberg erzählt die Geschichte eines Pferdes in den Wirren des ersten Weltkrieges so hoffnungslos antiquiert, dass er mit Sicherheit den OSCAR gewonnen hätte – im Jahr 1940!
Es gibt wohl einen Unterschied zwischen nostalgisch und altmodisch.Gewonnen hat letztendlich THE ARTIST, womit ich leben kann, obwohl mein Favorit THE DESCENDANTS gewesen wäre. Schade auch für den genialen MONEYBALL (eben nicht nur ein Baseballfilm) und THE HELP (grandioses Ensemble).
Clooney und Pitt als beste Hauptdarsteller! Was wurde das breitgetreten im Feuilleton, beste Freunde, die konkurrieren und das auch medial süffisant ausleben. Clooney, dieser Schönling und Brad Pitt, dieser…äh, Schönling hoch 2. Wie kann man das ernst nehmen? Nun, zu erst einmal würde es sich anbieten, THE DESCENDANTS und MONEYBALL überhaupt erstmal zu sichten. Denn gerade George Clooney tritt den Beweis an, dass er trotz seines Images wie kaum ein anderer in der Lage ist, seinen Figuren absolut glaubhaft Leben einzuhauchen. Clooney wird ungerechterweise auf sein Image reduziert, und ja, er hat einen grässlichen Batman abgegeben und als Blockbustergenerator taugt er nicht viel. Aber gerade im Independentbereich läuft Clooney zu Hochtouren auf.
Und wer denkt, Brad Pitt ist nur ein schnöder Schnuckel am Halfter von Jolie, der hat niemals 12 MONKEYS, SNATCH oder BABEL gesehen, und mit Sicherheit auch nicht MONEYBALL. Die Nominierung für GARY OLDMAN war absolut überfällig, die von DEMIÁN BICHIR überraschend, aber nachvollziehbar. Gewonnen hat letztendlich JEAN DUJARDIN für THE ARTIST. Auch wenn ich persönlich für Brad Pitt votieren würde, aber der kommtnoch. Wär auch blöd, wenn man in ein paar Jahren sagen müsste: „…Brad Pitt, der den OSCAR für diesen…Baseballfilm bekommen hat!“
Nach 3255 Nominierungen auch weider dabei: Meryl Streep (wahrscheinlich aufgrund bestehender Rabattgesetze). Wie öde! Michelle Williams als Marilyn Monroe ist sooo toll, Viola Davis in THE HELP schlicht umwerfend. Glenn Close Darbietung rettet den spröden Film ALBERT NOBBS auf Mittelmaß und Rooney Mara ist sogar noch besser als Noomi Rapace! Das war meine Meinung, bevor ich DIE EISERNE LADY gesehen habe. Und so sehr ich Michelle Williams favorisiere, die Darstellung der am Ende Alzheimerkranken Margret Thatcher innerhalb von 5 Dekaden ist einfach in jeder Beziehung gigantisch. Und gerecht waren die OSCARs sowieso noch nie. Deswegen erhielt Meryl Streep völlig zu Recht ihren dritten OSCAR, und wusste das köstlich süffisant zu kommentieren: ‘I could hear half of America going “oh no…oh c’mon…why…her…again?’
Immer wieder wird gern über die so genannten Nebenrollen gesprochen, weil die unzutreffende Übersetzung supporting actor viel mehr die zweite Hauptrolle bezeichnet. Insgesamt meine Lieblingskategorie, neben dem hauptdarstellerischen Salz das Pfeffer im Süppchen. Christopher Plummer, nur 2 Jahre jünger als der OSCAR selbst, holte sich die Trophäe für BEGINNERS, als 75jähriger, der sich als Schwuler outet. Das ist durch aus berechtigt, obwohl mit Kenneth Branagh als Sir Laurence Oliver in MY WEEK WITH MARILYN und Max von Sydow harte Konkurrenten am Start waren. Umso größer die Freude für Octavia Spencer für THE HELP, die für mich schon allein deshalb den OSCAR verdient hat, weil sie in den Kuchen gekackt hat! Respekt!
Für viele ist die Auszeichnungen Bester Regie schwer nachvollziehbar. Darsteller und Filme kann man verstehen, aber die Arbeit eines Regisseurs zu bewerten, ist komplizierter. Anhand eines Beispiels vom Vorjahr versuche ich das mal zu verdeutlichen. Dort konkurrierten unter anderem Darren Aronofsky für BLACK SWAN und Tom Hooper für THE KING’S SPEECH. Der Regie-OSCAR ging an Tom Hooper – eine Entscheidung, die ich für ungerechtfertigt halte. Damit meine ich nicht die Qualität von THE KING’S SPEECH, toller Film. Dennoch ist Hoopers Regie sehr konservativ, und große Entfaltungsmöglichkeiten oder eigene filmische Akzente gelingen ihm kaum oder gar nicht. Das liegt zum einen daran, dass THE KING’S SPEECH allein von seinen Darstellern und dem Script lebt, Hopper das Ding routiniert heruntergedreht hat, aber keine eigene Sprache findet.
Darren Aronofsky hingegen ist ein physischer Regisseur mit eigener Bildsprache und eigenem Stil. BLACK SWAN ist choreografisch ein absolutes Schwergewicht und die Arbeit des Regisseurs sieht man in jeder Einstellung. Die Entscheidung des Vorjahres ist in meinen Augen mutlos. Und in diesem Jahr? Stehen wir vor einem ähnlichen Dilemma. Alexander Payne konzentriert sich ganz auf seine Charaktere und Figuren, Woody Allen beherrscht das Inszenieren von Textmonstern, Scorcese setzt mit HUGO auf 3D und liefert damit den ersten Film, der das 3D-Verfahren kontextmäßig sinnvoll einsetzt, tja und Malik ist nun mal ein Regiedinosaurier.
Gewonnen hat aber Michael Hazanavicius für THE ARTIST, weil er den Mut hatte, einen Stummfilm zu drehen. Aber gebührt ihm dieser Respekt? Ist es nicht eher der Mut der Produzenten, einen Stummfilm zu produzieren? Ja, deswegen ist der OSCAR für den besten Film auch ok. Aber als Regisseur? Das heißt nicht, dass es einfach wäre, einen Stummfilm zu drehen. Im direkten Vergleich aber fasziniert mich die bildliche Sprache eines Malik oder Payne wesentlich mehr. Kann man drüber streiten.
Die besten Drehbücher, adaptiert oder Original, waren in diesem Jahr THE DESCENDANTS (keine Frage) und MIDNIGHT IN PARIS. Bester fremdsprachiger Film war NADER & SIMIN – EINE TRENNUNG aus dem Iran, bester animierter Film RANGO. Da gehe ich konform. Für beste visuelle Effekte wurde HUGO ausgezeichnet, was angesichts der Konkurrenz PLANET DER AFFEN: PREVOLUTION dringend darauf aufmerksam macht, dass ab nächstem Jahr eine neue Kategorie fällig sein muss: die des Performance-Capture Verfahrens. Seit nun mehr über 10 Jahren gilt hier Andy Serkis als Pionier, durch real gedrehte Bewegungen, Gesichtsmimik und nachträglicher Bearbeitung einem digitalen Charakter zu erschaffen – und das glaubhaft (Gollum, King Kong). Eine technische Revolution, die eine eigene Kategorie verdient hätte. Die OSCARS in den technischen Kategorien sahnte zum Großteil HUGO ab, nur vereinzelt war da auch Modernes erfolgreich (Bester Schnitt für VERBLENBDUNG).
So teilen sich HUGO und THE ARTIST jeweils 5 Auszeichnungen und geben vermeintlichen Kritikern Recht, die Academy sei rückwärtsgewandt und antiquiert.Kann man so sehen, ist aber nicht zwingend. Ich finde in diesem Jahr die Zugewandtheit an die Pioniertage des Films mal ganz entzückend, einzig als Bester Film hätte sich THE DESCENDANTS mehr von Kostümschinken THE KING’SSPEECH abheben können. Feiert sich Hollywood selbst? Sowieso, aber man darf auch die Augen nicht davor verschließen, dass mit THE ARTIST ein französischer Film gewonnen und der Anteil an internationalen Koproduktionen in diesem Jahr zugenommen hat. Fehlentscheidungen? Eigentlich nicht, grobe Schnitzer wie im vorletzten Jahr Sandra Bullock als beste Hauptdarstellerin gab es nicht (nichts gegen die Bullock, aber für THE BLIND SIDE??!!!).
Wenn, dann sollte man dies bei den Nominierungen hinterfragen. Warum nicht MY WEEK WITH MARILYN als bester Film anstatt Spielbergs GEFÄHRTEN? Kein Ryan Gosling? Keine Tilda Swinton für WE NEEDTO TALK ABOUT KEVIN? Und vor allem: keine Nominierung für Kirsten Dunst für MELANCHOLIA? Tja, thats showbusiness!
Von mir aus kann man über die OSCARS meckern wie man will. Wenn man Filme liebt, dann ist es völlig Wurst, ob sein Favorit nun nominiert ist oder nicht. THE HELP und MONEYBALL bleiben bislang meine Lieblingsfilme in diesem jungen Jahr, egal,ob sie nun eine Anerkennung durch einen Preis erfahren oder leer ausgehen. Das hat keine Aussage über die Filme oder ihre Macher, eher über die eigene Enttäuschung, dass nicht alles so ist, wie man es in seinem eigenen Filmmikrokosmos gern hätte. Klar wär´s schön, wenn im nächsten Jahr ein zeitgenössisch-relevanter Film gewinnen würde. Aber die OSCARS sind nicht der einzige Filmpreis auf der Welt. Sie sind das letzte Relikt einer über hundertjährigen Branche, die sich immer wieder aus sich selbst heraus neu erfindet.
Bester Film: THE ARTIST
Bestes Originaldrehbuch: MIDNIGHT IN PARIS
Bestes adaptiertes Drehbuch: THE DESCENDANTS
Beste Hauptdarstellerin: Merly Streep für THE IRON LADY
Bester Hauptdarsteller: Jean Dujardin für THE ARTIST
Beste Nebendarstellerin: Octavia Spencer für THE HELP
Bester Nebendarsteller: Christopher Plummer für BEGINNERS
Beste Regie: Michel Hazanavicius für THE ARTIST
Bester fremdsprachiger Film: NADER AND SIMIN (Iran)
Bester Animationsfilm: RANGO
Beste Kamera: HUGO CABRET
Bestes Szenenbild: HUGO CABRET
Bester Ton: HUGO CABRET
Bester Tonschnitt: HUGO CABRET
Bester Schnitt: THE GIRL WITH THE DRAGON TATTOO
Bestes Kostümdesign: THE ARTIST
Bestes Make-up und Frisuren: THE IRON LADY
Beste visuelle Effekte: HUGO CABRET
Beste Filmmusik: THE ARTIST
Bester Filmsong: “Man or Muppet” von Bret McKenzie für THE MUPPETS
Bester animierter Kurzfilm: THE FANTASTIC FLYING BOOKS OF MR. MORRIS LESSMORE
Bester Kurzfilm: THE SHORE
Bester Dokumentarkurzfilm: SAVING FACES
Bester Dokumentarfilm: UNDEFEATED
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