Die kleine Genrefibel Teil 81: Moneymakers
Der Kühlschrank ist leer, das Sparschwein auch, ich habe seit Wochen kein Schnitzel mehr im Bauch. Der letzte Scheck ist weg, ich bin nicht liquid, auf der Bank krieg ich sowieso keinen Kredit. Gestern enterbt mich auch noch meine Mutter und vor der Tür steht der Exekutor, mit einem Wort, die Lage ist übel, da hilft nur eins: die kleine Genrefibel. So. Nach so einem Zeiler muss man erstmal wieder runterkommen. Worum geht’s heute, um Kühlschränke? Nääh! Sprechen wir über Filme, hat das meist mit Geld zu tun. Filme kosten Millionen und können Milliarden Gelder einspielen, klar. Stars und Sternchen verdienen recht ordentlich am Medium, mit Merchandising wird ein Riesenreibach gemacht, aber es gibt auch heftige Gewinneinbußen, veritable Flops an der Kinokasse, am Ende ist die Mark nur noch fünf Pfennig wert. Kino ist ein Geschäft wie jedes andere, bei dem es natürlich um Geld geht.
Geld. Cash, Kies, Kohle, Pulver, Mäuse, Moneten, Moos, Zaster, Möpse (…Möpse?), Bimbes, Asche, Schmott und schnöder Mammon – was gibt es nicht alles für Synonyme für das altehrwürdige Tausch- und Zahlungsmittel Geld. Aber auch wenn Kino und der Film ein knüppelhartes Geschäft um Millionen und Milliarden darstellt, viel zu selten spricht man über Geld im Film als dramaturgischen Wertstoff. Das liegt daran, dass Geld im Film so gut wie nie fiktionalisiert ist, nicht so wie andere Dinge. Geld ist auch im Film eine reale Komponente, die keinerlei Erklärung braucht. Trotz dieser scheinbaren Unscheinbarkeit funktioniert Geld im Film bzw. im Storytelling als Brandbeschleuniger für Figuren und Geschichte, als Motivator, als Ziel, als Hindernis, als Prüfung und vieles mehr. Das wollen wir uns heute mal näher anschauen. Wie ist das mit dem lieben Geld, welches angeblich die Welt regiert?
Money, Money, Money
Auf den ersten Blick scheint Geld im Film keine so ehrwürdige Rolle zu spielen, anders als hehre Ziele wie Liebe, Glückseligkeit, Gerechtigkeit oder Rache. Doch schaut man genau hin, kann Geld im Film fast immer einen Weg zu diesen genannten Zielen ebnen. Geld ist immer ein Mittel zum Zweck. Geld an sich ist kaum etwas wert, es ist die Kopplung an Figuren, die es so brisant macht. Für Figuren hat Geld immer noch weitere Bedeutungen, Macht, Besitz, Status, Wohlstand und/oder Kapital. Diese Ziele kann man auch auf anderem Wege erreichen, aber schneller und effektiver geht’s eben mit einem dicken Bündel bunter Scheinen.
So wird Geld für Figuren ein Mittel zum Erreichen ihrer Ziele oder eben gleich selbst zum Hauptziel. Da Geld sächlich ist und per se artifiziell, ist es das Objekt der Begierde für Protagonisten wie Antagonisten. Ein guter Kerl will und benötigt es ebenso wie ein Schurke, nur die Wahl der Risikobereitschaften unterscheidet die Handlungsmöglichkeiten. So kommt Geld im Film eine weitere Bedeutung zu, Geld bzw. der Umgang damit wird oft zum moralischen Kompass von Figuren. Geld steht für Luxus, für Gier, aber auch für Verzicht, für Aufstieg, Fall und Läuterung und als Maßstab des Vergleiches zu anderen Dingen wie Freundschaft oder Liebe.
Wenn reines Geld das Ziel von Figuren ist, dann kann das ein MacGuffin sein, also ein Objekt, welches handlungsrelevant ist, Handlung anstoßen oder vorantreiben kann. Aber nicht immer, denn für gewöhnlich ist der MacGuffin selbst nicht mit einem direkten Nutzen versehen. Geld jedoch schon. Was es bei Geld im Film so einfach und verständlich macht, ist der Umstand, dass es ausnahmslos wie im echten Leben funktioniert und keine Erklärungen benötigt. Will jemand eine Bank ausrauben, wissen wir genau warum, will jemand auf anderem Wege reich werden, können wir die Möglichkeiten der Figuren sehr gut nachvollziehen.
Unzählige Dinge im Film wurden fiktionalisiert, umgedacht, weitergedacht, so aber nicht Geld, es funktioniert immer gleich. Der Arme will oder braucht es, der Reiche will es behalten oder vermehren, fehlendes Geld bedeutet immer eine Notsituation, viel Geld generiert Neider und Konflikte. Geld ist eine realistische Traverse in Filmen. In der Phantastik spielt sie möglicherweise eine untergeordnete Rolle, aber auch ein Han Solo will in republikanischen Credits bezahlt werden. Ob Credits, Units oder Space Bucks, die Funktionen bleiben gleich. Doch spannender wird es, wenn Figuren im Hier und Jetzt mit Geldfragen konfrontiert werden.
Im Horror-, Fantasy- und Science-Fiction Film mag Geld selten die Hauptrolle spielen, im Genrefilm aber nimmt Geld eine bedeutende Stellung ein. Manchmal übernimmt Geld sogar die Hauptrolle. Die meisten Figuren können glaubhaft über Geld motiviert werden, weil der Umgang mit Geld jedem begreiflich ist. Handlungstechnisch geht es meist um die Beschaffung von Geld auf verschiedenen Wegen und um das Verteidigen der jeweiligen Geldwerte, auch das in unterschiedlichen Herangehensweisen. Man könnte auch sagen, es geht in Sachen Geld um Legalität, Illegalität und Grauzonen.
Vom Tellerwäscher zum Millionär
Die berühmteste amerikanische Legende ist die vom Tellerwäscher, der zum Millionär wird. Sie war und ist oft Basis des typischen Hollywoodkinos und sie bildet eine Sehnsucht von Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen ab, Erfolg und Reichtum durch harte Arbeit. Die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär ist eine der am meisten verfilmten Trope. Geld steht hier nicht immer im direkten Vordergrund und ist wie so oft ein Mittel zum Zweck. Das bedeutendere Ziel der Figuren ist Erfolg. Manchmal wird Erfolg durch ein Talent bedingt (A STAR IS BORN), manchmal ist es Glück (PRETTY WOMAN), manchmal Gewalt (SCARFACE).
Die legalste Form des Geldverdienens ist harte Arbeit. Im Vergleich zu anderen Formen scheint die auf den ersten Blick langweilig, aber vor allem in den 50er Jahre waren das innig geliebte Geschichten, die Millionen Zuschauer in die Kinoslockten. In Filmen um das Konstrukt from rags to riches geht es aber nur bedingt um den Umstand des Geldverdienens an sich. Da die Figuren am Anfang zwangsläufig arm wie eine Kirchenmaus sind, ist der Umgang mit Geld noch interessanterer. Denn Geld verändert oft den Charakter, was Figuren früher wichtig erschien, erfährt einen Wandel.
Das interessanteste an diesem Konstrukt ist, dass es zwei Milieus aufzeigen kann, die Welt der Armen und die der Reichen und was sie über den schnöden Mammon hinaus unterscheidet. Figuren verändern ihren Charakter, aber selten kann das so nachvollziehbar und glaubhaft erzählt werden als über Geld. Bei Geld hört die Frendschaft auf, denn aus Freunden werden Neider, Argwohn nistet sich ein, Ängste entstehen und am Ende stehen moralische Zweifel, Läuterung und Katharsis.
Dahin führen nicht nur die vom Tellerwäscher zum Millionär Konstrukte, sondern eigentlich fast alle Filme über Geldumgang. Aber nicht ausschließlich. Auf eine eher naivste Allegorie trifft man in MR. DEEDS GOES TO TOWN von Frank Capra aus dem Jahr 1936. Darin wird der Glückskartendichter Mr. Deeds unerwartet zu einem Millionenerbe, doch nun begegnet er in der ihm offen stehenden Großstadt hauptsächlich auf Neider und Nutznießer. Deeds selbst bleibt meist davon unbeeindruckt. In Filmen wie MR. DEEDS GOES TO TOWN oder DAS GEHEIMNIS MEINES ERFOLGES (1987) werden solche Erfolgsgeschichten eher romantisch erzählt.
Interessanter wird es, wenn man von der Legalität über diverse Grauzonen in die illegale Geldbeschaffung im Film vordringt. Dort wirken moralische Folgen meist glaubhafter, die Geschichten sind spannender, weil sie eine größere Sehnsucht fördern. Natürlich kann man durch harte Arbeit reich werden. Aber wer will schon hart arbeiten? Eine weitere Form von Geldbeschaffungsmaßnahmen im Film ist das Glücksspiel. Spannung kommt hier vor allem wegen dem Riskio auf, das man eben nicht nur alles gewinnen, sondern auch alles verlieren kann. So wurde das Casino zu einem beliebten Brennpunkt in der Filmgeschichte.
Nervenkitzel entsteht natürlich aus dem Spiel heraus, Pokern, Black Jack, Roulette, aber ein jeder weiß auch, um was es wirklich geht, um Geld. Die Protagonisten müssen Risiken eingehen, nicht fordernd körperlich, aber sie müssen Entscheidungen in Sekunden treffen, alles auf eine Karte setzen, sich beherrschen und wissen, wann Schluss ist. Erst recht spannend wird es, wenn man nicht zufällig im Casino spielt, sondern es um mehr geht.
In ROUNDERS versucht die Hauptfigur, einem Freund aus der Schuldenfalle zu helfen, auch in MISSISSIPPI GRIND steht der Protagonist vor dem Casinobesuch vor einem Schuldenberg. In gewisser Weise erzählen Glücksspielfilme eine andere Erfolgsstory, der Ausgangspunkt ist oft bereits die Pleite oder Not, aus der man sich zu befreien versucht. In Filmen wie CASINO indes wechselt die Position auf das Verlangen des Casinos, das große Geld zu verdienen. Gier und Existenzangst sind zwei Seiten der Medaille.
In MOLLYS GAME von Aaron Sorkin spielt Jessica Chastain die reale Figur Molly Bloom, welche zur größten Pokerspielorganisatorin in Hollywood wurde. Molly Bloom richtete exklusive Pokerabende aus, zu dessen Gästen auch Leonardo DiCaprio, Ben Affleck oder Tobey Maguire gehörten. Am Ende wurde Molly Bloom im realen Leben wie im Film verhaftet und angeklagt, ob ihr Business nun legal oder illegal war, blieb strittig. Definitiv aber erzählt MOLLYS GAME eine Geschichte über die Grauzonen jenen Geschäfts.
Einige Filme widmen sich dem Sportgeschäft an sich, wie JERRY MAGUIRE oder MONEYBALL. In DAS SCHNELLE GELD (TWO FOR THE MONEY) aber geht es um lukrative Sportwetten. Der ausgemusterter American-Football Star Brandon (Matthew McConaughey) wird zum Protegé eines gerissenen und skrupellosen Geschäftsmannes (Al Pacino), beide scheffeln Millionen im Sportwettgeschäft. Doch nach und nach sieht sich Brandon in einer schwierigen Position, in der er Menschen belügen und ihr Leben ruinieren kann. Es folgt Läuterung und die berühmte Erkenntnis, dass Geld allein nicht glücklich macht.
Die Figuren aus DAS SCHNELLE GELD erinnern an einen Film, der ebenfall in einem spekulativem Bereich spielt, dem Finanzsektor. Mit WALL STREET schaffte es 1987 ein Film zu überraschendem Erfolg und begründete ein neues Subgenre, das des Börsen- und Finanzfilms. Obgleich das Geschäft an der Börse bereits ab dem 15. Jahrhundert begann, schuf erst das größenwahnsinnige Hoch und Tief der 80er Jahre Finanzwelt die Vorlage jenes Subgenre zwischen Drama, Thriller und biographischen Ansätzen.
„Greed, for a lack of a better word, is good.“
Filme rund um das Finanzwesen gibt es erst seit den 80er Jahren und sie haben sich seitdem auch nur noch ein weiteres Mal formal gewandelt. Die erste Welle wurde mit WALL STREET aus dem Jahr 1987 losgetreten, eine zweite Welle begann infolge der Finanz- und Weltwirtschaftskrise im Jahr 2007. Beide Wellen unterschieden sich von der Außen- und Innenwirkung des Geschäftes, der Krisen und der Figuren. Nach den depressiven Filmjahren der 70er Jahre folgte die Ära des Blockbusterkinos und der hippen 80er, in denen es um Luxus, Lifestyle, Partys, Frauen und Drogen ging. Geldbeschaffung brauchte wieder ein illusionäres Filmvorbild.
In WALL STREET wurde nicht unbedingt filigran auf die Wirkungsweisen des Finanzsektors oder der Börse eingegangen. Durch WALL STREET wurden Banker, Finanzhaie und die Börse zu Filmsymbolen und dezenter Fiktion. Zum einen wurde eine Welt etabliert, die dem normalen Bürger völlig verschlossen erschien. Es war die Welt des Wertpapier- und Aktienhandels, mit Zahlen, Prozenten, Promillen und undurchsichtigen Praktiken. Wenn man die Börse nicht verstand, durch Filme wie WALL STREET verstand man sie auch nicht. Was aber faszinierte, war das Flair und die Wunderwirkung.
Feiner Zwirn, teure Autos, frühe Mobiltelefone, Stift hinterm Ohr – fertig war der Filmbanker und Aktienhändler. Dazu kamen Symboliken der WALL STREET wie das berühmte Klingeln der Glocke und ein Treiben wie in einem Hühnerstall. Es wurde wild geschrien, es wurde gekauft, aber noch imposanter verkauft, man wedelt mit Zetteln und pünktlich nach Börsenschluss war der Trouble zu Ende. Nach Tellerwäschermillionären und Glücksspielern wurden Finanzhaie zu Projektionsflächen.
Denn neben dieser völlig unverständlichen Welt des Hochfinanz’ waren es die Figuren, die zu einem Figurentypus wurden. Diese waren ganz und gar nicht fiktiv, sondern an echte Akteure angelegt. Für den Finanzinvestor Gordon Gekko aus WALL STREET standen die Wall Street Millionäre Ivan Boesky und Carl Icahn Pate. Michael Douglas formte mit Gordon Gekko somit den Prototyp des gierigen wie schmierigen Bankers, ein neuer Typus Fiesling, skrupellos, intrigant, verführend, großkotzig, aalglatt. Diesen Typus traf man in Börsenfilmen immer wieder, er war auch nicht unrealistisch, möglicherweise aber ein wenig übertrieben zugespitzt.
In WALL STREET nimmt Finanzhai Gordon Gekko den Jungspund Bud Fox unter seine Fittiche. Bud Fox, gespielt von Charlie Sheen, steht für einen anderen Typus in Finanzfilmen, den naiven Yuppi mit den berühmten Dollarzeichen in den Augen, jung, formbar, naiv, beeinflussbar. Beide wurden zu Figurenblaupausen, eine Art Mentor-Schüler-Beziehung, aber immer auf der scharfen Kante des gegenseitigen Hintergehens. Michael Douglas’ Darstellung hat möglicherweise auch den realen Typus eines schmierigen Aktienhändlers geformt, eine ganze Generation von Bankern idealisierte den eiskalten Finanzhai Gordon Gekko.
Generell waren Figuren abseits der naiven Vom Tellerwäscher zum Millionär Story, also Glücks- und Wettspieler, Finanzjongleure, aber auch Bankräuber vorrangig Antihelden. Bei Gordon Gekko aus WALL STREET kann man Parallelen zu anderen Figurentypen ziehen. Er war genauso triebhafter Spieler wie manch Casinobesucher. Für Gekko war Geld auch nicht das Figurenziel, auch nicht Macht, welches mehr Mittel zum Zweck oder ein Instrument ist. Das Ziel von Gordon Gekko ist das unbedingte Siegen-müssen, er ist ein Siegessüchtiger. Bud Fox hingegen folgt eher dem konventionellen Figurentypus des blauäugigen Aufstrebers.
Zudem wird in WALL STREET weniger eine Geschichte über legalen Börsenhandel erzählt, sondern vor allem über Insiderhandel und damit ein kriminelles, illegales Geschäft. Das brachte auch den echten Typus des Bankers und Finanzgeschäftsmanns in den Verruf und wurde zur Symbolik. Am Ende aber drang WALL STREET gar nicht so sehr in die Wirkungsweise des Finanzmarktes ein, sondern war eher eine Geschichte über Reichtum, Aufstieg und Fall in einer glitzernden, undurchsichtigen Parallelwelt. Nach einer späten Fortsetzung in WALL STREET 2 – GELD SCHLÄFT NICHT, abermals inszeniert von Oliver Stone, folgte mit Martin Scorseses THE WOLF OF WALL STREET ein weiterer Film über das Konstrukt Aufstieg und Fall im intransparenten Finanzhandels.
In THE WOLF OF WALL STREET war die Hauptfigur nicht nur an berühmt-berüchtigte Vorbilder angelehnt, sondern wurde direkt aus der Finanzwelt übernommen. Leonardo DiCaprio spielte den realen Börsenmakler Jordan Belfort, der in den 80er Jahren am New Yorker Finanzmarkt mit dem Handel von Schrottpapieren zum Multimillionär wurde, dann aber sagenhaft abstürzte. Doch seine Geschichte ist weit mehr, Jordan Belfort, egal ob reale Person oder Filmfigur, vereint alle Merkmale Filmtypus Moneymaker.
Jordan Belfort in THE WOLF OF WALL STREET ist alles, Workaholic, Yuppi, blutiger Anfänger, Tellerwäscher, Gewinner, Verlierer, all das durchlebt die von DiCaprio brilliant gespielte Figur Jordan Belfort, dass es ihn wirklich gab, macht die Sache noch wahnwitziger. Fairerweise muss man sagen, dass Figuren wie Belfort, Boesky oder Icahn exzentrische Sonderlinge waren, nicht jeder Banker oder Finanzhändler lebte in Ausschweifung und Exzess. Das Publikum war wohl auch weniger an Finanzmarkt als an diesen schillernden Auswüchsen interessiert. So beleuchten die WALL STREET Film inklusive dem WOLF auch nur eine Seite der Aktie.
Krach & Krise
Der Interessenwandel kam auch mit einem realen Absturz weltweiter Finanzmärkte durch die Weltwirtschaftskrise 2007/2008. Sie verdeutlichte, dass man Fehlspekulationen am Finanzmarkt durchaus auch als normaler Bürger hautnah erleben konnte – Wertverlust, Kündigungswellen und Massenarbeitslosigkeit waren einige der Folgen der Krise. Das Kino befasst sich seitdem auch etwas genauer mit dem Finanzmarkt und Fragen des Systems als in den Dekaden zuvor. Das aber auch diese Seite wiederum zwei Seiten hat, zeigen die beiden Filme THE BIG SHORT von Adam McKay und MARGIN CALL – DER GROßE CRASH von J. C. Chandor.
In MARGIN CALL aus dem Jahr 2011 ist die Perspektive noch die der Banker. Aber in einer Wertpapierhandelsabteilung einer großen New Yorker Bank arbeiten weit weniger schillernde Figuren wie Jordan Belfort, vielmehr besteht im Team eine Hierarchie von unterschiedlichsten Typen, Gierige, Moralische, Verantwortungsvolle wie Verantwortungslose. Sie bilden eher die Realität des Finanzmarktes ab als die Wölfe der Wall Street. In MARGIN CALL sieht man eine Perspektive, die zur Finanzkrise 2007 führte, wenn eine Bank ihre plötzlich durch eine Blase wertlosen Papiere panisch abstößt und somit den gesamten Markt zum Einsturz bringt.
THE BIG SHORT widmet sich ebenso diesem Vorgang, nur wechselt die Perspektive zu Leuten im Umfeld des Finanzmarktes, welche diese Blase vorausgesehen haben und entsprechend agieren. Denn auch auf Verlust kann man wetten und damit Geld verdienen. THE BIG SHORT beweist zudem das Kunststück, die komplexen Vorgänge im Finanzwesen für den normalen Kinozuschauer verständlich zu erzählen, ist obendrein spannend, witzig wie tragisch zugleich. Die Folgen einer Finanzkrise auf den Mittelstand hingegen war weniger ein Thema für Einzelschicksale, wie im Film COMPANY MEN, als für ein gesellschaftliches Gesamtbild.
Die Folgen der Finanzkrise waren im Film durchaus sichtbar, im erzählerischen Sinne, denn sie nährten den dystopischen Ansatz früherer Zukunftsvisionen. Doch nicht immer wurde das Thema Finanzkollaps oder die Vergiftung des Charakters durch Gier düster und apokalyptisch erzählt. Bereits 1983 widmete sich John Landis’ Film TRADING PLACES mit Eddie Murphy und Dan Aykryod dem Thema Hochfinanz, aber auch dem Aufstieg und Fall innerhalb wie außerhalb der Branche in wirklich köstlich ironischer Tonalität. Ein Geschäftsführer und ein Bettler werden durch die Wette zweier älterer Geschäftsmänner unbewusst gezwungen, die Rollen zu tauschen, was zu einer interessanten Charakterstudie führt, was Geld bedeutet und welche Macht es hat.
Somit bekommen Figuren und Geld in Finanzfilmen noch andere Rollen wie Bedeutungen, denn Geld ist niemals nur Geld, es steht vor allem für ein geschaffenes System, den Kapitalismus, und somit bildet Geld auch Gesellschaften ab. Ob Einzelfiguren oder Ensemble, in welchem Finanzjob auch immer, in ihnen stecken ganz nachvollziehbare Gefühle und eben auch Gier und Blindheit gegenüber dem Kollaps, oft verdeutlicht mit großer Symbolik in Bildern von Dachterassen auf Hochhäusern und Firmenetagen, in dessen höchstem Stockwerk immer die Chefs und Bosse sitzen. Geld hat im Film einen tieferen Symbolwert
Harte Arbeit, Glücksspiel, Aktienhandel, das eine ist müßig, das andere oft komplex, wenn man so richtig in Schwierigkeiten ist, müssen häufig radikalere Methoden her. Ein letzter Teil filmischer Geldbeschaffungsmaßnahmen ist bereits so alt wie der Film selbst und trotz der schweren Illegalität die wohl respektierteste Gaunerei auf Erden – der Bankraub. Auch hier sind die Nöte und Zwänge dem Zuschauer nur zu gut bekannt, die Figuren ebenso Antihelden und das Rechtsempfinden meist verhandelbar.
Klauen wir gleich die ganze Bank
Bankraub – wohl einer der bekanntesten Filmmotive überhaupt. Aber wo gehört er genretechnisch hinein? Filme über Bankraub sind ein, wenn auch markantes, Kleinstgenre, man erreicht es, wenn man vom Thema Crime über den Thriller zum Subgenre des Heist Movies gelangt. Ein Heist Movie verspricht einen Film über einen möglichst cleveren Raub. Nicht alles, was geraubt wird, ist Geld, auch Gemälde, Schmuck oder Edelsteine werden gern gediebstahlt, das dramaturgische Ergebnis aber bleibt gleich.
Es geht natürlich um das große Geld, nur ganz wenige wollen sich ein Gemälde aus emotionalen Gründen ins Zimmer hängen. Am leichtesten findet man Geld immer noch in einer Bank. Ein filmischer Bankraub war es, der dieses Motiv formte und mit ihm gleich das Genre des Westerns, THE GREAT TRAIN ROBBERY aus dem Jahr 1903. Bankräuber waren keine Mörder und das Verlangen nach Geld war nur allzu verständlich, also wurden Bankräuber im Film zu Sympathieträgern. Die frühen Filme über Bankraub waren allesamt überromantisiert, aber auch in zeitgenössische Banken wurde gentlemenlike eingebrochen und um Zaster gebeten.
Geld ist in Filmen über Bankraub zwar immer das Ziel, der Weg dahin formte das Subgenre aber mehr. Es ging darum, wie gestohlen oder geraubt wurde. Ein Heist Movie muss daher einen möglichst cleveren Weg gehen. Das Subgenre hat sich mit dem Aufbau und Sicherheitsbetrieb einer Bank im Laufe der Jahrzehnte entwickelt, in einer Westerbank brauchte man nicht so clever zu sein, eine Pistole reichte. Aber größere, schwerer bewachte Banken und bestenfalls ein Tresor erforderten weitaus intelligentere Maßnahmen.
Schwer zu sagen, ob ein moderner Bankraub den Film inspiriert hat oder anders herum. Im Film trifft man auf unverkennliche Merkmale, die allesamt dramaturgische wie inszenatorische Mittel sind, um möglichst viel Spannung zu erzeugen. Deshalb ist das Genre so beliebt, weil es so viel zu bedenken gibt und so viele Stolpersteine warten. Der Plan muss gut sein, die Durchführung noch besser, es braucht Masken, Waffen, oft reicht aber auch ein Textmarker, Säcke oder Koffer, wo die Beute dann rein soll sowie ein schnelles Fluchtauto. Alles Stellen, wo viel schief gehen kann und in Heist Movies auch schief gehen muss.
Danach teilen sich Bankraubfilme in verschiedene Richtungen auf. Der geglückte Bankraub kann das Ziel der Figuren und somit das Ende des Films sein oder die Probleme gehen erst richtig los. Hier kommen wieder moralische Charakteraspekte hinzu, wer bleibt standhaft und verschwiegen, wer haut die Kohle raus oder bekommt kalte Füße, verrät die Komplizen oder haut sie gar aufs Ohr. Filme wie HUNDSTAGE mit Al Pacino wiederum beziehen gerade ihre Dramatik aus dem Konstrukt Bankraub, der schief geht.
EIN GENIAL VERRÜCKTER COUP, das Remake zu Adriana Celentanos Kultfilm DER BOSS indes gelingt es, die clevere Idee für einen wirklich genial verrückten Coup bis zur letzten Minute auszuspielen. Tendieren Heist Movies in Richtung Komödie, werden sie auch Caper Filme genannt, Gaunerfilme, die sich im Typus ein wenig von anderen Heist Movies unterscheiden, doch dasselbe Ziel verfolgen. Darüber hinaus kann es auch beim Heist Movie richtig ernst werden, wie in HEAT oder THE TOWN.
Inzwischen sind HEAT von Michael Mann und THE TOWN von Ben Affleck zeitgenössische Klassiker des Bankraubfilms, actionreiche und spannende Heist Movies und Thriller, welche den romantisierten Bankraubfilm der früheren Jahrzehnte abgelöst haben. Die Bankräuber blieben auch trotz angedrohter wie vollzogener Gewalt Sympathieträger, vor allem in Zeiten von Finanzkrisen und dem Misstrauen gegenüber Banken und Regierungen verstand man ihre Motive eher als kapitalistische Gegenwehr. Denn es gab auch Bankräuber, die nicht aus Gier handelten, deren Ziel Geld eher ein Mittel zum Zweck war, seien es die Tilgung von Schulden, die Ausbildung der Kinder, finanzielle Hilfe für einen bedrohten Freund oder ähnliches.
Mancher Bankräuber wird dabei fast als moderner Robin Hood angesehen, der das Geld der Bank, also den wahrhaft Reichen klaut, um es sich selbst, dem Armen, zu geben und vielleicht noch anderen Bedürftigen. In Bankraubfilmen können neben Action und Thrill auch gesellschaftlichen Zwischentöne auftauchen. In nur wenigen Filmen wurden das Thema Geld weitergedacht, am ehesten noch in der cleveren Metapher IN TIME von Andrew Niccol. Darin wird aus Geld im wahrsten Sinne des Wortes zu Lebenszeit. In einer dystopischen Zukunft altern die Menschen ab dem 25. Lebensjahr nicht mehr, aber ihre Uhr läuft ab, wenn sie kein Geld auf ihrem Armkonto haben. Mehr Geld, gut und gern auch durch Glücksspiel und diverse Bankräubereien, bedeutet längeres Leben.
Aber über die Metapher Zeit ist Geld hinaus hat es der schnöde Mammon ja filmtechnisch nicht nötig, weiter fiktionalisiert zu werden. Geld funktioniert im Film immer, gibt Figuren eine verständliche Motivation und bedarf keiner weiteren Erklärung. Geld ist zudem immer eine Systemfrage, der Film beantwortet sie mit der Reduzierung auf Figuren und Einzelschicksale, um das bildhaft machen zu können. Die Komplexität des Themas, im Film früher nur oberflächlich angekratzt, findet auch mehr und mehr im TV Anklang, Finanzgebahren und Finanzkollaps sind fantastische Stofflieferanten für spannende Serien geworden.
Für Filme sind reale Ereignisse und Figuren rund um das Thema Geld ein stofflicher Hauptgewinn. Selten vereinen sich so viele Tropen und nachvollziehbares Drama wie in Filmen, in denen Geld eine Hauptrolle spielt. Seit der Finanzkrise 2007 beschäftigt er sich aber auch um die Fehlentwicklungen der Finanzbranche abseits der Milieus um Banker und Exoten, denn auch in scheinbar drögen Sachverhalten wie im Finanzwesen können spannende Geschichten schlummern. Im Grunde wurde mit einigen, wenn auch brillianten, Filmen nur an der Oberfläche der Materie gekratzt. Und der nächste Kollaps kommt in dieser Weltlage eher früher als später. Filme rund um das Thema Geld sind somit zukunftssicher und verdienen eine Triple A Bewertung.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
Lesen Sie in der nächsten Folge:
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