Die kleine Genrefibel Teil 18: Urban Fantasy

Normalerweise, so scheint es, sei die Phantastik dazu da, der Realität zu entfliehen. Beim Begriff Fantasy denkt man für gewöhnlich an Riesen, Zwerge, Drachen, Einhörner oder Zauberei, mehr noch, Fantasy erschafft für jene Wesen völlig neue Welten, weit entfernt von stinkigen Autoabgasen, verkalkten Duschbadgarnituren oder ohrenbetäubenden Presslufthammergeräuschen, jenem klischeebehaftetem Symbol einer Großstadt. Der Begriff Urban Fantasy, das klingt wie ein Widerspruch. Aber nur auf dem ersten Horcher. Fantasy ist nicht nur eine Flucht in fremde Welten. Fantasy ist vor allen Dingen Sehnsucht und Suche. Manche Phantasten verlassen auf dieser Suche die uns bekannte Welt, andere suchen in Ritzen und Spalten des grauen Alltags, in Symbolen hinter zugekleisterten Plakatwänden, in kryptischen Graffitis an Bahnhoftrassen oder in einem kleinen, unscheinbaren Buchantiquariat inmitten einer hochfrequentierten Einkaufsmeile.

 

Urban Fantasy ist ein Begriffskonstrukt, der inhaltlich ziemlich klar erscheint. Aber nur der Terminus “urban” definiert klar ein städtisches Setting von phantastischen Geschichten. Der Begriff Fantasy wiederum narrt den Genrekundler ein ums andere mal. Das kennen wir bereits. Wer Geschöpfe wie Einhörner, Trolle oder Gnome als Fantasywesen bezeichnet, muss das streng genommen auch mit Vampiren, Werwölfen, Hexen oder Dämonen tun, die üblicherweise in die Horrorecke gestellt werden. Ein Horrorfilm, in all seinen Subgenrespielarten, definiert sich aber nicht durch diverse Kreaturen und Wesen, sondern in der Art der Inszenierung, über Überlebenskampf und Thrill. Und je weniger man von etwaigen Wesen weiß bzw. sieht, desto höher ist ihr Spannungspotential.

 

 

 

Vampire, Werwölfe oder Hexen sind aber auch grundlegende Bestandteile reiner Fantasyliteratur oder von Fantasyfilmen, werden allerdings dramaturgisch nicht nur bezüglich des Faktors Bedrohung arrangiert. Im Fantasybereich widmen sich Autoren oder Filmemacher stärker den Ursprüngen und Wurzeln jener Kreaturen, ihrer Evolution und, so es das Setting zulässt, mit einer Integrierung jener Wesen in die unsrige, bekannte, moderne Welt. Dabei ist es eher eine Konfrontation des modernen Menschen mit fantastischen Elementen, die zumeist uralt sind oder lange vor der Erschaffung jedweder Zivilisation existierten. So ist Urban Fantasy sehr häufig ein Entdecken jahrtausendealter Mächte oder Kräfte, die sich in winzigen Winkeln der realen Welt verstecken und meist von Figuren entdeckt werden, die diese Kräfte teilen oder auch nicht.

 

 

Ghoule bei Starbucks!

 

Weil der Begriff “urban” nur das Setting kennzeichnet, aber keine zeitliche Zuordnung zulässt, wird die Sache ein wenig komplizierter. Im Genrestammbaum ist “Urban Fantasy” bereits ein Endast. Während der Begriff beim Film erst in den achtziger Jahren Verwendung fand, gibt es in der Literatur eine feinfaserige Aufspaltung hin zu Urban Fantasy, welche auch die zeitliche Komponente widerspiegelt. So wird Urban Fantasy dem Begriff Comtemporary Fantasy untergeordnet, was nichts anderes als “Zeitgenössische Phantastik” bedeutet. Klassische Fantasy oder High Fantasy á la J. R. R. Tolkien (DER HERR DER RINGE) oder George R. R. Martin (DAS LIED VON EIS UND FEUER) sowie die sogenannte Low Fantasy wie CONAN von Robert E. Howard sind zumeist in fiktiven Welten verortet , die im wesentlichen altertümlich geprägt sind (Mittelalter, Orient).

 

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Contemporary Fantasy hingegen hat einen klaren Realitätsbezug, zeitgenössisch bedeutet allerdings die Spanne vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Dazu gehören unter anderem die NARNIA-Bücher von C.S. Lewis und DIE UNENDLICHE GESCHICHTE. Beide zählen jedoch nicht unbedingt als Urban Fantasy, denn sie erzählen vielmehr Geschichten von einer parallelen Fantasywelt neben der unsrigen, auch wenn Teile der Geschichte in städtischem Setting spielen. Typisch für Urban Fantasy ist eher das Entdecken alter Mythen und schlummernder, magischer Dinge, die in unserer modernen Welt verborgen und im Vergessenen liegen. Oftmals gibt es einen Mittler zwischen beiden Polen, meist ein scheinbar normaler Mensch, der sich der Anwesenheit phantastischer Kräfte bewusst wird, erwacht. Aber nicht immer, es gibt auch Menschen, die ohne eine tragende Bestimmung in den städtischen Fantasypott geworfen werden – letztendlich führen sämtliche Variationen von urbaner Phantastik aber immer in den gleichen Kampf von Gut gegen Böse.

 

Contemporary Fantasy Literatur

Mal weg vom ganzen Definitionsirrsinn, was ist das faszinierende an Urban Fantasy? Ist es nicht einengend, als Phantast, zivilisatorische Gegenwart mit der Mystik einer Anderswelt zu verknüpfen? Im Endeffekt ist es wie mit der Dramaturgie selbst. Eine völlig neue Welt mit Gesetzen, die nicht mit der der Realität in Einklang stehen, ist dramaturgisch gesehen Fluch und Segen zugleich. Wenn es einem nicht passt, dann fällt man eben vom Boden in den Himmel, geht nach dem Tod einfach in eine andere Daseinsform über oder beendet einen Krieg zwischen den Kreaturen durch das Aufsagen dreier magischer Worte und alles ist in Butter.

 

Nur ist diese vollkommene Freiheit meist unspannend, weil ohne Konsequenzen. Verlegt man eine Fantasygeschichte in ein gegenwärtiges, städtisches Setting, ist man auch konfrontiert mit den Regeln und Gesetzmäßigkeiten der Realität. Ein Fabelwesen ist in der Realität eben nicht so frei wie in Mordor. Doch genau aus diesem Umstand entsteht  Kausalität, Empathie und Spannung.

 

 

Von urbanen Legenden aus dem Stadtarchiv

 

Zugegeben, der Film HIGHLANDER von 1986 ist ein Hybrid, denn er spielt zu Teilen in der Vergangenheit, weit entfernt von urbaner Zivilisation. Der Hauptplot von HIGHLANDER aber spielt im New York des Jahres 1985. Nach einem Kampf zweier Unsterblicher findet die Pathologin Brenda ein Stück einer alten Schwertklinge, welches die bekannte Geschichte antiker Schwertschmiedekunst in Frage stellt. Während ihrer Nachforschungen trifft Brenda auf den Verdächtigen Russel Nash, ein Antiquitätenhändler. Russel Nash allerdings ist Connor MacLeod, ein Unsterblicher, der seit Jahrhunderten ohne Alterungserscheinungen lebt. Natürlich ist er nicht der Einzige, obwohl es der Tagline nach nur einen geben kann. Mitten in New York, in einer Zeit, in der Madonnas “Like A Virgin” die Billbordcharts anführte. Was für ein Glück, dass der Soundtrack von der Band Queen stammte.

 

 

HIGHLANDER (1986)

 

 

Aber HIGHLANDER verdichtet gekonnt alle Aspekte von Urban Fantasy, einen alten Mythos, das Verborgene inmitten lärmender Zivilisation, eine Figur, die etwas merkwürdiges herausfindet sowie einen Helden und einen Widersacher, die symbolisch den Kampf Gut gegen Böse austragen. Das trifft auch auf den Film THE CROW zu, auch wenn die anonyme Stadt in der Geschichte eher zynische Zuspitzung der Realität darstellt. HIGHLANDER oder THE CROW werden für gewöhnlich nicht als Erste genannt, wenn es um Urban Fantasy geht. Ein Film wie CANDYMANS FLUCH auch nicht, die Clive Barker Verfilmung gilt als waschechter Horrorfilm.

 

 

Die Nacht des Teufels in der namenlosen Stadt in THE CROW (1994)

 

Man kann sich über CANDYMANS FLUCH streiten, er besitzt eine Protagonistin, die im heutigen Chicago einer Legende um den ermordeten Candyman nachgeht und sich darin verstrickt, der Candyman selbst ist im Film aber mit Handwerksmaterialien des Horrorfilms geschnitzt. Trotz der tragischen Backstory des Candyman liefert die Figur hauptsächlich Grusel- und Schockmomente. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit ihm im Kontext der Jetztzeit findet nicht statt. Aus diesem Grund gelten auch die Filme der UNDERWORLD-Reihe, die BLADE-Trilogy oder CONSTANTINE eher als Fantasy denn Horror. Was natürlich nicht heißt, dass keine Strukturen des Horrorfilms Anwendung finden. Der Kern aber liegt anderswo.

 

Risse im Hier und Jetzt – CANDYMAN (1992)

Die andere Welt ist mitten in der Unsrigen – CONSTANTINE (2005)

 

Denn nicht selten vereinen sich Fabelwesen in Uran Fantasy Filmen selbst zu einer zivilisatorischen Gemeinschaft. In BLADE oder UNDERWORLD geht es nicht um Werwölfe oder Vampire, die in der dunklen Ecke sitzen und daraus mal hervorhüpfen, um zu dinieren. Hier geht es mehr um Hierarchien, um vergessene Völker, denen es nach jahrhunderte langem Versteckspiel vor dem Menschen leid ist, im Schatten jener dahinzuvegetieren. Es gibt wohl zwei Möglichkeiten in solchen Konstrukten. Entweder wollen alte Mächte und Wesen auf keinen Fall, dass ihre Existenz von Menschen entdeckt wird, oder sie streben danach, nach langer Knechtschaft in Dunkelheit ihren angestammten Platz als Krone der Schöpfung wiederzuerlangen. Herrschaft über die Menschen, Herrschaft über den Planeten. Die Figuren, die eben nicht selten Vampire, Werwölfe oder Dämonen sind, werden im Fall von urbaner Fantasyware eindeutig personifizierter dargestellt, auch in der Gruppe. Es sind nicht nur Vampire oder Werwölfe, es sind Clans, Lykaner, Todeshändler, Daywalker, Schlüsselmeister, Torwächter, und nicht wenige bringen ihre alten Gottheiten gleich mit.

 

 

Urbane Fantasy auf Moskaus Straßen in WÄCHTER DER NACHT (2005)

 

Der Reiz solcher Geschichten liegt aber weniger in dem, was für gewöhnlich High Fantasy ausmacht, nämlich der Phantastereien und Backstories um fremde Völker mit all ihren historischen Kriegen, Stammbäumen und Blutlinien. Die gibt es zwar in BLADE, UNDERWORLD oder DYLAN DOG reichlich, aber das ist nicht ihr Reiz.

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Wie in allen Urban Fantasy Geschichten liegt die Faszination aus dem Entdecken jener Kräfte und dem Auseinandersetzen damit durch eine Person der urbanen Realität. Das ist in BLADE eine Ärztin, in UNDERWORLD auch ein Arzt, in CONSTANTINE eine Polizistin. In jedem Fall normale Leute. Daraus resultiert wahrscheinlich auch der große Erfolg von Urban Fantasy Literatur und eben Film, denn man ist automatisch in der selben Lage wie jener Protagonist, der zum ersten mal mit phantastischen Elementen konfrontiert wird. Nagut, im Genrefilm wird immer irgendjemand mit etwas phantastischem oder zumindest nicht erklärbarem konfrontiert. Es macht aber einen Unterschied, ob man von einem Vampir in einer dunklen Gasse gebissen wird oder ob jener Vampir erstmal seinen ganzen Familienclan vorstellt.

 

 

Vampir und Vampirjäger auf dem Blood Rave in BLADE (1998)

 

Wenn klassische Figuren wie Vampire, Werwölfe oder Frankenstein in Urban Fantasy Filmen die Hauptrollen spielen, kann man das gern auch als weitere Verästelung des Subgenres sehen. Denn im Grunde folgen die Figuren ihren Gesetzmäßigkeiten ähnlich wie in Horrorfilmen. Filme wie BLADE oder UNDERWORLD haben aber nur eine stärkere Färbung des Kontextes mit Horrorelementen. Es fällt einem ja ohnehin schwer, klare Genreabgrenzungen vorzunehmen (wozu auch immer). BLADE ist definitiv ein Urban Fantasy Film. BLADE ist aber auch ein ausgezeichneter Vampirfilm, ein echter Horrorfilm, ein Actionfilm wie auch eine klasse Comicverfilmung. Vielleicht verdichtet sich die Materie, wenn man von Urban Fantasy in der Literatur ausgeht. Es gibt wesentlich mehr Urban Fantasy Bücher, die allerdings auch erst seit den achtziger Jahren populär wurden. Eigentlich logisch, denn die Kluft zwischen Mythen und Moderne wird immer größer, je fortschrittlicher die Zivilisation. Je moderner und futuristischer sich eine Großstadt entwickelt, desto mehr weicht die Mystik ins Vergessene. Aus diesem Grund gibt es wohl keine bekannte Urban Fantasy Literatur, die, was weiß ich, im New York der fünfziger Jahre spielt (was ich aber nicht beweisen kann).

 

 

Die wollen nur so sein wie wir!

 

Die bekanntesten Comtemporary Fantasy Romane sind mit Sicherheit HARRY POTTER von Joanne K. Rowling oder die TWILIGHT-Buchreihe von Stephenie Meyer. Es ist nicht sicher, ob diese auch waschechte Urban Fantasy darstellen. Obwohl es in HARRY POTTER in späteren Bänden wie deren Verfilmungen auch zu Auseinandersetzungen in London kommt, ist der Kern der Anderswelt inmitten der Realität eher Hogwarts. Die Strukturen aber gleichen sich bereits in HARRY POTTER UND DIE KAMMER DES SCHRECKENS, als Harry und Ron mit einem fliegenden Auto durch die Lüfte einer Vorstadt düsen und somit gegen eine der elementarsten Regeln für Zauberer verstoßen: die Muggel sollten solche Dinge besser nicht sehen! Auch die vielen verschiedenen Parteien der Saga und ihre eingeordnete Existenz inmitten grauer Realität sind fast in allen Urban Fantasy Stoffen zu finden.

 

Bloß nicht vom Muggel erwischen lassen – HARRY POTTER UND DIE KAMMER DES SCHRECKENS

 

Bei TWILIGHT verhält sich das ein wenig anders. Obwohl TWILIGHT sämtlichen Facetten des Subgenres entspricht (Stadt als Setting, Parallele Gesellschaft mit jahrhundertealtem Stammbaum, das Aufdecken durch einen Menschen), werden die Verfilmungen der Bücher eher als Fantasy Romance oder Paranormal Romance bezeichnet. Halte ich aber für verkompliziert, denn Lovestories, egal in welchem Ausmaß, liegen wohl in fast allen fantastischen Geschichten inne. Gerade im weiteren Verlauf der Saga geht es hier auch um den Kampf verfeindeter Clans, um Bündnisse, um den Kampf Gut gegen Böse. Die Liebesgeschichte zwischen Edward und Bella steht zwar im Vordergrund, aber dafür gleich ein neues Fass aufmachen?

 

Auch die “Anderen” werden von neuzeitlichen, urbanen Problemen geplagt – TWILIGHT (2008)

Schlummernde Kräfte in Clary – DIE CHRONIKEN DER UNTERWELT – CITY OF BONES (2013)

 

Vielleicht ist es dennoch eine Frage der Gewichtung. In DIE CHRONIKEN DER UNTERWELT – CITY OF BONES verhält es sich nicht wirklich anders als in TWILIGHT, nur bestimmt die Liebesgeschichte zwischen den beiden Protagonisten die Story nicht in dem Maße (zumindest in der Verfilmung). Die eine Szene ist zwar heftig und verleitet in der Tat zum Vorspulen, aber sie steht (noch) nicht im Vordergrund. Ich mag die Verfilmung des Romans von Cassandra Clare sogar, es gibt ein paar witzige Ideen, Lily Collins (Phil Collins Tochter) ist ganz schnuckelig und es spielen ja auch noch Jarred Harris (FRINGE), Lena Headey (GAME OF THRONES) und Jonathan Rhys Meyers (DIE TUDORS) mit. Im Grunde enttäuschen mich aber solche Geschichten häufig, was ich aber nicht den Filmen anlasten würde. Es ist die Sache mit Sehnsucht und Suche.

 

Am Anfang sind solche Geschichten und Filme immer aufregend, denn ich empfinde die (kurze) Zeit vor dem eigentlichen Entdecken der verborgenen Phantastik am spannendsten. Auch das Entdecken selbst. Wenn in DIE CHRONIKEN DER UNTERWELT die Figur Clary Fray dieses Symbol entdeckt, unruhig ist, etwas spürt, dann offensiv auf Suche geht, ist das der aufregendste Aspekt, den ich emotional teile, in meiner Phantasie. Das hört dann meist an dem Punkt auf, wenn das Mysterium aufgedeckt wurde und man in einen Wust aus Verwandtschaftsverhältnissen, Clangezanke und dem obligatorischen Erklärbär verstrickt wird. Da ist in Sachen Aufbau und Sog ein Urban Fantasy Buch mit Sicherheit das bessere Medium. Ein Film will und sollte dagegen auch schnell zur Sache kommen. Aber so ist das nun mal mit Mysterien, sobald sie entdeckt wurden, sind sie keine mehr. Dann folgen Erklärungen…

 

 

DUELL DER MAGIER (2010)

 

Ein Großteil von Urban Fantasy Stoffen, von denen nur wenige für die Kinoleinwand adaptiert wurden, sind auf ein jugendliches Publikum zugeschnitten, tangieren Probleme der Pubertät, des ersten Verliebtseins, große Gefühle und vor allem die schmerzhafte Erkenntnis, anders zu sein. Dass es für Filme wie TWILIGHT den Begriff Fantasy Romance gibt, ist daher nicht ungewöhnlich. Die Mehrheit der (weiblichen) Zuschauer werden mit der Lovestory geangelt und das ist ja auch ok. Weniger auf diesen Aspekt, aber dennoch für die jüngeren Fraktionen zielen Filme wie PERY JACKSON oder DUELL DER MAGIER, die mal nicht von Vampirschnöseln oder deren Liebeleien handeln. Die X-MEN Franchise ist sicherlich kein klassischer Urban Fantasy Stoff, aber weit weg davon ist auch er nicht, wenn auch eher Integrierung und Ablehnung Andersartiger thematisiert werden. Auch JUMPER oder PUSH sind urbane Fantasystreifen, die ohne große Liebesschwurbeleien auskommen. Nur mit dem Unterschied, dass es hier weniger verloren geglaubte Mythen sind, viel mehr außergewöhnliche Kräfte. Das trifft auch auf CHRONILCE zu.

 

PUSH (2009)

CHRONICLE – WOZU BIST DU FÄHIG? (2012)

 

Urban Fantasy für Erwachsene, abseits der erwähnten klassischen Figuren, ist aber eher selten. Ein Ausnahme bildet die WÄCHTER-Tetralogie von Sergej Lukjanenko, von der WÄCHTER DER NACHT (2004) und WÄCHTER DES TAGES (2006) verfilmt wurden. In den russischen Verfilmungen dreht sich auch alles um Magier und Gestaltwandler, um verfeindete Seiten von Licht und Dunkelheit. Die Verfilmungen sind eine gute Abwechslung zu den eher jugendorientierten Beispielen, wenn ich auch beide Filme für sehr kryptisch und zäh halte. Urban Fantasy im Kino ist für mich weniger ein neuer Trend oder ein festes Subgenre, dafür variieren die Themen und Inszenierungsmöglichkeiten zu stark, als dass man sie an den Begriffen “Stadt” und “Phantastik” festmachen kann.

 

Das Gesetz der Straße gilt auch für Tote

 

Im TV-Bereich sieht das ein wenig anders aus. Dort gibt es eine weitaus größere Zahl an neueren Serien, in denen Fantasy und Stadtrealität aufeinandertreffen. Das liegt zum einen daran, dass die Vorlagen für diese Adaptionen meist mehrteilige Buchreihen sind, komplexe Stoffe um viele Figuren, die das Serienkonzept förmlich verlangen.

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Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Eine Art Fantasyboom gibt es jetzt seit den neunziger Jahren, nur sind High Fantasy Konzepte á la Tolkien für das Fernsehen natürlich ungleich teurer. Eine Vermischung der Realität mit einem Fantasykonstrukt ist eben neben der konzeptionellen Seite auch eine Frage des Budgets. Serien wie BUFFY – IM BANN DER DÄMONEN oder CHARMED sind auch aus diesem Grund so erfolgreich gewesen.

 

 

Als Serien wurden einige der bekanntesten Urban Fantasy Buchreihen adaptiert (THE DREADEN FILES), oder erinnert sich noch jemand an die tolle Serie THE BEAUTY AND THE BEAST mit Ron Perlman und Linda Hamilton? Urban Fantasy Serien sind inhaltlich wie dramaturgisch in allen Kapillaren des Genrekreislaufes zu finden, von Horror (TRUE BLOOD) bis Science-Fiction (FRINGE), oder sind wie GRIMM oder ONCE UPON A TIME eher mit märchenhaften Themen verknüpft. Eine meiner Lieblingsserien, DEAD LIKE ME, würde ich besonders hervorheben, denn einerseits arbeiten die bezaubernden zwei Staffeln weniger mit dem Fantasyholzhammer, auf der anderen Seite ist es eine der wenigen Geschichten, welche die “andere Welt” eher in Anlehnung an die Realität erzählen. Die Figuren in DEAD LIKE ME sind allesamt tot, nur müssen sie sich nach dem Tod einem ähnlich bürokratischen und nervigen Dasein hingeben, mit Regeln und Pflichten. Das ist nicht nur amüsant, sondern auch tiefgründiger als so mancher Lykanerclan.

 

 

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aus dem Jenseits in urbanen Gefilden – DEAD LIKE ME (2003)

 

 

Urban Fantasy ist deshalb so aufregend, weil die Geschichten an einem Ort verborgen liegen, wo man sie nie vermuten würde – in der Stadt. In der Stadt ist alles geregelt, portioniert, schnell und physisch – trister Alltag, graue Realität. In einer Stadt ist man von Aberglauben, Magie oder alten Mythen weit entfernt, meint man. Doch genau deshalb ist es so spannend, in solch gegensätzlich wirkenden Settings nach verborgenen Strukturen zu suchen, gerade weil man sie dort nicht erwartet. Vielleicht weil eine Sehnsucht besteht, unbewusst schlummernd, man fliehen will in eine andere Realität. Vielleicht ist es aber auch nur die Mischung von Alltag und Mythologie, die vielen Lesern und Filmfreunden näher scheint als der Kodex der Elben. Normalerweise nehmen Menschen weniger die Eigenheiten von phantastischen Wesen an als umgekehrt. Da verliebt sich ein Vampir schon mal unsterblich, bäckt einen Kuchen und haut in die Klaviertasten, um ein Mädchen zu beeindrucken. Vielleicht haben nicht nur Menschen Sehnsucht nach einer anderen Welt. Möglicherweise wollen die Geschöpfe der anderen Seite auch einfach nur so sein wie wir.

 

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

Lesen Sie in der nächsten Folge:

 

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One Comment

  1. Antworten

    […] das eher in den Bereich Fantasy. Dort spielt der Werwolf seit nicht all zu langer Zeit im Subgenre Urban Fantasy eine größere […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de