Was nützt dem toten Hund ein Beefsteak?
Script Development III: Der Titel

Ja nun, was nützt es ihm denn, dem toten Hund? Und was ist das eigentlich für ein dämlicher Titel? Was kann man sich darunter vorstellen, was kann Google sich darunter vorstellen, wenn es diesen Beitrag irgendwo einordnen soll? Ein Freund meinte zu mir, mach deine Überschriften bloß nicht zu abstrakt, das ist werbetechnisch kontraproduktiv. Andererseits gibt es bestimmt Leute, die ob des Titels vielleicht Appetit bekommen, wegen dem Beefsteak? Die Meisten werden wie immer erstmal verdutzt dreinblicken.

 

Wer denkt, dies ist nur verschwurbeltes Blogvorgeplänkel, der irret. Eigentlich sind wir bereits mitten im Thema – der Titelgebung im Stoffentwicklungsprozess. Was muss ein guter Titel, insbesondere beim Film, leisten? Wie ist die aktuelle Gewichtung zwischen künstlerischer Kreativität und Werbewirksamkeit? Was ist entscheidend? Klang? Plakativität? Direkter Inhaltsbezug oder dadaistische Intellektualität? Deutsch, Englisch, Esperanto? Gehört die Titelgebung für ein Filmprojekt überhaupt in das Resort des Drehbuchautoren? Und welcher Auswüchse an Titulierungen, ob kurz oder lang, clever oder plemplem, denglisch oder FACK JU GÖHTE, sind derzeit am präsentesten? Untertitel, Zusätze, Tarantino presents? Kann das jemand mal auseinanderklamüsern? NIEMAND? Naja, ok, schade, dachte, ich könnte mal früher Feierabend machen…

 

Der Titel eines Films hat Aufgaben zu erfüllen. Er muss neugierig auf den Inhalt machen, einprägsam sein, letzten Endes viele Menschen ins Kino oder vor den Fernseher locken. All diese Aufgaben beziehen sich auf Marketingaspekte – dem Produkt Film einen Namen geben, den man an der Kinokasse aufsagt oder den man ins Suchfeld von amazon schreiben kann. Die Entscheidung über einen zugkräftigen Titel obliegt dem Produzenten, zumindest wird dieser das letzte Wort haben.

 

Sollte man sich deswegen als Autor vielleicht überhaupt keine Gedanken über den Titel eines Stoffes machen, an dem man gerade arbeitet? Die Antwort darauf ist offensichtlich. Denn was der Titel beim anvisierten Publikum erreichen soll, nämlich Interesse, wird auch bei einem Producer, Redakteur oder sonstigen Entscheidern im Entwicklungsprozess eine Rolle spielen. Der Titel auf dem Exposé, Pitch, Treatment oder Drehbuch soll ja in erster Linie das Interesse des Entscheiders entfachen. Der Titel ist von Anfang an ein Lasso, um das Gaul der Neugier an sich zu zerren. Andererseits kann mir kaum vorstellen, dass ein Autor, ob Neuling oder Veteran, nicht an einen Titel seines Stoffes denkt. Einem Drehbuch einen Namen zu geben, ist für den Autor wie eine Kindstaufe.

 

Trotzdem muss jedem Autoren klar sein, dass der Titel seiner Geschichte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt IMMER ein Arbeitstitel sein wird. Denn dem Autor obliegt darin keine Entscheidungsgewalt. Dennoch kann ein Autor viel dazu beitragen, dass aus seinem Arbeitstitel ein echter Filmtitel wird, der dann in Programmzeitschriften, Kinoplakaten oder Blu-ray-Hüllen auftaucht.

 

Es gibt in der Tat unterschiedliche Herangehensweisen, ein Produzent wird andere Kriterien an den Titel stellen als der Autor. Schwarz-Weiß-gemalt heißt das, ein Autor möchte gern einen möglichst kreativen, tiefsinnigen oder emotionalen Titel, der Produzent einen möglichst kernigen, nicht missverständlichen, kommerziellen Titel. Die Realität bewegt sich sicher zwischen diesen Attributen, die sich ja auch gegenseitig bedingen. Was ich selbst im Stoffentwicklungsprozess erlebe, sind zwei verschiedene Situationen. Ein Titel für ein Filmprojekt kann Ausgangspunkt oder Endpunkt der Stoffentwicklung sein.

 

 

Der Titel als Inspiration

 

Ein Titel macht neugierig. Sollte er zumindest. Im Umkehrschluss bedeutet das aber für mich als Stoffentwickler, dass dieses Phänomen bereits auftauchen kann, bevor man überhaupt eine Idee für einen Stoff hat. Denn Ideen für Geschichten kommen ja von überall her. Sie lauern im Gefrierschrank, in einer Gewitterwolke, am Grunde eines Bierglases (da existieren irre viele Ideen), aber vor allem in Wörtern. Zumindest bei mir. Ein Wort, eine Phrase, ein Zitat oder ein dummer Spruch, ich habe oft erlebt, dass Wörter Brandbeschleuniger für Ideen sein können. Meist sind das bizarre Fremdwörter, die einen ob des Klangs oder der Metrik nicht aus dem Kopf gehen. “DEKADENZ” zum Beispiel brachte mich als junger Bub auf eine Story, nur des Wortes wegen. Entweder, man wird durch Unkenntnis über eine bestimmte Wortherkunft oder Bedeutung geradezu magisch von einem Themenkomplex eingenommen, oder es ist schlicht die Stimmung, die der Klang eines Wortkonstruktes erzeugt.

 

visual_titlegenerator

Inzwischen gibt es zahlreiche Generatoren, um Filmtitel zu sythetisieren. http://www.hanttula.com/exhibits/b-movie-title-generator/

Für David Lynch beispielsweise war es der Klang der Worte INLAND EMPIRE, die er mal von Laura Dern aufgeschnappt hat und die der Beginn des Entwicklungsprozesses waren, an dessen Ende dann der so betitelte Film stand. Es mag die Ausnahme sein, dass ein Wort oder ein Wortkonstrukt den entscheidenden Impuls für eine Geschichte gibt. Aber es passiert, meist einfach so, wenn auch selten. Momentan erlebe ich das gerade wieder, dass eine Wortkombination der Beginn eines kreativen Dominospiels sein kann. Eine dufte Alliteration wie THE COCKROACH CRONICLES zum Beispiel kann bereits Storyfragmente aufploppen lassen, lediglich durch die Beschäftigung mit Klang und Griffigkeit.

 

 

 

Klar verständlich oder völlig abstrakt?

 

Dennoch, meist ist der Titel für eine Geschichte, ein Exposé oder ein Drehbuch eine Sache, die einem erst während oder am Ende des Prozesses in den Schoss fällt. Am Titel kann man sich aber auch die Zähne herausbeißen. Ich finde es immer einfacher, plakativ zu titeln, per Schlagwort, am besten per Xenologismus (Fremdwort für Fremdwort). Beim Science-Fiction Film ist in den letzten Jahren eine wahre Flut von knackigen Titeln erschienen, die kein Mensch wirklich kapiert, die aber wunderbar nach Sci-Fi klingen.

 

 

Wissenschaftliche Begriffe als Titelgrundlage im Science-Fiction Film

 

Vor allem in dieser Art der Titulierung liegt eine gewisse Neugierde inne, was es mit dem Filminhalt wohl auf sich hat, zu dessen Schluss man über den Titel nur selten gelangt. Das eignet sich für das Science-Fiction-Genre vortrefflich und ist zudem zeitgemäßer als DER TAG, AN DEM DIE ERDE STILL STAND oder PLAN 9 FROM OUTER SPACE.

 

Doch so ein Schlagwort kann sich auch als leere Worthülse entpuppen. Kann ein Filmtitel wie EQUILIBRIUM vielleicht sogar kontraproduktiv sein? Man stelle sich vor, ein Kinogänger wählt aus Scham und Angst, den Titel falsch auszusprechen, lieber eine Eintrittskarte für NICHT NOCH EIN TEENIE-FILM! Andererseits ist es wohl werbewirksam, wenn man im Freundeskreis diskutiert, wie man EQUILIBRIUM ausspricht und was das überhaupt bedeutet.

 

 

Schlicht vs Komplex

 

 

Einen Film einen Titel wie GATTACA oder MEMENTO zu geben, aus Sicht eines hiesigen Autors, kann aber eben auch größeres, internationales Potential bedeuten. Nicht nur, dass solche Titel auch im englischsprachigem Raum als Wortkonstrukt aufgenommen werden und somit die gleiche Wirkung erzielen, es macht auch das Marketing wie einheitliche Logo- oder Bild-Schrift-Entwicklung günstiger. Nun soll aber das in der Tat dem Autor völlig drittrangig sein. Ich glaube ja, dass von Autorenseite ein Titel weniger konstruiert erdacht als empfangen wird, der Titel sich sozusagen manifestiert.

 

Mal ehrlich, entweder man hat von Anfang an einen Titel, den man auf Biegen und Brechen verteidigt oder man grübelt sich die Hirnrinde wund und schreckt plötzlich beim Verzehr einer Schüssel Chili Con Carne hoch und ruft: “Heureka, ich habs – DIE POWERPUFF-GIRLS!!!” Titel zu finden, ist nämlich kein wirklich kreativer Prozess, meiner Meinung nach, sondern eben stark geprägt durch das Titelangebot von fast 120 Jahren Filmgeschichte. Da können Autoren noch so auf Originalität pochen, aber strukturell bedient man bei der Titelfindung immer die gleichen Muster. Es ist deshalb auch überhaupt nicht unkreativ, die wildesten Auswüchse an Titulierung mal näher zu betrachten, um Schlüsse für die Taufe des eigenen Kindes zu ziehen.

 

 

Wer hat den Längsten?

 

Gehen wir zuerst in die Extreme. Rein logisch ist ein kurzer, knackiger Titel wohl die beste Wahl, denkt man. Wenn möglich sollte er international sein, nicht zu schwierig auszusprechen (Blamagefaktor an der Kinokasse) und sollte vor allem auf das Ticket oder das Plakat passen. Aber es ist auch wahr, dass ein Titel auch wegen seiner Sperrigkeit oder Länge im Gedächtnis bleiben kann.

 

 

 

Gevatter Google sagt, die längsten Filmtitel sind : NIGHT OF THE DAY OF THE DAWN OF THE SON OF THE BRIDE OF THE RETURN OD THE REVENGE OF THE TERROR OF THE ATTACK OF THE EVIL MUTANT HELLBOUND FLESH EATING SUBHUMANOID LIVING DEAD PART  sowie der Originaltitel des italienischen Streifens UN FATTO DI SANGUE NEL COMMUNE DIE SCULIANA FRA DUE UOMINI PER CAUSA DI UNA VEDOVA SI SOSPETANO MOVENTI POLITICI. AMORE-MORTE-SHIMMY. LUGANO BELLE. TARANTELLE. TARALLUCI É VINO, der in der deutschen Fassung schlicht BLUTFEHDE heißt. Ist denn das Kriterium, dass ein Filmtitel zumindest auf ein Poster passen sollte, bei diesen beiden Streifen erfüllt? Ist es!

 

Nicht ganz so extrem, aber immer noch ellenlang sind dann Filme wie, DER SELTSAME FALL DES BENJAMIN BUTTON oder TO WONG FOO, THANKS FOR EVERYTHING, JULIE NEWMAR. Nicht enden wollende deutsche Filmtitel gibt es auch: DAS MERKWÜRDIGE VERHALTEN GESCHLECHTSREIFER GROßSTÄDTER ZUR PAARUNGSZEIT, zum Beispiel. Ist es ratsam, solche Bandwurmtitel zu kreieren? Woher soll ich das wissen? Das einzige, was feststeht ist, vielleicht eine halbe Stunde früher zum Karten holen ins Kino gehen, damit genug Zeit bleibt, seinen Filmwunsch zu äußern.

 

 

Die kürzesten Filmtitel

 

Länger geht immer, bei kurzen Filmtiteln gestalten sich Konstrukte mit weniger als einen Buchstaben schwierig. So müssen sich meines Wissens Filme wie Π, O, M, 8, F, $ oder wie sie alle heißen, die Spitzenplätze teilen. Dagegen kann man sich bei ES, 8MM, SAW oder P2 schon mal verschreiben.

 

 

Der Titelzusatz – Zusatz zum Titel

 

Gerade bei sehr kurzen Filmtitel kommt man um eine ergänzende Zusatzzeile nicht umhin. Nur Obacht! Ein Zusatztitel kann leicht mit einer Tagline oder einem Einzeiler verwechselt werden. Klassische Beispiele von Zusätzen der oben genannten Kurztitel sind “M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER” oder P2 – SCHREIE IM PARKHAUS. Rein phonetisch fällt auf, dass ein Titelzusatz bei Kurztiteln häufig recht lang ist. Die Gründe sind hier wohl im Klangbild zu suchen. Wie ich bereits in MOTHERFUCKING STOFFENTWICKLUNG schrob, ist Klang und Metrik essentiell wichtig für die Griffigkeit eines guten Titels. M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER klingt eben sehr flüssig. Aber auch kürzere Zusätze sollten über eine gute Metrik verfügen.

 

 

Der Titel hinter dem Doppelpunkt

 

HIGHLANDER – ENDGAME zum Beispiel, TRON:LEGACY oder UNDERWORLD: AWAKENING. Manchmal gehen solche Zusätze oder Zugehörigkeiten aber auch nach hinten los. Das liegt dann vor, wenn ein Verleih oder Rechteinhaber gern den Originaltitel behalten möchte, ihn aber durch einen deutschen Zusatz inhaltlich klarer machen will. Das führt dann zu solchen Meisterleistungen wie ALIEN – DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EINER FREMDEN WELT. Doch das Ganze hat Gründe, auch wenn der Filmfan darüber gern speckert. Wenn man sich mal anschaut, was mit einem Titelzusatz versehen wird und was nicht, kann man recht schnell schlussfolgern: es ist eine Frage der Zielgruppe.

 

Hier wirds dann heikel. Kein Produzent, Verleih oder Rechteinhaber wird offen sagen, dass man dem Zielpublikum einer leichten Komödie keinen englischen Originaltitel zutraut. Ist aber so. CRUEL INTENTIONS wird dann zu EISKALTE ENGEL, was inhaltlich ok ist. ENTER THE VOID hingegen bleibt bei ENTER THE VOID, denn die Zielgruppe eines Gaspar Noé Films ist eine ganz andere als die von EISKALTE ENGEL. Hinzu kommt, dass Filme mit Originaltitel meist einfach einen deutschen Titelzusatz spediert bekommen, entweder eine passable Übersetzung (CORPSE BRIDE – HOCHZEIT MIT EINER LEICHE) oder mit einem artverwandtem Sprüchle (WAG THE DOG – WENN DER SCHWANZ MIT DEM HUND WEDELT). Letzterer halte ich sogar für gelungen.

 

 

Irrungen, Wirrungen bei kreativen Titelübersetzungen

 

Heute werden schätzungsweise 50% der Filmtitel aus anderen Ländern im Originaltitel veröffentlicht, mit oder ohne Titelzusatz, früher wurde fast ausschließlich ins Deutsche umgetopft. Eine absolute Unart der neueren Zeit ist es, englischsprachige Filmtitel für den deutschen Verleih in andere englischsprachige Titel umzubenennen. Wer auf den Irrsinn kam, aus TAKEN 96 HOURS zu machen (und aus TAKEN 2 ein 96 HOURS – TAKEN 2), sollte lieber in Deckung bleiben.

 

 

Besser als das Original & spoilerfrei

 

Ich will aber auch nicht verschweigen, dass es durchaus deutsche Titelübersetzungen gibt, die besser als das Original sind. Obwohl das Wort “besser” unglücklich gewählt ist. Als ich hörte, dass der Film THE LOVELY BONES von Peter Jackson in Deutschland IN MEINEM HIMMEL heißen soll, war ich zuerst irritiert. Doch finde ich diesen Titel mittlerweile wesentlich lyrischer und treffender als die “geliebten Knochen”. Der Titel bezieht sich auf den Monolog der Figur Susie Salomon über das Kind ihres Lehrers Mr. Botte: ” Seine Tochter starb anderthalb Jahre nach mir. Sie hatte Leukämie, aber in meinem Himmel habe ich sie nie gesehen.” In diesem Zusammenhang ein phantastischer Titel.

 

 

Die Besten: Und täglich grüsst das Murmeltier (GROUNDHOG DAY), In meinem Himmel (THE LOVELY BONES), Der blutige Pfad Gottes (THE BOONDOCK SAINTS) – Schlimme Sachen: DIE KLAPPERSCHLANGE (Escape from New York, ES IST EINE KOBRA!), AGENT 00 NIX (The man who knew to little), KAFFEE, MICLH UND ZUCKER (latent rassistisch für Boys On The Side)

 

Manchmal ist eine Umbenennung des Originaltitel unumgänglich, weil er zu speziell auf die Landesgebräuche oder Ausrücke des Herkunftslandes bezogen ist. Den Feiertag GROUNDHOG DAY kennt hierzulande wohl nur eine Minderheit, andererseits ist UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER sowohl metrisch als auch inhaltlich die bessere Variante. Was zu der interessanten Frage führt, wie viel Inhalt in einem Titel transportiert werden kann, ohne dass gleich die große Spoilersirene ertönt. Das ist manchmal wohl verschmerzbar (immerhin ist der Titel zu HERR DER RINGE – DIE RÜCKKEHR DES KÖNIGS ein deftiger Spoiler).

 

Der Chinesische Titel für THE SIXTH SENSE ist in der Tat HE´S A GHOST (ups, verraten!). Es gibt tolle Beispiele, wo der Filmtitel auch Logline sein kann. ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT zum Beispiel, oder auch JOHN DIES AT THE END. Im Gegensatz zu abstrakten Titeln sind jene, die den Plot im Namen tragen, manchmal schwieriger zu konstruieren als gedacht, aber eben auch eine tolle Art der Loglinefindung oder als Inspiration für eine Werke. KILL BILL zum Beispiel ist nicht nur Titel, sondern konkrete Plotbeschreibung in zwei Wörtern. Von einem objektiven Standpunkt vielleicht der beste Filmtitel aller Zeiten: er schildert den Plot (bzw. das Vorhaben), ist kurz, international, reimt sich, sieht als Schriftmarke super aus. Der Rest ist Geschmackssache.

 

 

Die dämlichsten Titel aller Zeiten vs die Coolsten

 

Es muss nicht immer ellenlang, artifiziell, dufte übersetzt oder plottig sein. Manchmal muss es trashig und bizarr sein. Die schrillsten Filmtitel, die ich kenne, sind Meisterwerke der Taufe in Restalkohol. Mein Spitzenreiter ist folgender aus dem Jahr 1967: OH VATER, ARMER VATER, MUTTER HÄNGT DICH IN DEN SCHRANK UND ICH BIN GANZ KRANK. Muss man erstmal drauf kommen. Gleich danach schafft es DEI MUDDER SEI GESICHT und BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE (???) auf die Ominösitätenliste.

 

 

Die skurrilsten Filmtitel

 

 

Für wahre Meisterwerke der Titelkunst halte ich hingegen DER ENGLÄNDER, DER AUF EINEN HÜGEL STIEG UND VON EINEM BERG HERUNTER KAM, SCHNEE, DER AUF ZEDERN FÄLLT und natürlich MARY & MAX ODER SCHRUMPFEN SCHAFE WENN ES REGNET. In Sachen kürzere Titel finde ich GOLDSTÄNDER, BLADE RUNNER und LOST IN TRANSLATION ziemlich schnittig.

 

 

Titel, Thesen, Tarantino

 

Über Filmtitel kann man sich die Fingerkuppen wundschreiben. Was gibt es sonst noch für Abnormitäten innerhalb der Namensgebung? Das wäre zum einen die Sache, dass man auch im Filmtitel gern mit Filmemachern wirbt. Das funktioniert natürlich nur solange, wie der Name des Regisseurs oder Produzenten in aller Munde ist. Das ist der Fall bei Tim Burton und Quentin Tarantino (oder inzwischen auch bei Alexandre Aja). Bei Herrn Burton beispielweise kommt das zum Tragen, wenn ein Film zwar aus seinem wucheligen Kringelkopf entstammt, er aber gar nicht Regie geführt hat. Damit das keiner bemerkt, wird halt getitelt mit TIM BURTONS NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS. Ist aber meines Erachtens genauso beknackt wie das ewige Daraufhinweisen mit: “Von den Machern…von denen, die…gemacht haben!”)

 

Im Falle Tarantino soll darauf hingewiesen werden, dass der Film im Stile eines Tarantinos inszeniert ist. Dieses “TARANTINO PRÄSENTIERT” wird dann auch inflationär und meines Erachtens auch völlig unbegründet bei allem möglichen Gangster/Grundhouse-Quark verwandt. Hauptsache, der Kunde assoziiert und löst ein Ticket.

 

 

Arbeitstitel & Decknamen

 

Ein großes Mysterium ist auch die Welt von Arbeitstiteln oder Filmnamen, die von gewissen Dingen ablenken sollen. Das passiert meist, wenn irgendwo ein Blockbuster gedreht wird, bei dem eine gewisse Geheimhaltung von Vorteil ist. Das gilt für Ausschreibungen, Sperrungen von Straßen inklusive Schilder und Komparsenaufrufe, aber vor allem zum Fernhalten der Presse und der Fans. So wurde 1983 angeblich ein Horrorfilm namens BLUE HARVEST – HORROR BEYOND IMAGINATION gedreht, der in Wirklichkeit DIE RÜCKKEHR DER JEDI RITTER war. Was glaubt ihr, steckt hinter den Decknamen THE INTIMIDATION GAME, RORYS FIRST KISS und MAGNUS REX? Oder im Falle des aktuellen Films FEUCHTGEBIETE nach dem Roman von Charlotte Roche, wo ebenfalls unter Decknamen gedreht wurde, um einen Presserummel rund um die ständig nackte Hauptdarstellerin von vornherein zu unterbinden. Eine Reihe von Arbeitstitel und Decknamen in Verbindung mit echtem Posterartwork kann hier bestaunt werden. Interessant ist das allemal.

 

 

Zurück zum eigenen Script

 

Für gute Titelfindung gibt es keinen Editor, keinen Baukasten oder Schablone. Ein Blick auf die verrückte Welt der Filmtitulierung kann aber ein inspirativer Anstoß sein. Man kann für Filmtitel mit dramaturgischen Elementen wie Figuren arbeiten (THE BIG LEBOWSKI, THE ROYAL TENENBAUMS), mit Ortsangaben (IRGENDWO IN MEXICO), Zeitangaben (12 UHR MITTAGS), oder den Plot ansprechen (“DIE ERMORDUNG DFES JESSE JAMES DURCH DEN FEIGLING ROBERT FORD).

 

Ob ein Schlagwort á la INCEPTION oder lyrische Satzgefüge wie DAS LEBEN NACH DEM TOD IN DENVER, der etwas außer Mode gekommene Filmtitel mit dem “Oder-Zusatz” (DR.STRANGELOVE ODER WIE ICH LERBTE DIE BOMBE ZU LIEBEN), oder schlicht eine Fortsetzung mit TEIL 2 zu betiteln, ist immer abhängig vom Stoff, seiner Zielgruppe und der Passion des Autors. Googlen ist bei der Titelfindung von meiner Seite aus dringend empfohlen. Denn ein neuer Stoff mit dem Arbeitstitel DAS HAUS oder sämtliche Kombinationen aus den Wörtern LIEBE, NACHT oder TAG kann beim Pitchen zu einem hohlen Sammelbegriff werden.

 

Natürlich muss der Titel eines Stoffes etwas besonderes sein, im besonderem Maße anziehend wirken, amüsieren, zum Diskurs anregen. Auch wenn der Titel für einen Autor unhaltbar ist, es bleibt die Taufe eines Babys, den der Autorenvater hoffentlich mit Liebe und Herz ausgewählt hat. Es ist immerhin das Erste, was einem Entscheider in die Augen fallen wird, woran er hängenbleibt, Interesse generiert oder im Fall von Standardtitulierung das Script erst gar nicht weiter beachtet. Ein guter Titel kann ein Anfang wie auch das Ende eines Stoffentwicklungsprozesses sein. Aber eins sollte es auf keinen Fall sein. Ein notwendiges Übel.

 

 

 

 

7 Comments

  1. Antworten
    Susan 15. September 2013

    “Wer auf den Irrsinn kam, aus TAKEN 96 HOURS zu machen (und aus TAKEN 2 ein 96 HOURS – TAKEN 2), sollte lieber in Deckung bleiben.” …herrlich!

    Apropos hohle Sammelbegriffe…abgegriffene Wörter der Werbewelt kann man hier abchecken: http://www.slogans.de/slogometer.php?Year=2013

    • Antworten
      rikenbaker 15. September 2013

      Hey, coole Sache. Im Titelregister der SPIO gibt es auch eine Auflistung der am meisten vorkommenden Wörter in Filmtiteln, außerdem kann man schauen, ob zum Beispiel der Titel ANGRIFF DER GEKLONTEN KLODECKEL VON ROHDIANO 5 noch frei ist. http://www.spio.de/index.asp?SeitID=399&TID=399 Sollte auch noch erwähnt werden! Liebe Grüße!

      • Antworten
        Susan 15. September 2013

        Das Spio Register ist echt toll. Danke für den Tipp!

  2. Antworten

    […] der letzten Script Development Folge über Filmtitel ging es unter anderem um Titelzusätze wie beispielsweise ALIEN – DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS […]

  3. Antworten

    […] und deren Hinter- wie Beweggründe, Berufe und Berufungen, Dialoge, darüber hinaus Tools wie Titel, Untertitel, Loglines und Voice Over. Bleibt da noch überhaupt noch etwas übrig im dichten […]

  4. Antworten

    […] oder Taglines können einem helfen, eine Geschichte zu komprimieren, egal ob lyrisch oder derb. Der Titel sollte ein Magnet sein, muss neugierig machen auf Stoffüberzug und Federkern des Films. Das alles […]

  5. Antworten
    TOY STORY mit Nazis! 25. Oktober 2017

    […] PLANET DER AFFEN: REVOLUTION, nach PREVOLUTION eine neue Stufe der wahnwitzigen, verkomplizierenden Titelneuschöpfungen. Fairerweise muss man sagen, dass auch der Originaltitel DAWN OF THE PLANET OF THE APES ein […]

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