Genre Made In Germany

Das Jahr 2017 ist ein besonderes Jubiläumsjahr, denn es rundet sich zum fünfhundertsten Male die Thesenverspachtelung der Wittenberger Schlosskirche durch den Genrefilmer Martin Luther, dem Urururonkel von Lex Luther. Damals ging es um Reformation, und dieser Vibe erklingt auch 500 Jahre später noch durch die BRD, die Betroffenheitsrepublik Deutschland. Denn es gibt noch so viele Dinge neben konfessioneller Abgrenzung und der Homogenisierung von Milch, die reformiert gehören in diesem Lande. Zum Beispiel die Filmkultur. Während auf der BERLINALE der Vakuumszustand der Bewältigungsfilmerei befeiert wird, beweist die GENRENALE mittlerweile zum 5. Mal in Folge, dass es in Deutschland durchaus auch Filmemacher gibt, die ihre Visionen um kontroverse, aufreibende und unangepasste Stoffe mit den Stilmitteln des internationalen Genrefilms realisieren wollen und das auch tun, gegen jeden Widerstand der fantasiefeindlichen und bürokratisch verwalteten Filmbranche Deutschlands, die scheinbar jeden Anschluss an den internationalen Markt verloren hat.

 

Weil die GENRENALE bereits zum fünften Mal diesen Filmemachern und Filmen eine Plattform bietet, wird das Festival für den deutschen Genrefilm, der angeblich gar nicht existiert, zu einem Indikator dieser Bewegung. Das zeigt auch die Evolution der Slogans des Festivals. Waren “No More Drama” und “Kill Your Darlings” noch Kampfansagen, wogegen man sich platziert, prägte die vierte GENRENALE 2016 den Ausdruck “Keep It Unreal”, was einen Wunsch beziehungsweise eine Bekräftigung darstellt. In diesem Jahr hieß es nun schlicht “Genre Made In Germany”. Doch so schlicht ist dieser Slogan gar nicht, vor allem jetzt nach der GENRENALE5, die in diesem Jahr in Programm und Programmatik kein “Wogegen” oder “Wofür” verdichtete, sondern einen durchaus beeindruckenden Ist-Zustand.

 

visual_gen5slogan

 

Zum ersten Mal präsentierte das Festival den existierenden deutschen Genrefilm an ganzen vier Tagen, mit 47 Kurzfilmbeiträgen sowie Trailern und stolzen fünf Spielfilmproduktionen plus Retrospektive. Doch die GENRENALE präsentierte nicht nur mehr, sie bot auch wirklich erstklassiges Genreprogramm, in Vision, Machart und Themenvielfalt, in emotionaler Bandbreite von aufwühlend bis zum Umfallen komisch. “Genre Made In Germany” steht dabei auch für Ausdauer und Widerstandskraft, denn es könnte auch gut und gerne heißen “Genre trotz Germany”.

 

Denn obgleich der Stand des deutschen Genrefilms noch immer ein schwieriger ist und es vor allem an Unterstützung innerhalb der Branche mangelt, diese Filme wurden trotzdem gemacht. Ich schrieb im Jahr 2014 über die GENRENALE3 von Leidenschaft und Selbstausbeutung. Zwischen diesen Eckpfeilern realisieren Filmemacher in diesem Land noch immer ihre Visionen, aber sie tun es nicht verbittert und das ist überaus bemerkenswert. Wenn wir uns gleich den Highlights des Programms zuwenden, werde ich nicht jedes mal darauf hinweisen, dass der Großteil der Filme für “50 Euro und zwei Kästen Bier” realisiert wurden. Ich will lieber aufzeigen, wer da für was gekämpft hat, Filmmacher und Filme.

 

Der GENRENALE Palast im Jahre des Herrn 2017

Denn der deutsche Genrefilm ist kein Untoter. Mit der GENRENALE5 erreicht er einen wirklich interessanten Level. Das sage ich nicht einfach so, das fühle und meine ich auch. Wenn Besucher der Stadt über “this tiny german genre festival” sprechen, eine Attraktion, die man gesehen haben muss, dann spricht mir das aus der Seele. Denn so nehme ich den deutschen Genrefilm im Jahr 2017 und vor allem nach dieser GENRENALE wahr. Ich schachtel mir die Filmlandschaft gern in kleine Bonbontüten. Ich liebe den retrospektiven Genrefilm aus allen Jahrzehnten, Subgenres, den länderspezifischen Genrefilm in seiner nationalen Identität und Variation. Doch während mich der spanische Genrefilm mittlerweile nicht mehr so mitreißt und auch aus Frankreich schon länger nichts mehr kam, dagegen fühlt sich der deutsche Genrefilm momentan wie ein Geheimtipp aus dem Underground an. Das meine ich in vollem Ernst, der deutsche Genrefilm ist cool, er ist verdammt sexy und er hat großes Potential. Wäre er eine Aktie, ich würde drauf setzen.

 

Schauen wir uns das Spektakel der Reihe nach an, die Highlights des Jubiläumsprogramms, die Filme und Filmemacher, die mit Leib und Seele für diesen deutschen Genrefilm stehen und mit ihm für mehr Mut, mehr Vielfalt, für Filme, die aus dem ewig gleichen Dreiklang der Dritten-Reich-Betroffenheits-Dramödie herausbrechen, inhaltlich wie stilistisch. Filme, die zu gleichen Teilen anspruchsvoll und unterhaltsam sind, nicht belehrend, nicht durch falsch verstandenen Realismus eingeengt sind in Form und Ausdruck. Filme, die das Werkzeug des Genrefilms nutzen, seine Stilmittel einsetzen, aber damit nicht nur retrospektiv reflektieren, sondern in der Tat etwas Neues schaffen.

 

 

Tag 1: Über Randgruppen und Wurstkekse

 

Gleich der erste Kurzfilmblock am Montag hatte es in sich, angefangen vom stilvollen Psychothriller THE DEVIL KNOWS MY NAME von Christian Pfeil und MIKELIS von Marc Bethke, in dessen reduziertem Setting eine dramatische Geschichte von beklemmenden Ausmaß steckte. Mit DIE RANDGRUPPE von Julius Grimm wurde es dann wieder heiterer, um nicht zu sagen brüllend komisch.

 

DIE RANDGRUPPE von Julius Grimm

Witziger als die schwarze Komödie um eine Gruppe Lebensmüder auf einem Hochhausdach fand ich die Diskussion auf der Bühne nach der Filmsichtung. Es ging darum, ob man mit einem solchen Thema das Publikum nicht vielleicht verstöre, was Julius Grimm dahingehend bestätigte, dass jüngere Zuschauer bislang offener für die makabre Geschichte waren. Die Diskussion hat mich dezent verwirrt.

 

Natürlich müssen sich Filmemacher hierzulande oft für ihre Stoffe und für Genre rechtfertigen, aber dass man sich mittlerweile für eine schwarze Komödie entschuldigen muss, war mir neu. Monty Python werden doch wohl auch ältere Semester kennen. Julius Grimm versuchte sich demzufolge auch mit dem Argument herauszuwinden, er habe einen persönlichen Bezug zu diesen Thema. Lieber Julius, mir hat DIE RANDGRUPPE wirklich ausgezeichnet gefallen und du musst dich definitiv nicht für deine wunderbar schwarzhumorige Komödie entschuldigen. Wo kommen wir denn da hin?

 

Killer Performances: Karoline Eichhorn, Linda Blümchen und Carola Marschhausen in NONA

Kurzfilmhighlight des Tages war aber NONA von Steffen Hildebrandt, ein Mystery-Thriller um eine traumatisierte junge Frau, die neun Persönlichkeiten in ihrer Psyche entwickelt hat. NONA ist überaus spannend erzählt und gibt seinen verschachtelten Plot erst nach und nach frei, der Film wird aber vor allem getragen von den exzellenten Darstellerinnen Karoline Eichhorn, Linda Blümchen und vor allem der 15-jährigen Carola Marschhausen, deren Performance unter die Haut geht.

 

Vor dem Spielfilm OFFLINE – DAS LEBEN IST KEIN BONUSLEVEL begeisterte das Familienprojekt LES ENFANTS QUE LES SUPER-HÉROES ET DE MONSTRES!, in dem der Genrenachwuchs von Morgen die Filmemachereltern zur Realisierung eines Superheldenfilms nötigt, da ihnen die Nouvelle Vague stilistisch zum Halse heraus bröckelt. So ziehen Familie Hofmann plus Nachbarin in feschen Heldenkostümen gegen ein Bratkartoffelmonster in den Kampf. Das nenne ich genregerechte Erziehungsmethoden, welche auch vom Publikum mit frenetischem Applaus honoriert wurden.

 

OFFLINE – DAS LEBEN IST KEIN BONUSLEVEL von Florian Schnell (Little Dream/barnsteiner-film)

Mit OFFLINE – DAS LEBEN IST KEIN BONUSLEVEL lief dann eine überaus rasante und sympathische Gamerkomödie, die wohl erste ihrer Art in Deutschland, und was soll ich sagen, ich fand den Film von Regisseur Florian Schnell durchweg spaßig und originell. Es mag zum Teil ein wüstes Sammelsurium an Gamerklischees sein, die da im Schnellfeuer verschossen wurden, aber die Chemie zwischen den beiden Hauptakteuren Moritz Jahn und Mala Emde ist einfach so stimmig, dass man ihre Odyssee nach der verlorenen digitalen Identität und der Austragung eines Onlineturniers mit Spannung und Spaß verfolgt. Mala Emde ist wirklich eine Wucht, mit ihren blauen Haaren und ihrem Spleen erinnerte sie mich an Laurence Leboeuf aus TURBO KID. OFFLINE läuft ab 23. Februar regulär im Kino und ich kann die frische Nerdkomödie nicht nur jeden gameaffinen Filmfreund ans Herz legen.

 

 

New Rules. No Chance.

 

Zur Eröffnungsveranstaltung um 20.00 Uhr wurde es dann aber ernst, denn mit IMMIGRATION GAME von Krystof Zlatnik lief ein wuchtiger und angenehm unangenehmer Actionthriller um eine zynische Gameshow, in der man sich eine Aufenthaltsgenehmigung in einem nicht allzu fernen Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes erkämpfen kann. Ich habe IMMIGRATION GAME nur bereits zum zweiten Mal gesehen und ihn bereits zu einem der Genrefilme des Vorjahres erklärt.

 

IMMIGRATION GAME von Krystof Zlatnik

Was Regisseur Krystof Zlatnik und seine Crew mit faktisch nicht existentem Budget und ohne Genehmigungen auf die Beine gestellt haben, ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Denn IMMIGRATION GAME ist quasi die Essenz dessen, was der deutsche Genrefilm leisten kann. Das klingt jetzt hochtrabend, aber es stimmt. Der Film wurde mit großer Leidenschaft und unter enormer Anstrengung realisiert, er nutzt die Stilmittel des Genres gekonnt, erzählt damit aber eine Geschichte mit beängstigendem, brandaktuellem Bezug, jedoch nicht realistisch, sondern in filmischer Überhöhung. IMMIGRATION GAME verwirklicht all das, wofür der deutsche Genrefilm stehen kann.

 

Aus diesen Eckpfeilern heraus wird aus IMMIGRATION GAME ein fast schon ikonisches Meisterwerk, es ist roh, brachial, zynisch, zum Teil verstörend, es reißt den Zuschauer in einen Sog, aus dem es ihn gar nicht mehr befreien will. Denn vor allem das Ende des Films ist so streitbar wie der Genrefilm selbst sein sollte. Mich persönlich wühlt das Ende auf, zum einen weil ich die Figuren verliere, zum anderen aber auch, weil ich diese Konsequenz dann doch nachvollziehen kann, auch wenn´s mir nicht passt.

 

Das IMMIGRATION GAME Team auf der GENRENALE Bühne

Nur wenige Aspekte trüben die Immersion mit dieser dystopischen Welt der nahen Zukunft. Ich hätte gern mehr von der Wirkung der Gameshow auf den Zuschauer gesehen, man erfährt darüber nur durch Werbetafeln und vom Hören-Sagen einzelner Figuren. Wie aber sieht diese Show im Fernsehen wirklich aus? Darüber erfährt man auch in der Interview-Szene am Ende leider wenig.

 

IMMIGRATION GAME ist ein wichtiger Film, ein notwendiger Film, nicht nur für den deutschen Genrefilm, sondern darüber hinaus. Er ist einfach eine Wucht und er verdient jede Aufmerksamkeit. Der Film muss regulär ins Kino. Er gehört mindestens auf das FANTASY FILMFEST, nicht, weil es so ein besonderes Festival ist, im Gegenteil, sondern weil das FANTASY FILMFEST irgendwann auch mal den deutschen Genrefilm wahrnehmen muss. Alles andere wäre ein Skandal.

 

 

Tag 2: Über Nasenbluten und Genrehorizonte

 

Highlights der Kurzfilmblöcke Shots 2 und 3 am Dienstag gab gleich einige. Mit FIAT LUX, EBERSBERG und auch VORM LINDIG vom Vortag waren eine Reihe Mysterystoffe im Programm, auf letztere beiden will ich kurz näher eingehen. Mystery gilt im Genrebereich als relativ einfach zu produzierende Subsparte mit durchaus großen Erfolgschancen am Markt, in Amerika macht Blumhouse Production vor, wie man in diesem Bereich überaus wirtschaftlich arbeiten kann. Mysteriöse Halbwahrheiten kommen gut beim Publikum an, jeder kennt Filme über urbane wie ländliche Legenden, die mit einfachen Mitteln eine erstaunlich große Wirkung erzielen können. Das erfüllen auch VORM LINDIG und EBERSBERG, jedoch tun sie das in unterschiedlicher Akzentuierung.

 

Während VORM LINDIG eine Geschichte über einen dunklen Ort in einem Waldstück erzählt, über den niemand zu sprechen wagt, gehen die Figuren in EBERSBERG einer alten Legende um eine weiße Frau nach, die nach ihrem angeblichen Unfalltod Autofahrern nach dem Leben trachtet. VORM LINDIG hat zweifelsohne das interessantere Setting, die Geschichte um den unseeligen Ort bleibt nebulös, doch allein der Anblick der bewaldeten Berghänge sorgt für ein mulmiges Unbehagen. Die Legende hinter EBERSBERG hingegen wirkt eher wie eine klassische Geistergeschichte, beides funktioniert im Bereich Mystery vorzüglich, doch das Subgenre verlangt dann doch noch mehr.

 

VORM LINDIG von Matthias Noe und EBERSBERG von Manuel Weiss

In VORM LINDIG stimmt die Atmosphäre und das Ungewisse, die Story selbst und die Figuren lassen mich aber eher kalt. Ganz anders EBERSBERG, der die Geistergeschichte eher konventionell erzählt und auch reichlich Budenzauber betreibt, aber interessantere Figuren bietet.

 

Zwei beste Freunde ziehen hier los, der eine produziert Geisterclips für seinen YouTube Kanal “ParaSight”, der andere ist ein sympathischer Zweifler mit schrulligem, bayrischen Akzent. Ihnen zu folgen ist spannender als den Hauptfiguren in VORM LINDIG. Am Ende funktionieren beide Filme in ihrem Genre, würde man die Filme verschmelzen, käme vielleicht sogar ein kleiner Genreprimus heraus. Eins tun VORM LINDIG von Matthias Noe und EBERSBERG von Manuel Weiss aber beide, nämlich aufzeigen, dass deutsche Filmemacher das Mysterygenre verstehen und umsetzen können. Ja, Deutschland kann Genre, wenn man es mal so plakativ ausdrücken will.

 

GHOSTBLEEDER von Niklas Coscan

GHOSTBLEEDER von Niklas Coscan erzählt die Geschichte über ein Mädchen, deren Nasenbluten eine Art Eigenwillen besitzt und ihr darüber Mordaufträge übermittelt. Das klingt genau so witzig wie es beim Publikum dann auch ankam. REBORN LOST und PROMETHEUS RISING hingegen haben mich nicht wirklich gepackt, wohl aber die beiden letzten Filme der SHOTS 3. CAN’T TAKE MY EYES OFF YOU ist ein klassischer Home Invasion Thriller mit hohem Wirkungsgrad, auch hier verstehen die Regisseure Nik Sentenza und Johannes Kizler ihr Genre und liefern einen hochspannenden Kurzfilm ab. Der letzte Film in der Runde allerdings zeigt, dass man auch ohne Genrekorsett wie Mystery oder Home Invasion etwas Neues und Faszinierendes erschaffen kann.

 

DIE BESONDEREN FÄHIGKEITEN DES HERRN MAHLER spielt in der DDR des Jahres 1987 und handelt vom Verschwinden des 6-jährigen Henry Kiefer, ein heikler Fall für die Ostregierung, den nun ein Sonderermittler der Stasi, Herr Mahler, endlich abschließen soll. Herr Mahler, gespielt von André Hennicke, verfügt über besondere Fähigkeiten, er ist nicht nur überaus empathisch wie pragmatisch, er scheint beinahe übersinnliche Wahrnehmungen zu besitzen. Herr Mahler versucht so in einem letzten Gespräch mit den Eltern des verschwundenen Jungen zu klären, was wirklich passiert ist.

 

André Hennicke in DIE BESONDEREN FÄHIGKEITEN DES HERRN MAHLER von Paul Philip

Das mag jetzt auf den ersten Horch weniger nach einem klassischen Genrestoff klingen, eher nach einem typischen Drama, aber DIE BESONDEREN FÄHIGKEITEN DES HERRN MAHLER erzählt diese Geschichte auf seine ganz eigene Weise, doppelbödig und vor allem unfassbar dicht und spannend.

 

Mehr noch, stofflich zeigt der Film von Paul Philip eine interessante Richtung, in die Filmemacher und Autoren steuern können, in Nischen innerhalb des Genres, Themen, einer nationalen Identität und wie man daraus neue, inhaltliche Perspektiven für den Genrefilm abschöpfen kann.

 

Das ist auch mein Wunsch als Autor, ich will auch Geschichten erzählen über die eigene nationale Geschichte, das Dritte Reich, der Kalte Krieg, DDR- und Stasidiktatur, warum sollten diese Themen nur bleiernen Dramen vorbehalten sein. DIE BESONDEREN FÄHIGKEITEN DES HERRN MAHLER ist der erste Film, der sich im Genre mit solchen Themen auseinandersetzt und mich damit mehr inspiriert hat als anderen Filme im Programm. Wie sich später herausstellen sollte, war ich nicht der Einzige.

 

 

Clicks & Deaths

 

Neben den Langfilmen ONE SHOT LEFT, dem ersten deutschen Actionfilm ohne Schnitt und der Berlin-Premiere des Psychthrillers FREDDY EDDY war das Highlight des zweiten Festivaltages zweifelsfrei das AVID GENRE PANEL unter dem Motto “Million Eyes on German Genre – Virale Hits als Chance für deutsche Genrefilme”. Moderiert wurde die Gesprächsrunde von Drehbuchautor Peer Gopfrich, als Gäste geladen waren Erdal Ceylan und Meelah Adams, die mit SELFIE FROM HELL einen viralen Hit landeten, Regisseur Kaleb Lechowski, der durch seinen Kurzfilm R’HA vielversprechende Kontakte in Hollywood knüpfen konnte sowie Shawn Bu, der im letzten Jahr mit dem STAR WARS Kurzfilm DARTH MAUL APPRENTICE international für Furore sorgte.

 

AVID GENRE PANEL mit Erdal Ceylan und Meelah Adams, Kaleb Lechowski und Shawn Bu, moderiert von Peer Gopfrich

In dem interessantem und charmanten Gespräch berichteten alle Filmemacher von ihren Erfahrungen mit mehr oder minder selbstinszenierten viralen Meteoriteneinschlägen innerhalb der Branche und vor allem darüber, wohin sie dieser Erfolg weiter geführt hat. Ist virales Marketing wirklich eine Chance, um hierzulande etwas verwirklichen zu können, etwas zu bewegen, oder führt dieser Erfolg nur dazu, dass man von einem anderen Filmmarkt, vornehmlich Hollywood, assimiliert und geschluckt wird?

 

Denn traurigerweise interessierte sich die halbe Welt für die Visionen der Filmemacher, nur eben wieder einmal die deutsche Branche nicht. Letztendlich gab es aber mehr als nur unterschiedliche Erfahrungsberichte, über Gespräche hier und da, über Gesuche und Angebote, die Podiumsdiskussion in diesem Jahr wurde zu einem positiven Hoffnungsschimmer für Filmemacher.

 

Die Diskussionsrunden der letzten beiden Jahre waren am Ende immer ein wenig deprimierend, obgleich es auch um Inhalte wie High Concepts und um nationale Identität von Filmstoffen ging, letztendlich landete man immer beim Thema Unumsetzbarkeit von Genrevisionen im produktionellen Rahmen. Aber in diesem Jahr griff auch hier der Slogan “Genre Made In Germany”, denn jeder der Filmemacher nahm das Ruder selbst in die Hand, trat offen mit seiner Vision nach draußen und wurde ein Stück weit dafür belohnt. Das sind mehr als Durchhalteposten, der virale Erfolg bietet nicht nur einen kurzen Augenblick der Aufmerksamkeit von von Fans oder kreativen Abschöpfern.

 

Virale Hits: SELFIE FROM HELL, R’HA und DARTH MAUL APPRENTICE

Viraler Erfolg ist bereits Zielgruppenbedienung und Bindung, es sind Faktoren, die in den kommenden Jahren immer wichtiger werden und die hoffentlich auch hierzulande den Verantwortlichen innerhalb von Förderung und Produktion aufzeigen, wo Potentiale liegen, dort, wo bislang nur auf eine abstrakte Quote geschielt wird und eine Argumentation übertheorisiert ist.

 

 

Tag 3: Schöne, neue Genrewelt

 

Der dritte GENRENALE Tag war ein üppiges Füllhorn an fantastischen Filmen und Filmstoffen. In den Shots 4, 5 und 6 wurde genretechnisch nicht gekleckert, sondern zum Teil wuchtig geklotzt.

 

BACK AND FORWARD INC. von Martin (Martn) Dammer, MIND YOUR BODY von Silke C. Engler, UPDATE von Franziska Brändle und REVOLUTIONSZELLE von Ronald Unterberger

Da gab es Zukunftsvisionen in aller Couleur, mit aktuellen Bezügen wie in der Weltpremiere REVOLUTIONSZELLE von Ronald Unterberger oder bedrückend surrealistisch wie in der Schwarz-Weiß-Dystopie THE SWELLING, der mich inhaltlich und stilistisch an ERASERHEAD, BRAZIL und PI erinnerte.

 

BACK AND FORWARD INC. handelt von Optimierungsmaßnahmen an Arbeitsabläufen in einem Unternehmen der Zukunft, MIND YOUR BODY dreht sich um ein Fitnessimperium, in dem man per Bewusstseinstransfer lästige Trainingseinheiten absolvieren lassen kann.

 

Auch UPDATE vom letzten Festivaltag reiht sich in die illustre Sci-Fi-Runde ein und alle Filme zeigen, dass auch hierzulande mit wenigen Mitteln ein faszinierender und spannender Filmblick in die Zukunft möglich ist.

 

 

 

Der neue Wirtz

 

Bereits zum dritten Mal in Folge fand auf der GENRENALE5 eine Pitchingveranstaltung statt. Beim ARRI GENRE PITCH 2017, moderiert von Stephan Greitemeier und Christine Pepersack, gab es Mystery und Science-Fiction, meist gepaart mit Thrillerelementen, Zombie- und Werwolfcomedy standen in diesem Jahr im Fokus, beklagt wurde zu wenig echter Horror, History und Fantasy. In der Jury saßen die Produzentenurgesteine Tom Zickler (PLANET B, KNOCKING ON HEAVENS DOOR) und Peter Rommel (FEUCHTGEBIETE) sowie Moritz Hemminger von ARRI Media International und Oliver Zeller, Förderreferent der Medienmoard Berlin-Brandenburg.

 

Insgesamt fehlte der Veranstaltung im Vergleich zum Vorjahr ein wenig der Drive, in allen drei Eckpunkten, die ein Bühnenpitching ausmachen. War die Jury im letzten Jahr ein wenig zu hart, war es mir in diesem Jahr ein bisschen zu unkonkret mit der Bewertung der Stoffe. Auch die Pitchings selbst, sowohl inhaltlich als formell, hätten einen Zacken spannender sein können. Gut an kam in jedem Fall DER UNTERGANG DES ABENDLANDES von Tanja Bubbel um eine tragisch-komische Werwölfin, welche den Jurypreis abräumte. DAS TRIBUNAL von Anne Chlosta und Kyra Jungck erzählt eine eher surrealistische Geschichte von zehn Menschen, die in einem Zwischenreich von Leben und Tod einer Gerichtlichkeit überstellt werden, das klingt sehr spannend und soll als Serie umgesetzt werden.

 

ARRI GENRE PITCH, moderiert von Stephan Greitemeier und Christine Pepersack mit Jury (Tom Zickler, Peter Rommel, Moritz Hemminger, Oliver Zeller)

In ASTORIA von Sven Hasselberg jagt ein Groschenromanautor in einem surrealen Luxushotel einen Mörder, in ICH ERSCHOSS HITLER von Ralf Coordes geht es um die nicht ganz neue, aber spannende Frage, ob eine Zeitmaschine den 2. Weltkrieg verhindert hätte. DIE ERBEN von Sventozar Goloviev und P.O.V. von Niels Kurvin haben mich nicht gepackt, wohl aber zwei andere Stoffe und ihre Macher.

 

Highlight für mich war Mark Wachholz’ Science-Fiction-Thriller TIMEFALL, in dem es um Terroranschläge mit Zeitbomben geht. Diese hinterlassen weniger physischen Schaden, als sie den Fluss der Zeit selbst zerrreißen und alternative Zeitlinien entstehen lassen. Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht eine Bombenentschärferin, deren Tochter kürzlich verstorben ist und die in die chaotische Zeitzerstörung eingreifen muss, um eventuell auch ihr Schicksal zu verändern. TIMEFALL ist für mich eine Geschichte von internationalem Format, die aber durch den cleveren Plot definitiv in Deutschland realisierbar ist.

 

Und noch etwas bemerkenswertes förderte der ARRI GENRE PITCH 2017 zu Tage. Der internationale Genrefilm funktioniert auch immer über ihre Protagonisten, also Filmemacher mit einer klaren Handschrift. Man freut sich deshalb auf den neuen Film von Ben Wheatley, den neuen Burton, den neuen Aronofsky und so weiter. So Leute, und jetzt kommt’s, festhalten! In meiner Sichtweise auf den deutschen Genrefilm, dieses gerade entstehende Eiland an Frische und Unvorhersehbarkeit, da gibt es für mich bereits einen Macher, auf dessen neue Filme ich mich vorbehaltslos freue. Ich hoffe sehr, dass es bald soweit ist und deutsche Genrefans sich ebenso freuen – auf den neuen Wirtz.

 

Gemeint ist Malte Wirtz, der bereits einen OSCAR…äh, ich meine einen GENRENALE-Bärenkopf für DER JACKPOT bekommen hat, mit VOLL PAULA ein komödiantisches Kleinod gedreht und der beim ARRI GENRE PITCH sein neues Projekt IM ZOMBIE vorstellte, eine Zombie-Comedy-Webserie, die er derzeit zusammen mit Yotan Ishay entwickelt. Und das in seiner unnachahmlichen Art und Weise. Die Jury als auch ich hatten keinerlei Ahnung, wovon Malte Wirtz und Kollege da auf der Bühne erzählten und worüber das Ganze handeln soll. Ist mir aber auch egal, denn ich kenne seinen Stil und ich würde mir deshalb mit großer Freude alles mögliche ansehen, was Malte Wirtz schreibt und inszeniert. Mag seltsam klingen, ist aber ein großer Schritt in Richtung Genrenormalität in Deutschland. Merkt Euch diese Phrase – “Der neue Wirtz – Demnächst im Kino!”.

 

Mit Zombie-Comedy schloss auch der dritte Festivaltag, aber noch vor DISCOCALYPSE von Dirk Rosenlöcher und Z-OFFICE von Douglas Stahl begeisterte mich der Trailer zu BARRY GIBBON, eine Hommage an das 70er Jahre Bahnhofskino mit Rolf Eden und Katja Bienert in Nebenrollen.

 

DAS LETZTE ABTEIL von Andreas Schaap

Doch auch ein weiterer Spielfilm lief am Mittwoch zur Primetime und hat mich durchaus positiv überrascht, was ich nach dem Trailer nicht unbedingt gedacht habe – DAS LETZTE ABTEIL von Andreas Schaap. Wähnt man sich zu Beginn noch in bekannten Plot- und Twistgefilden, schlägt DAS LETZTE ABTEIL nach rund der Hälfte der Laufzeit wilde Storyhaken, sieht atemberaubend gut aus und ist neben RADIO SILENCE ein richtig guter Horrorthriller von internationalem Format.

 

Am Ende vielleicht ein wenig überdramatisch, hat mich die Geschichte um eine Gruppe Verunglückter in einem Zugwaggon mitten in den Alpen doch sehr gepackt, war stellenweise unvorhersehbar und spielte gekonnt mit so mancher Genreregel, um sie dann doch stärker zu biegen als erwartet. Wirklich toller Film, der definitiv auf die deutsche Kinoleinwand gehört.

 

Tag 4: TLMEA, 2 ALIENS & die Verblödung der Materie

 

Am letzten Festivaltag machte sich dann bereits eine gewisse Schwermut breit. So könnte es gern noch ein paar Wochen weitergehen, Genrefilm nach dem Aufstehen, was will man mehr. Die letzten beiden Shots drehten nochmal mächtig auf, mit dem skurrilen VETEROK, dem beklemmenden und unangenehmen RESOLUT, TRUE von Simon Schneider und einer wahnwitzigen WERWOLFKUH von Flo Lackner. THE SEAM von Matthias Wissmann bot dann endlich auch mal wirklich deftige Splatterszenen, BLEIFREI von Nico Hofer eine tolle Liebesgeschichte innerhalb eines Gaga-Gangsterplots, VA BANQUE – RISKY GAME sowie HAUSARREST fand ich dagegen eher etwas fad.

 

Dafür gab es noch zwei Highlight, wie sie unterschiedlicher nicht sein können und somit ebenfalls den Beweis antreten, wie vielfältig die hiesige Genrelandschaft sein kann. Auf TLMEA von Kevin Kopacka hab ich mich sehr gefreut, hat mir doch im Vorjahr HADES bereits sehr gut gefallen. Dabei weiß ich gar nicht warum, Kopackas Filme sind weniger narrativ als halluzinogene Rauschmittel. Das liegt nicht jedem Filmfreund, ich kann mich aber wunderbar darin verlieren. Kopacka ist ein Wahnsinniger, im positiven Sinne, die Art, wie er Geschichten erzählt, ist stärker von der Malerei inspiriert, obgleich sie große Themen wie die griechische Mythologie anreißen. Trotzdem wirken sie auch so, als hätte Christoph Schlingensief eine Folge TWIN PEAKS inszeniert. Und auch das ist nur ein weit hergeholter Vergleich, man muss das für sich selbst irgendwo verschachteln. Kevin Kopacka plant bereits einen finalen dritten Teil, welcher angeblich Fragen beantworten soll. Ich hoffe nur, nicht zu viele.

 

TLMEA von Kevin Kopacka

Und dann waren da noch ZWEI ALIENS von Thomas Zeug, über den ich ja schon vor Jahrzehnten, ach was, vor Jahren geschrieben habe, nämlich über PROLL OUT. ZWEI ALIENS – VIER FÄUSTE GEGEN TERROR-STATION ist bereits der vierte Teil der Animationsfilmreihe um zwei knuddelige, aber verdammt schlagfertige Aliens, die sich durch diverse Abenteuer an Filmzitatlianen hangeln. ZWEI ALIENS ist der perfekte Abschluss der Kurzfilmblöcke, ein richtiger Crowdpleaser, mit Gags im Sekundentakt, einer irren Liebe zum Detail, großes Sci-Fi-Bombastkino mit grandioser Musik von Florian Linckus und das Ganze braut Meister Zeug allein an seinem Rechner zusammen, dass einem die Spucke wegbleibt. Der Kinosaal tobte vor Lachen, man wird den neusten ZWEI ALIENS Film dutzende Male sehen müssen, um alle Insidergags dechiffrieren zu können. Und auch eine neue Episode steht bereits in den Startlöchern, diesmal begeben sich Quiqueck & Hämat in die illustren Gefilde des Found Footage Films – hoffentlich auch wieder auf der GENRENALE 6.

 

2 ALIENS – VIER FÄUSTE GEGEN TERROR-STATION von Thomas Zeug

Nach einem wirklich erheiternden, wahnsinnig sympathischen wie spannenden Werkstattgespräch mit Produzent Tom Zickler ging es dann auf die Zielgerade – die Verleihung der GENRENALE Preisträger. Und als wäre das Festival nicht schon perfekt genug, wurden da auch meine Favoriten ausgezeichnet.

 

Allen voran der fantastische DIE BESONDEREN FÄHIGKEITEN DES HERRN MAHLER als bester Genrefilm und André Hennicke in der Rubrik KILLER PERFORMANCE MÄNNLICH, ebenfalls für die Titelrolle in DIE BESONDEREN FÄHIGKEITEN DES HERRN MAHLER. Eine weitere Killerperformance lieferten Linda Blümchen und Carola Marschhausen in NONA ab und wurden auch beide zu Recht dafür ausgezeichnet. Der WTF-PREIS, gestiftet von AVID, ging an Niklas Coskans unwiderstehlichen GHOSTBLEEDER, auch da gehe ich d´accord.

visual_genrenale5preis

 

Dann gab es im GENRENALE Palast Babylon Mitte kein Halten mehr, denn wieder einmal schloss Uns Uwe Boll das Festival mit einer Brandrede zur Lage der Nation, ach quatsch, der ganzen Welt. Und wäre das nicht schon ein fulminater Schlussakt, nein, die GENRENALE5 legte mit der Retrospektive von Tom Zicklers PLANET B Reihe eine grandiose Abschiedsvorstellung hin, die trotz des wahnsinnig abgedrehten DETECTIVE LOVELORN UND DIE RACHE DES PHARAO dann fast ein wenig schwermütig zu Ende ging. Die GENRENALE und DETECTIVE LOVELORN haben es wieder mal geschafft, die Welt vor der Verblödung der Materie zu retten. Der deutsche Genrefilm auf dem frühen Höhepunkt seiner Existenz?

 

“This Tiny German Genre Festival”

 

Ich schreibe immer oft und gerne über den deutschen Genrefilm, über das Wuseln an allen Ecken, über die großen Visionen und kleinen Erfolge, die auch mich beeinflussen, immerhin bin ich als Autor ja auch in dieser Branche tätig, wenn auch mit angezogener Handbremse. Aber nach dieser GENRENALE gibt es eigentlich keine Ausrede mehr, keine vorsichtiges Abwarten, dass sich erstmal die Regeln ändern müssen, um dann nachzuziehen. “Genre Made In Germany”, das war in diesem Jahr kein Sarkasmus oder ein frommer Wunsch, das war das Abbild der Realität. Der deutsche Genrefilm ist existent. Entscheider sowie das Publikum sind nun am Zug. Der Vorwurf, Deutschland könne sich am internationalen Genremarkt nicht behaupten, wenn auch erstmal nur erzählerisch oder stilistisch, gilt nicht mehr. Diesen Beweis hat die GENRENALE nun bereits zum fünften Mal erbracht. Und noch mehr.

 

Die Initiatoren des Festivals, Paul Andexel und Krystof Zlatnik, betonen, mit der GENRENALE diesem deutschen Genrefilm eine Plattform zu geben. Sie sind in meinen Augen in dieser Aussage ein wenig zu bescheiden. Denn die GENRENALE tut mehr als nur die Bühne bereiten, sie fördert den deutschen Genrefilm mehr als es jede andere Instanz hierzulande tut. Sie eint die Macher unter einem Dach, sie trägt über die Festivaltage im Februar hinaus die Agenda des Neuen Deutschen Genrefilms weiter voran, gegen jeden Widerstand und jegliche Widrigkeit, seien es die Schwierigkeiten wegen fehlender Unterstützung im Kulturbereich oder auch bloß Ignoranz wie in der Causa Wikipedia.

 

Preisträger der GENRENALE5 2017

In erster Linie ist die GENRENALE aber ein grandioses Festival, welches einfach Spaß macht. Ich habe nichts gegen Dramen, ohne Dramatik funktioniert auch Genre nicht. Aber ein gutes Drama wirkt deshalb, weil es die Konsequenz aus einer dramatischen Geschichte und ihrer Figuren ist. Aber viele Filmemacher denken, man müsste nur diese Konsequenz erzählen, den Schmerz, die Bewältigung. So entstehen dann viele Kurzfilme, die auf Festivals beklatscht werden, die aber eigentlich nur Betroffenheitsklumpatch sind, weil ihnen das Narrative oder die freie Interpretation fehlt.

 

Was quält man sich da durch Kurzfilmblöcke und wird am Ende so mit Depressivität zugeschissen, dass man gar keinen Bock mehr hat auf einen weiteren Festivaltag. Die Schuld liegt dabei nicht wirklich beim Filmemacher, weil er hierzulande eingebläut bekommt, was dramatisch sein soll und was nicht, was künstlerisch wertvoll ist und was minderwertige Unterhaltungsware. Da liegt nämlich das Problem. Das hat der aktuelle Genrefilm der Filmemacher, die auf der GENRENALE präsentiert werden, dem Nimbus des deutschen Films bereits weit voraus.

 

Die Filme auf der GENRENALE verknüpfen diesen Anspruch zwischen Unterhaltung und Anspruch. Wenn allein das Ausbrechen aus einem erzählerischen Realismus kritisch beäugt wird, ja von wem eigentlich, dann steht es nicht gut um eine Filmnation. Es gibt aber keine kulturellen oder politischen Gründe, warum das alles so sein muss, nur weil der deutsche Film über Jahre vernachlässigt hat, Genrekultur zu pflegen und sie zu einem Mittel der filmischen Reflektion der Realität zu machen.

 

Werkstattgespräch mit Produzent Tom Zickler, moderiert von Félix Koch

Auf der einen Seite gibt es diese Ansicht, die letztendlich auch die Fördergremien und Sender beeinflussen in ihrer Sicht auf Stoffe und Projekte. Auf der anderen Seite stehen aber nun auch Filmemacher, die sich das nicht bieten lassen, diese Bevormundung, etwas müsste so und so sein. Es sind erschreckende Geschichten, die im Diskurs mit Filmemachern oder auf der Podiumsdiskussion zu Tage traten.

 

Wo Redaktionen von filmischen Elementen abraten, dieser oder jene Thriller- oder Mysterypart müsste raus, damit etwas “funktioniert”, was immer das dann auch sei. Umso befriedigender ist es, in diesem Jahr erleben zu dürfen, dass viele, auch wenn es schmerzt, darauf pfeifen und “Genre Made In Germany” trotzdem machen, wie echte Rebellen es tun.

 

Das würde ich auch gern, nur hab ich fast das Gefühl, ich habe diese Rebellion in mir verloren. Aber auch da ist die GENRENALE für mich da, nicht nur durch Programm und Programmatik. Die GENRENALE sensibilisiert mich, echte Emotionen kochen da hoch, positive wie negative. Ich habe mich zum Beispiel maßlos über die Moderation von Schlecky Silberstein aufgeregt, der feinfühlige Beiträge wie DIE BESONDEREN FÄHIGKEITEN DES HERRN MAHLER ein wenig zu barsch und rüpelhaft wegmoderierte. Warum hat mich das so wütend gemacht?

 

visual_selfiegen5

Keine Ahnung. Ich habe das dann Paul Andexel erzählt und er hat mich im Foyer liebevoll als “Alten Pöbler” bezeichnet. Das fand ich dann wieder gut, damit fühlte ich mich wieder rebellisch. Ich, der über das Festival geistert mit Mütze und Sonnenbrille, hätte ich eine JarJar Binks Maske, würde ich auch die tragen, wenn die nicht so auffällig wäre. Ich frage mich dann immer, was kann ich denn tun, für den deutschen Genrefilm, außer darüber schreiben? Aber auch das scheint wohl wichtig, es hinaustragen in alle Welt, die Filme, die Filmemacher, die Leidenschaft, die mich dann selbst auch ansteckt.

 

Wie ich bereits sagte, die GENRENALE bietet nicht nur eine Plattform, die GENRENALE initiiert, stichelte und steckt an, mit einem Wurstkeksvirus zum Beispiel. Das wird zu einer Lawine werden. Denn jetzt gibt es wohl kaum mehr einen Weg zurück. Liebe GENRENALE, du glaubst doch nicht wirklich, dass es 2018 weniger Einreichungen werden und man zum Zwei-Tage-Rhythmus zurückfindet? Nie im Leben.

 

Vielleicht ist es so einfach, wie manche sagen, der deutsche Genrefilm braucht nur einen veritablen Erfolg. Der wird kommen, mit Sicherheit und daran wird die GENRENALE nicht unschuldig sein. Ob der deutsche Genrefilm wieder erblüht wie vor Urzeiten, das steht auf einem anderen Blatt, aber auch da bin ich frohen Mutes. Die Zeit ist überreif, die Aktie Deutscher Genrefilm kann nur steigen. Wir bleiben am Ball. Zumindest erstmal bis zur GENRENALE6 im nächsten Jahr. Bis dahin bleibt wacker, macht kein Drama draus, entledigt Euch eurer Lieblinge und haltet es unwirklich. Für Genre Made In Germany.

 

 

 

3 Comments

  1. Antworten

    […] haben wir uns eine ganze Weile mit dem aktuellen Genrefilm beschäftigt, von der GENRENALE über Found Footage bis zur wirtschaftlichen und kulturellen Lage der europäischen Genreunion, da […]

  2. Antworten

    […] Wirklichkeit. 2017 ist bislang ein fantastischer Jahrgang für den deutschen Genrefilm, nach der fünften GENRENALE, dem Kinostart von IMMIGRATION GAME und BERLIN FALLING nun auch noch zwei deutsche […]

  3. Antworten

    […] was man mal machen will, wenn man groß ist, sondern die bereits mit Erfolg gesegnet sind. Die GENRENALE im Februar gab bereits die Marschrichtung vor, es liefen neben dem Kurzfilmprogramm auch Spielfilme wie […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de