Die dritte Gen(r)eration
Wellen. Wellen sind mir einerseits suspekt. Ich mochte schon im Mathematikunterricht ungern mit Wellen diskutieren. Andererseits bereiten sie mir auch Unbehagen und Angst. Große Wellenberge, wie zuletzt in INTERSTELLAR, finde ich schaurig. Dieses Phänomen nennt sich Cymophobie, die Angst vor Wellen. Abseits dieser fürchterlichen Betrachtung gibt es aber auch positive Wellenaspekte. Retrospektive Belange zeitrhythmischer Natur, chronologische Beständigkeit oder temporäre Empfindungen kommen auch in Wellenform daher.
Gerade eben stecken wir wieder in so einer Welle fest. DER HOBBIT beschert einem seit zwei Jahren einen Veröffentlichungsintervall zwischen Kinostarts und jährlichem Feilbieten der Extended Editions auf Blu-ray und DVD. Das gab es schon mal, nämlich bei der Herr-der-Ringe-Trilogie. Das schöne an solchen Wellen ist die beruhigende Wirkung von etwas Verlässlichem, einem guten und vertrautem Gefühl, welches sich Jahr für Jahr einstellt. Der Jahresausklang ist nun immer HOBBIT-Zeit, wie das Frühjahr Festival-Saison ist, der Sommer ist Popcornkinozeit, wie der Halloweenoktober Lust auf Gruselfilme macht. Wenn der Mensch etwas schachteln und portionieren kann, dann ist er glücklich, bringt es doch Kontinuität in sein rastloses Dasein. Aber worauf wollte ich jetzt eigentlich hinaus?
Ach ja, momentan fühlt sich auch der deutsche Genrefilm so an, als käme er in kleinen Wellen daher. Das sind natürlich subjektive Eindrücke. Vielleicht passiert auch gar nichts auf dem großen Genreozean und dessen Oberfläche ist spiegelglatt. Aber im persönlichem Empfinden bewirkt die Ankündigung der GENRENALE 3 ein gutes Gefühl an Stabilität und Kontinuität. Wenn im Februar 2015 die GENRENALE in die dritte Runde geht, dann ist das mittlerweile ein Zeichen der Beständigkeit in einer Zeit immer noch drängender Fragen: Der deutsche Genrefilm, noch immer ein biestiges Kleinkind, welches nicht zu bändigen ist? Noch immer kein Licht am Ende des langen Genretunnels? Noch so ein dämlicher Vergleich? Keineswegs.
Für mein subjektives Empfinden ist das Begriffskonstrukt Deutscher Genrefilm doch etwas komplexer. Es ist nicht nur “der Film” oder “die Serie”, die das ausmacht. Es ist das ganze Drumherum. Aus diesem Grund werfen wir hier auch mal einen Blick auf das aktuelle Genre-Drumherum, denn da passiert mehr als man annehmen möchte.
Bleiben wir auch gleich beim Festivalaufruf der GENRENALE 3. Die findet am Mittwoch, den 11. Februar 2015 wieder in Berlin statt, bereits zum dritten Mal. Das diesjährige (seht ihr, ein Wellenberg) Motto lautet: KILL YOUR DARLINGS. Und wie immer sind alle Filmemacher deutscher Genrekost aufgefordert, ihre Kurz- und Langfilme bis zum 31.12.2014 einzureichen. Die GENRENALE 2014 war ein großer Erfolg und ich bin sehr gespannt, wie die Reise weitergeht und wie sich das Festival weiter etabliert, das sich dem deutschen Genrefilm verschrieben hat.
Also auch mein persönlicher Aufruf an alle Genrefilmemacher da Draußen: EINREICHEN!!!! Alle Infos, Formulare, Regularien und Adressen findet ihr auf der offiziellen GENRENALE-Seite.
Genre-Liebhaberei definiert sich ja nicht ausschließlich aus Filmen. Klar ist aber auch, wo kein guter Nährboden für Genreware da ist, da gedeiht auch nichts neben dem Blumentopf. Was zur Hölle will der Autor damit sagen? Ganz einfach, wo kein Genrefilm gedeiht, erübrigt sich auch die Existenz eines Genrefilmmagazins. Dass es in Deutschland aber ein weiteres Genre-Printmagazin nach DER ZOMBIE auf den Markt geschafft hat, ist auch aus anderen Gründen bemerkenswert. Printmagazine sind in Zeiten des Internets ja eher riskante Angelegenheiten. Um so mehr freut es mich, dass das Online-Magazin für den phantastischen Film WICKED VISION ein Printmagazin auf den Markt gebracht hat, noch dazu exklusiv über die faszinierende Welt von H.P.Lovecraft, der ja nun auch keine leichte Kost ist.
Die WICKED VISION Ausgabe 1 widmet sich hingebungsvoll dem Werk des amerikanischen Schriftstellers Lovecraft, seinen Einfluss auf Literatur, Kunst und Film, das Ganze auf 88 fantastisch bebilderten Seiten inklusive Interviews mit Roger Corman, Brian Yuzna und Stuart Gordon. Dabei besticht die Erstausgabe vor allem durch exzellente Texte, die tief in die lovecraftsche Materie eintauchen. Ein phantastisches Heft ohne viel Werbeschnickschnack, mit tollem Cover von Flavio Greco Paglia, welches auf der Seite von WICKED VISION für 6,50 Euro bestellt werden kann. Das Ganze ist nicht einfach nur ein Printmagazin, sondern stellt eher ein richtiges Lovecraft-Kompendium dar und ist nicht nur für die Fans von H.P. ein Muss!
Aus dem Hause WICKED VISION kommt auch die Sonderauflage von Stuart Gordons FROM BEYOND in schicker Hardcover-Edition, limitiert auf 99 Stück, eine der besten Lovecraft-Verfilmungen, die auch im Printmagazin ausführlich gewürdigt wird. Für den Februar 2015, also dem GENRENALE-Monat, ist bereits Ausgabe 2 angekündigt, die sich ebenfalls mit H.P.Lovecraft und seinem Werk befassen wird, unter anderem mit dem Einfluss des Altmeisters auf den deutschen Horrorheftroman, ein Artikel von Autor Christian Hempel, ups, das bin ja ich. Auch wenn es mein Artikel nicht in Ausgabe 1 geschafft hat, der Umstand, dann zusammen mit einem Interview mit Wolfgang Hohlbein gedruckt zu werden, lässt mein Herz weiten wie ein saftiges Steak.
So viel Lovecraft, wer hätte das vor Jahren gedacht. Auch ich habe mich in diesem Jahr in der Kleinen Genrefibel Teil 23: H.P. Lovecraft mit dem Urvater der phantastischen Literatur beschäftigt. Dort habe ich auch auf das Spielfilmprojekt THE DREAMLANDS von Huan Vu hingewiesen, welches seinerzeit noch in der crowdfunding und crowdinvestment-Phase befindlich war. Dem möchte ich hier freudig hinzufügen, dass die Finanzierung geglückt und das ambitionierte Projekt somit auf den Weg gebracht ist. Zwar ist noch immer viel zu tun, um das Projekt budgetmäßig wachsen und gedeihen zu lassen, aber eine Erfolgsgeschichte ist THE DREAMLANDS bereits jetzt. Hier findet ihr nochmal alles über THE DREAMLANDS von Regisseur Huan Vu.
Genrefilm, das bedeutet auch hingebungsvolles Ausleben von Leidenschaft, das tut Regisseur und Autor Jörg Buttgereit noch immer – und ist für mich ein richtiger Held. Wo andere die Daseinsberechtigung deutscher Genreware in Frage stellen, macht Buttgereit genau das, worauf er Bock hat und inszeniert trashig-schauriges Genretheater.
Nach dem kongenialen CAPTAIN BERLIN VERSUS HITLER bringt Buttgereit nun NOSFERATU LEBT! auf die Bühne, genauer gesagt im Schauspiel Dortmund. Termine: Samstag, 29. November 2014, Donnerstag, 04. Dezember 2014, Sonntag, 21. Dezember 2014, Sonntag, 25. Januar 2015 und Samstag, 18. April 2015. Dortmund allerdings ist ganz weit weg, ganz tief im Tabellenkeller und somit für mich unerreichbar im Dezember. Was natürlich nicht heißt, dass ich nicht gern darauf hingewiesen habe. Natürlich auch auf das Schauspielstück DER ELEFANTENMENSCH, welches Buttgereit für das Konzert Theater Coesfeld inszeniert hat. Das läuft am Dienstag, 02. Dezember 2014 um 19:30 Uhr.
Zudem ist mittlerweile ein schickes Mediabook von NEKROMATIK erschienen, Buttgereits umstrittener Klassiker aus dem Jahr 1987, der inklusive des großartigen Soundtracks daherkommt. Und Buttgereit wurschtelt weiter im Underground herum, auch als Teil der kommende Antholgie GERMAN ANGST, ein Episodenfilm mit Stücken von eben Buttgereit, Andreas Marschall (TEARS OF KALI, MASKS) und Micha Kosakowski (ZERO KILLED). Mehr über GERMAN ANGST findet ihr genau hier.
Wenn wir hier gerade so frei von der Leber weg von deutschen Genrefilmen reden, auch zum Thema STUNG von Benni Dietz gibt es eine kleine Neuigkeit und zwar in Form eines richtig tollem Teaserposters. Der Gewinner des SCHREIB-UM-DEIN-LEBEN-Wettbewerbs mit Jessica Cook, Matt O´Leary und Lance Henriksen kommt irgendwann 2015.
Bereits erschienen, im Kino von mir aber sträflich missachtet, ist der Film STEREO von Maximilian Erlenwein. Mittlerweile habe ich den Film gesehen und bin begeistert. Unglaublich straffes und spannendes Ding, Jürgen Vogel ist fantastisch wie immer, aber auch Moritz Bleibtreu find ich gut, den ich normalerweise überhaupt nicht mag. Was für ein Thriller!
Zwar lese ich auch hier und da kritischere Stimmen, aber bei mir herrschte zumindest in der Erstsichtung ausschließlich das Gefühl, sich die Fingernägel bis zum Unterarm abknabbern zu müssen. Solche Filme, die man landläufig auch als Mindfuck bezeichnet, muss man ohnehin mehrfach schauen, denn sie geben einem immer wieder neue Ansetzpunkte. Kann sein, dass man dann gern nochmal kritischer sein darf. Doch mein Ersteindruck war grandios, lange nicht mehr einen so guten deutschen Thriller gesehen. Und wenn wir gerade bei Crosspromotion sind, mehr zum Thema Mindfuck gibt es am Wochenende in der Kleinen Genrefibel Teil 29: MINDFUCK.
Das klingt jetzt alles insgesamt sehr gefällig, aber das ist es nicht. Denn auch wenn es die Masse da Draußen vielleicht noch nicht mitbekommt, mir machen die kleinen News innerhalb der Filmwerkelei in Deutschland Spaß und Mut. Wer glaubt, ich sitze nur zu Hause herum und denke mir obskure Genrefibeln aus, der hat mit Sicherheit Recht, aber nicht ganz. Immerhin rühre ich ja auch in der Genrebrühe herum, nehme Teil am Gro der Leidenschaften um phantastische Stoffe und Visionen.
In unserem (fast) regelmäßigen Writers Room sprechen wir Autoren über Chancen und Möglichkeiten von Film- und Serienstoffen, über Schwierigkeiten der Platzierbarkeit, Finanzierbarkeit und Fragen der deutschen Identität. Natürlich gibt es sie, die Schwierigkeiten, aber das ist nicht alles. Ich spüre im Gegensatz zu den Zweitausender Jahren einen größeren Enthusiasmus, einen größeren Mut und eine freiere, unverkrampftere Diskussion im Umgang mit Genrestoffen. Am Ende steht immer die Frage der Nachhaltigkeit, einer Kontinuität. Am Ende steht wieder die beständige Unbeständigkeit von Wellen.
Im dritten Jahr GENRENALE ein wenig Selbstverständlichkeit in Sachen Genre zu verwirklichen, auch das ist ein Verdienst von Filmschaffenden, die nicht Ruhe geben und Genre in allen Facetten ausleben wollen. Das gefällt mir und da will ich gern mit spazieren gehen. Denn solche Wellen haben etwas beruhigendes, etwas systematisches, was einem Halt geben kann.
Noch einmal kann im November 2015 der HOBBIT mit DIE SCHLACHT DER FÜNF HEERE Extended Edition diese Kontinuität wahren, dann wird es an STAR WARS sein, gleichmäßige Wellen zu schlagen. Kurz davor, im November 2015, wird dann der Aufruf zur GENRENALE 4 starten und immer so weiter.
Das ist gut so und bringt Beständigkeit. Beflissen wollen wir auch hier im Blog sein. Mit der Kleinen Genrefibel Teil 29: MINDFUCK machen wir nochmal eine komplexe, dramaturgische Betrachtung von twistorientiertem Storytelling, lassen es dann aber im Dezember ruhiger angehen und werden das Jahr mit eher entspannenden Artikeln ausklingen lassen. Soviel erstmal zur Lage der Nation in Nachrichtenform. Eine schöne Genrezeit wünscht Traumfalter Filmwerkstatt.
[…] ein Schwung Genresachen, nicht nur auf der zweiten GENRENALE oder per Überraschungshit STEREO. Wie ist das in Deutschland mit Genre? Die meisten Besucher im Jahr hatte der Film MONSIEUR CLAUDE UND SEINE TÖCHTER, immerhin 3,6 […]
[…] wird es wohl auch noch eine Zeit lang solche Episodenfilme geben, zum Beispiel GERMAN ANGST von Buttgereit, Marschall und Kowakowski. Auch ich habe mich an einer Horror-Anthologie versucht, […]