GRITTA VON RATTENZUHAUSBEIUNS

Während Pippi Langstrumpf oder Ronja Räubertochter heute weitestgehend als Kultfiguren gelten, ist die kleine Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns eher ein Geheimtipp unter den Kinderbuchheldinnen. Frei nach einem Roman von Gisela und Bettina von Arnim, die man eher noch vom 5-DM-Schein kennt, entstand 1985 einer der liebevollsten Kinderfilme aus der DEFA-Schmiede.

 

Prinz Bohne ist nicht Grittas einziges Techtelmechtel.

 

Gritta lebt in einem Schloss nebst ihrem Vater Julius Ortel von Rattenzuhausbeiuns und dem getreuen Diener Müffert. Hochgraf Ortel ist Erfinder und arbeitet fieberhaft an seinem neusten Konstrukt, der Thron-Rettungs-Maschine TRM 1848. Viel ist nicht los in dem heruntergekommenen Gemäuer, in dem es vor Ratten nur wo wimmelt. Jeden Tag gibt’s Haferpamps, und ein um das andere mal müssen Gritta und Müffert für die halsbrecherischen Experimente des Hochgrafen zur Verfügung stehen. Aber Gritta von Rattenzuhausbeiuns ist ob der drohenden Verarmung keineswegs betrübt. Im Gegenteil, Gritta ist beherzt, geradezu draufgängerisch, frech, burschikos und gelegentlich respektlos. Sie flirtet und knutscht recht heftig mit dem Bauernjungen Peter und vertreibt mutig die Vasallen des Königs, die die Fron eintreiben.

 

Man könnte meinen, die kecke 13-jährige wird mit allem fertig. Doch dann taucht plötzlich eine Prinzessin mit 7 blondgelockten Bengeln im Schloss auf, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Grittas Vater hat nur noch Augen für die schöne Prinzessin, die natürlich jemand anderem versprochen ist, der auch sogleich auftaucht und seinen Besitz einfordert. Es ist Gouverneur Pekavus, Getreuer des Königs, und der hat es auf so ziemlich alles abgesehen. Vorrangig auf Prinzessin Anna Bollena Maria Nesselkrauti, mehr noch auf das Testament ihres Vaters und dessen Vermögen. Eine Heirat sei mit den Vormündern der Prinzessin bereits ausgehandelt. Obwohl diese noch minderjährig ist! Doppelpfui! Aber die Bewohner von Rattenzuhausbeiuns lassen sich keine Vorschriften machen, vor allem nicht Gritta. Die hat andere Sorgen, denn die „schleifenverzierte Zimtzicke“ Nesselkrautia hat nach ihrem Einzug ins Schloss das Zepter der Erziehung in die Hand genommen. Die störrische und durch rebellische Bücher verzogene Gritta wird ins Kloster geschickt. Klar, dass so ein Freigeist wie Gritta dort nicht sonderlich herzlich aufgenommen wird.

 

Julius Ortel von Rattenzuhausbeiuns und seine Angebetete, Prinzessin Anna Bollena Maria Nesselkrauti

Kloster ist nix für Gritta, besonders, nachdem Erzschurke Pekavus auch hier üble, kapitalistische Machenschaften am Laufen hat. Blindlings türmen Gritta und die anderen Mädchen, ihre halsbrecherische Flucht wird allenfalls von spontanem Nacktbaden unterbrochen. Gritta übernimmt schnell die Führung der Mädchengruppe, denn sie kann melken und Gemüse rupfen. Aber dann wird’s heikel. Ein eitler Galan taucht auf, Prinz Bonus, Spross des Königs, der sich mächtig vor dem Jungvolk aufplustert. Sein Gehabe lässt Gritta jedoch völlig kalt. Trotzdem will „Prinz Bohne“ helfen und Grittas Vater eine Audienz beim König verschaffen.Die hat der König auch bitter nötig, denn die Ränkespiele nähern sich dem großen Finale. Mit samt Thron-Rettungs-Maschine geht’s ins Schloss von König Gänserich, der bereits „entkront“ und in einen Kleiderschrank gesteckt wurde. Gouverneur Pekavus hat den Thron bestiegen – nun muss die TRM 1848 beweisen, ob sie etwas taugt.

 

Der spätere Tatort- und Polizeiruf-Regisseur Jürgen Brauer hat mit „Gritta von Rattenzuhausbeiuns“ einen der schönsten Märchenfilme der DDR inszeniert. Das witzige Drehbuch voller skurriler Einfälle und Schabernack sprüht förmlich vor Freiheit und Anarchie. Denn die Figur Gritta ist ganz und gar nicht anpassungsfähig, fürchtet keine Obrigkeit, ist klug und scharfsinnig. „Erwachsene haben sich an alles gewöhnt!“ bemerkt sie mit romantischer Schwermütigkeit, nur um im nächsten Augenblick ihren Verehrer Brennnesseln essen zu lassen. Der Film lebt von seinen liebevollen Details wie Ohrringe tragende Ratten, allerlei Federvieh, einer tollen Ausstattung und Ausdrücken wie „Samt-und Seidenheinrich“. Diener Müffert (Fred Delmare), der in seinem Ritterhelm schläft und daraus speist, ist ebenso amüsant wie der leichte, thüringische Dialekt von Hochgraf Ortel (Hermann Beyer).

 

Peter Sodann spielt recht duselig König Gänserich und Wolf-Dieter Lingk als Fiesling Pekavus hat etwas von dem jungen John Malkovich. Am meisten begeistert aber Nadja Klier, Nichte des Regisseurs Michael Klier (Ostkreuz, Der rote Kakadu) in ihrer leider einzigen Filmrolle. Sie spielt Gritta so befreit und natürlich, dass sie damit den ganzen Film trägt. Denn der ist dramaturgisch weder straff noch spannend, aber durch die sympathische und strahlende Hauptfigur durchweg herzergreifend und leichtfüßig. „Gritta von Rattenzuhausbeiuns“ muss ja auch nicht mit modernen Kinderfilmproduktionen konkurrieren, er ist eher für jene, die mit „Spuk im Hochhaus“ oder „Die Märchenbraut“ groß geworden sind. Der Film ist ein nostalgisches Kleinod ohne abgedroschene Moral oder propagandistische Zwischenzeilen, ein Stück Kindheit und Jugend aus einer Zeit, in der Kostümbildner noch Gewandmeister hießen.

 

Icestorm

 

  • Nadja Klier
  • Thronrettungsmaschine
  • Fred Delmare als Müffert
  • leichtfüssige, witzige Dialoge
  • toll ausgestattetes Schloss
  • anarchistische Zwischentöne
  • Prinz Bohnes Halskrause
  • Einzige Rolle von Nadja Klier
  • Geschichte plätschert so dahin

 

FAZIT:

Locker-Leichtes, teilweise anarchistisches DEFA-Märchen mit viel Freiheitsdrang, Poesie und einer herzerwärmenden Nadja Klier.

 

GRITTA VON RATTENZUHAUSBEIUNS, DDR 1985, Regie: Jürgen Brauer, Drehbuch: Christa Kozik
Für Fans von RONJA RÄUBERTOCHTER, SPUK IM HOCHHAUS & Pippi Langstrumpf

One Comment

  1. Antworten

    […] Wolf immer noch gruselig. Mein liebster DEFA-Märchenfilm aber ist GRITTA VON RATTENZUHAUSBEIUNS (zur Retro Review gehts hier lang). Ich glaube, ich habe wohl jeden relevanten DEFA-Märchenfilm gesehen, dafür klafft bei mir eine […]

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