PANOPTIKUM
Erstmals fand auf der GENRENALE 3 eine öffentliche Pitchingveranstaltung statt. Neun Autoren stellten in vier Minuten ihre Genreprojekte vor, vom schwäbischen Supercop über ein vollautomatisches Altersheim der Zukunft, die Begegnung eines kleinen Jungen mit dem Tod, mysteriöse Gedankenübertragung, High-Tech-Träumereien und Found Footage, insgesamt ein breiter und interessanter Genre-Stoffpool, und auch ich hatte die Möglichkeit, mein Projekt PANOPTIKUM vorzustellen, eine etwas andere Horror-Anthologie. Abschließend zum GENRENALE-Special möchte ich das Konzept auch hier nochmal schriftlich pitchen.
Ich habe eine Idee für einen Horror-Episodenfilm, es gibt noch keine geschriebene Drehbuchzeile, nur Bilder und Emotionen, aber genau das ist das Konzept. Meine Faszination für Horror-Anthologien ist hinlänglich bekannt, ich mag klassische Gruselgeschichten, ich mag Poe, Lovecraft, wenn ich jedoch selbst Horrorgeschichten entwickle, egal ob für eine Anthologie oder einen Neunzigminüter, dann beginnt das weniger szenisch, sondern vielmehr visuell und emotional – mit einer Erinnerung an die Kindheit, einem Bild, welches man nicht mehr aus dem Kopf bekommt, etwas Unbehaglichem, einem unguten Gefühl im Bauch. Wenn man Glück hat, inspiriert einen ein solches ikonisches Schauerbild zu einer Figur, einer Szene, letztendlich zu einer Geschichte. Das Bild selbst bleibt meist zurück, über die Jahre haben sich bei mir solche Inspirationsträger angesammelt und die Idee, die ich habe, ist daraus eine Anthologie im wörtlichen Sinne zu kreieren – eine Sammlung, eine Art bizarres Kaleidoskop aus Angst, Schrecken und unheimlicher Faszination:
PANOPTIKUM ist kein klassischer Episodenfilm, in dem Stories von A nach B erzählt werden, vielmehr ein morbider Gedichtband, ein Sampler, ein schauriges Wachsfigurenkabinett, ein Horror-Poesiealbum mit kleinen Segmenten. Diese sind erzählerisch so gestaltet, dass sie weniger Szenen erzählen als selbst Szenerie sind, sie schildern das Detail einer Szene, in der sich Geschichten verstecken – und das morbide und bittersüß, aber auch märchenhaft und humorvoll. Wie kann man sich das vorstellen?
Zum einen gibt es sehr lyrische Stücke wie die um einen Leichenbeschauer, der einem Toten eine Blume in den geöffneten Leib pflanzt, inspiriert von dem Gedicht “Kleine Aster” von Gottfried Benn. Es gibt ein Segment namens “Akt”, in dem man eine Leinwand sieht, worauf ein Maler ein Aktportrait zeichnet. Man sieht das Model nur schemenhaft, man sieht die Leinwand und das Bild, welches entsteht und man erkennt, dass mit dem Model irgendetwas nicht stimmt.
Es gibt aber auch witzige Segmente wie die Unterhaltung dreier Stubenfliegen auf dem verwesenden Körper einer Leiche, sie sprechen über Nahrungsergänzungsmittel, zitieren Shakespeare und sind insgesamt gefrustet vom Alltag, ein bisschen wie RESERVOIR DOGS, nur eben mit Stubenfliegen. Es gibt einen heroischen Kampf zwischen einem Virus und einer gesunden Zelle sowie ein Krippenspiel, was nicht ganz so verläuft, wie es die Weihnachtsgeschichte um die Geburt Jesus erzählt.
Andere Teile sind mystischer Natur, wie die Geschichte einer Straße in Nagasaki, wo die Schatten der Opfer des Atombombenabwurfes an den Häuserwänden zurückblieben. Es gibt eine Unterhaltung eines ungeborenen Embryos mit der Gebärmutter, die wahrlich die Rolle einer Mutter einnimmt und dem Embryo rät, besser nicht geboren zu werden. Und dann gibt es noch die Geschichte “Der Schrank meiner Eltern”.
In diesem Schrank versteckt sich allabendlich ein kleines Mädchen, denn in dem Schrank lebt ihr bester Freund, ein Fuchs, beziehungsweise ein Fuchsfell. Eines Abends beobachtet das Mädchen ihre Eltern beim Sex, als der Fuchs neben dem kleinen Mädchen plötzlich zu sprechen beginnt und all die Ängste äußert, die das Mädchen aus Unsicherheit plagen.
Strukturell ist PANOPTIKUM vergleichbar mit THE ABC´S OF DEATH, doch die alphabetischen Segmente dort thematisieren nur den Tod. In PANOPTIKUM geht es um mehr, um Urängste, Schmerz, Trauer, Ekel, aber auch um das Schöne im vermeintlich Hässlichen. PANOPTIKUM ist dichter, geschlossener, 75 Minuten ohne Abspann, ohne überflüssige Klammern oder Rahmen – die Geschichten und ihre Platzierung sind die Dramaturgie. Die Themen sind international, doch will ich PANOPTIKUM unbedingt in deutscher Sprache schreiben, weil ich finde, dass in diesem Kontext deutsche Sprache sehr lyrisch und schön sein kann.
Ich will keinen Arthouse-Horrorfilm machen, die Essenz der Geschichten sind eher im Bauch fühlbar als verkopft. Ich will versuchen, in so kleinen Segmenten zwischen drei und fünf Minuten trotzdem wahrhaftige Figuren zu erzählen, echte Ängste zu spiegeln. Dabei versuche ich ehrlich zu sein und beziehe mich auf meine eigenen Ängste und Gefühle – was PANOPTIKUM weniger zu einen klassischen Episodenfilm, mehr zu einen persönlichen Sampler macht.
PANOPTIKUM – ein filmischer Horror-Gedichtband zwischen THE ABC`S OF DEATH und DIE FABELHAFTE WELT DER AMELIE, mit märchenhafter wie beklemmender Atmosphäre, surrealen Momenten und kindlicher Poesie – visuell, fühlbar und lyrisch.
Wo stehe ich, was will ich erreichen? Für mich gilt es, aus der Vielzahl von morbiden und alptraumhaften Ideen und Szenarien einen kompakten Film zu formen. Dabei hilft mir derzeit am meisten Anregung und Kritik, aber auch Interessensbekundungen sowie Koffer voller Geld. Im Ernst, ich muss das Ding erst schreiben, aber der Austausch auf der GENRENALE war bereits so ansteckend und euphorisierend, dass ich es gern wagen möchte, diese bizarre Konstrukt in irgendeiner Form zu erschaffen. Deswegen stelle ich mich gern Fragen, Anregungen, Beanstandungen und Ideen, entweder hier oder per Mail.
Bis dahin, Christian!
[…] schaut´s derweil wohl für mein eigenes Projekt PANOPTIKUM aus, welches hier mehr oder minder vor sich hin gammelt. Finde einfach wenig Zeit dafür und andere […]