Der Traumfalter Jahresrückblick 2018

Und wieder ist ein Jahr zu Ende, mittlerweile zum zweitausendundachtzehnten Mal in Folge seit Aufzeichnung beziehungsweise der Geburt Jesus Christus. Ich kann mich noch gut an ihn erinnern, Jesus und ich saßen damals schon in der galiläischen Mittagssonne auf Steinquadern, lauschten dem sanften Blöken der Heidschnucken und rekapitulierten die besten Filme und Serien des Jahres. Damals war das Programm noch überschaubarer. Die Leute allerdings waren der heutigen Generation nicht unähnlich, sie waren wie aufgescheuchte Hühner und Hähner und zerrissen sich ihre Mäuler über das internationale Makakentum, dass einem die Ohren nur so wegflogen. Schon damals mochte ich Heidschnucken lieber.

Inclusion Riders In The Sky

Der Oscar, bekannt aus Funk und Fern und Foren, feiert im Jahr 2018 des Herrenwitzes seinen 90. Geburtstag. Alles Gute, du rüstiger Opa des Lindt Schokoladenosterhasen. Was war das für ´ne Party dieses Jahr! Hast all die jungen Hüpfer eingeladen wie Christopher Plummer oder Meryl Streep. Und unter den Stuhlreihen spielten die Kinderlein verstecken und suchten nach Resten der Carepakete vom Vorjahr. Ein Traum von einem Wiegenfest. Das war nicht immer so. Früher wurde oft gezankt. Und viele Kinder durften nicht mitspielen, beim Topfschlagen und bei Blinde Kuh. Aber mittlerweile ist das Spiel Blinde Kuh verpönt, weil es ausgrenzt. Blinde haben einfach keinen Spaß an Blinde Kuh.

It is about the bunny!

Is it future or is it past? Am 01. Dezember 2010 kehrte TWIN PEAKS endlich wieder zurück auf den Fernsehbildschirm, fast 20 Jahre nach Erstausstrahlung. Es sollte ein lang erwartetes Wiedersehen mit den geliebten Figuren jener idyllischen Kleinstadt im Nordosten Washingtons werden: Bobby Briggs hat bereits ein paar graue Haare, die Log Lady trägt weiterhin ihren prophetischen Holzscheit, Audrey Horne ist inzwischen Bibliothekarin und die tote Laura Palmer ist mit dem ebenfalls verstorbenen Orchideenzüchter Harold Smith verheiratet. Auch Leland Palmer ist zurück und trägt wieder eine schneeweiße Haarpracht. Und erneut gibt es einen Mordfall, das Opfer heißt Paula Merral, auch sie wurde eingewickelt in Plastikfolie gefunden. Nur ist sie nun die Tochter von Bobby Briggs, der vor Trauer am Seeufer zusammenbricht, als er von ihrem Tod erfährt: “Paula, oh Paula!”

Moo Moo Moonlight

Die 89. OSCAR-Kaninchen- und Taubenzuchtverleihungen, in diesem Jahr präsentiert von Eichelschmeichler der Firma Amorelie, wurden wie immer von Pro Sieben vor der Aufzeichnung ausgestrahlt und das bis zu fünf mal in über vierzig Städten Dänemarks. Eine technische Meisterleistung! Mixed Emotions vom Fahrbandrand, der rote Teppich als Gaumenzäpfchenverlängerung von Steven Gätjen. Wir sahen Viggo Mortensen und seinen unehelichen Sohn, den er mit Uwe Ochsenknecht hat, Nicole Kidman flog vorbei, Gätjen broll, doch die Kamera machte einen Schwenk und wir sahen Mel Gibson, der gerade zum achten Mal Vater geworden ist und sein neustes Töchterlein bereits zur Verleihung mitgebracht hat.

Ich bin real, Alter!

Als ich letzte Woche auf dem FILMFEST DRESDEN war, verschlug es mich zu Beginn in einen großen Supermarkt. Ich wollte mich mit dem eindecken, was man so braucht für eine Woche Filmfest, sächsischer Leberkäse, Mangosaft, Haribo Tropifrutti, Kokosnüsse, das ganze Ballett. Während ich so durch die Regalreihen schlenderte, flankierte ein hipper Jugendlicher mit Basecap, zerschlissenen Trainingshosen und Kapuzenpulli der Marke Bench meinen Weg. Ich folgte ihm eine Weile unbewusst, als sein Smartphone zu schellen begann. Er ging ran und sagt: “Yo?”, dann ward es einen kurzen Moment still, bis er überschwänglich äußerte: “Isch bin real! Isch bin real, Alter!” Soll nochmal einer sagen, die Jugend von heute beschäftige sich nicht mit philosophischen Lebensfragen.

Bärendienst nach Vorschrift

Ein halb geleckter Bär, dem Hochgebirg’ entstammt, lebt’, gleich Bellerophon, den einst das Schicksal steigen und fallen ließ, im Wald zur Einsamkeit verdammt. Indes der Bär also hier der Schwermut sich ergeben, langweilte ganz auf gleiche Weis’ in seiner Nähe sich ein Greis, ein Gartenfreund, der in Pomonas Dienste schaltet’ und Floras Priesteramt verwaltet’. “Schön ist dies Doppelamt; doch glaub’ ich, schöner sei’s in liebenswürd’ger Freunde Kreis.” Ein Garten spricht nicht viel, außer in meinem Buche. Drum ging der Greis einst auf die Suche im Morgensonnenschein, der stummen Sippschaft satt, nach Freunden; querfeldein wandelt’ er frisch und munter. Der Bär, der gleiche Absicht hatt’, kam auch von seinem Berg herunter.

Pups & Dalai Lama

Gedrucktes ist tot. Die einen meinen damit, dass der Printbereich den Bach runter geht und das schon seit langer Zeit. Die anderen zitieren Dr. Egon Spengler aus GHOSTBUSTERS. Und wer hat nun Recht? Niemand. Denn Gedrucktes ist nur zur Salzsäule erstarrt. Ich muss es wissen, aus eigener Erfahrung. Mich erinnert die Sache an den Film PI von Darren Aronofsky. Ein Computer hat eine Art Kurzschluss und druckt eine 216-stellige Zahl aus, welche die chemische Zusammensetzung von Silizium enthält. Der Computer erkannte sich selbst, sein Ausdruck dafür war der Ausdruck. Dann starb er. Und alle Welt rätselte, was er damit wohl gemeint hatte.

Frikadelle am Ohr
Script Development XIV: Gute & schlechte Dialoge

In der letzten Folge script development ging es gebackene Bohnen mit Speck. Es ging auch mal um das Verhältnis einer 180 Minuten VHS-Leerkassette zur Evolution des Neunzigminüters, um Figurenentwicklung mit Marzipanrohmasse und die Verwendung von ABBA-Songs im Drehbuch. Bloß nicht zu unkonkret werden! Kann sein, dass es den Eindruck hinterlässt, um den heißen Hirsebrei herumzureden. So habe ich mich lang geweigert, mal über ein Thema zu schreiben, welches wirklich von dramaturgischer Bedeutung ist – zum Beispiel über Drehbuchdialoge. Aber so wie ich mich kenne, wird das dieses mal auch wieder nix.

…sometimes in the blue room

Ein leichtes leises Säuseln. Das Warten vor der Dekompressionskammer. Fremde Hände an Schultern, Hüfte, Fußfesseln. Schlüssel, Smartphone, Sonnenbrille, Tabak – keine Defekte.

 

Druckabfall nach der Schleuse.

 

Verengung der Pupillen, wittern des Pulses. Bel, Dezibel, Butterworth-Filter. Die Zunge trocken. Unterwegs in einer Melange aus Jetlag und Alkohol. Soundmembran. Weiter, weiter, ignoriere das Murmeln, beats per minute, Wellenlänge. Plug in.

 

Sometimes in the blue room, another dream fades away. Zwei Magnete. Abwesenheit von Kronkorken, offen für alles. Das erste Bier schmeckt metallisch. Kopfnicken am Tanzflächenrand, zu spät um sich fallen zu lassen. Warten. Akustischer Szenenwechsel.

Speck mit Fett in Öl
Script Development XIII: Essen im Drehbuch

Nun sitze ich hier und suche einleitenden Worte, nachdem ich ein Brötchen mit Salami und Alaska-Seelachs-Brotaufstrich verdrückt habe, dazu ein Hilton-Ei in perfekter Wachs-Weichheit, garniert mit Salatgurkenscheiben, schlussendlich den ganzen Kladeradatsch mit Kaffee runtergespült und noch´n Nikotinpflaster als Nachtisch zerkaut, fertig. Fette, Kohlenhydrate, Eiweiße, Eigelbe, kaum nachweisbare Spuren von Vitaminen, Fuselöle, Aldehyde, das alles beginnt zu gären, kalte Fusion unter Zuhilfenahme von Säuerungsmitteln, Stabilisatoren, Gehirnnahrung, Diktat des Hypothalamus, Gravitation, Newton – dieser Spinner, dem is auch nix eingefallen, bevor ihm ein Apfel auf´n Kopp gefallen is. Er, also Newton, hatte zwar diesen kurzen hellen Moment, doch dann aß er den Apfel, ward satt und schlief ein. Den Rest hat er sich ausgedacht.

Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de