Die kleine Genrefibel Teil 31: animeshon
Neo-Tokyo im Jahr 2019, Eltern, die sich bei anbrechender Dunkelheit in Schweine verwandeln, Schulmädchen mit Katzenohren und rosafarbenden Haaren, zu quirligen Locken oder Würstchen gewickelt, Cyberbrain, Mechas, Otaku – für manche haben diese Begriffe eine pulsbeschleunigende Wirkung, anderen wiederum verdreht es die Pupillen zu kleinen Kringeln. Zwischen esoterischer Erfüllung und grenzdebiler Unerträglichkeit liegt meist nur eine schmale Grenze im Auge des Betrachters, manche lieben sie abgöttisch, anderen bleibt der Zugang zu ihnen auf immer verwehrt – Mangas? Fast.
Die Rede ist natürlich von Animes. Ist nicht ganz so einfach, auch für den fortgeschrittenen Genrekundler. Ich sprach in meinen Lausbubenjahren auch häufig von Mangaverfilmungen, was nicht falsch ist, aber auch nicht gänzlich richtig. Zudem hatte ich vor dieser vor uns liegenden Genrefibel einen Heidenrespekt, denn ich würde mich zwar als großen Animefan, aber weniger als Kenner bezeichnen – zu groß, zu vielfältig ist diese Nische, die eigentlich gar keine ist. Da man selbst aber auch immer dazulernt, wühlen wir uns heute gemeinsam durch die faszinierende Welt von Animes.
Manga versus Anime
Um den Begriff Manga kommt man dabei nicht herum. Doch beginnen wir mal etwas blauäugiger. Wo befinden wir uns, welches Archipel des großen Genreozeans wartet darauf, erforscht zu werden? Der Begriff Anime ist gar nicht so spezifisch, er kommt aus Japan und ist die Kurzform von animēshon, was wiederum vom englischen animation abstammt. Länderspezifische Filmsparten, das kennen wir vielleicht noch aus der Kleinen Genrefibel Teil 22: Bel Franco. In Japan jedoch gilt die Bezeichnung Anime für alle Spielarten des Animationsfilms, egal ob heimische oder ausländische Produktionen. Der Rest der Welt meint mit Animes aber speziell aus Japan stammende Zeichentrickfilme oder Serien.
Anime und Manga – diese beiden Begriffe scheinen miteinander verknüpft. Manga ist der japanische Begriff für Comic, doch ist dieser wesentlich weiter gefasst als der Begriff Comic im Westen verstanden wird. Der Begriff Manga greift in Japan für sämtliche Arten des Erzählens mit Bildern, darunter auch simple Karikaturen und Strips, auch die Bezeichnung Anime scheint irgendwie dem Manga untergeordnet. Mangas und Animes sind bedeutende Wirtschaftszweige in Japan, mit Jahresumsätzen von bis zu 80 Milliarden Euro. Die Bedeutung dieses japanischen Kulturgutes kann man leicht im Vergleich mit anderen Ländern erkennen.
Im japanischen Fernsehen laufen jährlich bis zu 300 Animeserien für alle Altersgruppen und Geschmäcker, während in Deutschland verschwindend kleine Eigenproduktionen hauptsächlich auf Kinder abzielen. In Japan sind knapp 40% aller Druckerzeugnisse Mangas, in Deutschland macht die Comicsparte gerade mal 3% aus. Mangas und Animes werden in Japan überall und von jedermann konsumiert, bei Frühstück, auf der Arbeit oder dem Weg dorthin, in speziellen Restaurants, die wir im Westen für Bibliotheken halten würden. Und inhaltlich, so scheint es, existieren gar keine Grenzen in Mangas oder Animes – Gewalt, Sex, für das eigentlich recht prüde japanische Volk sind Mangas und Animes Ausdruck einer Massenflucht in subversive Phantastik.
katsudō shashin
Aber damit schießt man schon übers Ziel hinaus. Denn so wird Anime im Westen vorrangig verstanden, Gewalt und Sexualität. Animes aber decken so breite Themen ab wie kaum eine andere Sparte. Womit wir beim Genrebegriff sind, der für Animes nicht wirklich taugt. Animes mögen sich wegen ihrer Exotik und vor allem deswegen, weil wir hier nur die Spitze des Eisberges wahrnehmen, wie eine Nische, eine Subsparte anfühlen.
Doch breiter könnten die Genres im Anime kaum sein, Fantasy, Science-Fiction, Horror, Coming-of-Age, Drama, Thrill, Kinderspaß und intellektueller Mindfuck, der Anime spiegelt das gesamte Genrespektrum und bietet eigentlich Stoff für dutzende Genrefibeln.
Vielleicht ist das aber beim Anime gar nicht so entscheidend, denn trotz der Genrevielfalt bildet der Anime weniger genrekonforme Dramaturgie ab als er mit Themen spielt. Heißt, ein Horroranime ist weniger dem westlichen Rezept eines Horrorstoffes verhaftet, wie auch Dramen unkonventionelle, dramaturgische Wege gehen können. Doch dazu gleich mehr. Die ersten Animes entstanden kurz nach 1900 und waren handbemalte 35mm Filmstreifen von wenigen Sekunden Länge. Erst durch den Erfolg ausländischer Kurztrickfilme begannen japanische Filmproduktionen, Animes herzustellen.
Im zweiten Weltkrieg jedoch spiegelten japanische Anime häufig Propaganda und Kriegsgeschrei, erst die Ereignisse, die zum Ende des 2. Weltkriegs führten, veränderten Themen und Philosophie.
Der Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki sowie deren Folgen beeinflusste die japanische Kultur und somit auch den Anime. Die Evolution des Anime durch die Jahrzehnte kann ich nur bedingt wiedergeben, denn persönlich kam ich mit Animes erst Anfang der Neunziger Jahre in Berührung, zumindest bewusst. Doch japanische Zeichenkunst hat mich auch in meiner Kindheit umgeben, ganz ohne Hinterfragung oder Skepsis. Ich bin, wie viele andere auch, mit Zeichentrickfilmen oder Serien im TV groß geworden. Dazu gehörten auch Produktionen wie CAPTAIN FUTURE, den ich als Kind vergöttert habe.
Das allerdings kultige Trickfilmkost wie die BIENE MAJA, WICKY UND DIE STARKEN MÄNNER oder HEIDI fernöstliche Animationskunst waren, das wurde mir erst später bewusst, all diese Serien waren in den siebziger Jahren Koproduktionen des ZDF mit japanischen Trickfilmstudios wie Nippon Animation. Aber Stilistik und Mimik waren eher östlich geprägt, was nicht wenige auch verschreckt hat. HEIDI beispielsweise war, was die Gestaltung der Figuren betraf, in Ausdruck und Gestik ein wenig fremdartig. Während Stories und Dramaturgie eher deutschen Traditionen folgten, tat man sich mit zeichnerischen Aspekten oft schwer, was in der generellen Anatomie der Animekunst und deren Symbolik lag.
Neben dem Aufgreifen von erwachsenen Themen, länderspezifischer Tradition und kultureller Eigenheit sind Animes in erster Linie Zeichentrickware. Doch deren Aussehen unterscheidet sich gewaltig von westlichen Produktionen. Zeichnerisch gibt es zwar alle Arten der Stilistik, von rudimentär-schlicht bis filigran-detailliert, aber es gibt auch homogene Faktoren, die alle Animes einen. Interessant ist, dass das gar nicht so isoliert geschah. Der japanische Anime hat sich im Laufe der Jahrzehnte auch von westlichen Geschmäckern beeinflussen lassen, von europäischen wie amerikanischen Produktionen.
Speed Lines
Kernelement japanischer Animes sind die Figuren. Gestalterisch sind sie jedoch eher westlich angelegt, Größe, Proportion, Haarfarben, Augen. Besonders die Augen sind stilprägend für den Anime. Im Gegensatz zu Disneyfiguren sind japanische Animeaugen ungleich detaillierter, größer, haben Pupillen, Reflektionen, mehr Spiel und mehr Ausdruck. Im Gegensatz dazu sind Mund und Nase oft nur schnelle Striche, manchmal gar nicht vorhanden. Die Augen in Animes sind der Träger von Emotionen, stärker als das westliche Figuren vermögen.
Doch auch der Mund kann, bei entsprechender Emotion, viel zur Gestaltung beitragen. Wie oft sieht man weit aufgerissene Münder, fletschende Zähne, nur im Zustand innerer Ruhe wird der Mund zu einem ruhigen Federstrich.
Darüber hinaus sind Charakteristiken wie Nasenbluten, der berühmte Schleimtropfen unter der Nase als Schlafsymbol und Verniedlichungsformen wie Chibi oder Tieranleihen á la Kemono oder Kemonomini unverkennbar mit dem japanischen Anime verknüpft. Die Gestaltung vom Mimik und Gestik führt zu einer anderen Figurenwahrnehmung. Nicht selten wirken Animefiguren lebensechter, erwachsender, auch wenn das Kindchenschema in Animes weit verbreitet ist. Neben zeichnerischen Aspekten sind es aber vor allem die Themen, die Animes in Plots und Stories spiegeln, welche japanische Zeichentrickproduktionen von anderen unterscheiden.
Interessant ist, dass sie für Jungen wie Mädchen gleichermaßen attraktiv sind, es nicht so eine schwarz-weiß-Trennung gibt wie in westlichen Pendants. Japan ist ein Land zwischen Tradition und Moderne, japanische Geschichte und Lebensweise, Philosophie, traditionelle Werte, aber auch Zukunftsperspektiven, Gesellschaftpolitik und Fragen nach der Evolution des Menschen stehen nicht selten im Themenvordergrund. Ökologie, Umweltschutz, Robotik, Kybernetik, PSI-Fähigkeiten, all diese Themen spart der Anime nicht zugunsten einer kindgerechten Aufarbeitung aus. Auch der Tod ist ein fester Bestandteil des Anime, nicht selten sterben Hauptfiguren und das äußerst drastisch.
Weitere Themenfelder sind Fantasy, menschliche Tiere, Geister, Dämonen, alte japanische Tradition, aber auch Utopien, Dystopien, Cyberpunk, Steampunk, Feminismus, Pazifismus und die Kraft der Liebe. Aber selbstverständlich auch Gewalt, Sexualität, Pubertät, Selbstfindung und Tabu. Ich würde das nicht als erstes nennen, wenn es um Themen innerhalb von Animes geht, aber diese Aspekte werden wohl sensibler aufgenommen. Ethik, zukünftige Gesellschaftsformen, das Überwinden menschlichen Makels, Animes gehen oft sehr tief in Auslegung und Interpretation. Natürlich gibt es auch altersgerechte Kost für Kleinkinder, aber es gibt signifikante Unterschiede zwischen westlichen und östlichen Geschmäckern.
Westlich oder östlich wovon eigentlich? Irgendwie hat sich das eingebürgert, Himmelsrichtungen und Kulturverständnis aufeinander abzustimmen. So richtig wird man das als Außenstehender nicht verinnerlichen können, auch wenn man einen starken Faible für die japanische Kunst hat. Kulturschock, das hört man häufig in diesem Zusammenhang. Wie konnte es dann aber passieren, dass der Anime irgendwann zu einem globalen Phänomen wurde?
AKIRA und der Geschmack von Himmelsrichtungen
Ich kann das auch heute nur noch schwer nachvollziehen. Den ersten Kontakt zu Animes, von den ZDF-Koproduktionen abgesehen, hatte ich, wie viele andere auch, Anfang der Neunziger Jahre mit dem Film AKIRA aus den Jahr 1988. AKIRA hat den Westen, um mal bei dem Begriff zu bleiben, nachhaltig für den Anime geöffnet, ihm wird nicht selten der internationale Durchbruch zugeschoben. Wahrscheinlich lag es daran, dass AKIRA der erste Kontakt mit einem eher erwachsenen Stoff innerhalb von Animes war.
AKIRA ist im eigentlichen Sinne schwere Kost und es bestanden berechtigte Zweifel über seine Vermarktbarkeit, unter anderem von George Lucas, der AKIRA für den amerikanischen Markt als unverkäuflich einstufte. AKIRA wurde dennoch ein Erfolg, auch wegen der zeichnerischen Qualität. Thematisch war er westlichen Sci-Fi-Produktionen um Jahre voraus, aber der Westen verband auch nicht sehr viel mit der Verquickung von Science-Fiction und Zeichentrick.
Dennoch wanderte AKIRA Anfang der Neunziger Jahre auch in heimische Videotheken und dort stand er nun – von uns Kids damals nur als Mangafilm bezeichnet. Was ein Manga war, wussten wir schon, nur besaß ich nie ein solches noch habe ich die Zeichentrickserien als japanische Animationskunst aufgefasst. Eigentlich war ich in dieser Zeit völlig unkundig in diesen Gefilden, hielt Sean Connery für den besten Schauspieler der Welt und war der Meinung, eine Fortsetzung ist immer schlechter als das Original. Warum aber hat mich AKIRA gepackt?
Wirklich verstanden habe ich AKRIA damals nicht, kann mich zumindest nicht erinnern. Aber ich habe auch nicht wirklich TWIN PEAKS verstanden und es war dennoch eine ungeheure Faszination. So waren auch ich und ein paar Freunde unbewusst auf den Animezug aufgesprungen, denn AKIRA war ein Markstein, der den Anime außerhalb Japans populär machte. In mikroskopischen Dosen erreichten dann Animes die deutschen Videotheken, viele waren es nicht.
Aber die wurden alle mitgenommen, natürlich GHOST IN THE SHELL, der mich noch weit mehr begeistert hat als AKIRA, FIST OF THE NORTH STAR, WIND OF AMNESIA, UROTSUKIDŌJI, all das wanderte in meinen VHS-Player und war doch nur die Spitze des Animeeisberges. Trotzdem bemerkenswert, dass man mal bewusst von einer Welle mitgerissen wurde. Die Barbarenfilmwelle, die Kannibalenwelle, für all das war ich noch zu jung, aber den Animeerfolg außerhalb Japans hab ich durchaus mitbekommen.
Leider ist das später dann auch wieder abgeflacht. Nur GHOST IN THE SHELL und immer mal wieder AKIRA blieben, möglicherweise waren Computeranimierte Filme wie TOY STORY ab den Neunzigern dann doch von größerem Interesse. Hauptgrund war natürlich, trotz des AKIRA-Erfolges, dass Animes zur VHS-Zeit einfach rar und nicht überall zu bekommen waren. Ein paar Jahre später jedoch kam es zu weiteren markanten Produktionen, die den Anime international noch einmal in den Fokus des Interesses rückten.
Miyazakis Reisen ins Zauberland
Die bekannteste Persönlichkeit im Bereich Manga und Anime ist Osamu Tezuka, der oft als Gott des Mangas oder Walt Disney Japans bezeichnet wird. Tezuka begründete viele Charakteristika des Mangas und Animes, er ist der Schöpfer von ASTRO BOY und KIMBA, DER WEIßE LÖWE und seine Werke waren die Inspiration für Generationen von Mangaka. So auch Hayao Miyazaki, der große Erfolge mit DAS SCHLOSS VON CAGLIOSTRO und NAUSICAÄ AUS DEM TAL DER WINDE feierte, bis er 1985 das Studio Ghibli gründete.
Der erste Film des neuen Studios war DAS SCHLOSS IM HIMMEL und ebnete den Erfolg für weitere Produktionen wie MEIN NACHBAR TOTORO und DIE LETZTEN GLÜHWÜRMCHEN. Immer wieder stellten Miyazakis Filme Rekorde auf, immer filigraner und fantastischer wurden die Geschichten und Zeichnungen, welche 1997 mit PRINZESSIN MONONOKE und schließlich 2001 mit CHIHIROS REISE INS ZAUBERLAND Miyazaki zum internationalen Durchbruch verhalfen – inklusive Goldener Bär auf der Berlinale 2002 und 2003 der OSCAR als bester Animationsfilm. Bis heute ist CHIHIROS REISE INS ZAUBERLAND der am meisten ausgezeichnete Zeichentrickfilm der Welt.
Die Werke Miyazakis und von Studio Ghibli sind eine völlig andere Facette des Animes, nicht vergleichbar mit AKIRA oder GHOST IN THE SHELL. Es sind Fantasyabenteuer mit sehr ernsten Themen, aber auch malerischer Gestaltung und träumerischer Erzählweise. Irgendwie gelang es Miyazaki, sich wieder und wieder zu steigern und obgleich er quasi im Ruhestand ist, beeinflusst er das Studio und andere Mangaka noch heute.
Die Filme von Studio Ghibli sind Meisterwerke und ein nicht endender Quell an Entdeckungen. Im Detailreichtum von Animes findet man immer neue Kleinigkeiten und verspielte Details, fern von süßlicher Disneykost und PIXAR-Dramaturgie. Klar, Animes wie AKIRA, aber auch Werke von Miyazaki sind keine leichte Kost. Manchmal übersteigen sie sogar westliche Sehgewohnheiten, es ist nicht alles bunt und fluffig, in Anime ist auch Platz für Hässlichkeit, für Subversives, Ekel, Scham, für ungeschönten Realismus.
Anime, das bedeutet für den Fan ein scheinbar unerschöpflicher Fundus an Geschichten, Themen und eigenen Subgenres. Viele Animes basieren auf Mangas, aber mindestens genauso viele originäre Animes ziehen neue Mangareihen nach sich, Kinofilme lassen Serien resultieren wie umgekehrt. Den Durchblick zu behalten ist dort faktisch nicht möglich, es sei denn, man verbringt viel Zeit in Japan und kann dort auch Kost goutieren, die es wohl niemals in westliche Gefilde schaffet.
Subgenres wie Mecha über riesige Roboter oder Sentai über Superhelden sind auch hier ein Begriff, mit anderen Sparten wie Hentai (pornografische Animes), Magical Girl oder Harem (Held wird von vielen Frauen umgarnt) tut man sich wohl schwerer.
Gewalt, Blut und explodierende Körperteile dagegen sind akzeptierte, wenn gleich auch noch immer verstörende Elemente des Anime. Obgleich bereits Filme wie AKIRA Erwachsenenkost darstellen, gibt es noch einen eigenen Markt für Horror-, Splatter- und Psychoanmies. Sogar im Fernsehen.
Von Blutfontänen und Grundschülern
Viele assoziieren mit Animeserien ausschließlich DRAGONBALL Z, DIGIMON, POKEMON, ONE PIECE oder YU-GI-OH!, das auch zu Recht, denn diesen Serien ist auch international ein großer Erfolg beschieden.
Im Gegensatz zum hiesigen Markt boomen Animeserien in Japan, Veröffentlichungsintervalle werden dort als cours bezeichnet und es gibt weniger endlos laufende Serien als abgeschlossene Reihen, die allerdings auch weit über hundert Folgen haben können. Mit dem Erfolg von Animeserien boomte auch das Merchandisinggeschäft, Animes beeinflussten viele Industriezweige in Japan, nicht nur die Videospielindustrie. Animeserien sind zudem Exportschlager, werden in alle Welt verkauft und es hat sich sogar eine Szene entwickelt, die Animes übersetzen und, nicht ganz legal, auf Animeplattformen online stellen.
In Japan wird nicht groß unterschieden zwischen Spielfilmen und Serien, jedenfalls nicht so wie bei uns. Komplexere Geschichten, auch im Bereich Horror, finden oft ihren Weg ins Fernsehen und über Umwege auch zu uns.
Bis auf VAMPIRE HUNTER D war mir dieses Feld auch unbekannt, bis ich sowohl ELFEN LIED als auch ANOTHER gesehen habe, vielleicht die herausragendsten Anime-Horror-Serien überhaupt. Während ELFEN LIED wegen überbordender Gewaltdarstellung wohl niemals einen Sendeplatz bei rtl2 bekommen wird, übersteigt der Gruselfaktor bei ANOTHER sogar den japanischer Horrorrealfilme wie RINGU oder JU-ON. Selten habe ich eine so unheimliche Serie gesehen.
Apropos Realfilme – im Kreislauf aus Manga, Anime, Film und Serie rotieren natürlich auch Realverfilmungen bekannter Anime- oder Mangastoffe.
Viele sind Klassiker und manche sind sich ihrer Animeherkunft gar nicht bewusst. Böse Filmchen wie STORY OF RICKY oder ICHI – THE KILLER basieren auf Mangas oder Animes. Auch CRYING FREEMAN, OLDBOY oder SPEED RACER haben Animewurzeln.
Das Aufgreifen von Anime-Charakteristiken erfolgte demzufolge auch im internationalem Filmgeschäft. Klassiker wie MATRIX sind unübersehbar von GHOST IN THE SHELL inspiriert, George Lucas STAR WARS basiert storytechnisch auf japanischen Klassikern wie Akira Kurosawas DIE VERBORGENE FESTUNG, später erhielt das STAR WARS Universum sogar einen Zeichentrickableger namens CLONE WARS (nicht zu verwechseln mit der CGI-Animationsserie THE CLONE WARS) in Animestilistik. Auch US-Serien wie AVATAR – HERR DER ELEMENTE ist sichtlich von japanischer Zeichentrickkunst beeinflusst. Und Realverfilmungen wie AKIRA sind schon lang im Gespräch, wie auch von GHOST IN THE SHELL, der momentan gerade mit Scarlett Johansson besetzt wurde.
Anime satt!
Im Gegensatz zu anderen Sparten oder Subgenres hat und wird sich der Anime in Japan durch internationale Anerkennung oder Realverfilmungen wie GHOST IN THE SHELL nicht sonderlich verändern. AKIRA war kein Wendefilm, er bündelte nur das Interesse nach Animes. Selbst japanische Mangaka philosophieren, dass sich der Markt nicht wirklich verändern und dem Anime keine bahnbrechende Evolution beschieden sein wird. Vielleicht liegt das daran, dass der Anime bereits so breit ist, dass jedes Jahr neue Mangakas oder Animekünstler die Universitäten verlassen, sich einen Mentor suchen und die Industrie befördern. Von rein äußerer Betrachtung scheint der Anime eine Nische, weil er von westlicher Prägung und Geschmack abweicht. In Japan selbst ist der Anime eine feste Größe in der Kultur, nicht einmal vergleichbar mit anderen Ländern der Welt, in denen es auch eine Comictradition gibt. Der Anime ist dazu da, Neues in alten Formen zu entdecken.
Wer einen Faible für Science-Fiction hat, kommt um Animefilme wie AKIRA oder GHOST IN THE SHELL nicht herum, als Fantasyfan muss man die Werke Miyazakis und von Studio Ghibli kennen. Horroranimes öffnen Geist und Gemüt, wiederlegen die These von Speed-Storytelling und füllen Geschichten mit ganz anderen Themen und Beweggründen.
Vielleicht wird sich der Anime deswegen immer anders anfühlen als westliche Kost, was auch Grund für dessen Faszination ist. Wer sich wirklich gesättigt wähnt und glaubt, nichts Neues mehr zu entdecken im Mikrokosmos Film, der wird um Animes nicht herumkommen.
Im Zuge dieser Fibel hat es mich auch wieder gepackt, Animeserien zu schauen, am besten natürlich im japanischen Original mit englischen Untertiteln. Animes können einen verleiten, noch viel tiefer in die fremde Mystik eines Filmlandes einzutauchen, sich mit Fragen der Identifikation und der kulturellen Geschichte zu befassen. Man sollte auch keine Angst haben, nicht wirklich jeden Animestoff restlos interpretieren zu können. Interpretieren ist auch so ein westlicher Zwang. Animes sind mehr als das, Animes sind eine Reise zwischen Phantastik und Realismus.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
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