Der Traumfalter Jahresrückblick 2019
Yalla, liebe Ehrenmenschen & Swaggernauten, Willkommen zurück aus den Weihnachtsferien. Na, alles schlurky? Ich hoffe mal, Ihr hattet ein paar endlaser Feiertage und wurdet nicht zu sehr geRickRolled oder gar geWhamt, beim Cornern oder Fensterln draußen im Outer Rim, habt keinen Screenitus bekommen beim bingewatchen oder seid anderweitig verdummfallt, das wär voll wack. Nach dieser hoffentlich erfolgreichen Zielgruppenvergrößerung nun weiter im Fließtext. Wie Ihr sicherlich gemerkt habt, neigt sich das Jahr 2019 mit geradezu pornöser Schiefwinkligkeit seinem Ende entgegen. Ich hatte sowas bereits im Januar vorausgeahnt. Das alte Jahrzehnt scheidet, eine neue Dekade beginnt, was also kann es Schöneres geben, als nochmal zünftig vom Leder zu ziehen und all die High- und Lowlights des Film- und Serienjahres 2019 Revue passieren zu lassen?
Flucht nach Innen
Dekadenabschluss 2019, das Jahr des Umbruchs, des Großreinemachens, des Endgameofthrones und der Endennealogie, was bleibt in Erinnerung? Neben all den audiovisuellen Kamellen sind das natürlich erstmal die Skandale und Kontroversen. Doch was den einen aufregt, lässt den anderen kalt, wie immer halt. Großes Gezeter bei der Oscarverleihung, als BLACK PANTHER als Bester Film nominiert wurde. Ebenfalls Anbiederung an ein jüngeres Publikum oder Reaktion auf die #oscarssowhite Debatte? Aber auch ROMA wurde argwöhnisch beäugt, ein Netflixfilm sollte bei den Oscars gar nicht zugelassen werden, sagt Steven Spielberg. Dann kam Martin Scorsese ums Eck und sprach, Marvel Filme würden keine emotionalen Erfahrungen bieten, Kino seien sie erst Recht nicht. Sein neuer Film läuft übrigens exklusiv auf Netflix. Das hängt alles irgendwie zusammen, aber wie, das weiß man nicht genau.
Dem echten Filmfan interessiert das nur bedingt, es gibt schlimmeren Unbill. Wer zur Hölle hat den Kaffeebecher neben Daenerys Tardaryen stehen lassen? Wieso startet Disney+ erst im März 2020 in Deutschland und warum verkackt es der Mäusekonzern, Baby Yoda rechtzeitig als Merchandisingprodukt anzubieten? Und welcher Idiot spoilert denn bitte Baby Yoda, geht’s noch? Apropos STAR WARS, die Han-Greedo-Szene wurde für Disney+ schon wieder umgeändert, noch ein paar Jahre und Greedo erschießt sich gleich selbst. Wo man auch hinschaut in der blühenden Film- und Serienlandschaft, das Schlagwort des Jahres 2019 heißt Enttäuschung.
Man hört und liest es allerorten, Fans sind immer und über alles enttäuscht. Je mehr Content, desto größer die Enttäuschung. Ich bin enttäuscht, das holt mich nicht ab, das lässt mich kalt, das lass ich aus, das kommt mir nicht in den Schrank. Ich will gar nicht drüber lästern, nur die ganze Enttäuschung macht mich traurig. Und verwirrt. Denn klare Linien der Enttäuschung gibt es nicht. Treibt eine Serie den Plot voran, ist es gehetzt, nimmt sie sich Zeit für die Figuren, ist es zu lahm. Der Fan will Neues, aber Altes, das will er auch nicht loslassen, Petitionen werden gestartet, bis auch Filmemacher ungeliebte Fortsetzungen ignorieren.
Wenn es danach geht, scheint 2019 eine einzige Enttäuschung zu sein. Und inmitten diesem Circle of Disappointment sitze ich und frage mich langsam, ob die vielleicht alle Recht haben und ich einfach nur zu doof bin, auch enttäuscht zu sein. Dabei kenn ich mich eigentlich aus, ich bin von allem, aber auch wirklich allem in meinem Leben enttäuscht – außer von Filmen. Das heißt nicht, dass alles unstrittig ist, natürlich gibt es viel Murks da draußen, über das man sich den Mund fusslig reden oder schreiben kann. Noch immer verbrennen in Filmen reihenweise Toasts, wieso? Haben die Toaster in Filmen keinen Auswurfmechanismus?
Eskapismus allein reicht da nicht mehr aus, denn Eskapismus in fiktive Welten war immer auch eine Gemeinschaftssache. Da hilft nur noch die komplette Flucht nach Innen. Hier drin ist es sicher und es herrschen exakt 36,3 bis 37,4 °C. Glücklicherweise bin ich, was meine Filmleidenschaft betrifft, ein gläserner Mensch. Ich lasse Euch trotzdem Teil haben, mit jedem Post und jedem Artikel. Nur diskutieren mag ich nicht mehr, ich bin enttäuscht von all der Enttäuschung. Umso glücklicher bin ich, hier heute Filme, Serien, Stars und Sternchen des Filmjahres hochleben zu lassen, die nicht auf den obligatorischen Listen zu finden sind, die mich verführt, berührt, schockiert oder aufgerieben haben. Das wird voll cheedo! Willkommen zum großen Traumfalter Jahresrückblick 2019.
R.I.P. D-T-V
Beginnen wir mit einer traurigen Nachricht aus dem Filmbusiness, die gute alte Videopremiere oder auch direct-to-disc VÖ landete im Jahr 2019 auf der Liste der fast ausgestorbenen Auswertungsarten. Filme, die es aus diversen Gründen nicht ins Kino schaffen, landen heute vorrangig bei Streamingplattformen oder werden gar exklusiv für diese gekauft oder produziert. Enttäuschend. Ups. Nein, so enttäuschend ist das gar nicht, den der Content ist definitiv hochwertiger als zu seeligen Videopremierenzeiten.
Bereits im Jahr 2018 schloss Disney seine direct-to-video Plattform DisneyToon Studio, jeglicher neuer Content ist nun oder bald auf Disney+ verfügbar. Früher gab es THE LION KING 1 1/2 auf Video, heute das Remake von SUSI & STROLCH als Stream. Die DC Universe Animated Movies aus dem Hause Warner gibt es noch, dazu gehört auch der überaus gelungene BATMAN: HUSH in diesem Jahr, aber auch diese Produktionen werden über kurz oder lang auf dem kommenden VoD-Dienst von WarnerMedia veröffentlicht.
Doch es gab 2019 noch zwei weitere erwähnenswerte direct-to-disc Veröffentlichungen, darunter DOWN A DARK HALL von Rodrigo Cortés (BURIED) mit AnnaSophia Robb und Uma Thurman. DOWN A DARK HALL basiert auf dem 1974 erschienen Jugendbuch des Autors Louis Duncan, der auch die Vorlage zu I KNOW WHAT YOU DID LAST SUMMER verfasst hat. Ganz so rabiat geht es in DOWN A DARK HALL aber nicht zu, der Young Adult Gruselkrimi um übernatürlich begabte Jugendliche in einem prächtig ausgestatteten Internat ist aber durchaus unterhaltsam, vor allem wegen AnnaSophie Robb aus CHARLIE AND THE CHOCOLATE FACTORY.
Atmosphärisch geht es auch in einer weiteren Filmadaption über den französischen Kriminalisten Eugène François Vidocq zu, nach VIDOCQ mit Gerard Departieux aus dem Jahr 2001 schlüpft nun Vincent Cassel in die illustre Rolle von VIDOCQ – HERRSCHER DER UNTERWELT. Regie führte Jean-François Richet (DAS ENDE, PUBLIC ENEMY NR.1), mit an Bord ist auch August Diehl als finsterer Gegenspieler, die Ausstattung ist edel, es geht recht temporeich und blutig zur Sache, der neue VIDOCQ ist zwar nicht so surreal angehaucht wie die Verfilmung von Pitof seinerzeit, aber ein durchaus spannender Geschichtsthriller mit tollen Schauwerten.
Die Kunst des toten Mediums
Für eine Streamingplattform wie Netflix aber reicht das schon lange nicht mehr, im Jahr 2019 wurden da weit größere Geschütze aufgefahren. Nachdem mit ROMA von Alfonso Cuarón im letzten Jahr bereits eine große, internationale Produktion exklusiv im Pay-TV platziert und sogar oscarprämiert wurde, setzt der ehemalige Videoversandhändler auf noch bekanntere Namen und Stars. So war THE IRISHMAN von Regielegende Martin Scorsese bereits im Vorfeld in aller Munde. Doch der beste Netflix Film des Jahres 2019 ist meiner Meinung nach MARRIAGE STORY von Noah Baumbach mit Scarlett Johansson und Adam Driver in den Hauptrollen.
Das Scheidungsdrama um ein junges New Yorker Paar mit Kind wurde erst im Dezember auf Netflix veröffentlicht, setzte sich aber sofort an die Spitze der Exklusivtitel aller Pay-TV Anbieter. Was für ein bewegender, trauriger, aber auch feinfühlig witziger Film von Noah Baumbach (THE SQUID AND THE WHALE), grandios besetzt, vor allem Adam Drivers Schauspiel geht extrem unter die Haut, zu Recht wurden beide als Beste Hautdarsteller für den Golden Globe nominiert, der Film natürlich ebenso.
Gegen diese unerwartete Schwere und gleichzeitige Leichtigkeit fühlte sich Scorseses THE IRISHMAN fast ein wenig zu kalkuliert an. Auf dem Papier scheint THE IRISHMAN ein feuchter Traum eines jeden Cineasten zu sein, noch einmal ein großes Mafiaepos, mit Robert DeNiro und Al Pacino in den Hauptrollen, sogar Joe Pesci kam aus dem Ruhestand zurück und gibt in THE IRISHMAN die wohl beste Vorstellung seiner Karriere. Anna Paquin ist auch mit an Bord, doch die Show gehört ausschließlich den Altherren.
Aber es gibt auch Schattenseiten, Pesci und Pacino spielen sich die Seele aus dem Leib, nur DeNiro wirkt seltsam unbeteiligt. Dazu drängt sich die berechtigte Frage auf, warum die drei Altgötter überhaupt so besetzt wurden, spielen sie doch 90% der Spielzeit jüngere Versionen ihrer Figuren, was durch mal mehr, mal weniger gutes CGI-Deaging realisiert wurde. Junge Gesichter auf alten Männerkörpern, das Ergebnis ist teils skurril anzuschauen. Ein zweiter GOODFELLAS ist THE IRISHMAN jedenfalls nicht geworden.
Wesentlich frischer und unangepasster kam Anfang des Jahres der neue Film von Dan Gilroy (NIGHTCRAWLER) ins Netflixprogramm – VELVET BUZZSAW oder DIE KUNST DES TOTEN MANNES mit Jake Gyllenhaal, John Malkovich und Toni Collette. Nach dem Fund von hunderten Gemälden eines unbekannten Malers ist die Kunstszene L.A.’s in Aufruhr. Doch die Bilder des toten Künstlers haben ein Eigenleben und töten diejenigen, die sich an ihnen bereichern wollen. Ein wahrlich verschrobenes Filmding zwischen Slasher und Kunstmarktsatire, sicher nicht jedermanns Geschmack, aber ähnlich erfrischend wie die Serie MANIAC im letzten Jahr.
Netflix mausert sich langsam zu einer Sammelstelle für ungewöhnlichen Filmwerke, die an es an der Kinokasse schwer gehabt hätten, mutmaßlich natürlich. Ob das auch auf einen Film wie THE IRISHMAN zutrifft, darüber kann man sicher streiten, immerhin bekommen die großen, prestigeträchtigen Produktionen noch einen limitierten Kinostart, man kann also Netflixfilme auf großer Leinwand sehen, man muss nur in eine Großstadt ziehen.
Für manches wäre das Kino auch schlicht der falsche Ort. Wohl nur im Pay-TV kann man eine Filmfortsetzung einer beliebten TV-Serie wie BREAKING BAD realiseren, ob es EL CAMINO nun gebraucht hätte oder nicht, hier werden Fanwünsche bedient, die anderswo unerfüllbar blieben. Polternde Actionware wie TRIPLE FRONTIER oder 6 UNDERGROUNDS von Michael Bay hingegen, dafür muss ich nicht unbedingt ins Kino, ein Netflix Abo ist dafür aber auch nicht lebensnotwendig.
Am besten können Streamingriesen wie Netflix oder Amazon immer noch das, was Fernsehen immer ausmachte und im Jahr 2019 Kinofilmerfahrungen in Nichts nachsteht, wenn nicht sogar das größere Erlebnis bietet – Serien. Die Serienlandschaft expandiert unaufhörlich und 2019 war sogar ein noch besseres Serienjahr als das davor, mit extremen Gegenpolen und echter Kinomagie.
This Extraordinary Being
Seichte Fernsehunterhaltung war gestern. Manchmal kann man die Gegenpoligkeit des Programms nur schwer fassen, in diesem Jahr führte es dazu, dass gleich zwei Formate die Spitzenposition Beste Serie des Jahres für sich in Anspruch nehmen, natürlich meiner Meinung nach. Die eine Serie ist von extrem beklemmendem Realismus geprägt, die andere ein purer Fantasytraum.
Eine Dramaserie von Autor Craig Mazin, der zuvor die Drehbücher für diverse SCARY MOVIEs und HANGOVERs geschrieben hat? Nicht unbedingt das, was einem sofort aufhorchen lässt. Doch aus dessen Feder stammt auch CHERNOBYL, eine fünfteilige Miniserie um die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl im Jahr 1986 und Craig Mazin und Regisseur Johann Renck (inszenierte ein paar BREAKING BAD und VIKINGS Folgen) gelingt ein extrem beklemmendes und mehr als fesselndes Meisterwerk der Fernsehkunst. CHERNOBYL verdichtet akribisch die Ereignisse um die Katastrophe und ihre Folgen, dramatisiert behutsam an den richtigen Stellen, ist filmhandwerklich absolut meisterhaft und lässt einen auch Tage später nicht los. Ein wahrer Serien(alp)traum.
Ein Traum ganz anderer Art wurde wiederum auf Netflix wahr. Mit THE DARK CRYSTAL – AGE OF RESISTANCE erschien nach 37 Jahren eine Prequelserie zum Kultfilm DER DUNKLE KRISTALL aus der Puppenanimationsschmiede von Jim Henson. Das kann man mal anschauen, dachte ich, doch nach der ersten Folge war ich geflasht wie selten zuvor. Was für eine Liebe steckt in THE DARK CRYSTAL, in jedem Detail, in jeder Figur. Die Serie von Louis Leterrier ist nicht nur optisch ein Fantasyschmaus vor dem Herrn, sie ist übergroß und episch wie seinerzeit STAR WARS oder THE LORD OF THE RINGS, dramatisch mindestens auf GAME OF THRONES Niveau, so wunderbar altmodisch und doch technisch brillant. Und was hap ich den süßen Podling Hap in mein Herz geschlossen.
Als ich schon dachte, süßer als der kleine Hap kann es nicht werden, kam im November 2019 noch eine Serienfigur um’s Eck, die es geschafft hat, das Herz zu einem saftigen Kotelett zu weiden. Gekonnt heimlich gehalten war der Schock am Ende der ersten Folge von THE MANDOLARIAN riesig, als man sah, was da in der Nussschale lag – Baby Yoda! Man rechnet mit allem, aber doch nicht mit Baby Yoda? Ob ohne Baby Yoda die STAR WARS Realserie von John Favreau auch so grandios gewesen wäre? Immerhin atmet kein STAR WARS Produkt, auch nicht die neuen Kinofilme, so viel Flair wie THE MANDOLARIAN. Ich mag den dreckigen Charme, ich mag auch die Monster of the Week Folgen, das muss nicht schon wieder superepisch werden. Abgesehen davon…Baby Yoda!!!
Sicherlich viel Traditionelles, was dem Serienzuschauer da geboten wird, aber Fanservice hat man früher auch schon wesentlich plumper daherkommen sehen. Mit THE DARK CRYSTAL oder THE MANDOLARIAN hätte so keiner gerechnet. Doch es gibt auch neue, mutige Neuinterpretationen 2019, allen voran WATCHMEN, welche den Kosmos von Alan Moores Kult Graphic Novel ins fiktive Jahr 2019 versetzt und im Gegensatz zu THE DARK CRYSTAL ein Sequel erzählt. Und das mit der gleichen Kompromisslosgkeit wie die Vorlage, an der WATCHMEN von Zack Snyder zuvor scheiterte. Die neue WATCHMEN Serie macht es dem Zuschauer nicht leicht, ist kryptisch und ohne Vorkenntnisse vielleicht schwer zu dechiffrieren. Aber wer sich darauf einlässt, erlebt magische WTF-Momente.
Einen großen emotionalen Moment bot auch die Serie THE UMBRELLA ACADEMY um übernatürlich begabte Waisenkinder, die nach dem Tod ihres Ziehvaters und Mentors ihre Bestimmung suchen. So ergreifend wie die grandiose Musikszene in Folge 1 (“I Think We’re Alone Now…”) wird es zwar nicht mehr im Serienverlauf, trotzdem gehört auch THE UMBRELLA ACADEMY zu den besten Serienerlebnissen des Jahres 2019.
2019 mauserte sich zum besten Serienjahr seit, äh 2018? Nicht jeder war glücklich mit dem Angebot, besonders mit der letzten Staffel von GAME OF THRONES wurde hart ins Gericht gegangen. Ich kann vieles verstehen, rationell, dennoch gab es emotional wunderbare Momente in Staffel 8. Absolut begeistert war ich hingegen von der 3. Staffel STRANGER THINGS, die in jeder Hinsicht die beste Staffel von allen. Und mit THE BOYS kam noch vor WATCHMEN ordentlich Schwung ins Superheldensujet.
Serien in dutzenden von Staffelfortsetzungen, Anthologiekonzepte, sogar Kurzfilmcompilations wie LOVE, DEATH & ROBOTS finden im Pay-TV Plätze und Fans, das war früher wesentlich überschaubarer und überraschungsfreier, als das man heute meckern kann, Zielsplittergruppen sei Dank. Bevor wir nun aber zu einer echten Filmnische kommen, nämlich dem Kino, ehren wir wieder die Stars und Sternchen, die Newcomer und Durchstarter des Jahres 2019 und die halten einige Überraschungen bereit.
Stars, Comebacks, Breakthroughs & Goodbyes
Für viele reicht ein Film, eine Rolle oder eine Goldstatue, um die beste schauspielerische Darbietung des Jahres festzunageln. Hier im Jahresrückblick aber geht es um mehr, es geht um Bandbreiten und Unverhofftes. Joaquin Phoenix war selbstverständlich brillant in JOKER, aber hätte man etwas anderes erwartet? Andere Stars sind reine Arbeitstiere, wie beispielsweise James McAvoy (GLASS, X-MEN: DARK PHOENIX, HIS DARK MATERIALS, IT 2) oder Adam Driver (THE REPORT, THE DEAD DONT DIE, MARRIAGE STORY, STAR WARS), doch auch die haben damit weniger überrascht. Wer aber ist nun König und Königin der Schauspielkunst 2019?
Schauspieler des Jahres 2019 ist für mich Mr. Mahershala Ali für seine Wandlungsfähigkeit und Coolness. Vor zwei Jahren erst wurde er mit dem Oscar als bester Nebendarsteller ausgezeichnet (und zwar für LA LA LAND), 2019 durfte er sich eine weiteren Oscar plus einen Golden Globe für GREEN BOOK ins Regal stellen, kaperte die wieder fulminante 3. Staffel von TRUE DETECTIVE, in der er in drei Lebensabschnitten auftrumpft und war sich auch nicht zu schade, für Robert Rodriguez’ Animeverfilmung ALITA BATTLE ANGEL den Bösewicht zu geben. Das Mahershala Ali nun Rollen wie der neue BLADE hinterhergeschmissen werden, ist nur gerecht.
Bei den Damen war es schwieriger in diesem Jahr, es gab herausragende Performances, aber nie in einer solchen Bandbreite und Konstanz. Nur eine Schauspielerin hat mich mehrfach geflasht, und das nicht nur in diesem Jahr. Der Award 2019 geht somit an Elisabeth Moss. Seit 2017 gibt Moss eine Wahnsinnsperformance in der Serie THE HANDMAID’S TALE ab, en top in der diesjährigen 3. Staffel. Sie brilliert in Nebenrollen wie in Jordan Peeles US oder adelt reichlich mittelmäßige Filme wie THE KITCHEN. Aber so richtig die Sau raus gelassen hat Elisabeth Moss in diesem Jahr in HER SMELL, brachial und gleichzeitig so feinfühlig, wow…
Zwei Durchstarter durchbrechen die Schallmauer 2019, einer ist ja fast ein alter Hase im Schaugeschäft – Jaeden Martell, geboren 2003, begeisterte in den letzten Jahren bereits in ST. VINCENT, MIDNIGHT SPECIAL und THE BOOK OF HENRY. 2019 ist er abermals in IT PART 2 am Start, was eher noch Pflichtprogramm war. Dafür spielt Martell in THE LODGE von Veronika Franz und Severin Fiala umso eindringlicher auf und ist einer der Stars in Rian Johnson KNIVES OUT – MORD IST FAMILIENSACHE, der in Deutschland erst im Januar 2020 startet. Ziemlich cool, dieser Herr Martell, von dem in Zukunft noch ebenso Großartiges zu erwarten sein wird.
Durchstarter Nr. 2 errang bereits 2017 einen Award als beste Neuentdeckung und begeistert nun mit ihrem zweiten Auftritt ebenso restlos – Dafne Keen. Nach ihrer wortlosen Brachialperformance als Mini-Wolverine in LOGAN übernahm sie 2019 die Hauptrolle in der Fantasyserie HIS DARK MATERIALS und spielte sich mit großen Augen, größerer Neugier und noch größerem Heldenmut sofort in mein Herz, genauso hatte ich mit Lyra aus den Büchern von Phillip Pullman vorgestellt. Dafne Keen ist in HIS DARK MATERIALS aber nicht nur gut besetzt, sie ist eine mitreißende Hauptfigur, welcher ich jede Emotion abkaufe und mit ihr fiebere.
Dafne Keen ist gerade mal 14 Jahre alt und für mich schon ein Durchstarter. Newcomer des Jahres 2019 hingegen ist bereits 21 Jahre jung, wurde aber von ihren Eltern lange Zeit unter einem Stein versteckt, wieso das denn? Nach Kurzauftritten in der BBC Serie LITTLE WOMAN tauchte sie 2019 völlig unverhofft unter ihrem Stein hervor und wurde zum heimlichen Star der dritten Staffel von STRANGER THINGS – Maya Hawke. Maya Hawke ist das Töchterlein von Ethan Hawke und Uma Thurman und als Robin Buckley stahl sie wirklich jedem anderen STRANGER THINGS Star 2019 die Show. Kurz darauf sah man Hawke als Blumenmädchen in Tarantinos ONCE UPON A TIME…IN HOLLYWOOD. Wenn ihre Eltern Maya nicht wieder verstecken, wird das ein ebenso großer Star!
Noch ein Award, komm, wir haben genug davon hier rumstehen – und zwar für das Beste Comeback des Jahres. Auch den teilt sich eine Doppelspitze, denn wann kann man schon mal ein Doppelcomeback in einem Film bewundern und noch dazu noch ein so Großartiges. Lange Zeit war er weg, doch nun ist er mit DOLEMITE IS MY NAME wieder da – Eddie Murphy gibt als Comedy- und Raplegende Ruby Ray Moore eine der besten Vorstellungen seiner Karriere. Und noch einer mischt da grandios mit, Wesley Snipes als Regisseur D’Urville Martin. Was für ein Spaß und Willkommen zurück, ihr Motherfucker!
Schauspiel, welches unter die Haut geht, davon gab es aber noch mehr in diesem Jahr. Natürlich Joaquin Phoenix in JOKER, dazu kommen wir gleich. Aber auch Taron Egerton als Elton John in ROCKETMAN steht der Performance von Rami Malek, Oscarprämiert als Freddy Mercury in BOHEMIAN RHAPSODY, in nichts nach. Christian Bale hat sich kurzzeitig wieder eine Wampe angefuttert für seine grandiose Darstellung von Dick Cheyne in VICE, Lupita Amondi Nyong’o brillierte in einer Doppelrolle in Jordan Peeles US, Olivia Coleman ebenso in THE FAVOURITE. Aber auch Jungstar Florence Pugh in MIDSOMMAR sowie FIGHTING WITH MY FAMILY und natürlich Robert Pattinson in HIGH LIFE und THE LIGHTHOUSE gaben grandiose Vorstellungen ab.
Wie immer heißt es 2019 aber auch Abschied nehmen von einigen vertrauten und geliebten Gesichtern, darunter auch Replikant Rutger Hauer und Chewbacca Darsteller Peter Mayhew, Hannelore Elsner und Produzent Tom Zickler, die ich beide persönlich kannte oder auch meine innig verehrte Norma Jennings aus TWIN PEAKS, gespielt von der großartigen Peggy Lipton. Möget ihr alle da oben eine Party mit Kirschkuchen, Augäpfeln und Chicorée feiern und gemeinsam Dejarik spielen. Zu makaber? Wegen Chicorée? Apropos…
“Und iss auch mal Salat…”
Das Blockbusterkino im Jahre 2019 bedeutete vornehmlich Abschied nehmen von großen Franchises und jede Menge alter Wein in neuen Schläuchen, oder andersrum. Das Marvel Cinematic Universe schloss Phase 3 passenderweise mit drei Filmspektakeln, von denen einer so ziemlich alle Rekorde in Sachen Gigantomanie locker übertraf. AVENGERS: ENDGAME vollendete das Finale, welches im Jahr zuvor mit AVENGERS: INFINITY WAR losgetreten wurde, quetschte den wohl größten Comicheldencast aller Zeiten in 182 Minuten, spielte weltweit 2,797 Milliarden US-Dollar ein und überholte damit den bisherigen Platzhirsch AVATAR.
Konnte AVENGERS: ENDGAME aber auch filmisch seinem Vorgänger übertrumpfen? Nach dem schockierenden Ende in INFINITY WAR, in dem die Hälfte aller Lebewesen des Universums inklusive der Hälfte aller Avengers durch Thanos ins Jenseits geschnippt wurden, sollte nun eine Zeitreise die Dinge wieder geraderücken, die aber keine richtige Zeitreise war, denn Zeitreisen wie in ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT sind natürlich Nonsens. Letzten Endes lief es aber doch genauso ab, was zwar jeglicher Logik entbehrte, aber immerhin ein paar nette Flashbacks zu den Vorgängerfilmen lieferte. Spaß macht das ganze natürlich immer noch, aber INFINTIY WAR bleibt im Doppelfinale der bessere wie dramatischere Film.
Ein paar Wochen vor AVENGERS: ENDGAME aber läutete CAPTAIN MARVEL die MCU-Endphase ein und hat mich dagegen durchaus positiv überrascht. Nach einem eher holprigen, generischen Start mit einem öden Jude Law ging es auf der Erde der 90er Jahre umso beschwingter weiter, das Duo Carol Danvers/Captain Marvel (Brie Larson) und Nick Fury (Samuel L. Jackson) harmonieren ziemlich gut zusammen und die Story um einen intergalaktischen Konflikt hat später ein gewisses STAR TREK Feeling. Trotz aller Unkenrufe ist CAPTAIN MARVEL durchaus unterhaltsam geraten und vor allem optisch ein Augenchmaus.
Obwohl dann mit AVENGERS: ENDGAME die Chose eigentlich als abgeschlossen galt, beendete erst SPIDER-MAN: FAR FROM HOME Phase 3 des MCU, in meinen Augen leider mit einem Totalausfall. Auf Spidy ist normalerweise Verlass, Tom Holland ist klasse, der Vorgänger SPIDER-MAN: HOMECOMING eine überaus gelungene Comicadaption. Die Kritiken zu FAR FROM HOME sind ebenfalls euphorisch, aber mich hat Spider-Mans Klassenfahrt nach Europa in so gut wie jeder Szene genervt. Peter Parker wird zum dusslig verliebten Jungen degradiert, die Story um Mysterio ist hanebüchen und Jake Gyllenhaal ein Langweiler als Gegenspieler. Auch seltsam, wie unsympathisch Nick Fury im Gegensatz zu CAPTAIN MARVEL rüberkommt. Tja, verdrehte Comicwelt, aber was soll’s.
Auch neue Disney Realverfilmungen gab es 2019 im Dreierpack, wenn man das SUSI & STROLCH Remake für Disney+ mal bei Seite lässt. Den Anfang machte im März Tim Burtons DUMBO und verhieß schon mal nichts Gutes. Dabei ist es nicht die ewige Leier, dass Burton seinen kringelig-düsteren Stil schon seit etlichen Filmen verloren hat. Manches funktioniert in DUMBO auch ganz gut, vor allem die Titelfigur, Eva Green, Danny DeVito und Michael Keaton, beim emotionalen Herz der Geschichte um Zirkusstar Holt Farrier (Colin Farrell) und seinen Kids aber versagt Burton in der Figureninszenierung, da wäre weit mehr Gefühl drin gewesen. Ach Tim…
Dafür lief es mit ALADDIN und THE LION KING weit besser. ALADDIN von Guy Ritchie ist rasant inszeniert, bis auf Dschafar auch super besetzt, sogar Will Smith macht Laune und in 3D ist ALADDIN wirklich Eyecandy. THE LION KING von John Favreau geht auf Nummer sicher und ist nahezu deckungsgleich zum Zeichentrickfilm von 1994 inszeniert, weil die Vorlage aber schon grandios war, konnte mit der “Realverfilmung” auch nicht so viel schief gehen. THE LION KING positionierte sich weltweit auf Platz 2 der Kinocharts, in Deutschland reichte es mit 5,49 Millionen Besuchern sogar für Platz 1 vor AVENGERS.
Bei anderen Blockbustern hingegen lief einiges schief. Mit reichlich Verspätung kam im Februar endlich Robert Rodriguez ALITA: BATTLE ANGEL in die Kinos und begeisterte mit einer coolen Hauptfigur und jeder Menge Animeaction. Der Spaß wird allerdings durch ein paar Sachen getrübt, Christoph Waltz entpuppt sich als glatte Fehlbesetzung und das Ende wurde regelrecht verbockt. Ein echter Flop ist ALITA nicht geworden, ob es aber noch zu einer Fortsetzung kommt, bleibt fraglich. Derbe abgeschmiert hingegen ist Ang Lee’s GEMINI MAN mit Will Smith in einer Doppelrolle. GEMINI MAN mag filmtechnisch eine Wucht sein, ist aber äußerst lahm geschrieben und bar jeder Spannung inszeniert. Nicht unbedingt ein unsympathischer Film, wohl aber Gurke des Jahres.
Zwei alte Männer wollen es 2019 nochmal wissen in ihren Paraderollen, Sylvester Stallone gibt nochmal den RAMBO in LAST BLOOD, Schwarzenegger darf nochmal als TERMINATOR in DARK FATE ran. Während die RAMBO-Franchise schon seit Teil 4 eher auf ein Hardcore Publikum schielt, will TERMINATOR nochmal ganz oben mitspielen. Dafür kehrte James Cameron zurück, ignorierte alles nach JUDGEMENT DAY, engagierte DEADPOOL Regisseur Tim Miller und buddelte sogar Linda Hamilton wieder aus. Es half alles nix, mit der TERMINATOR Franchise kann man scheinbar keinen Blumentopf mehr gewinnen. Aber um RAMBO steht es nicht besser, der gute alte John will die Enkelin seiner Haushälterin aus Mexico befreien, das ist so mitreißend wie es dämlich klingt.
Aber es gab auch positive Überraschungen 2019. Von einem neuen HELLBOY ohne Guillermo Del Toro und Ron Perlman hatte sicher niemand etwas erwartet. Wieder dieser Erwartung hat mich Neil Marshalls HELLBOY: CALL OF DARKNESS aber über die Maßen überrascht und amüsiert. David Harbour (STRANGER THINGS) steht die Rolle des granteligen Höllenfürsten echt gut, sogar Milla Jovovich als Blutkönigin Nimue macht Spaß, es gibt herrlich überzogenes wie ekliges Monsterdesign und jede Menge Hau-Drauf-Action, das alles sogar näher an der Comicvorlage als zuvor. In so gut wie allen Gazetten wird der neue HELLBOY als Totalausfall deklariert, ich stelle mich dem entgegen und behaupte, CALL OF DARKNESS ist die Überraschung des Jahres.
Publikumsjoker
In den letzten Jahren fielen die Wahlen zum Besten Film des Jahres recht eindeutig aus. Immer waren es Überraschungskandidaten in letzter Sekunde, die vor allem unkonventionell waren (ARRIVAL, MOTHER, UNDER THE SILVER LAKE). 2019 ist die Angelegenheit schwieriger. Die Erwartungen an Todd Phillips JOKER waren extrem hoch, nachdem der Film den Hauptpreis in Venedig bekam, der Trailer hypnotisierte und in dem Joaquim Phoenix bereits elektrisierte. Als JOKER dann im Oktober startete, ahnte noch niemand von dessen grandiosem Erfolg und der Kontroversen um die untypischste Comicverfilmung aller Zeiten, die gar keiner war.
JOKER wurde zum meistdiskutierten und kontroversesten Film des Jahres, er spielte als erster R-Rated Film in der Geschichte über 1 Milliarde US-Dollar ein, Joaquin Phoenix spielte sich in der Titelrolle die Seele aus dem Leib und das Feuilleton überschlug sich mit Deutungen und Mutmaßungen um eine mögliche, vorher aber bereits ausgeschlossene, Fortsetzung. Das alles spricht womöglich für JOKER als Besten Film des Jahres. Aber wirklich überrascht hat mich JOKER dann doch nicht, Phoenix kongeniale Darstellung war abzusehen und nach dem Trailer kannte man Tonalität und so gut wie alle Eckpunkte der Geschichte. Hinzu kam eine gehörige Portion Küchenpsychologie und die Frage, ob es für diesen Film überhaupt die berühmte Figur des Jokers gebraucht hätte. Was JOKER letztlich doch zum Film des Jahres macht, ist die Tatsache, dass es keine wirklich ernst zu nehmende Konkurrenz gab.
Jedenfalls wurde es dadurch auf Ende des Jahrs hin nochmal spannend, denn immerhin wartete ja noch der Abschluss der dritten STAR WARS Trilogie THE RISE OF SKYWALKER. Nach THE LAST JEDI aber waren an Episode IX nicht die allergrößten Erwartungen geknüpft, was wiederum andere Erwartungen schürte. Immerhin wusste Lucasfilm, was nun auf dem Spiel stand, J. J. Abrams kehrte in den Regiestuhl zurück, der Teaser im April offenbarte die Rückkehr von Imperator Palpatine, überhaupt, es war der Abschluss der gesamten Saga. Plötzlich bestand wieder eine neue Hoffnung und ein STAR WARS Film als Underdog im Rennen um den Besten Film des Jahres, wann gab es sowas schon mal? War es möglich, dass THE RISE OF SKYWALKER am Ende alles richtig machte?
Ach Lucasfilm. Leider gelang es THE RISE OF SKYWALKER dann doch nicht, den Bogen wirklich mitreißend zu spannen und zu vollenden. War THE LAST JEDI eine Slow-Mo-Spannungsnummer, wirkt THE RISE OF SKYWALKER zu gehetzt und leidet an derben Storyschluckauf. Der Imperator? Kam so abrupt, wie Snoke in Episode VIII verschwand. Die Story? Eine wirre Schnitzeljagd nach dem geheimen Hort der Sith. Worldbuilding und die Erschaffung erinnerungswürdiger neuer Planeten? Fehlanzeige. Rey gegen ihren Opa Palpatine? Das hat leider nicht den Impact wie seinerzeit Luke gegen Vader gegen den Imperator. Trotzdem fühlt sich RISE OF SKYWALKER positiver an als sein Vorgänger, Drive ist besser als Schlurf, es gibt diverse Gänsehautmomente und wenn man akzeptiert, dass die Trilogie eben nicht mehr wirklich zu retten war, kann man mit dem Film schon seinen Spaß haben.
Wenn es um restlose Begeisterung nach einem Film geht, gehört die Trophäe Bester Film des Jahres vielleicht eher ROCKETMAN als JOKER. In ROCKETMAN spielt Taron Egerton den britischen Superstar Elton John in den besten, aber auch schwierigsten Stationen seines Lebens und Egerton katapultiert sich damit direkt in den Kinoolymp. Aber auch inszenatorisch ist ROCKETMAN grandios und degradiert BOHEMIAN RHAPSODY nachträglich in Sachen Herz und Authentizität. Kein schlechtes Jahr eigentlich für den Musikfilm, denn da waren ja auch noch A STAR IS BORN, der rotzige HER SMELL sowie der clevere wie witzige No-Beatles Film YESTERDAY.
Da Science-Fiction Filme in den letzten Jahren oft ganz oben in den Traumfalter Jahrescharts rangierten (INTERSTELLAR, GRAVITY, ARRIVAL), hatte auch AD ASTRA von James Gray mit Brad Pitt gute Chancen. Und Grays Odyssee zum Neptun ist auch in fast jeder Hinsicht elektrisierend und fesselnd, nur das Ende wirkt ein wenig Wischiwaschi, um es mal intellektuell auszudrücken. Dafür ist AD ASTRA eher INTERSTELLAR als DER MARSIANER und hat wohl die beste Filmmusik des Jahres.
Neben all dem Krawall gab es aber auch leisere Filmhighlights 2019, die nicht minder beeindruckend waren. Jonah Hill gab mit MID90s sein Regiedebüt und lieferte sogleich eine fantastische Coming-of-Age Geschichte und eine wundervolle Liebeserklärung an die 90er Jahre ab. In THE FAVOURITE von Giorgos Lanthimos spielen sich Olivia Colman, Emma Stone und Rachel Weisz gegenseitig an die Wand, aber nur Colman wurde dafür mit dem Oscar für die Beste weibliche Hauptrolle prämiert.
Christian Bale hingegen musste Rami Malik den Vorzug geben, trotzdem spielte Bale selten so fulminant auf wie als Dick Cheney in VICE. Nach seinem Vampirfilm ONLY LOVERS LEFT ALIVE versuchte sich Independent Regisseur Jim Jarmush an einem Zombiefilm, THE DEAD DON’T DIE erreicht zwar nicht diese Klasse, ist aber dennoch ein schrulliger Spaß mit Adam Driver und Bill Murray.
Doch es muss nicht immer alles fiktiv sein, um Spannung und Gänsehaut zu erzeugen. Auch zwei Dokumentarfilme in diesem Jahr ließen einen staunen wie erstarren. Regisseur Peter Jackson (THE LORD OF THE RINGS) restaurierte in THEY SHALL NOT GROW OLD historisches Filmmaterial aus dem ersten Weltkrieg, kolorierte und synchronisierte es und schuf damit eine beinahe unheimliche Zeitreise in die Jahre 1914 bis 1918. Spannender als jeder Horrorfilm erwies sich FREE SOLO um den Freikletterer Alex Honnold, der ohne Seil und andere Sicherungen den 1000 Meter hohen Fels El Capitan im Yosemite Nationalpark bezwang. Auch filmtechnisch ist FREE SOLO eine Wucht, nicht umsonst gab es dafür auch einen Oscar.
Genre für Fortgeschrittene
Wer Genrefilmfan ist, aber nix mit Blockbustern oder Superhelden anfangen kann, darf beruhigt aufatmen, denn auch abseits der großen Franchisebrocken war das internationale Genrekino 2019 recht fulminant. Nicole Kidman zeigte sich in DESTROYER von einer äußerst rabiaten Seite, die man ihr kaum zugetraut hätte. Robert Pattinson und Willem Dafoe hingegen spielen sich in THE LIGHTHOUSE von Robert Eggers (THE WITCH) um Kopf und Kragen, Pattinson glänzte zudem in dem wahnhaften Sci-Fi-Arthaus Drama HIGH LIFE, alles in allem recht schwere Kost. Das trifft auch auf THE LODGE von Veronika Franz und Severin Fiala und HOTEL MUMBAI zu, die auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest liefen. Ein recht ungemütliches und düsteres Genrejahr 2019.
Aber nicht alles war finster und schwermütig. JOHN WICK durfte es zum dritten Mal ordentlich krachen lassen, mit LE MANS66 gab es endlich mal wieder einen euphorisierenden Rennfahrerfilm zu bestaunen und nach anfänglicher Skepsis mauserte sich auch der skurrile THE ART OF SELF-DEFENSE mit Jesse Eisenberg und Imogen Potts zu einer Filmperle der obskuren Art. Mit PARASITE von Bong Joon-ho (SNOWPIERCER), BURNING von Lee Chang-dong (SECRET SUNSHINE) und SHADOW von Yimou Zhang (HERO) gab es zudem international preisgekröntes asiatisches Genrekino der besonderen Art, was will der Filmfreund mehr?
Natürlich Deutsches Genrekino, um das stand es 2019 gar nicht so schlecht, aber wir wissen ja alle, was das heißt. Im Februar 2019 startete Fatih Akins Adaption von Heinz Strunks Roman DER GOLDENE HANDSCHUH und machte nicht nur wegen der schockierten Pressestimmen neugierig. Sollte DER GOLDENEN HANDSCHUH für neuen Schwung im Deutschen Genrekino sorgen? Leider Mitnichten, trotz aller Abscheulichkeiten wusste Fatih Akin offenbar gar nicht, was er da inszenieren sollte. Als Milieustudie taugt der Film nur bedingt, ein Genrefilm ist er schon mal gar nicht, dafür ist er zu teilnahmslos inszeniert. Tabubrüche und Schocks sind schließlich nicht das, was Genre ausmacht und die Tragik der Hauptfigur weiß Fatih Akin einfach nicht fesselnd zu erzählen.
Besseres Genrekino bekam man dann allerdings auf der mittlerweile sechsten GENRENALE geboten, welche im Mai 2019 ein wahres Genrefeuerwerk abbrannte. Ganze fünf Spielfilme waren im Programm, darunter DER LETZTE MIETER von Gregor Erler, ENDE NEU von Leonel Dietsche, WO KEIN SCHATTEN FÄLLT von Esther Bialas und ENDZEIT von Carolina Hellsgård, zu dem es allerdings gemischte Meinungen gab, ich mochte die philosophische Zombiemar in thüringischen Gefilden eigentlich sehr.
Die Highlights der GENRENALE6 sind dann auch die Highlights des Deutschen Genrefilms 2019, darunter INGENIUM von Steffen Hacker, ein Mystery-Thriller, ein Low Budget Wunder mit grandioser Technik und ein wirklich wilder Actionritt mit einer ebenso fantastischen Esther Maaß in einer körperlich fordernden Hauptrolle. Nach seiner Premiere auf der GENRENALE6 tourt INGENIUM munter durch die globale Festivallandschaft und ich hoffe derweil auf einen ebenso grandioses Sequel.
Der Award Bester Deutscher Genrefilm indes geht an einen Kurzfilm, der es in 30 Minuten Laufzeit geschafft hat, eine faszinierende wie verstörende Welt zu entwerfen, die einem noch Tage später im Kopf herumgeistert. Haushoher Sieger auf der GENRENALE6, weltweit auf Festivalrotation und zu Guter Letzt nominiert für den Deutschen Kurzfilmpreis, Herzlichen Glückwunsch auch von Traumfalter Filmwerkstat für F FOR FREAKS von Sabine Ehrl und bitte, bitte mehr davon.
Was war sonst noch los im Deutschen Film? Der erfolgreichste Deutsche Film des Jahres mit fast 4 Millionen Besuchern heißt DAS PERFEKTE GEHEIMNIS und ist ein Remake eines italienischen Kinofilm, welcher bereits mehrfach neuverfilmt wurde, erreicht aber bei Weitem nicht die Spritzigkeit des Originals. Bora Dagtekins Film lässt viel vom Anarchismus seiner früheren Werke wie TÜRKISCH FÜR ANFÄNGER oder FACK JU GÖHTE vermissen und gerät eher zwischen die Pole Überzuckerung und Doppelmoral.
Der beste Deutsche Film hingegen ist für mich ROADS von Sebastian Schipper, was keine große Überraschung ist, denn alle Filme von Schipper, von ABSOULTE GIGANTEN bis VICTORIA sind fantastisch. Das Kunststück in ROADS besteht darin, das aktuelle Flüchtlingsthema unaufgeregt und ohne moralischen Ballast zu erzählen, es ist ein schlichter, dafür umso eindringlicher Film über die Freundschaft zwischen Gyllen aus London und William aus dem Kongo, die mit einem geklauten Wohnmobil nach Frankreich reisen – großes Road Movie Kino fast ohne Klischees und Pathos.
Horror im hellsten Tageslicht
Wie immer werfen wir am Ende des Traumfalter Jahresrückblicks einen Blick auf die Horrorfilmhighlights des Jahres, weil nichts beständiger ist als der Horrorfilm. 2018 war bereits ein guter Jahrgang (SUSPIRIA, A QUIET PLACE), auch in diesem Jahr gibt es gar schauderliche Horrorjuwelen zu bestaunen. Unumstritten katapultierte sich das Zweitwerk von Regisseur Ari Aster auf Platz 1 der Besten Horrorfilme, nachdem er im letzten Jahr mit HEREDITARY nur knapp gegen das SUSPIRIA Remake unterlag. Doch in diesem Jahr geht in Sachen Horror nichts an dem nachhaltig beklemmenden und schockierenden MIDSOMMAR vorbei.
MIDSOMMAR gibt einem bereits in der unangenehmen Eröffnungssequenz gehörig eins in die Fresse, hat man diesen veritablen Schock einigermaßen überwunden, geht es nicht weniger verstörend weiter. Der Trip einer Gruppe Twens nach Schweden zu den obskuren Feierlichkeiten der Sommersonnenwende gerät in einem surrealen Alptraum und wird zunehmend unbehaglicher wie angsteinflößender. In MIDSOMMAR trifft in gewisser Weise THE WICKER MAN auf THE SHINING, aber Ari Asters Schocker ist hochgradig originär wie fesselnd, von der ersten bis zur 147. Minute. Ein echter Test auch für eingefleischte Horrorfans.
Von der Kritik gescholten wurde Jordan Peeles Zweitwerk US, nach dem grandiosen Erfolg des Erstlings GET OUT nachvollziehbar, aber nicht für mich. Zwar hat mich US auch erst nach der Zweitsichtung gepackt, dann aber umso mehr. Ich halte US sogar für den besseren Film im Vergleich mit GET OUT, der Spannungsaufbau ist brillant, die Doppelgänger gar grässlich böse, Lupita Nyong’o ist eine Wucht in beiden Rollen, Elisabeth Moss ist auch mit von der Partie und die orchestrale Version von “I Got 5 On It” schlägt letztendlich den Doppelboden aus dem Home Invasion Fass.
Neben Pluto aus US gab es 2019 aber noch einen weiteren bösen Buben und zwar Brandon (Jackson A. Dunn) als finstere Supermanversion in BRIGHTBURN. Der landet wie einst wie Kal El per Meteoriteneinschlag auf der Erde und wird von einem Farmerpärchen adoptiert. Kurz darauf entwickelt auch Brandon Superkräfte, doch anstatt diese zum Guten einzusetzen, wechselt er zur dunklen Seite der Supermacht und wird zu einem der aggressivsten Filmbengel aller Zeiten. Was für ein böser Spaß.
THE HOLE IN THE GROUND ging im Kino ein wenig unter, dennoch sorgt auch die irische Koproduktion für schweißnasse Hände, als eine junge, alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohnemann eine tiefe Grube im Wald entdeckt. Nach dem Fund scheint sich ihr Sohn auf unheimliche Art zu verändern. Auch Alexandre Aja ist zurück und besser als zuvor, mit CRAWL inszenierte er einen messerscharf spannenden Tierhorrorfilm um gefräßige Aligatoren, welche es auf eine in Keller eingesperrte Sportschwimmerin abgesehen haben.
Die Soska Sisters nahmen sich 2019 dem mittlerweile angestaubten Frühwerk RABID von David Cronenberg an und unterzogen ihm einer wahrlich schauderlichen Frischzellenkur. Das Zweitwerk des iranischen Regisseurs Babak Anvari (UNDER THE SHADOW) wanderte indes direkt zu Netflix, WOUND ist ein verstörender Trip in den Wahnsinn mit einigen Lovecraft Anleihen, ein wenig holprig und fahrig in Storytelling und Figurenzeichnung, aber auch keine Horrorstangenware und durchaus gruselig.
Was 2019 immer noch funktioniert, sind Verfilmungen vom Godfather of Horror Stephen King. Stolze vier Filme gingen in diesem Jahr an den Start, drei Kinoproduktionen und der exklusive Netflixtitel IN THE TALL GRASS, den ich durchaus unterhaltsam fand. Besser als verhofft fiel auch das Remake von FRIEDHOF DER KUSCHELTIERE aus, der dem Stoff durch ein paar Detailveränderungen durchaus neue Aspekte abgewinnt. Kein bahnbrechender Horrorfilm, aber das war das Original von 1989 auch nicht.
Bleiben noch zwei Fortsetzungen. Das es mit ES weitergeht, stand schon nach dem ersten Teil von Andrés Muschietti fest und die Handlung springt wie gewohnt nach den Ereignissen im Derry des Jahres 1989 27 Jahre in die Zukunft, wo Pennywise erneut auf Seelenfang geht. Die Kids sind älter geworfen und sehen nun aus wie James McAvoy oder Jessica Chastain, ganz so heimelig wie im Vorgänger ist das Gefühl nicht mehr, aber wer ES mochte, wird auch ES 2 mögen. Ein bisschen anders sieht das bei der Fortsetzung von THE SHINING namens DOCTOR SLEEP aus, dessen Kerngeschichte ich eigentlich mochte, nur die Verweise auf Kubriks Klassiker hätte es nicht in der Intensität gebraucht. Dafür gibt es Ewan McGregor und Rebecca Fergusson und ein paar skurrile Momente.
“I don’t wanna quit, I just wanna be in control of it”
So schmilzt das Jahr 2019 dahin wie eine Tafel Blockschokolade im Wäschetrockner. Und ja, es gab wohl bessere Jahrgänge in den 2010ern. Aber es ist ja auch nicht so, dass sich Filmemacher und Produzenten Anfang des Jahres zusammengesetzt haben, um den Ausklang des Filmjahrzehnts dramaturgisch durchzuplanen. Film passiert immer noch einfach so. Dass sich über jede Kleinigkeit das Maul zerrissen wird, find ich ja großartig, nichts wird so emotional gelebt wie Filmleidenschaft. Nur warum alle immer so enttäuscht sind, schmerzt mich. Über Filme unterhalte ich mich derzeit am liebsten mit meinen zehn- und zwölfjährigen Nichten.
Trotz des eher streitbaren Filmjahres 2019 hatte ich Emotionen wie selten zuvor. Die erste Folge von THE UMBRELLA ACADEMY, der Teaser zu THE RISE OF SKYWALKER im April. das Lachen des Imperators, das große Zusammentreffen in Winterfell in GAME OF THRONES, die 3. Staffel STRANGER THINGS, Podling Hap aus THE DARK CRYSTAL, JOKERs Tanz in der Toilette, schwere Magengrubenschläge in CHERNOBYL, Lyra aus HIS DARK MATERIALS, Elisabeth Moss singt “Heaven” von Bryan Adams für ihre Tochter, Baby Yoda isst einen Frosch. Selten war ein Filmjahr so gemischt, aber trotzdem voller emotionaler Überraschungen.
Ich kann das alles recht gut auch mit mir allein erleben, aber manchmal, da zerreißt es mich und ich will andere teilhaben lassen an diversen Emotionen. Sollte ich mal einen Blog führen und Artikel schreiben? Denn es stinkt mich, wenn alles irgendwie verteufelt wird und alle immer nur enttäuscht sind. Dann schaut doch bis zum Rest eures Lebens TERMINATOR 2 und seid glücklich. Ich bin der Anwalt der Filme, the Movies Advocate. Es gibt kein “Heute ist alles scheiße!”, wenn schon, dann ein “Es ist genauso beknackt wie in den Jahrzehnten zuvor, aber es macht immer noch Spaß!”.
Jedes Jahr dieses Gejammer, oder Gejammer über Gejammer, weg damit jetzt. Zum Glück betrifft diese Diskussion nur Filme, zum Glück ist im richtigen Leben alles super, jeder hat sich lieb, alle respektieren sich und wir steuern auf eine grandiose Zukunft zu. Und als nächstes schaffen wir den Sarkasmus ab. Bis es soweit ist, wartet ein neues Jahr, ein neues Jahrzehnt gar voller Filme, Serien und was für Formate da noch kommen mögen. Euer Anwalt bleibt am Ball. Euch da Draußen wünsche ich jedenfalls einen geruhsamen und entspannten Jahreswechsel. Ruutscht gut rein, aber rutscht nicht aus. Eure Traumfalter Filmwerkstatt.
[…] war das Film- und Serienjahr 2019 doch putzig, man stritt sich darüber, ob MARVEL Filme emotional sind, Netflix zu den Oscars darf […]
[…] Megagurke des Jahres 2021 aber geht an DER PRINZ AUS ZAMUNDA 2 von Craig Brewer mit Eddie Murphy. Jenes Dreamteam, welches vor zwei Jahren mit DOLEMITE IS MY NAME auftrumpfte, Eddie Murphy und Wesle…, liefert mit DER PRINZ VON ZAMUNDA 2 ein Machwerk ab, welches einfach nur erschüttert und an […]