The Changeling

Da ist er wieder, der von Horrorfans am innigsten geliebte Monat des Jahres – der Shocktober. Er liegt zwischen dem septischen Tember und dem nosferatischen November, auch Schlachtmond oder Nebelung genannt. Schon in des Menschen Frühzeit hat sich der selbige mit allerlei Gruseleien verdingt, es war die Zeit der langen Pappnasen und Steuerrückbescheide, purer Horror von der Maas bis an die Memel. Auch vergiftetes Essen wurde gereicht. Bis heut hat sich die Homo Saper den Feinsinn für das Schröckliche bewahrt, im Schocktober werden Horrorfilme zelebriert und vor allem referiert, dass es nur so splattattert. Soll uns Recht sein, da machen wir mit. Doch wagen wir uns tief ins Horrorarchiv vor, wo kaum eine Leich je zuvor war und graben mit stumpfen Nägeln die vergessenen Highlights der Horrorfilmgeschichte frei, die da ungesehen vor sich hinmodern.

 

In unserer phantastischen Retroreise stationieren wir heuer im Jahr 1980. Ein großartiges Jahr für den Horrorfilm, welches mit THE FOG – NEBEL DES GRAUENS, FREITAG, DER 13. und THE SHINING diverse Klassiker hervorbrachte. Doch ein Horrorstreifen blieb lange Zeit unter dem Angstradar und war nur einigen wenigen Freaks bekannt, obgleich auch er das Zeug zum großen Klassiker hatte – der kanadische Gruselfilm THE CHANGELING von Regisseur Peter Medak mit George C. Scott in der Hauptrolle.

 

 

THE CHANGELING Retro Artwork

 

 

Peter Medak ist ein ungarischer Regisseur, der in den 50er Jahren nach England emigrierte und dort das Regiehandwerk erlernte. 1972 drehte er seinen wohl größten Erfolg THE RULING CLASS mit Peter O’ Toole, in den 90ern fiel er Genrefans mit ROMEO IS BLEEDING und SPECIES 2 auf oder auch nicht. Später inszenierte Medak Folgen der Serien BREAKING BAD und HANNIBAL. THE CHANGELING von 1980 ist das Highlight seiner Filmographie, schaffte es jedoch nicht, einen so großen Bekanntheitsgrad wie BIS DAS BLUT GEFRIERT oder AMITYVILLE zu erreichen. Trotzdem spielt THE CHANGELING im Haunted House Subgenre ganz vorn mit.

 

Nach einem tragischen Unfall, bei dem seine Frau und Tochter ums Leben kamen, zieht sich der Komponist und Musikprofessor John Russel (George C. Scott) nach Seattle zurück, um zu unterrichten, zu komponieren und den schmerzlichen Verlust zu verkraften. Er bezieht ein altes Landhaus und versucht, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Doch wie das so ist mit alten Landhäusern, beginnt es alsbald zu rumoren in der Bausubstanz. Jeden Morgen wird John von einem ohrenbetäubenden Klopfgeräusch geweckt. Er vermutet marode Wasserleitungen in den alten Wänden und stößt bei der Ursachenforschung auf ein verborgenes Kinderzimmer.

 

 

George C. Scott als schicksalsgebeutelter Komponist John Russel vor einem der gruseligsten Geisterhäuser der Filmgeschichte

 

 

In dem spinnverwebten Zimmerlein findet John einen alten Rollstuhl und eine Spieluhr, die mysteriöserweise jenes Liedchen spielt, welches John am Vortag erst komponiert hat. Oder war ihm die eingängige Melodie irgendwoher bekannt? Mit Hilfe seiner Maklerin Claire (Trish Van Devere) stellt John Nachforschungen über das Haus an und findet eine beunruhigende Verbindung zu seinem eigenen Verlust. Zuerst glaubt John, seine tote Tochter würde ihm als Geist erscheinen. Doch eine nächtliche Séance offenbart einen anderen Namen – ein Junge namens Joseph, der hier vor Jahren gelebt haben soll. John geht den geisterhaften Spuren nach und wird so in die Aufklärung eines über 70 Jahre alten Mordfalls verwickelt, der bis in hohe Politikerkreise reicht.

 

Während der eher mittelprächtige AMITYVILLE aus dem Jahr 1979 heute einen gewissen Kultstatus inne hat und 13 Fortsetzungen oder Neuauflagen nach sich zog, fristete THE CHANGELING lange Jahre ein Schattendasein unter den Haunted House Streifen. Zu Unrecht, denn zusammen mit BIS DAS BLUT GEFRIERT stellt der Gruselfilm die Speerspitze des Subgenres dar. Bereits in der ersten Szene um den tragischen Unfall von Johns Familie fesselt THE CHANGELING an die Figur des Musikprofessors, eindringlich und ruhig gespielt von George C. Scott (DR. STRANGELOVE, PATTON). Bedächtig und langsam ist auch die Inszenierung, elegische Kamerafahrten und beklemmend verzerrte Einstellungen, ein hypnotischer Soundtrack, verstaubtes und spinnwebenverhangenes Interieur sowie eine ungemütliche Soundkulisse erschaffen eine wahrlich düstere Gruselatmosphäre, auch heute noch.

 

 

Düsteres Licht und Interieur, unwirkliche Kamerawinkel und schauriges Sounddesign (hier leider nicht im Bild) erschaffen eine tolle Gruselatmosphäre

 

 

Story und Inszenierung sind durchaus unkonventionell und überaus frisch für das Jahr 1980. Die Geschichte benötigt kaum faulen Budenzauber, Jumpscares oder billige Effekte, alles wirkt klassisch, aber nicht altbacken. Die Herangehensweise an den Spukfall ähnelt vom Aufbau eher einem Krimi, doch von der audiovisuellen Inszenierung ist THE CHANGELING ein Horrorfilm par excellence, der fast frei von Genreklischees ist, von der kreischenden Claire mal abgesehen. Die Séance wiederum ist überraschend schlicht und glaubhaft inszeniert und trotzdem sehr wirkungsvoll. Da haben vergleichbare Filme deutlich mehr rumgesponnen.

 

THE CHANGELING schafft es, so gut wie alle Elemente stimmig in einem Gruselfilm zu vereinen, Story, Hauptfigur, Setting und Atmosphäre. In seinen besten Momenten ist THE CHANGELING auch heute noch überaus gruselig. THE SHINING, der nur wenige Monate später erschien, mag moderner und vor allem radikaler inszeniert sein, aber THE CHANGELING ist wohl einer der modernsten klassischen Grusler des Subgenres und er wirkt auch heute noch alles andere als verkrustet und angestaubt.

 

Obgleich THE CHANGELING gute Kritiken und Auszeichnungen bekam, geriet er nach Veröffentlichung dezent in Vergessenheit. In Deutschland wurde er unter dem Untitel DAS GRAUEN auf VHS veröffentlicht, die deutsche Synchro ist mittelprächtig, auch die Mischung lässt zu wünschen übrig. 2002 wurde THE CHANGELING von Kinowelt auf DVD veröffentlicht, trotz zweier Neuauflagen sind die Discs momentan vergriffen und erzielen hohe Preise auch im Gebrauchtsektor. Eine deutsche Blu-ray VÖ ist nicht abzusehen, allerdings existiert seit August 2018 eine ländercodefreie Blu-ray von Second Sight, auch in limitierter Special Edition inklusive Soundtrack CD und schickem neuen Artwork.

 

Second Sight (Limited Edition Blu-ray)

 

  • ungewöhnliche Geistergeschichte
  • George C. Scott
  • Musik von Rick Wilkins
  • tolle Kameraarbeit
  • cooles “Haunted House”
  • noch immer unheimlich
  • verstörende Séance
  • Rollstuhl Attacke
  • Kreischling Claire
  • deutsche Tonmischung stümperhaft

 

FAZIT:

Einer der besten klassischen Haunted House Geisterfilme, für das Jahr 1980 überaus modern und klischeefrei inszeniert und auch heute noch voll unheimlicher Gruselatmosphäre. Eine vergessene Horrorperle.

 

THE CHANGELING, USA 1980, Regie: Peter Medak, Drehbuch: R. Hunter, W. Gray & D. Maddox
Für Fans von BIS DAS BLUT GEFRIERT, DER MIETER & AMITYVILLE

 

 

One Comment

  1. Antworten

    […] Retro Review #33: THE CHANGELING (1980) von Peter Medak […]

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