Stimmungsmache
Script Development XII: Moods & Boards & Visuals

Filmstoffentwicklung, qu’est ce que c’est? Ein Handwerk, eine Reise, ein Regal voller Leitz-Ordner? Werkzeuge der Stoffentwicklung wie Exposé, Treatment, Step-Outline – grobe Raspeln oder Präzisionskreuzschlitze? Und welchen Wert hat die Recherche, wenn sie nicht niedergeschrieben ist in endlosen Ausdrucken, handverlesen, hingekritzelt, rauskopiert, abgeheftet – ein gut recherchierter Film muss mindestens 10 Hektar Waldfläche verbraten, um eine glaubhafte Geschichte liefern zu können. Schriftgröße 3,2. Schrift, Wörter, Wortgruppen, Halbsätze, Gegensätze – Stoffentwicklung ist Arbeit, vorrangig Schreibarbeit, denkt man, aber ich lehne mich dagegen auf, schmeiß alle Leitzordner vom Balkon und drück die Augen feste zu, bis bunte Würmer hinter meinen Lidern tanzen.

 

 

 

 

Das Handwerkzeug eines Autoren ist das Wort? Nicht ganz, es sei denn, man schreibt einen Roman, da sind Worte von essentieller Bedeutung für das Endprodukt. Aber ein Drehbuch? Wie ein Drehbuch nur ein Zwischenprodukt darstellt, sind auch Wörter für den Drehbuchautoren vielmehr Mittel zum Zweck. Das wichtigste Werkzeug des Stoffentwicklers oder des Drehbuchautoren ist nicht das Wort, sondern das Bild. Sicher wird man um Worte auf Papier nicht herumkommen, wenn man ein Drehbuch schreiben will. Aber der Weg dahin führt noch immer über Tonnen an gedruckten Papier oder berstende Festplatten voller Word-Dokumente. Dann sitzt man da, mit der 400-seitigen Recherche über die Biedermeierzeit, blättert vor und zurück und findet keinen Weg, das Wohnzimmer des Protagonisten zu verbildlichen und somit die Szene zu beginnen. Ein Dilemma.

 

 

Auf beiden Augen stumm

 

Auch ich besitze unzählige Ordner mit unzähligen Unterordnern, die ich durchwühlt habe auf der Suche nach Bildern für einen Artikel über Visualisierungshilfen im Stoffentwicklungsprozess. Ein Projekt aus dem Jahr 2002, welches es nie zu auch nur einer Drehbuchfassung geschafft hat, quoll über vor Word-Dokumenten. Ein anderes Projekt aus dem Jahr 2012 bestand aus einem Ordner voller Fotos. Was hat sich verändert? Ich schreibe weniger mit den Fingern, weit mehr mit den Augen. Ein Bild kann eine Initialzündung für eine Geschichte sein und Bilder sind für den Stoffentwicklungsprozess wie Öl für den Verbrennungsmotor.

 

Doch eins nach dem anderen. Visualisierungshilfen im Filmbereich sind hinlänglich bekannt, doch deren Einsatz wird häufig missverstanden. Ein Storyboard oder ein Moodboard, beide Werkzeuge, so glaubt man, kommen erst zum Zuge, wenn der Stoffentwicklungsprozess abgeschlossen gilt. Ein Storyboard dient als Visualisierungshilfe zwischen Autor, Regisseur und Kameramann, ein Moodboard verdeutlicht nicht nur Produzenten oder Auftraggebern das visuelle Konzept, sondern auch Kostümdesignern, Set-Dekorateuren und Ausstattern. Doch beide Werkzeuge sind auch Universalübersetzer für Autoren.

 

 

visual_shoot

 

 

Dabei ist das bekannte Storyboard vielleicht eine zu vernachlässigende Größe. Sein größter Nutzen liegt in der Übersetzung für andere Gewerke, in einer klaren Struktur des Bildes. Storyboards werden zudem nur sequenziell verwendet, wenn eine Szene visuell vielschichtig aufgelöst werden soll, vorrangig sind das Actionszenen, schwierige Montagen oder auch elegante, mikroskopische Aufdröselungen für Werbung und Imagefilme. Storyboards sollen Leuten visuelle Hilfestellung geben, die nicht direkt aus einem Drehbuch Bilder herausfiltern können.

 

Helfen einem Storyboards auch beim eigenen Schreibprozess? Klar, warum nicht das Pferd von hinten aufzäumen. Actionsequenzen im Drehbuch sind schwieriger Natur, denn sie bedingen eine noch stärkere Visualität, man kann sich schnell verheddern, wenn man nur über das Wort an eine solche Sequenz herangeht. Natürlich kann man an solchen Stellen im Drehbuch keine Skizzen hinkritzeln, da gibt’s nur schiefe Münder. Aber ein optisches Auflösen einer solchen Szene, bevor man sie mit Worten formt, kann einem eine große Hilfe sein. Denn bestenfalls steht in einem Drehbuch nur das, was man sieht oder hört. Kausale Zusammenhänge oder verbalisierte Rückschlüsse, ein “wie” und “warum”, das alles ist im Drehbuch letztendlich nicht förderlich. Für szenisches Schreiben kann ein Storyboard ein gutes Hilfsmittel sein, denn es zwingt einen förmlich, die Szene visuell durchzuspielen.

 

 

Szenenauflösung per Storyboard, ZEITSCHLEIFEEEE (2007)

 

Storyboards werden immer als filigran und künstlerisch wahrgenommen, das sieht immer alles toll aus, mit tollen Gesichtern, Pfeilen, neckischen Details. Doch nur Storyboards, die anderen etwas visualisieren oder verkaufen sollen, haben den Anspruch, ein bisschen Kunstwerk sein zu dürfen. Für den eigenen Prozess des Visualisierens braucht man deshalb kein Caspar David Friedrich zu sein, man muss noch nicht mal Kenntnisse darüber haben, wie man ein Storyboard anfertigt. Storyboards werden auch mit den Augen geschrieben. Vielleicht ist hier der Begriff Storyboard auch zu eng. Jede Skizze, jeder Scribble, jeder Bleistiftkrakel ist willkommen, wenn er einen hilft, einen visuellen Fluss zu finden, den man dann wiederum in Worte transponiert. Wenn man sklavisch darauf achtet, nur das visuelle wiederzugeben, tritt man aus der Falle, dass komplexe Szenen im Drehbuch zu einer Laber- und Erklärstunde werden. Gerade bei nonverbaler Erzählweise, bei Actionszenen, Montagen, Zeitsprüngen kann das extrem hilfreich sein. Am Ende will das Storyboard auch niemand sehen. Es ist und bleibt ein Hilfsmittel. Es will ja auch niemand die Tastatur sehen, auf der man das Script getippt hat.

 

 

Mood zur Lücke

 

Dennoch, Storyboards sind nicht die wichtigsten Hilfsmittel im Stoffentwicklungsprozess. Viel hilfreicher können Moodboards sein. Ein Moodboard fängt, wie der Name schon sagt, eine Stimmung ein. Moodboards werden wie Storyboards hauptsächlich zur Präsentation eingesetzt, vorrangig in der Werbung und beim Produktdesign. Im Bereich Film hilft ein Moodboard der Setgestaltung und ist ein Arbeitsmittel des Ausstatters und des Set-Designers. Ein Moodboard vereint Formen, Farben, Stile, Materialen, Lichtstimmungen, Layoutfragen, kurz, wie Teile des Films oder seine Gesamtheit wirken – visuell natürlich.

 

 

 

 

Jeder Film hat eine Farbe, damit meine ich nicht Schwarz-Weiß oder Technicolor, sondern eine gefühlte Farbe. Nein, das klingt zu wässrig. Jeder Film sollte ein optisches Konzept haben, Farben sind nur ein Teil davon, aber ein immenser. Aber die Farbgestaltung eines Films ist gar nicht Aufgabe eines Autoren, hört man es raunen in den Chefetagen der Entscheider. Ich lehne mich dagegen auf, denn es degradiert den Autor als reinen Wortjongleur. Die Aufgabe eines Autoren ist nicht, Wörter aneinanderzureihen, damit am Ende ein Drehbuch resultiert, welches möglichst viel Abstand hat, damit ein Regisseur überhaupt noch etwas zu tun hat. Woraus soll ein solches Drehbuch denn entstehen? Jedenfalls nicht im luftleeren Raum.

 

Titellayout als Stimmungsbarometer mittels “Bild-Schrift-Marke” oder Logo

Ein Drehbuch soll mir nicht ein Drehbuch erzählen, ein Drehbuch soll einen Film erzählen. Und ein Film besteht auch aus Stimmungen, aus Farben, aus Formen. Dererlei Fragen gehören zum Prozess dazu und sind nicht nur das Ergebnis irgendeines Filters. MATRIX ist ein kaltes Blau, PUSHING DAISIES ein kräftiger Farbtopf, INTERSTELLAR ist klinisch weiß, AUSTIN POWERS wirkt ocker.

 

Das sieht nicht nur gut aus, das hat manchmal auch einen dramaturgischen Grund. Doch im Gegensatz zum Storyboard geht hier die Findung über den Weg der Selbstvisualisierung hinaus. Denn im Drehbuch selbst kann man nur partiell auf Stimmungen eingehen, so sie überhaupt durch Worte eine Wirkung erzielen.

 

 

Schlichtes Moodboard zu TEILCHEN OHNE MASSE (2012)

 

Moodboards gehören zum Stoffentwicklungsprozess, noch bevor auch nur eine Treatmentzeile verfasst wird. Sie greifen weit früher als Figuren und Story. Aus diesem Grund sind Moodboards auch im Bereich Stoffakquise oder Pitching extrem hilfreich. Mein Mantra an alle Stoffentwickler und Autoren da Draußen: Verkauft kein Drehbuch, verkauft den Film! Alles, was visualisiert, ist hilfreich. Normalerweise sind Moodboards filigrane Basteleien, soweit muss man meist gar nicht gehen. Ein einfarbiger Umschlag für Pitch oder Exposé kann das ebenfalls bewirken. Wähle ich für einen düsteren Horrorfilm einen rosafarbenen Einband? Wohl kaum. Eine luftige Komödie verpacke ich nicht in Popelgrün. Egal wie, gebt eurer Geschichte eine Farbe. Denn Farbe bedeutet Tonalität.

 

 

imago abstractus

 

Doch da lauern auch Stolpersteinchen, denn je genauer man visualisiert, desto mehr läuft man Gefahr, bevormundend verstanden zu werden. Es ist auch klar, dass kein Moodboard über strukturelle Fehler im Drehbuch hinwegtäuschen kann. Doch Probleme tauchen meist dahingehend auf, dass sich ein Entscheider zu stark bevormundet fühlt, die Geschichte mit all ihrer Tonalität vorm inneren Auge selbst entstehen zu lassen. Ich will das nicht verallgemeinern, es gibt auch genauso viele Fälle, bei denen jemand vor lauter Wörtern kein einziges Bild geliefert bekommt. Aber Entscheider sind auch manchmal schwierig. Moodboards mögen da vielleicht noch willkommen sein, darüber hinaus kann es manchmal auch nach hinten losgehen.

 

 

Comic-Figuren als Visualisierung von echten Menschen, geht denn das?

 

Denn es gibt unzählige Möglichkeiten, einen Filmstoff neben dem Wort zu visualisieren. Gestalte ich für den Pitch oder das Drehbuch ein Coverartwork, ein Teaserplakat, dann funktioniert das nicht groß anders als es ein Moodboard tut, solange ich abstrakt bleibe. Abstrakt bedeutet in dem Fall, ich vermittle Farben, Stimmungen, wähle Symbole, Icons, fokussiere den Titel durch eine schnittige Bild-Schriftmarke. Doch sobald ich ein Gesicht verwende, gehen die Probleme los.

 

Dafür können beispielsweise Produzenten oder Redakteure nur bedingt etwas. Wahrscheinlich wurden sie zu oft mit Besetzungsvorschlägen von Autorenseite zugetextet, weil jener Autor das Buch nur in Gedanken an, was weiß ich, Ruth Moschner schreiben konnte. Ich hab dann selbst die Erfahrung gemacht, das kommt meist nicht so gut. Das Wort “abstrakt” trifft da auch weiterhin zu, denn knalle ich auf ein Coverartwork Will Smith drauf, funktioniert das noch eher als wähle ich Götz George. Ein Götz George wird dann nicht als Visualisierung, sondern als Besetzungsvorschlag aufgefasst, zu Recht oder zu Unrecht spielt keine Rolle. Produzenten reagieren ganz allergisch auf Besetzungsvorschläge. Ein Autor sollte das auch nicht tun, aber warum darf er Farben und Stimmungen visualisieren, aber nicht so etwas konkretes wie Figuren?

 

 

Farbe bedeutet Tonalität, KLEPTOMANIACS (2011)

 

Es wird ja ohnehin gemacht, verbal meine ich, da hört man vom Typ Ellen Page (klein und burschikos), vom Typ Martin Freeman (schusslig und stammelnd) oder von einem “italienischen Bruce Willis” (der griechische Schauspieler Yanis Varoufakis). Verbal nützen solche Typisierungen auch nur aufgrund von Visualität, von Prägung, vom Aha-Effekt. Doch wählt man Hollywood-Stars für die Visualisierung seiner Figuren als Typ, dann wird man belächelt, wählt man deutsche Schauspieler, dann versteht man das als Besetzungsvorschlag. Später habe ich Comicbilder meiner Hauptfiguren entworfen, was die Frage aufwarf, ob das nun ein Real- oder Animationsfilm werden soll. Was also tun?

 

 

Google ist ein Stoffentwickler

 

Ich habe im Entwicklungsprozess eigener oder externer Stoffe oft den Weg gewählt, Fotos von Freunden oder Bekannten zu machen und zu verwenden. Dabei ging es weniger um Rollen als um das Einfangen von Mimiken, von Typen. Für Artworkzwecke ist das eine Möglichkeit, Kumpels anrufen, Kleiderschränke plündern, raus auf die Straße und Fotos machen. Es geht ja auch nicht darum, das geschriebene Wort zu ersetzen, sondern visuell zu füttern. Ich kann viele Eigenschaften in einem bestimmten Gesichtsausdruck bündeln, es geht dann eher den Weg vom Geschriebenen zum Bild.

 

Sehe ich eine Gesicht auf dem Cover eines Pitches, mag mir das erstmal vielleicht nichts sagen. Lese ich dann von einer Figur, die keck und verschlagen ist und entdecke das dann in einem Gesicht, kann das eine Wirkung entfalten. Generell sind Fotos eine absolute Allzweckwaffe. Statt über die Geschichte der industriellen Revolution zu recherchieren helfen einem alte Fotografien aus dem Industriezeitalter beim Schreiben wesentlich mehr. Ich will nicht die Recherche an sich verdammen, aber ich habe beobachtet, dass einem hundertseitige Abhandlungen weniger helfen als ein Bild, ein Comic, eine Playmobilfigur, eine Konzeptzeichnung.

 

Ich gehe manchmal sogar noch weiter. Weil ich weiß, wie stark mich Bildern beeinflussen beim Schreiben, will ich manchmal noch mehr, ich will senden und empfangen. Ich mache gern Visuals und Artwork für Projekte, noch lieber aber lasse ich machen. Für ein Serienprojekt habe ich markante Szenenbilder entwerfen lassen, von einem externen Zeichner. Der Hauptgrund dafür war, dass ich mich dadurch selbst anstachel. Das kann ungemein aufregend sein. Ich beschreibe dem Gegenüber die Szene, er entwickelt daraus ein Comicbild. Wenn ich es sehe, dann stößt das bei mir wieder neue Gedanken oder Bilder an, stärker, als wenn ich im eigenen Photoshopsumpf veröde.

 

Konzeptzeichnung “Scheuch” für THE WIZARD OF OZ (1999)

Ich bin auch gar nicht mehr der Meinung, dass sich in Stoffentwicklungsabteilungen die Leitz-Ordner stapeln. Heute hängen da große Pinnwände mit Bildern, mit Moodboards, mit Gesichtern. Das mache ich auch so. Ich kritzel meine Hauptfigur oder google ein Pendant, hänge sie neben meinen Schreibtisch und starre sie an. Ich frage sie “Was willst du?”, “Wie würdest du jetzt reagieren?” Auch wenn das Bild schweigt, die Figur schweigt nicht, sie sendet Signale. Was für Figuren gilt, gilt auch für Stimmungen und Optik.

 

Es ist heute so einfach, sich visuell aufzuputschen? Google findet alles, Google hilft, wie es in einem abgebrannten Haus aussieht, in einer Oper, einem Flüchtlingslager in Afrika, Google ist ein reiner Stoffentwickler. Aus diesem Grund hat sich der Wort-Bild-Anteil in meinen Ordnern in Richtung Bild verschoben. Seitenweise erdachte Biografien helfen einem nicht so gut, eine Figur zum Leben zu erwecken als ein Blick, eine Mimik, ein Augenspiel. und es schadet auch nicht, einen Film von hinten aufzuzäumen, mit einem Plakatmotiv zu beginnen, um den visuellen Kern zu finden und in ihm zu baden. Ein Bild ist ein universales Übersetzungsmodul für Sender und Empfänger, aber auch zwischen dem inneren Auge und dem blöden Stück Papier.

 

 

One Comment

  1. Antworten

    […] oder sonstigen Entscheidern im Entwicklungsprozess eine Rolle spielen. Der Titel auf dem Exposé, Pitch, Treatment oder Drehbuch soll ja in erster Linie das Interesse des Entscheiders entfachen. Der […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de