Scheinwerfer
Script Development XVII: Lichtdramaturgie

Licht. Du rätselhaftes Wesen. Wo kommst du her, du sichtbarer Teil des elektromagnetischen Spektrums? War früher wirklich alles dunkel, bis Gott sprach, es werde Licht? Man hat versucht, dich zu vermessen, man trug dich säckeweise in dunkle Rathäuser, aber du warst einfach nicht zu fassen. Bis dich Thomas Edison mit Hilfe von Elektrizität unterwarf und dich in Glühbirnen stopfte. Für teuer Geld, wohlgemerkt! In muffigen Großraumbüros aber war´s dir irgendwann zu langweilig, du wolltest berühmt sein, ein heller Stern am Broadway. So gingst du zum Film. Schwere Buben trugen dich von Set zu Set, du wurdest kilowattweise im Studio verstreut, auf geschminkte Gesichter geworfen und wieder eingefangen durch die Camera Obscura.

 

 

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Das Medium Film ist ohne Licht nicht existent. Beleuchtung, Belichtung, Projektion, ohne Licht undenkbar. Licht im Film ist für viele eine rein technische Angelegenheit. Wer schon mal auf einem Filmset war, der kennt vor allem den technischen Aufwand von Filmlichtgestaltung. Kräftige Kerle mit Stirnbandlampen und Halbfingerhandschuhen, die dicke schwarze Kabel schleppen, dicke Scheinwerfer auf Stative hieven, Farbfolien mit Wäscheklammern anheften und so Sätze äußern wie: “Ich sag mal, zwei Stunden für`s Licht…”.

 

Licht im Film kann verschiedene Funktionen einnehmen. Meist aber reduziert sich der Lichtaufwand auf die Aussage: “Die Szene ist gut augeleuchtet!” Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Licht wird beim Film nicht nur benutzt, dass und wie man etwas sieht. Lichtgestaltung ist Teil der Dramaturgie.

 

 

Dramaturgie, das ist etwas für Dramaturgen, so sagt man. Aber es stimmt nicht. Dramaturgie hört nicht auf, wenn das Drehbuch beendet ist. Viele Gewerke des Films übersetzen dramaturgische Aspekte des Drehbuchs in ihre Sprache. Schauspielführung, Kamerabewegung, Kostüm, Maske, Ton, Schnitt, all das liegt mehr oder minder kryptisch im Script verborgen und wartet darauf, interpretiert und visualisiert zu werden. Auch Licht gehört dazu, nur sind diese Informationen oft mehr versteckt als andere.

 

Im Drehbuch stehen Tag, Nacht, Sonnenauf- und Sonnenuntergang, schummrige Disco, kaltes Großraumbüro, Diner bei Kerzenschein. Licht übersetzt Stimmungen ins Sichtbare. Aber Licht kann noch mehr. Licht beim Film kann immense dramaturgische Funktionen einnehmen, für Story, Figuren und Emotionen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Lichtdramaturgie.

 

Wenn die Kamera eine Leinwand ist, dann ist Licht für den Film wie Pinsel und Farbe. Licht im Film kann Wahrheiten bekunden, es kann aber auch lügen und verräterisch sein. Lichtsetzung im Film ist weniger die Wiedergabe der Realität, Licht im Film ist ein Arrangement, eine Simulation. Licht kommt in den meisten Fällen aus Scheinwerfern, ein schönes, wie auch doppeldeutiges Wort. Denn Licht kann Fragen aufwerfen, Informationen unterschlagen, einen Anschein erwecken.

 

Wir wollen uns das heute einmal genauer anschauen. Wie kann Licht auf Figuren, auf Story und auf Stimmungen übertragen oder interpretiert werden? Gehen wir weg von der grauen Theorie und schauen uns das an bildlichen Beispielen an.

 

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Licht bestimmt durch Menge, Richtung und Intensität die filmische Bildsprache. Eine mögliche Lichtausdrucksform ist die High-Key-Technik, die bereits in den Anfangstagen Hollywoods verwandt wurde. Durch ein hoch-aufgehängtes Dreipunktlicht werden Szenerie und Figuren gleichmäßig hell, diffus, weich und niederkontrastig ausgeleuchtet. Ziel ist das maximal Sichtbare.

 

Eine solche Lichtgestaltung ist in erster Linie für Genre und Tonalität des Films entscheidend. Herrscht eine positive Ausgangslage, Hoffnung, Glück und Zuversicht, kann das am besten ein klares, helles und scharfes Bild ausdrücken. Die Technik findet vor allem in der Komödie oder der Soap Verwendung, aber auch im Fantasiefilm und in positiven Science-Fiction-Utopien.

 

 

MOONRISE KINGDOM (2012). Regisseur Wes Anderson verwendet fast ausschließlich High-Key-Techniken, denn Filme von Anderson sind meist vollgestopft mit liebenswerten Details, die überaus sichtbar sind. Es sind leicht entrückte, surreale Parallelwelten mit ganz eigener Bildsprache und intensiven Farben.

 

Dem gegenüber steht der Begriff Low-Key-Ausleuchtung. Hier werden große Bildteile sehr selektiv und im niedrigen Helligkeitsniveau geleuchtet. Hintergründe sind dunkel, der Beleuchter spricht vom “Hintergrund absaufen lassen”. Es gibt Schatten und filigrane Übergänge zwischen Mitteltönen und Lichtern und intensive Kontraste. Szenen, die so ausgeleuchtet sind, verströmen eine düstere, mystische, geheimnisvolle und sogar erotische Stimmung. Low-Key-Ausleuchtung kommt deshalb vorrangig beim Genrefilm zum Einsatz, vor allem aber beim Horrorfilm, Thriller und bei Dystopien. Wo viel Dunkelheit und Schatten herrscht, da können sich Zweifel, Ängste und Gefahren verstecken.

 

 

GONE GIRL (2014). Ex-Werbefilmer Fincher weiß die Düsternis und Schwermut seiner Geschichten und Figuren exzellent zu visualisieren, vorrangig durch Low-Key-Lighting. Sie spielt für die Stimmung und Atmosphäre eine ebenso große Rolle wie für die Charaktersierung von Figuren mit Geheimnissen und dunklen Flecken in ihrer Persönlichkeit.

 

High-Key und Low-Key-Ausleuchtungen sind grundverschiedene Lichtbildsprachen. Bereits in den Anfangstagen des Films haben sich beide Richtungen in konzentrierter Form weiterentwickelt. High-Key-Lighting unterstützte beispielsweise die Wirkung des in den zwanziger Jahren entwickelten Technicolor-Verfahren, Low-Key-Lighting wurde im Film Noir der vierziger Jahre perfektioniert.

 

 

DER ZAUBERER VON OZ (1939). Im Gegensatz zum monochromen Kansas ist das magische Land Oz farbenprächtig und hell ausgeleuchtet. High-Key-Lighting fungiert nicht nur als Stimmungsaufheller, es trennt reale Orte von Traumwelten.

 

Der Film Noir verwendet dagegen eine Weiterentwicklung der Low-Key-Ausleuchtung aus dem expressionistischem Film der zwanziger Jahre. Hell-Dunkel-Kontraste erhöhen hier die pessimistischen und verbitterten Figuren und ihre Zwiespältigkeit. Zusätzlich vergrößert diese Lichtgestaltung die Fokussierung der hellen Bereiche, die somit mehr Bedeutung erfahren.

 

 

DER DRITTE MANN (1949): Obgleich der britische Klassiker von Carol Reed nicht zum amerikanischen Film Noir zählt, entwickelt er doch die visuellen Gestaltungselemente des Film Noirs weiter. Man spricht in diesem Fall auch von einer perfektionierten Schwarz-Weiß-Dramaturgie.

 

Für Szenerie und Stimmung sind High- oder Low-Key-Ausleuchtungen von entscheidender Bedeutung, aber auch Figuren können damit gezeichnet werden. Doch ganz so geradlinig lassen sich Hell und Dunkel nicht psychologisieren. High-Key-Ausleuchtung kann nicht nur Glück oder Hoffnung visualisieren, auch das Gefühl der Ausgeliefertheit oder seelische Leere kann damit ausgelöst werden.

 

 

TREE OF LIFE (2011): Tiefe Trauer, doch kein Ort zum Verstecken. Jessica Chastain repräsentiert das Licht der Heiligkeit als auch den Weg der Gnade. High-Key-Ausleuchtung verwehrt hier den Schutz der Dunkelheit und Schatten und symbolisiert Machtlosigkeit. Die wunderbare Ausleuchtung des Films transportiert hier ganz andere Kontexte.

 

In der Low-Key-Ausleuchtung dagegen steckt nicht nur Abgrund oder Pessimismus. Dunkelheit, Schatten und filigrane Lichtabstufungen visualisieren auch Erfahrung. Licht und Schatten wirken wie Falten, Figuren, die so beleuchtet werden, haben oft die Schattenseiten des Lebens gesehen.

 

 

SEVEN (1995) von David Fincher. Im Gesicht von Morgan Freeman spiegeln sich weniger eigene seelische Abgründe als immerwährende Bedrückung wie Monotonie durch eine lange Berufserfahrung. Zudem kann Low-Key-Lighting innere Beweggründe verschleiern. In der Nacht sind alle Katzen grau, heißt, in der Dunkelheit sind äußerliche Unterschiede schwerer zu erkennen.

 

Es hat den Anschein, dass sich High-Key und Low-Key-Ausleuchtung extrem abgrenzen voneinander, aber es gibt auch Mischformen. Gerade diese unterstreichen die beiden Pole Positiv und Negativ und stellen sie in dramaturgischen Zusammenhang. Traumsequenzen können auch im Horrorfilm oder Thriller durch High-Key-Ausleuchtung realisiert werden, wie auch in hellen, frohen Fantasiewelten oder Liebesfilmen dunkle Ecken und Regenwolken das Idyll zerstören können.

 

 

THE DARK KNIGHT (2008) von Christopher Nolan: Dramaturgische Verwendung einer High- und Low-Key-Kombination. Gordon versucht im Verhör mit dem Joker Wahrheiten zu finden, doch der Joker versteckt sich in der Low-Key-Ausleuchtung. Durch Batman wechselt die Lichtgestaltung, seine Verhörmethoden bringen Licht ins Dunkel.

 

 

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Backlight oder Hintergrundlicht kann verschiedene dramaturgische Funktionen einnehmen. Für Figuren ist es entscheidend, wie sie gegenüber dem Hintergrundlicht positioniert sind. Backlight steht zum einen für Gefahr und Verschleierung, Autoscheinwerfer blenden, im Verhörzimmer kann man durch Licht sein Gegenüber schwer erkennen. Doch steht eine Figur mit dem Rücken zur Lichtquelle, wird sie selbst zu einem Faktor der Unsicherheit. Denn durch ein Anstrahlen aus dem Hintergrund verlieren die Figuren an Sichtbarkeit und werden zu Schemen.

 

 

A NIGHTMARE ON ELM STREET (2010). Backlight dient in erster Linie der Verunsicherung. Die Figuren sind nur schemenhaft zu erkennen, von ihnen geht meist Gefahr aus.

 

Aber Backlight kann noch ganz andere Funktionen haben. Auch positive Mystik und Traumhaftigkeit kann dadurch transportiert werden. Backlight steht auch für das Überhöhte. Es wird verwandt, um Figuren zu verschleiern, damit sie eine größere Sichtbarkeit als solche erlangen, weg von den Details einer High-Key-Ausleuchtung. Somit verstärkt Backlight auch Neugierde.

 

 

COUNTRY STRONG (2010): Backlight wirkt hier als Verschleierung und Fixierung des größeren Ganzen. Gwyneth Paltrow selbst steht weniger im Fokus als ihr Tun, nicht sie im Detail ist entscheidend, sondern die Strahlkraft von dem, was sie tut. Gerade weil Backlight Details verschleiert, wirkt es anziehend.

 

Letztlich wird Backlight auch eingesetzt, um Schönheit und Anmut zu visualisieren. Der helle Schein, das Licht am Ende des Tunnel, die Ausstrahlung eines Engels, Licht hinter einer Person bedeutet oftmals Heiligkeit und Erlösung. Psychologisch kann Backlight auch Rückendeckung bedeuten.

 

 

SIN CITY (2005): Backlight als Symbol des Göttlichen. Hinter John Hartigan steht Nancy, das Licht seines Lebens.

 

Sobald eine Figur von hinten beleuchtet wird, entsteht eine Art Corona um sie. Zusammen mit Softlight kann das wie ein heiliges Leuchten wirken, ein sogenannter Halo-Effekt. Solche Effekte werden ot verwandt, um Figuren zu visualisieren, die sich auf dem Weg ins Jenseits befinden, frisch Verstorbene oder Geister. Ein solches Glühen wird aber auch verwandt, um das Göttliche zu visualiseren.

 

 

KAMPF DER TITANEN: Backlight mit Halo-Effekt als Visualisierung des Göttervaters Zeus.

 

 

SHUTTER ISLAND (2010): Bewegende Szene, der Übergang ins Jenseits mittels Halo-Effekt.

 

Eine noch stärkere Verzerrung erfährt Backlighting, wenn es so eingesetzt wird, dass die Figuren nur noch als Silhouetten wahrgenommen werden. Von Silhouetten geht eine tiefe Symbolik aus, es bedarf keiner Details, der Umriss verdichtet und sendet ein klares, schnell einprägsames Bild.

 

 

BAND OF BROTHERS (2001): Silhouetten werden genutzt, um eine klare Außendarstellung zu visualisieren. Silhouetten haben großen Wiedererkennungswert und wirken deshalb plakativ. Was sich nicht aus der Silhouette herauslesen lässt, ist das Detail. Die Silhouette schildert demnach ein distanziertes Trugbild.

 

Silhouetten werden demzufolge gern für ikonische Aufnahmen genutzt. Sie symbolisieren dann eine Figur oder eine Gemeinschaft als prägnantes Bild, welches sich in den Köpfen festsetzt. Superhelden kann man oft an ihrer bloßen Silhouette erkennen. Aber die Silhouette kann noch mehr:

 

 

DER HERR DER RINGE – DIE GEFÄHRTEN (2001): Jede einzelne Figur braucht Licht, um sie zu charakterisieren. Für etwas größeres als egomaner Individualismus reicht die Silhouette. Sie entfernt sich vom Detail des Einzelnen und visualisiert die Gemeinschaft der Gefährten als Ganzes.

 

 

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Für Figuren hat die Lichtrichtung eine entscheidende Bedeutung. Beginnen wir mit einem eher selteneren Beispiel – Licht, das von oben kommt. Zwar scheint uns allen die Sonne auf den Kopf, abseits davon wirkt Licht von oben oftmals unnatürlich. Es gibt verschiedene Funktionen, wenn Licht mehr oder minder im Lot auf den Schopf der Figur fällt.

 

 

DER PATE (1972): Don Vito Corleone ist der Pate, eine verehrte und gottgleiche Gestalt. Auf sein Haupt scheint Licht, mehr noch, er scheint in einer entscheidenden Szene aus Coppolas Klassiker in einem direkten Lichtkegel zu stehen bzw. zu sitzen. Die Interpretation ist klar, Don Vito ist das gottgleiche Oberhaupt einer großen Mafiafamilie.

 

 

Steht man in einem Lichtkegel, steht man im Mittelpunkt des Interesses. Spotlights haben vor allem das Theater geprägt, egal ob frontal oder on top. Diese Art der Ausleuchtung wirkt per se theatralisch. Ein solcher Effekt verstärkt aber auch das Aufmerksamkeitspotential von Figuren im Film.

 

 

BRONSON (2009): Top Lighting als Überhöhung und Differenzierung zwischen Real- und Kunstfigur. Der Fokus der Aufmerksamkeit liegt eindeutig auf Bronson.

 

Der Ausspruch: “Da geht mir ein Licht auf!” wird meist mit einer Glühbirne verdeutlicht, die über dem Schopf zu leuchten beginnt. Was nach Comic klingt, wird im Film häufig tatsächlich so eingesetzt, natürlich ein wenig subtiler. Licht gilt hier Überträger von Erkenntnissen.

 

 

MILLION DOLLAR BABY (2004). Lehrer und Schüler, lehren und lernen – das wird oft mit Top Lighting visualisiert. Hilary Swank steht wahrlich im Lichte der Erkenntnis.

 

Im Gegensatz zum allgemeinen Auffassung von Hell – Gut, Dunkel – Böse, gibt es auch Beispiele, wo Licht auch für Antagonisten verwandt wird, zum Teil im verräterischen Top Lighting. Das kann aus purer Täuschung heraus geschehen als auch als Mittel zur Differenzierung und der Perspektive.

 

 

INGLORIOUS BASTERDS (2009): SS-Standartenführer Hans Landa ist eine zwiespältige Figur und wird oftmals von oben beleuchtet. Das unterstreicht seine Ambivalenz, denn Landa ist wortgewandt, besonnen, emotional und leidenschaftlich. Doch der (Licht)schein trügt.

 

 

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Licht, welches seitlich auf ein Objekt oder ein Gesicht trifft, hat die Eigenschaft, es in eine helle und dunkle Seite zu teilen. So steht Side Lighting häufig für innere Zerrissenheit und Zweifel. Das beste Beispiel stammt aus einer Filmreihe, bei der die helle und dunkle Seite eine immense Rolle spielt.

 

 

DIE RÜCKKEHR DER JEDI-RITTER (1983): Luke Skywalker am Ende seiner langen Reise zur dunklen Seite der Macht. In keiner anderen Szene wird sein Zwiespalt gegenüber Liebe und Hass so deutlich wie vor dem letzten Kampf gegen Darth Vader und dem Imperator. In Luke schlummern beide Seiten – visualisiert wird es durch Side Lighting.

 

Zweifel, dunkle Seiten und Tendenzen, Unsicherheit und Kampf gegen innere Dämonen – wann immer das ein Gesicht spiegeln muss, wird auf Side Lighting zurückgegriffen.

 

 

APOCALYPSE NOW (1979): Sowohl Captain Willard als auch Colonel Kurtz sind innerlich wie äußerlich gezeichnet von den Schrecken des Vietnamkrieges.

 

 

UNDER THE SKIN (2013): Scarlett Johansson als Alien-Vampir in Zerrüttung mit sich und ihrem selbstverständlichen Tun. Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel APOCALYPSE NOW ist hier die helle Seite der Unsicherheitsfaktor, der Alien-Vampir zwiegespalten durch die Komplexität des Lebens, die sie zu entschlüsseln versucht.

 

 

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Wenn Licht von unten ein Gesicht anstrahlt, wird es häufig zur Fratze, verstärkt das Unwohlsein und deuten auf Gefahr hin. In Zusammenhang mit der Ausstrahlung eines Vampirs und dessen Kraft, Menschen mit bloßem Blick zu willenlosen Sklaven zu machen, hat es Under Lighting vor allem im Vampirfilm zu einer oft genutzten Lichtgestaltung gebracht.

 

 

DRACULA (1931): Mystischer Magnetismus. Under Lighting unterstützt die Fesslungskraft von Blicken und Mimik und wirkt hypnotisch.

 

Doch nicht nur Vampire erfahren durch Under Lighting eine visuelle Bereicherung. Auch Helden und Mentoren beziehen Mystik aus einer solchen Lichtgestaltung und verraten viel über innere Ängste.

 

 

POLTERGEIST (1982): Zelda Rubinstein als Tangina spürt als Medium die dunklen Kräfte im Hause der Freelings. Under Lighting schafft es, dem einen zusätzlichen Ausdruck zu verleihen.

 

Licht von unten kann eine reale Lichtquelle besitzen, beispielsweise eine Taschenlampe. Der Effekt einer solchen Beleuchtung liegt im mystischen, denn das Gesicht wirkt oft wie ein Totenschädel.

 

 

THE SIXTH SENSE (1999): Cole offenbart sein Geheimnis und das ist keine Gute-Nacht-Geschichte. Taschenlampen im Horrorfilm haben ein nicht zu unterschätzendes Schauderpotential.

 

 

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Die Augen sind die Fenster zur Seele, sagt man. Und über die Augen kann auch beim Film eine Menge transportiert und erzählt werden, eine gute Beleuchtung vorausgesetzt. Nicht immer muss Eye Lighting etwas Inneres offenbaren. Eye Lighting wird auch zum Erkenntnisgewinn der Figuren benutzt.

 

 

BEETLEJUICE (1988): Licht, welches auf die Augen fällt, bedeutet Erkenntnisgewinn. Auch wenn der Zuschauer die Quelle nicht wahrnimmt, über die beleuchteten Augen von Winona Ryder wird klar, ihre Figur Lydia hat etwas entscheidendes gesehen. Eye Lighting wirkt hier als Empfänger.

 

Aber meist liegen psychologischere Erklärungsansätze hinter Eye Lighting. Es wird vor allem benutzt, um die Augen in den Fokus zu rücken. Bei manchen Figuren kann das ihre Mystik verstärken, vor allem, wenn Eye Lighting nicht als Empfänger, sondern als Sender fungiert.

 

 

THE ADDAMS FAMILY (1990): Auf Morticia Adams Augen liegt immer ein mysteriöses Licht, die Figur wirkt deshalb mystisch und hypnotisch erhöht.

 

Eye Lighting wird verwandt, um zu fokussieren. Wissend ob der magnetischen Wirkung kann es auch einfach benutzt werden, um die Wichtigkeit einer Figur zu unterstreichen.

 

 

SCHINDLERS LISTE (1993): Oscar Schindler steht im inszenatorischem Mittelpunkt, sein Blick registriert das Geschehen, Eye Lighting verstärkt damit seine sich verändernde Sicht und Auffassungsgabe. Zum anderen symbolisiert sie: diese Figur und ihre Sicht der Dinge steht im Mittelpunkt des Geschehens.

 

 

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Weiches wie hartes Licht wird verwandt, um Figuren hinsichtlich ihrer Gemütszustände zu visualisieren und Szenarien in friedlich und bedrohlich zu differenzieren. Es ist weniger spezifisch als High- oder Low-Key-Ausleuchtung, es formt vor allem Charakterzüge und Stimmungen in Gesichtern.

 

 

HER (2014): In HER sieht sich Figur Theodore Twombly vor allem Einsamkeit und Gleichgültigkeit ausgesetzt. Alles um ihn herum wirkt kontrastlos, weichgespült und leer.

 

 

AI – KÜNSTLICHE INTELLIGENZ (2001): Gigolo Joe ist artifiziell und doch ein auf Emotionen ausgelegter Sexroboter. Soft Lighting verstärkt hier zusätzlich seine eigene Künstlichkeit.

 

 

THE MAN WHO WASN’T THERE (2001): Ed Crane ist nicht im Stande, sein Schicksal zu bestimmen. Sein Charakter ist desillusioniert, abgestumpft – visualisiert durch Hard Lighting.

 

Neben dem Licht gelten auch Farben als entscheidende Symbole für diverse Charakterisierungen. Nur fällt dieser Bereich ein wenig aus dem Rahmen, denn Farben und Filter werden oft unabhängig von der Lichtgestaltung eingesetzt. Kaltes und warmes Licht können schlichte Mittel für die Tonalität eines Filmes sein. Kaltes Licht wirkt hier artifiziell, emotionslos und pessimistisch. Doch es geht auch beides. Kaltes und warmes Licht bzw. Farben können Figuren auch hinsichtlich ihrer Dualität charakterisieren.

 

 

TRAFFIC (2000): Kaltes Licht und Farbtemperatur wirken sich emotional auf die Szenerie aus.

 

 

DIE FABELHAFTE WELT DER AMELIE (2001): Ganz anders AMELIE. Warme Farben und weiches Licht bestimmen die positive Visualisierung von Figuren auf ihrer Suche nach Glück und Liebe.

 

 

TERMINATOR 2 (1991): Der Terminator steht für zwei Dinge: er ist eine Maschine, künstlich und kalt. Dennoch gibt es in ihm auch menschliche Züge. Diese Dualität wird am Ende von TERMINATOR 2 durch kaltes, blaues wie warmes, oranges Licht charakterisiert. Der Terminator ist beides.

 

Ist dramaturgische Lichtgestaltung im Film nun eine reine Interpretationssache oder bereits im Drehbuch angelegt? Keine so einfach zu beantwortende Frage. Im Drehbuch hat man als Autor nur begrenzt Möglichkeiten, auf Lichtaspekte abseits von Grundstimmungen und ästhetischen Aspekten einzugehen. Lichtgestaltung bleibt eine Interpretation des Drehbuchs mit technischen Mitteln.

 

Wohl ist es aber interessant, Analysen und Beobachtungen wieder zum Schreiben zurückzuführen. Aus einer beabsichtigten Figurenanlage können durch Überlegungen der Lichtgestaltung auch Orte und Locations resultieren, die bei der Charakterisierung helfen können, ohne dass man zusätzlichen Subtext benötigt. Es führt zu einer Überdenkung von Requisiten und der Ausstattung, die sich sehr wohl im Drehbuch wiederfinden.

 

Zugegeben, manche Lichtgestaltung schießt dabei gelegentlich übers Ziel hinaus, manchmal wird ein Licht als zu prägnant empfunden, als Bevormundung der eigenen Interpretation. Aber es kann eben auch anders eingesetzt werden, als falsche Fährte oder als Scheinwerfer. Licht kann täuschen, Dunkelheit definiert nicht nur Gefahr, sondern auch Unterschlupf und Schutz.

 

Wenn ich auch Beispiele quer durch den Filmgemüsegarten gewählt habe, fällt auf, dass vor allem beim Genrefilm Licht als dramaturgisches Mittel eingesetzt wird. Darüber hinaus ist Licht nicht unbedingt eine Frage des Budgets. Lichtgestaltung hat sich im Laufe der Jahrzehnte nur bedingt verändert. Klar, der Einsatz von CGI oder neuen Compostiting-Standards verändert auch den Prozess der Lichtsetzung. Aber auch mit drei Scheinwerfern kann man tolle Ergebnisse erzielen.

 

Damit beenden wir unsere kleine Wanderung durch die illustre Welt der Lichtdramaturgie. Achtet beim nächsten Film doch mal darauf, wie charakterliche oder stimmungsabhängige Szenen durch den Einsatz von Licht bestimmt werden. Vielleicht wirft das auch ein anderes Licht auf vermeintlich trockene und theoretische Angelegenheiten wie Figurencharakterisierung und Dramaturgie.

 

 

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de