Scheinwerfer
Script Development XVII: Lichtdramaturgie
Licht. Du rätselhaftes Wesen. Wo kommst du her, du sichtbarer Teil des elektromagnetischen Spektrums? War früher wirklich alles dunkel, bis Gott sprach, es werde Licht? Man hat versucht, dich zu vermessen, man trug dich säckeweise in dunkle Rathäuser, aber du warst einfach nicht zu fassen. Bis dich Thomas Edison mit Hilfe von Elektrizität unterwarf und dich in Glühbirnen stopfte. Für teuer Geld, wohlgemerkt! In muffigen Großraumbüros aber war´s dir irgendwann zu langweilig, du wolltest berühmt sein, ein heller Stern am Broadway. So gingst du zum Film. Schwere Buben trugen dich von Set zu Set, du wurdest kilowattweise im Studio verstreut, auf geschminkte Gesichter geworfen und wieder eingefangen durch die Camera Obscura.
Das Medium Film ist ohne Licht nicht existent. Beleuchtung, Belichtung, Projektion, ohne Licht undenkbar. Licht im Film ist für viele eine rein technische Angelegenheit. Wer schon mal auf einem Filmset war, der kennt vor allem den technischen Aufwand von Filmlichtgestaltung. Kräftige Kerle mit Stirnbandlampen und Halbfingerhandschuhen, die dicke schwarze Kabel schleppen, dicke Scheinwerfer auf Stative hieven, Farbfolien mit Wäscheklammern anheften und so Sätze äußern wie: “Ich sag mal, zwei Stunden für`s Licht…”.
Licht im Film kann verschiedene Funktionen einnehmen. Meist aber reduziert sich der Lichtaufwand auf die Aussage: “Die Szene ist gut augeleuchtet!” Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Licht wird beim Film nicht nur benutzt, dass und wie man etwas sieht. Lichtgestaltung ist Teil der Dramaturgie.
Dramaturgie, das ist etwas für Dramaturgen, so sagt man. Aber es stimmt nicht. Dramaturgie hört nicht auf, wenn das Drehbuch beendet ist. Viele Gewerke des Films übersetzen dramaturgische Aspekte des Drehbuchs in ihre Sprache. Schauspielführung, Kamerabewegung, Kostüm, Maske, Ton, Schnitt, all das liegt mehr oder minder kryptisch im Script verborgen und wartet darauf, interpretiert und visualisiert zu werden. Auch Licht gehört dazu, nur sind diese Informationen oft mehr versteckt als andere.
Im Drehbuch stehen Tag, Nacht, Sonnenauf- und Sonnenuntergang, schummrige Disco, kaltes Großraumbüro, Diner bei Kerzenschein. Licht übersetzt Stimmungen ins Sichtbare. Aber Licht kann noch mehr. Licht beim Film kann immense dramaturgische Funktionen einnehmen, für Story, Figuren und Emotionen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Lichtdramaturgie.
Wenn die Kamera eine Leinwand ist, dann ist Licht für den Film wie Pinsel und Farbe. Licht im Film kann Wahrheiten bekunden, es kann aber auch lügen und verräterisch sein. Lichtsetzung im Film ist weniger die Wiedergabe der Realität, Licht im Film ist ein Arrangement, eine Simulation. Licht kommt in den meisten Fällen aus Scheinwerfern, ein schönes, wie auch doppeldeutiges Wort. Denn Licht kann Fragen aufwerfen, Informationen unterschlagen, einen Anschein erwecken.
Wir wollen uns das heute einmal genauer anschauen. Wie kann Licht auf Figuren, auf Story und auf Stimmungen übertragen oder interpretiert werden? Gehen wir weg von der grauen Theorie und schauen uns das an bildlichen Beispielen an.
Licht bestimmt durch Menge, Richtung und Intensität die filmische Bildsprache. Eine mögliche Lichtausdrucksform ist die High-Key-Technik, die bereits in den Anfangstagen Hollywoods verwandt wurde. Durch ein hoch-aufgehängtes Dreipunktlicht werden Szenerie und Figuren gleichmäßig hell, diffus, weich und niederkontrastig ausgeleuchtet. Ziel ist das maximal Sichtbare.
Eine solche Lichtgestaltung ist in erster Linie für Genre und Tonalität des Films entscheidend. Herrscht eine positive Ausgangslage, Hoffnung, Glück und Zuversicht, kann das am besten ein klares, helles und scharfes Bild ausdrücken. Die Technik findet vor allem in der Komödie oder der Soap Verwendung, aber auch im Fantasiefilm und in positiven Science-Fiction-Utopien.
Dem gegenüber steht der Begriff Low-Key-Ausleuchtung. Hier werden große Bildteile sehr selektiv und im niedrigen Helligkeitsniveau geleuchtet. Hintergründe sind dunkel, der Beleuchter spricht vom “Hintergrund absaufen lassen”. Es gibt Schatten und filigrane Übergänge zwischen Mitteltönen und Lichtern und intensive Kontraste. Szenen, die so ausgeleuchtet sind, verströmen eine düstere, mystische, geheimnisvolle und sogar erotische Stimmung. Low-Key-Ausleuchtung kommt deshalb vorrangig beim Genrefilm zum Einsatz, vor allem aber beim Horrorfilm, Thriller und bei Dystopien. Wo viel Dunkelheit und Schatten herrscht, da können sich Zweifel, Ängste und Gefahren verstecken.
High-Key und Low-Key-Ausleuchtungen sind grundverschiedene Lichtbildsprachen. Bereits in den Anfangstagen des Films haben sich beide Richtungen in konzentrierter Form weiterentwickelt. High-Key-Lighting unterstützte beispielsweise die Wirkung des in den zwanziger Jahren entwickelten Technicolor-Verfahren, Low-Key-Lighting wurde im Film Noir der vierziger Jahre perfektioniert.
Der Film Noir verwendet dagegen eine Weiterentwicklung der Low-Key-Ausleuchtung aus dem expressionistischem Film der zwanziger Jahre. Hell-Dunkel-Kontraste erhöhen hier die pessimistischen und verbitterten Figuren und ihre Zwiespältigkeit. Zusätzlich vergrößert diese Lichtgestaltung die Fokussierung der hellen Bereiche, die somit mehr Bedeutung erfahren.
Für Szenerie und Stimmung sind High- oder Low-Key-Ausleuchtungen von entscheidender Bedeutung, aber auch Figuren können damit gezeichnet werden. Doch ganz so geradlinig lassen sich Hell und Dunkel nicht psychologisieren. High-Key-Ausleuchtung kann nicht nur Glück oder Hoffnung visualisieren, auch das Gefühl der Ausgeliefertheit oder seelische Leere kann damit ausgelöst werden.
In der Low-Key-Ausleuchtung dagegen steckt nicht nur Abgrund oder Pessimismus. Dunkelheit, Schatten und filigrane Lichtabstufungen visualisieren auch Erfahrung. Licht und Schatten wirken wie Falten, Figuren, die so beleuchtet werden, haben oft die Schattenseiten des Lebens gesehen.
Es hat den Anschein, dass sich High-Key und Low-Key-Ausleuchtung extrem abgrenzen voneinander, aber es gibt auch Mischformen. Gerade diese unterstreichen die beiden Pole Positiv und Negativ und stellen sie in dramaturgischen Zusammenhang. Traumsequenzen können auch im Horrorfilm oder Thriller durch High-Key-Ausleuchtung realisiert werden, wie auch in hellen, frohen Fantasiewelten oder Liebesfilmen dunkle Ecken und Regenwolken das Idyll zerstören können.
Backlight oder Hintergrundlicht kann verschiedene dramaturgische Funktionen einnehmen. Für Figuren ist es entscheidend, wie sie gegenüber dem Hintergrundlicht positioniert sind. Backlight steht zum einen für Gefahr und Verschleierung, Autoscheinwerfer blenden, im Verhörzimmer kann man durch Licht sein Gegenüber schwer erkennen. Doch steht eine Figur mit dem Rücken zur Lichtquelle, wird sie selbst zu einem Faktor der Unsicherheit. Denn durch ein Anstrahlen aus dem Hintergrund verlieren die Figuren an Sichtbarkeit und werden zu Schemen.
Aber Backlight kann noch ganz andere Funktionen haben. Auch positive Mystik und Traumhaftigkeit kann dadurch transportiert werden. Backlight steht auch für das Überhöhte. Es wird verwandt, um Figuren zu verschleiern, damit sie eine größere Sichtbarkeit als solche erlangen, weg von den Details einer High-Key-Ausleuchtung. Somit verstärkt Backlight auch Neugierde.
Letztlich wird Backlight auch eingesetzt, um Schönheit und Anmut zu visualisieren. Der helle Schein, das Licht am Ende des Tunnel, die Ausstrahlung eines Engels, Licht hinter einer Person bedeutet oftmals Heiligkeit und Erlösung. Psychologisch kann Backlight auch Rückendeckung bedeuten.
Sobald eine Figur von hinten beleuchtet wird, entsteht eine Art Corona um sie. Zusammen mit Softlight kann das wie ein heiliges Leuchten wirken, ein sogenannter Halo-Effekt. Solche Effekte werden ot verwandt, um Figuren zu visualisieren, die sich auf dem Weg ins Jenseits befinden, frisch Verstorbene oder Geister. Ein solches Glühen wird aber auch verwandt, um das Göttliche zu visualiseren.
Eine noch stärkere Verzerrung erfährt Backlighting, wenn es so eingesetzt wird, dass die Figuren nur noch als Silhouetten wahrgenommen werden. Von Silhouetten geht eine tiefe Symbolik aus, es bedarf keiner Details, der Umriss verdichtet und sendet ein klares, schnell einprägsames Bild.
Silhouetten werden demzufolge gern für ikonische Aufnahmen genutzt. Sie symbolisieren dann eine Figur oder eine Gemeinschaft als prägnantes Bild, welches sich in den Köpfen festsetzt. Superhelden kann man oft an ihrer bloßen Silhouette erkennen. Aber die Silhouette kann noch mehr:
Für Figuren hat die Lichtrichtung eine entscheidende Bedeutung. Beginnen wir mit einem eher selteneren Beispiel – Licht, das von oben kommt. Zwar scheint uns allen die Sonne auf den Kopf, abseits davon wirkt Licht von oben oftmals unnatürlich. Es gibt verschiedene Funktionen, wenn Licht mehr oder minder im Lot auf den Schopf der Figur fällt.
Steht man in einem Lichtkegel, steht man im Mittelpunkt des Interesses. Spotlights haben vor allem das Theater geprägt, egal ob frontal oder on top. Diese Art der Ausleuchtung wirkt per se theatralisch. Ein solcher Effekt verstärkt aber auch das Aufmerksamkeitspotential von Figuren im Film.
Der Ausspruch: “Da geht mir ein Licht auf!” wird meist mit einer Glühbirne verdeutlicht, die über dem Schopf zu leuchten beginnt. Was nach Comic klingt, wird im Film häufig tatsächlich so eingesetzt, natürlich ein wenig subtiler. Licht gilt hier Überträger von Erkenntnissen.
Im Gegensatz zum allgemeinen Auffassung von Hell – Gut, Dunkel – Böse, gibt es auch Beispiele, wo Licht auch für Antagonisten verwandt wird, zum Teil im verräterischen Top Lighting. Das kann aus purer Täuschung heraus geschehen als auch als Mittel zur Differenzierung und der Perspektive.
Licht, welches seitlich auf ein Objekt oder ein Gesicht trifft, hat die Eigenschaft, es in eine helle und dunkle Seite zu teilen. So steht Side Lighting häufig für innere Zerrissenheit und Zweifel. Das beste Beispiel stammt aus einer Filmreihe, bei der die helle und dunkle Seite eine immense Rolle spielt.
Zweifel, dunkle Seiten und Tendenzen, Unsicherheit und Kampf gegen innere Dämonen – wann immer das ein Gesicht spiegeln muss, wird auf Side Lighting zurückgegriffen.
Wenn Licht von unten ein Gesicht anstrahlt, wird es häufig zur Fratze, verstärkt das Unwohlsein und deuten auf Gefahr hin. In Zusammenhang mit der Ausstrahlung eines Vampirs und dessen Kraft, Menschen mit bloßem Blick zu willenlosen Sklaven zu machen, hat es Under Lighting vor allem im Vampirfilm zu einer oft genutzten Lichtgestaltung gebracht.
Doch nicht nur Vampire erfahren durch Under Lighting eine visuelle Bereicherung. Auch Helden und Mentoren beziehen Mystik aus einer solchen Lichtgestaltung und verraten viel über innere Ängste.
Licht von unten kann eine reale Lichtquelle besitzen, beispielsweise eine Taschenlampe. Der Effekt einer solchen Beleuchtung liegt im mystischen, denn das Gesicht wirkt oft wie ein Totenschädel.
Die Augen sind die Fenster zur Seele, sagt man. Und über die Augen kann auch beim Film eine Menge transportiert und erzählt werden, eine gute Beleuchtung vorausgesetzt. Nicht immer muss Eye Lighting etwas Inneres offenbaren. Eye Lighting wird auch zum Erkenntnisgewinn der Figuren benutzt.
Aber meist liegen psychologischere Erklärungsansätze hinter Eye Lighting. Es wird vor allem benutzt, um die Augen in den Fokus zu rücken. Bei manchen Figuren kann das ihre Mystik verstärken, vor allem, wenn Eye Lighting nicht als Empfänger, sondern als Sender fungiert.
Eye Lighting wird verwandt, um zu fokussieren. Wissend ob der magnetischen Wirkung kann es auch einfach benutzt werden, um die Wichtigkeit einer Figur zu unterstreichen.
Weiches wie hartes Licht wird verwandt, um Figuren hinsichtlich ihrer Gemütszustände zu visualisieren und Szenarien in friedlich und bedrohlich zu differenzieren. Es ist weniger spezifisch als High- oder Low-Key-Ausleuchtung, es formt vor allem Charakterzüge und Stimmungen in Gesichtern.
Neben dem Licht gelten auch Farben als entscheidende Symbole für diverse Charakterisierungen. Nur fällt dieser Bereich ein wenig aus dem Rahmen, denn Farben und Filter werden oft unabhängig von der Lichtgestaltung eingesetzt. Kaltes und warmes Licht können schlichte Mittel für die Tonalität eines Filmes sein. Kaltes Licht wirkt hier artifiziell, emotionslos und pessimistisch. Doch es geht auch beides. Kaltes und warmes Licht bzw. Farben können Figuren auch hinsichtlich ihrer Dualität charakterisieren.
Ist dramaturgische Lichtgestaltung im Film nun eine reine Interpretationssache oder bereits im Drehbuch angelegt? Keine so einfach zu beantwortende Frage. Im Drehbuch hat man als Autor nur begrenzt Möglichkeiten, auf Lichtaspekte abseits von Grundstimmungen und ästhetischen Aspekten einzugehen. Lichtgestaltung bleibt eine Interpretation des Drehbuchs mit technischen Mitteln.
Wohl ist es aber interessant, Analysen und Beobachtungen wieder zum Schreiben zurückzuführen. Aus einer beabsichtigten Figurenanlage können durch Überlegungen der Lichtgestaltung auch Orte und Locations resultieren, die bei der Charakterisierung helfen können, ohne dass man zusätzlichen Subtext benötigt. Es führt zu einer Überdenkung von Requisiten und der Ausstattung, die sich sehr wohl im Drehbuch wiederfinden.
Zugegeben, manche Lichtgestaltung schießt dabei gelegentlich übers Ziel hinaus, manchmal wird ein Licht als zu prägnant empfunden, als Bevormundung der eigenen Interpretation. Aber es kann eben auch anders eingesetzt werden, als falsche Fährte oder als Scheinwerfer. Licht kann täuschen, Dunkelheit definiert nicht nur Gefahr, sondern auch Unterschlupf und Schutz.
Wenn ich auch Beispiele quer durch den Filmgemüsegarten gewählt habe, fällt auf, dass vor allem beim Genrefilm Licht als dramaturgisches Mittel eingesetzt wird. Darüber hinaus ist Licht nicht unbedingt eine Frage des Budgets. Lichtgestaltung hat sich im Laufe der Jahrzehnte nur bedingt verändert. Klar, der Einsatz von CGI oder neuen Compostiting-Standards verändert auch den Prozess der Lichtsetzung. Aber auch mit drei Scheinwerfern kann man tolle Ergebnisse erzielen.
Damit beenden wir unsere kleine Wanderung durch die illustre Welt der Lichtdramaturgie. Achtet beim nächsten Film doch mal darauf, wie charakterliche oder stimmungsabhängige Szenen durch den Einsatz von Licht bestimmt werden. Vielleicht wirft das auch ein anderes Licht auf vermeintlich trockene und theoretische Angelegenheiten wie Figurencharakterisierung und Dramaturgie.