…sah ich noch einmal die Lichter der Stadt

Der kalte, nasse Nieselscheiß, dieser frostige Dreck voller Kieselsteine, Reste von Chinaböllern und Kot, Kot, Kot, wohin das Auge blicket. Ja, es ist ekelhaft da Draußen, dieser beknackte Winter, und die paar Sonnenstrahlen machen´s auch nicht wirklich besser…wie dämlich, jetzt schreibe ich hier schon über Wetterbefindlichkeiten, das sollte ich besser Sibylle Berg überlassen. Aber das hat ja bald ein Ende. Denn es gibt eine Pforte, einen Zeitspalt, eine semipermeable Membran, wenn man diese durchschreitet, wird alles besser. Diese Tage des Wandels finden in diesem Jahr vom 16. bis 21. April statt. Für mich ist jedes Jahr das FILMFEST DRESDEN die magische Schwelle hinein in den Frühling.

 

Das internationale Kurzfilmfestival in Dresden gibt es seit 1989 und feiert in diesem Jahr sein 25jähriges Jubiläum. Im nationalen und internationalen Wettbewerb wird der beste Animations- und Spielfilm mit dem GOLDENEN REITER ausgezeichnet, zudem gibt es Publikumspreise, den GOLDENEN REITER der Jugendjury und zum Beispiel den Universal Music Promotion Award. Das sind erstmal die Fakten! Ich hatte erstmalig 2009 mit dem Filmfest Dresden Kontakt. Da fand das Kurzfilmfestival noch im Metropolis im Waldschlösschenareal statt. Ich selbst war dort schnöder Warter, weil ein guter Freund von mir auf eben jenem Filmfest als Fahrer arbeitete. Das war dann auch das erste und das letzte Mal, dass ich von mir sagen kann, ich hätte das Filmfest Dresden besucht.

 

 

Ich hol schon mal den Wagen, Harry!

 

Denn ab 2010 war ich selbst Teil des Teams und als Fahrer „von Außerhalb“ in die herzliche Festivalfamilie aufgenommen worden. Ich mach den Mist eigentlich ja schon seit Jahren nicht mehr, also Fahrer für Filmproduktionen. Am Ende fühlte ich mich da wie Obelix auf der Suche nach dem Passierschein A38 im Haus, das Verrückte macht. Das Filmfest Dresden aber habe ich mir bewahrt wie ein güldenes Kleinod und freue mich jedes Jahr, nunmehr das Vierte in Folge, auf eine Wunderwochentüte Kurzfilmfestival, aus einem Blickwinkel (Dauergäste und Festivalfans mögen nachsichtig mit mir sein), der noch spannender ist als der eines Besuchers.

 

Vier Fahrerburschen plus Betreuung beim Filmfest Dresden 2012

Ich reise ja meist aus dem Urmorast der wabernden Winterwiderwärtigkeit an, graue Wolken über der A13 (ich fahre per Mitfahrgelegenheit an, damit auch ich mal kutschiert werde), die vorbeiziehende Landschaft sieht aus, als hätte jemand in Photoshop die Sättigung auf 20% gestellt. Es ist kalt, das aber kann mir Wurst sein, ich sitze ja noch im Mitfahrgelegenheitsauto. Ich bin dann trotzdem miesepetrig. Doch bereits in dem Moment, in dem wir die Autobahnausfahrt Hellerau geradezu zentrifugal flankieren und diesen Berg (auf dessen Name ich grad nich komme) in das Dresdental hinunter gleiten, wird meine Laune schon besser. Die Schwelle zum Zeittor habe ich erreicht.

 

Filmfestivals sind keine Dreharbeiten, aber Pünktlichkeit, Hilfsbereitschaft, körperliche Belastbarkeit, starkes Nervenkostüm und eine schick geschnittene Obertrikotage (huhu, Olaf!) sind Tugenden, die einem auch bei einem Filmfest von großem Nutzen sind. Unser kleines Fahrerteam braucht keinen Carkäptn oder so´n Spitzenmüll, unser Service in Gummibereiften Kasperbuden ist, wie mein Kollege immer sagt, autark, selbstständig denkend und Initiative ergreifend – also im Prinzip genau das, was bei Dreharbeiten eher hinderlich ist.

 

Im Jahr 2010 und 2011 war das Gästezentrum des Festivals in der Dresdner Programmvideothek PHASE IV untergebracht. Das war für mich als Filmwahnfried eine geradezu biblische Fügung. Denn diese schicke Videothek ist ein kleiner Tempel für mich geworden, trotz eines winzigen Makels. Für die Unterbringung der Visionsbar und des Gästeempfangs musste ausgerechnet das Horror-Sortiment kurzfristig ins Lager weichen – ein herber Rückschlag für den Genrefreund. Was soll’s, die Trashecke mit Buttgereit-Meisterwerken wie Captain Berlin versus Hitler ist dafür jedes Jahr ein Vergnügen.

 

Der Louvre unter den Programmvideotheken. Foto@filmfest-dresden.de

Was man als Fahrer beim Filmfest erleben darf, ist ein ganz eigener kleiner Mikrokosmos. Ich verwende das Wort Mikrokosmos ziemlich oft, fällt mir gerade auf. Nationale und Internationale Gäste werden am Flughafen empfangen, ich habe mir ein paar Eckdaten Dresdner Stadtgeschichte in 8 Sprachen aufschreiben lassen, denn ich bin ja der Einzige „von Außerhalb“. Aber das ist das Tollste bei diesem Festival, ich fühle mich überhaupt nicht so.

 

Ich habe mit so vielen Teams gearbeitet, aber keins war so herzlich und familiär wie dieses. Angefangen von den 3 Festivalleiterinnen, den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Büro, an den Kassen, am Einlass und hinter den Projektoren. Das klingt jetzt fast so, als würde ich mich einschleimen. Dabei hab ich das überhaupt nicht nötig. Vielleicht krieg ich deswegen aber einen Eierlikör extra nach Feierabend. Dann sitzt die gesamte Fahrerbrigade meist im Thalia und lässt den Tag ausklingen.

 

Was ich noch zu sagen hätte, dauert einen Eierlikör!

Dort trifft man dann auf den ein oder anderen Filmemacher. Ich habe beispielsweise Christian DeVita kennen gelernt, der für Tim Burton zeichnet. Die Gäste und das ganze Drumherum sind in Dresden irgendwie magisch. Ich hatte dort das Vergnügen, Anton Corbijns Fotoausstellung “R.E.M. seen between 1990 – 2010” sehen zu können, durfte wegen meiner schönen Schulschrift die Urkunden der Preisträger beschriften oder beim Teamabschluss geniale Kurzfilme wie HARVEY CRUMPET von Adam Elliot bestaunen. Und Likör nicht vergessen! Ob ich auch Filme aus dem Wettbewerb oder den anderen Programmen schaue? Natürlich nicht, ich arbeite doch immer ganz fleißig (was soll ich denn anderes schreiben, für den Fall, dass die Chefinnen mitlesen).

 

Die Schauburg in der Dresdener Neustadt. Foto@filmfest-dresden.de

Nachts fahre ich dann meinem Herbergsvater hinterher, entweder über die Carolabrücke oder, wenn wir mal ganz fesch sein wollen, über die Albertbrücke. Die Erstere gefällt mir aber besser. Ich schaue dann nach rechts über die Elbe, auf das beleuchtete Panorama von Elbflorenz, denke jedes Mal an Joachim Witt und summe irgendwas mit neuen Behandlungszentren. Ein wenig Schwermut schwimmt immer mit, bevor mein guter Freund und ich den Tag mit einer Zigarette beenden (hoffentlich auch dieses Jahr, Maximilien de Robespierre). Vor dem Einpennen spielen wir dann Schnick Schnack Schnuck, wer am Morgen den Kuchen abholt, oder kommen vor Lachen nicht in den Schlaf.

 

So vergeht diese Woche meist wie im Fluge, Gäste abholen, zum Gästezentrum oder Hotel bringen, in der PHASE nach dem Rechten sehen, beim Chinesen die Nummer 65 bestellen. Auf Abruf bleiben. Diese blaugraue Aprilwolkenwand am Firmament anlächeln, wissend, mit jedem Tag kommt man dem wahren Frühlingsbeginn einen Schritt näher. So war es bisher immer. Lang vermisste Sachen wie Sonnenlicht oder Laue Lüftel vertreiben den Schlack des Winters.

 

Wenn am Samstagabend die GOLDENEN REITER verliehen werden, macht sich wieder diese Witt´sche Schwermütigkeit breit. Auch die körperliche Erschöpfung. Zwei Tage später sitze ich dann wieder in einem Auto meiner Wahl, welches ich mir bei Mitfahrgelegenheit bestellt habe. Ich fahre in anderer Emotionalität zurück. Der graue Winter ist vorbei, das Filmfest Dresden hat mich in hellere und wärmere Sphären transkodiert. Und freue mich bereits wieder aufs nächste Mal.

 

 

 

 

In ein paar Tagen ist das wieder soweit. Alle Voraussetzungen sind vorhanden, das mistige Wetter, die Aussicht auf Besserung während der Filmfesttage. Die Vorfreude wächst, auf ein Wiedersehen mit lieben Leuten, mit netten Gästen und Festivalleiterinnen, die an ihrem Auto auch ein GRZ-Kennzeichen haben. Vor allem aber auf diese inspirierende Stimmung abseits vom eigentlichen Filmprogramm. Der Geruch im Foyer der Schauburg, das Zittern der Hände nach der elften Fritz-Cola. Die bangen Minuten, wenn der Gast nicht aus der Flughafentür kommt, die Bauchschmerzen vor Lachen, wenn die Festivalleitung pantomimisch die Highlights der Woche am Abschlusstag zusammenfasst. Ich will da gern noch viele Jahre mit spazieren fahren, an der Umgehungsstraße, kurz vor den Mauern dieser barocken Stadt, die ich als Kind nie leiden konnte. Das Filmfest hat uns beide versöhnt, dieses Dresden und mich. Dafür wollte ich mal Danke sagen! Vielleicht krieg ich ja dann dieses Jahr auch einen Crysler Voyager.

 

Aktuelle Infos rund um das FILMFEST DRESDEN, wie das Programm 2013, gibt es auf der offiziellen Seite und auf Facebook.

 

One Comment

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    […] Februar fand die dritte GENRENALE in Berlin statt, das Festival für den deutschen Genrefilm. Das Filmfest Dresden im April hingegen ist ein internationales Kurzfilmfestival mit Schwerpunkt auf Animation. Im Mai […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de