HAUNTER
Vincento Natali ist ein ungewöhnlicher Filmemacher, seine Filme CUBE, CYPHER oder SPLICE sind seltsame Hybriden zwischen Science-Fiction und Horror. Dass Natali mit HAUNTER einen Mysterie-Geisterstreifen zwischen THE INNOCENTS und THE INNKEEPERS inszeniert, hat mich anfangs skeptisch gemacht. Denn Mysteriegeschichten um Geister in alten Häusern, die um Aufmerksamkeit ringen, gab es unzählige in den letzten Jahren und insgesamt wirkt das Subgenre, dessen große Highlights THE SIXTH SENSE und THE OTHERS waren, inzwischen angestaubt und storytechnisch monoton. Geist rüttelt am Geschirrspüler, der Tochter glaubt keiner, Tochter findet grausiges Geheimnis der Vergangenheit heraus, Tochter stellt den Untotenfrieden wieder her, am Ende finden alle raus, dass sie bereits tot sind. Nach diesem Muster laufen immer noch die meisten Mysteriefilme und es fing schon an, langweilig zu werden. Als HAUNTER auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest lief, interessierte mich der Streifen hauptsächlich wegen Natali und Abigale Breslin. Dass er nebenbei noch die beste Geisterstory seit Jahren liefert und zu den Genrehighlights 2013 zählt, hätte ich nicht vermutet.
Vorsicht, heftige Spoiler!
Lisa ist eine typische pubertäre Tochter, genervt von ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder. Lisa ist bockig und widerspenstig. Jeden Tag muss sie die Selben Sachen machen, Wäsche waschen und so weiter. Was wie eine typische Coming-Of-Age-Geschichte beginnt, verwandelt sich plötzlich in eine Art Zeitreiseplot. Denn Lisa meint das ganz wörtlich, wenn sie sagt, sie müsse jeden Tag die Selben stumpfsinnigen Hausarbeiten erledigen. Sie beichtet ihren Eltern, dass jeder Tag der Selbe wie der vorherige ist. Lisas Eltern heben ratlos die Augenbrauen und am nächsten Morgen ist tatsächlich alles wieder genauso wie in den ersten zehn Filmminuten.
Nach diesen zehn Minuten also steckt der Plot von HAUNTER in einer UND TÄGLICH GRÜßT DAS MURMELTIER-Routine und damit war´s das? Mitnichten. Als Liebhaber von solchen Zeitreisekonstrukten fällt mir als Erstes positiv auf, dass endlich mal eine Geschichte erzählt wird, die mitten in der Zeitschleife beginnt und den Zuschauer dadurch an der Nase herumführt.
Doch wo andere Filme dieser Couleur eine halbe Stunde monotone Nichtigkeiten wiederholen, bis Zunder in den Plot kommt, macht HAUNTERS etwas ganz anderes. Der Film wechselt wieder das Subgenre, denn ganz so gleich sind die Tage dann doch nicht, die Lisa wieder und wieder durchlebt. Plötzlich raucht ihr Vater Zigaretten, was er vorher nie getan hat, Geräusche und Stimmen dringen durch das alte Haus und draußen ist dichter Nebel, als stünde das Gebäude mitten im Nichts. Nach gut einer halben Stunde hat Natali drei neue Plotbüchsen aufgemacht und lässt die erstmal laufen.
Sind wir hier in einer Geistergeschichte á la DARKNESS, ist es eine Geschichte über Besessenheit, über Poltergeister oder endet das ganze wie vermutet in jener abgedroschenen Wendung, Lisa und ihre Familie sind bereits tot und das Haus steht wahrlich im Jenseits? Es ist eigentlich alles davon, und noch mehr. Denn wer glaubt, dass er sich HAUNTER nicht mehr anschauen müsse, weil ich hier in zwei Abätzen Plotpoints und Wendungen rausposaunt habe, der irrt. Natürlich ist Lisa und ihre Familie bereits tot. Das klärt sich wie gesagt nach gut 30 Minuten. Da nimmt der Film dann erst richtig Fahrt auf.
HAUNTER ist ein riesengroßes Potpourri aus verschiedenen Subgenres des Horrorfilms und obwohl das in der Theorie eigentlich nur schief gehen kann, hier funktioniert es seltsamerweise. Trotz der Richtungswechsel ist der Film im Kern eine Geistergeschichte, ein Mysteriethriller, und auf diesem Gebiet macht er vieles von dem richtig, was vergleichbare Filme wie THE MESSENGERS, THE INNKEEPERS, SINISTER oder THE PRESENCE vergeigen. Es zieht sich derweilen ewiglich, bis die Hauptfigur auf die Sprünge kommt. Ich meine damit nicht, dass eine ruhige Erzählweise für dieses Subgenre unpassend wäre, im Gegenteil, aber es gibt einen Unterschied zwischen ruhiger Erzählweise und zäher, belanglose Langeweile. In HAUNTER passiert vielleicht fünf mal so viel wie in anderen, ähnlich gelagerten Mysteriestreifen. Führt das zu Einbußen in Sachen Atmosphäre und Dichte? Keineswegs, HAUNTER ist schaurig, bietet ein paar gelungene Schreckmomente, sogar die Story bleibt trotz der Sprünge bis zum Ende schlüssig und clever.
Doch HAUNTER ist nicht nur eine Best-Of-Nummernrevue zwischen SIXTH SENSE und THE OTHERS, er hat seine ganz eigene Atmosphäre und trotz des ernsten Erzähltons auch seine skurrilen und ironischen Momente. Dabei fühlt sich der Film herrlich nach gutem Achtziger Jahre Horror an, “the Pale Man” ist ähnlich angsteinflößend wie Reverend Kane aus POLTERGEIST 2. Doch das Highlight des Films ist Abigale Breslin als Lisa. Breslin wurde ja mit LITTLE MISS SUNSHINE bekannt, hat aber bereits seit ihrem sechsten Lebensjahr Mysteriethriller-Erfahrung (SIGNS). In diesem Jahr gab sie als Entführungsopfer in THE CALL bereits eine Glanzvorstellung und in HAUNTER ist es ihr lebendiges Spiel, was unheimlich Spaß macht. Abigale reißt die Augen weit auf, flucht, meckert und rennt wie ein wildgewordener Feger durch das Haus. Protagonisten in Geisterfilmen sind oft langweilig, trist. Es ist nicht so, dass es Abigale durch schauspielerische Höchstform schafft, dass man mit ihr mehr mit fiebert als mit ihren Kolleginnen. Manche Reaktion von Lisa sind eher niedlich, gerade weil sie etwas overacted sind. Viel mehr ist es ihre Ausstrahlung, die einen mitreißt.
Verglichen mit THE MESSENGER von 2007, in dem Kristen Stewart in einer ähnlichen Situation war, zeigt sich dies ganz anschaulich. Obwohl Stewart eine gute Schauspielerin ist, so etwas wie Ausstrahlung fehlt ihr fast völlig, vor allem in dieser Rolle. Ergo ist ein Mitfühlen mit ihrer Figur ziemlich schwierig. Breslin dagegen sprüht vor Spielleidenschaft. Sie ist eine der großen Stärken des Films neben dem wendungsreichen Plot und dem Charme der Inszenierung wie Lisas Zimmer voller Poster von Depeche Mode, Joy Division und Bauhaus oder Lisas Bruder, der die ganze Zeit PACMAN zockt.
Endlich mal ein Geisterfilm, der über die üblichen Wendungen und Klischees hinausgeht. Natali mischt munter Facetten aus verschiedenen Horrorsubgenres, vom Zeitreiseplot über Geisterkrimi, Serienkiller und Besessenheit und präsentiert das Ganze als leichtfüßigen, sympathischen und effektiven Horrorthriller. Keine Minute Langeweile, immer neue Storyhaken, spannend bis zum Schluss und mit einer fantastischen Abigale Breslin.
- Abigale Breslin als Lisa
- The Pale Man
- ein richtiger Genrebastard
- Wendungen und falsche Fährten
- komplexer, aber schlüssiger Plot
- stilvolle Inszenierung ohne Schnickschnack
- immer dieses Oujia-Brett!
FAZIT:
Unterschiedliche Subgenres wild durcheinander gewürfelt und gewonnen. HAUNTER ist einer der besten Geisterthriller der letzten Jahre.
HAUNTER, USA 2013, Regie: Vincenzo Natali, Drehbuch: Matthew Brian King
Für Fans von THE INNKEEPERS, REPEATERS & THE OTHERS