ONLY GOD FORGIVES

Die Filme des Dänen Nicolas Winding Refn sind nicht unbedingt jedermanns Sache. Neben der PUSHER Trilogie, die ich erst sehr spät gesehen habe, hat mich vor allem BRONSON mit Tom Hardy begeistert. Seit DRIVE aus dem Jahr 2011 ist Refn einem größeren Publikum bekannt. Trotz Ryan Gosling ist DRIVE aber weit entfernt von massentauglichem Feel-Good-Entertainment. Refn inszeniert sperrige, schweigsame und abgründige Reflektionen von Gewalt und Gegengewalt. Sein neuer Film ONLY GOD FORGIVES treibt beide inszenatorischen Pfeiler von Refn noch auf die Spitze: stilisierte Langsamkeit und emotionslose Brutalität.

 

 

Julien (Ryan Gosling) und Billy (Tom Burke) sind Brüder, die einen Kickboxclub in Bangkok betreiben. Das richtige Geschäft aber machen sie mit Drogenhandel, für den der Club als Tarnung dient. Nachdem Billy eine minderjährige Prostituierte vergewaltigt und getötet hat, wird er vom Vater des Mädchens ebenfalls brutal ermordet. Daraufhin greift Crystal (unfassbar gut: Kristin Scott Thomas), die Mutter beider Brüder, ins Geschehen ein und verlangt von Julien Vergeltung. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt nimmt ihren Lauf.

 

Ryan Gosling spielt ebenso wie in DRIVE einen schweigsamen Racheengel. Verglichen mit ONLY GOD FORGIVES kann man aber immer noch von einem einigermaßen menschlichen Charakter sprechen. Die Figur Julien Thompson scheint zu keiner emotionalen Reaktion, zu keiner Gefühlsregung im Stande. Die betont langsame Inszenierung verstärkt seinen Charakter noch. Quälend lang verharrt die Kamera auf dem regungslosen Gesicht von Ryan Gosling. Was mag in diesem Kopf vorgehen, welcher äußere Reiz, noch so winzig, kann wütende Gewalt entfesseln. Im Rachedrama ONLY GOD FORGIVES wirkt seine Figur völlig stumpf. Der Akt der Rache an seinem Bruder ist vollkommen emotionslos und nicht von nachvollziehbarem Gerechtigkeitsempfinden geprägt. Genauso mechanisch wirkt die Erzählweise, ohne Thrill, zäh und überstilisiert. Zusammen mit der schier barbarischen Gewalt ist es nicht verwunderlich, dass die Kritiken wieder mal ausschließlich zwischen Meisterwerk und Zumutung polarisieren.

 

Highlight des Films: Kristin Scott Thomas als Crystal

Es ist die Frage, wie man gegenüber einem Film wie ONLY GOD FORGIVES eingestellt ist. Betrachtet man ihn als Rachestudie oder als Rauschmittel. Als Rachestudie taugt er nix. Refn hält sich nicht an Thriller-Normen, alles wirkt wie ein surrealer Kaugummi irgendwo zwischen KILL BILL, TWIN PEAKS – DER FILM und IRREVERSIBLE. Atmosphärisch ist der Film eine Bombe, eindringliche Farben, verspielter Elektro-Soundtrack und elegische Kamerafahrten. Doch man muss in der richtigen Stimmung für das alles sein.

 

Genauso verhält es sich schauspielerisch. Ich kann kritische Stimmen, die Ryan Gosling fast darstellerische Abwesenheit attestieren, sogar nachvollziehen. Doch liegt halt genau der Unberechenbarkeit von Gosslings Schweigen das Gefühl größten Unbehagens inne. Im anderen Extrem agiert Kristin Scott Thomas, die ich sehr schätze und selten so aufgetakelt und fies gesehen habe. Overacting, wie ich in manchen Kritiken gelesen habe, würde ich das aber nicht nennen. Gerade weil Scott Thomas oft zurückhaltende, stille Personen mimt, ist ihre Darbietung in ONLY GOD FORGIVES das erfrischendste Element im sonst elegischem Brei aus roter Farbe, Schweigen und dem Abtrennen von Körpergliedmaßen.

 

 

 

 

Der Film ist in erster Linie ein LSD-Trip á la ENTER THE VOID. Eine Empfehlung von ONLY GOD FORGIVES als launige Sommer-Popcorn-Unterhaltung ist mit Sicherheit eine fiese Geste. Überstilisierte Ästhetik, vollkommene Emotionslosigkeit und minutenlanges Schweigen in Goslings Zuckergusche sind, wie gesagt, nicht jedermanns Sache. Wem aber Tarantino´s Gewaltexzesse zu brav und langweilig erscheinen, muss sich das Ding in heißer Sommernacht als Mitternachtsvorstellung geben.

 

Im Kino, Tiberius Film / 24 Bilder

 

  • beklemmende, surreale Atmosphäre
  • tolles Farbdesign
  • eindringlicher Soundtrack
  • Kristin Scott Thomas spielt irre
  • Gewalt an der Grenze der Erträglichkeit
  • bleibt lange kleben
  • Figurenmotivation bleibt im Dunkeln
  • zähe, langsame und sperrige Inszenierung
  • völlig emotionslos

 

 

FAZIT:

Wer eine Charakterstudie über Rache sucht, wird enttäuscht sein. Eher ein surrealer, sperriger, aber  nachhallender Trip, auf den man sich einlassen muss.

 

ONLY GOD FORGIVES, USA 2013, Drehbuch und Regie: Nicolas Winding Refn
Für Fans von DRIVE, TWIN PEAKS – DER FILM & ENTER THE VOID

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de