Ode on Melancholy

Heute ist ein trauriges Datum. Der 13. November war seit jeher ein gebeutelter Tag. Am 13. November 1940 hatte Walt Disneys Film FANTASIA Premiere. Das war schön. Wolf Biermann kritisierte 1976 bei einem Konzert in Köln das DDR-Regime und wurde Tage später ausgebürgert. Das war weniger schön. Konstantinopel wurde an einem 13. November von feindlichen Truppen besetzt, Michael Schumacher gewann seinen ersten Weltmeistertitel und Ludwig VII. von Frankreich heiratet, und zwar seine dritte Frau. Das war 1160. 2013 hingegen schließt mein Kino. Nicht mein eigenes, meine Multiplexkinos laufen alle noch. Das Kino, was ich meine, hat sieben Jahre meines Lebens geprägt und geformt wie eine Tiefziehpresse Plastikboote. Nun gibt es am 13. November 2013 seine Abschiedsvorstellung.

 

Von der Holzbank in den Kinosessel

Das Kino, von dem ich spreche, war der Ort meiner ersten Begegnung mit dem Medium Film. Das war in den frühen achtziger Jahren und der Film hieß ROTKÄPPCHEN. Obwohl das für mich dem Einschlag eines Meteoriten gleichkam, habe ich dieses Kino, welches vier Kilometer von meiner Heimatstadt entfernt lag, dann auch nicht mehr besucht, bis es 1991 schloss. Mein Heimatörtchen in Thüringen hatte ein eigenes Kino und es lag nur einen Steinschlag von meinem Elternhaus entfernt. Es war ein klassisches Ein-Saal-Kino mit Holzklappbänken.

 

Vorn, vor der Leinwand auf der Tribüne, lagen Filmposter und die Progress Filmprogramm Magazine zum Mitnehmen. Die ganzen achtziger Jahre bis 1990 lief dort vor jeder Vorstellung und in den Pausen ein und dieselbe Peter Maffay Platte. Wenn ich “Sonne in der Nacht” heute irgendwo höre, denke ich zuerst an das kleine Kino, in dem ich die Hälfte meiner Kindheit verbracht habe.

 

Das Kino in Zeulenroda im Jahr 1929

Nach der Wende hielt es sich noch ein paar Monate mit GHOSTBUSTERS und BEIM JODELN JUCKT DIE LEDERHOSE über Wasser, dann schloss es seine Pforten. Bizarr erscheint mir heute, dass dieses Gebäude nie umgebaut wurde, in eine Möbelhalle oder so, nie abgerissen wurde oder in die Luft gesprengt. Es wurde einfach vergessen und von Schlingpflanzen eingenommen.

 

Es ist ein bisschen so wie in dieser n24-Doku ZUKUNFT OHNE MENSCHEN. Efeu oder so hat den Flachbau einfach überwuchert. Meines Erachtens gibt es sogar noch die zwei Schaukästen davor. Oder täusche ich mich da? Manchmal träume ich davon, dass ich während eines Besuches in meiner Heimatstadt an dem alten Kino vorbeigehe und feststelle, dass es immer noch bespielt wird. Plakate hängen aus, es läuft BATMAN von 1989. Der Traum endet immer vor Beginn dieser Vorstellung.

 

Doch dass dieses Kino 1990 die Pforten dicht machte, hat mich nicht sonderlich mitgenommen. Dafür eröffnete ja eine Videothek ein paar Meter weiter in einer alten Bäckerei. In den ersten Jahren nach der Wende gab es dann kein Kino in der Nähe, das nächste lag mindestens 20 Kilometer entfernt und ich hatte noch nicht mal ein Moped. Doch das Lichtspielhaus, in welchem ich ROTKÄPPCHEN sah, schickte sich 1994 an, wieder Kino in die Region zu bringen. Das war auch bitter nötig, denn die Kinolandschaft explodierte Anfang der neunziger Jahre förmlich. 1993 brach auch in Deutschland durch JURASSIC PARK ein Hauch Dinomania aus, HOT SHOTS 2 stand hoch im Kurs und ich war heiß auf THE FLINTSTONES, weil auf VIVA immer das Musikvideo von The B-52’s lief.

 

Als jenes Kino 1994 wieder öffnete, war das etwas ganz besonderes. Denn der neue Eigentümer entschied sich, die Highlights der letzten Monate oder auch Jahre sozusagen als Filmfestival zu spielen, alle drei Tage ein anderer Film, was die Möglichkeit bot, verpasste Streifen nachzuholen. Ich war bereits zur ersten Vorstellung zugegen, es wurde DIE NACKTE KANONE 33 1/3 gespielt, und ich habe, so mich meine Erinnerung nicht trügt, auch jeden Film der Retrowochen gesehen, auch DAS GEISTERHAUS. Zwischen 1994 und 1997 nahm ich dann auch so ziemlich jedes Filmangebot mit. Doch nicht nur das.

 

Ich begann bereits früh, mich mit dem Theaterleiter in wilde Diskussionen und Debatten an der Kasse zu verstricken, hielt den wahrscheinlich mit meiner Wissbegierde, wann denn nun dieser oder jener Film anlaufe, vom Arbeiten ab. Insgeheim hoffte ich, das gebe ich heute zu, dass es mir durch menschliches Bandeln gelänge, an den Besitz des Posters von TIM BURTONS NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS zu kommen, was im Foyer hing. Immer wenn ich den Theaterleiter durch die Blume danach fragte, antwortete er stets mit: “Das ist aber nicht der neue Freddy Krüger!”

 

Mein Theaterleiter und ich auf einem Foto mit Altertumswert.

Irgendwann wurden der Theaterleiter und ich dann sowas wie Quatschkumpels und ich verbrachte mehr Zeit im Foyer als im Kinosaal. Den Betreiber des Kinos habe ich in den ersten Jahren nur selten gesehen. Nur einmal, ich sah mit meiner Familie bereits das dritte mal SPEED und erkundigte mich nach Rabatt, da lobte jener Kinobetreiber meine Feilschkünste als zukunftsträchtiges Wirtschaftsdenken und ich würde es diesbezüglich weit bringen. Er hat sich leider geirrt.

 

Doch die Art und Weise, wie er das kleine Kino betrieb, hob sich wohltuend von der bereits beginnenden Maschinerie Multiplex ab. Zu jener Zeit besaß das Kino zwei Säle, der Sitzkomfort und die Beinfreiheit waren spürbar bequemer als in anderen Lichtspielhäusern, auch war der ganze Service persönlicher, näher, wärmer. Es war 1997, als der Bau eines dritten Saales begann. Das habe ich noch abgewartet.

 

Ich begann 1997 mein Abitur nachzuholen und war auf der Suche nach einem Ferienjob. In einem Kino zu arbeiten war eher eine spontane Idee, ich würde lügen, wenn ich behaupte, das wäre schon immer ein naheliegender Traum gewesen. Als ich mich nach Ferienarbeit erkundigte, bekam ich zur Antwort, dass ich auch generell im Kino arbeiten könne. Ich war verblüfft, aber nahm das Angebot gern an. Ich hatte nun nicht nur meine halbe Kindheit im Kino verbracht, nun arbeitete ich auch noch in einem. Verrückt!

 

Vom Eisverkäufer zum Filmvorführer

Glückliche Zufälle sollten auch weiterhin eintreten. Eine wirkliche Arbeitsunterteilung gab es nicht, jeder machte eigentlich alles, von der Kasse über das Zubereiten von Popcorn, Abriss und Eispause. Eispause, das war die größte Hürde, die es anfangs zu überwinden galt. Da steht man nun da als das, was man selbst immer belächelt hat, wenn sich nach einer Schöller-Werbung der Vorhang kurz schloss und der entscheidende Satz durch den Saal tönte: “Will noch jemand ein Eis?” Doch die Scham, das plötzliche Versagen vor einfachen Additionsaufgaben und das unangenehme Gefühl, sich durch eine ganze Bankreihe drängeln zu müssen, verflog bereits nach wenigen Vorstellungen. Jede Tätigkeit, ob an der Kasse oder am Kartenabriss, hatte so ihre Stolperstellen.

 

Zum Beispiel die Popcornzubereitung. Wer nicht über Asbesthände verfügte, zog sich unweigerlich Hautverbrennungen an den Händen zu, wenn er der Popcornpfanne zu nahe kam. Und das musste man, denn Sauberkeit war hier oberstes Gebot, und das zu Recht. Ich bin seither vorsichtig, wenn es um Popcorn im Kino geht, denn ich weiß um die Komplexität der Maschinenreinigung und mit geschulten Auge konnte ich in anderen Kinos selten die Sauberkeit feststellen, die in unserem Kino Standard war. Ich hab gern etwas mehr Zucker verwandt, aber geputzt habe ich das Ding immer wie eine uralte Uhr. Narben auf meinen Händen bezeugen dies.

 

Quadratzentimeterbereich Vorführraum

Nur wenige Wochen nach meiner Einstellung musste einer der beiden Vorführer zur Bundeswehr, was mich in eine neue Position rücken ließ. Mir wurde angetragen, das Vorführhandwerk zu erlernen und da mich da nichts mehr aufhielt, wollte ich gern meinem Theaterleiter nach Alderan folgen und ein Filmvorführer werden. Die hohe Kunst, 35mm Filmprojektion zu beherrschen, war eine Aufgabe, der ich mich mit Hingabe widmete. Dabei ist Technisches Verständnis nur ein kleiner Teil, Film in einen Projektor einzulegen war nicht die Schwierigkeit. Die größte Hürde war die Angst, Fehler zu machen. Bis sich eine Art Spielroutine einstellte, verging mindestens ein Jahr. Doch bereits nach 6 Wochen oder so musste ich lernen, ohne Aufsicht einen Saal zu bespielen. Was für ein Quatsch, drei Säle mussten bespielt werden, auf ungefähr gleichen Zeitachsen. Rückblickend betrachtet ähnelte die 20:00 Uhr-Achse in einem Kino einer Alarmsituation auf einem U-Boot.

 

Vorführraume sind enge Kajüten, in denen es laut ist und mindestens 140 Grad Celsius herrschen. Um als einzelner Mensch in zwei Sälen pünktlich 20:00 Uhr Filme anlaufen zu lassen, musste man sich sputen. So ein Film in Saal 1 losratterte, galt es zum nächsten Vorführraum zu rennen, der lange Flur dahin hatte auch etwas von den Gängen eines Unterseebootes. Wenn nichts unvorhergesehenes eintrat, war das aber alles schaffbar. Aber es gibt in der Vorführung von 35mm Film viele Tücken, die einen Adrenalin in die Blutbahn schießen lassen können.

 

Von Schlaufen, Schlitten und dem Lara-Croft-Malheur

Obwohl es nun bereits gut zehn Jahre her ist, dass ich das letzte Mal Film eingelegt habe, ich habe keinen Handgriff vergessen. In alten Kinos, zum Beispiel das in meiner Heimatstadt, wurde mit zwei Projektoren gespielt und überblendet. Man spielte die einzelnen Filmrollen einfach abwechselnd und musste im Richtigen Moment von einem auf den anderen Projektor wechseln, und zwar dann, wenn in der oberen rechten Ecke des Films ein kleines Quadrat aufblitzte. Weniger aufwändig war es, von einem Teller zu spielen. Dort lagen die einzelnen kleinen Rollen bereits aneinandergeklebt als eine große Filmrolle auf einem Aluminiumteller. Von dort aus ging es los.

 

Das Material wandert durch eine sogenannte Einsteckeinheit über viele Rollen durch den Vorführraum in den Projektor. Dort passiert es zuerst die Digitaleinheit für den Ton, bevor es in den Bildbereich geht. Der Film muss dort über den Bildschlitten, der nach Größe des Bildausschnitts variiert, je nach dem, ob es sich um 1:1,85 Material oder Cinemascope handelt. Wichtig ist auch, dass der Frame des Bildes passend auf dem Bildausschnitt des Schlittens liegt, sonst sieht man auf der Leinwand nur ein durch einen schwarzen Balken getrenntes Bild.

 

Doch das wichtigste beim Einlegen von Filmmaterial in die Projektoreinheit ist das Bilden von Schlaufen jeweils vor und nach der Bildklappe. Der Film wurde nämlich nicht straff eingelegt, sondern mit ausreichend Luft. So eine Schlaufe musste perfekt sein, zwischen Filmmaterial und der Abdeckklappe darüber darf nur die Breite eines Zeigefingers passen, und diesen muss der ratternde Film nur sanft kitzeln. Auf keine Fall sollte man seinen Finger in eines der zahlreichen Zahnräder stecken. Aber das Gefühl dieses sanften Vibrierens an der Fingerkuppe kann wohl auch nur ein Filmvorführer nachvollziehen können.

 

Eine echte, heimlich von mir zu Recherchezwecken fabrizierte, perfekte Schlaufe.

Wenn der Film dann aus dem Projektor kommt, wandert er über Rollen an den Wänden wieder zurück auf einen anderen Teller, um dort wieder aufgewickelt zu werden und zwar auf Ringe, bzw. einen Ring. Nicht Der eine Ring, sondern nur ein Plastikring mit einem Nietenstecker. Diese Ringe waren manchmal hinterhältig. Ihre Aufgabe war es, dass sich der Film relativ straff um jenen Ring wickelt, so dass man ihn tragend transportieren kann.

 

Ob der Ring das tut, weiß man erst, wenn man so eine aufgewickelte Filmrolle, die einen Durchmesser von über einem Meter hat, vom Teller hebt. Der Übergang von der horizontalen Lage in eine Senkrechte ist eine Zeitspanne höchster Aufregung. Es kann nämlich passieren, dass der Film nicht so straff auf dem Innenring gewickelt ist, wie Trägheit, Schwerkraft und Schmiergleitung es benötigen. Wenn einem der Film vom Ring entgleitet, dann hat man den sprichwörtlichen Bandsalat vor seinen Füßen liegen. Mir passierte das mit TOMB RAIDER. Dieses Missgeschick hat mich zumindest zu der Erkenntnis gebracht, wie lang es dauert, eine Filmrolle von 90 Minuten, was zirka 3000 Meter sind, per Hand wieder auf den Teller zu spulen. Zwar gibt es eine Einzugsspulenschaltung, aber das Polyester hat die Eigenschaft, beim Aufspulen Schleifen zu bilden, was ich ihm ja gar nicht verübeln will. Einen Film per Hand aufzuspulen, bedarf exakt 94 Minuten, man verliert dabei 30% Körperflüssigkeit und bekommt 744 neue graue Haare.

 

Die Minions wurden zu so etwas wie die Maskottchen des Kinos.

Doch Gefahren lauern auch, wenn alles straff sitzt. Ein Film wird nun mal oft hin und her getragen. Innen hält ihn der Ring, von Außen muss ein Klebestreifen das Ende des Materials fixieren. Wenn man den Film auf einen anderen Teller gehoben hat, sollte man diese Klebestelle allerdings wieder entfernen, sonst lässt man dem Projektionsapparat gar keine andere Möglichkeit, als die verklebte Stelle ganz am Ende zwischen den Zahnrädern zu verkeilen.

 

So kann es passieren, dass man das Ende des Films immer mal ein Stückchen abschneiden muss, dort, wo das Polyester zerknietscht und gedängelt wurde. Spielt man TITANIC über elf Wochen lang in zwei Teilen, kann es passieren, dass sich das Ende des ersten Teils immer weiter verkürzt. Gerade noch stehen Jack und Rose auf dem Kahn und fangen an, sich zu befummeln, schon geht die Leinwand zu. Weil mir das ein, zwei mal passiert ist, wollte ich diese Sequenz sogar selber mal nachdrehen, und das dann irgendwie hinten ran pappen. Ich wusste auch nicht, was mich schlimmer traf, die Vergesslichkeit wegen dem Klebestreifen oder die Tatsache, dass ich an der Kürzung eines Films beteiligt war, ein schwerer Vorwurf für einen Horrorfilmfan. Aber war ja nur TITANIC.

 

Wer nix macht, macht auch keine Fehler. Ich habe Laufstreifen in LEATHAL WEAPON 4 fabriziert, weil der Film nicht über eine Rolle, sondern über eine Gewindestange lief. Seitdem habe ich doppelt und dreifach jeden Weg des Materials durch die Maschine überprüft. All diese Dinge werden in Vergessenheit geraten, wenn die analoge Vorführung den Weg alles Irdischen geht, was sie ja bereits tut. All jene, die digital projizieren und so werden nie die Erfahrung machen, wie es ist, sich die Hände an den Stricken einzuschneiden, die um die Kopienboxen gespannt waren. Die Kisten wogen um die 30 Kilo, das sind umgerechnet über 8 Milliarden Terrabyte. Wenn plötzlich kein Ton im Saal kommt, dafür aber die Digitaltonspur auf der Leinwand zu sehen ist, weil man den Film falsch herum eingelegt hat. Oder vom Kollegen angeschrien zu werden, wenn man verschwitzt aus dem Vorführraum kommt, lediglich mit dem Wort “BILDSTRICH!”. Die Pausenmusikkassette zurückspulen, Startbänder mit der Klebelade ankoppeln, mal ohne Automatik fahren. All diese Sachen werden verloren sein in der Zeit so wie Tränen im Regen…

 

Von einer Zukunft ohne Kino

Nun ist das hier keine Ode on Maltese Cross, an das Sterben der analogen Filmprojektion oder das Kinosterben allgemein. Es sind auch nicht die Erinnerungen an das Filmvorführen, die mich schwermütig machen. Ich arbeitete in diesem Kino offiziell bis 2004, habe aber noch bis fast zuletzt die Mittwochskinoflyer gestaltet. Jenes Kino war nicht einfach nur ein Nebenjob. Wenige haben das so lang gemacht wie ich. Aushilfen kamen und gingen. Mehr und mehr hat sich dieses Kino in etwas familiäres gewandelt. Meine Schwester und einen besten Freund habe ich dort untergebracht, war natürlich auch mal mit einer Arbeitskollegin liiert, wie ich auch mit einem Arbeitskollegen zwangsverschwägert wurde.

 

Die Helge Schneider Filmnächte bescherten mir einen Lebensvorrat an PRAXIS DR. HASENBEIN – Aufklebern

Private Passionen konnte ich dort ausleben, ich überzeugte meinen Chef von der Dringlichkeit einer Helge-Schneider-Filmnacht, die dann auch zweimal abgehalten wurde. Ich hatte großen Spaß, Werbematerialien wie Poster in kleine Stücke zu zerreißen, um daraus filigraneres Werbeartwork zu basteln – man hat mich machen lassen. Jeden Mittwoch vor einem Bundesstart die Schaukästen, die mein Onkel hergestellt hat, nach meinen visuellen Vorstellungen zu bestücken. Dann eine Soljanka und eine Vita-Cola. Die Bestände an Karamelleis, die Marke hab ich vergessen, dürfte ich alle selber gekauft und verspeist haben.

 

Als ich 2004 offiziell mein Engagement im Kino beendete, geschah das bereits mit einem dicken Kloß im Hals. Seither war ich bei jedem meiner Heimatbesuche in diesem Kino, wenn auch nur zum Schwatzen im Foyer, so wie alles begonnen hatte. Ich glaube nicht, dass dieses Kinogebäude auch überwuchert werden wird. Aber es wird mir fehlen, die Schwingtüren, die Pappaufsteller, das sanfte Rattern der Projektoren. Fast 20 Jahre hat dieses kleine Privatkino Vielem getrotzt. Dass es jetzt schließt, wegen Einwohner- und Besucherschwund, wegen Umstellung auf Digitalprojektion, heißt im Umkehrschluss aber auch, dass es nicht viele Kinos gibt, die in der Form 20 Jahre lang jeden Tag bespielt wurden, sich bis zuletzt als Trutzburg gegen die Multiplexe gehalten haben, weil sie persönlicher war, warmherziger, weniger maschinell.

 

 

Das Kino Zeulenroda im Juni 2013

 

 

Das Kino meiner Kindheit wurde zum Urwald, die Videothek meiner Jugend endete als Flohmarkt und die Lichtspielstätte, in der ich das Vorführhandwerk erlernte, muss nun auch schließen! Der Lauf der Dinge und so. Ich habe es nicht geschafft, einen Film zu machen, der Premiere in diesem Kino gehabt hätte. Wird nun auch nimmer. Wenn heute der letzte Meter Polyester durch die Zahnräder des Projektors rasselt, werde ich einen Ardbeg trinken und leise seufzen. Gern hätte ich die Bildschlitten nochmal gewissenhaft per Zahnbürste geputzt. Leb wohl, Odeon! Es tröstet nur eine Gewissheit: In Walhalla wird noch analog gespielt.

 

Spätestens dort sehen wir uns wieder!

 

 

 

 

One Comment

  1. Antworten
    Markus 14. November 2013

    Schöner Artikel.
    In meinem Nachbardorf hat auch gerade ein Kino dicht gemacht.
    Auch hier war das umrüsten auf Digital das Problem.
    In meiner Kindheit Independence Day, Tarzan, Mission Impossible und als letztes Star Wars EP4 in “irgendwie Neu” dort gesehen. Dann hab ich das Kino verlassen weil ich dann Mobil war, hatte einen Roller :-D, und konnte dann in ein Cinestar fahren. Dort war irgendwie alles viel heller, die Leinwand größer, besserer Sound und die Filmauswahl war sovieso viel krasser (dort konnte man mal an einem Abend 2 verschiedene Filme schauen).
    Der Hauptgrund aber warum ich das Kino gewechselt hatte war, man durfte in dem alten Rauchen. Und ich als Nichtraucher, mir ging das auf dem Keks wenn man vor einem abwechselnd die Blagen eine Kippe angezündet haben.
    Dennoch….als ich nun vor ein paar Tagen das geschlossen gesehen habe musste ich dann doch innerlich mit einem schlechten Gewissen kämpfen “wärst du doch mal öfters dort reingegangen, jetzt isses weg!”

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de