Mandara

In der Rubrik Retro Review gehen wir heute auf eine ganz besondere Abenteuerreise in die Vergangenheit, in eine Zeit weit vor der großen Serienrevolution oder Netflix, denn auch früher schon gab es Fernsehserienstaffeln, auf die Jahr für Jahr hingefiebert wurde, insbesondere zur Vorweihnachtszeit. Mehr noch, wir besprechen heute eine damals gar nicht so unübliche Abnormität, nämlich eine deutsche Fantasyserie einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt aus dem Jahr 1983 – MANDARA – ein wilder Seemannsgarn über fiese Strandpiraten, finstere Dämonen und cleveren kleinen Helden, also alles, was sich das kindliche Genreherz wünscht. Leider ist jener güldene Serienschatz arg in Vergessenheit geraten, so lasst ihn uns ausbuddeln, ihr Sprotten und Spinnaker.

 

 

ZDF Weihnachtsserien

Die beliebtesten ZDF Weihnachtsserien zwischen 1979 und 1987

 

 

Im Jahr 1979 startete im ZDF die berühmte 13-teilige Fantasyserie TIMM THALER ODER DAS VERKAUFTE LACHEN und begründete die heimelige Tradition der ZDF Vorweihnachtsserien, welche bis in die frühen 90er Jahre Kleinode wie JACK HOLBORN, SILAS, PATRICK PACARD oder ANNA hervorbrachte. Die meisten dieser Serien entstammten der Münchner TV60 Filmproduktion, welche 1983 im Auftrag des ZDF auch den Kultmehrteiler NESTHÄCKCHEN produzierten. Aber 1983 startete im Zweiten Deutschen Fernsehen noch eine andere Vorweihnachtsserie der Berliner Magnet Film-Produktion nach einer Idee von Justus Pfaue (TIMM THALER), welche noch ein bisschen wilder und vor allem mystischer war als die anderen Serienabenteuer aus dem Hause ZDF.

 

 

Breemster im Jahre 1874. Hinterlistige Strandpiraten mit gruseligen Masken manipulieren Leuchtfeuer und locken so Handelsschiffe an die Klippen, um sich ihre Ladung zu schnappen. Dieses Schicksal ereilt auch ein Schiff aus einem fernen Land vom anderen Ende der Welt, doch es gibt einen Überlebenden, einen jungen Prinzen namens Shabu. Da die Strandpiraten keine Zeugen hinterlassen wollen, schwebt der Schiffbrüchige Prinz Shabu weiterhin in Lebensgefahr, doch erhält er unerwartet Hilfe von Eltje, der Tochter des Dorfapothekers, welche gern von zu Hause ausbüxt und mit ihrem besten Freund Hendrik am Strand auf Abenteuersuche geht.

 

 

Mandara

Geheimversteck Aalräucherkammer – während Hendrik (Florian Jentsch) dem Gestrandeten skeptisch gegenüber steht, ist Eltje (Christina Kubinek) wissbegierig darauf zu erfahren, welches Geheimnis sich hinter Prinz Shabou (Stefan Ernst) verbirgt.

 

 

Durch die Rettung von Prinz Shabu geraten Eltje und Hendrik auch sogleich in unheilvolle Verwicklungen. Denn noch zwei andere Gestalten sind vor Breemster gestrandet, eine goldene Statue der Göttin Mandara und ihr finsterer Sklavendämon. Dieser trachtet nach der alten Macht Mandaras, nur ein Amulett kann die schwarze Windgestalt in Schach halten. Jenes Amulett wurde von Prinz Shabu gestohlen, nachdem seine Schwester Mandara geopfert werden sollte. Nun also muss sich der Prinz nicht nur vor den Strandpiraten, sondern auch vor dem hinterlistigen Dämon verstecken. Glücklicherweise erweist sich Eltje als clevere Komplizin.

 

Um seinen finsteren Plan zu verwirklichen, gibt sich der Dämon als Kunstmaler Professor Hass aus und wird den Bewohnern von Breemster vorstellig. Professor Hass spielt den Gönner der Stadt, verhilft der heruntergekommenen Kirche zu neuen Fenstern, treibt aber auch bitteren Schabernack mit den leichtgläubigen Seeleuten. Er will der Göttin Mandara zu neuer Macht verhelfen und dafür ist ihm jedes Mittel recht. Während Eltje dem Mysterium auf die Spur geht, verfällt auch sie dem Bann der goldenen Göttin und wird unfreiwillig zu deren Priesterin. Durch die Berührung der Statue färbt sich ihre Hand golden und kann jeden töten, den sie berührt.

 

 

Mandara

Der Dämon (Horst Frank) gibt sich als Kunstmaler Professor Hass aus und wickelt sogar die gutmütigsten Bürger wie den Dorfpastor und den Apotheker um seine Zauberfinger.

 

 

Mit diesem Handicap fällt es Eltje immer schwerer, ihren Freunden zu helfen, so verfällt sie letztendlich auch dem Dämon Professor Hass und löscht mit dessen Hilfe das gesamte Dorf Breemster aus. Schaurig, schmaurig. Doch Professor Hass’ Ziel, mittels des Amuletts über die Göttin Mandara zu herrschen, scheitert. 150 Jahre später aber kehrt er ins wiederaufgebaute Breemster zurück und will sein Werk vollenden. Doch abermals stellt sich ihm eine neue Eltje entgegen, die Nachfahrin der Eltje aus dem Jahr 1874. Kann sie den Bann Mandaras brechen und den Dämon besiegen oder wird sie das gleiche Schicksal ereilen wie ihre Vorfahrin?

 

Die 12-teilige Serie MANDARA wirkt auf den ersten Blick wie ein Mashup der Vorweihnachtsserien bis 1983, hat ein historisches Setting wie SILAS oder JACK HOLBORN und einen finsteren Bösewicht wie Baron de Lefouet aus TIMM THALER, welcher sogar ebenfalls von der deutschen Schauspiellegende Horst Frank gespielt wird. Was aber nicht heißt, dass MANDARA nicht überaus originell war und immer noch ist. So gut wie jede Figur aus Breemster ist zwielichtiger Natur, jeder der Dorfbewohner könnte den geheimnisvollen Sturmmännern angehören, welche als Strandpiraten für Schrecken sorgen. Selbst die gutmütig Naiven wie der Dorfpastor oder der Apotheker sind den Verlockungen des Bösen nicht gefeit, Breemster ist leichte Beute für einen Dämon.

 

 

Mandara

Die Macht Mandaras verflucht Eltje mit einer goldenen Hand, die jeden tötet, den sie berührt.

 

 

Wenn da nicht Eltje wäre, die Heldin der Geschichte. Sie ist phantasievoll, emphatisch, clever, frech und aufgeweckt und es zerreißt einem das Herz mit anzusehen, wie sie von Professor Hass manipuliert und auf die dunkle Seite der Sprottenkiste gezogen wird. Doch glücklicherweise ist auch Eltjes Nachfahrin gleichen Namens ein ebenso aufgewecktes Früchtchen. Spannungsmomente gibt es in MANDARA zuhauf, sei es die mysteriöse Anziehungskraft der stummen Statue, Eltjes todbringende goldene Hand, das Rangeln der Strandpiraten und derer fiesen Methoden oder die zum Teil tollpatschige Leichtgläubigkeit der übrigen Dorfbewohner.

 

Was nicht heißt, dass MANDARA nicht auch ungemeint charmant und witzig sein kann. Eltjes Streiche ihrer Klavierlehrerin Frau Erlebrecht gegenüber, die Streitereien mit ihrem Freund Hendrik und ihre Altklugheit (“Ich hab’n genauen Überblick darüber, welche Jungs mich kennen und welche nicht.”) sind ein wahres Feuerwerk der Sympathie. Überhaupt wirkt MANDARA heute reichlich gewagt, Eltje kann mit ihrer goldenen Hand jeden töten, den sie berührt, der Dämon Professor Hass will eine Kirche zum heiligen Tempel einer Hindu-Göttin machen, das erscheint einem auch heute noch ziemlich subversiv und mutig für eine Kinderserie.

 

 

Mandara

150 Jahre nach den Ereignissen von 1874 gibt es eine neue, ebenso aufgeweckte Eltje, welche mit ihrem neuen Freund Sven (Roger Hübner) dem Mysterium erneut auf die Spur geht – inklusive neuster Technologie wie das weiße Rauschen aus dem Kassettenrekorder.

 

 

Wenn Dämon Hass mit den Breemster Bürgern Schabernack treibt, erinnert das ein wenig an Stephen Kings IN EINER KLEINEN STADT. Es trifft aber selten wirklich Unschuldige, denn beinahe jeder in Breemster ist zwielichtiger Natur. Das Amulett und somit das Mittel zur Macht über die Göttin Mandara geht regelmäßig verloren und wechselt oft den Besitzer und bringt zusätzlich Spannung in die Geschichte. Auch der Zeitsprung in die damalige Gegenwart glückt im Storyverlauf und bringt jede Menge neue Ideen mit. Denn noch immer sind die Bürger von Breemster im Herzen Piraten und nehmen vorrangig ahnungslose Touristen aus.

 

MANDARA lebt von seiner wundervollen Nordseeatmosphäre, den witzigen Sprüchen (“Ihr doht lüttn bit spinnen!”) und jeder Menge magischer Mystery. Spaß macht die Serie vor allem wegen der gut aufgelegten Mimen, allen voran Horst Frank als finsterer Dämon Hass, Mädchenschwarm Stefan Ernst als Prinz Shabou sowie illustre Nebenrollen für Hans Clarin als Sturmmannanführer und Anita Kupsch als Nervenbündel einer Musiklehrerin. Aber vor allem begeistert Hauptdarstellerin Christina Kubinek als Eltje, die danach schauspielerisch leider kaum mehr in Erscheinung getreten ist.

 

 

Mandara Hörspielkassetten

Die Hörspielreihe MANDARA von Europa übernimmt die Tonspur der Serie und fügt zusätzliche Musik von Komponist Jürgen Knieper hinzu.

 

 

Natürlich lebt MANDARA heute vor allem von der heimeligen Erinnerung an damals, als die ZDF Weihnachtsserien noch etwas ganz besonderes waren. Speziell bei MANDARA kam noch hinzu (zumindest bei mir), dass man das Abenteuer jede Nacht mittels Europa Hörspielkassetten wieder erleben konnte, was vor allem dazu führte, die wundervolle Filmmusik von Jürgen Knieper nicht mehr aus dem Kopf zu bekommen. Heute ist MANDARA zum Glück kein verschollener Serienklassiker und immerhin auf DVD noch recht günstig zu ergattern. Eine dicke Empfehlung also, sich noch einmal dieser wundervollen Spöttenkieckerei hinzugeben.

 

Studio Hamburg (DVD)

 

  • wendungsreiche Geschichte
  • mystisch und atmosphärisch
  • Christina Kubinek als Eltje
  • Musik von Jürgen Knieper
  • Dämon Professor Hass
  • teils subversive Ideen
  • Hans Clarin & Anita Kupsch
  • das weiße Rauschen rockt
  • visuell ein bisschen angegraut
  • einmal Vorspann hätte gereicht

 

FAZIT:

Strandpiraten, Dämonen, fremdländische Göttinnen – MANDARA ist heute wie damals eine der ungewöhnlichsten Kinder- und Jugendserien mit einer toll gespielten Hauptfigur und jeder Menge Mystery.

 

MANDARA, D 1983, Regie: Franz Josef Gottlieb, Idee: Justus Pfaue
Für Fans von THE GOONIES, PETER PAN & ZDF Weihnachtsserien

 

 

One Comment

  1. Antworten
    Stefan 18. Februar 2023

    Danke für die ausfühliche Inhaltsangabe. Habe die Serie als Kind gesehen, konnte mich aber nicht mehr an den Namen erinnern. War damals irgendwie angsteinflößend. Einerseits kindlich gemacht aber auch unheimlich.

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de