Let strength be granted…

Das Licht der Flamme malt Schatten an das nasse Relief. Hinter dem Tor verklingen die Laute der Krähen in dumpfen Hall, der Wind, der sich in den Zinnen verfängt, pfeift wie winselndes Gewürm unter der Klinge der Erhabenen. Ich friere nicht, die Flamme spendet Wärme, jedoch keinen Trost. Einsamkeit lässt mich frösteln, meine Haut ist zerklüftet, einer Landkarte gleich, die den Weg in die Verdammnis beschreibt. Die Mauern sind durchdrungen von Wurzelgeflecht, sie binden das Bauwerk an ihren Lebenszyklus, organische Materie, die über Leben, Tod und Verfall bestimmt, ähnlich meiner Haut. Sie zu sehen konfrontiert mich mit meiner eigenen Vergänglichkeit. Viel habe ich auf dem Weg hierher verloren. Ich bin nun mehr eine Hülle, eine Puppe in ehernem Kleid, graviertes Eisen, lederne Schellen, zerrissene Gamaschen. Doch mein Körper selbst ist eine viel beständigere Hülle geworden.

 

Die Spitze meines Schwertes bohrt sich in den brüchigen Stein, mein Körper erhebt sich, fühlt sich gestärkt, wenn auch Taubheit meine Glieder umfahren und innere Wärme nur einem Echo der Vergangenheit gleicht. Ich entferne mich vom Feuer und steige die Leiter hinab, folge den Scherben aus Bruchstein in den Kerker der Verlorenen. Vor meinen Füßen sind Blutlachen, Zeugen des Scheiterns auf dem Weg, den vor mir viele gegangen sind. Dunkelheit hüllt mich ein und ich entzünde die Fackel mit meinen treuen Flammen-Schmetterlingen, wage mich tiefer in die Burg, in den Sog der kalten Erde, einem Massengrab verblendeter Seelen. Wird es auch mich verschlingen auf dem Weg durch das Land, was sie Drangleic nennen. Oder hat es mich bereits verschlungen?

 

Tiefer, immer tiefer in das Loch, den schmalen Gang entlang zur Höhle unter dem Fels. Vor mir ein Nebel, der Hauch der Verdammnis längst vergangener Zeiten, will mich einsaugen, erneut. Ich halte ihm Stand, ich bin stärker als zuvor, die vielen Male, die ich diesen Pfad ging, dass kein Untoter mehr übrig war auf dem Weg hinab in die Gruft des letzten Riesen. Er hat mich zerstampft, zermalmt, unter der steinernen Borke seines Leibes zerquetscht, ein ums andere mal. Und doch erwache ich immer wieder am Feuer, welches Schatten an das nasse Relief malt. Kein Schmerz, kein Bedauern, kein Hass. Das ist der wahre Fluch meines Daseins. Es endet nie. Doch ich widersetze mich diesem Bann, wetze meine Klinge, bestreiche sie mit schwarzem Harz und berühre den Nebel, ein weiteres Mal. Erneut stehe ich vor ihm, dem letzten seiner Art. Ich werde kämpfen, wieder und wieder.

 

Bis die Welt eines Tages vielleicht wieder verheilt ist.

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Es war einmal ein altes Schloss und Kunibert, so hieß der Boss. Runkel, Arthur, Lancelot, ja so hießen die alten Rittersleut, mit Schwert, Schild oder Kokosnuss, wer hat sie in der Kindheit nicht geliebt, wollte sie knuddeln und sich fest an ihre Harnische drücken? Niemand? Kommt schon, Leute, jetzt gebt es zu! Ritter sind cool, Jedi-Ritter noch viel cooler und Ritter Sport schmeckt lecker, besonders Rum-Traube-Nuss. Wo war ich jetzt gleich noch abgeschweift? Ach ja, Ritter! Super Sache, als Kind hatte ich Schwerter, Schilder, Kettenhemden, eine Playmobilburg mit fluoreszierendem Schlossgespenst und ein Pferd! Na gut, kein Pferd. Aber ein Wappen habe ich gemalt. War ´ne schöne Zeit, aber auch irgendwie langweilig. Zum Glück ist das alles vorbei. Ich musste gerade mal 38 werden, um endlich der Ritter sein zu dürfen, nach dem ich mich in meiner Kindheit immer gesehnt habe.

 

Learning by Dying

 

Die Erfüllung dieses Kindheitstraumes verdanke ich einer Videospielreihe, die im sogenannten Fandom als die SOULS-Spiele bekannt sind. Wovon ich heute berichten will, ist mitnichten der neuste und heißeste Scheiß der Gamerwelt, etwas über DEMONS SOULS oder DARK SOULS zu schreiben, bedeutet Gargoyles nach Anor Londo zu tragen. Ich will es dennoch tun, denn die SOULS-Spiele waren und sind für mich nicht nur Gamepaderfahrungen, sondern haben auch meine Sicht auf klassisches Storytelling innerhalb meines Gewerkes verändert. Doch fangen wir mal ganz daddelig an. Für all jene, die noch nie Berührung mit der SOULS-Reihe hatten, was machen diese Spiel so besonders, dass sie eine so große und enthusiastische Fangemeinde haben?

 

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Die SOULS-Games stammen aus der japanischen Spieleschmiede FROM SOFTWARE und sind im Kern Action-Adventure mit starkem Rollenspieleinschlag. Sie spielen in fernen Fantasywelten, die einen gewissen HERR-DER-RINGE-Anstrich nicht verleugnen können, wenn auch sie düsterer und skurriler daherkommen. In den Spielen steuert man einen anonymen Charakter durch eine teilweise zusammenhängende Welt, vermöbelt reihenweise Feinde, von schlichten Untoten mit Infanteriehelm bis zu richtig großen Brocken an Dämonen, Trollen oder Getier. Dadurch sammelt man Seelen, die man in Levelaufstiege investieren kann oder zum Kauf neuer Waffen und Rüstungen.

 

Das Kampfsystem wird in Echtzeit ausgetragen und Angriffe sind durch eine Ausdauerleiste begrenzt. Hiebe, Schläge, Blocken und Ausweichen müssen gut berechnet und getimt sein, denn sonst steht man dem Gegner äußerst schutzlos gegenüber, der einen mit drei, vier Schlägen ins digitale Nirwana befördern kann. Doch das typische Game Over anderer Spiele wird in der SOULS-Reihe zu einer tragenden Säule der Spielemechanik. Stell dich dem Gegner, bekomme Backenfutter, sterbe, stelle dich ihm erneut, analysiere seine Angriffsmuster, reagiere, triumphiere. Sterbe wenige Meter weiter erneut.

 

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Denn was die SOULS-Reihe ausmacht, ist learning by dying. Sie zählt zu den härtesten Brocken an Videospielen, die je auf einer Konsole oder auf PC erschienen sind. Dabei geht es nicht nur um die hohe Sterblichkeitsrate, es geht vor allem um den Verzicht jeglichen Komforts, über den heutige Spiele verfügen. Immer wiederkehrende Gegner, lange Laufwege, wenig Rücksetzpunkte, begrenzte Heilitems, Verlust aller Erfahrungspunkte nach zweimaligem Scheitern. Falle eine Mauer herunter – tot. Leg dich mit zwei Feinden gleichzeitig an – tot. Trinke im falschen Moment einen Heiltrank – tot. Schlage wie ein Gestochener auf den Gegner ein, verliere deine Ausdauer und du wirst übel vermöbelt. Versuche zu fliehen – tot. Klingt hart, ist auch so.

 

 

Der Statuswert Geduld

 

Hart ja, aber nie unfair. Im Grunde sind die SOULS-Spiele noch echte Videospiele, die den Spieler fordern und ihn nicht mit Zugänglichkeit und Vercasualisierung zum interaktivem Buttonsmasher degradieren. Während andere Spiele über den Komfort verschiedener Schwierigkeitsgrade verfügen, alle naselang Rücksetzpunkte triggern, Komplettheilung oder andere Automatismen bieten, sind die SOULS-Spiele beinahe ein Relikt alter Tage. Wer FORTRESS OF FEAR auf dem Gameboy oder SUPER GHOULS ´N GHOSTS aufm dem Super Nintendo gespielt hat, hat eine ungefähre Vorstellung vom Schwierigkeitsgrad, der heutzutage nicht mehr jedermanns Sache ist, so er es früher überhaupt war.

 

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Das gilt auch für mich, denn ich bezeichne mich zwar als großen SOULS-Fan, selbst gespielt habe ich aber nur DEMONS SOULS (eine gute Stunde lang) und DARK SOULS 2, aber das mit Passion. Das heißt nicht, dass ich nur einen ungefähren Einblick in die Spiele des Hauses FROM SOFTWARE habe. Nach der enttäuschenden Selbsterfahrung mit DEMONS SOULS habe ich es vorgezogen, mir unzählige Walkthroughs und Let´s Plays der SOULS-Spiele reinzuziehen. Das waren prägende audiovisuelle Stunden, wenn auch jeder begeisterte Zocker nur mit den Schultern zucken kann, ein Videospiel vorgespielt zu bekommen. Nachdem ich in DEMONS SOULS nur wenige Meter ins Boletarische Schloss eindringen konnte, habe ich mir geschworen, nie wieder ein SOULS-Spiel anzurühren.

 

Ich bekam selbst bei Zuschauen Herzattacken, wenn ein Spieler mit 10.000 Seelen den Löffel abgab und beim Versuch, die verlorenen Seelen wiederzuerlangen, an einer Wurzel stolperte und – tot. Sinnbildlich natürlich, aber so fühlte es sich an. Warum ich vor einigen Monaten dennoch einen schier unbändigen Drang verspürte, das doch nochmal selbst zu probieren, weiß ich gar nicht mehr. Dennoch habe ich im September diesen Jahre begonnen, DARK SOULS 2 zu spielen.

 

Ich muss zugeben, ich bin nicht der skilligste Gamer, meine Fähigkeiten am Gamepad sind ok, aber nicht weltmeisterlich. Was diesen Malus allerdings entschärft ist, dass ich bei Spielen eine Engelsgeduld besitze und selbst am stupidesten Leveln und Grinden Spaß habe. Ich habe monatelang bei FINAL FANTASY VIII am Strand Adaman Taimais verkloppt und gefressen, um auf 255 Verteidigungspunkte zu kommen – bei jedem Charakter! Jede noch so unwichtige Nebenquest in XENOBLADE gemacht, stundenlang Items auf Bionis und Mechonis gefarmt. Wenn es irgendwo eine 99 zu erreichen galt, habe ich mich daran festgebissen. War die Droprate auch noch so gering, ich habe weiter gegrindet, dass sich die PAL-Balken bogen. Wie viele Stunden dadurch auch ins Land ziehen, wie zäh auch der Spielfortschritt insgesamt ist, ich kann das genießen. Gute Voraussetzungen also für DARK SOULS?

 

Und ob. Bereits im ersten Spieldurchlauf war mein verehrter Ritter auf Stufe 237, im Grunde genommen völlig überlevelt, aber das muss bei DARK SOULS nichts heißen. Natürlich suche ich auch nach Herausforderungen, die gibt es in den SOULS-Spielen zu Hauf, wie auch bleibende magische Videospielmomente, die ich wohl nie vergessen werde.

Denkwürdige Momente der DARK SOULS Spiele: Der Klaffdrache, der letzte Riese, der Drachenhort, die Kristallhöhle, Mimik – die lebendige Schatztruhe, Ankunft in Majula, sprechende Pilze, das Nest von Dyna & Tillo, Sif, der bewaffnete Wolf, die Irdenpitze, Blick über den Jägerhain, Begegnung mit einem roten Phantom

 

Wenn man völlig unvorbereitet vor einem Boss namens “Der Verkommene” steht, den man nie zu bezwingen glaubte und ihn dann im first try niederstreckt, während hinten auf der Couch zwei Typen über den Begriff “first try” ablachen, diese Noobs! Wenn man online Hilfe von einem anderen Spieler bekommt, die Double Pursuer zu erlegen und sich mit dem neu gewonnen virtuellen Freund gleich noch zu anderen Bossen aufmacht, ihnen den Gar auszumachen. Wenn man stundenlang vor dem Nest der Krähen Dyna und Tillo steht, nur um wieder und wieder das niedliche “Ya ya, so nice, so smooth!” zu hören. Wenn der Mad Warrior im Sonnenturm nach gefühlten 5000 Niederstreckungen endlich die Irrkriegerrüstung fallen lässt. Wenn das rettende Leuchtfeuer in Sichtweite ist, und sich plötzlich ein riesiger Dämon davor manifestiert.

 

There is no lore

 

Es sind jedoch nicht nur die spielerischen Momente, die die SOULS -Spiele ausmachen. Erzählerisch gehen sie einen völlig neuen Weg innerhalb des Mediums und auch darüber hinaus. Fantasywerke im Spiel oder im Film sind zwar reich an Andeutungen und Hintergründen, im Storytelling aber klassisch, Helden haben Ziele und Sehnsüchte, eine Vergangenheit, nachvollziehbare Handlungsmuster und Motive, Prolog, Geschichte, Epilog. Die SOULS-Spiele verweigern sich teilweise einer solchen ausformulierten Erzählweise, im Gegenteil, sie verstecken die Geschichte und Geschichten vor dem Spieler, der sie zum einen selbst entdecken, zum anderen auch selbst zusammenfügen muss.

 

Ankunft in Majula in DARK SOULS 2 – inszenatorische Wucht ohne Erklärungen

Die SOULS-Spiele haben keine aufwändigen Rendervideos, keine ausufernden und erklärenden Dialoge mit NPCs, keinen Helden, der einen Plan hat. Die meiste Zeit versteht man in den SOULS-Spielen eigentlich nur Bahnhof. Ich könnte Euch die Geschichte von DARK SOULS 2 auch nach 200 Spielstunden kaum erzählen, denn sie besteht aus Fragmenten, die sich hinter Beschreibungen gefundener Gegenstände verbergen, hinter wortkargem, kryptischen Geschwätz der Bewohner von Drangleic, hinter Schriftzeichen auf Mauern und Gemälden. In diesem scheinbar erzählerischen Defizit steckt ein ungeheuer großes Mysterium und ein Zwang, sich die Geschichte selbst zu erzählen.

 

Das geht bei den SOULS-Games mit der Spielmechanik und Dramaturgie einher, denn man spielt einen anonymisierten Helden ohne Vorgeschichte, der wie der Spieler in die Welt geworfen wird, ohne sich seiner Bestimmung gewahr zu sein. Es gibt keine Karte, keine definitiven Hinweise, keine ersichtlichen Ziele, kein Warum und Weshalb. Doch gerade deshalb wirken die Spiele aus dem Hause FROM SOFTWARE so einzigartig, denn sie stacheln ungemein die Phantasie des Spielers an.

 

So ist es verständlich, dass man sich abseits der Challenge auch vom rein audiovisuellem und erzählerischen Aspekt der Spiele berieseln lassen kann. Das ist es, was die SOULS-Spiele so einzigartig macht. Es gibt in ihnen keine definitive Geschichte, es gibt Geschichten, eine Kunde, Sagengut. Diese in Spielerkreisen als “Lore” bezeichnete Art des Erzählens (englisch für Überlieferung oder Wissen, auch bekannt als Folklore) hat sich zu einer zweiten Säule neben der reinen Spielemechanik etabliert und sie wird in Foren, in YouTube-Videos oder sogar in Gedichtbänden zelebriert. Und es macht einen Heideritterspaß, diese Fragmente und Splitter aufzusaugen und weiterzuspinnen.

 

Details der Geschichte und Spielwelt sind in den SOULS-Spielen oft in Items versteckt

Man findet einen Harnisch, in seiner Beschreibung ist etwas von einem alten König die Rede, alles ist kryptisch, doch man hat bereits davon gehört, eine alte Händlerin hat ihn einst erwähnt und man liest in alten Runen von seinem Wirken. Obwohl in den SOULS-Spielen so gut wie nie erzählerische Bögen gespannt werden, man nimmt es hin, weil man wie seine Spielfigur der Welt ausgeliefert ist.

 

Diese Art des Storytellings hat natürlich großen Einfluss auf die Immersion mit eben dieser Spielwelt und seiner Spielfigur. Es verwischt die Grenzen zum Videospiel, wenn man sich darauf einlässt. Spiele ich TOMB RAIDER oder GOD OF WAR, steuere ich Lara Croft oder Kratos, in der anonymisierten Spielfigur in DARK SOULS 2 bin ich es selbst, der in der Rüstung steckt. Der Verzicht auf eine klare Erzählweise lässt mich oft ahnungslos dastehen, oft rätseln, oft verzweifeln. Das bindet den Spieler.

 

Darüber hinaus ist das Kampfsystem, so gnadenlos es erscheint, ebenso für diese Bindung verantwortlich. Wenn ich nicht von meinem Gegner wieder und wieder lerne, werde ich scheitern. Jeder Tod in DARK SOULS 2 tat mir selbst körperlich weh oder ein Zucken durchfuhr meinen Habitus. Auf der anderen Seite gibt es kaum ein größeres Glücksgefühl, als einen Boss nach unzähligen gescheiterten Versuchen endlich bezwungen zu haben. In den SOULS-Spielen verschmilzt der Spieler mit der Spielfigur, durch technische und erzählerische Kunstgriffe der FROM SOFTWARE Entwickler.

 

 

Joypad für´s Gehirn

 

Abseits der SOULS-Spiele findet man eine solche Erzählweise selten. Dabei war sie früher, technisch bedingt, sehr gängig. Erst durch opulente Datenträgermaximierung hielten cineastische Inszenierungen Einzug in die Videospielwelt, damit auch Figuren, Welten und Geschichten, die darin spielen. Heute sind manche Videospiele Produkte, die ins Sachen Inszenierung nicht selten Hollywood-Blockbuster übertrumpfen, sowohl von inhaltlichen Aspekten als auch vom Budget und vom Erfolg.

 

Dabei greifen Spiele in ihrer Inszenierung natürlich auf dramaturgisches Handwerkszeug des Films zurück, Spiele werden cinematisch. Doch je mehr sie sich dem Medium Film annähern, desto mehr entrücken sie einerseits ihrer Interaktivität, andererseits verkommen sie mitunter zur reinen Berieselung durch vorgekautes Kasperletheater, bei dem man ab und zu ein Knöpfchen drücken darf. Ich beziehe das jetzt weniger auf die Reduzierung von spielerischen Komponenten. Erzählerisch folgen Spiele wie RISE OF THE TOMB RAIDER oder auch das fantastische THE LAST OF US meist brav Kinostandards. Held, Motivation, Geschichte, Dramaturgie. Spiel wird Film wird Spiel wird Film.

 

Interaktivität & Storytelling in heutigen Videogames: Quicktime-Events, Texte, erklärende Intros, Entscheidungsmöglichkeiten

In den SOULS-Spielen wird die Geschichte zu einem Teil der interaktiven Inszenierung. Man braucht dafür keine flinken Finger, man braucht dafür Phantasie. Dass sich große Teile der Geschichte in DEMONS SOULS, DARK SOULS oder BLOODBORNE erst offenbaren, wenn man sie aktiv mitdenkt, ist ebenso eine Herausforderung im Spiel wie den FINSTERSCHLEICHER zu zerhacken. Nur ist Mitdenken für manche mehr Arbeit als Entspannung. Und überhaupt, die Einzigartigkeit einer solchen Erzählweise ist mit filmischen Mitteln gar nicht zu erreichen.

 

Aber stimmt das? Nehmen wir die HERR DER RINGE Verfilmungen, die zwar klassisch narrativ sind, aber in denen sich auch solche kryptischen Hintergrundinformationen verstecken. Die Erwähnung von alten Schwertern und Schmuckstücken, der ganze Quatsch, über den sich Gandalf und die Elben unterhalten, alles, was nicht direkt mit dem Verlauf der Story zu tun hat und den es nicht bedarf. Der aber der Grund dafür ist, warum bei manchen Filmen Erzähluniversen entstehen, auch über den Film hinaus. Diese “lore” existiert auch in Filmen, natürlich ist das Fantasygenre prädestiniert dafür.

 

 

Von Spielern zusammengesetze Storyfragmente der DARK SOULS Lore

Aber so funktioniert auch MEMENTO. Baue dir im Kopf die Geschichte selbst zusammen. Es ist im Grunde eine Dramaturgenweisheit, das ein erzählerisches Aussparen von Ereignissen die Story und Figurenspannung erhöhen kann. Bestenfalls ist man fasziniert, auch wenn man nicht durchblickt. Man schaut den Film ein zweites mal, bei Games spricht man von Wiederspielwert. Einem Drehbuch kann man vorwerfen, dass es die Herkunft, die Motive, die Ziele der Figuren nicht konkret erzählt. Man kann dem Drehbuch aber genauso vorwerfen, dass es übererklärt, dass keinerlei Reiz und Geheimnis mehr übrigbleiben. Die Überlegungen über das kryptische Storytelling in den SOULS-Spielen hat mich darüber nachdenken lassen, ob das in dieser Form auch bei einem Film funktioniert.

 

 

 

DARK SOULS – Der Film: Eine dramaturgische Unmöglichkeit?

 

Dabei geht es weniger konkret um einen möglichen DARK SOULS Film. Das würde generell funktionieren, immerhin wurde auch “Schiffe versenken” verfilmt. Es geht darum, diese Einzigartigkeiten der SOULS-Spielereihe filmisch zu interpretieren. In einem meiner Artikel habe ich mal über NINTENDO-Spieleverfilmungen herumgesponnen. Es ging dabei auch um das filmische Aufgreifen von Spielemechaniken und deren Übersetzung ins cineastische, weniger um Story und Figuren an sich. Die Einsamkeit einer Samus Aran in METROID oder die Sprachlosigkeit eines Link aus THE LEGEND OF ZELDA, wie kann man das filmisch adaptieren. Wenn man die Eigenheiten der SOULS-Spiele transponieren möchte, würde das funktionieren?

 

Die erste Hürde, die sich stellt ist, dass ein Film einen Helden braucht, den man versteht, im Guten wie im Schlechten. Der “Held” aus den SOULS-Spielen ist aber kein solcher, er ist irgendjemand, ohne Background, ohne Orientierung, ohne Motive, scheinbar ohne Ziel. Will oder kann man in einem Film einer solchen Figur folgen, wenn man nicht gleich nach zwei Minuten sein Psychogramm aufs Brot geschmiert bekommt? Kann man die Verlorenheit in einer fremden Welt erzählen, wenn man Aspekte der Hintergrundgeschichte nicht in ausufernde Dialoge oder Symbolisierungen packt, sondern in Details? Ein Hauptmerkmal der SOULS-Spiele ist das Sterben. Wie viele Kinohelden sind denn bereits nach wenigen Minuten verstorben? Und überhaupt, was ist dramatisch an einer Reise durch eine Fantasywelt, vorbei an Drachen und Dämonen, abseits der Visualität?

 

visual_darksoulsposterDie Welt braucht vermutlich keinen DARK SOULS Film. Aber die Welt braucht Filme insgesamt nicht, sie sind Luxus. Doch solche Überlegungen fördern manchmal Ideen weg vom dramaturgischen Status Quo. Wenn der Tod beispielsweise ein fester Bestandteil der Figur ist, eine Hürde, die es zu überwinden gilt, der man sich wieder und wieder stellen muss, natürlich mit dem rechten Maß an Pacing und Dramaturgie. Dann kann das sogar ironisch wirken, wenn der Held immer wieder einen Weg gehen muss und immer wieder scheitert und sein Körper zusehends zerfällt.

 

Im Film bedeutet der Tod immer das Ende, obwohl es viele Untote im Film gibt. Aber Sterben als dramaturgisches Element der Weiterentwicklung? Ein weiteres Element der SOULS-Spiele ist die logische Erfassung und Erschließung der Spielwelt. Hat man in DER HERR DER RINGE eine Vorstellung für Größe Mittelerdes und die Entfernungen der verschiedenen Lokalitäten? Ist das überhaupt notwendig?

 

Klar, man kann einen DARK SOULS Film mit einem Fingerschnipsen erdenken, Welten, Monster, tragische Geschichten. Nur hat man damit nicht die Dynamik des Spiels eingefangen. Am Ende wäre es ein Fantasyfilm von der Stange.

 

 

So nice, so smooth!

 

Schon aus reiner Spaß an der Freude würde ich ein solches Konzept einmal schreiben, welches so ziemlich alle dramaturgischen Leitmotive negiert, nur um zu sehen, ob es funktioniert. Da sitzt er, der Held, den keiner kennt, am Leuchtfeuer und pfeift sich noch einen Elizabetpilz rein, bevor er aufbricht in eine Welt voller Zwielichtigkeit, in der man schon mal seinen Mentor hinterrücks backstabt, auch wenn das doppelt gemoppelt ist. Die SOULS-Spiele sind Reisen, aber keine Heldenreise, von der Joseph Campbell schreibt. Eigentlich traurig, denn Videospiele dürfen das, auch wenn es selten so konsequent durchgezogen wird wie in den SOULS-Spielen, weg vom Mainstream, von der dramaturgischen Heiligkeit, weg vom Komfort und der Berieselung, polarisierend innerhalb von purem Genre, während beim Film Genre an sich noch spaltet und polarisiert. Hilft nix, hilft nur Rübe ab!

 

So werde ich in den kommenden Dezembertagen das letzte aus Drangleic und DARK SOULS 2 herausquetschen, mir zum hundertsten mal einen “pistol only” Run von BLOODBORNE reinziehen und mich bei einem Blind Let´s Play von DEMONS SOULS kaputtlachen, wie orientierungslos der YouTuber durch die Lande stolpert, so wie ich es einst tat. Ich suche weiterhin Verbindungen von DARK SOULS 1 und 2, forsche nach kryptischen Andeutungen, inwiefern die Spiele in ihrer lore zusammenhängen oder auch nicht und wie Fans in Foren darüber Doktorarbeiten verfassen. Bis im März DARK SOULS 3 erscheint und ich wieder dieses verlorenen Glück empfinde, in eine Welt ohne Erklärung und Bevormundung geworfen zu werden. Um dann nach wenigen Augenblicken das erste mal zu sterben.

 

 

One Comment

  1. Antworten

    […] man einen DARK SOULS Film machen, ein Spiel, welches zu gleichen Teilen von (krytischer) Story UND aus einem eigenwilligem […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de