Getreidemühle Einsamkeit
Was kann das werden, ein Portrait von Helge Schneider, mit speziellem Blick auf seine Filmwerke? Geht es da um Schnüffelpiloten, Hamster Hermi, Tante Uschi oder Eidechsen mit tupierten Haaren, die ein Stück Holz essen? Oder um verkopfte, überintellektuelle Verquastung, die in der Art, wie Kommissar 00 Schneider Käsebrot isst, eine Kritik am sozialen Verfall der Wertegesellschaft sieht? Wie muss man sich Helge nähern? Wie einem Räuber? Oder besser erst warten, bis die Gewebeproben zurückkommen? Und vor allem, was sucht wieder so ein Underdog hier im Genrefilmportraitsaal? Helge zwischen Zombies & Hackepetra? Jetzt ist auch klar, warum es dem deutschen Genrefilm so schlecht geht! Das is alles Ihre Schuld, Herr Fauls…äh, Herr Hempel. Doch, ich glaube schon, Herr Hempel, Sie sind Schuld. Sie haben psychische Probleme. Sie stinken wie ein Schwein! So können Sie nicht auf die Straße!
Siehste! Schon geht´s los! Nachplapperei, Phrasendrescherei. So ist das immer, wenn sich unbedarfter Büttel über einen der größten Künstler, Musiker, Maler, Schriftsteller, Entertainer, Geschichtenerzähler, Filmemacher, etc. auslässt. Immer dieses Herumkritzeln mit alten Stiften. Haha, lustig, mach ma Katzeklo! Nüschd gibs! Ruhe da vorn, sonst setzt´s eine Runde Strafjazz!
In erster Linie geht mir beim Schreiben und Entwickeln um Inspiration, um Anecken, um das Verlassen ausgetretener Pfade und Wege, nicht speziell auf den Genrefilm bezogen. Mich als Autor, Dramaturg und Stoffentwickler tangieren täglich die krudesten Dinge, die in Ideen, Plots oder Figuren münden. Neben täglichem Wahnsinn wie Toilettenlektüre, Videothekenneuheiten, Giftschrankfunde oder die Sichtung einer schönen Frau an der EDEKA-Kasse gibt es auch untergärige, unterbewusste Einflussnahme des Hier und Jetzt auf den Schreibprozess. Etwas, was sich tief im Inneren manifestiert und festgesetzt hat, Eigenarten von Protagonisten beeinflusst, Rhythmus und Sprache färbt, banale Dinge interessant erscheinen lässt. Nichts hat meine Faszination am Fiktiven, am Geschichtenerzählen und Entwickeln von Figuren mehr beeinflusst als das Lebenswerk des Künstlers Helge Schneider.
Wie bereits erwähnt, Helge ist Vieles, nahezu Alles. Begnadeter Musiker, Clown, Chronist. In seiner Kunst, egal ob in Liedern, Bildern, Erzählungen oder Filmen, wirft Helge einen mikroskopischen Blick auf Gesellschaft, Geschichte und Kultur, saugt es auf und wirft es dem Publikum zurück. Nicht alle verstehen das. Das Publikum freut sich mittlerweile, wenn Helge lediglich mit den Augenlidern zuckt und lacht sich darüber schlapp. Wer aber tiefer in sein Schaffen eintaucht, entdeckt unzählige Ebenen des Humors, der Ernsthaftigkeit, der Doppelbödigkeit und Abstraktion.
Alles, was Helge künstlerisch anfasst, ist geprägt von Freiheit. Denn Helge Schneider produziert nicht, er improvisiert. Bühne, Buch, Studioalbum, vieles entsteht, wenn es entsteht. Gerade aus diesem Grund kann man sich die Frage stellen, warum Helge auch das Medium Film für sich entdeckt und bedient hat. Denn Film bedeutet Fessel, Kompromiss, Starrheit und Feste Form. Trotzdem zieht es Helge immer mal wieder zum Filmemachen. Filmemacher, für kaum jemanden trifft das passender zu als für das Genie aus Mülheim an der Ruhr. Helge bekleidet zwar auch feste Rollen wie Regisseur oder Autor, er ist aber in erster Linie Kapitän, besser Familienoberhaupt einer kreativen Zelle. Der Weg von der Bühne auf die Leinwand war kein immens Großer. Bevor Helge als Schauspieler in Filmen von Werner Nekes oder Christoph Schlingensief auftrat, hatte er schon ein riesiges Repertoire an Rollen und Figuren gespielt, war Verkleidungskünstler, Westernheld, Heine-Leser und Stimmenimitator. Der Gang zum Film also vorprogrammiert? Mitnichten. Die Filme von und mit Helge sind allesamt eine von vielen Facetten des Künstlers und vielleicht auch die für ihn schwierigste und unbefriedigendste. Denn gerade seine ersten Filme TEXAS und 00 SCHNEIDER wurden oder werden bis heute von Nichteingefleischten missverstanden oder fehlinterpretiert.
1993 kam TEXAS – DOC SNYDER HÄLT DIE WELT IN ATEM in die Kinos, mit überraschendem Erfolg, 1,1 Millionen Besucher in Deutschland. Zusammen mit “Katzeklo” 1994 war das der Höhepunkt seines Erfolgs, in Zahlen ausgedrückt. Für Viele war TEXAS nur eine Komödie, ein Affront gegen den guten Geschmack. Viele sehen in dem Film den Versuch, eine lustige Komödie vor Westernhintergrund machen. Doch damit wurde Helge missverstanden, wie er selbst in den berühmten Schlingensief-Interviews äußerte. Denn Helge wollte keinen Klamauk vor Westernkulisse machen, er wollte einen Western machen. Die meisten sehen in der Kargheit der Kulissen und dem Spiel mit dem Rand der Bebauung absichtliches Humorpotential.
Aber Helge wollte, wenn schon, denn schon, einen richtigen Western drehen. So war knappes Budget eher ein Hindernis für den Künstler. Wer behauptet, in Filmen wie TEXAS wäre es egal, ob Bauten, Kostüm, Ausstattung oder Location nun realistisch und authentisch sind, der irrt. Das ist ein Grund, warum Helge mit seinem filmischen Werk nie ganz zufrieden schien.
Der Hauptgrund aber liegt in seiner Improvisationsgabe. Denn der Prozess des Filmemachens ist in gewisser Weise das Gegenteil von Spontaneität. Helges Humor entwickelt sich aus Situationen heraus, aus Schlagfertigkeit und aus dem Abtauchen in eine artifizielle Welt, in der er sich verspinnen kann. Auf der Bühne erzählt Helge Geschichten, über eine Fahrt im Auto über die Autobahn, über Landschaften links und rechts der Leitplanke, über Löcher, aus denen Bäume guckten. Auf der Bühne kann er sich in so eine Fantasiewelt fallen lassen, sie entsteht, wenn sie entsteht. Aber beim Film ist das anders. Der Moment ist zwar immer noch von Spontaneität geprägt, aber der langwierige Prozess bis zur Fertigstellung frisst Vieles davon wieder auf. Zumindest für Helge. Filmemachen ist beschwerlich, das Resultat zeitverzögert sichtbar und dann meist verzerrt und vor allem, nicht mehr zu ändern. In Interviews hat Helge sehr oft preisgegeben, dass Filmemachen ob der Kompromisse und Einschrän-kungen, vor allem aber des Zeitaufwands, für ihn nicht zu den befriedigendsten Arbeiten gehört.
Nach TEXAS und 00 SCHNEIDER wagte er dennoch mit PRAXIS DOKTOR HASENBEIN ein Filmprojekt in kompletter Eigenregie. Nachdem er einen Western und einen Krimi gedreht hatte, ist PRAXIS DOKTOR HASENBEIN eher eine Charakterstudie über verschrobene Charaktere und die große Bedeutung von Nichtigkeit. Der Film erschien 1997 und war für mich schon eine ganz neue Ebene, die ich in der Rezeption seiner Kunst erklommen hatte. Ich habe 00 SCHNEIDER – JAGD AUF NIHIL BAXTER noch vor TEXAS gesehen, zu jener Zeit war ich allerdings schon mit seinen Alben GUTEN TACH und NEW YORK I´M COMING vertraut. Logisch habe auch ich im Helge-Freundeskreis am Anfang noch stark Sprüche geklopft wie “Da hat mir doch jemand in die Stiefel geschissen” oder “…für meine Nichte Soulonge!” Helge-Nachlabern war zu jener Zeit schon schick. Aber dann veränderte sich etwas.
Zu jener Zeit, 1993/1994 habe ich schon geschrieben wie ein Bekloppter und habe mich dabei auch schon kruder Methoden zur Charakterfindung bedient. Als ich dann um das Jahr 1995 herum Helges HÖRSPIELE konsumiert habe, entdeckte ich eine erste Gemeinsamkeit. Auch ich habe es genossen, Menschen zu beobachten, zu belauschen und die Witzigkeit im Alltäglichen und Banalen zu entdecken. Was Helge später als Eduscho-Studium betitelte (also Leute bei Eduscho beim Smalltalk belauschen), setze auch ich schon in Geschichten um. Was dort auf das erste Ohr wüst, urkomisch und skurril klang, entpuppte sich als realistischer und ernsthafter, als man es zu Beginn überhaupt bemerkt. Denn die Hörspiele um Faulskemper, Erwin und Sir Charles Popoloch sind Karikaturen des Lebens. Was durch Stimmenimitation dadaistischen Witz versprühte, war vom Alltag gar nicht so weit entfernt.
Und genau das mündete dann 1997 in PRAXIS DOKTOR HASENBEIN, der doch so ganz anders ist als seine ersten Werke. Während andere immer nur “Wir sind die Fünf vom Waisenhaus” nachsangen, fühlte ich den Schwermut und die Melancholie, diese “Lustige Traurigkeit”, die in dem Film lag. Ein alleinstehender Arzt mit Sohn, keine Frau, der im Zigarrenladen Entspannung findet, trotz seiner Verschrobenheit mit Anderen, seinem Umfeld, verbunden sein will, dazugehören will. Ich sehe PRAXIS DOKTOR HASENBEIN mit Sicherheit nicht intellektuell verquastet oder interpretiere peinliche Psychoanalysen in den Film. Aber ich erkenne auch, dass es Helge um mehr geht als um anarchistischen Witz.
Ich fühle mich Helge sehr verbunden. Das hat weniger mit seinem Werk zu tun als mit seiner Person. Bemerkenswert deshalb, weil ich zwar ALLES, was in irgendeiner Form von Helge erschaffen wurde, konsumiert habe, jedes Buch, jede Konzertreihe, jedes Interview, jede dctp-Produktion, ihn selbst aber nie persönlich getroffen und mit ihm gesprochen habe. Trotzdem fühle ich, auch den Mensch hinter der Kunstfigur Helge Schneider zu verstehen. Rhythmus hat mich ebenso geprägt wie Beobachten und Wandern. Als Schüler hat sich Helge sogar vom Arzt Wandertrieb attestieren lassen, auch ich bin viel gelaufen in meiner Kindheit und Jugend, zum Denken, zum Entwickeln, zum Finden. Wenn man zudem selbst Prozesse der Findung und Evolution mitmacht und einen Künstler über Jahrzehnte hinweg beobachtet, wie er sich verändert, kann ich sogar Gelassenheit und Ruhe entwickeln. Helge hat in seiner Laufbahn verschiedene Gemüter durchlaufen.
Seine frühen Werke waren sehr darauf bedacht, anzuecken, zu polarisieren. Er hat das nicht verloren über die Jahre, er wurde nur gelassener und auch persönlicher, je mehr Helge Schneider von der Außenwelt als ernsthafter Künstler denn als Kurzzeiterscheinung wirren Klamauks verstanden wurde. Es gibt zwar auf Konzerten immer noch Leute, die nur “Schüttel dein Haar für mich” schreien. Aber inzwischen wird Schneider als virtuoser Musiker, der Ankerpunkt seines Schaffens, akzeptiert.
Waren TEXAS und 00 SCHNEIDER eher wilde Fahrten in unkonventionellen Gewässern voller Provokation und Wirrheit (allen voran die Szene im Neanderthalmuseum in 00 SCHNEIDER), machte sich ab PRAXIS DOKTOR HASENBEIN diese Ruhe auch langsam im filmischen Bereich breit. Zwischen PRAXIS und seinem nächsten Film JAZZCLUB liegen nicht nur 7 Jahre, sondern auch eine Verlagerung weg von der plakativen Verschrobenheit hin zu einer Betrachtung des Alltäglichen und der Spiegelung des Kleinen, Verborgenen. Die Figur des Fischverkäufers Teddy Schu ist trotz des skurrilen Witzes eine tragische, geradezu bemitleidenswerte Gestalt, die wesentlich näher an der Realität ist als alleinerziehende Vaterrollen in Til Schweiger Filmen, auch wenn der Vergleich Schwachsinn ist. Solche Figuren wie Teddy Schu oder Earl Mobileh hat Helge nicht aus Selbstzweck entwickelt. In einem Interview sagte Helge einmal, er würde auch gern die Geschichte von Tarzan filmisch erzählen wollen, nur einen modernen Tarzan im Großstadtdschungel, der alltägliche Probleme beim Einkaufen oder der Maniküre hat. Ich glaube Helge, dass er genau so an Figuren heran geht. Das unterscheidet Helge Schneider immens von anderen Komikern, die sich mit Filmen versucht haben.
Je mehr Helge Schneider gereift ist und in seiner Kunst akzeptiert und angenommen wurde, desto ruhiger wurde das Multitalent aus Mülheim, desto prägnanter und lebensnaher wurden seine Figuren, desto originärer sein Schaffen. Mittlerweile wohnt Helge eine gewisse Altersweisheit inne, ein Ruhepol, in dem tollwütige Ausbrüche noch stärkere Kontraste setzen als zu Zeiten von Belgien, Luxemburg, Holland, die Niederlanden und Belgien.
Gerade in dieser Hinsicht wird es wohl ein absoluter Hochgenuss, im Herbst 00 SCHNEIDER- IM WENDEKREIS DER EIDECHSE zu sehen, einen gereiften Kommissar, der mehr nach den Büchern zu kommen scheint als jener von 1994. Filme sind der kleinere und nichtigere Teil seines Repertoires, etwas, was bereits bei Filmpremiere nicht mehr das wiederspiegelt, was einmal die Intention gewesen ist. Helge mag nie zufrieden sein mit dem Kompromiss Film. Für den offenen Filmfreund, der im Stande ist, mehrere Ebenen zu erkennen, wird es auch 20 Jahre nach TEXAS ein Genuss sein, Dinge zu entdecken, die irgendwo zwischen Schweinemaske und Portemonnaietrick liegen.