Die kleine Genrefibel Teil 99: TeleVision
Kino und Krise, seit knapp zwei Jahren das Thema Nr. 17 innerhalb der Corona Pandemie. Für das internationale Kinogeschäft eine Verkettung von Desastern, erst Konkurrenz durch die Streaminganbieter, dann die Schließung der Lichtspielhäuser, am Ende fallen dem Kino sogar die Studios selbst in den Rücken, die ihre Filme auf Halde zeitgleich oder gar exklusiv ins Heimkino bringen. Was nicht heißt, dass vor der Pandemie alles in bester Ordnung war. Kino und Krise, jener Exodus begann bereits vor 75 Jahren mit dem Urvater aller Medienproblematiken – die große Konkurrenz zwischen Kino und Fernsehen. Aber wer oder was konkurrierte da eigentlich miteinander? Das Kino als Ort für Lichtspielfilme gegen den Fernseher als Gerätschaft für den Heimgebrauch? Oder war es ein Krieg der Programme, das Kino- gegen das Fernsehprogramm, was die Gemüter erhitzte wie eine 35mm Vorführkabine?
Dass mit der rasanten Verbreitung von Fernsehgeräten das Kino in die Krise schlitterte, ist kein Geheimnis. Aber das warum ist gesellschaftspolitisch ein überaus spannendes Thema. In einem Konkurrenzkampf muss es fair zugehen, das Kinoprogramm besteht zu 90% aus Kinofilmen, der Rest sind Trailer, Commercials und hier und da mal ein Kurzfilmfestival. Fiktionale Programme wie Spielfilme und Serien sind dagegen nur ein Teil des Fernsehprogramms, von Serien abgesehen sind TV-Filme sogar ein geradezu kleiner Teil. Mit Nachrichtensendungen, Game- oder Talkshows und Liveberichterstattungen konkurrierte das Kino gar nicht. Deshalb fokussieren wir heute das spannende Thema des historischen Zweikampfes der Mediengiganten in den USA, dem Mutterland des Films, und wie sich die Konkurrenz zwischen Kino und Fernsehen auf fiktionale Programme ausgewirkt hat.
Vom Lichtspielhaus zum Pantoffelkino
Fernsehen bedeutet, mittels eines Empfangsgerätes, dem Fernseher, eine Fernsehsendung anzuschauen. Ein Synonym dafür ist das Kürzel TV für Television, aus dem griechischen tele für fern und videre für sehen. Und das funktioniert so, ein Fernsehsender sendet ein Programm aus, aufgeschlüsselt in Bild- und Tonsignalen, ein Fernsehgerät empfängt diese Signale und bildet sie auf einem Bildschirm ab. Die Grundlagen für diese Technik wurden im Jahr 1884 von Paul Nipkow erfunden, die mechanische Bildübertragung via Rotation einer gelochten Bildscheibe – die Nipkow-Scheibe. Die elektronische Bildübermittlung wurde im Jahr 1897 von Ferdinand Braun und Jonathan Zenneck mit der Kathodenstrahlröhre, auch Braunsche Röhre genannt, erfunden und diese Geburt des Fernsehens geschah somit nur zwei Jahre nach der Geburtsstunde der Kinematographie im Jahr 1895.
Wie Kinotechnik entwickelte sich Fernsehtechnik ab Geburt an rasant, bereits 1920 gab es Patente für Fernsehsysteme, die ersten Bewegtbilder wurden im Jahr 1924 gesendet. Nach der ersten Vorstellung des Prinzips Fernsehen auf der Berliner Funkausstellung 1928 stellte Manfred von Ardenne 1931 dort das elektronische Fernsehgerät vor. Das erste kommerzielle Nutzungsgebiet war die Nachrichtensendung, welche in jener Zeit vor allem der Vorkriegspropaganda diente. Ab 1935 gab es diverse Fernsehstuben in den USA, 1936 wurden die Olympischen Spiele in Berlin die erste Live-Fernsehübertragung der Welt. Fernsehen, in den 30er Jahren auch Ferntonkino genannt, wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg rasant weiter und wurde zum Massenmedium, 1951 gab es in den USA bereits zehn Millionen Fernsehzuschauer und bis Mitte der 1950er Jahre hatte etwa die Hälfte aller US-Haushalte ein TV-Gerät.
Für das US-amerikanische Kino waren die 30er und 40er Jahre eine Goldene Zeit, nach dem Zweiten Weltkrieg aber war diese Ära plötzlich vorbei und mit dem Fernsehen wurde schnell ein Hauptschuldiger gefunden. Was waren die Vor- und Nachteile von Kino und Fernsehen? Rein impressionistisch war das Kino dem Fernsehen meilenweit überlegen, eine große Leinwand, auf der bereits ab 1905 diverse Farbfilmtechniken eingesetzt wurden, ab 1927 der erste Tonfilm und eine rasche Entwicklung von Soundtechniken. Vor allem aber wog die soziale Komponente, Kino war ein Ort der Gemeinschaft. Das Fernsehen bot dagegen Schwarz-Weiß Programm auf kleinen Bildschirmen, sendete in den USA erst ab 1952 in Farbe und nicht überall hatte man qualitativ hochwertigen Empfang.
Dafür hatte das Fernsehen andere Vorteile. Nach der Anschaffung eines teuren TV-Gerätes war das Programm kostenlos, TV-Sender finanzierten sich von Anfang an durch Werbung. Man musste nicht mehr außer Haus gehen, um ein Abendprogramm zu haben, die Programme selbst waren zwar keine Kinofilme, aber kurzweiliges Entertainment mit News, Shows und seriellen Produktionen. Der Hauptgrund für das Kinosterben in den 1950er Jahren aber war eine Veränderung der Sozialstruktur in den USA. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden um die großen Metropolen Vorstädte, die sogenannten Surburbs. Die waren billig und es gab eine große Abwanderung von den Innenstädten nach Außen und somit auch eine Verlagerung der Freizeitaktivitäten. Die Movie Theaters in den Innenstädten verzeichneten immer weniger Besucher, weil das Fernsehen beständig Entertainment für Zuhause bot.
Gleichzeitig kriselte das US-Kinogeschäft aber auch wegen anderer Faktoren. Die Kinoketten waren bis zum Jahr 1948 im Besitz der großen Filmstudios, ein Monopol, welches durch das Paramount Antitrust Gesetz 1948 unterbunden wurde. Das führte dazu, dass die Kinos unabhängiger von den Studios wurden und damit auch Studiostars wie Schauspieler, Regisseure und Autoren. Auf der einen Seite beeinflusste dieses Gesetz die Entstehung des Independentfilms, was Film erstmal wieder profitabler machte, auf der anderen Seite verloren die Studios große Teile ihres Status, Talente an sich zu binden.
Denn viele Schauspieler wanderten nun auch zum neuen Medium Fernsehen ab, die bekamen nun längerfristige Verträge, TV-Sender banden Stars und somit standen sie für Kinoproduktionen nicht mehr zur Verfügung. Das Fernsehen konnte zudem schneller produzieren und durch fiktionale Programme wie Serien Filmschaffenden längerfristige Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Auch mit Fernsehen konnte man zum Star werden, vielleicht sogar noch nachhaltiger. In den 30er und 40er Jahren hatte beispielsweise Universal Pictures große Erfolge mit Franchisen und Filmreihen, die Zuschauer Jahr für Jahr in die Fortsetzungen lockten. Das Fernsehen konnte mit Serien aber Zuschauer Woche für Woche an das Gerät fesseln, manchmal sogar täglich.
Einen weiteren Todesstoß für das Kino versetzte dem Medium die Politik der McCarthy Ära und die berüchtigten Schwarzen Listen von Hollywood. In der großen Paranoia vor dem Kommunismus erhielten viele Regisseure, Autoren oder Schauspieler, praktisch Arbeitsverbot in Hollywood. Viele wanderten zum Fernsehen ab, wo diese Politik zwar auch zu spüren war, aber es keine expliziten Schwarzen Listen gab. Das führte dazu, dass Hollywood nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Talente ausgingen. Ergo noch weniger Kinoprogramm und dadurch noch weniger Zuschauer. Wie reagierte nun das Kino auf diese Situation?
Tatsächlich versuchten so einige große Filmstudios, in den späten 40er Jahren ins TV-Geschäft einzusteigen und gar ganze Sender aufzukaufen, doch das Antitrust Gesetz von 1948 vereitelte diese Vorhaben. Der Gedanke, dass die Filmstudios neben den Kinos nun auch noch im Besitz der Fernsehsender sind, war zu absurd. Die Filmstudios waren somit zur Koexistenz mit dem Fernsehen gezwungen. Ab 1948 begannen die großen vier TV-Broadcaster bereits, Vollzeitprogramm zu senden, inklusive Primetimeslots sieben Tage die Woche. Filmstudios hatten zu Beginn zwei Möglichkeiten, mit dem Fernsehen zu kooperieren.
TV Killed the Movie Stars
Studios produzierten für TV-Sender Werbeclips oder gingen Koproduktionen für Programmreihen ein. Interessanter aber war für die Studios, ihren Backkatalog an Filmen für das Fernsehen zu lizensieren. Auch Sender hatten ein großes Interesse nach Kinofilmen für Primetime Slots, allerdings veräußerten in den 50ern die Studios größtenteils ihre alten Schinken aus den 30er Jahren. Das brachte den Studios zwar Erlöse neben dem schwindenen Kinogeschäft ein, doch hatte dieses Geschäftsmodell keine wirkliches Zukunft.
Was sich anfangs gut verkaufte, waren frühe Kinoserials und vor allem Cartoons wie die LOONEY TUNES, die für TV-Slots ungemein variabel waren. Fernsehsender mussten lizensierte Spielfilme dagegen erst aufbereiten, heißt für Werbeunterbrechungen neu schneiden. In dieser Arbeit steckte auch dramaturgisches Lernpotential für spätere TV-Eigenproduktionen, die bereits im Drehbuch Schnittstellen für Werbung anlegten und somit neue szenische Dramaturgien herausforderten. Zudem war die Programmgestaltung der Sender unterschiedlich und angepasst an die jeweilige Philosophie von TV-Sendern, mehr aber vom Zuschauerverhalten, denn der Zuschauer bestimmte letztendlich, was produziert oder lizensiert wurde.
Gleichzeitig suchten auch die Studios proaktiv nach Möglichkeiten, die Krise zu überstehen. Man konzentrierte sich auf das, was das Fernsehen produktionell nicht vermochte – Big Budget und monumentale Spinnereien. Ein Risiko und gleichzeitig auch etwas paradox, aber wohl die einzige Möglichkeit, dem potenziellen Zuschauer von den Vorzügen des Kinoerlebnisses zu überzeugen. Die großen Monumentalschinken der 50er Jahre waren weniger Ausdruck für ein starkes Hollywood als eine Gegenmaßnahme zur TV-Konkurrenz. Manch Studio hat diese Plan allerdings in den Ruin getrieben.
Die Krise beförderte aber auch so manchen technischen Fortschritt, doch nicht alles war von nachhaltigem Erfolg gekrönt. Das Breitwandbild war zwar schon etwas älter, aber erst 1953 veröffentlichte die 20th Century Fox mit dem Bibelfilm THE ROBE den ersten Film im Cinemascope Verfahren, andere Studios kopierten die Technik mit Eigenkreationen wie Ultrascope oder Totalvision. Das Cinemascope Verfahren hatte Vorteile für das Kino und extreme Nachteile für das Fernsehen, nur im Kino war die epische Leinwandbreite ein Zugewinn für Monumentalschinken oder Western, im 4:3 TV-Gerät machte das Format keine gute Figur.
Breitbildverfahren waren ein technischer Glücksgriff der Studios in der Krise, andere Ideen hielten sich nicht lang. In den 50er Jahren wurde auch der 3D Film als ultimative Waffe gegen das Fernsehen reanimiert, neue Farbfilmverfahren getestet, gar Geruchskino wie das Sensorama-Verfahren wurde als cinema of the Future beworben, mit bescheidenem Erfolg. Andere Studios suchten gleich neue Absatzmärkte wie den Bau von Themenparks und erste Versuche im Merchandisinggeschäft, für das allerdings noch die richtigen Produktvorlagen, sprich Blockbuster, fehlten, ein strudelsumpfiger Teufelskreis.
Das Kino witterte noch einen weiteren Vorteil, der sich rückblickend auch auf die Evolution des Films auswirkte. Für das Fernsehen galten strengere Jugendschutzbestimmungen, weniger in klarer Gesetzgebung als in der Philosophie der Sender. In die Zeit der großen Krise fiel auch die Aufweichung des Hays Codes, welcher eine moralisch akzeptable Darstellung von Sexualität und Gewalt in Filmen überwachte. Ab den 50er Jahren konnte der Hays Code aber nur noch schwer durchgesetzt werden und es entstanden nun mehr und mehr Filme mit kontroversen Themen. Zuerst war sich das Kino dieses Vorteils bewusst, mit mehr Sex und Gewalt dem Zuschauer etwas bieten zu können, was das Fernsehen nicht konnte.
Einige Studios reagierten besser auf die Konkurrenz und sahen darin auch eine Chance. Einer jener Pioniere war wie so oft Walt Disney, der ab den 50er Jahren verstärkt fürs Fernsehen produzierte. Disney erkannte: “Through television I can reach my audience. I can talk to my audience. They are the audience that wants to see my pictures.”. Disney verstand es nur zu gut, Krise mit Chance zu verbinden. Der Freizeitpark Disneyland in Anaheim wurde 1955 nicht nur wegen schwindendem Profits im Kinogeschäft als zweites Geschäftsbein errichtet, Disney vermarktete den Park auch mit Mitteln des Fernsehens. Er selbst moderierte eine Fernsehshow namens DISNEYLAND, die er an die ABC verkaufte und somit Synergien freisetzte, die sowohl Disney als auch dem Sender nutzten.
Neben Nachrichten, Shows und Talk waren Serien die erfolgreichsten Produkte der TV-Sender und ihr Vorteil war nicht nur die langfristige Zuschauerbindung, sondern auch die günstige und schnelle Produktion innerhalb neuer Fernsehroutinen. Generell konnte das Fernsehen schneller auf die Wünsche und Ansprüche des Zuschauers reagieren als das Kino. Koproduktionen gab es vor allem in Adaptionen von Kinostoffen als Serien wie beispielsweise die Serie RIN TIN TIN zwischen 1954 und 1959, die auf den Kinoabenteuern des gleichnamigen Schäferhundes aus den 1920er Jahren basierte. Im Zuge solcher TV-Adaptionen wurden bei Sendern recht früh Ambitionen wach, unabhängiger von Filmstoffen der Studios zu werden und stärker in Eigenproduktion zu gehen, auch im Bereich Film. Denn ein klares Pendant zum Kinospielfilm gab es bis in die 1960er Jahre im TV nicht.
Made-for-TV-Only
Fernsehsender suchten seit dem Durchbruch des Mediums Material für ihre Programmplätze und produzierten bereits ab den 40er Jahren fiktionale Stoffe, allerdings in anderer Herangehensweise. Anfangs waren es Live Fernsehsendungen, vor allem Musicals und Märchenadaptionen wie CINDERELLA, ALICE IN WONDERLAND, PETER PAN oder PINNOCCHIO, die zum Teil bereits mit Kinostars wie Mickey Rooney besetzt waren. Im Zuge dieser Produktionen bekräftigte sich bei TV-Produzenten der Wunsch, selbst Filme zu entwickeln und zu produzieren. Einer der ersten Made-for-Television Filme war THE PIED PIPER OF HAMELIN aus dem Jahr 1957, nachdem zuvor die Live-Fernsehspiele des Stoffes ein großes TV-Publikum fanden.
Die National Broadcast Company, kurz NBC, plante nach THE PIED PIPER OF HAMELIN noch ehrgeizigere TV-Film Vorhaben. Mit THE KILLERS von Don Siegel verkalkulierte sich der Sender im Jahr 1964 allerdings, der Film, prominent besetzt mit Lee Marvin und Ronald Reagan, wurde als zu gewalttätig fürs Fernsehen eingestuft und letztlich an Universal Pictures verkauft. Doch mit SEE HOW THEY RUN von 1964 schuf die NBC dann den ersten offiziellen TV-Film, beworben als NBC World Premiere Movie.
Damit begann in den 60er Jahren auch der Konkurrenzkampf der TV-Sender untereinander um eigens produzierte Stoffe und Filme. Alle der TV-Majors hatten Exklusivverträge mit Filmstudios, für Werbung, Technik oder Lizenzen, aber jeder wollte unabhängig werden und Programm produzieren, was sich von den Konkurrenten unterschied. Exklusive TV-Filme wurden von Senderseite weit besser budgetiert als Serien, obwohl die längerfristigen Erfolg versprachen. TV-Filme wurden mehr zu Prestigeobjekten der Sender.
Aus dieser Konkurrenz heraus handelte auch die ABC, in den 60er Jahren eher abgeschlagen auf Platz 3 hinter der NBC oder CBS. Nach dem lukrativen Deal mit Disney kam die ABC auf die Idee, eine TV-exklusive Filmreihe zu starten, THE ABC MOVIE OF THE WEEK. In dieser Anthologiereihe entstanden zwischen 1969 und 1975 einige der besten TV-only Spielfilme, die nicht nur hohe Einschaltquoten, sondern auch Kritikerlob einbrachten. Der erste ABC MOVIE OF THE WEEK wurde 1969 der Abenteuerfilm FLUG IN DEN ABGRUND. Einen filmgeschichtlich größeren Impact hinterließ 1971 aber DUEL, das Regiedebüt von Steven Spielberg.
DUEL kam nach dem TV-Erfolg sogar in die US-Kinos und wurde in anderen Länder als Kinofilm vermarktet, auch in Deutschland, wo DUEL 1973 in die Lichtspielhäuser kam. Weitere bekannte TV-Filme der ABC MOVIE OF THE WEEK Reihe wurden BRIANS SONG oder KILLDOZER und im Zuge des Erfolges startete die ABC weitere TV-Filmreihen wie THE ABC SUSPENSE MOVIE mit Thrillern, Mystery- und Horrorstoffen. Innerhalb der Reihen wurde dann eine weitere Idee geboren, exklusive TV-Inhalte zu vermarkten.
In der Reihe THE ABC MOVIE OF THE WEEK liefen auch Filme wie THE NIGHT STALKER, KUNG FU oder THE SIX MILLION DOLLAR MAN, die eigentlich Piloten für eine TV Serie waren. Was aber eignete sich besser als die Anthologie Reihe, um einen möglichen Erfolg beim Zuschauer zu testen. Serienpiloten wurden zu einem 90minütigen Film umgeschnitten, feierten ihre Premiere in der ABC MOVIE OF THE WEEK Reihe und gingen danach in Serie. Andere Sender zogen gleich oder gingen noch einen Schritt weiter.
Nicht wenige Sender schnitten Serienfolgen zu Spielfilmen zusammen und verkauften sie ins Ausland, teils bevor die gesamte Serie verkauft wurde. Bekannte Beispiele dafür sind TV-Piloten für BATTLESTAR GALACTICA, der in Europa sogar ins Kino kam oder STAR TREK MISSION FARPOINT. Auch David Lynchs MULHOLLAND DRIVE aus dem Jahr 2001 war zunächst ein TV-Pilot für eine nie realisierte Serie, die von der ABC in Auftrag gegeben und der später als Kinofilm vermarktete wurde.
Fiktionales Fernsehprogramm auf dem Zenit
In den 70er Jahren war der Made-for-Television-only Film auf dem Zenit seines Erfolges. Er war sicherlich günstiger als Kinofilme zu produzieren und manche Produktionen glichen B-Movie Ware aus den vorherigen Kinodekaden. Aber ein Großteil der Filme war in den 70er Jahren progressiver als Kinoware, ob man es glauben mag oder nicht. Manchmal veräußerten Filmstudios Drehbücher an TV-Sender, die ihnen zu heiß waren oder die sie aus Zeitgründen nicht anders platzieren konnten. Die TV-Sender scheuten sich nicht vor kontroversen Themen, TV-Filme der 70er Jahre sind diesbezüglich auch filmwissenschaftlich überaus interessant.
Natürlich gab es Effekte, die beides bedingten, Kino und TV. Die neue Independentfilmszene, die günstiger produzierte, wurde von TV-Produzenten adaptiert. In der Zeit des New Hollywood waren ausländische Autoren und Regisseure wie Martin Scorsese oder Roman Polanski dramaturgisch wie stilistisch auch von Fernsehen inspiriert. TV-Sender selbst verstanden nun mehr und mehr die Wirkungsweisen der Medienlandschaft und ihre Stärken wie Schwächen gegenüber dem Kino. In der Zeit vor dem Blockbusterkino waren das vor allem Filme nach komplexeren Vorlagen, die für das Kino zu teuer und wenig erfolgsversprechend waren.
Die Bücher von Stephen King beispielsweise kamen als kontemporäre Horrorfilme nicht nur ins Kino, wie CARRY aus dem Jahr 1976. 1979 erschien die zweite King Verfilmung BRENNEN MUSS SALEM, in den USA als Miniserie, außerhalb der Staaten als dreistündige TV-Film Fassung vermarktet. Für Mehrteiler mit Fortsetzungscharakter gab es im Kino noch nicht wirklich ein Publikum, im TV war das anders. Ein Mehrteiler konnte an zwei Tagen ausgestrahlt werden, was komplexen Handlungen entgegenkam und den TV-Zuschauer entlastete. Viele der komplexen King Bücher wurden vornehmlich fürs TV produziert, auch ES aus dem Jahr 1990.
Dennoch waren phantastische TV-Stoffe eher in der Minderheit, zumindest in den 70er und 80er Jahren. Möglicherweise sind die USA auch ein Sonderfall, wegen der starken Konkurrenz von Kino und TV im Land, andere Länder ohne Filmindustrie konnten leichter mit TV-Stoffen jonglieren. Ein Großteil der TV Filme waren Literaturadaptionen, die zu komplex für Kinofilme waren, History und Krimis wurden vor allem im europäischen TV zu Zuschauermagneten. Doch es gab, auch in den Staaten, einige TV Meilensteine, die ein größeres Echo hinterließen als Kinofilme, vor allem weil sie ein so riesiges Fernsehpublikum erreichten.
Das Kino-Imperium schlägt zurück
1983 erschien der Fernsehfilm THE DAY AFTER von Nicholas Meyer über die Auswirkungen eines Atomkrieges, in einer Zeit des Höhepunktes des Kalten Krieges und der Paranoia vor einem Atomkonflikt. Damit war der TV-Film aktueller und näher an den Ängsten als Kinofilmstoffe im selben Zeitraum. THE DAY AFTER erreichte 100 Millionen Zuschauer und beeinflusste sogar die politische Debatte. In Großbritannien startete ein Jahr später der Film THREADS mit ähnlicher Thematik und beide Filme festigten den Ruf von TV-Filmen, aktuell, progressiv und künstlerisch wertvoll sein zu können.
In den 70er Jahren wurde das auch seitens der Filmkritik und Filmpreisvergaben honoriert, die nun große Preise auch für TV-Produktionen vergaben. Während der wichtigste Fernsehpreis der USA, der Emmy, bereits ab 1951 an Fernsehproduktionen verliehen wurde, begannen die Golden Globes im Jahr 1970, Preise für fiktionale Fernsehformate und Fernsehdarsteller zu vergeben, in der Evolution des Fernsehens ein großer Schritt. Doch noch hatte das Kino nicht verloren und durch mehrere Protagonisten fand auch Hollywood Ende der 70er zurück zu den längst vergessen geglaubten Goldenen Jahre des Kinofilms.
Mit JAWS von Steven Spielberg und STAR WARS von George Lucas begann ab Mitte der 70er Jahre die Zeit der Blockbuster Movies in den Staaten und brachte das Kino wieder in Führungsposition. Es war eine Rückbesinnung auf die Goldenen Jahre Hollywoods der 30er und 40er, gleichzeitig aber auch der Start für die technische Revolution mittels Filmeffektgestaltung. Spätestens mit STAR WARS wurde eine klare Grenze gezogen, was Kino vom Fernsehen unterschied und wo das Kino unschlagbar war. Ein Film wie STAR WARS war teuer, aber die Einnahmen waren überproportional riesig, was wieder höhere Budgets ermöglichte. Da konnte das Fernsehen nicht mithalten, kein Sender hatte auch nur 50 Millionen Dollar Budget für einen TV-Film.
Die Kinobrache selbst war wieder im Aufwind, Multiplexe entstanden, eine neue Filmdramaturgie entstand, viele neue Gesichter wurden auf der Leinwand zu Stars. Aber nicht das Fernsehen an sich verlor dadurch den Anschluss, es fand schnell neue wie bekannte Ausweichmöglichkeiten, lediglich der TV-Film verlor an Attraktivität, Serien waren im TV weiterhin auf der Erfolgsspur. Das Fernsehen reagierte dennoch auf das Blockbusterkino, mit Mehrteilern, die als Event Movie vermarktet wurden. Natürlich profitierte auch das Fernsehen von der technischen Revolution in Sachen Digitale Effektgestaltung, wenn auch eine Spur kleiner.
Auch die Blockbusterpioniere Spielberg und Lucas stiegen mit ihren Visionen (wieder) ins TV Geschäft ein, mit Serien wie AMAZING STORIES oder THE ADVENTURES OF YOUNG INDIANA JONES. Ende der 90er Jahre, Anfang der 2000er, wo bereits die großen Kinofranchisen wie DER HERR DER RINGE oder HARRY POTTER Rekordeinnahmen verbuchten, versuchten sich auch TV-Sender an großen TV-Stoffen, auch an Fantasy. Um das Millenium herum entstanden Mehrteiler und Miniserien wie KAMPF DER KOBOLDE, MERLIN, ARCHE NOAH oder DUNE, die in Deutschland erfolgreich auf Video vertrieben wurden.
Apropos Video, die Videokassette respektive der Videofilmverleih ab Ende der 70er Jahre wurde nicht zu einer ähnlich großen Konkurrenz für das Kino als man es meint. Kinofilme am TV-Gerät via Videorekorder abzuspielen scheint auf den ersten Blick ein weiterer Sargnagel für das Kino gewesen zu sein, aber die Vermarktung geschah ja seitens der Filmstudios, die dadurch, Monate nach dem Kinostart, weitere Erlöse erwirtschafteten. Manchmal kamen so Kinofilme erst durch VHS oder DVD in die Gewinnzone, wie beispielsweise KILL BILL. Vielleicht war Video eher eine neue Konkurrenz für das Fernsehen.
Bis das Fernsehen, ob in traditioneller Form oder als neues Geschäftsmodell Pay-TV, dem Kino wieder den Rang ablaufen sollte, vergingen einige Jahre. Das gibt uns Zeit, uns kurz mit der Materie Fernsehserie zu befassen, die bislang ein wenig unter den Tisch fiel, die aber der wichtigste Pfeiler im fiktionalen TV-Geschäft war und immer noch ist.
Soap & Sitcom Seriensause
Man könnte annehmen, die Revolution von Serien sei gleichzeitig eine Evolution des Films und die Serie wäre ein logisches Weiterdenken des Mediums hinsichtlich vieler komplexer erzählerischer Aspekte. Aber geht man grundsätzlicher an die Materie, wird man feststellen, serielles Storytelling ist ursprünglicher als man glaubt. Wie oft fragten Kinder bei Gute-Nacht-Erzählungen, wie die Geschichte weitergeht? Scheherazade aus 1001 Nacht rettete ihr Leben, indem sie am Ende der Nacht an der spannendsten Stelle der Geschichte aufhörte und mithilfe eines Cliffhangers den König zwang, ihr auch am nächsten Abend wieder zuzuhören.
Auch das Kino lebte in seinen Kindertagen vom seriellen Erzählen von Fortsetzungsgeschichten und der uns heute so vertraute Kinolangspielfilm hat sich vielmehr aus seriellen Formen herausgebildet. Filme waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts kurz und gingen schnell in Serie. Es war die große Zeit der Kino Serials, die als Vorfilme vor dem Hauptprogramm liefen und immer mit to be continued oder see you next week endeten. Durch die Serials mit offener Handlung und Fortsetzungscharakter war der Zuschauer gezwungen, regelmäßig ins Kino zu gehen, um die gesamte Geschichte zu erfahren.
Das, was wir heute unter einer Fernsehserie verstehen, entstammte ursprünglich aus einem ganz anderen Medium, dem Radio. Das Konzept von Radioserien, die ab den 1920er Jahren populär wurden, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von jungen Medium Fernsehen adaptiert. Bereits in Radioserien bildeten sich Genres wie Comedy und Crime heraus, für TV-Produzenten war aber vor allem eins von Interesse – nachhaltige Zuhörerbindung, die in Zuschauerbindung verwandelt werden sollte.
Die frühste Form einer echten Fernsehserie entstand 1946 und war bereits sehr speziell. Vom Radioserienkonzept inspiriert erzählte sie eine melodramatische Geschichte für die Hauptzielgruppe Hausfrauen um enttäuschte Liebe und Sehnsucht, gesponsort von einer Waschmittelfirma, was ihr im Volksmund den Namen soap opera, also Seifenoper einbrachte. In jener Zeit waren Filme im Kino schon längst standardisiert und Experimenten enwachsen. Im Fernsehen hingehen testete man neben Inhalten aber vielmehr neue Formate und Ausstrahlungsvariationen.
So erschienen neue Serienfolgen manchmal wöchentlich als weekly, manchmal auch täglich als daily soaps. Auch dramaturgisch gab es unterschiedliche Konzepte. Soaps hatten einen offenen Handlungsrahmen, im Gegensatz zu den erst ab den 50er Jahren auftauchenden Telenovelas aus Lateinamerika, die einen von vornherein abgeschlossenen Handlungsrahmen hatten. Im Konzept der melodramatischen Soaps und Telenovelas lag von Anfang an auch komödiantisches Potential, ein wichtiger Zuschauermagnet.
Echte Comedyformate fürs Fernsehen entstanden ab 1951 dann mit den sogenannten Sitcoms, ein Kosewort für situation comedy. Sitcoms lebten von nahezu entwicklungsfreien Handlungsrahmen, wichtig waren Wiedererkennungswerte und Vertrautheit. Die große Blütezeit erlebte das Format dann aber erst in den 80er und 90er Jahren, mit der Besonderheit, dass Sitcoms gern prominent mit Kinostars besetzt wurden, wohingegen sich im Bereich Soap und Telenovela eine neue Riege Fernsehstars etablierte.
Serienformate gliederten sich in zwei Richtungen, Comedy und Drama. Dramaserien waren allerdings kompliziertere Unterfangen bezüglich serieller Erzählweise, weil immer wiederkehrende Element nicht so spielerisch umgesetzt werden konnten als im Bereich Comedy. Die größere Herausforderung aber lag immer in der Zuschauerbindung, mehr noch in der Zielgruppenerfassung, diese musste möglichst breit sein. Neben den Genres Krimi und Western für eine klar männliche Zielgruppe gab es ungleich mehr family entertainment mit Elementen für jede Altersgruppe.
Was bisher geschah? Da geschah nix!
TV-Serien waren der Hauptgrund für die Bindung des Zuschauers an das Medium, lange vor den Experimenten mit TV-Filmen, und vor allem durch Serien erlebte das Fernsehen in den 50er und 60er Jahren einen Boom. Es gab große Konkurrenzkämpfe zwischen TV- und Kinostars, spannend erzählt wurde das unter anderem auch in Tarantinos ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD. Zwischen 1950 und 1995 liefen über die US-amerikanischen Major Kanäle bereits über 630 Serien und bildeten dabei zwei Hauptkonzepte heraus – die Episodenstruktur und die Fortsetzungsstruktur. Mit Ersterem hatte man seit Anfang des Mediums Erfolge.
Fortsetzungsstrukturen beinhalteten Zweifel. In Episoden- wie auch Fortsetzungsserien gab es zwei unterschiedliche Dramaturgien, vertikales und horizontales Erzählen. Vertikales Erzählen bedeutet für eine Serie immer wiederkehrende Muster in den Episoden, während horizontales Erzählen ein Anlegen von Handlungsbögen über einzelne Episoden hinweg verlangte, manchmal auch über die gesamte Serie. Über diese beiden Dramaturgien wurde hinter den Kulissen gern gestritten. Für den Zuschauer selbst war es nicht nur eine Sache der Präferenz, sondern auch der Lernkultur. Horizontales Erzählen erforderte mehr Aufmerksamkeit. Was, wenn man eine Serienfolge verpasste? Konnte dann dieses Konzept noch aufgehen oder verlor man so den Zuschauer?
Bevor man sich an die horizontale Evolution von Serien wagte oder dazu gezwungen war, experimentierte man im TV wie so oft mit neuen Formaten. Das beeinflusste auch die Entwicklung von horizontalen Erzählstrukturen. Dem Episodenkonzept noch stark verhaftet waren Anthologieserien ab den 50er Jahren, in der in jeder Folge eine neue Geschichte erzählt wurde. Eine Sonderform der Anthologieserie entwickelte sich erst viel später in den 2010er Jahren mit dem Konzept, abgeschlossene Geschichten nicht von Folge zu Folge, sondern von Staffel zu Staffel zu erzählen, beispielsweise in FARGO oder AMERICAN HORROR STORY.
In den 60er Jahren wurde die Miniserie geboren, die eine kürzere Anzahl von Episoden und einen geschlossenen Handlungsrahmen hatte. Im Grunde waren Miniserien komplexere Filme, strukturell aber den Gewohnheiten des Fernsehens angepasst. Im Gegensatz zum Episoden- oder Anthologiekonzept gab es hier eine starke Horizontale, sie war unabdingbar für das Format des segmentierten Spielfilms. Die ersten Miniserien waren zudem inhaltliche Schwergewichte, trotzdem war das Konzept von Erfolg gekrönt.
Das funktionierte vor allem wegen der limitierten Länge, aber dieses Konzept auf eine langlaufende Serie zu integrieren, dazu war man noch nicht bereit. Das heißt, Produzenten waren dazu nicht bereit, weil sie bezweifelten, Zuschauer oder Fernsehstruktur seien dazu nicht in der Lage. In Wahrheit sprangen Zuschauer viel öfter vom Serienprodukt ab, wenn ihnen einzelne Figuren oder Neubesetzungen nicht gefielen, manche gar waren von der ewigen Wiederholung gelangweilt. Zudem gab es ein unbewusstes Lernverhalten oder Medienkompetenz, mit immer mehr Inhalten, Formaten und Längen komplexes Storytelling zu verinnerlichen.
Bis Ende der 70er Jahre dominierten Episodenserien mit starker Vertikalen und behutsamer Horizontalen, die Revolution von Fernsehserien begann mit wilden Versuchen am Zuschauer, ob dieser nicht doch komplexerem Storytelling folgen konnte und wollte. Große Erfolge feierten in den 70er und 80er Jahren die Dauerbrenner DALLAS und DENVER CLAN, die von Millionen Zuschauern nicht nur wegen der widerkehrenden Elemente, sondern vor allem wegen der epischen Handlungsbreite geliebt wurden. Nach hunderten Serienfolgen wussten die immer noch, wer wen am Anfang der Serie belogen und betrogen hatte.
Ende der 80er wurde dieses Konzept dann hypertonisiert und Testballons gestartet. Mehr Komplexität, aber auch mehr Genre und mehr Fokus auf eine jüngere Zielgruppe. Ein Eisbrecher wurde die Serie TWIN PEAKS, die den Weg für komplexes Serienstorytelling ebnete und zum Gassenhauer wurde. Sie machte auch das neue Genre Mystery im Fernsehen populär, was Serien wie AKTE X auf den Weg brachte und es verjüngte das Zielpublikum, was Serien wie BUFFY entstehen ließ. Doch vor allem war es der Druchbruch für die Dramaserie, die ab den 90ern begann, zur Formvollendung zu reifen.
Das neue Label Qualitätsfernsehen – keine Ironie
Es war nicht einfach nur mehr die Frage der Zuschauerbindung, es war die Frage, wie man die noch besser erreichen konnte. Vor der Zuschauerbindung stand die Fanbindung, Komplexität und Mystery wurden zueiner Art Stille-Post-Spiel. Für Fernsehautoren war es ein Lernprozess, in einer Serie vertikale und horizontale Erzählelemente so zu gewichten, dass der Zuschauer gleichzeitig dran- und neugierig blieb, wie es weitergeht. Doch war das nur der erste Schritt der Serienrevolution.
Durch Serien mit diesem hohen Anspruch schaffte es beispielsweise der Pay-TV Sender HBO, den Fernsehprodukten ein neues Image zu geben. Mit DIE SOPRANOS ab 1999 wurde ein neues Schlagwort laut und das hieß Qualitätsfernsehen. Es änderte die Sicht auf das Medium, dessen Programm zuvor als billig und teilweise minderwertig empfunden wurde. Nach den SOPRANOS festigten Serien wie LOST oder BREAKING BAD dieses Label und diese waren schon ein Quantensprung in Sachen Komplexität.
Experimentiert wurde nun nicht mehr nur mit Formaten, sondern auch mit Inhalten und Dramaturgien. Es bedufte immer eines erfolgreichen Testballons. Vor GAME OF THRONES hätte jeder TV-Produzent behauptet, das Töten von Hauptfiguren wäre ein No Go in der Serienentwicklung und würde Zuschauer verprellen. GAME OF THRONES bewies das Gegenteil, aber fairerweise muss man dazusagen, es war nicht das beliebige, unvermittelte Entsorgen einer geliebten Serienfigur, was dies ermöglichte, sondern vor allem ein Weiterreichen von Motivationen an den Zuschauer, mit dem Verlust umzugehen. Die Zuschauer sprangen nicht ab, sondern fieberten vor allem dahin, dass der Tod der geliebten Serienfigur gerächt wurde.
Bei zu großer Radikalität drohte dennoch die Gefahr, dass der Zuschauer abspringt und in mancher Serie wurde das Eliminieren von Figuren oft zum Selbstzweck, ohne diese erzählerische Kraft zu entwickeln wie in GAME OF THRONES. Die Bindungen zu Serien wurden so stark, dass sie den Weg ebneten für ein völlig neues Geschäftsmodell im Fernsehen. Pay-TV war gar nicht so neu, der Kabelsender HBO arbeitete seit 1972 mit einem Abonnentenmodell. Das Geschäftsmodell an sich beeinflusste die Serienrevolution aber eben auch, denn sie zwang die Produzenten, noch genauer auf ihre Kunden, die Abonnenten einzugehen, auf ihre Wünsche und Sehgewohnheiten. Zudem gab es mittlerweile ein neue Evolutionsstufe des Mediums Internet namens Web 2.0.
Das perfektionierte dann auch das logische Weiterdenken des Modells für den Video-on-Demand Markt mit dem Vorreiter Netflix, der als Videoverleih begann und seinen immensen Erfolg vor allem durch Fanbindung begründete. Der große Vorteil hier war, geliebte Fernsehserien, auf dessen Wiederholung man im TV warten musste, sehen zu können, wann man wollte. Es brachte dem Zuschauer ein neues Medienverständnis, eine neue Art des Konsums, Serien wurden nicht mehr nur gesehen, sie wurden gebinged. Aber Netflix versorgte seine Kunden nicht nur mit Serienlizenzen, sondern stieg auch ins Produktionsgeschäft ein.
Evolution, Revolution, Explosion
Nach stetigen Erfolgen von Netflix sprossen die Mitbewerber nur so aus dem Boden und konkurrierten mit eigenem Serienportfolio um Kunden. Nach der Serienrevolution kam es zur Serienexplosion. Sie war auch der Globalisierung verschuldet und dem mehr und mehr mündigen Mediennutzer, einer Zersplitterung von Genres und Nischen, einem Überangebot, aber eben nicht von Fließband, sondern immer mit der Prämisse, dem Nutzer das zu geben, was er wollte. Das funktionierte nicht immer wie auf dem Reißbrett, aber man konnte schneller reagieren. Ja, es gibt heute eine Inflation an Serien, aber auf einem ganz anderen Qualitätslevel.
Hier schließt sich der Kreis zum Beginn des großen Konkurrenzkampfes Kino gegen Fernsehen, denn letztendlich ist es den Studios dann doch noch gelungen, das Fernsehen zu assimilieren. Es brauchte keinen Aufkauf von TV-Sendern, das eigene Portfolio genügte manchmal, um Mitbewerber mit Exklusivmaterial zu werden. Das funktionierte in beiderlei Richtungen, Netflix selbst war sich dem Potential bewusst, nach Serien (ko)produzierte der Streaminganbieter nun auch Filme, keine TV-Filme, große und exklusive Filme, aus einem Verleiher wurde ein Filmproduzent. Auf der anderen Seite stiegen Studios in das Geschäft ein, in dem sie selbst VOD-Anbieter wurden wie Warner Bros. mit HBO MAX oder die Disney Company mit Disney+.
Diese Revolution des linearen Fernsehens, mache sagen dazu auch der Tod des linearen Fernsehen an sich, wirkte sich nicht nur auf das Machtgefüge Kino gegen Fernsehen aus, dessen Schlachten bis jetzt das Fernsehen gewann. Auch veränderte es das Medium Film oder Serie, eine Veränderung, die noch gar nicht abgeschlossen ist, sondern in die Zukunft weist. Die neuen Streaminganbieter dachten vor allem die Kunden- und Nutzerbindung weiter. Bereits Realität ist, dass Netflix Trailer für ihre Produkte auf das Seh- und Konsumverhalten ihrer Nutzer anpasst. In einem zukünftigen Schritt kann das bedeuten, dass auch Filme und Serien personalisiert werden, mehr Action für jenen Kunden, mehr weniger Blut für einen anderen Nutzer.
Ob das freilich noch etwas mit der künstlerischen Freiheit eines Filmschaffenden zu tun hat, sein dahingestellt. Aber nichts ist so in Bewegung wie die Evolution von fiktionalem Content, nicht nur in Sachen Quantität. Ja, es hat dem Kino als Ort exklusivem Entertainments geschadet, es hat nicht dem Entertainment geschadet, im Gegenteil. Die Coronakrise inklusive Kinoschließungen, ob temporär oder dauerhaft, hat diese Entwicklung natürlich beschleunigt, aber die Konkurrenz gab es schon vorher. Das Kino selbst bzw. die klassische Filmindustrie hat auch begonnen darauf zu reagieren und setzt wieder verstärkt auf Eventcharakter. Böse Zungen behaupten, nur noch Franchisen halten das Kino am Leben. Das aber ist nur der derzeitige Zwischenstand im Medienkampf.
In 98 Genrefibeln haben wir uns zu 99 Prozent mit dem Medium Kinofilm befasst und vorrangig Erfolgsgeschichten erzählt. Gemein, in der vorletzten Folge nun das Kino so zu zerschmettern, aber so ist es gar nicht gemeint. Ich liebe das Kino und es sollte noch lange lange Kino geben, aber es bietet schon lang nicht mehr einen Exklusivvertrag mit Entertainment. In Wahrheit leben wir in einem Entertainment Schlaraffenland, wo Film- und Serienhonig wirklich fließt, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Dieser Wandel ist noch längst nicht abgeschlossen, er transformiert unaufhaltsam. All diese Veränderungen über Jahrzehnte haben die Formen des Geschichtenerzählens mit dem Medium verändert, aber es gibt sie immer noch, klassische Filme und Serien. Wenn einst in der Zukunft Festplatten mit der Kleinen Genrefibel aus dem Sande gebuddelt werden, wird man sich daran erinnern.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
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