Die kleine Genrefibel Teil 97: Zeichentrick

Zeichnen ist ein künstlerisches Ausdrucksmittel, so ist Zeichnen allein bereits Kunst und jedes gezeichnete Motiv ein Kunstwerk, denn Kunst ist Prozess und Kunstwerk Ergebnis. Das hat man irgendwann vergessen, als man an die Begriffe Kunst und Kunstwerk qualitative Maßstäbe angesetzt und mit Kunst nur die schönen Künste bezeichnet hat. Auch der Begriff Filmkunst hat sich im Laufe der Jahrzehnte in dieser Betrachtung gewandelt, verständlicherweise, allein Bilder zum Laufen zu bringen, verlor irgendwann die anfängliche Magie. Für Kinder sind Filme mit gezeichneten Figuren immer noch magisch. Nur heißen sie nicht Zeichenkunstfilme, denn ihren wahren Zauber entfalten sie durch das Austricksen des menschlichen Auges, das ab einer bestimmten Bildfrequenz Einzelbilder nicht mehr trennen kann. Doof fürs Auge, gut für die Filmkunst, denn nur so sind Zeichentrickfilme erst möglich.

 

 

Für die einen sind sie blödelige Bespaßung für Dreikäsehohe, für andere die puristischste und ästhetischste Filmkunst überhaupt. Aber ist damit schon alles gesagt über den Zeichentrickfilm? Wir haben ihn in der Kleinen Genrefibel nie ausgeschlossen, wenn es um Genre und Subgenre ging. Trotzdem ist er als Sparte des Animationsfilms zu bedeutend, um ihn nur beispielhaft zu integrieren. Das fängt schon damit an, dass man häufig Animationsfilm und Zeichentrickfilm gleichsetzt. In der Kleinen Genrefibel haben wir uns bereits mit diversen Formen des Animationsfilms beschäftigt, mit Objektanimation, beispielsweise Puppentricks via Stop Motion oder Animationsfilmen mittels computergenerierter Grafiken (CGI), die durchaus artverwandt mit dem Zeichentrickfilm sind. Die Bühne heute gehört aber gänzlich dem klassischen Zeichentrickfilm als bekannteste Sparte der 2D Animationsfilmkunst.

 

Alles Trick?

 

Animationen, was für ein Wust an Begrifflichkeiten, präzisieren wir das nochmal. Objektanimationen mit Puppen, Kneten, Collagen oder Legosteinen gehören wie CGI Animationsfilme zum Bereich 3D Animation. Dem gegenüber steht, oder auch nicht, die 2D Animation. Das sind nicht nur Zeichentrickfilme. Wir haben einen Bereich bereits in der Kleinen Genrefibel Teil 92: arthouse cnma kennengelernt, Materialfilme, Direktfilm und Blankfilm. Ein anderes Verfahren im 2D Animationsfilm ist die Rotoskopie, grob gesagt ein Bild-für-Bild-Abzeichnen von aufgenommenen Filmszenen. Dann gibt es noch Silhouettenanimation und den Flachfigurenfilm, der klassische Zeichentrickfilm stellt aber die bekannteste und wohl beliebteste 2D Animationsart dar.

 

 

Animationsfilm Techniken

Die wichtigsten Animationsfilm Techniken im Überblick: 2D Animation mittels Direktfilm (FREE RADICALS von Len Lye), Flachfiguren Animation (Terry Gilliam Vorspänne für Monty Python Filme), Rotoskopie Verfahren (A SCANNER DARKLY von Richard Linklater), klassische Zeichentrick Animation (ALICE IM WUNDERLAND von Walt Disney), 3D Animation mittel CGI (TOY STORY von John Lasseter, Objektanimation mittels Stop Motion Technik, hier Puppenanimation in TIM BURTONS NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS von Henry Selick.

 

Der deutschsprachige Terminus Zeichentrickfilm hat unterschiedliche englischsprachige Bezeichnungen, (animated) cartoon movie, traditional animation oder hand drawn animation movie, meint aber immer gezeichnete Einzelbilder, die Bild für Bild auf Film aufgenommen den Eindruck einer flüssigen Bewegung entstehen lassen. Man meint, die Urform dieser Kunst sei das allseits bekannte Daumenkino, aber noch früher wurden Bilder auf Vasen oder Tonschüsseln gezeichnet und gedreht, wodurch ein Bewegungseindruck entstand. Auch Erfindungen wie das Traumatrope oder das Phenakistikop basieren auf dieser Technik.

 

 

Animationsfilm Vorgänger

Die Vorgänger des Animationsfilms: Filoscope (Daumenkino) ab 1600, Traumatrope (Wunderscheibe) ab 1825, Phenakistiskop (Augentäuscher) ab 1830.

 

Stilistisch ist die Vielfalt im Zeichentrickfilm grenzenlos, vom Strichmännchen bis zur Gemäldeanimation, alle zeichnerischen wie malerischen Techniken können eingesetzt werden und geben so dem Zeichentrickfilm eine immense stilistische Bandbreite. Nachdem anfänglich direkt auf Filmmaterial gezeichnet wurde, filmte man in der Frühzeit des Mediums Zeichnungen auf Papier ab. Ab 1920 tauschte man Papier gegen Folien und ermöglichte so die Trennung wie Kombination von Figuren und Hintergründen.

 

 

Zeichentrickfilm Geschichte

Wichtige Stationen in der Entwicklung des Zeichentrickfilms: bis 1920 wurde auf Papier gezeichnet (in der Dokumentation HOW ANIMATED CARTOONS ARE MADE 1919 von Wallace A. Carlson), der erste farbige Zeichentrickfilm FLIP THE FROG in FIDDLESTICKS 1930 von Ub Iwerks, Folien statt Papier ermöglichten Trennung von Figuren und Hintergründen ab 1920, perfektioniert durch die MultiPlane Kamera , entwickelt von Walt Disney, erste Sounds und Musik im Zeichentrickfilm als Talkartoons der Fleischer Studios ab 1924.

 

Ab 1924 hielt der Ton Einzug in den Zeichentrickfilm, ab 1930 kam Farbe ins Spiel. Eine neue Technik ab den 30er Jahren war die Mehrfachebenenkamera, die den Eindruck von Bildtiefe ermöglichte. In den 50er Jahren kam es zu einer weiteren technischen Revolution im Zeichentrickfilm, die sogenannte limited animation Technik, bei der nun nicht mehr jede Figur einzeln ausgezeichnet, sondern nur eine Grundfigur über mehrere Ebenen aufgeteilt wurde und man nur noch die bewegten Teile animierte. Die dadurch entstandene Einsparung von Zeit und Kosten eröffnete den Erfolgsweg von Zeichentrickfilmen im TV.

 

 

Zeichentrickfilm Geschichte

Evolution des Zeichentrickfilms: Limited Animation Technik ab den 1930er Jahren, perfektioniert für das Fernsehen von Hanna-Barbera Productions ab 1960 mit THE FLINTSTONES, unterstützende Kamera- und 3D Technik im Zeichentrickfilm ab den 70er und 80er Jahren, perfektioniert mit DIE SCHÖNE UND DAS BIEST 1991, heute via Animationssoftware am PC.

 

Kamerabewegungen wurden ab den 1970er Jahren vorab kalkuliert, ab den 90ern wurde dann am Computer koloriert, zusätzliche Effekte und Bewegungen wurden durch 3D Computeranimationen unterstützt. Trotz der großen Hilfe von digitalen Techniken ist ein Zeichentrickfilm immer noch ein immenser Arbeitsaufwand per Hand, ein abendfüllender Film verlangt mehrere zehntausend Einzelzeichnungen. Dieser technische Kurzabriss mag erstaunlich klingen, verschweigt aber, dass es beim Zeichentrickfilm vor aller technischer Trickserei auf viel entscheidendere Dinge ankommt – Konzeption, Figurenentwurf, Worldbuilding und Drehbucharbeit. Diese Aspekte des Filmschaffens haben im Vergleich zum Realfilm eine noch größere Bedeutung.

 

 

Zeichentrick Genrefibeln

Zeichentrick in der Kleinen Genrefibel: japanische Animes in Die kleine Genrefibel Teil 31: animeshon, Batman Animated in Die kleine Genrefibel Teil 10: Batmania + Graphic Novels in Die kleine Genrefibel Teil 77: Graphic Novel, Marvel Animated in Die kleine Genrefibel Teil 47: Marvelous & franko-belgische Comicverfilmungen in Die kleine Genrefibel Teil 22: Bel Franco.

 

Bevor wir nun gänzlich eintauchen in die Welt des Zeichentrickfilms, mit Fokus auf Kinofilme und Zeichentrickkünstler, gelten die üblichen Ausschlusskriterien. Denn in bislang 96 Kleinen Genrefibeln haben wir bereits einige Bereiche der Zeichentrickfilmkunst behandelt. Das große Feld des japanischen Animefilms wurde ebenso wie Zeichentrick Comicverfilmungen um Marvelfiguren oder Batman bereits ausgearbeitet. Auch mit frankobelgischen Comicverfilmungen um Asterix, Lucky Luke und Co. haben wir uns bereits befasst. Sie alle würde es aber nicht ohne die großen Zeichentrickfilmpioniere der Filmgeschichte geben.

 

Als die Striche laufen lernten

 

Nach Animationsfeldversuchen mit den Vorläufern Filoscope (Daumenkino), Thaumatrope (Wunderscheibe) und Phenakistiskop (Augentäuscher) erschien im Jahr 1900 der erste animierte Film THE ENCHANTED DRAWING von James Stuart Blackton, allerdings nicht in Zeichentrick, sondern Stop Motion Animation. Auch Blacktons HUMOROUS PHASES OF FUNNY FACES aus dem Jahr 1906, der als Geburtsstunde des Zeichentrickfilms bezeichnet wird, verwendete Stop Motion und Cutout Animationen, dennoch sind beide Filme für die Evolution des Zeichentrickfilms von großer Bedeutung. FANTASMAGORIE aus dem Jahr 1908 von Émile Cohl hingegen war einer der ersten handgezeichneten Animationsfilme und somit die wahre Geburtsstunde des animated cartoon movies.

 

 

Zeichentrickfilm Geschichte

Frühe Zeichentrickfilm Gehversuche: ENCHANTED DRAWINGS (1900) und HUMOROUS PHASES OF FUNNY FACES (1906) von James Stuart Blackton, FANTASMAGORIE (1908) von Émile Cohl.

 

Der erste Pionier des Zeichentrickfilms war zweifelsohne Windsor McKay, ein Karikaturist und Comiczeichner, der 1911 eine eigens entworfene Figur per Hand auf Film animierte – LITTLE NEMO. 1914 folgte der bahnbrechende Film GERTIE, THE DINOSAUR, den McKay nicht nur durch Zeichentrick in Bewegung versetzte, sondern in Vorführungen auch mit ihm „interagierte“, in dem er ihm zum Beispiel einen Apfel reichte. Was heute vielleicht unspektakulär klingt, war in Wirklichkeit die erste dramaturgische Bereicherung hin zu einer Filmgeschichte, weg vom technisch gedachten Animationsexperiment.

 

 

Windsor McCay

Zeichentrickfilm Pionier Windsor McCay (1869 – 1934) mit LITTLE NEMO (1911) und GERTIE THE DINOSAUR (1914).

 

Von GERTIE, THE DINOSAUR bis zum ersten vollständig animierten Langfilm aber war es noch ein langer Weg. 1917 erschien zwar der erste animierte Film EL APÓSTOL aus Argentinien mit 70 Minuten Länge, verwendete aber eine Flachfigurenanimation. Auch in Europa wurde zeichengetrickst, mit KAPITÄN GROG 1917 aus Schweden oder deutschen Vorläufern des Zeichentrickfilms wie Otto Delys animierte Kriegskarikaturen oder den Silhouetten-Animationswerken von Lotte Reininger.

 

 

El Apostol

Erster Animationslangfilm EL APÓSTOL (1917) von Quirino Cristiani aus Argentinien

 

Anfangs waren in den USA, im Wunderland des Films, Zeichentrickfilme kaum erfolgsversprechende Unterfangen weniger Enthusiasten. Die Cartoonisten Raoul Barre und Bill Nolan gründeten 1914 in New York das erste Zeichentrickstudio der Welt, was allerdings mangels finanziellen Erfolges bereits 1927 wieder schließen musste. Für erfolgreiche Zeichentrickfilme brauchte es eine andere Popularität, die nur über markante Figuren erlangt werden konnte. Dies gelang erstmalig Pat Sullivan mit FELIX THE CAT, einem grinsenden Kater, der nach Vorläufern 1923 in FELIX IN HOLLYWOOD debütierte. FELIX THE CAT war eine originäre Zeichentrickfilmfigur, basierte nicht auf bekannten Cartoons oder Comics und zog trotzdem ein großes Publikum in die Kinos.

 

 

Felix the Cat

FELIX THE CAT von Pat Sullivan ab 1919, FELIX IN HOLLYWOOD (1923)

 

Diesem Erfolgsmodell folgten in den 1920er Jahren andere Animationskünstler, die den Zeichentrickfilm durch markante Figuren marktfähig machten. 1921 gründete der polnischstämmige Max Fleischer die Fleischer Studios, Incorporation und führte zwei Cartoonfiguren in Zeichentrickfilmen zum Erfolg. Pionierarbeit leistete Fleischer, in dem er seinen animated cartoons Musik und Sounds hinzufügte, das bereits 1924, vier Jahre vor dem ersten Tonfilm und auch ein bisschen früher als ein Mitkonkurrent.

 

 

Max Fleischer

Max Fleischer (1883 – 1972), Gründer der Fleischer Studios, machte die Zeichentrickfilmfiguren Betty Boop und Popeye, der Seemann weltweit bekannt, erschuf die ersten vertonten cartoon movies und produzierte mit GULLIVERS REISEN 1939 den zweiten abendfüllenden Zeichentrickfilm nach Disneys SCHNEEWITTCHEN UND DIE SIEBEN ZWERGE.

 

Mit BETTY BOOP und POPEYE THE SAILOR veröffentlichten die Fleischer Studios zudem zwei Zeichentrick Publikumslieblinge, die ab 1930 in eigenen Kurzfilmreihen auftraten. Doch es war ein anderer Zeichentrickpionier, der parallel zu den frühen Zeichentrick Erfolgsgeschichten der Fleischer Studios weitaus größere künstlerische Visionen verfolgte und dadurch bis heute als Synonym für den Zeichentrickfilm steht – Walter Elias „Walt“ Disney.

 

„Denkt immer daran: Mit einer Maus fing alles an.“

 

Walt Disney, geboren 1901, entwickelte bereits im Alter von fünf Jahren Talent und Passion fürs Zeichnen. Aufgewachsen in den Kindheitstagen des Zeichentrickfilms fasste er 1920 den Entschluss, in das noch bescheidene Trickfilmgeschäft einzusteigen und gründete zusammen mit dem ebenso zeichentrickbegeisterten Ub Iwerks 1923 die Walt Disney Company. Disney und Iwerks zeichneten kurze animierte Cartoons für Kinoketten, darunter die Reihe ALICE IN CARTOONLAND. Bereist in diesen frühen Jahren aber gab Disney selbst das Zeichnen auf und konzentrierte sich innerhalb seines Unternehmens auf die Figurenkonzeption.

 

 

Walt Disney Ub Iwerks

Walt Disney (1901 – 1966) und Ub Iwerks (1901 – 1971)

 

Es war Ub Iwerks, der in den Folgejahren Hauptzeichner von Disneys Konzepten wurde, ein erster Erfolg gelang ihnen 1927 mit der Figur OSWALD, DER LUSTIGE HASE, welcher dem Unternehmen Geld einbrachte, nachdem man die Reihe an die Universal Studios verkaufte. Doch die Universal, zu jener Zeit vor dem Hollywood Antitrust Gesetz Besitzer eigener Kinoketten, zog nach und nach Zeichner aus Disneys Unternehmen für eigene Projekte ab, einen Rechtsstreit um die Figur OSWALD verlor Disney, also starteten Disney und Iwerks in den frühen 20er Jahre praktisch von vorn.

 

 

Disney History

Disney Frühwerke: ALICE IN CARTOONLAND ab 1923, OSWALD, DER LUSTIGE HASE 1927 und der erste Auftritt von Mickey Mouse in CRAZY PLANE 1928.

 

Eine neue Figur musste her, Disney konzipierte sie mit Mortimer, the Mouse, Iwerks setzte sie zeichnerisch um, letztendlich wurde sie in Mickey Mouse umbenannt und debütierte 1928 im Zeichentrick Stummfilm CRAZY PLANE. Neben seiner Begabung für Figurenkonzeption und Charakterentwicklung war es vor allem Disneys kaufmännisches Talent, auch bedingt durch die Misere mit den Universal Studios, die ihn ab 1928 mit den ersten Mickey Mouse Kurzfilmen verhandlungsrustikaler machten. Für die Disney Company bedeutete das, keine Rechte mehr an Kinoketten abzutreten, um die volle Kontrolle zu behalten.

 

 

Steamboat Willie

STEAMBOAT WILLIE (1928)

 

Gleichzeitig folgte Disney ebenso stur seiner künstlerischen Vision. Begeistert vom Tonfilm und angestachelt durch die vorherigen Experimente der Fleischer Studios wollte auch er Zeichentrickfilme mit Musik und Soundeffekten verbinden. Er perfektionierte nicht nur die Animationstechniken, sondern auch Ton- und Synchronarbeiten, das Ergebnis war der erste Disney Zeichentrickfilm mit Ton STEAMBOAT WILLIE im Jahr 1928, der neben Hautfigur Mickey auch das Debüt für Minnie Mouse und Kater Karlo darstellte.

 

 

Disney Figuren

Erste Auftritte nach STEAMBOAT WILLIE für Minnie Mouse (1928), Goofy (1932) und Pluto (1930).

 

Disney und Iwerks hatten Erfolg, mehr noch, binnen weniger Jahre stieg die Walt Disney Company mit ihren Zeichentrickfilmen zum größten und erfolgreichsten Studio der Branche auf. Das Zugpferd Mickey Mouse absolvierte in den 1930er Jahren über neunzig Kurzfilmauftritte, war Walt Disney aber dann doch zu lieb und zu brav, neue Figuren wie Goofy und Plut wurden erfunden. 1934 debütierte Donald Duck in DIE KLUGE KLEINE HENNE, es folgte kurze Zeit später Donalds ewige Verlobte Daisy Duck.

 

 

Die kluge kleine Henne

DIE KLUGE KLEINE HENNE (1934) mit erstem Filmauftritt von Donald Duck.

 

Bereits 1932 wurde Disney mit einem Ehrenoscar für die Erschaffung von Mickey Mouse geehrt, im selben Jahr veröffentlichte Disney mit VON BLUMEN UND BÄUMEN den ersten Farbzeichentrickfilm in Technicolor, was ihm ebenfalls einen Oscar einbrachte. Warum Disney so großen Erfolg mit seinen Zeichentrickfilmen hatte, lag nicht nur an den cleveren und charmanten Figuren. Es war die große Zeit der Depression in den USA und Zeichentrickfilme für das Publikum eine perfekte Ablenkung von der wirtschaftlichen Misere. Auch synchronisierte Disney seine Werke in verschiedene Sprachen, was gute Verkäufe in andere Länder ermöglichte.

 

 

Von Blumen und Bäumen

Erster Farbzeichentrickfilm in Technicolor und erster Oscar für einen animierten Kurzfilm VON BLUMEN UND BÄUMEN 1932.

 

Weit mehr Geld als an der Kinokasse brachte daneben der Verkauf von Merchandising Artikeln, vor allem mit Mickey Mouse. Damit war die Walt Disney Company im Jahr 1935 das umsatzstärkste und größte Filmstudio Hollywoods. Doch für Disney selbst war das nicht der Höhepunkt seiner Trickfilmkarriere, sondern erst der Anfang. Sein nächster Coup sollte ein völlig verrücktes Unterfangen werden, der erste abendfüllende Zeichentrickfilm für ein erwachsenes Publikum, etwas, was es nie zuvor gab.

 

 

SCHNEEWITTCHEN UND DIE SIEBEN ZWERGE

SCHNEEWITTCHEN UND DIE SIEBEN ZWERGE (1937) – der erste abendfüllende Zeichentrick von Walt Disney.

 

Walt Disneys Vision war größenwahnsinnig und wurde verlacht, die Produktion von SCHNEEWITTCHEN UND DIE SIEBEN ZWERGE dauerte über drei Jahre und kostete unglaubliche 1,75 Millionen US-Dollar. Doch das Wunder geschah, der erste abendfüllende Zeichentrickfilm spielte 1937 acht Millionen US-Dollar ein und wurde bis dato zum finanziell erfolgreichsten Film überhaupt. Auch international, denn Disney war clever und ließ bereits in der Produktion verschiedene Hintergründe und Schriften in den jeweiligen Landessprachen entwerfen, die Synchronisation verwirklichte er mit derselben Akribie und Präzision wie die Animationsarbeiten.

 

 

Die Arbeiten am zweiten Zeichentricklangfilm PINOCCHIO fielen noch gigantischer aus, aber durch den Zweiten Weltkrieg fiel der komplette europäische Markt weg, betroffen waren nicht nur PINOCCHIO, sondern 1940 auch FANTASIA, der erste Zeichentrickfilm mit Stereoton und klassischer Musikuntermalung. Nach einigen Jahren Pause arbeite die Walt Disney Company erst ab 1948 wieder an einem Langfilm, der 1950 in die Kinos kam – CINDERELLA überflügelte sogar den Erfolg von SCHNEEWITTCHEN. Es folgte Superlativ auf Superlativ. PETER PAN brach die vorherigen Rekorde im Jahr 1953 erneut, mit SUSI UND STROLCH kam 1955 der erste Zeichentrickfilm im Cinemascope Format in die Kinos.

 

 

Disney Zeichentrickfilme

Erster Zeichentrickfilm im Cinemascope Verfahren mit SUSI UND STROCLH (1955), erster Film im Xerox-Fotokopie Verfahren 101 DAMLATINER (1961) und der letzte Film unter Walt Disneys Zepter DAS DSCHUNGELBUCH 1967.

 

1959 stieg mit DORNRÖSCHEN das Budget für einen Disney Zeichentrickfilm bereits auf 7 Millionen US-Dollar, der Film war an der Kinokasse noch immer ein Erfolg, aber der Profit wurde schmaler. Mit 101 DAMLMATINER experimentierte Disney 1961 an einem neuen Verfahren namens Xerox-Fotokopie, was zeit- und kostensparend war, die Technik sollte die folgenden Jahre bestimmen, aber bereits DIE HEXE UND DER ZAUBERER war 1963 nicht mehr so umsatzstark wie seine Vorgänger. DAS DSCHUNGELBUCH, der mittlerweile 19. abendfüllende Zeichentrickfilm der Walt Disney Studios, sollte der letzte Film sein, den Walt Disney selbst produzierte, die Fertigstellung im Jahr 1967 erlebte der 1966 verstorbene Zeichentrickfilmpionier leider nicht mehr.

 

Disney Fall und Wiedergeburt

 

Bereits einige Jahre vor seinem Tod 1966 hatte Walt Disney in andere Geschäftsfelder investiert, neben seinen erfolgreichen Naturfilmen vor allem in die Disneyparks, in die Produktion der abendfüllenden Zeichentrickfilme war er konzeptionell noch eingebunden, aber eine Vielzahl anderer Produzenten und Regisseure übernahmen das kreative Ruder. Disneys Tod stellte das Unternehmen vor schwierige Aufgaben, die Fortführung der Animationsabteilung war nur eine davon.

 

 

Disney Zeichentrickfilme

Glanzlicht innerhalb schwieriger Disneyzeiten – BERNHARD & BIANCA (1977) von Wolfgang Reitherman & John Lounsbery, Flop mit dem düsteren TARAN UND DER ZAUBERKESSEL (1982) von Ted Berman & Richard Rich und wieder erste Erfolge an der Kinokasse mit BASIL, DER GROßE MÄUSEDETEKTIV (1986) von John Musker, Ron Clements, Burny Mattinson & David Michener.

 

In den 1970er und 1980er Jahren waren Zeichentrickklassiker wie ARISTOCATS oder ROBIN HOOD nur mäßig erfolgreich an der Kinokasse, Glanzstücke wie BERNHARD UND BIANCA nur Achtungserfolge, düstere Fantasy wie TARAN UND DER ZAUBERKESSEL floppte sogar. Erst mit dem neuen Kreativchef Jeffrey Katzenberg kam neuer Spirit in die Animationsabteilung, BASIL, DER GROßE MÄUSEDETEKTIV und OLIVER & CO wurden Ende der 80er wieder erfolgreicher, aber erst ein Zurückbesinnen auf die alten Werke führte den Disney Zeichentrickfilm in den 90ern zu einer Renaissance.

 

 

Disney Renaissance

Disney Renaissance: ARIELLE, DIE MEERJUNGFRAU (1989) John Musker & Ron Clements, DIE SCHÖNE UND DAS BIEST (1991) von Gary Trousdale & Kirk Wise und ALADDIN (1992) von John Musker & Ron Clements

 

1989 gelang mit ARIELLE, DIE MEERJUNGFRAU wieder ein bahnbrechender Erfolg, mehr Herz, mehr Kitsch, mehr Musik, der Film spielte über 100 Millionen Dollar ein. Mit DIE SCHÖNE UND DAS BIEST und ALADDIN konnten kreative und kommerzielle Erfolge weiter gesteigert werden, der Zenit der Disney Renaissance wurde 1994 mit DER KÖNIG DER LÖWEN erreicht, mit einem weltweiten Einspielergebnis von über 800 Millionen US-Dollar, was man selbst nach SCHNEEWITTCHEN nicht für möglich gehalten hatte.

 

 

Der König der Löwen

DER KÖNIG DER LÖWEN (1994) von Roger Allers & Rob Minkoff

 

Obgleich Kritiker meinten, danach ging es vor allem kreativ wieder bergab, stellten auch POCAHONTAS und vor allem MULAN grandiose Zeichentrickkunst dar. Finanziell war die Zeichentrickabteilung der Disney Company eine Goldgrube, in den 90er Jahren wurden Fortsetzungen der Klassiker erfolgreich auf Video vertrieben, die Meisterwerke im Kino konnten bis zum Millennium den Zenit DER KÖNIG DER LÖWEN zwar bei Weitem nicht mehr erreichen, waren aber überaus profitabel.

 

 

Disney Zeichentrickfilme

Der größte Flop innerhalb der Disney Zeichentrickfilme DER SCHATZPLANET (2002) von Ron Clements & John Musker, der scheinbar letzte Zeichentrickfilm mit DIE KÜHE SIND LOS (2004) von Will Finn & John Sanford, Rückkehr zum Zeichentrickfilm mit KÜSS DEN FROSCH (2009) von John Musker & Ron Clements.

 

Mit dem Siegeszug computeranimierter Filme, dem Aufstieg des CGI-Studios Pixar und dem Erfolg von TOY STORY aber geriet der Disney Zeichentrickfilm im neuen Jahrtausend zunehmend ins Abseits. 2002 führte der kolossale Flop DER SCHATZPLANET zur sukzessiven Schließung der Zeichentrickabteilung, nach BÄRENBRÜDER 2003 und DIE KÜHE SIND LOS 2004 war die Ära der abendfüllende Disney Zeichentrickfilme dann vorbei, der Konzern stieg komplett ins CGI Geschäft ein. Natürlich nur, um 2007 mit KÜSS DEN FROSCH wieder zum traditionellen 2D-Zeichentrickfilm zurückzukehren. 2011 erschien dann der vorerst letzte handgezeichnete Animationsfilm WINNIE PUUH in den Kinos, ein weiteres Zeichentrick Meisterwerk lässt seitdem auf sich warten.

 

 

Walt Disney hat den Zeichentrickfilm nicht erschaffen, aber er hat ihn maßgeblich geprägt und ihn mit genialen Innovationen zum globalen Erfolg geführt. Nicht immer ohne Kritik, angefangen vom Vorwurf des Kitschs, nerviger Songs und der Darstellung einer heilen Welt, einem rückständigen Rollenverständnis zwischen den Geschlechtern und diversen rassistischen Untertönen in den frühen Produktionen. Disney Zeichentrickfilme aber haben für das Medium aber auch schwierige Themen angepackt, Verlust, Tod und Trauer. Insgesamt haben die Zeichentrickfilme aus dem Hause Disney aber mehr Herzen von Kindern wie Erwachsenen berührt als vergleichbare Zeichentrickfilmproduktionen anderer Studios, die immer versucht haben, diesen Erfolg zu kopieren.

 

The Golden Age of American Animation

 

Mit STEAMBOAT WILLY begann 1928 die sogenannte Goldene Ära des Animationsfilms in den Vereinigten Staaten von Amerika. Den Erfolg Disneys wollten auch andere Studios mit Zeichentrickfiguren und Filmen erreichen, einige schafften das durchaus. Bereits im Jahr 1933 gründete der Produzent Leon Schlesinger innerhalb der Warner Bros. Studios die Abteilung Warner Bros. Cartoons, später bekannt als Warner Bros. Animation Studios. Er folgte den frühen Erfolgsrezepten der Zeichentrickfilmer Fleischer und Disney um publikumsbegeisternde wie markante Figuren und erschuf so die LOONEY TUNES, nach Vorläufern wie Bosko 1930 debütierte in den animated cartoons 1935 Schweinchen Dick, 1937 folgte Daffy Duck und 1940 der größte Star des Studios Bugs Bunny.

 

 

looney tunes

Die LOONEY TUNES au dem Hause Warner Bros. Cartoons: PORKYS HARE HUNT 1938, A WILD HARE 1940, Oscar für TWEETY PIE (1947) Marvin, the Martian in HASEN IM WELTALL 1948, ab 1949 Willy E. Coyote & Roadrunner, Oscar für Pepé Le Pew in FOR SCENT-IMENTAL REASONS 1949, Speedy Gonzales ab 1955, Oscar für BIRDS ANONYMUS 1957 & Oscar für Bugs Bunny in KNIGHTY KNIGHT BUGS 1958.

 

Bis in die 60er Jahre liefen die LOONEY TUNES in den Kinos und traten dann erst ab 1987 wieder als Vorfilme für Produktionen der Warner Bros. in Erscheinung. Weltweit hatten die etwas rabiateren und ungestümeren Zeichentrickfiguren eine ähnlich hohe Popularität wie Mickey Mouse, Goofy und Co.. Sie wurden sogar Stars in Zeichentrick-Realfilm Kombinationen wie in FALSCHES SPIEL UM ROGER RABBIT, SPACE JAM oder LOONEY TUNES: BACK IN ACTION, eine Tradition, die auch der Disney Konzern mit Werken wie MARY POPPINS verfolgte. Mit SPACE JAM – A NEW LEGACY sind die LOONEY TUNES auch im Jahr 2021 noch aktiv, genau wie zwei andere Zeichentrickfilmhelden in einem Zeichentrick und Live-Action Mix.

 

 

Zeichentrick Realfilm Mix

Zeichentrick-REalfilm-Mix aus dem Hause Disney mit MARY POPPINS (1964) und BEDKNOBS & BROOMSTICKS (1971) von Robert Stevenson, die Looney Tunes aus dem Hause Warner Bros. in FALSCHES SPIEL MIT ROGER RABBIT (1988) von Robert Zemeckis und SPACE JAM (1996) von Joe Pytka, Brad Pitt in COOL WORLD (1992) von Ralph Bakshi & Tom & Jerry in TOM & JERRY (2021).

 

Auch das Studio Metro-Goldwyn-Meyer betrieb in der Golden Age of Animation eine Zeichentrickabteilung namens Metro-Goldwyn-Meyer Cartoon Studio. Erste Experimente mit Zeichentrick ließen 1930 bis 1933 die animated cartoon Reihe FLIP THE FROG resultieren. Im Jahr 1940 aber ließ das Studio die beiden Zeichentrickfilmkünstler William Hanna und Joseph Barbera neue Figuren kreieren, ursprünglich JASPER & JINX genannt wurden ab 1940 der Kater Tom und die Maus Jerry weltberühmt.

 

 

PUSS GETS THE BOOTS

Der erste Auftritt von Tom & Jerry in PUSS GETS THE BOOTS (1940) von Rudolf Ising nach Figuren von William Hanna (1910–2001) und Joseph Barbera (1911–2006).

 

TOM & JERRY spielten das teilweise rabiat-gewalttätige Katz-und-Maus-Spiel zwischen 1940 und 1967 in 167 Kurztrickfilmen, sieben davon wurden mit einem Oscar ausgezeichnet, sechs weitere für einen Oscar nominiert, damit ist die TOM & JERRY Reihe die meistausgezeichnete Trickfilmserie überhaupt. Den Aushängeschildern der MGM cartoon studios konnten neue Figuren wie SCREWY SQUIRREL oder GEORGE AND JUNIOR nicht das Wasser reichen, die Trickfilmabteilung schloss im Jahr 1957 ihre Pforten.

 

 

 

Die kreativen Köpfe William Hanna und Joseph Barbera aber verließen MGM bereits früher und gründeten mit den Hanna-Barbera-Studios 1955 ihre eigene Zeichentrickfilmschmiede. Ihre größten Erfolge feierten beide aber nicht im Kino, sondern dank ihrer perfektionierten limited animation Technik im TV, ab den 1960er Jahren mit Serien wie THE FLINTSTONES, THE JETSONS, SCOOBY DOO oder YOGI BÄR, mit DIE SCHLÜMPFE (SMURFS) waren sie auch in den 80er Jahren erfolgreich.

 

 

 

 

Eine weitere Zeichentricklegende wurde der US-amerikanische Autor und Zeichner Charles M. Schulz, der seine cartoon strips THE PEANUTS ab 1952 in Sonntagszeitungen veröffentlichte. Diese waren so erfolgreich, dass sie nach Comics und TV-Serien ab 1969 auch im Kino liefen. THE PEANUTS, das waren die beliebten Figuren Charlie Brown, Snoopy, Woodstock, Schröder, Linus und Lucy van Pelt, ihre Abenteuer spiegelten mehr das echte US-amerikanische Leben wieder als andere Zeichentrickfilmfiguren zuvor, was wohl ihre große Beliebtheit begründete.

 

 

CHARLIE BROWN UND SEINE FREUNDE 1969

CHARLIE BROWN UND SEINE FREUNDE (1969) von Bill Meléndez nach Figuren von Charles M. Schulz (1922 – 2000)

 

In die Kinos kamen nach CHARLIE BROWN UND SEINE FREUNDE 1969 auch die Abenteuer um SNOOPY (1972), gefolgt 1977 von LAUF UM DEIN LEBEN, CHARLIE BROWN und GUTE REISE, CHARLIE BROWN im Jahr 1980. 2015 kehrten THE PEANUTS auf die Leinwand zurück, allerdings nicht in klassischem Zeichentrickgewand, sondern, durchaus gelungen, als CGI Animationsfilm. Die Fortführung der original Zeichentrickhelden allerdings wird es wohl nie mehr geben, denn Charles M. Schulz hat das ab seinem Tod im Jahr 2000 testamentarisch untersagt. Die PEANUTS sind zum Glück bis zum heutigen Tag zeitlos geblieben.

 

 

 

 

Oft gab es in der Geschichte des Zeichentrickfilms große Auseinandersetzungen zwischen Zeichnern und Studios, um kreative Belange oder Ausrichtungen. Auch die Walt Disney Company hat einige Künstler vergrault oder vertrieben, beispielweise Tim Burton, andere starteten ihre Karriere aber auch ohne große Zwists nach Studioerfolgen. Innerhalb der Walt Disney Company gab es einen einzigartigen Fall, den des Zeichentrickkünstlers Don Bluth, der nach ROBIN HOOD 1973 Animationsdirektor bei Disney wurde und die Stilistik für WINNIE PUUH und BERNHARD UND BIANCA maßgeblich prägte.

 

 

MRS. BRISBY UND DAS GEHEIMNIS VON NIMH

MRS. BRISBY UND DAS GEHEIMNIS VON NIMH (1982) von Don Bluth

 

Don Bluth legte nicht nur großen Wert auf hochwertige Zeichentechniken, sondern auch auf erwachsenere und intelligentere Geschichten, die das Publikum herausforderten. Zusammen mit den Zeichentrickkünstlern Gary Goldmann und John Pomorory verließ er 1979 den Disney Konzern, um seiner eigenen Vision zu folgen. Sein erstes eigenes Zeichentrickfilmprojekt wurde der Klassiker MRS. BRISBY UND DAS GEHEIMNIS VON NIMH aus dem Jahr 1982. Neben den feineren Zeichenstil war das Werk ungleich düsterer als die Filme unter Disney.

 

1986 produzierte Steven Spielberg Don Bluths nächsten Zeichentrickfilm FEIVEL, DER MAUSWANDERER, in Koproduktion mit Spielberg erschien 1988 der größte Erfolg Bluths mit IN EINEM LAND VOR UNSERER ZEIT. Nicht ganz so erfolgreich wurden die Folgewerke CHARLIE – ALLE HUNDE KOMMEN IN DEN HIMMEL, ROCK A DOODLE und DÄUMELINCHEN, beliebt waren sie dennoch bei Jung und Alt, 1997 erschien mit ANASTASIA ein weiterer hochgelobter Zeichentrickfilm.

 

Produziert wurden die Don Bluths Zeichentrickwerke von der 20th Century Fox innerhalb der Animationsabteilung Fox Animation Studios. Nach Erfolgen mit DÄUMELINE und ANASTASIA aber führte die dritte Don Bluth Produktion TITAN A.E. die Abteilung in den Bankrott, der ambitionierte Sci-Fi Zeichentrickfilm wurde zu einem der größten Flops der 20th Century Fox, worauf die Animation Studios schließen mussten. Don Bluth hat seitdem keinen Zeichentrickfilm mehr gestaltet und sich Videospielen zugewandt.

 

 

Don Bluth Movies

FEIVEL, DER MAUSWANDERER (1986), ANASTASIA (1997) und TITAN A. E. (2000) von Don Bluth

 

Zeichentrickfilme waren trotz der gigantomanischen Erfolge aus dem Hause Disney riskante finanzielle Angelegenheiten. Als Zeichentrick in den 1960er Jahren seriell im Fernsehen neue Zielgruppen fand und dort zum Synonym für Kinderunterhaltung transmutierte, wurde es an der Kinokasse abseits von Disney schwer, Zeichentrickfilme zu vermarkten, vor allem, wenn sie nicht den Unterhaltungsstandards des Mäusekonzerns entsprachen oder direkt für ein erwachsenes Publikum konzipiert wurden.

 

Zeichentrick Alpträume

 

Die subversive Transformation des Zeichentrickfilms begann in den 60er Jahren mit Beginn der Flower-Power Hippie Zeit und der gesellschaftlichen Kontroversen in den USA. Zum einen diente Zeichentrick wunderbar als psychodelisches Stilmittel und feierte einen großen Erfolg im Beatles Film YELLOW SUBMARINE im Jahr 1968. Auch die sexuelle Revolution wurde im Zeichentrickfilm thematisiert. Der Regisseur und Zeichentrickfilmer Ralph Bakshi wurde im Jahr 1967 Direktor der Zeichentrickabteilung der Paramount Pictures, die Paramount Cartoon Studios, und sein erster Film sollte für den Zeichentrickfilm Grenzen sprengen.

 

 

FRITZ THE CAT (1972)

FRITZ THE CAT (1972) von Ralph Bakshi

 

Knapp 50 Jahre nach FELIX THE CAT kam mit FRITZ THE CAT 1972 ein Zeichentrickfilm in die Kinos, dessen Entwicklung man nie geahnt hatte. Es war der erste Zeichentrickfilm mit einem X-Rating streng für Erwachsene, die Themen waren Sex, Drogen und Gewalt. FRITZ THE CAT wurde damit zum Star, seiner Subversivität folgten auch andere Zeichentrickfilmkünstler wie der Belgier Picha, der in den 70ern mit Filmen wie TARZOON – SCHANDE DES DSCHUNGELS oder DAS FEHLENDE GLIED ähnliche Zeichentrickfilme für Erwachsene produzierte.

 

Durch den Erfolg von FRITZ THE CAT konnte Ralph Bakshi weitere ernste Themen in Zeichentrickfilmen umsetzen, neben inhaltlichen Tabubrüchen war er auch experimenteller Techniker und mischte munter Zeichentrick, Rotoskopie und Realfilmsequenzen. Nach HEAVY TRAFFIC und COONSKIN, die vor allem das gesellschaftliche Chaos in den USA der 1970er Jahre spiegelten, wechselte Bakshi 1977 in die Fantasysparte und hatte eine ähnlich größenwahnsinnige Vision wie Disney.

 

Nach dem Endzeitmärchen DIE WELT IN 10 MILLIONEN JAHREN verfilmte er 1977 zwei Drittel von Tolkiens Lebenswerk THE LORD OF THE RINGS teils im Rotoskopieverfahren, 1983 perfektionierte er diese Technik im kultigen Fantasy Zeichentrickfilm FEUER & EIS, der an den Kinokassen allerdings floppte. Erst knapp zehn Jahre später kehrte Bakshi mit dem Zeichentrick Live-Action Mix COOL WORLD auf die Kinoleinwand zurück, finanzieller Erfolg war ihm damit aber leider auch nicht beschieden.

 

 

Ralph Bakshi Movies

Die weniger bekannten Meisterwerke von Ralph Bakshi – HEAVY TRAFFIC (1973), AMERICAN POP (1981) & HEY GOOD LOOKIN’ (1982)

 

Die 70er und 80er Jahre wurden zu einer kleinen Hochzeit des klassischen wie bizarren Fantasy Zeichentrickfilms. Der französische Regisseur und Maler René Laloux experimentierte zusammen mit anderen Künstlern und Autoren wie Jean „Moebius“ Giraud und Isaac Asimov an Zeichentrickkurzfilmen, bis er 1973 mit DER WILDE PLANET ein abendfüllendes Meisterwerk ablieferte. 1982 drehte er mit DIE HERRSCHER DER ZEIT nach gemeinsamem Drehbuche mit Moebius einen ebenso beachtlichen Science-Fiction Zeichentrickfilm, 1988 folgte der überaus fremdartige GANDAHAR.

 

 

Zeichentrick Meisterwerke von René Laloux (1929 – 2004): DER WILDE PLANET (1973), HERRSCHER DER ZEIT (1982) & GANDAHAR (1988)

 

Andere Fantasyfilme im Zeichentrickgewand kamen weit weniger surreal daher, aber selbst Disney oder Don Bluth legten mit TARAN UND DER ZAUBERKESSEL und MRS. BRISBY UND DAS GEHEIMNIS VON NIMH ungewöhnlich düstere Fantasy abseits vom Zeichentrickmainstream vor. Kultstatus erlangten auch die Zeichentrickfilmer Arthur Ranking Jr. und Jules Bass, die 1977 DER HOBBIT und 1980 DIE RÜCKKEHR DES KÖNIGS in Zeichentrick inszenierten. Zusammen mit dem japanischen Zeichentrickstudio TOPCRAFT, aus dem später das berühmte Studio Ghibli hervorgehen sollte, entstand 1982 auch der Kultfilm DAS LETZTE EINHORN.

 

 

1986 kam mit WALHALLA ein ebenso gefeierter Fantasyfilm aus Dänemark in die Kinos, mit umgerechnet vier Millionen Euro Produktionskosten war ein Flop an der Kinokasse aber vorprogrammiert. WALHALLA wurde dennoch zum Kultfilm und begeisterte Jung wie Alt mit wundervollen Figuren der nordischen Mythologie. Wie TARAN, MRS. BRISBY und DAS LETZTE EINHORN war auch WALHALLA weitaus düsterer und ernsthafter, als dass sie fürs Kinderprogramm geeignet gewesen wären.

 

 

Zeichentrick Fantasy

Zeichentrick Fantasy Boom in den 70er und 80er Jahren: DER HOBBIT (1977) & DAS LETZTE EINHORN (1982) von Arthur Ranking Jr. (1924 – 2014) und Jules Bass, WALHALLA (1986) aus Dänemark von Peter Madsen & Jeffrey J. Varab

 

In der Tradition des Fantasy Zeichentrickfilms wie DAS LETZTE EINHORN oder WALHALLA stehen auch die Werke des irischen Zeichentrickfilmer Tomm Moore, welcher 1998 das Zeichentrickstudio Cartoon Saloon gründete. DAS GEHEIMNIS DER KELLS wurde 2010 für den Oscar als bester Animationsfilm nominiert, genau wie die folgenden Produktionen DIE MELODIE DES MEERES und WOLFWALKERS, alle drei Filme sind wundervoll poetisch und fantastisch gezeichnet und auch für Kinder geeignet.

 

 

Tomm Moore Movies

Meisterwerke von Tomm Moore – DAS GEHEIMNIS DER KELLS (2009), DIE MELODIE DES MEERES (2014) & WOLFWALKERS (2020)

 

Neben düsterer Fantasy gab es ab den 70er und 80er Jahren aber auch Zeichentrickfilme, welche ernste Themen direkt oder als Metapher aufgriffen, Migration, Krieg und Diktatur in WATERSHIP DOWN – UNTEN AM FLUSS, der nukleare Exodus in WENN DER WIND WEHT oder Tierversuche in DIE HUNDE SIND LOS. Wer als Kind einen dieser Zeichentrickfilme als Disney Ersatzware gesehen hatte, dürfte nachhaltig traumatisiert gewesen sein und bis zum echten Zeichentrick Horrorfilm war es nur noch ein kleiner Schritt.

 

 

Zeichentrickfilme für Erwachsene

WATERSHIP DOWN – UNTEN AM FLUSS (1978) von Martin Rosen & John Hubley, DIE HUNDE SIND LOS (1982) von Martin Rosen & WENN DER WIND WEHT (1986) von Jimmy T. Murakami

 

Echte Horrorfilme im Zeichentrickgewand sind aber eine rare Nische. 1953 wurde mit der Poe Verfilmung THE TELL TALE HEART ein erster Versuch unternommen, der sogar für den Oscar nominiert war. In den 90ern wurde mit FELIDAE eine Katzenkrimi Buchreihe mit starkem Horroreinschlag adaptiert, Guillermo De Toro produzierte 2007 mit FEAR(S) OF THE DARK eine Horrorfilm Anthologie in verschiedenen Zeichentrickstilen, die einen geistigen Nachfolger im Late Night Club Projekt GHOST STORIES fand.

 

 

 

 

Die Zielgruppe für Zeichentrickhorror war winzig, aber eine andere Art von Zeichentrickunterhaltung wurde ab den 90er Jahren bei diversen erwachsenen Zielgruppen umso populärer. Der Boom an Zeichentrickserien in den 80ern und 90ern wie THE SIMPSONS oder SOUTH PARK mit subversivem Humor für eindeutig Volljährige zog auch einige Leinwandauftritte nach sich. Das begann eigentlich bereits mit BEAVIS UND BUTT-HEAD MACHEN’S IN AMERIKA von 1996 nach der erfolgreichen MTV-Fernsehserie. SOUTH PARK – DER FILM erschien 1999 als Kinofilm zur Fernsehserie, THE SIMPSONS von 2007 ist dagegen fast ein Kinospätzünder.

 

 

 

 

Was im Zeichentrickfilm als erwachsen angesehen werden kann oder nicht, ist breit gefächert, von düsterer Fantasy über Horror bis zu gesellschaftskritischem Brachialhumor. Doch die besten Zeichentrickfilme für ein erwachsenes Publikum entstehen vor allem dort, wenn Zeichentrickkünstler eine persönliche, oftmals tragische Geschichte zu erzählen haben, über eigene Erfahrungen mit Krieg, Trauer oder Trauma und Zeichentrick nutzen, um das unaussprechliche sichtbar zu machen.

 

Vom Leben gezeichnet

 

Ernste Lebenswirklichkeiten, Kriegstraumata, Sexualität und Erwachsenwerden, Zeichentrick eignet sich hervorragend als Kontrast und Metapher für überaus persönliche Filme. 2007 verfilmte die Regisseurin Marjane Satrapi ihre Erfahrungen als junges Mädchen während der islamischen Revolution im Iran mit PERSEPOLIS, ein warmherzig-witziger wie trauriger Film zugleich. Wesentlich bedrückender schilderte 2008 Regisseur Ari Folman in WALTZ WITH BASHIR seine Erlebnisse als Soldat im ersten Libanonkrieg und gewann damit den Golden Globe und den César.

 

 

PERSEPOLIS

PERSEPOLIS (2007) von Marjane Satrapi

 

Als Mitgründerin des irischen Zeichentrickstudios Cartoon Saloon inszenierte Regisseurin Nora Twomey 2017 den oscarnominierten Zeichentrickfilm THE BREADWINNER um ein junges Mädchen in Kabul unter der Kontrolle der Tailban, die sich als Junge verkleiden muss, um ihre Familie zu versorgen und ihren Vater aus dem Gefängnis zu bekommen. THE BREADWINNER vereint klassischen Zeichentrick, Scherenschnitt Animation und 3D Animation zu einem wunderschönen, wenn auch bitteren Animationsfilm.

 

 

THE BREADWINNER

THE BREADWINNER (2017) von Nora Twomey

 

Als Kinospielfilme sind Filme wie PERSEPOLIS, WALTZ WITH BASHIR oder THE BREADWINNER Ausnahmen, denn sie sind schwierig zu vermarkten, für Kinder natürlich nicht geeignet, obgleich Filme wie PERSEPOLIS oder THE BREADWINNER Kinder- und Jugendgeschichten erzählen. Das erwachsene Mainstreampublikum hingegen fremdet oftmals mit der Animation, das Vorurteil, jeder Zeichentrickfilm ist Kinderunterhaltung, hält sich nach wie vor in den Köpfen fest.

 

 

Zeichentrickfilme für Erwachsene

Politische Zeitgeschichte im Zeichentrickfilm – WALTZ WITH BASHIR (2008) von Ari Folman, ANOTHER DAY OF LIFE (2019) von Damian Nenow & Raúl de la Fuente und ALOIS NEBEL (2013) von Tomás Lunák

 

Neben Zeichentrickfilmen mit persönlichen Grenzerfahrungen gibt es aber auch noch eine Handvoll Animationskünstler mit eigenem Humor und eigenwilliger Stilistik, deren Werke trotz aller Nischenhaftigkeit ins Kino kamen. Sylvain Chomet wurde für seine Werke bereits dreimal mit einer Oscarnominierung bedacht, nach dem Kurzfilm DIE ALTE DAME UND DIE TAUBEN auch seine beiden Langfilme DAS GROßE RENNEN VON BELLEVILLE und DER ILLUSIONIST.

 

Ein weiterer großartiger Stilist des Zeichentrickhandwerks ist Bill Plympton mit düsteren wie schwarzhumorigen Filmen wie IDIOTS & ANGELS oder seinem mittlerweile siebten Zeichentricklangfilm CHEATIN aus dem Jahr 2013. Sein achtes Langwerk SLIDE befindet sich Dank erfolgreicher Kickstarter Kampagne in Produktion, zwischenzeitlich inszenierte Plympton eine Episode der Horror Anthologie THE ABC’S OF DEATH 2 und sogar eine SIMPSONS Folge.

 

Bereits 1985 inszenierte Jean-François Laguionie, einer der renommiertesten Zeichentrickfilmer Frankreichs, seinen ersten Langfilm GWEN, OR THE BOOK OF SANDS, es folgten fünf weitere abendfüllende Zeichentrickfilme bis THE PRINCE’S VOYAGE 2019. Nach diversen Kurzfilmen wurde der ungarische Maler und Filmemacher Milorad Krstić bereits mit seinem Langfilmdebüt RUBEN BRANDT COLLECTOR in den Olymp der Zeichentrickfilmkünstler aufgenommen, einem surrealen Action-Psychothriller, in dem berühmte Gemälde der Kunstgeschichte in einzigartiger Weise handzeichnerisch zum Leben erweckt wurden.

 

 

Zeichentrickfilm für Erwachsene

Poetische Stilisten – THE ILLUSIONIST (2010) von Sylvain Chomet, IDIOTS AND ANGELS (2009) von Bill Plympton und RUBEN BRANDT COLLECTOR (2018) von Milorad Krstić

 

Selbst in der Nische Zeichentrickfilme für Erwachsene ist die Bandbreite an Tonalitäten, Themen und Stilistiken riesig, ins Kino werden sie wohl weiterhin nur ein kleines Publikum ziehen. Im Mainstreambereich der Familienunterhaltung ist Disney weiterhin führend, auch wenn die großen Zeiten des abendfüllenden Zeichentrickfilms längst vorbei sind und CGI das Animationszepter übernommen hat. Zum Glück lebt Zeichentrick aber vor allem im Kurzfilmbereich weiter, wo Künstler ihren persönlichen Werken durch Animationstechniken und Stilistiken eine immense Tiefe geben können.

 

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

Lesen Sie in den nächsten Folgen:

 

 

 

One Comment

  1. Antworten

    […] Die kleine Genrefibel Teil 97: Zeichentrick Die Traumfalter Filmwerkstatt widmet sich in der Genrefibel einem meiner Lieblingsgenre. Eigentlich sehe ich zwar Zeichentrick nicht als Genre, sondern Gattung oder „Filmart“, aber okay. Ich mag die Beitragsreihe enorm wegen der stimmungsvollen Einleitungen, dem historischen Querschnitt und den vielen vielschichtigen Beispielen. Zeichentrick, der sich an erwachsenen Publikum richtet bekommt auch eine Erwähnung und zeigt, dass das kein Kinderkram ist. Beste Aussage (die ich auch genauso empfinde): „Diese Aspekte des Filmschaffens haben im Vergleich zum Realfilm eine noch größere Bedeutung.“ und meint damit Konzeption, Figurenentwurf, Worldbuilding etc. […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de