Die kleine Genrefibel Teil 88: Ghosts’n Demons

Manche Leute sagen, es gibt Gespenster. Manche Leute sagen, es gibt keine Gespenster. Ich aber sage, da gibt es noch ganz anders Gefleuch zwischen den Sphären, welches einem Angst einjagen kann. Vom lakierten Schlossgespenst bis zum Poltergeist Santana, welcher rasselt mit sein’ Ketten, dass das Gebälk erzittere, von ruhelosen Geistern in verfluchten Häusern bis zu Dämonen, die sich in deinem Leib einnisten und deine Seele umklammern. Schaurig, schaurig, aber so steht es geschrieben. Und so wurden sie auch auf Zelluloid gebannt, Geister, Dämonen und Spukgestalten in ihrer schrecklichen Durchsichtigkeit wie Undurchsichtigkeit. Doch gleichsam auch Wesen mit überaus tragischer Vergangenheit im Diesseits und voller Sehnsucht nach Erlösung im Jenseits.

 

 

 

Im Geburtsjahr des Films 1896 war die aufgeklärte und industrialisierte Bevölkerung noch längst nicht befreit vom Aberglaube vergangener Jahrhunderte, der Glaube an Geister einte alle Kulturen der Welt. Geister, immaterielle Wesen mit nichtmenschlichen Fähigkeiten, entstammten aus Mythen und Religionen und galten als Übermittler von Botschaften aus dem Jenseits. Doch auch der Aberglaube wollte erforscht werden, der mittelalterlich geprägten Geisterfurcht folgte im 19. und 20. Jahrhundert Spiritismus und Okkultismus, denen wiederum schloss sich die pseudowissenschaftliche Parapsychologie an. Aberglaube und Geisterforschung lagen thematisch zwischen Fantasy und Science-Fiction, der Film aber lieh sich deren emotionalen Kern – Angst und Schrecken.

 

Die Geister der Vergangenheit

 

Obgleich basierend auf Jahrtausende alter Mythen entstand die moderne Geistererzählung in der Literatur erst Ende des 18. und frühen 19. Jahrhunderts innerhalb der Romantik. Während in der Antike noch ein echter Glaube an Geister existierte, lebte der in der Schwarzromantik entstandene Schauerroman (Gothic Novel) vor allem vom Ungefähren und vom Angeblichen. Geistergeschichten erzeugten beim Leser Gänsehaut durch das Geheimnisvolle und Übernatürliche, aber das Sujet wurde auch romantisch, satirisch und poetisch behandelt. Als sich der Film dieser Themen annahm, schien er anfangs nicht unbedingt das geeignete Medium zu sein.

 

 

Geisterfilm Inspiration

Spirit Inspiration: nach uralten Mythen seit Menschengedenken, die sich mit dem Leben nach dem Tod beschäftigten sowi Märchen und Sagen förmte sich die moderne Geistergeschichte von der Klassik (Hamlet von Shakespeare, Der Geisterseher von Friedrich Schiller) bis zur Spätromantik (Der Geist von Canterville von Oscar Wilde). Aber auch angebliche historische Geistersichtungen wie “Die weiße Frau” über Geisterfotografien des frühen 20. Jahrhunderts, parapsychologische Ereignisse bis zu aktuellen Internet-Hoax’ inspirierten den Geisterfilm.

 

 

In Geistergeschichten war alles undurchsichtig, nebulös, verschleiert oder sinnestäuschend, der Film ein klar visuelles Medium, am Anfang seiner Evolution gar noch um einige seiner Ausdrucksformen begrenzt, war stumm und farblos. Doch der Film erfüllte ein Versprechen aus Schauererzählungen, die sich vorrangig im Kopf abspielten, er gab den Geistergestalten Gestalt. Bereits der erste Film überhaupt, LE MANOIR DU DIABLE von Filmpionier Georges Méliès aus dem Jahr 1896 zeigte den gefürchteten Teufel in all seiner imaginären Kraft, ein Jahr später, im Jahr 1897, inszenierte Méliès mit LE CHÂTEAU HANTÉ den ersten Prototypen eines späteren Horrorfilmsubgenres, den haunted house movie um Spukschlösser und Geisterhäuser.

 

 

Geisterfilm Stummfilm

Die frühsten Geisterfilmwerke: LE CHÂTEAU HANTÉ (1897) von Georges Méliès, UNCLE JOSH IN A SPOOKY HOTEL (1900) von Edwin S. Porter, SCROOGE OR MARLEY’S GHOST (1901) von Walter R. Booth & UNHEIMLICHE GESCHICHTEN (1919) von Richard Oswald.

 

 

Die Evolution des Horrorfilmgenres verlief zum Teil analog zur technischen Filmgestaltung. In Stummfilmzeiten fokussierte man visuelle Horrorelemente und schuf damit Symboliken wie das Spukschloss oder das Gespenst, in LE CHÂTEAU HANTÉ noch in Form eines Skeletts, später dann semitransparent als Geistererscheinung. Doch erst die Erfindung des Tonfilms gab Geistergeschichten eine unverzichtbare Ausdrucksmöglichkeit, nicht nur für eine angsteinflössende Geräuschkulisse oder Akustikterror, in erster Linie zur eindringlichen Schilderung einer Legende. Jede Geistergeschichte hatte eine Legende, war verwurzelt in der Vergangenheit und der Schlüssel zur Lösung des Geheimnisses und der Gefahr. Mit diesen audiovisuellen und dramaturgischen Werkzeugen konnte der junge Horrorfilm nicht nur Angst und Entsetzen verbreiten, sondern auch emotionale wie moralische Fragen stellen.

 

 

Der Fuhrmann des Todes

DER FUHRMANN DES TODES (1921) von Victor Sjöström

 

 

Auch wenn frühe Schauerromane und Gruselfilme als trivial angesehen wurden, beschäftigten sie sich doch mit den ältesten Ungewissheiten der Menschheit. Gibt es ein Leben nach dem Tod, gibt es ein Jenseits, was geschieht mit unserer Seele, wenn wir sterben? Diese Gedanken wurden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vor allem von historischen Ereignissen genährt, durch die Weltkriege, Seuchensterben, bitteren Verlust und tiefe Trauer, all jene Dinge, welche die Phantastik beeinflussten.

 

 

 

 

Die ersten Filme über Geistererscheinungen basierten auf einem Groß an Legenden und Schauerromanen, nach Motiven von E. T. A. Hoffmann, Charles Dickens oder Edgar Allen Poe. Visuell wurden sie nach George Méliès lebendigen Filmdioramen vor allem durch den expressionistischen Film aus Deutschland geprägt. Mystery und Grusel bestimmten die ersten Filme über Geister vor allem in Europa, beispielsweise UNHEIMLICHE GESCHICHTEN (1919) aus Deutschland oder DER UNTERGANG DES HAUSES USHER (1928) aus Frankreich. Das gipfelte in eine erste Hochzeit des Subgenres in den 30er und 40er Jahren mit Filmen wie FÄHRMANN MARIA (1936) von Frank Wisbar, welcher den Stoff 1946 in Hollywood mit STRANGLER OF THE SWAMP neuverfilmte.

 

 

DER UNTERGANG DES HAUSES USHER

DER UNTERGANG DES HAUSES USHER (1928) von Jean Epstein

 

 

In dieser Hochphase waren Geister im Film nicht immer gleich Horrorstoffe, vor allem in Hollywood beschäftigte man sich mit Geistern und Gespenstern auch in der Komödie und Satire und übertrug vor allem moralische Fragen visuell auf die Leinwände. Bereits 1901 entstand die erste Verfilmung von Charles Dickens Weihnachtsgeschichte um einen Geizhals namens Ebenezer Scrooge, welcher von drei Geistern heimgesucht wurde, die ihm seine moralischen Defizite aufzeigten. Eher romantisch ging es dann 1937 im Kassenerfolg TOPPER – DAS BLONDE GESPENST zu und 1944 erschien die erste Verfilmung von Oscar Wildes berühmter Geistererzählung  mit DAS GESPENST VON CANTERVILLE von Jules Dassin mit Charles Laughton als Gespenst.

 

 

Geisterkomödie

Frühe Filmgeister in der Komödie: THE HAUNTED HOUSE (1921) von und mit Buster Keaton, TOPPER – DAS BLONDE GESPENST (1937) von Norman Z. McLeod, DAS GESPENSTERHAUS (1942) von Franz Schnyder, DAS GESPENST VON CANTERVILLE (1944) von Jules Dassin, GEISTERKOMÖDIE (1945) von David Lean, DAS SPUKSCHLOSS IM SPESSART (1960) von Kurt Hoffmann.

 

 

Obgleich sich Geisterkomödien bis in die 60er Jahre hinein wacker an der Kinokasse schlugen, darunter auch deutsche Produktionen wie DAS SPUKSCHLOSS IM SPESSART, lagen seit George Méliès LE CHÂTEAU HANTÉ 1897 alle audiovisuellen, dramaturgischen wie erzählerischen Ingredienzien für ein eigenständiges Subgenre des Horrorfilms bereit, welches aber erst in den 60er Jahren gebündelt den Zuschauer in Angst und Schrecken versetzen sollte – die klassische Geistergeschichte in spukenden Gemäuern.

 

A Haunted House

 

Zahlreiche Horrorfilme der 40er und 50er Jahre festigten das audiovisuelle Fundament wohligen Grusels, ein unheimliches Schloss, Nebel, Stimmen, Knacken und Knarzen. Rätsel und Elemente des Krimis (Whodunnit) bestimmten das Storytelling, Unglaube an den Geisterseher wiederum die Dramaturgie (Kassandra Komplex). Aus dieser Melange entstand 1959 ein erster Vertreter des Subgenres haunted house mit DAS HAUS AUF DEM GEISTERHÜGEL von William Castle mit Horrorveteran Vincent Price in der Hauptrolle.

 

 

Das Haus auf dem Geisterhügel

DAS HAUS AUF DEM GEISTERHÜGEL (THE HOUSE ON HAUNTED HILL, 1959) von William Castle

 

 

Auf Einladung eines Millionärs finden sich fünf Gäste in einem ehemaligen Herrenhaus wieder, ihnen winkt eine stolze Geldsumme, sollten sie eine Nacht in dem Haus überstehen bzw. überleben. Denn um das Anwesen namens Hill House ranken sich Gerüchte, es würde darin gehörig spuken. DAS HAUS AUF DEM GEISTERHÜGEL, im Original HOUSE ON HAUNTED HILL vereinte alle Elemente des Spukhausfilms in sich, aber versagte noch bei der Inszenierung von Horror, William Castles Klassiker war mehr Spukparty oder Geisterbahnfahrt als eine unheimliche Erzählung. Doch jenes Grundgerüst des haunted house movies nahmen andere Regisseure auf und bereicherten es mit beklemmender Atmosphäre, tragischen Ereignissen in der Vergangenheit und echten Schockmomenten.

 

 

Schloss des Schreckens

SCHLOSS DES SCHRECKENS (THE INNOCENTS, 1961) von Jack Clayton

 

 

Basierend auf der 1898 erschienenen Novelle The Turn of the Screw von Henry James entstand 1959 ebenfalls ein Gruselfilm um ein Spukhaus mit der TV-Verfilmung THE TURN OF THE SCREW von John Frankenheimer. Doch erst die Adaption aus dem Jahr 1961 DAS SCHLOSS DES SCHRECKENS von John Clayton konnte als Film das Erfüllen, was der schwarzromantische Schauerroman versprach – echten Grusel. Im England des 19. Jahrhunderts erlebt eine Gouvernante Nächte des Schreckens auf einem alten Anwesen, in dem sie zwei Kinder betreut, welche angeblich von Geistern einst verstorbener Hausangestellten besessen sind.

 

 

 

 

Im Gegensatz zum im gleichen Jahr erschienenen HAUS AUF DEM GEISTERHÜGEL schürte Regisseur Clayton eine beklemmende und alptraumhafte Atmosphäre mit ganz subtilen Mitteln im Schwebebereich zwischen Geistergeschichte und Wahnvorstellung. Jenes Element, seinen Sinnen nicht trauen zu können, wurde bestimmend für das Subgenre, auch weil es, trotz aller Phantastik, so nachvollziehbar für den Zuschauer war. Der Grusel entstand weniger auf der Leinwand als in dem Köpfen des Publikums und er hallte nach, wenn man dann zu Hause im Bett lag und der Lattenrost zu knarzen begann.

 

 

Turn of the Screw

Spätere Verfilmungen von Turn of the Screw: IN A DARK PLACE (2006) von Donato Rotunno, DIE BESESSENEN (THE TURNING, 2020) von Floria Sigismondi, SPUK IN BLY MANOR (THE HAUNTING OF BLY MANOR, 2020) von Mike Flanagan.

 

 

Der Horrorfilm lebt weniger von intelektueller Teilnahme als vom emotionalen Empfinden. Im Horrorfilm glich das einer Mutprobe, ein Austesten und Ausloten der eigenen Ängste und war immer wieder reproduzierbar. Das war auch der Grund für den Erfolg von Geistergeschichten in Filmen, die immer wieder gleich aufgebaut waren, aber auch immer wieder emotional funktionierten. Horror war serienkompatibel, wie auch im Fall der Vorlage The Turn of the Screw, welche mehrfach adaptiert wurde. Mit DAS LOCH IN DER TÜR entstand 1971 eine Vorgeschichte des Stoffes, in modernerer Inszenierung folgte 2006 der Film IN A DARK PLACE, im Jahr 2020 erschienen sogar zwei Verfilmungen der Novelle mit DIE BESESSENEN und der Netflix Serie SPUK IN BLY MANOR.

 

 

BIS DAS BLUT GEFRIERT

BIS DAS BLUT GEFRIERT (THE HAUNTING, 1963) von Robert Wise

 

 

Auf DAS SCHLOSS DES SCHRECKENS folgte 1963 ein weiterer Klassiker des Geisterfilms, wenn nicht sogar der Klassiker des Subgenres – BIS DAS BLUT GEFRIERT (THE HAUNTING) von Robert Wise, nach dem Roman The Haunting of Hill House von Shirley Jackson, welcher die Wirkungsweise des Subgenres haunted house noch eindringlicher verdeutlichte. Im Gegensatz zur plakativen Visualität früherer Gruselfilme funktionierte BIS DAS BLUT GEFRIERT vor allem durch die Reduktion und den Verzicht, es gab nicht einmal echte Geister zu sehen, das Haus selbst war das Böse. Die Kunst im Geisterfilm lag nur zum Teil in einer wirkungsvollen Geschichte, mehr noch in der Inszenierung, der Erschaffung von Stimmung, Kameraarbeit, Schnitt und vor allem über die Tonebene.

 

Das Geisterschloss 1999

DAS GEISTERSCHLOSS (1999)

Spuk in Hill House

SPUK IN HILL HOUSE (2018)

 

Filmwissenschaftlich ist das gut belegbar, vergleicht man BIS DAS BLUT GEFRIERT von 1963 mit dem Remake aus dem Jahr 1999 DAS GEISTERSCHLOSS von Jan De Bont, welcher visuell um Einiges expliziter und effektlastiger ist, bei weitem aber nicht so gruselig. Geisterfilme bezeugen vor allem, dass im Horrorfilm das Unsichtbare beängstigender sein kann als das Sichtbare, für Filmemacher oftmals ein Lernprozess. So gelang es zwei Jahrzehnte später, dem Originalstoff The Haunting of Hill House atmosphärisch wieder näher zu kommen und mit der Serie SPUK IN HILL HOUSE erneut dem Zuschauer das Grauen zu lehren.

 

 

Geisterfilm

Der Geisterfilm der 70er Jahre wurde pseudowissenschaftlichr und psychologischer: EXPERIMENTS (THE ASPHYX, 1972) von Peter Newbrook, WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN (DON’T LOOK NOW, 1973) von Nicolas Roeg und THE HAUNTING OF JULIA (1977) von Richard Loncraine.

 

 

In den 60er Jahren, bedingt durch den Erfolg von Filmen wie DAS SCHLOSS DES SCHRECKENS und BIS DAS BLUT GEFRIERT, entstanden eine Vielzahl von klassischen haunted house movies nach bekannten Mustern und formten so auch die bleibenden Klischees des Subgenres. In den 70er Jahren aber verschob sich etwas grundlegendes im Genre, der klassische Horrorfilm, der sogenannte gothic horror, wurde von kontemporären Horrorstoffen abgelöst.

 

Klassischer Horror bezog sein Flair aus der Vergangenheit, angesiedelt in Spukschlössern des viktorianischen Englands oder zwischen den Weltkriegen. Durch Schriftsteller wie Stephen Kings hielt der Horror Einzug in die Jetztzeit, was zuerst widersprüchlich empfunden wurde, galt die Menschheit doch umso aufgeklärter und nicht mehr empfänglich für alten Aberglauben. Im Geisterfilm der 70er Jahre aber wurden jene alte Legenden mit zeitgenössischen Settings verknüpft, die Spukschlösser quasi renoviert.

 

Der Horror trat nun auch in urbane Gefilde ein, beeinflusst wurde das Subgenre vor allem aber durch einen neuen, pseudowissenschaftliche Anstrich, durch Parapsychologie, einem vermehrten Aufkommen von Okkultfilmen und Horrorfilmen mit religiösen Thematiken. Der Horror wurde intensiviert, die ruhelosen Geister, welche Krach machten und am Bettlaken zerrten, erfuhren eine Evolution. Aus den gruseligen, aber nicht wirklich lebensbedrohlichen Schlossgespenstern wurden nun böse Geister.

 

„They’re Here“

 

Dabei funktionierten sämtliche Elemente des Spukhausfilms auch in zeitgenössischen Settings, vielleicht sogar noch mehr, wähnte man sich in einer Zeit, die den Aberglauben durch Wissenschaft entmystifiziert hatte. Umso mehr konnte nun der Horror in die scheinbar reale Welt eindringen. Geeignete Stoffe fanden sich nur zu oft, nicht in Schauerromanen, sondern aus der Zeitung. Was früher alte Legenden waren, wurden nun Berichte über ert kürzlich vergangene Gräueltaten, welche die Phantasie anregten, nicht nur die der Kinozuschauer. Und abermals standen Häuser, in denen es angeblich spukt, im Mittelpunkt.

 

 

Amityville

THE AMITYVILLE HORROR (1979) von Stuart Rosenberg

 

 

Im Jahr 1974 kam es zu einem grauenvollen Familienmord, der 23jährige Butch erschoss seine gesamte Familie im Schlaf, bevor er sich selbst umbrachte. Drei Jahre später bezog die Familie Lutz das Haus des Mörders und der unaussprechlichen Tat, bis sich nach wenigen Tagen mysteriöse Ereignisse häuften, sich selbst öffnende Türen, Kratzgeräusche, gruselige Fratzen. Was wie der Plot eines Horrorfilms klang, war aber Realität, zumindest in den Hintergründen, welche 1979 unter dem Titel THE AMITYVILLE HORROR von Stuart Rosenberg verfilmt wurden.

 

Wenngleich sich der Spuk am Ende als erfunden herausstellte, im Film THE AMITYVILLE HORROR funktionierte diese Schauermär hervorragend und wurde zum Erfolg, welcher eine langlebige Horrorreihe nach sich zog, obwohl es in den AMITYVILLE Filmen keinen wirklichen roten Faden gab. Da der Vorfall einen wahren Hintergrund hatte und Amityville eine reale Stadt war, konnten sich Filmemacher freizügig an der jungen Horrorlegende bedienen und sie frei interpretieren.

 

Dabei erreichte kaum einer der Filme die Wirkung des Erstlings von 1979, dennoch wurde das prägnante Haus in Amityville zum Horrorfilmstar. Was den jüngeren haunted house movies zur Glaubhaftigkeit verhalf, waren paradoxerweise Zweifel an den Geschehnissen, bedingt durch neue psychologische Forschung. Waren Geistererscheinungen real oder eingebildet, litten Protagonisten an einer Geisteskrankheit? Der Geisterfilm wurde psychologischer, nicht jeder war begeistert ob dieser Entwicklung.

 

 

Shining

SHINING (1980) von Stanley Kubrick

 

 

Selbst Stephen King, welcher zu großen Teilen kontemporären Horror erschuf, lehnte die Psychologisierung in Kubricks Adaption seines Romans SHINING ab, welcher ein klassischer haunted house Stoff war. In den meisten Fällen aber war das eine Bereicherung für den klassischen Geisterfilm, der Ausbau der Figurendramatik ließ den Zuschauer noch intensiver mitfiebern, denn Geisterterror war in erster Linie Psychoterror. Filme über Geister blieben so über sämtliche Dekaden beliebt, variierten mehr im Expliziten und im Thema, griffen stilistisch bewährte Horrorszenarien und inszenatorische Kniffe auf und gaben ihnen eine neue Doppelbödigkeit.

 

 

THE CHANGELING

Retro Review #33: THE CHANGELING (1980) von Peter Medak

 

 

Der klassische Geisterfilm hat sich in seinen inszenatorischen Belangen kaum verändert, Stilmittel, die Grusel erzeugen, blieben größtenteils gleich, auch weil neue Effektgestaltungsmöglichkeiten nicht immer halfen, den Horror zu intensivieren. Vielmehr wurden klassische Spukmotive wie das haunted house und Geister mit modernen Einflüssen wie Parapsychologie, Exorzismus und Dämonologie angereichert. Eine grundlegende Modernisierung des Geisterfilms gab es nie, aber es gab Höhepunkte, welche das Beste aus dem klassischen und dem modernen Geisterfilm vereinten.

 

 

POLTERGEIST

POLTERGEIST (1980) von Tobe Hooper

 

 

Zu einem solchen Klassiker wurde 1982 der Film POLTERGEIST von Tobe Hooper, welcher von Stephen Spielberg produziert und zum Teil auch inszeniert wurde. Er vereinte die gesamte Klaviatur des haunted house movies, also tragische Vorgeschichte, ein Haus, Geistererscheinungen in aller Vielfalt der inszenatorischen Mittel mit modernen Elementen wie Kinder als wichtige Figuren im Storytelling, psychologische Erklärungsmodelle, wissenschaftliche Experimente und Beweisführung und natürlich auch gut eingesetzte Schockeffekte und visuelle Albtraumbilder.

 

POLTERGEIST war eine Horrorachterbahnfahrt, aber im Gegensatz zu DAS HAUS AUF DEM GEISTERHÜGEL entfaltete er Atmosphäre und Grusel mit einer Ernsthaftigkeit, welche Mark und Bein erschütterte. Die 80er Jahre waren nicht das beste Jahrzehnt für das haunted house Subgenre, zu verführerisch war der Einsatz von neuen Spezialeffekten, aber POLTERGEIST gelang es, beides gekonnt zu kombinieren, hinzu kamen echte unheimliche Vorfälle um die Horrorfilmproduktion.

 

Auf der Filmreihe, welche 1986 mit POLTERGEIST 2 – DIE ANDERE SEITE und 1988 mit POLTERGEIST 3 – DIE DUNKLE SEITE DES BÖSEN fortgestzt wurde, schien ein echter Fluch zu liegen. Kurz nach Beendigung von POLTERGEIST 1982 verstarb der Darsteller Will Sampson, welcher den Indianer Taylor verkörperte, Schauspielerin Dominique Dunne wurde 1982 von ihrem Freund ermordet. Nach den Dreharbeiten zu POLTERGEIST 2 verstarb auch der Darsteller des gruseligen Reverent Kanes Julian Beck, den tragischen Höhepunkt bildete der Tod von Hauptdarstellerin Heather O’Rourke kurz nach Beendigung der Dreharbeiten zu POLTERGEIST 3.

 

 

Poltergeist

Heather O’Rourke als Carol Anne in POLTERGEIST 2 – DIE ANDERE SEITE (1986) von Brian Gibson, POLTERGEIST 3 – DIE DUNKLE SEITE DES BÖSEN (1988) von Gary Sherman, POLTERGEIST Remake (2015) von Gil Kenan.

 

 

In anderen Fällen waren es keine unheimlichen Zufälle, welche große Aufmerksamkeit beim Horrorpublikum verursachten, sondern eine generelle Debatte bis hin zur Massenhysterie. Neben Geistererscheinungen, welche im Zuge neuer parapsychologischer Experimente in den 70er Jahren für Aufsehen sorgten, waren es vor allem die Themen Okkultismus und Teufelsglaube, welche medial auf der ganzen Welt verfolgt wurden. Auslöser dafür war auch ein Film, welcher mit sämtlichen Elementen des Geisterfilms oder haunted house Sujets spielte, aber durch eine Fokussierung auf religiöse Themen ein neues Subgenrefass öffnete.

 

Unseren täglich Exorzismus gib uns heute…

 

1973 kam der Film DER EXORZIST von William Friedkin in die Kinos, basierend auf dem Roman von William Peter Blatty, welcher 1971 erschien und eine öffentliche Debatte um Exorzismus lostrat, welche in den späten 70er Jahren ihren Höhepunkt fand. DER EXORZIST vereinte alle Elemente des Geisterfilms, ging aber in Ernsthaftigkeit und religiösem wie psychologischem Background wesentlich weiter als Horrorfilmproduktionen seiner Zeit. Der Schocker hinterließ ein gespaltenes und traumatisiertes Publikum, gewann zwei Oscars und gilt zusammen mit THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE als Urvater des modernen Horrorfilms.

 

 

DER EXORZIST

DER EXORZIST (1973) von William Friedkin

 

 

DER EXORZIST beginnt mit typischen Vorfällen und Geschehnissen, ein Haus, eine junge Mutter und ihre Tochter, welche eine Stadtvilla beziehen, in der Nachts Geräusche vom Dachboden dringen. Doch plötzlich zeigt das junge Ding namens Regan Teresa MacNeil unnatürliche Verhaltensweisen, das wohlerzogene Kind flucht, benutzt unflätige Schimpfworte und wird mehr und mehr aggressiv. Die Ärzte kommen zu keiner anderen Diagnose, als dass Regan von etwas diabolischem besessen ist und verweisen die Familie an einen Priester, welcher an Regan einen Exorzismus durchführen soll.

 

 

 

 

Das Element, welches DER EXORZIST von früheren Geisterfilmen unterschied, war die Besessenheit eines Menschen durch einen Geist oder Dämon. Das gab es filmgeschichtlich nur selten und erst Recht nicht in einer solchen Explizitheit wie in DER EXORZIST. Den Film begleitete eine öffentliche Debatte, die Wirkung ließ sogar gestandene Männer im Kino zusammenbrechen. Mit DER EXORZIST kam der Exorzismus als neues Element in den Geisterfilm und war von da an nicht mehr wegzudenken. Sowohl in AMITYVILLE von 1979 als auch in POLTERGEIST 1982 wurden die Austreibungen von Geistern aus Häusern oder Menschen zum tragenden Plotpoint.

 

Stoffvorlagen nach angeblich wahren Ereignissen gab es zuhauf. 1975 erregte der Fall der Theologiestudentin Anneliese Michel Aufsehen, welche angeblich besessen war und verstarb, nachdem zwei Priester ganze 67-mal den Exorzismus an ihr vollzogen hatten. Verfilmt wurde der Fall sowohl 2005 mit DER EXORZISMUS DER EMILY ROSE als auch 2006 mit REQUIEM von Hans Christian Schmid. Nach DER EXORZIST galt vor allem ersterer als Beginn einer neuen Welle an Exorzismusfilmen.

 

Eine weitere Wiedergeburt des Exorzismusfilms, der ob vieler dramaturgischer wie inszenatorischer Gemeinsamkeiten zum eigenen Subgenre wurde, geschah durch das Aufkommen des Found Footage Films, welcher dieses Gerüst benutzte, um den Filmen einen pseudodokumentarischen Anstrich zu geben. Mit großem Erfolg, denn haunted house movies wie Filme über Exorzismus waren keine teuren Angelegenheiten, Horror konnte durch ganz simple Dinge zur Entfaltung gebracht werden. Inhaltlich allerdings gab es beim Exorzismusfilm aber kaum eine Weiterentwicklung, die Klischeedichte ist in diesem Subgenre einfach zu hoch.

 

 

Der Exorzismus von Emily Rose

DER EXORZISMUS VON EMILY ROSE (2005) von Scott Derrickson

 

 

Der Exorzismusfilm geriet gestalterisch mehr und mehr ins Brachiale, creepy oder unheimlich waren meist nur die ersten Vorfälle, danach verließen sich viele Filme auf eine gute Maskerade, krachendes Sounddesign sowie neue Inszenierungstricks wie Jump Scares. Das hat den Exorzismusfilm bis auf wenige Ausnahmen nie wieder zu dem Schockpotential von DER EXORZIST geführt. Dennoch blieb er als Subgenre beliebt, auch weil er mit geringem Aufwand große Erfolge an der Kinokasse verbuchen konnte.

 

 

Exorzismusfilme

THE POSSESSION (2012) von Ole Bornedal, DER LETZTE EXORZISMUS (2010) von Daniel Stamm und THE POSSESSION OF HANNAH GRACE (2018) von Diederik Van Rooijen.

 

 

Ab 2005 kam es so zu einer regelrechten neuen Welle an Exorzismusfilmen, nicht alle im Found Footage Gewand, auch musste man nicht immer vom Teufel selbst besessen sein. Je finsterer und diabolischer Geisterwesen wurden, desto besser das Gruselpotential, eine Entwicklung, welche nach DER EXORZIST bereits in den 80er Jahren begann. Nicht, das Geister ausgedient hatten, aber von neuen Effektgestaltungsmöglichkeiten profitierten durchsichtige Gespenster lang nicht so wie es finstere Dämonen taten.

 

Dämonenland

 

Natürlich kannte man Dämonen im Kino spätestens seit Jacques Turners Horrorfilmklassiker NIGHT OF THE DEMON aus dem Jahr 1957. Für die damalige Zeit und im Vergleich zum fast gleichaltrigen HAUS AUF DEM GEISTERHÜGEL geradezu modern ersponn NIGHT OF THE DEMON eine Geschichte, dessen Elemente um okkulten Horror erst Ende der 70er wieder aufgegriffen wurden. Trotz des Erfolges übernahmen in den 60ern die Spukhausfilme die Herrschaft über die Kinokassen, erst nach dem Erfolg von Filmen wie DER EXORZIST und DAS OMEN sowie neuer Splattereffekttechniken erwachten die Dämonen wieder auf der Leinwand.

 

 

Night of the Demon

NIGHT OF THE DEMON (1957) von Jacques Turner

 

 

Dämonen unterschieden sich schon von Geistern, sie konnten durchaus körperlich sein, wenn nicht, drangen sie nur zu gern in menschliche Leiber ein, um diese zu besitzen, zu steuern oder anderweitig zu manipulieren. Ihre Ursprünge waren religiöser Natur, sie hatten Namen wie Dibbuk, Lilith, Ifrit, Baal, Beelzebub, Incubus, Medusa, Shinx oder Legion, eine Erscheinung von vielen Dämonen. Vor allem unterschied Dämonen von Geistern, dass sie beschworen werden mussten und einem direkten körperlichen Schaden zufügen konnten. Die Blaupause für den modernen Dämonenfilm lieferte 1981 THE EVIL DEAD von Sam Raimi.

 

 

THE EVIL DEAD

TANZ DER TEUFEL (THE EVIL DEAD, 1981) von Sam Raimi

 

 

Man wähnt Filmdämonen in der Überzahl, aber nach ihrer großen Hochphase in den 80er Jahren wurden sie schnell wieder von konventionellen Geisterwesen verdrängt. Doch selten waren Dämonen so garstig und grauenvoll anzuschauen wie in den 80ern. Dabei entfernten sie sich weit von Geistersujet, verfügten nicht über eine tragische Hintergrundgeschichte, trachteten nicht nach Gerechtigkeit nach dem Tod oder gaben Geheimnisse weiter.

 

Dämonen waren vielmehr Monster. Das machte sie zum Teil um einiges grässlicher als Geister, wenn auch nicht gruseliger. Neben THE EVIL DEAD überzeugten vor allem die schaurigen Maskeraden aus dem Zweiteiler DÄMONEN und DÄMONEN 2 von Lamberto Bava, welche nichts weniger wollten als die Herrschaft über die Erde und die Versklavung der Menschheit. Natürlich hatten diese Dämonen Ursprünge, die teilweise älter als die ältesten Religionen waren. Dämonen waren wahrhaftig archaisch.

 

 

Das hieß nicht, dass sie altmodisch waren. In DÄMONEN aus dem Jahr 1985 kamen sie direkt aus einem Horrorfilm und überfielen die Zuschauer eines Berliner Kinos, gedreht wurde am Theater Metropol am Nollendorfplatz. In DÄMONEN 2 gingen selbige noch einen Schritt weiter, nachdem im TV eine Reportage über die Ereignisse in jenem Kino aus DÄMONEN ausgestrahlt wurde, drangen sie über das Fernsehgerät ins Freie und terrorisierten die Bewohner eines Hochhauses in Hamburg.

 

Dämonen

DÄMONEN (1985) von Lamberto Bava

Dämonen 2

DÄMONEN 2 (1986) von Lamberto Bava

 

1988 kam es dann zu einem weiteren Höhepunkt des 80er Jahre Dämonenfilms mit NIGHT OF THE DEMONS, dort fielen arglose Partygäste einer Halloweenfeier einer Schar Dämonen aus der Hölle zum Opfer. NIGHT OF THE DEMONS erhielt zwei Fortsetzungen sowie ein Remake aus dem Jahr 2009, der Erstling aber gilt beinahe als Schlusspunkt des 80er Jahre Dämonentreibens.

 

 

Night of the Demons

NIGHT OF THE DEMONS (1988) von Kevin Tenney, NIGHT OF THE DEMONS 2 (1994) von Brian Trenchard-Smith & NIGHT OF THE DEMONS Remake (2009) von Adam Gierasch.

 

 

Die Geschichte des Horrorfilms lehrt oft, sämtliche Subgenre hatten es Anfang der 90er Jahre schwer, Inspiration und Publikum zu finden. Erst im Zuge eines Revivals des klassischen Geisterfilms Mitte der 2000er tauchten sie auch wieder auf der Leinwand auf, echte Dämonenfilme, die aber weniger präsent waren als Geister oder Exorzismusfilme.

 

Die meisten liehen sich ohnehin Elemente aus allen Variationen, welche der Geister- oder Dämonenfilm vorgebracht hatte. Es wurde munter beschworen in Filmen wie DRAG ME TO HELL und auch zünftig exorziert wie in THE HAUNTING IN CONECTICUT. Manchmal musste man genau hinsehen, ob man es überhaupt mit einem echten Dämon zu tun hatte. So erhielt man beispielsweise Macht über Dämonen, deren Namen man kannte oder zu seiner Vertreibung ein Tieropfer darbot oder schlimmeres.

 

Das führte in letzter Zeit zu einigen bemerkenswerten neuen Filmen über Dämonen wie in DIBBUK um den gleichnamigen Totengeist im jüdischen Glauben oder den finsteren Paimon aus dem Film HEREDITARY. Jeder Dämon hatte seine eigene Geschichte und benötigte spezielle Verfahren, um ihn wieder loszuwerden. Nicht immer half ein puristischer Exorzismus mit Rosenkranz.

 

 

HEREDITARY (2018) von Ari Aster

 

 

Geister und Dämonen, sie trieben es wild und ungestühm und haben bis in die 90er Jahre diverse Veränderungen durchlebt. Vom klassischen haunted house movie über eine Welle an Exorzismus- und Dämonenfilm haben sie sich mehr in der Gestaltung und der Inszenierung weiterentwickelt, weniger in ihren erzählerischen Gestaltungen und Tonalitäten. Mitte der 1990er Jahre aber kam es zu grundlegenderen Veränderungen im Horrorfilm und das veränderte ein weiteres Mal das Gesicht des Geisterfilms.

 

„Sie sehen nur, was sie wollen.“

 

Die 90er Jahre bescherten Horrorfilsubgenres manches Comeback wie auch originelle Neuerungen. Durch den Erfolg von SCREAM kehrte 1996 der 70er Jahre Slasherfilm zurück, dieser aber wurde gehörig ironisiert und auf neue Zielgruppen zugeschnitten. Gleichzeit schwappte aus Fernost die Asia Horror Welle nach Amerika und diese beeinflusste vor allem den Geisterfilm, der in asiatischen Ländern wie Japan oder Korea schon immer Tradition hatte. Neue dramaturgische Kniffe, inszenatorische Gemeinheiten und eine ganz eigene Atmosphäre hielten nun auch Einzug in den westlichen Geisterfilm nach dem Millenium.

 

 

The Ring

THE RING (2002) von Gore Verbinski, mehr zu Asia Geisterhorror in der Kleinen Genrefibel Teil 78: Asia Horror

 

 

Die Japan Horror Welle währte nur kurz, aber einige ihrer Elemente blieben dem internationalen Horrorfilm für immer erhalten. Diese Entwicklung durchlebte vor allen der Geisterfilm wie kein anderes Subgenre, es nahm Gestaltungselemente aus allen Dekaden auf. Im Jahr 1999 komprimierte sich das Ganze auf einen Film – eine dramatischere Geschichte und Backstory, viel klassischer Grusel, dazu dramaturgische Kniffe wie Twists und Turns – der Geisterfilm erblühte neu mit THE SIXTH SENSE.

 

 

The Sixth Sense

THE SIXTH SENSE (1999) von M. Night Shyamalan

 

 

Was sich vor allem änderte, war der Tonfall, nicht gegenüber dem Geisterfilm der späten 60er und 70er Jahre, der durchwegs eine ernste Tonalität hatte, wohl aber gegenüber der neuen Spielwiese des Teeniehorrorfilms. THE SIXTH SENSE stand für den Beginn einer neue Welle an ernsten wie düsteren Horrorfilmen für Erwachsene, mit cleveren Geschichten und einem ähnlichen Impact wie seinerzeit DER EXORZIST. Nicht ob seines graphischen Schockpotentials, die Geister in THE SIXTH SENSE waren für keinen der beiden Hauptfiguren lebensbedrohlich, die Geschichte selbst, der Twist und dessen Wirkung waren Schock.

 

 

Der Erfolg von THE SIXTH SENSE war auch ein Ergebnis von erzählerischer Prägung des Zuschauers. Vormals hatten Horrorfilme selten komplexe Stories und Erzählformen, aber als sich die Sehgewohnheiten des Publikums änderten und komplexere Stoffe Erfolge feierten, bereicherte das auch den Geisterfilm. Stilistisch lag THE SIXTH SENSE zwischen gruseligem Noir der 40er Jahre und der psychologischen Angstauslotung der 70er Jahre, vom Storytelling her aber waren Twistmovies relativ neu.

 

 

THE OTHERS

THE OTHERS (2001) von Alejandro Amenábar

 

 

Zuerst versuchte man diesen natürlich zu kopieren, wir wissen alle, die Figur von Bruce Willis in THE SIXTH SENSE ist bereits tot, weiß es aber nicht, Achtung Spoiler, ach zu spät, egal. Dieses eine Element wurde nach dem Erfolg von THE SIXTH SENSE dutzendfach kopiert und bescherte auch anderen Geisterfilmen Erfolge. Auf einen ähnlichen Twist setzte der zwei Jahre später erschienene Geisterfilm THE OTHERS von Alejandro Amenábar, aber es wäre falsch, ihn nur darauf zu reduzieren. Denn wie THE SIXTH SENSE verdichtete er die Elemente des Geisterfilms so sehr, dass er von Anfang an als moderner Klassiker durchging.

 

 

ECHOES

ECHOES – STIMMEN AUS DER ZWISCHENWELT (1999) von David Koepp

 

 

Dabei war THE OTHERS noch mehr in der Geschichte des Geisterfilms verankert, wiederholte jedes Klischee vom Klopfen und Knarzen, aber tat das so stilsicher, das man meinte, die alten Geisterfilmemacher des vergangenen Jahrhunderts raunten das Drehbuch aus dem Grab. THE SIXTH SENSE und THE OTHERS gehören neben all der Verbeugung gegenüber des klassischen Geisterkinos zu den gruseligsten Horrorfilmen überhaupt.

 

 

Spanischer Geisterfilm

Spanischer Geisterfilm: THE NAMELESS (1999) von Jaume Balagueró, THE DEVILS BACKBONE (2001) von Guillermo Del Toro und DAS WAISENHAUS (2007) von Juan Antonio Bayona. Mehr über den spanischen Geisterfilm in der Kleinen Genrefibel Teil 34: Viva España

 

 

Möglicherweise erlaubte es der Erfolg von THE SIXTH SENSE und THE OTHERS dem Geisterfilm, nach dem Millenium sein volles Potential zu entfalten. Nicht nur aus Amerika kamen nun Geisterfilme, auch Spanien war fortan ganz vorn dabei an der Gruselfront mit Filmen wie THE DEVILS BACKBONE oder DAS WAISENHAUS, die zum Teil wieder US-amerikanische Filmemacher inspirierten oder dem Machern selbst die Möglichkeit gaben, in den Staaten zu arbeiten wie Guillermo Del Toro. Erstaunlich dabei, dass dieser Erfolg im Gegensatz zum neuen Teenieslasher, der nach wie vor erfolgreich war, nicht über die Simplifizierung geschah.

 

 

Crimson Peak

CRIMSON PEAK (2015) von Guillermo Del Toro

 

 

Die neuen Geisterfilme waren allesamt komplexer als der Rest von Horrorfilmstoffen. Natürlich wurden Motive auch immer wieder trivialisiert, was die Schwemme an billigen Found Footage Exorzsimusfilmen ab Mitte der 2000er belegte. Auch die von der Asia Horror Welle beeinflussten Produktionen verließen die anfänglich komplexen Erzählpfade eines RINGU und begnügten sich mit der Schreckensfigur der schwarzhaarigen Geisterfrau. Der Geisterfilm oder der klassische haunted house movie aber wurde immer ausufernder und eindringlicher, je mehr er Zutaten aus seiner eigenen Vergangenheit verwendete.

 

 

Geisterhorror

DER FLUCH DER BETSY BELLS (2006) von Courtney Solomon, THE AWAKENING (2011) von Nick Murphy und DIE FRAU IN SCHWARZ (2012) von James Watkins.

 

 

So ging es wieder zurück ins Jahr 1817 zu einer Hexenaustreibung in DER FLUCH DER BETSY BELLS, ins viktorianischen England um Legenden wie DIE FRAU IN SCHWARZ und zu unheimlichen Seancen und Geisterbeschwörungen im frühen 20. Jahrhundert in THE AWAKENING. Mystery kam in ab den 2000ern wieder groß in Mode. In einer letzten Ausprägung des Geisterfilms wurde das noch deutlicher, in der man auch den Okkulthorrorfilm der 70er Jahre in die Gegenwart holte.

 

Ed & Lorraine Warren – Demonologists

 

Nach dem internationalen Erfolg von SAW und einer damit einhergehenden neuen Filmwelle names Torture Porn machten sich die Filmemacher James Wan und Leigh Whannell daran, eher klassische Horrorstoffe zu produzieren. Mit DEAD SILENCE, einem Gruselfilm aus dem Jahr 2007 gelang das nur bedingt, zu groß war ein anderer Konkurrent an der Kinokasse, PARANORMAL ACTIVITY, welcher den Geisterfilm im Found Footage Subgenre zu nie gekannten Kassenerfolgen führte. War die Zeit für den klassischen Geisterfilm abseits von Wackelkamera und Jump Scares etwa schon wieder vorbei?

 

 

Insidious

INSIDIOUS (2010) von James Wan

 

 

Zum Glück nicht. Im Jahr 2010 konzipierten James Wan und Leigh Whannell ein weiteres Bestreben, den klassischen Geisterfilm in die Gegenwart zu bringen, nach den Erfolgen von THE SIXTH SENSE und THE OTHERS. Der Film INSIDIOUS griff dabei zuerst in die Gruselkiste des frühen Geisterfilms der 80er Jahre, allen voran POLTERGEIST. Eine junge Familie, ein Haus, ein Dämon, der sich in einem kleinen Jungen einnistete, Parapsychologen und Hobbyexorzisten, die dem Geist den Kampf ansagen. INSIDIOUS war, wie andere Geisterfilme zuvor, ein Mashup aller Elemente, aber eben gekonnt verrührt und überaus stilsicher wie schaurig inszeniert.

 

 

 

 

Wie es im Horrorfilm so ist gehen, Erfolge in Serie und so bekam INSIDIOUS Fortsetzungen spendiert, Teil 2 ebenfalls unter den Fittichen von Wan und Whannell, später Direct-to-DVD. Was INSIDIOUS noch ein wenig von anderen paranormalen Geisterfilmen unterschied (aber eben nicht so sehr von POLTERGEIST 1982), war der Blick in die Geisterwelt selbst, die gekonnt Horror und Fantasy vermischte. Natürlich verstanden James Wan und Leigh Wannell neben dem cleverem Storytelling auch das Horrorhandwerk für Schocks und Gänsehäute. Doch so richtig auszahlen sollte sich das erst drei Jahre später mit einer anderen Geisterfilmreihe.

 

 

THE CONJURING

Patrick Wilson und Vera Fermiga als Ed & Lorraine Warren in THE CONJURING (2013) von James Wan.

 

 

Auf der Suche nach geeigneten Horrorstoffen stieß Warner Bros. auf das mediale Vermächtnis von Ed und Lorraine Warren, zwei Parapsychologen, welche in den 60er und 70er Jahren Geisterhäuser und unheimliche Vorfälle in diesen wisssenschaftlich untersuchten, darunter auch den Fall Amityville. Ihre Fälle inspirierte die Produzenten zu einem weiteren Revival des 70er Jahre Okkulthorrorfilms, der Film 2013 in die Kinos kam – THE CONJURING.

 

Wieder wurden sämtliche Elemente des haunted house movies gebündelt, neue Aspekte wurden nicht gewonnen, dafür aber handwerklich präzise Angst und Schrecken inszeniert. Dabei war THE CONJURING nicht mal die erste filmische Behandlung der Parapsychologen Ed und Lorraine Warren, bereits 1983 wurde ein Buch von Ed Warren mit Kevin Bacon verfilmt (THE DEMON MURDER CASE), auch THE HAUNTING IN CONNECTICUT aus dem Jahr 2009 schildert einen Fall der Warrens.

 

Aber mit THE CONJURING schuf Regisseur James Wan eine wirklich eindringliche Referenz an den Geisterfilm der 70er Jahre, so erfolgreich, dass der Film nicht nur Fortsetzungen und Spin Offs ermöglichte, das Ganze sogar von Warner Bros. clever als Universum ausgebaut wurde. Unheimliche Figuren oder Devotionalien wie THE NUN oder die Puppe ANNABELLE bekamen ihre eigenen Filmauftritte, auch der 2019 erschienene Film DER FLUCH VON LLORONA gehört zum Conjuring Universum.

 

 

The Conjuring Universe

Spin Offs des CONJURING UNIVERSE: ANNABELLE (2014) von John R. Leonetti, THE NUN (2018) von Corin Hardy & LLORONAS FLUCH (2019) von Michael Chaves.

 

 

Vor allem aber die Hauptteile THE CONJURING 1 und 2 erfüllten das Versprechen einer neuen Geisterfilmgeneration, ernsthafte Gruselgeschichten für ein junges und älteres Publikum zu entwerfen, mit größerer Konzentration auf Spannungsaufbau statt plumper Schockeffekte sowie viel Atmosphäre und Flair vergangener Horrorjahrzehnte. Nicht alle hatten diesen Anspruch, viele begnügten sich mit Effekthascherei und dem Widerkäuen der alten Geisterklischees.

 

Geistreich

 

Denn die Wahrheit ist auch, selbst unter Horrorfilmfans werden die Neubelebungen mancher Subgenres kritisch aufgenommen. Ein Horrorfilmklischee kann geschickt ausgespielt werden, für viele aber bleibt Klischee ein Klischee, egal ob es ironisiert wurde oder eine Reminiszenz darstellt. Für manche sind auch die CONJURING Filme nur müde Abklatsche des Subgenres. Der Geisterfilm wird mindestens so kritisch betrachtet wie der Slasher, welcher in gleichem Maße mit immer wiederkehrenden Elementen spielt.

 

 

Haunter

Review #10: HAUNTER (2013) von Vincenzo Natali

 

 

So gibt es vor allem im Geisterfilm Elemente, die sich einfach überholt anfühlen, Schuld sind aber nicht diese Elemente an sich, die können nach wie vor wirkungsvoll sein, so man sie richtig einsetzt. Ein Großteil der Geisterfilme hat sie allerdings recht unkreativ gestreut, Kinder, die seltsame Bilder malen, falsche Fährten, aufdringliche Jump Scares, die niemals die Perspektive der Figuren zeigen, sondern ausschließlich zum Erschrecken des Zuschauers dienen. Und dazu die immerwährende alte Leier vom Ouija Brett.

 

 

 

 

Aber im Gegensatz zum Slasherfilm hat sich der Geisterfilm vor allem erzählerisch weiterentwickelt, ohne jene Versatzstücke zu ignorieren, die ihn über die Jahrzehnte lebendig gehalten haben. Zeitgenössische Elemente wie Parapsychologie und Exorzismus sind eingeflossen, man hat versucht, das Geistertreiben durch Twist und Turns zu mystifizieren, am Ende reicht aber ein Schleichen durch ein Haus mit einer Lampe, um Grusel zu generieren. Darüber hinaus wurde aber kaum ein Subgenre so kreativ wie der Geisterfilm, was auch daran liegt, dass jene Wesen nicht nur im Horrorfilm im wahrsten Sinne des Wortes begeistern.

 

 

Gerade in den letzten Jahren sind einige bemerkenswerte kleine Geisterfilme entstanden, die gleichzeitig klassisch wie modern daherkommen, HAUNTER, WINCHESTER, THE INNKEEPERS, EXTRA ORDINARY, letzterer sogar eine Geisterkomödie, in der die Filmgeister schweben gelernt hatten. Geistergeschichten geben Filmemachern viele Perspektiven, die der Heimgesuchten, welche sie ertragen müssen als auch die der Geister, die oft auf Ewigkeiten gezwungen sind, mit den Lebenden auszukommen.

 

 

Extra Ordinary

EXTRA ORDINARY (2019) von Enda Loughman & Mike Ahern

 

 

Geistergeschichten, das ewige Joch einer tragischen Geschichte, das Feststecken zwischen Diesseits und Jenseits, das Gruselschloss und der in allen Sprachen sprechende Dämon, welcher sich in jemandem eingenistet hat, man kann das alles in diesem Subgenre für albern halten, der Geisterfilm bleiben eine tragende Horrorfilmsäule, weil ihre Wirkung einfach überdeutlich zu spüren ist. Denkt daran, wenn ihr Nachts im Bett liegt und es zu knarzen anfängt, Schatten vorbeihuschen oder Plüschtier von Regal fallen.

 

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

Lesen Sie in der nächsten Folge:

 

 

 

 

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de