Die kleine Genrefibel Teil 83: Survival

Die kleine Genrefibel ist zurück und begibt sich erneut in die schaurig-schröcklichen Gefilde des Horrorfilms. In Sachen Horror, da sind sich Genrekundler einig, geht es um die Urängste des Menschen und nach 17 Horrorgenrefibeln stellt sich die Frage, welche Urängste noch bleiben, haben wir uns doch bereits mit allerlei grässlichen Grausamkeiten beschäftigt. Doch es gibt so etwas wie eine Ur-Urangst, welche allen Bedrohlichkeiten des Horrorfilmes zugrunde liegt, egal ob Schlitzstrolche, Werwölfe oder japanische Geisterwesen – es ist die Angst vor dem Tod. Nicht selten ist man im Horrorgenre einer todbringenden Gefahr ausgeliefert, doch es gibt einen Schutzmechanismus, mit dem es Figuren in Horrorfilmen schaffen können, den rettenden Abspann zu erreichen.

 

 

Jigsaw 2017

Jigsaw (2017) von Michael & Peter Spierig

 

 

Es ist der unbedingte Wille zu überleben und der Bedrohung für Leib und Seele zu entkommen, bestenfalls körperlich unversehrt. Auf den ersten Blick scheint das wenig speziell, kaum eine Figur in Horrorfilmen möchte gern aufgefressen oder zerhackstückelt werden, doch nicht jeder wurde vom Autor mit einem starken Überlebensinstinkt ausgestattet. Überleben in einem Horrorfilm, das scheint mehr ein Grundprinzip zu sein, aber es gibt eine Reihe von Filmen, welche diesen Überlebenskampf noch stärker in den Fokus rücken. Survival Horror ist ein solcher Sammelbegriff für verschiedene Filme und Subgenres, in denen auf der einen Seite eine möglichst brachiale Art der Bedrohung, auf der anderen Seite ein überaus starker Überlebenswille der Heldenfiguren steht.

 

I Will Survive!

 

Bevor wir uns aber mit all den Grausamkeiten des Survival Horrorfilms beschäftigen, sei erwähnt, dass das Thema Überlebenskampf nicht ausschließlich im Horrorgenre gespiegelt wird oder wurde. Eine lebensbedrohliche Situation zu überstehen, ist vielleicht das stärkste Motiv für Figuren überhaupt und es erzeugt Spannung auch in anderen Subgenres. Der Reiz besteht wohl darin, schier ausweglose Szenarien wie Kriegsgräuel, Naturkatastrophen, Schiffbrüche oder Flugzeugabstürze bequem wie sicher vom Kinosessel aus miterleben zu können. Auch hier finden sich Genrevertreter, welche den Überlebenskampf ins Zentrum der Geschichte rücken.

 

 

Cast Away

Der Prototyp einer Überlebensgeschichte, “Robinson Crusoe” von Daniel Dafoe, veröffentlicht 1719, wurde Vorlage für eine ganze Reihe von Verfilmungen wie CAST AWAY – VERSCHOLLEN (2001) von Robert Zemeckis.

 

 

Angesiedelt sind solche Filme, die man als Survival Drama bezeichnen kann, oft im klassischen Abenteuerfilm, im Katastrophenfilm oder im Kriegsfilm. Der übergeordnete Antagonist ist in diesen Fällen oft die Umgebung, das zentrale Thema indes ist Hoffnung. Dererlei Geschichten begeisterten die Menschen schon seit Jahrhunderten, seien es die fiktiven Überlebensabenteuer eines Robinson Crusoe oder nur zu reale Überlebensgeschichten.

 

Doch nicht immer liegt der Fokus auf einer Figur im Überlebenskampf mit seiner Umwelt oder einer lebensbedrohenden Situation. Die Dramen mehren sich, wenn es sich um eine Gruppe von Überlebenden handelt und Überleben auch bedeutet, sich selbst der Nächste zu sein. Führt ein moderner Robinson Crusoe in Filmen wie CAST AWAY oder aber auch THE MARTIAN einen Kampf gegen den Wahnsinn der Vereinsamung, tragen Gruppen ganz andere, nicht weniger bedrohliche Überlebenskämpfe aus.

 

In THE FLIGHT OF THE PHOENIX aus dem Jahr 1965 muss eine Gruppe Überlebender eines Flugzeugabsturzes gemeinsam gegen den drohenden Tod durch Verdursten stellen und kooperieren, aber nicht jeder der Überlebenden denkt an das Wohl aller, was zu Rivalitäten führt und so zu einer zusätzlicher Bedrohung. In der wahren Geschichte ALIVE von Frank Marshall aus dem Jahr 1993 stürzt ein Flugzeug mit einer Rugby Mannschaft in den Anden ab, hier droht der Tod durch arktische Temperaturen und Hunger, was die Überlebenden zu drastischen Überlebensmaßnahmen zwingt, wie das Verzehren der Überreste der Verstorbenen.

 

 

127 Hours

Eingeklemmt – Überlebenskampf in der Wüste gegen Schmerz, Hunger und nahendem Wahnsinn – James Franco in 127 HOURS (2011) von Danny Boyle.

 

 

Der Grundgedanke von Survival Movies liegt in der Hoffnung, das niemals alles verloren ist. So pendeln diese Filme zwischen den Polen (Überlebens)Drama und (Survival)Thriller. Der größte Feind ist in vielen Fällen die Umgebung oder Naturgewalten, hinzu kommen menschliche Schwächen wie Uneinsichtigkeit, Egoismus oder Dummheit. Ein Flugzeugabsturz in der Wildnis, fern jeder rettenden Zivilisation, das ist für viele eine echte Horrorvorstellung. Kein Wunder, dass sich auch der Horrorfilm mit diesem Sujet befasst hat, wenn auch die Bedrohung ungleich drastischer erzählt wird. Der Survival Horror Movie folgt diesem Gedanken.

 

Überleben in Horrorfilmen

 

Wie eingangs erwähnt, erscheint der Begriff Survival Horror Movie erstmal reichlich abstrus. Denn geht es im Horrorfilm nicht immer um das Überleben einer todbringenden Gefahr? In diesem Sinne wäre jeder Horrorfilm auch ein Survival Horrorfilm. Aber dem ist nicht so, denn Survival Horror ist kein eindeutiger Genrebegriff, sondern eher eine Sammelbezeichnung für verschiedene Subgenres spezieller Natur. Die größte Gemeinsamkeit dieser Filme besteht darin, dass die Protagonisten vorwiegend passiv agieren. In Survival Horrorfilmen steht nicht das aktiv geplante und durchgeführte Vorgehen gegen eine Gefahr im Vordergrund, sondern Flucht, Verstecken, Ausharren und eben Überleben. Das Besiegen der Gefahrenquelle ist bei Survival Horror zweitrangig.

 

 

Buried

Survival Horror Filme wie BURIED – LEBEND BEGRABEN (2010) von Rodrigo Cortés fokussieren passive Helden, ihr Überlebenskampf besteht vorwiegend aus Flucht, Verstecken oder Ausharren.

 

 

Überleben bedeutet in Survival Horror Movies oft auch nur das eigene Überleben des Protagonisten. Somit sind Protagonisten keine wirklichen Heldenfiguren, die sich selbstlos der Gefahr stellen oder gar andere retten. Eines der zentralen Elemente ist die eigene Überlebenfähigkeit, mit allen möglichen Mitteln. Jene Mittel, also Flucht, Verstecken und Ausharren, finden sich ausschließlich in der Inszenierung wieder und diese tendiert in Survival Horrorfilmen eher in Richtung Thriller als Horror. Horrorelemente wie Grusel, das Aufdecken eines Mysteriums oder gar Jump Scares finden weniger Verwendung, dafür gibt es vermehrt realistisches Blut, Splatter, Gore, vor allem aber Terror.

 

Allerdings sind auch die Bezeichnungen Terrorfilm oder Terrorkino keine eindeutigen Genrebegriffe, aber sie verdichten die Materie recht nachvollziehbar. Im Survival- oder Terrorhorrorfilm finden sich wenige bis gar keine phantastischen Elemente, das antagonistische Böse ist nichts fremdartiges, es sind meist andere Menschen, wenn auch diese ikonenhaft überzeichnet werden können. Die Geschichten spielen fast immer in der Jetztzeit, ein größerer Fokus aber liegt auf dem Spielort.

 

Zwei Welten prallen in Survival oder Terrorfilmen aufeinander, die Zivilisation und die Natur. Gemeint ist aber nicht die scheinbar unberührte Natur, sondern die Ferne der Zivilisation und ihrer Schutzmechanismen sowie die Isolation. Abseits der Zivilisation gilt das Recht des Stärkeren, es gibt keine rettende Polizei, kein Mobilfunknetz, keine Ordnung, kein Gesetz. Da die Protagonisten, Einzeltypen bis kleine Gruppen, meist völlig normale Menschen sind, normal im Sinne von zivilisiert, bedeutet Überleben auch oft, jene zivilisierte Persönlichkeit abzustreifen, um das eigene Überleben im Angesicht der todbringenden Gefahr zu sichern.

 

 

Eden Lake

Trotz diverser Gewaltdarstellungen funktionieren Survival Horrorfilme wie EDEN LAKE (2008) von James Watkins vor allem über Spannung und Thrill.

 

 

Survival- und Terrorhorrorfilme beziehen ihren Schrecken nicht aus klassischen Motiven des Horrorfilms, nicht aus Folklore oder Mythos, sondern sind gekoppelt an die Grausamkeit der Realität. Ausgangspunkte für Autoren und Regisseure waren die Gräuel des Krieges, in US-Amerika prägte in den 70er Jahren vor allem der Vietnamkrieg jene Sparten, in den 2000ern war es der Krieg gegen den internationalen Terrorismus. In Europa bestimmten die Auswirkungen des Faschismus und des Kalten Krieges das Terrorkino, in Japan waren es kultureller wie gesellschaftlicher Demut. Insgesamt war das Survival- und Terrorhorrorkino überaus politisch.

 

 

Survival Horror Subgenres

Subgenres des Survival Horrorfilm: Tierhorror (CUJO), Home Invasion (THE STRANGERS), Backwood Horror (WRONG TURN) und die Sammelbezeichnung Torture Porn (HOSTEL).

 

 

All diese Faktoren, der Verzicht auf phantastische Elemente, das zeitgenössische Setting, die Verortung fern ab der Zivilisation, die Absage an das Heldentum sowie die Fokussierung auf Realismus, formten das Bild des Survival- oder Terrorhorrorfilms und ließen Subgenres entstehen. Vor allem der Realismus jener Filme führte zu dramaturgischen Bahnen, in welche der wahre Horror mündete. Mehr Realismus führt zu mehr Spannung, die Abstraktion des Bösen wich einer nachvollziehbaren Gefahr, das Erwehren gegenüber dieser führte zu einer Verdichtung an Gewalt und Gegengewalt und somit zu einer Verschiebung der Grenzen zwischen Gut und Böse, was die Rezeption jener Filme auch heute noch, selbst unter Horrorfilmfans, streitbar macht und polarisiert.

 

 

Tucker and Dale vs Evil

Es ist ein Subgenre, wenn man eine Parodie inszenieren kann – wie im Fall von TUCKER AND DALE VS EVIL (2011) von Eli Craig, der alle dramaturgischen Säulen des Backwood Horrorfilms bündelt oder sie ins Gegenteil verkehrt.

 

 

Anhand der Definitionen für Survial- und Terrorhorrorfilme fällt es leichter, echte Subgenres der Sparte auszumachen. Mit einigen haben wir uns bereits beschäftigt, mit Home Invasion Plots und dem Tierhorrorfilm. Das bekannteste Subgenre in Sachen Survival und Terror aber ist der Backwood Horrorfilm, auch bekannt als Hinterwäldler-, Hillbilly- oder Redneckfilm, also Filme, in denen eine Gruppe von Menschen aus der meist urbanen Zivilisation in eine abgelegene, zurückgebliebene Hinterland “eindringen”.

 

Hinterwäldler

 

Im Gegensatz zu Filmgenres, die bereits zur Geburtsstunde des Mediums aufgrund literarischer Vorlagen in Formen geprägt waren, ist der Backwood Horrorfilm ein eher junges Subgenre und er entstand wie der moderne Zombiefilm durch einen Initialfilm, dessen Dramaturgie immer wieder kopiert und variiert wurde. Auch vor dem Initialfilm NIGHT OF THE LIVING DEAD aus dem Jahr 1968 gab es Filme über Zombies, aber erst George A. Romeros Werk bündelte alle Elemente des modernen Zombiefilms. Ähnlich verhielt es sich mit Backwood Horror. Das ursprüngliche Element verdichtet eine Urangst des Menschen, die vor der Fremde.

 

 

The Old Dark House

THE OLD DARK HOUSE (1932) von James Whale

 

 

Bereits 1932 erschien der Film THE OLD DARK HOUSE von der Horrorfilm Regieikone James Whale (FRANKENSTEIN, THE INVISIBLE MAN), in dem drei Protagonisten während einer Autofahrt durch die Berge von sintflutartigen Regenfällen überrascht werden und Schutz in einem nahegelegenen Haus suchen. Jenes Haus aber wird von einer seltsamen Familie bewohnt, einem hünenhaften stummen Butler, zwielichtigen Fanatikern und einem versteckt gehaltenen, über hundertjährigen Hausherren. Nach und nach erweist sich die Zuflucht als morbide Falle.

 

Was in THE OLD DARK HOUSE mit perfiden Psychospielchen und Todesangst begann, fand seine Fortführung in den 60er Jahren durch Filme wie TWO THOUSAND MANICS von Hershell Gordon Lewis oder SPIDER BABY von Jack Hill. Für das Bedrohungspotential wurde schon in diesen frühen Filmen alles in einen Topf geschmissen, Stumme, Monströse, Geisteskranke, so wurden die Hinterwäldler als Symbole der Abscheu gezeichnet, Vorurteile wurden eine Grundzutat des Subgenres.

 

Backwood Horrorfilme spielten zu 90% in echten Hinterlanden, aber bestimmender war der Zustand der Isolation und die Ferne zur rettenden Zivilisation. Im Hinterland existierte etwas, verborgen vor der Zivilisation, etwas bedrohliches. Dringt etwas Fremdes in diese bizarre Welt, gibt es meist keine Rettung von Außen mehr, es regiert psychischer Terror und physische Gewalt. Die ländliche Idylle wird zu einem Horrorszenario. Ein ursprüngliches Motiv jener Filme war auch der klassische Western und Abenteuerfilm, der allerdings gehörig entromantisiert wurde. Das Eindringen der Zivilisation in das Hinterland bedeutete kein Bezwingen jener Regionen, hier galten andere Gesetze und man musste zum Teil ebenso zum Wilden werden, um zu überleben.

 

TWO THOUSAND MANICS

TWO THOUSAND MANICS (1964) von Hershell Gordon Lewis

Spider Baby

SPIDER BABY (1967) von Jack Hill

 

Spielten die Filme jener Gattung bis in die 60er Jahre noch mit dieser Umkehrung des Erobererprinzips aus dem Western oder Abenteuerfilm, kam es in den 70er Jahren zu großen politischen Umwälzungen, die auch und vor allem im Horrorfilm aufgegriffen wurden, besonders in den USA. Dort beeinflusste Industriesterben, Massenarbeitslosigkeit, Skandale wie die Watergate Affäre und vor allem der Vietnamkrieg den gesellschaftlichen Diskurs, in dessen Kontext auch der Backwood Horrorfilm geprägt wurde.

 

1972 erschien der erste direkte Vorläufer jenes Subgenres, DELIVERANCE oder BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE mit John Voigt, Burt Reynolds und Ned Beatty. Dort unternehmen junge Städter eine Kanutour auf einen wilden Fluss im US-Bundesstaat Georgia. Für die urbanen Protagonisten ist der Trip auch eine Reise in eine fremde Welt und aus dem Grunde riskant, weil jenes Reservat bald einem Staudamm weichen soll, was gravierende Veränderungen für die dort lebenden “Hinterwäldler” bedeutet.

 

 

Deliverance

DELIVERANCE (BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE) (1972) von John Boorman

 

 

Dementsprechend ist auch das Zusammentreffen der Städter mit den Hinterwäldlern von Anfang an von Aggression und Gewalt geprägt, Gewalt, welche sich spiralartig ausweitet. Neben Zivilisations-, und Kapitalismuskritik deutet John Boormans Film auch Kritik am Raubbau gegenüber der Natur an, das Korrektiv ist in diesem Fall die Gegenwehr der Einheimischen als Selbstschutz. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen somit zusehends. Der Terror, dem die Protagonisten in DELIVERANCE ausgesetzt sind, wird somit zum Stellvertreterkrieg gegenüber der Zerstörung des Lebensraumes der hinterwäldlerischen Einheimischen.

 

 

The Texas Chainsaw Massacre

THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) von Tobe Hooper

 

 

In den 70er Jahren erreichte die wirtschaftliche Krise in den USA ihren Höhepunkt, es war das Ende des “American Dream” und es traf vor allem die ländlichen Gegenden, in denen die schwer arbeitende Bevölkerung vom Kapitalismus abgehängt wurde. Das spürte vor allem der Süden der USA, hinzu kamen etliche Halbwahrheiten, Vorurteile und Klischees gegenüber der sogenannten White Trash Subkultur. Das ging vom sadistischen Polizisten über zwielichtige Trucker oder Tankstellenbesitzer bis hin zu inzestösen Gestalten, psychopathischen Freaks und sogar Kannibalen. In dieser gesellschaftlichen Sicht entstand im Jahr 1974 der Initialfilm des Backwood Horrorfilms, THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE von Tobe Hooper.

 

Kannibale Kettensäge

 

Fünf junge Leute geraten auf der Suche nach Verwandten im ländlichen Texas auf einen abgelegen Schlachthof, in dessen Nähe sich das Anwesen einer seltsamen Familie befindet. Jene Familie besteht aus einem geistig Verwirrtem, einem Tankstellenbetreiber, einen Großvater, der stumm in seinem Rollstuhl dahinvegetiert, sowie aus einem hünenhaften Koloss von Mann, welcher sich aber wie ein Kind verhält. Was anfangs lediglich bizarr erscheint, wird bald zu einem unaussprechlichen Albtraum. Denn neben dem physischem wie psychischem Terror, denen die Hippie Kids ausgeliefert sind, beginnt das Nesthäckchen der Familie alsbald die Kettensäge zu schwingen und sich Masken aus menschlichen Gesichtern zu basteln.

 

 

Leatherface

Leatherface (Gunnar Hansen) aus THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE wurde zu einer Ikone des Horrorfilms.

 

 

THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE war nicht nur der Startschuss für den modernen Backwood Horrorfilms, sondern auch die Geburtsstunde einer der größten Horrorfilmikonen schlechthin – Leatherface. Der kettensägenschwingende Hüne mit dem Gemüt eines Kindes und der Brutalität eines wahnsinnig gewordenen Gorillas war ein Schock für das 70er Jahre Horrorfilmpublikum. Doch nicht nur Leatherface selbst, die gesamte Art und Weise der drastischen wie realistischen Gewaltdarstellung brachte den Horrorfilm auf eine ganz neue Stufe. Jene Art von Horrorfilmen verzichtete komplett auf übersinnliche Abstraktion sowie auf Humor oder Ironie und zelebrierte stattdessen extremen Terror.

 

Dazu gaukelte der Vorspann dem Zuschauer eine gewisse Pseudorealität vor. Doch gänzlich fiktiv war Leatherface auch nicht, Tobe Hooper bezog sich in der Figurenzeichnung auch auf die Taten des Serienmörders Ed Gain. Trotz seiner Schockwirkung und Unappetitlichkeit war THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE ein Horrorfilm mit überaus aktuellen politischen Andeutungen und Interpretationen, was den direkten Fortsetzungen des Schockers aus den Jahren 1986, 1990 und 1994 so nicht mehr gelang.

 

THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE aus dem Jahr 1974 aber wurde auch zum Wendepunkt für die Evolution des Horrorgenres in Sachen Gewaltdarstellung und der damit einhergehenden Zensurdiskussion. Der Grund lag möglicherweise weniger in der direkten graphischen Gewaltdarstellung als im realen Setting und dem Verschwimmen der Grenzen zwischen Gut und Böse. Vordergründig gab es für die Opfer keine Rechtfertigungen ihrer Taten mehr, es traf vor allem Unschuldige und Unbeteiligte.

 

 

Texas Chainsaw Massacre Stars

Von wegen Schund – diverse A-Stars spielten Rollen in der TEXAS CHAINSAW MASSACRE Franchise: Dennis Hopper in THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE 2 (1986), Viggo Mortensen in LEATHERFACE (1990) sowie Matthew McConaughey und Renée Zellweger in TEXAS CHAINSAW MASSACE: NEXT GENERATION (1994).

 

 

Was Moralisten und Jugendschützer auf die Barrikaden brachte, war für das Horrorfilmpublikum eine neue Art des Austestens der eigenen Grenzen, eine Mutprobe. Ein Element des Survival Horrorfilms war der Realismusanspruch, denn er führte zu der Frage, was würde man selbst in einer solchen Situation tun? Gab es bei Vampiren und Geistern immer die phantastische Distanz, verkleinerte sich diese nun im Angesicht des realistischen Horrors. Vor allem aber wurden Morde und Tode nicht nur realistischer in Szene gesetzt, sondern tendierten zum Teil zum Selbstzweck. Schlimmer als der Tod an sich wurde die Angst vor zugefügten Schmerzen.

 

 

The Hills Have Eyes

THE HILLS HAVE EYES (1977) von Wes Craven

 

 

Das Symbol dafür wurde die Kettensäge, jenes brachiale Werkzeug, welches zuvor als Mordwerkzeug kaum vorstellbar war. Selbst der später entstandene Slasher, der eine größere Welle an Filmen nach sich zog und dessen Werkzeuge Hieb und Stichwaffen, vorrangig Messer waren, schaffte es nicht zu einer solchen morbiden Beliebtheit. Die Kettensäge steht sinnbildlich für die rohe Gewalt des Terrorkinos, welche mit THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE nun das eigene Subgenre des Backwood Horrorfilms mit diversen Ablegern einläutete.

 

1977 erschien der Film THE HILLS HAVE EYES von Horror Mastermind Wes Craven, welcher einige Jahre zuvor schon mit THE LAST HOUSE ON THE LEFT einen beklemmend realistischen Rape and Revenge Thriller inszeniert hatte. THE HILLS HAVE EYES führt das Backwoodkonzept von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE fort, eine Bilderbuchfamilie gerät nach einer Autopanne in der Wüsteneinöde an eine Horde missgebildeter Hillbillies und atomar verseuchter Mutanten, welche nach ihrem Leben trachten.

 

Das Grundprinzip des Backwood Horrorfilms war simpel, die Wirkung aber umso eindringlicher wie abstoßender. Trotz der Erfolge von Filmen wie THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE oder THE HILLS HAVE EYES blieb das Subgenre aber eher klein, denn Ende der 70er trat der Slasherfilm seinen Siegeszug an, die realistischen Effekte des Terrorkinos fanden in den 80er Jahren vor allem im Splatterfilm Verwendung, der aber die realistische Grundstimmung verließ. Waren die 80er Jahre das Jahrzehnt des Fun Splatters mit wieder zunehmend phantastischen Elementen, kam es in den frühen 90ern zu einer Remakewelle blutarmer Horrorklassiker.

 

 

Motel Hell

MOTEL HELL (1980) von Kevin Connor

 

 

Neue Wellen an Subgenres kamen und gingen, Backwood Horror verschwand bis zum Millenium zusehens, doch es bedurfte nur weiterer gesellschaftspolitischer Veränderungen und Krisen, um das Subgenre des Terrorfilms wieder auf die Leinwand zu bringen. Das Prinzip Überleben wurde Mitte der 90er durch die Wiederbelebung des Slashers mit SCREAM bereits angestichelt. Danach kam es zu einer großen Remakewelle ab dem Jahr 2000, die auch die alten Backwood Horrorklassiker wiederbelebte.

 

Backwood Massacre Reloaded

 

Als 2003 das Remake von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE von Marcus Nispel in die Kinos kam, hatte der Horrorfilm bereits eine Welle der Modernisierung hinter sich gelassen. In der ersten Hälfte der 90er Jahre hatten es Horrorfilmproduktionen schwer an der Kinokasse, doch 1996 erschien SCREAM von Wes Craven, reanimierte den klassischen Slasher und wurde so, auch durch die Fokussierung auf eine jüngere Zielgruppe, ein großer kommerzieller Erfolg. Zusammen mit der Japanhorrorwelle Ende der 90er galt der Horrorfilm plötzlich wieder als überaus profitabel. Das Remake von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE vollendete dieses Revival mit der Besonderheit, dass nun auch Horrorfilme der härteren Gangart ein Millionenpublikum fanden.

 

 

Texas Chainsaw Massacre 2003

TEXAS CHAINSAW MASSACRE (2003) von Marcus Nispel

 

 

Denn trotz diverser Erfolge war der Terror- und Exploitationfilm der 70er eher eine Nische, von Genrefans vergöttert, aber definitiv noch kein Mainstream. Das änderte sich Anfang der 2000er, als junge wilde Regisseure die alten Stoffe modernisierten. Mit einem Budget von knapp 10 Million US-Dollar spielte TEXAS CHAINSAW MASSACRE stolze 107 Millionen US-Dollar ein, für einen Hardcore Terrorfilm überaus beachtlich. Der Grad der Gewaltdarstellung stieg sprunghaft, doch das Publikum entstammte nun nicht mehr ranzigen Bahnhofkinos, sondern flutete die Multiplexe. Warum wurde rohe Gewalt im Kino plötzlich massentauglich?

 

 

Texas Chainsaw Massacre 2000

Leatherface in Action – TEXAS CHAINSAW MASSACRE: THE BEGINNING (2006) von Jonathan Liebesman, TEXAS CHAINSAW 3D (2013) von John Luessenhop und LEATHERFACE (2017) von Julien Maury & Alexandre Bustillo

 

 

Gleich mehrere Faktoren bestimmten diesen Wandel. Zum einen waren die 2000er, beginnend mit dem 11. September 2001, das Jahrzehnt der politischen Krisen, des Terrorismus und des zweiten Golfkrieges, die generelle Stimmung war durchaus vergleichbar mit den politischen 70er Jahren, in denen die Originale entstanden. Zum anderen war es der Aufbruch in das Informationszeitalter, mittels Globalisierung und Internet war man nun näher dran am Weltgeschehen, was eine generelle Reaktion in der Kunst fand. Es führte den Horrorfilm wieder in realistischere Fahrwasser, auch stieg Neugierde und Voyeurismus seitens des Publikums.

 

 

The Hills Have Eyes 2006

THE HILLS HAVE EYES (2006) von Alexandre Aja

 

 

2006 folgte das Remake von THE HILLS HAVE EYES von Alexandre Aja, der 2003 mit HIGH TENSION einen entscheidenden Beitrag zur neuen harten Welle des Horrorfilms beigetragen hatte. Wohlgemerkt, alle diese Werke und noch wesentlich mehr waren Mainstreamproduktionen für das internationale Kino, nicht das Bahnhofskino der 70er oder die Video Nasties des VHS Zeitalters in den 80ern und 90ern. Eine derartige Beliebtheit jener Nische brachte somit auch die Diskussion um Gewaltdarstellung zurück.

 

 

Wrong Turn

WRONG TURN (2003) von Rob Schmidt

 

 

Dank der Remakes der Klassiker THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE und THE HILLS HAVE EYES sprossen nun auch neue originäre Backwoodhorrorfilme aus dem Boden. Das Jahr 2003 wurde auch zum Startschuss für die WRONG TURN Franchise, die es bis 2014 auf sechs Teile brachte, und dessen Hinterwäldler Kannibalen „One Eye“, „Saw Tooth“ und „Three Finger“ zu Kultfiguren wurden. Ab Teil 2 wurde die Reihe jedoch nur noch direct-to-disc veröffentlicht, von denen in Deutschland keiner in ungeschnittener Form auf den Markt kam. Aber weltweit wurden Kämpfe um Schnittauflagen gefochten, ein Markt für Uncut- oder Unratedversionen entstand.

 

 

European Backwood Horror Massacre

Europäische Backwood Massaker – FRONTIER(S) (Frankreich 2008) von Xavier Gens, REYKJAVIK WHALE WATCHNG MASSACRE (Island 2009) von Júlíus Kemp und ROVDYR (Norwegen 2008) von Patrik Syversen

 

 

In dieser Flut an Veröffentlichungen hatten nur wenige Filme einen gesellschaftskritischen Unterton, bedingt durch ein weiteres neues Subgenre, zu dem wir gleich kommen, wurde Gewalt auch häufig nur selbstzweckhaft in Szene gesetzt. Es schien einen Wettlauf zu geben, welcher Regisseur oder welcher Film die Gewaltgrenzen am heftigsten ausreizen konnte. Auch europäische Horrorfilmproduktionen nahmen daran teil, vor allem die Franzosen schienen ein Faible für Backwood Horror zu haben.

 

 

Aus Frankreich kamen die für das Subgenre einflussreichen Werke FRONTIER(S), CALVAIRE, SHEITAN oder der Thriller VERTIGE, der sich gen Ende in einen Backwood Albtraum verwandelte. Aus Großbritannien indes kam der Schocker EDEN LAKE, aus Norwegen ROVDYR, aus Island REYKJAVIC WHALE WATCHING MASSACRE und auch Australien erkannte das Potential ihres Outbacks für hochgradig spannendes Terrorkino mit WOLF CREEK, das Backwoodhorror Subgenre erlebte eine deftige Renaissance.

 

 

Wolf Creek

WOLF CREEK (2005) von Greg McLean

 

 

Diese Wiederauferstehung verdankte das Subgenre aber nicht nur hinterwäldlerischen Degenerierten aus dem Niemandsland, sondern vielmehr einer Zuspitzung der Gewaltdarstellung als mehr oder minder moralisches Dilemma. Jenen Weg bereiteten nicht die Remakes von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE oder THE HILLS HAVE EYES, sondern eine Handvoll Filme, welchen ein besonders perfides Etikett verliehen wurde. Denn ab den frühen 2000ern startete auch ein neues Subgenre durch, welches auf der einen Seite unzählige Fans, auf der anderen aber auch eine Vielzahl von Verächtern fand – Torture Porn Movies.

 

Kennst du deine Schmerzgrenze?

 

Was wurde nicht schon alles geschrieben über die scheinbar unerträglichen Torture Porn Filme und die Verrohung des Horrorfilms? Zeit, einmal für Klarheit zu sorgen. Der Begriff Torture Porn, zu Deutsch Folterhorror oder Gewaltporno, ist weniger ein klares Subgenre als ein politisch gebrauchter Begriff. Als Synonym der Sparte wird häufig HOSTEL von Eli Roth aus dem Jahr 2004 genannt, der strukturell ein klassischer Backwood Horrorfilm ist, sämtliche Elemente sind enthalten. Ein Element jedoch, die Art der Gewaltdarstellung, scheint in Torture Porn Movies mutiert. Doch diese Entwicklung begann ebenfalls in den 70ern.

 

 

Salo

SALÒ (DIE 120 TAGE VON SODOM) (1975) von Pier Paolo Pasolini

 

 

Der größte Vorwurf gegenüber Torture Porn Filmen ist, Gewalt wird zum Selbstzweck dargestellt. Ein Mord hat immer ein Motiv, aber Torture Porn Filmen wird ein jedes glaubhaftes Motiv abgesprochen. Das mag auch für eine Reihe von Filmen zutreffen, die im Zuge der Torture Porn Welle als Trittbrettfahrer veröffentlicht wurden, die Initiatoren der Sparte, also HOSTEL, SAW und Co. allerdings verfügen über ebenso gesellschaftspolitischen Kontext wie die Welle an harten Terrorfilmen der 70er Jahre.

 

 

Torture Porn Movie Influences

Einflüsse auf die neue Torture Porn Welle – AUDITION (2001) von Takashi Miike, FUNNY GAMES (1997) von Michael Haneke und THE PASSION OF THE CHRIST (2004) von Mel Gibson

 

 

In Torture Porn filme wird vorrangig gefoltert denn gemordet, der Tod scheint beinahe eine Erlösung zu sein. Folter als Element des Horrorfilms gab es schon immer, eine graphische Inszenierung aber erst ab den 70er Jahren. Als frühe Beispiele gelten umstrittene Filmklassiker wie SALÒ (DIE 120 TAGE VON SODOM) von Pier Paolo Pasolini, die GUINEA PIG Reihe aus Japan oder italienische Kannibalenfilme der 70er Jahre wie CANNIBAL HOLOCAUST, der aber auch Elemente des Backwood Horrorfilms beinhaltet. Die europäischen Wurzeln des Subgenres waren seinerzeit weit mutiger als amerikanische Produktionen, aber mit Folter, Gewalt und Schmerz befassten sich vor der Welle auch Filme der CLOCKWORK ORANGE, die HELLRAISER Reihe oder Stephen Kings MISERY.

 

 

Saw

SAW (2003) von James Wan

 

 

Das Remake von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE aus dem Jahr 2003 eröffnete der graphischen Darstellung von Gewalt und Folter neue Türen. Im gleichen Jahr kam ein Film in die US-Kinos, welcher als Startschuss des Torture Porn Films angesehen wird – James Wans SAW. Aber so ganz stimmt das nicht, denn SAW aus dem Jahr 2003 war im Kern ein Thriller, der viel mehr von dem Film SIEBEN inspiriert war als vom Terrorkino. SAW war kein klassischer Genrefilm, er war ein Genremix, ein High Concept, in jedem Fall ein Survival Thriller, aber ein Torture Porn?

 

Stilprägend aber wurden die kreativen Morde der Horrorkultfigur Jigsaw, selbstgebastelte Fallen und Maschinen, aus denen die vermeintlich Unschuldigen entkommen konnten, wenn sie bereit wären, etwas zu opfern. Die ersten beiden Teile der SAW Reihe folgte noch diesem pseudomoralischen Prinzip, dass Jigsaw durch Folter und Verstümmelung doch eigentlich nur Gerechtigkeit hatte walten lassen wollen. Das Publikum aber sah das nach SAW 2 etwas anders, es wollte mehr.

 

Tschechows Bärenfalle ging somit gehörig nach hinten los. Warum eine Tötungsmaschine einführen, wenn man nicht sehen darf, wie sie funktioniert. Die von James Wan entwickelte Chance auf Wiedergutmachung der Akteure wurde vom Publikum nicht wirklich akzeptiert, natürlich wollte es sehen, wie die Falle zuschnappt. Deshalb entwickelte sich die SAW Reihe nach Teil 2 mit dem neuen Regisseur Darren Lynn Bousman in eine andere Richtung, die Zelebrierung von Gewaltakten in immer perfiderer Form.

 

 

Saw 3

SAW 3 (2006) von Darren Lynn Bousman

 

 

Dafür war aber SAW nicht allein verantwortlich, sondern eine andere Filmreihe, dessen Erstling 2005 in die internationalen Kinos kam. Wie das Remake von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE wurde HOSTEL ein Hardcore Horrorfilm für ein Mainstreampublikum, mit einem Budget von 4,5 Million US-Dollar spielte er weltweit 81 Millionen ein und setzte sich am Starwochenende sogar an die Spitze der US-Kinocharts, ein überbordender Erfolg für einen ultrabrutalen Terrorfilm. Es war aber nicht nur die Gewaltdarstellung, trotz nachträglicher Unkenrufe war HOSTEL von Eli Roth auch ein recht gut inszenierter Horrorfilm mit durchaus politischer Botschaft, überaus psychologisch im Handeln der Figuren, edel gefilmt, clever getrickst und extrem polarisierend.

 

 

Hostel Film Reihe

Kontrovers bis ins Plakat – die HOSTEL Filmreihe mit HOSTEL (2005) und HOSTEL 2 (2007) von Eli Roth und HOSTEL 3 (2001) von Scott Spiegel

 

 

HOSTEL aus dem Jahr 2003 veränderte nicht nur den Horrorfilm, sondern machte Folter im gesamten Film sowie im Fernsehen salonfähig. Die inzwischen gut vernetzte Bevölkerung kannte mittlerweile die schrecklichen Bilder aus dem politischen Tagesgeschehen, Bilder des Irakkrieges, aus Guantanamo und Abu Ghraib, all das griffen Filme (SYRIANA) oder Serien (24) auf und erreichten damit den Mainstream. Nicht nur im Horrorfilm gab es Endlosdebatten über Gewaltpornographie.

 

 

Hostel Eli Roth

HOSTEL (2005) von Eli Roth

 

 

Waren SAW 1 und 2 noch klassische, wenn auch schmerzvolle und blutige Thriller, änderte sich auch durch den Erfolg von HOSTEL ab 2006 das Gesicht der Reihe, ab Teil 3 wurde in SAW Torture Porn zelebriert, auch andere Horrorfilmproduktionen steckten sich diese Kampfbezeichnung aus Werbezwecken gern aufs Plakat, ein echter Subgenrebegriff ist Torture Porn allerdings nicht. Survival Horror oder Terror Horror traf es weit besser, und diesen gab es bereits seit den 70er Jahren, Torture Porn war eine Evolution.

 

 

The Collector

Terrorthriller mit fiesen Foltereinlagen, aber kein Torture Porn – THE COLLECTOR (2009) von Marcus Dunstan

 

 

Dennoch kam es zu einer großen Welle an sogenannten Torture Porn Filmen nach dem Erfolg von SAW und HOSTEL, aber nicht unbedingt im Kino, hauptsächlich der DVD-Markt wurde mit dererlei drastischen Werken überhäuft. Die meisten davon hatten kaum gesellschaftspolitischen Kontext, auch gab es wohl ein Rennen um die krasseste Visualisierung des Sujets. Aber diese Welle war endlich, zum einen fanden nur wenige echte Torture Porn Filme den Weg in die Kinos, zum anderen konnte die Gewaltschraube nicht endlos angezogen werden.

 

Torture Porn wurde eher wieder eine Nische im direct-to-disc Markt, die dem Hardcorefan eine unüberschaubare Masse an qualitativ wechselhaften Filmen bot. Torture Porn Filme waren nicht teuer zu produzieren und fanden auf jeden Fall Abnehmer, genauso wie sie Gegner fanden. Die Selbstzweckhaftigkeit der dargestellten Gewalt aber driftete in Langeweile, die Spannung des Terrorkinos ging nach und nach verloren, das Publikum stumpfte gegenüber der Gewalt deutlich ab.

 

Auf dem Höhepunkt der Welle, als die SAW Reihe schon Besucher verlor, konnten nur noch noch extremere Darstellungen und Perversionen für Aufsehen sorgen. Am Ende der Torture Porn Welle rangen immer perfidere Konzepte um Zuschauer, beispielsweise die Reihe THE HUMAN CENTIPEDE oder A SERBIAN MOVIE. Aber nicht alles wurde nur gewalttechnisch überhöht, es gab durchaus Produktionen, die das Konstrukt Torture Porn und die Wirkung von graphischer Gewalt auf den Zuschauer als solches hinterfragten.

 

 

Martyrs

MARTYRS (2008) von Pascal Laugier

 

 

Mit MARTYRS aus dem Jahr 2008 dekonstruierte Regisseur Pascal Laugier recht clever die Mechanismen des Subgenres und stellte somit den Zuschauer bloß. Wer hatte schon eine Rechtfertigung für Gewalt und Folter, wie sah es jeder Einzelne, der Gewalt eben wie Pornographie konsumierte? MARTYRS war trotz einer schier endlosen Szenerie an Folter eben kein Torture Porn und der Film hinterließ beim Publikum das beklemmende Gefühl, ob es für dererlei Grausamkeiten nicht doch eine Rechtfertigung gäbe, wenn Gewalt höhere Ziele verfolgt als reiner Selbstzweck.MARTYRS war beinhahe eine Antithese des Subgenres.

 

 

An Amercian Crime

AN AMERICAN CRIME (2007) von Tommy O’Haver

 

 

Was Torture Porn so streitbar machte, lag auch am Realismus der Szenerie, Folter war kein Horrorhirngespinst. Es war die Art und Weise der Inszenierung, die Terror von Torture Porn Movie unterschieden, wenn auch beide nur schwer verdaulich waren. Filme wie THE GIRL NEXT DOOR oder AMERICAN CRIME, die definitiv keine Torture Porn Streifen waren, verdeutlichten das Dilemma, sie waren hochgradig psychologisch aufgebaut und widmeten sich clever wie abstoßend der Folterbestie Mensch.

 

Auch heute noch wird Folterhorror selbst unter Horrorfilmfans kritisch diskutiert. In den 2010er Jahren erschienen sie nur noch sporadisch und die Sparte galt als auserzählt. Andere Subsparten und Genremixe erschienen und erklommen die Kinocharts, die Rückkehr des Geisterfilms durch CONJURING oder Elevated Horror wie IT FOLLOWS, THE BABADOOK oder HEREDITARY wurden zu Hits, neue Wellen an graphischer Gewalt aber blieben aus. Auch Teil 8 der SAW Reihe kehrt zu seinen Thrillerwurzeln zurück.

 

 

Saw Spiral

Back to the Terror Roots – SAW: SPIRAL (2020) von Darren Lynn Bousman

 

 

Ob das so bleibt, ist ungewiss, denn solche Wellen wie der Backwood Horrorfilm, das Terrorkino oder der Torture Porn treten zyklisch auf und waren bislang immer eine Antwort auf gesellschaftspolitische Fragen jeweiliger Dekaden. Horrorfilme wie THE PURGE oder GET OUT greifen ebenso aktuelle Themen auf und verarbeiten sie im Horrorfilm, der Horrorfilm bleibt ein Spiegel der Gesellschaft. Ob daraus wieder neue Sparten oder Subgenres entstehen wie der Torture Porn, bleibt abzuwarten. Viel mehr werden neue Generationen von Filmemachern neue Grenzen austesten wollen und einen kreativen Umgang mit dem Erbe anstreben, wie es den jungen Wilden während der Renaissance des Survival- oder Terrorfilms ab 2000 gelang.

 

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

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