Die kleine Genrefibel Teil 67: Medieval
or einer versperzîte huop sich grôz ungemach, daz von manigen recken ûf dem hove geschach. si plâgen ritterschefte durch kurzewîle wân. dô liefen dar durch schouwen vil manic wîp unde man. So steht es geschrieben, also erglotzt Euch nicht, Ihr Beutelschneider, Falschmünzer und Gesindel, auf das man Euch bewerfe mit allerlei feulem Obst und Gemüs. Anall natrach, ut was betat, dochiel dienwe! So lauschet nun das Dekret des Landvogts und zu den Waffen, obde Dreschflegel oder Rußputzer und höret den holden Minnesang, den ich Euch sang über die dunklen Zeiten, den Ständen der Ritterschaft und derer Knecht, der Stiefelputzer und Fugger, Mägde und Hohe Frouwen wohl über den Erdenflach. Viel Wunderdinge und Märe ich Euch hab zu sagen über Ländereien der Burgunden und Könige edel unde stark. So haltet’s Maul und spitzt die Löffel, sonst meld ich’s dem Pfalzgraf, worauf Ihr einen Taler abdrücken müsst, darauf könnt’ Ihr einen lassen.
Liebe Genrezüchter, auf unserer Queste durch die Spielarten des Films reisen wir nun zurück in die Zeit der alten Rittersleut, Bettler, Könige und Burgfräuleins – in die wundersame Welt des Mittelalters. Wo befinden wir uns da? So falsch ist die Frage gar nicht, aber klären wir erst, wann wir uns da befinden. Einst befassten wir uns in der kleinen Genrefibel mit dem antiken Griechenland, dem das Römische Reich folgte, siehe Asterix. Die Menschheitsgeschichte ist in vier Epochen eingeteilt, die Frühgeschichte, das Altertum, das Mittelalter und die Neuzeit. Damit ist klar, woher das Mittelalter seinen Namen hat, es befindet sich irgendwann in der Mitte.
Aber der Begriff Mittelalter bezeichnet genau genommen nur eine Epoche europäischer Geschichte. Viel mehr drum herum gab es seinerzeit auch noch nicht, bis auf einen Surfbrettverleiher am Kap Arkona. Aber das Mittelalter verbindet man fast ausschließlich mit Europa, mit Rittern und Burgen, mit der Pest, Hexenverbrennungen, überhaupt war früher alles viel lustiger. Das uns bekannte Mittelalter erstreckte sich vom 6. bis ins 15. Jahrhundert. Zu jener Zeit gab es aber auch weit entwickelte Kulturen in China, Indien oder Japan, so dass diese Länder auch eine mittelalterliche Geschichte haben. Ebenso entstand der Islam im 7. Jahrhundert.
Nachdem in Europa das Weströmische Reich untergegangen war, entstanden neue Reiche wie Frankreich oder das Westgotenreich, die Angelsachsen, die Slawen und Skandinavien. Das Christentum führte Glaubenskriege, Kultur und Wirtschaft erblühte und ging später in Schlachten und Seuchen wieder unter. So betrachtet unterteilt sich das Mittelalter in drei Phasen, das Frühmittelalter, das Hochmittelalter und das Spätmittelalter. Bevor wir diese Reise antreten, was hat das alles mit dem Medium Film zu tun?
Mittelalterliche Moralitäten
Die Zeit des Mittelalters war für den Film von obsessiver Gestalt, denn es hinterließ der Gegenwart nicht nur große epische Heldenerzählungen wie das Nibelungenlied, Tristan & Isolde oder die Artussage. Es besaß auch große visuelle Anziehungskraft, Männer trugen glänzende Rüstungen, Frauen edle Gewänder, es gab Burgen und Schlösser, das Wasser im Fluss und die Wälder waren noch sauber und es herrschte allerorts eine willige Bereitschaft zur Rauferei. Tolle Zeit, dieses Mittelalter. Aus diesen Stereotypen, die zuvor in der Literatur und der Kunst ausgiebig visualisiert wurden, konnte der Film viel abschöpfen.
Das waren vor allem Dramatik und Schauwerte, genretechnisch befasste man sich mit dieser Zeit im Film hauptsächlich in drei Sparten, in Biografien, Historien- und in Abenteuerfilmen. Aus letzterem kristallisierte sich in den 50er Jahren der US-amerikanische Ritterfilm heraus, eine eigene Subsparte, aber auch europäische Regisseure wie Fritz Lang, Sergei Eisenstein oder Ingmar Bergman befassten sich in ihren Filmen mit dem medium aevum, dem Mittleren Zeitalter. Strukturell veränderten sich die Subgenres über die Jahrzehnte nur unwesentlich, wohl aber wandelten sich die Tonalitäten.
Mittelalterfilme schlagen entweder in Verklärung oder in Schwarzmalerei aus, beide Extreme waren allerdings wenig historisch korrekt, die Wahrheit wie so oft war irgendwo in der Mitte zu finden. Anfangs überwog das verklärte, romantisierte Mittelalterbild mit strahlenden Rittern und Burgfräuleins, es war ein eher idealisiertes Bild ohne Dreck und Schmutz und vorrangig im Ritterfilm der 50er Jahre anzutreffen. Später wurden Filme über das Mittelalter dann aber rau, brutal und schmutzig, die Darstellung des Dunklen Zeitalters war realistischer, aber auch hier schoss man oft über das Ziel hinaus.
Mit historischen Fakten nahmen es beide Richtungen nicht so genau. Mittelalterfilme leben stattdessen vom Audiovisuellen, vom Setting, der Ausstattung und dem Kostümbild. Wälder, Dörfer, die mittelalterliche Stadt, Burgen, Schlösser oder Klöster, Schwerter, Äxte, Hellebarden, Barden und natürlich Minnesang und Mittelaltermusik. Diese Kulisse wurde im Film zum Teil recht authentisch zum Leben erweckt.
Doch auch für Filme mit realistischer Darstellung des Mittelalters gab es Einschränkungen, zum Beispiel bei der Sprache. So ist die natürlich immer den Seh- bzw. Hörgewohnheiten der Gegenwart angepasst, Althochdeutsch mit Untertiteln trifft man da ganz, ganz selten. Aber der Mittelalterfilm ist beleibe nicht die einzige Sparte historischer Verfilmungen, der sich sprachliche Barrieren oder geschichtliche Fakten für das Storytelling zurecht gebogen hat.
Eine wichtigere Unterscheidung muss man in Sachen Fantasy vornehmen, denn dezente phantastische Einflüsse, die Auserzählung oder Visualisierung von alten Sagen, Legenden oder die bildhafte Darstellung von Aberglauben gehören ebenso zum Mittelalterfilm. Drachen oder Hexen, das nahm der Mittelalterfilm durchaus mit, solange er in europäischen oder asiatischen Gefilden spielte. Mittelalterfilme können auch Fantasyfilme sein, aber nicht jeder Fantasyfilm spielt im echten Mittelalter. Vielmehr ist es so, dass große Teile der Fantasy in Literatur wie im Film vom echten Mittelalter inspiriert worden sind.
Low- und High Fantasy haben sich viel vom mittelalterlichen Leben und der Mythologie geliehen, dem Ursprung von Sagen und Märchen, aber sobald eine solche Geschichte in Mittelerde oder in Westeros spielt, ist sie eindeutig nicht mehr im Mittelalter angesiedelt. Andersherum ist die filmische Mittelalterwelt auch ohne Zwerge, Trolle, Drachen oder Riesen reichlich phantastisch und breit gefächert, mehr als man vermuten mag. Bündeln wir also nun die Subsparten des Mittelalterfilms anhand historischer Abschnitte oder Themenbereiche und tauchen ein in eine raue Welt voller Düsternis, aber auch strahlender Helden und Heldinnen. Die Fanfaren vom Burgturm bitte!
crusaders, in nomie domini
Die größte Stoffquelle für das Frühmittelalter hielten die Kreuzzüge und der Orden der Kreuzritter bereit, als Papst Urban II. zur Befreiung Jerusalems aufrief und sich christliche und muslimische Armeen im Kampf um das Heilige Land gegenüberstanden.
Eine dunkle Zeit, die vom Jahr 1095 bis ins 13. Jahrhundert währte. In sieben Kreuzzügen kämpften Kreuzrittersleut wie niedere Stände im Namen Gottes und trugen das Kreuz als einzig wahres Symbol des Herrn in die islamische Welt, die ihrerseits ebenfalls versuchte, in Europa zu expandieren.
Die Kreuzritter waren die bekanntesten “Helden” jener Epoche und es gab auch ein paar interessante Figuren, egal ob historisch verbürgt oder fiktiv, welche die Ära der Kreuzzüge auf die Leinwand brachten. Das wäre zum einen der Kreuzritter Sir Wilfred of Ivanhoe, eine Romanfigur des Autors Sir Walter Scott. Jener Romanheld war im Jahr 1913 bereits mit drei Verfilmungen bedacht worden, zu noch größerer Berühmtheit verhalf ihm 1952 der Film IVANHOE – DER SCHWARZE RITTER mit Robert und Elizabeth Taylor, der für drei OSCARS nominiert war und einen der Höhepunkte des US-amerikanischen Ritterfilms darstellt.
Eine andere Berühmtheit dagegen war der tatsächlich existierende König von England Richard I., auch genannt Richard Löwenherz, welcher am dritten Kreuzzug teilnahm. In Sagen und Legenden gilt Richard Löwenherz als König großer Ritterlichkeit und er tauchte auch in den Erzählungen um Robin Hood auf. Im Film gaben ihm viele große Schauspieler ein Gesicht wie Henry Wilcoxon in THE CRUSADES (1936), Sir Anthony Hopkins in THE LION IN WINTER (1968) oder Sean Connery in ROBIN HOOD (1991).
Aber sowohl Ivanhoe als auch Richard Löwenherz waren eher verklärte, idealisierte Figuren innerhalb von Filmen um Kreuzritter. Erst wesentlich später wurden Filme realisiert, die sich differenzierter mit den Schrecken der Kreuzzüge befassten. Ridley Scotts KÖNIGREICH DER HIMMEL gilt als das epischste Werk um jenen Zeitabschnitt der Geschichte. Aber auch ARN – THE KNIGHT TEMPLAR (2007) und ARN – THE KINGDOM AT ROAD’S END (2008) aus Schweden sind sehenswerte Beiträge über die Kreuzzüge.
víkingr / mongɣul
Die Zeit der Kreuzzüge war überaus prägend für den weiteren Verlauf des Mittelalters. Betrachtet man die Frühzeit des medium aevum, fallen einem noch zwei weitere beliebte Grüppchen ein, mit denen sich Filme und Serien bis zum heutigen Tage befassen.
Das wären vor allem die Wikinger, die das mitteleuropäische Frühmittelalter zwischen 800 – 1050 nach Christus prägten. Neben den Barbaren, die allerdings auf Pulpromanen der 20er Jahre basierten, waren Wikinger die beliebtesten Raufbolde und hinterließen im Film größere Fußspuren als die Kreuzritter.
Erik, der Rote, Halfdan, Ivar Ragnarsson und natürlich Leif Erikkson, der Entdecker Amerikas, Wikinger waren beliebt bei Alt und Jung. Warum besaßen Wikinger eine solche Anziehungskraft? Sie waren von manniger Grobschlacht, mit roten Bärten und Äxten, die sie nur zu gern in die Köpfe ihrer Gegner schlugen. So zumindest wird er häufig dargestellt im Film, aber der Wikinger war auch Entdecker und Mythologe, versiert im Umgang mit Runensteinen, immer auf der Suche nach Abenteuern, Ruhm und Reichtum.
Wie beim Ritterfilm gab es in den 50er und 60er Jahren eine Hochzeit des Wikingerfilms mit monumentalen Heldenepen wie DIE WIKINGER (1958) mit Kirk Douglas und Tony Curtis oder RAUBZUG DER WIKINGER (1964) mit Richard Widmark. Auch heute noch erfreuen sich Wikinger großer Beliebtheit, wenn auch seltener im Kino (WALHALLA RISING), dafür mehr im TV (VIKINGS).
Die zweite Gruppe interessanter frühmittelalterlicher Figuren stellen die Mongolen dar, insbesondere Dschingis Khan und der Mongolensturm zwischen 1155 und dem 13. Jahrhundert. Die Mongolen unter Dschingis Khan unterwarfen große Gebiete Nord- und Mittelasiens und schufen mit dem Mongolischen Reich das größte Herrschaftsgebiet der Menschheitsgeschichte. Im Film sind Mongolen nie so präsent gewesen wie Ritter oder Wikinger, aber auch hier gab es eine Hochphase in den 50er und 60er Jahren.
Das waren vor allem natürlich semibiografische Verfilmungen der Figur Dschingis Khan wie DER EROBERER (1965) oder DSCHINGS KHAN (1965). 2007 entstand die russisch-mongolische Koproduktion DER MONGOLE mit über 1000 Statisten und gilt als bislang ehrgeizigstes Projekt über Dschingis Khan, der Film wurde 2008 für den OSCARS als bester fremdsprachiger Film nominiert.
Darüber hinaus gibt es aber kaum nennenswerte Filme über das Mongolische Reich, als Kleinstgenre gehören die Mongolen aber definitiv in das mittelalterliche Sujet. Wikinger, Mongolen und Kreuzritter bevölkern die frühmittelalterliche Filmlandschaft und der Reiz geht vor allem von der physischen Darstellung von Gewalt und Brutalität aus, aber auch vom großen Entdecker- und Freiheitsdrang.
Nach den eher wüsten Jahren schloss sich das Hochmittelalter an und mit ihm die Blüte der ganzen Epoche. Ein Überbleibsel der Kreuzzügler war der Ritterorden, der Handel und die Kultur erfuhren enormen Aufschwung, die Bevölkerung wuchs, Städte prosperierten. Auch für den Film bedeutete diese Zeit eine güldene Ära.
Ritter ohne Furcht und Tadel
Eine besonders hingebungsvolle Zuwendung erfuhr dabei die Ritterschaft. Der Recke in Rüstung war schon zu Stummfilmzeiten eine gern gesehene Figur, in den 50er Jahren kam es dann zu einer großen Welle an Historienschinken und Monumentalwerken und darunter befanden sich auch eine illustre Anzahl an Ritterfilmen.
Der Ritter war ein Archetyp, ein Held, er bestritt so manche Heldenreise, die sogenannte Quest, um Burgfräuleins zu retten oder sich mit Drachen zu kloppen. Diese naive Vorstellung über das Ritterwesen füllte in den Fünfzigern unzählige naive Abenteuerfilmchen. Der Ritter war meist im Gemüte schlicht, sein Herz aber war riesig und strebte nach Ehrerfüllung. Das hatte mit historischer Korrektheit nur wenig zu tun, es zählten große Gesten und Schauwerte, meist in farbenfrohem Technicolor.
Das Ritterdasein brachte so manches bleibende Bild ins Kino mit, zu einem deftigen Mittelalterfilm gehört das Turnier, die zünftige Prügelei, der Schmaus an der Wildschweinkeule und das Bezirzen von Damen im Keuschheitsgürtel. Die Figur des Ritters war im Abenteuerfilm nicht groß anders als in Märchenverfilmungen, der war ein naiver Held. Das änderte sich erst ab den 80er Jahren.
Während Actionfilme dort bunter und flapisger wurden, wurden Ritterfilme düsterer und dreckiger. Aber der Ritter im Film eignete sich wie der Wildwestheld oder der Vampir auch perfekt zur Persiflage. Und somit besuchte der ehrenwerte Ritter neben düsteren Abenteuerfilmen auch die Comedy.
Dabei war der Ritter oft nur der Vermittler, denn die Komik entstand meist durch die Unterschiede zwischen der mittelalterlichen Welt und der unsrigen Heutigen, was klamaukig war und Verwechslungsspäße bot. Entweder reiste man ins Mittelalter oder mittelalterliche Figuren wie der Herr Ritter besuchten die Gegenwart, Chaos war vorprogrammiert. Auch wenn alte, ehrwürdige Rittertugenden hochgehalten wurden, es ging da meist um seichten Humor und Situationskomik.
Am besten gelang die komische Kombination mittelalterlicher Figuren mit der Jetztzeit der französische Filmreihe um DIE BESUCHER mit Jean Reno und Christian Clavier. DIE BESUCHER von 1993 wurden ein Riesenhit in Frankreich, nach einer direkten Fortsetzung erschien 2001 das US-Remake JUST VISITING und 2016 der 3. Teil DIE BESUCHER – STURM AUF DIE BASTILLE.
Ritter sind nicht sonderlich komplexe Figuren, aber ihre Schlichtheit ist eine dramaturgische Stärke. Die Kreuzritter lebten zwischen der Erfüllung ihrer Gottespflicht und ihrer eigenen Menschlichkeit, ein Rittersmann im Hochmittelalter kämpfte für Krone und Vaterland. Im Grunde waren Ritter Krieger wie Wikinger oder Mongolen, aber ihr Kodex scheint uns vertrauter und edelmütiger. Ritter waren nicht an Stände gebunden, auch ein Bauernbursche konnte zum Ritter geschlagen werden.
Überbleibsel der Ritterschaft findet man sogar noch in der heutigen Gesellschaft. Für den Film war das alles kostbares Gut, aus denen sich emotionale und audiovisuell betörende Geschichten stricken ließen, wenn sie die Dramatik voll ausspielten. Ein Höhepunkt dieser Erzählkunst, auch heute noch, findet sich in der Artussage.
Es ist eine der bekanntesten und beliebtesten Überlieferungen des Mittelalters, König Artus die wichtigste Figur der britischen Mythologie, neben Excalibur, den Rittern der Tafelrunde, Sir Lancelot oder Parcival. Die Legende vom großen Zauberer Merlin, der Uther Pendragon zum Königsstuhl führte, im Gegenzug seinen Sohn Artus aufzog, der eines Tages das Schwert seines Vaters aus einem Stein zog und König wurde. Zusammen mit dem magischen Schwert Excalibur befriedete Artus das Land, errichtete eine gewaltige Burg namens Camelot und versammelte die tapfersten Ritter des Landes um sich an einer Tafelrunde.
Die Artussage erfuhr wie in der historischen Literatur auch im Film eine Neuinterpretation nach der anderen. Nicht immer musste König Artus im Mittelpunkt stehen, auch Sir Lancelot war ein begehrter Rittersheld. Ab den 50er Jahren war die Artuslegende in jedem Jahrzehnt im Kino präsent. Höhepunkte waren DIE RITTER DER TAFELRUNDE aus dem Jahr 1953, EXCALIBUR (1981), DER 1. RITTER (1995), KING ARTHUR (2004) und der letztjährige KING ARTHUR: LEGEND OF THE SWORD (2017).
Kuster mich? wol tûsentstunt
Neben all den manigen Recken waren Frauen recht unterrepräsentiert im Mittelalterfilm. Die bekanntest Figur ist sicherlich Johanna von Orlèans oder auch Jean D`Arc genannt, die den Franzosen zum Sieg gegen England und Burgund verhalf, später aber auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Ebenso wie Filme über die legendäre Päpstin Johanna thematisieren diese Figuren eher die Machtlosigkeit und Hörigkeit der Frau zu Zeiten des Mittelalters. Die Heldinnen begehrten gegen die bestehenden Gepflogenheiten auf, aber verbürgt oder historisch korrekt ist das selten. Es gibt nur wenige Filme mit interessanten mittelalterlichen Frauenfiguren wie VISIONS über das Leben der Hildegard von Bingen oder DIE PÄPSTIN. Einzig der Hexenaspekt blieb an den Frauen hängen.
Doch dazu gleich mehr. Im Märchen oder im Fantasyfilm dagegen waren Frauenfiguren präsenter und aktiver, in Mittelalterfilmen aber fast vollstständig auf das Burgfräulein degradiert, die auf den edlen Rittersmann wartet. Selbst wenn sie höheren Standes waren wie Königstöchterlein oder Gräfin, sie standen immer im Schatten der männlichen Herrschaften.
Doch es gab wahrlich schlimmere Probleme im Mittelalter als die Emanzipation. Trotz des blühenden Hochmittelalters war es auch eine Zeit, in der antikes Wissen mehr und mehr vergessen wurde. Denkt man ans Mittelalter, so denkt man vor allem an fehlende Bildung, an den Glauben, die Erde sei eine Scheibe und harmlose Kräutersammler seien mit dem Teufel im Bunde stehende Hexen. Das, was man im Volksmund das “Finstere Mittelalter” nannte, bildete die letzte Phase jener Epoche – das Spätmittelalter.
The Dark Ages
Auch wenn es teils übertrieben klingt, viel ist dran an der Schauermär vom finsteren Zeitalter. Barbarei und Kriegslust überfiel die Lande, Mitteleuropa überzog eine kleine Eiszeit, große Hungersnöte waren die Folge, das Volk verelendete und Krankheiten brachen aus. Europa wurde vom Schwarzen Tod heimgesucht, der Pest, der zwischen 1346 und 1353 schätzungsweise 25 Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Jene finsteren Zeiten waren und sind bis heute der Nährboden für düstere Geschichten und auch ein Quell für Horrorfilme. Echte mittelalterliche Horrorfilme sind zwar rar, aber in diesem Komplex mischt sich Horror und Fantasy zu einem unheimlichen Gelage.
In mittelalterlichen Gefilden spielten schon einige Geschichten von Edgar Allen Poe, Höhepunkte an Fantasyhorror sind DAS PENDEL DES TODES, MÄRCHEN EINER WANDERUNG oder auch JABBERWOCKY, bis Sam Raimi 1992 den perfekten Mittelalterhorrorfilm inszenierte – ARMEE DER FISNTERNIS. Doch auch Zeitreiseplots und dezente Science-Fiction ließen sich mit dem Mittelalter kombinieren wie in TIMELINE oder OUTLANDER.
Einige wenige Filme fallen auch in den Komplex Hexenverfolgung und Inquisition, allen voran der Klassiker DER NAME DER ROSE nach einem Roman von Umberto Eco, der aber eher einen Mittelalterkrimi darstellt. Aber eins der größten Schreckensbilder des finsteren Mittelalters, neben Schnabelmasken und Pesttoten, war die lebendige Verbrennung mutmaßlicher Hexen.
Die heilige Inquisition war seit dem 13. Jahrhundert ein Instrument der katholischen Kirche, entgegen jeder Vermutung waren Hexenprozesse der kleinste Teil der Gräuel, die von den Inquisitoren ausging. Die größte Suche galt Ketzern, sogenannten Heretikern, also Kritikern der Kirche. Zum anderen ist die Hexenverfolgung nicht ausschließlich dem Mittelalter zuzuschreiben, sondern fand, wie die spanische Inquisition, ihren Höhepunkt im 16. Jahrhundert.
Auch haben filmisch relevante Hexen selten ihre Ursprünge im Mittelalter, alles, was mit Hexen im Horrorfilm zu tun hat, werden wir noch extra behandeln. Trotzdem gibt es einige wenige Werke, die sich einigermaßen realistisch mit der Hexenverfolgung auseinandersetzen, wie THE CRUCIBLE mit Daniel Day-Lewis und Winona Ryder nach einem Theaterstück von Arthur Miller und natürlich THE WITCH, die beide allerdings schon im puritanischen England des 17. Jahrhunderts spielen.
Neben all dem mutmaßlichen Grauen des Spätmittelalters hatte die Epoche aber noch einen letzten Helden parat, der auch in die Filmgeschichte eingehen sollte – der König der Diebe, Wegelagerer und Gesetzesbrecher, aber ein Held mit Herz und Strumpfhosen. Er wurde in Dramen, Opern und Romanen besungen und ist auch heute noch im Film präsent.
Die Gest von Robyn Hode
Die Rede ist natürlich von Robin Hood, der unter allen mittelalterlichen Heldenfiguren die größte filmische Prominenz besaß. Die Figur Robin Hood ist historisch nicht verbürgt, er entstammte verschiedenen spätmittelalterlichen Balladen, welche die heutig bekannte Sage um den König der Diebe formte. Robin Hood trat als Filmheld bereits 1912 das erste Mal in Erscheinung und ist bis heute der meistverfilmte Mittelalterheld, noch vor König Artus.
Für manche Schauspieler wurde Robin Hood zur Rolle ihres Lebens. 1922 schlüpfte Douglas Fairbanks in die Strumpfhosen, ihn beerbte 1938 Mantel und Degen Star Erol Flynn in ROBIN HOOD – KÖNIG DER VAGABUNDEN. Über mehrere Jahrzehnte formten diese beiden Schauspieler den Look Robin Hoods, ihnen folgten Lex Barker und Frank Sinatra. Doch an den Erfolg von Erol Flynns Klassiker reichte keine Verfilmung bis in die 90er Jahre heran, auch nicht ROBIN & MARIAN mit Sean Connery und Audrey Hepburn aus dem Jahr 1976.
Stattdessen produzierte Disney 1973 die überaus erfolgreiche und wundervolle Zeichentrickadaption ROBIN HOOD, die ebenso wie die Adaption der Artussage THE SWORD IN THE STONE (DIE HEXE UND DER ZAUBERER) zum Klassiker wurde. Doch dann wurde es still um das Schlitzohr aus dem Sherwood Forest, von ein paar TV-Ausflügen in den 80ern abgesehen. Doch im Zuge der großen Neuverfilmungen von Klassikern Anfang der 90er Jahre kramten Produzenten auch Robin Hood wieder aus der Mottenkiste.
Gleich zwei Verfilmungen konkurrierten 1991 um die Gunst der Zuschauer, während ROBIN HOOD – EIN LEBEN FÜR RICHARD LÖWENHERZ mit Patrick Bergin, Uma Thurman und Jürgen Prochnow an der Kinokasse floppte, schwang sich ROBIN HOOD – KÖNIG DER DIEBE mit Kevin Costner, Morgan Freeman und Alan Rickman zum erfolgreichsten Film seit TERMINATOR 2 auf und spielte in den Staaten fast 400 Millionen Dollar ein. Und das zu Recht, denn jene Robin Hood Verfilmung ist bis heute ein großer Abenteuerspaß und ein epischer Mittelalterblockbuster Action, Herz und toller Musik.
Nach Costners Robin Hood wurde dann wieder mehr mit der Figur experimentiert, es gab eine weibliche Variante mit Keira Knightley als Robin Hoods Tochter und eine unnötig ernste und düstere Verfilmung von Ridley Scott mit Russel Crowe, eine weitere Verfilmung steht 2019 in den Startlöchern, mit einem jüngeren Robin Hood, gespielt von Taron Egerton.
Robin Hood spielt am Scheideweg des Spätmittelalters zur frühen Neuzeit. Doch genaue Zeitdatierungen können die Übergänge jener Epoche nur ungenau beschreiben. So auch das Ende des Mittelalters, welches oft mit Ereignissen gleichgesetzt wird wie der Erfindung des Buchdruckes, der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus oder Martin Luthers Reformationsbemühungen. Dem mittelalterlichen Ritterfilm folgte der Mantel und Degen Film, dessen Stars dann die drei Musketiere oder Zorro waren.
Renaissance
Doch das Mittelalter blieb im Film immer präsent. Der Grund hierfür war auch die Verquickung mittelalterlicher Elemente im Fantasyfilm, vor allem in der Verfilmung von Tolkins DER HERR DER RINGE, der zwar in einer fremden Welt spielte, die sich aber viel aus mittelalterlichen Gefilden geliehen hat. Das wiederum führte zu einem Fantasyboom, der wiederum auch neue Mittelalterfilme in die Kinos oder das Fernsehen brachte.
Aber es war mehr als Filmleidenschaft. Die Begeisterung für das Mittelalter spiegelte sich in der Faszination für Kleidung, Schmuck, Musik und, wenn auch verklärter, im Lebensstil. Das Mittelalter zog eine große Zielgruppe an, für Kids war es ein Abenteuerspielplatz, die Jugend wuchs mit König Artus oder Robin Hood auf, die Älteren schauten GAME OF THRONES, Mittelaltermärkte und Feste erfreuten sich großer Besucherströme und selbst in Videogames ist das Zeitalter überaus präsent.
Man kann sagen, das Mittelalter wird heute äußerst clever vermarktet. Die Kids begeisterten sich für RITTER ROST oder für SHREK, für etwas Ältere gibt es MERIDA von Pixar, den wundervollen Film BRENDAN UND DAS GEHEIMNIS VON KELLS oder gar manch düstere Mittelalter Anime (BERZERK) und erst kürzlich lief die neue Serie DISENCHANTMENT von SIMPSONS Schöpfer Matt Groening via Netflix an, welche eine bezaubernde und urkomische Mittelalterwelt zum Leben erweckt.
Im TV haben mittelalterliche Stoffe seit GAME OF THRONES Hochkonjunktur, darunter auch Nischen um Wikinger (VIKINGS) oder Mongolen (MARCO POLO). Das Mittelalter ist also nach wie vor sehr präsent in Filmen und Serien, weil es wie kaum eine andere Zeit Geschichte und Sagenwelt miteinander verbindet. Egal ob Jung oder Alt, für jeden gibt es Helden, illustre Schauwerte, derbe Action oder filigrane Kunstfertigkeit.
Zu den Klassikern mittelalterlicher Fernsehkost zählen natürlich Adaptionen von Robin Hood und König Arthur, für Kids gab es seinerzeit nicht viel, außer DIE GUMMIBEERENBANDE. Seit GAME OF THRONES und der Serienrevolution aber übertrumpfen die TV-Mittelalterwelten etwaige Kinoproduktionen um Längen, was Production Value betrifft. Obwohl GAME OF THRONES keine Mittelalterserie ist, hat die Limitierung phantastischer Elemente echte Medieval Serien erst ermöglicht.
Keine andere Zeit verfügt über mehr Magie wie das Mittelalter, voller Düsternis und Schönheit zugleich. Wer weiß, wenn mittelalterlich geprägte Fantasy weiterhin so hoch im Kurs steht (eine neue LORD OF THE RINGS Serienverfilmung von amazon steht an), kann das auch nur gut für echte Mittelalterfilmkunst sein. Wohlan denn, Knappen, in die Rüstung geschlüpft, Schwert, Beil oder Morgenstern geschnappt und gen Camelot geritten. So sei die Order kundgetan, Waschweiber.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
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