Die kleine Genrefibel Teil 64: Alptraumfabrik

Horror ist ein überaus komplexer Begriff und er beschreibt vor allem eine Wirkungsweise. Horrorfilme wirken psychologisch und emotional. Blut und Gekröse fördern ein Gefühl des Ekels, die Flucht vor einem Monster lässt den Puls hochschnellen und wenn ein fieser Schlitzstrolch um die Ecke lugt, entlädt sich der schauderhafte Anblick nicht selten in einem erlösenden Schrei. Man sagt, Horrorfilme speisen sich aus den Urängsten der Menschen, zumindest die guten Horrorfilme. Und wie oft hören kleine Kinder von ihren Eltern: “Kuck nicht so viele Horrorfilme, sonst kannst du Nachts nicht schlafen!”. Horrorfilme sind der Stoff, aus dem die Alpträume sind. Aber was war eher da, Horrorfilm oder Alptraum? Ist der Alptraum nur ein Resultat aus der Verarbeitung von schrecklichen Dingen oder liegt im Alptraum der Quell des Schauderlichen verborgen, aus dem sich die Phantastik nährt?

 

 

 

Alptraum und Schlafparalyse in der Dokumentation THE NIGHTMARE (2015) von Rodney Ascher

 

 

Natürlich ist der Alptraum um einiges älter als der Horrorfilm und grundsätzlich kann man sagen, dass allen Horrorfilmen Alptraummotive zu Grunde liegen oder dass Horrorfilme sich in Alpträumen manifestieren können. Doch betrachtet man diese Wirkungsweise ein wenig genauer, findet man große Unterschiede. So wirken manche Elemente des Horrorfilms sehr direkt und sind nur von kurzer Dauer. Ekel und Schreck sind nur kurzlebiger Natur, hat man eine solche Szene mit zusammengekniffenen Augen überstanden, löst sich die Anspannung und das aufgestaute Gefühl. Aber manchmal gibt es Szenarien, die wirken einfach länger und nachhaltiger. Es sind diese Bilder, die man aus dem Kinosaal mitnimmt, die einem noch auf der Couch daheim nicht loslassen und die einem den nächtlichen Schaf rauben. Wir wollen uns heute mit Filmen beschäftigen, die wahrlich Alptraumpotential besitzen oder sich direkt aus dem Fundus menschlicher Alpträume bedienen.

 

 

Alben und Nachtmahre

 

Was ist überhaupt ein Alptraum? Wenn wir in der zweiten Nachthälfte in die REM-Schlafphase eintauchen, verarbeiten wir darin das täglich Erlebte in Träumen. Plagen uns zudem Stress, traumatische Erfahrungen oder psychische Probleme, können aus Träumen Alpträume werden. Der Alptraum endet meist mit einem Hochschrecken aus einer dramaturgisch zugespitzten Traumsituation, etwa dem Fallen oder einem Moment des Schocks. Zurück bleibt ein ungutes Gefühl, welches einen noch Tage später belasten kann.

 

Trotz allen Unbehagens ist der Alptraum ein natürliches Ventil unseres Gehirns zur Datenverarbeitung. Zudem sind Träume der Schlüssel zu unserer Psyche, sie bilden Ängste und psychische Wunden ab, die wir am Tage verdrängen oder mit Nichtbeachtung strafen. In der Nacht aber kommen sie zurück und visualisieren sich in unseren Träumen. Aus dieser Erkenntnis heraus war die Traumdeutung schon immer ein Mittel zur Entschlüsselung unseres psycho-emotionalen Innenlebens. Doch nicht nur Ärzte und Psychologen haben sich mit dieser Form der Traumdeutung befasst, auch die Kunst, Literatur, Musik und natürlich der Film.

 

 

Johann Heinrich Füssli “Nachtmahr” (1790)

 

 

Frühe Visualisierungen von Alpträumen findet man in den Gemälden von Hieronymus Bosch im 15. Jahrhundert. Das bekannteste Alptraummotiv aber schuf 1790 der Maler Johann Heinrich Füssli mit “Nachtmahr” und es zeigt ein Szenario zwischen Realität und (Alp)traum. Die Ursache schlechter Träume geht auf den Alb zurück, der auf der Brust des Schlafenden hockt und den Träumenden quält. So sprach man vom Albdruck, den man auf der Brust spürt, woraus der Begriff Albtraum oder Alptraum resultierte.

 

Alben waren mythologische Fabelwesen und die ursprüngliche Bezeichnung von Elfen, die für unsere Träume verantwortlich waren. Im Gemälde “Nachtmahr” verdichtet sich dieses Bild des Alben und eines geisterhaften Pferdes zu einer unwirklichen Szenerie. Denn der Alptraum an sich war immer losgelöst von der Realität des Wachzustandes und demnach von surrealer Natur.

 

 

Alptraumerinnerungen aus Kindertagen: Sweetum aus der MUPPET SHOW…

…sowie die Traumsequenz der Elefantenparade aus DUMBO

 

 

Diese Erkenntnis führt zu einem interessanten Blickwinkel, um auch beim Horrorfilm zwischen kurzlebigem Schockmoment und Szenerien mit Alptraumpotiential zu differenzieren. Natürlich kann man von allem, was der Horrorfilm in der Filmgeschichte an visuellem Schrecken generierte, Alpträume bekommen. Aber wer träumt schon von Vampiren, Werwölfen oder von Michael Myers?

 

Vampire und Werwölfe sind zwar fiktive Wesen, aber sie sind im Genre auch fest determiniert. Man muss von einem Vampir oder Werwolf gebissen werden, eine nicht zu unterschätzende Horrorhürde. Bei Michael Myers oder auch Jason Vorhees ist der Fall noch einleuchtender, trotz ihres teils übernatürlichen Charakters sind sie in eine klar festgelegte Filmrealität eingebunden, ein Michael Myers lebt in Haddonfield und einem Jason Vorhees begegnet man fast ausschließlich im Camp Crystal Lake. Das führt zu einer Distanzierung und der Erkenntnis, es hier mit eindeutiger Fiktion zu tun zu haben.

 

 

Ein Alb als Wächter: PANS LABYRINTH (2006) von Guillermo del Toro

 

 

Alptraummotive aber gehen weiter und sind tiefer verwurzelt in uns. Alpträume gab es lange vor dem Horrorfilm. Ein Großteil unserer menschlichen Urängste sind auch alptraumaffin. Fallen und Abstürzen, nicht vom Fleck kommen und gelähmt sein, sich nicht verstecken können – so etwas hat jeder schon mal geträumt. Auch Phobien begünstigen Alpträume, die Angst vor Spinnen oder Schlangen werden nicht selten in Alpträumen verarbeitet. Man kann Horrorfilmalpträume in zwei Gruppen gliedern, den personifizierten Alptraum oder Alpträume auf Grundlage von allgemeinen Ängsten und Phobien. Beide jedoch haben eins gemeinsam, sie sind zum Teil absurd, grotesk und in jedem Fall surreal.

 

 

Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?

 

Schauen wir uns den personifizierten Alptraum ein wenig genauer an. Einer der ersten Stummfilme um eine personifizierte Alptraumgestalt war DAS CABINET DES DR. CALIGARI von Robert Wiene aus dem Jahr 1920. Der Film erzählt die Geschichte eines Schlafwandlers, der unter dem Einfluss seines dämonischen Herrn mordet. Beim Zuschauer resultierte in erster Linie die Angst, selbst Opfer des Somnambulen zu werden, der als Marionette durch die Straßen schlafwandelt und mordet.

 

 

DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920) von Robert Wiene

 

 

Sein Aussehen entspricht dabei einem Archetypen der Angst – Caesar erwacht aus einer Totenstarre, ist schwarz gekleidet und hat tiefe, eingefallene Augen ohne Leben. Caesar, der Somnambule war die Visualisierung einer uralten mythologischen Gestalt – der des Schwarzen Mannes, des Buhmanns oder Butzemanns. Man kannte ihn auch unter dem Namen Bogeyman.

 

Die berühmten neuzeitlichen Horrorfilmfiguren, von Michael Myers bis zu Jigsaw, sie alle hatten Schreckenspotentiale, aber die mythologische Verankerung des Schwarzen Mannes steckte noch tiefer in uns. Wir kannten ihn bereits seit Kindertagen, als uns gedroht wurde, wenn wir nicht artig waren. “Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?” hieß es und manchmal ging ein Bi-Ba-Butzemann in unsrem Haus herum, wiedebumm. Wichtig für eine funktionierende Alptraumfigur war die Unschärfe.

 

Variationen des Schwarzen Mannes: der Kinderfänger aus TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG (1968)…

…und Richter Doom (Christopher Lloyd) aus FALSCHES SPIEL MIT ROGER RABBIT (1988)

 

Sie durfte filmisch nicht zu genau auserzählt werden in Herkunft und Absicht, sie musste immer ein wenig Mysterium bleiben. Wenn dies zutraf, dann wurde eine solche Figur über den Film hinaus zur Alptraumfigur und man glaubte, man könne ihr auch in der echten Welt begegnen. Ausgehend vom Schwarzen Mann haben sich in der Filmgeschichte eine kleine Schar von Alptraumfiguren entwickelt, die über eine solche “Unschärfe” verfügten, um den Konsumenten auch nach Hause in den Traum zu begleiten. Doch noch etwas war wichtig für die Wirkung.

 

Ein Alptraum war immer irrational oder surreal. Im Fall von DAS CABINET DES DR. CALIGARI war es das Szenenbild, welches stilistisch oft als “expressionistischer Alptraum” bezeichnet wurde. Schräge Bauten und absurde Persepktiven, Licht und Schatten, unnatürliche Blickwinkel – der Film visualisierte hervorragend eine typische Alptraumlandschaft. Doch ein Alptraum war nicht nur visuell surreal, auch Handlungen und Fähigkeiten waren getrieben vom Absonderlichen.

 

 

Der personifizierte Alptraum im Film hatte viele Gesichter. Hatte sich der klassische Horrorfilm bis in die späten 70er Jahre hinein stark aus der Literatur und Mythologie bedient, traten Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre die ersten echten Alptraumfiguren auf, die alle mehr oder weniger auf dem Kinderschreck “Schwarzer Mann” basierten und dessen Inszenierung zum Teil surreale Züge hatte. 1979 betrat der “Tall Man” aus der Reihe PHANTASM die Leinwand und folgte den Zuschauern in ihre Träume.

 

 

Der “Tall Man”, gespielt von Angus Scrimm, war eine klassische Alptraumfigur. Sie kam aus dem Nichts, niemand hatte sie vorher je gesehen, aber man spürte, sie war immer da und beobachtete uns, während wir schliefen. Regisseur Don Coscarelli inszenierte die Geschichte um den “Tall Man” als wahre Phantasmagorie, man war nie sicher ob man träumte oder wachte. Der “Tall Man” war unsterblich, auch das war ein wichtiger Bestandteil für eine funktionierende Alptraumlegende, sie musste sich ein wenig vom Film abkoppeln und auch in der Realität präsent sein.

 

The Tall Man (Angus Scrimm) aus PHANTASM (1980)

Der Boogeyman aus BOOGEYMAN 2 (2007)

 

1980, ein Jahr nach PHANTASM, erschien Ulli Lommels THE BOOGEY MAN und er visualisierte das, wovor sich Kinder seit Jahrzehnten fürchteten – die dunkle Gestalt, die Nachts im Kinderzimmer erschien, aus dem Schrank oder unter dem Bett hervorkroch oder in der dunklen Ecke lauerte. Der Boogeyman war das angelsächsische Pendant zum Schwarzen Mann, auch wenn beide unterschiedliche mythologische Wurzeln hatten. Obwohl THE BOOGEY MAN zwei Fortsetzungen nach sich zog und ab 2005 auch ein Remake und zwei Sequels, gilt THE BOOGEY MAN nicht als Aushängeschild für wirkungsvollen Alptraumhorror.

 

 

Die Grenze zwischen Alptraum und Wirklichkeit

 

Besser machte das 1992 der Film CANDYMAN nach einer Kurzgeschichte von Clive Barker. Der Candyman war eine teuflisch gut erdachte Alptraumgestalt mit allem, was dazu gehört. Er hatte eine schauderliche Vorgeschichte, die gut als Alptraumfolklore durchging. Der Candyman war der Sohn eines schwarzen Sklaven, der sich in ein weißes Mädchen verliebte und deshalb grausam hingerichtet wurde. Seine Hand wurde abgetrennt, er wurde mit Honig übergossen und von hunderten Bienen zu Tode gestochen. Doch kehrte der Ermordete in die Welt der Lebenden zurück, wenn man vor einem Spiegel fünfmal seinen Namen sagte.

 

 

Der Candyman (Tony Todd) aus CANDYMAN (1992)

 

 

Dass eine solche Figur wie der Candyman über den Film hinaus funktionierte, belegte das Gefühl, wenn man sich selbst vor den Spiegel stellte und seinen Namen raunte. Viele trauten sich nicht, ihn ein fünftes Mal auszusprechen. Eine Alptraumgestalt muss nicht immer eine Vorgeschichte haben, aber es unterstützt die Wirkung der Figur immens. Eine alte Legende, vor der sich schon die Kinder im Mittelalter fürchteten, hatte einfach mehr Potential. Wahr ist aber auch, dass eine solche Figur ob der Prägung in unserer Kindheit funktionierte. Wenn uns vorm Schlafengehen vom Schwarzen Mann erzählt wurde, der die Kinder fängt, die nicht artig waren, dann bereitete das dem späteren Horrorfilmfan den Nährboden, auf dem auch der Candyman wandelte.

 

 

Wenn Alpträume zum Leben erwachen

 

 

Nur wenige Figuren hatten dieses Potential, bei vielen Horrorfilmen konnte man beruhigt sein, dass sie nur der Phantasie des Autors oder Regisseurs entstammten. Aber ging es um mythologische Schreckgestalten, verwischte die Grenze zwischen Alptraum und Wirklichkeit. Eine Solche Figur war auch die eigentlich gutmütige Zahnfee, die Kindern Geld für herausgefallene Zähne unter das kuschlige Kopfkissen legte.

 

Die Tooth Fairy aber tauchte in Horrorfilmen nur selten auf, doch ist sie eine extrem wirkungsvolle Alptraumfigur. Wie bei anderen Alben oder Traumgestalten bezieht sie ihre Macht aus der Angst. Taucht sie auf, muss man ihre Anwesenheit überstehen, in dem man keinen Mux von sich gibt.

 

Man darf sie nicht anschauen oder sich in ihrem Blick verfangen. Eins der bekanntesten Alptraummotive ist jenes, in dem man die Anwesenheit einer Alptraumfigur neben sich am Bett spürt, die einem beobachtet und vor der man solange sicher ist, wenn man sich nicht rührt. Wenn auch die wenigen Filme um die Zahnfee recht trashig daherkommen, dieses Bild funktioniert dennoch und kann einen in den Schlaf folgen. Am besten gelingt das dem Film DER FLUCH VON DARKNESS FALLS aus dem Jahr 2003.

 

 

Die Zahnfee aus DER FLUCH VON DARKNESS FALLS (2003)

 

 

Trotz einer Schwemme von Horrorfilmen gibt es nur wenige funktionierende Alptraumgestalten neueren Datums. Zu ihnen gehört in jedem Fall der BABADOOK aus dem Jahr 2014 von Jennifer Kent. Jener Verwandte des Boogeyman entstammt einem Kinderbuch und nistet sich nach dessen Lektüre im Kinderzimmer des kleinen Samuel ein und wird zur Tortur für ihn und seine Mutter Amelia.

 

Was den Film THE BABADOOK so wirkungsvoll macht, ist seine Verortung zwischen Realität und Fiktion, zwischen Wachzustand und Alptraum. Er ist wie viele andere Alptraumkreaturen nicht zu stark festgelegt, seine Macht entspringt dem Ungewissen. Der Babadook entspricht noch am ehesten dem berühmten Schwarzen Mann als Kinderschreck und auch die Inszenierung zwischen echter Bedrohung und Psychospiel ist eine clevere Metapher für die Wirkung eines Alptraums.

 

Der BABADOOK  (2014)

Slender Man von Eric Knudsen

 

Das jüngste Phänomen in Sachen Alptraumgestalten hört auf den Namen SLENDERMAN und er entstammt keiner alten “Gute-Nacht-Geschichte”, sondern ist eine moderne Internetlegende. 2009 veröffentlichte ein gewisser Eric Knudsen Bilder einer dünnen, hünenhaften Gestalt namens Slender Man und begründete damit eine Art Hype. Andere User nahmen diese Figur auf und fütterten sie mit erdachten Vorgeschichten und Hintergründen. So erwachte der Slender Man auch in den Träumen zum Leben.

 

Das besondere am Slender Man ist seine Inaktivität. Im Gegensatz zu Jason und Co. wendet der Slender Man keine Gewalt gegenüber dem Menschen an, er steht nur in seiner Form und Physe für Angst und Schrecken und damit in guter Gesellschaft zur Zahnfee und dem Boogeyman. Mal fürchtete man sich vor ihnen beim Einschlafen, mal tauchten sie in Alpträumen auf.

 

 

Alptraumprävention – der Blick unter das Bett in BABADOOK

 

 

Bedrohlich waren diese Wesen meist nur, weil sie Schrecken generierten, ohne selbst wirklich handgreiflich zu werden. In der Geschichte der Alptraumgestalten aber gab es eine Figur, dessen Anwesenheit in Alpträumen tödliche Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Diese Figur wurde zum Symbol des Alptraums schlechthin und der König aller Horrorikonen.

 

 

Don’t Fall Asleep

 

1984 entwickelte der junge Regisseur Wes Craven einen Horrorstoff direkt aus seinen Alpträumen heraus. Im Mittelpunkt stand auch hier eine mythologisierte Figur mit Unschärfen und einer einzigartigen Ikonographie. Verbrannte Haut, ein rot-grüner Pullover, ein zerschlissener Schlapphut und ein klingenbesetzter Handschuh. Sein Name: Frederik Charles Krueger, Spitzname Freddy.

 

 

Robert Englund als FREDDY KRUEGER

 

 

A NIGHTMARE ON ELM STREET wurde zu einem filmischen Filtrat eines Alptraums und gleichzeitig ein großer Erfolg, der eine ganze Franchise nach sich zog. Freddy Krueger, einst ein Kinderschänder und Mörder, der aufgrund eines Verfahrensfehlers wieder freikam, wurde von den Eltern der ermordeten Kinder selbst zur Strecke gebracht. Doch er kam zurück und suchte die Nachkommen jener Menschen in ihren Alpträumen auf. Der Clou dabei: ermordet dich Freddy Krueger im Schlaf, so stirbst du auch in Wirklichkeit.

 

Es war nicht nur die ikonische Figur des Freddy Krueger, die A NIGHTMARE ON ELM STREET und seine Fortsetzungen so wirkungsvoll machten. Wes Craven visualisierte etliche Alptraumsituationen wie die unmögliche Flucht, weil die Füße im Boden versanken, das Erwachen im größten Moment des Schrecks oder Schmerzes und die generelle Surrealität des Szenarios. Kein anderer Horrorfilm ließ die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit so verschwimmen wie die A NIGHTMARE ON ELM STREET.

 

 

A NIGHTMARE ON ELM STREET (1984) von Wes Craven ist ein Filtrat vieler Alptraumszenarien

 

NIGHTMARE ON ELM STREET war clever geschrieben und inszeniert, denn die Kids der Elm Street unterlagen der Schreckensfigur auch durch ihre einzelnen Schwächen, was wiederum der Physiologie des Alptraums entsprach, der Überwindung der eigenen Defizite und Psychosen, die wir im Traum verarbeiten. Gleichzeitig öffnet Craven den Figuren im Traum auch ihre Stärken und geheimen Fähigkeiten, um sich Freddy zu stellen. Doch wie das bei einer echten Alptraumfigur so ist, ist war nicht totzukriegen und taucht immer wieder auf.

 

Freddy Krueger wurde zum König aller Alptraumgestalten, anfangs noch beinahe stumm und bedrohlich, doch von Fortsetzung zu Fortsetzung entwickelte er auch einen sarkastischen und zynischen Humor, was seine Beliebtheit enorm steigerte. Als Filmreihe leistete sich die NIGHTMARE ON ELM STREET Franchise kaum qualitative Ausrutscher im Vergleich zu HALLOWEEN oder FREITAG, DER 13.. Sie wurde von Teil zu Teil skurriler und wahnwitziger.

 

 

A NIGHTMARE ON ELM STREET 2 – FREDDYS REVENGE verlässt ein wenig den Pfad des Traums und wirkt deshalb nicht ganz so bedrohlich und willkürlich, doch bereits Teil 3 DREAM WARRIOR besann sich wieder auf das Originalrezept, kreative Schlupflöcher in einen Alptraum zu finden und bestenfalls auch wieder hinaus. Im Fandom gelten die Teile 3 und 4 als die gelungensten, Teil 5 DAS TRAUMA ist möglicherweise der düsterste und surrealste Teil der Reihe, die mit Teil 6 FREDDYS FINALE 1991 ihren Abschluss fand. 1994 kehrte Wes Craven mit FREDDYS NEW NIGHTMARE zurück in den Regiestuhl und inszenierte eine clevere Film-im-Film-Geschichte, in der Freddy Krueger während der Dreharbeiten zu einem neuen NIGHTMARE Film zum Leben erwachte.

 

 

Spaßig und trotzdem bedrohlich: Freddy Krueger wird zum Alptraumsymbol für Generationen von Kids

 

 

Nach einer Fernsehserie und dem Crossover FREDDY VS JASON erschien 2010 das Remake A NIGHTMARE ON ELM STREET mit Jackie Earle Haley als Freddy Krueger, der bereits 1984 für die Rolle vorsprach. Auch andere Stars hatten in NIGHTMARE ON ELM STREET Filmen ihren ersten Auftritt, darunter Johnny Depp, Patricia Arquette oder Laurence Fishburne.

 

 

Jackie Earle Haley im Remake A NIGHTMARE ON ELM STREET (2010)

 

 

Der größte Star allerdings war Robert Englund in der Rolle des Freddy Krueger, der seinerzeit ganze Kinderscharen mit Alpträumen ärgerte. Eins, Zwei, Freddy kommt vorbei – trotz manch flappsigem Spruch war Krueger angsteinflößend und ein Garant für Alpträume. Dem Remake von 2010 war kein großer finanzieller und künstlerischer Erfolg beschieden und Robert Englund hat Freddys Hut für alle Zeit an den Nagel gehängt, so ist es fraglich, ob die alte Legende noch einmal zum großen Alptraumeinsatz kommt. Zum Glück sind die alten Filme immer noch wirkungsvoll und haben nichts von ihrem Schrecken verloren.

 

 

Oneirophobie

 

Lediglich eine Figur kann Freddy Krueger in Sachen Alptraumpotential noch das Wasser reichen und diese entstammt einer gar schaurigen Phobie des Menschen – der Clown. Der Clown bezieht seinen Schrecken aus seiner Maskerade, hinter der man seine Absichten nicht erkennen kann. Clowns verhalten sich irrational, man kann ihre Gesichtszüge nicht erkennen und somit auch nicht eine eventuelle Gefahr. Sein Lachen ist aufgemalt, seine Kleidung schrill und ihre Gebärden oft doppeldeutig. Im Film hielt der Horrorclown ab den 80er Jahren Einzug in die Alptraumfabrik.

 

 

Der König der Clowns entstammt Stephen Kings Bestseller ES und Pennywise raubte Kindern wie Erwachsenen in Buch und Fernsehfilm den Schlaf. Clowns waren schon immer wahren Alptraumgaranten. Der Joker aus den Batman Comics oder der reale Serienkiller John Wayne Gacy, der sich als Clown verkleidete, schürten die Urängste vor der Maskerade. Ein Clown braucht gar keine übertriebenen Schauergebärden, nichts ist gruseliger als ein stummer Spaßmacher ohne jede Regung.

 

Noch vor dem gelungenen Remake von ES kam es in der realen Welt zu alptraumhaften Begegnungen mit Clowns, die in einer Art Hysterie gipfelten. Durch das Internet verbreitete sich dieses Phänomen und fand unzählige Nachahmer. So blieb der Horrorclown auch in der Popkultur und im Film präsent, wie in der Serie AMERICAN HORROR STORY oder ES aus dem Jahr 2017.

 

 

Der stumme Twisty aus AMERICAN HORROR STORY: FREAK SHOW

 

 

Zwischen personifizierten Alptraumgestalten und allgemeinen Schreckensszenarien gab es filmisch noch einen Hybriden, der als sogenannter medical horror bekannt wurde. Ein schierer Alptraum ist es, einem Arzt oder einer ärztlichen Behandlung schutzlos ausgeliefert zu sein. Ärzte oder Mediziner selbst konnten zu Alptraumfiguren werden, wie in DR. GIGGLES oder THE DENTIST. Mehr war es aber die Behandlung, welche auf einem Alptraummotiv beruhte – starr vor Angst zu sein, sich nicht bewegen zu können und schutzlos ausgelifert zu sein.

 

In Filmen wie AWAKE oder AFTER LIFE wird dieses Szenario extrem nachfühlbar. Während einer Herzoperation unter Vollnarkose kommt es in AWAKE zu einem angsteinflößenden Zufall: der Patient ist während des Eingriffs bei Bewusstsein, kann sich aber nicht rühren oder anderweitig auf sich aufmerksam machen. In AFTER LIFE ist es der Zustand des bewussten Scheintodes, den man auch aus der Voodooreligion kennt. Beide Filmbeispiele gehen zwar nicht unbedingt subtil mit diesem Alptraummotiv um, dennoch ist allein der Gedanke daran ein Alptraum.

 

 

JACOB’S LADDER (1990) von Adrian Lyne

 

 

Auch FLATLINERS und vor allem JACOBS LADDER sind Beispiele für medizinische Alpträume, in denen man sich in der Realität niemals wiederfinden möchte. Auch wenn ein Arzt oder Pathologe für diese medizinischen Alptraumszenarien verantwortlich scheinen, ist es mehr der Umstand der Hilflosigkeit selbst, welches Alpträume resultieren lässt. Noch unangenehmer wird es, wenn man den Gedanken der Bewegungslosigkeit und Starre bis ins Grab hinein weiterdenkt.

 

Eins der schauderlichsten Alptraumbilder ist der Gedanke, lebendig begraben zu werden. Im Horrorfilm wurde dieses Motiv häufig aufgegriffen, es gibt sogar eine Handvoll Filme, die sich ausschließlich mit diesem wahr gewordenen Alptraumgedankenspiel der Taphephobie auseinandersetzen. So auch der Klassiker LEBENDIG BEGRABEN von Roger Corman aus dem Jahr 1962 nach einer Geschichte von Edgar Allen Poe.

 

Dem Alptraumszenario liegt aber auch die Urangst Klaustrophobie zu Grunde, die Angst vor Enge und geschlossenen Räumen. Jenes beklemmende Gefühl kann man bereits in engen Fahrstühlen oder vollbesetzen U-Bahnen ausmachen, was aber, wenn man in einem Sarg eingesperrt 5 Meter unter dem Erdboden liegt?

 

Obgleich dieses Motiv für einen Alptraum geradezu prädestiniert ist, kann man den Anblick einer lebendig begrabenen Figur schon beim Zuschauen kaum ertragen. Für einen Horrorfilm ist das Goldes wert, der Raum und die (Lebens)zeit ist begrenzt, die resultierende Spannung dafür maximal. Filme wie BURIED ALIVE von Frank Darabont oder BURIED mit Ryan Reynolds holen dabei mit wenigen Mitteln ein Maximum an Beklemmung und Unwohlsein heraus, was einen bis in den Alptraum hinein begleiten kann.

 

 

BURIED (2010)

 

 

 

Bad Dreams (Are Made Of This)

 

Horrorfilme gibt es wie Sand am Meer an nur die wenigsten taugen als echte Alptraumlieferanten. Dafür müssen wenige wichtige Regeln eingehalten werden. Eine personifizierte Alptraumgestalt ist unscharf formuliert und hat immer eine allgemeine Mythologie im Gepäck. Die Inszenierung ist irrational bis surreal, der Schrecken wird für allgemeingültig erklärt. Alptraumszenarien entspringen auf Phobien und Urängsten, wenn auch diese nicht einen Film gänzlich tragen können, so entfalten sie doch auch szenisch den gewünschten Effekt – die Beklemmung und Angst lässt einen auch nach dem Filmgenuss nicht mehr los.

 

 

Kreative Alptraumwelten in DREAMSCAPE (1984)

 

 

Man muss selbst keine Geschichten über Alpträume erzählen wie in DREAMSCAPE oder BEFORE I WAKE, für einen Alptraum reicht ein Bild, welches sich in die Netzhaut brennt. Als Kinder hatten wir nicht nur der Horrorfilme wegen Alpträume, auch andere filmische Szenarien, die surreal und unwirklich daherkamen, konnten einen in den Traum verfolgen, wie der Gmork aus der UNENDLICHEN GESCHICHTE, manch Muppet Puppe oder sogar die Teletubbies.

 

 

Dennoch gelang es nur wenigen Horrorfilmen, wirkungsvolle Vorlagen für Alpträume zu sein. Die Filme von David Lynch gehören zweifelsohne dazu, neuere Alptraumbringer sind Filme wie CALVAIRE, UNDER THE SKIN, DREAD oder IT FOLLOWS, für 2018 steht zudem der SLENDERMAN in den Startlöchern. Horrorfilmalpträume brauchen kein großes Effektfeuerwerk oder eine rasante Inszenierung, Alptraumbilder resultieren oft aus geradezu simpler Konstruktion. Das filmisch zu treffen, scheint leicht und schwierig zugleich. Ein Alptraum kann die Vorlage für einen Horrorfilm sein, aber nicht jeder nimmt ein Alptraumszenario gleich wahr.

 

 

Schockierende Alptraumbilder in IT FOLLOWS (2015)

 

 

Doch solange sich Kinder noch vor dem Monster unterm Bett oder im Schrank, vor der Zahnfee oder dem Schwarzen Mann fürchten, wird es auch Alptraumfilme geben, die das beklemmende Gefühl bis ins hohe Alter hinein aufrecht erhalten. Manche klammern sich an einen Teddybär, andere wollen durch Horrorfilme in ihrer Angst herausgefordert werden. Denn trotz der Unannehmlichkeiten eines Alptraums ist das Spiel mit der Angst auch immer ein Ausloten der inneren Befindlichkeit und ein Schlüssel zu unserer Psyche. So kann der Horrorfilm auch zur Therapie werden und man kann lernen, wie man sich im Traum gegen die Alben behaupten kann. Es sei denn, der Alb trägt einen Schlapphut und einen rot-grünen Wollpullover. Angenehme Alpträume!

 

 

_________________________________________________________________________________________________________________________________________

 

In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

Lesen Sie in der nächsten Folge:

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de