Die kleine Genrefibel Teil 63: Bombe geht hoch

“Ton?” “Läuft.” “Kamera?” “Läuft.” “Vier-Zwei, die Erste” Klapp. “Und…Action!” Auch für jene welche, die nie mit eigenen Augen hinter die Kulissen eines Filmdrehs blicken durften, sind diese Worte wohl bekannt. Sobald ein Regisseur laut “Action” ruft, erwachen das konstruierte Set und die Schauspieler zum Leben und das Spektakel beginnt. Ein Film ohne “Action!” – schwer vorstellbar. Aber darüber hinaus, was bedeutet Action, was ist am Ende der Dreharbeiten ein Actionfilm und was nicht? Von allen Genrebegriffen wird der Terminus “Actionfilm” am wenigsten hinterfragt, Action ist, wenn Action stattfindet. Aber ganz so einfach ist es nicht.

 

Denn der Actionfilm ist eher ein unspezifisches Genre. Action bedeutet Handlung oder Bewegung, jemand tritt in Aktion, vollführt eine solche oder regelt die Dinge mit physischer Kraft. Doch ein Actionfilm besteht nicht zu 100% aus Action. Leichter verständlich ist die Actionszene, denn diese wird vor allem durch physische Aktion bestimmt. Mehren sich in einem Film diese Elemente, also Actionszenen, so spricht man für gewöhnlich von einem Actionfilm. Aber Action ist nicht allein dem Actionfilm vorbehalten und erst recht nicht eine isolierte Situation. Von Action werden Figuren, Story und Dramaturgie bestimmt.

 

 

Aufwändige, explosive Action im Film DER CLOWN – PAYDAY (2005) von Sebastian Vigg (action concept)

 

 

Das Gegenteil dessen ist die intellektuelle Auseinandersetzung als Konfliktlösung. Eine Figur kann das auch auf verbalem Wege lösen, ein Problem totquatschen oder eine analytische Lösung finden. Während dieser Ansatz eher rationellem Ursprungs ist, wirkt die Actionszene vor allem emotional. Der Zuschauer nimmt Actionszenen als spannend war, aufwühlend, nervenzerrend und schweißtreibend. Action bedeutet in erster Linie Emotion. Doch Actionszenen wirken auch über die ästhetische Wahrnehmung, über Choreographie und visuellem Pomp.

 

 

How to Make an Action Movie

 

Man kann den Actionfilm aus dramaturgischer Sicht gut über die Figuren deklarieren, über den Actionhelden, den Antihelden, den Antagonisten und deren Zielen. Eine Actionszene funktioniert auch nie ohne diese Verankerungen mit Figuren und Story. Die Emotionalität geht von Figur und Geschichte aus und findet ihre Erfüllung in der Actionszene. Ein gesprengter Schornstein ist noch nicht spannend, wohl aber dann, wenn der Held vorher noch ein Kaninchen aus der Gefahrenzone retten muss, welches er liebt. Wir fiebern mit dem Helden mit und in einer Actionszene umso mehr. Wenn auch Action in allerlei Formen daherkommen kann, für den umgangssprachlichen Actionfilm haben sich nur wenige Elemente etabliert, die für diesen Genrebegriff prägend sind.

 

 

Die wichtigsten Elemente des Actionfilms: Schießereien, Schlägereien, Verfolgungsjadgen und Explosionen

 

 

Action gab es im Film von Anfang an. Der körperliche Slapstick in Stummfilmen von Buster Keaton beispielsweise sind typische Actionszenen, auch bildeten sich früh Actionsymboliken heraus wie das herunterfallende Klavier oder der Amboss. Bis heute bestimmen vorrangig diese Elemente den Actionfilm: Körperliche Auseinandersetzungen wie Schlägereien, Schießereien, Stunts, Verfolgungsjagden und Explosionen. Hinzu kommen Eindringen und Flucht in und aus einem Szenario und das Überleben einer physischen Gefahr, egal ob durch den Mensch oder die Natur hervorgerufen.

 

Sämtliche Elemente des Actionfilms funktionieren über die Bindung mit der Figur und dem Verständnis der Aktion für die Kanalisierung der Geschichte. Man ist auf der Seite des Actionhelden, der den Widersacher verfolgt und bangt mit ihm, die Verfolgungsjagd zu überleben und bestenfalls dem Widerling habhaft zu werden. Eine reine Actionszene ohne diese dramaturgischen Verankerungen würde nicht spannend sein und schwer funktionieren.

 

Jedes Element des Actionsfilms ist, bestenfalls, dramaturgisch so unterfüttert, dass es emotional wirken kann. Das eine mehr, das andere weniger. Wir wollen uns heute auf zwei dieser Elemente des Actionfilms konzentrieren, welchen das größte dramatische Potential inneliegt – die Bombe und die Explosion. Körperliche Auseinandersetzungen in Action hatten wir bereits in der kleinen Genrefibel Teil 42: Bloodsport besprochen, ebenso Cop Movies, Superhelden, Spionagethriller und Action auf Hoher See. Doch sind wir ehrlich, in einem richtigen Actionfilm muss es auch krachen, zischen, rumsen und explodieren, dass der Putz von der Decke fällt oder schlimmeres. And here we go!

 

 

Frühzünder

 

Was war wohl zuerst da, die Bombe oder die Explosion? Die Geschichte des Actionfilms wird maßgeblich dadurch bestimmt, wie imposant Dinge in die Luft gejagt wurden. Dazu bedurfte es erstmal keiner Bomben, Explosionen mit Feuer und Rauch waren auch so allgegenwärtig. Vor dem Farbfilm allerdings konnten die ihr visuelles Potential kaum entfalten, wenn auch schon seit Beginn des Films mit Qualm und Zunder experimentiert wurde. Wie in allen Genrebetrachtungen war auch hier Georges Méliès ein Pionier der Spezialeffektgestaltung, bis sich das eigenständige Gewerk des Filmpyrotechnikers entwickelte.

 

Pyrotechnik war für den Film ein wahres Wunderwerk, denn der Film wurde seit seiner Erfindung vor allem über Schauwerte wahrgenommen. Film war anfangs eine Art Jahrmarktsspektakel, dort bestaunte man Feuerspucker und Tiger, die durch brennende Reifen sprangen und das Publikum erstarrte. Der Film bot nun Möglichkeiten, weitaus spektakulärere Aktion zu visualisieren, weil Film eine Konserve war, keine Liveshow. Film war Illusion, das Ergebnis auf der Leinwand aber spektakulär. Der erste Film mit einer “Autoexplosion” stammt aus dem Jahr 1900 und hieß EXPLOSION OF A MOTOR CAR. Gleichzeitig etablierte dieser Kurzfilm auch den “comic action effect”, eine überhöhte, unrealistische Form jener Action, die nicht auf den Gesetzen der Physik beruht.

 

Das erste explodierende Auto der Filmgeschichte,…

…welches per Stoptrick vorerst nur in Rauch aufging (EXPLOSION OF A MOTOR CAR, 1900)

 

In EXPLOSION OF A MOTOR CAR wurde per Stoptrick ein Auto in die Luft gejagt und es dauerte eine ganze Weile, bis die Einzelteile wieder auf der Erde landeten – ganz und gar unrealistisch, aber unterhaltsam. Wenn der Film in seiner Geschichte auch immer wieder versuchte, realistischer zu werden, comic action blieb comic action. Auch heute noch springen die Figuren munter vor einem explodierenden Haus in Sicherheit, Autos fliegen bombastisch in die Lüfte und mittels eines Kühlschrankes kann man sogar eine Atombombenexplosion überleben. Das Ziel der Pyrotechnik war nie, die Realität abzubilden, sondern die Szenerie möglichst spektakulär aussehen zu lassen.

 

Im ersten Film überhaupt, LE MANOIR DU DIABLE von Georges Méliès, trat der Teufel nach einer Rauchexplosion in Erscheinung. Dann folgte das explodierende Auto, später ganze Häuser und Fabrikgebäude. Trotz der filmischen Illusion war Pyrotechnik am Set keine ungefährliche Angelegenheit. Im Gegenteil, sie verlangte Profis alles ab in Vorbereitung und Ausführung, denn immerhin ging es um die Unversehrtheit der Crew und der Schauspieler. Doch die Sache hatte noch einen anderen Haken.

 

 

Fulminante Explosionen in MAD MAX FURY ROAD (2015) von George Miller

 

Imposante Explosionen konnte man selten mehrfach wiederholen. Manchmal hatte man dafür nur einen Versuch. Um diesen Malus auszugleichen, wurden schon früh Explosionen von mehreren Kameras gefilmt, was dann im Schnitt auch mehr Möglichkeiten bot, das Aufgezeichnete bombastisch von allen Seiten zusammenzufügen.

 

Timing war das Ein und Alles und Pyrotechnik am Set eine logistische Herausforderung. Wichtig war auch, die Actionszene nicht zu isolieren. Neben der eigentliche Explosion mussten Stunts, Kamera und Schauspielaction perfekt choreographiert sein. Man kann an frühen Beispielen erkennen, wie so etwas nicht funktionieren kann, vor allem, wenn Archivmaterial für Actionszenen beigefügt wurde. Man sah die Hauptfigur vor einer Bank, dann schnitt man auf ein explodierendes Modell oder ein Archivbild, aber eine organische Actionszene ergab das nicht. Die Kunst bestand darin, den Spezialeffekt möglichst direkt in die Szenerie zu integrieren.

 

 

Detonationsfaszination

 

War die Explosion am Anfang ein visuelles Gimmick, bildeten sich über die Jahrzehnte Genres und Subgenres heraus, die gezielt nach dem Einsatz von Pyrotechnik verlangten. Der umgangssprachliche Actionfilm entstand ab den sechziger Jahren aus dem Polizeifilm heraus, der mehr und mehr mit Actionszenen angereichert wurde.

 

Diese wiederrum entstammten aus dem Comic, der seit den 20er und 30er Jahren populär wurde und dessen “comic action” für den Film adaptiert wurde. Dass es bei Verfolgungsjagden der Polizei nach Verbrechern oft knallte und krachte, lag auf der Hand. Doch auch der Kriegsfilm bot Möglichkeiten, offensiv und glaubwürdig Pyrotechnik zum Einsatz zu bringen.

 

 

APOCALYPSE NOW (1979)

 

 

Die spektakulärsten Explosionen boten in den siebziger Jahren Filme wie APOCALYPSE NOW oder ZABRISKIE POINT. Neben dem rauem Charme der 70er Cop Thriller wie DIRTY HARRY wurden Explosionen aber nicht nur als Stilmittel inszeniert, sondern häufig auch als dramaturgischer Klimax. In DER WEIßE HAI löste man das Problem mit dem Knorpelfisch per Gasflaschenexplosion und in STAR WARS durfte der Todesstern am Ende durch eine verhängnisvolle Kettenreaktion martialisch im All explodieren.

 

Echte Explosionen in SPECTRE (2015)…

…und CGI Krawall in AVENGERS (2012)

 

Woher kam diese Faszination der Detonation? Zweifelsfrei kann man sagen, dass eine Explosion einen ungemein ästhetischen Charakter hat. Gleichsam ist es ein dramatisches Schauspiel physikalischer Kräfte, denen man ohnehin nur mit großem Abstand beiwohnen kann. Am sichersten ist wohl der Kinosessel, wenn Feuersäulen gen Himmel steigen und Metall, Stein und Schutt durch die Luft wirbeln. Zudem gibt es ein Zusammenspiel mit der Architektur, die noch vor explodierenden Autos eine Faszination verströmen. Ein Hochhaus, über Jahre von Menschenhand erbaut, wird binnen weniger Sekunden zu einem Berg von Schutt. Bis zum 11. September 2001 war so etwas DAS Actionhighlight schlechthin im Film, dann aber holte die Realität den Film ein.

 

 

Dennoch wird der Actionfilm auch heute noch wegen explosiven Krawalls geliebt. Die 80er und 90er Jahre waren die Hochzeit des puristischen Actionfilms, bevor sich die Subgenres kreuzten und Superhelden das Actionzepter übernahmen. Die neuen jungen Wilden der siebziger Jahre waren allesamt auch Technikfreaks. James Cameron, oder Richard Donner rückten die visuelle Stimulans in den Vordergrund und ließen es so richtig krachen. Zwar wurde auch viel mit Miniaturbauten gearbeitet, aber die Königsdisziplin eines jeden Actionregisseurs war es, etwas Echtes in die Luft zu jagen.

 

Wann immer ein Gebäude per Sprengung dem Erdboden gleichgemacht wurde, war auch ein Filmteam in Reichweite, um spektakuläre Aufnahmen zu machen und sie für den eigenen Film zu verwenden wie das Landmark Hotel in MARS ATTACKS, welches eine echte Explosion darstellt, keinen Spezialeffekt. Je gewaltiger die Explosion, desto größer der Schauwert, aber gleichzeitig auch unglaubwürdiger das Drumherum. Spricht man von comic action, ist damit nicht nur physikalische Unkorrektheit gemeint. Auch alles andere gehört ins Reich der Phantasie. Bei Verfolgungsjagden gibt es selten unbeteiligte Verletzte oder Tote, vor Explosionen schützen Bürotische oder Trockenbauwände, Kugeln treffen ohnehin nie die Guten. Und wie oft wurde vor einer brachialen Explosion seelenruhig in Richtung Kamera gelaufen?

 

Cool: Banderas und Hayek in DESPERADO (1995)

Nicht Cool: Jackman in WOLVERINE (2009)

 

Nach Archivmaterial, Miniaturexplosionen und echten Sprengungen wurde ab Mitte der 90er Jahre auch CGI als Pyroersatz verwandt, nicht immer war das glaubhaft und überzeugend. Es war vor allem eine Frage der Kosten und Risiken. Nur wenige Regisseure waren physisch und psychisch so belastbar, um echte explosive Action am Set zu inszenieren. Ein Filmemacher gehört in dieser Rubrik zur Speerspitze, wenngleich er oft und zum Teil auch zu Recht für seine Inszenierungen kritisiert wird – Michael Bay. Aber geht es um handgemachte Action, fulminante Stunts und explosiven Overkill, kann kaum ein anderer dem 1965 geborenen kalifornischen Werbefilmer das Wasser reichen.

 

Michael Bays Spielfilmdebüt BAD BOYS aus dem Jahr 1995 legte den Grundstein für seine Actionkarriere und er setze diese mit THE ROCK, ARMAGEDDON, PEARL HARBOR und TRANFORMERS fulminant fort. Man kann sich an der heroischen und patriotischen Überinszenierung durch Zeitlupen und Pathos reiben, aber keiner inszeniert explosive Action wuchtiger als Michael Bay. Bay weiß, wie man mit Action Emotionen generiert und kaum jemand kann eine Actionszene glaubhafter inszenieren, dass ein Gefühl entsteht, mitten drin zu sein.

 

Explosive Action findet bis zum heutigen Tag unzählige Fans, der Actionfilm war nie tot, auch wenn sich sein Charakter vor allem nach dem 11. September gewandelt hat. So unbeschwert wie in den 90er Jahren beispielsweise THE ROCK daherkam und rezipiert wurde, ist es heute nicht mehr. Aber explosive Action bleibt zeitlos, weil sie trotz ihres brachial zerstörerischen und scheinbar anspruchslosen Charakters echte emotionale Unterhaltung garantiert.

 

 

Seit 1996 das deutsche Actionserien Aushängeschild ALARM FÜR COBRA 11 (action concept)

 

 

So begeistert seit 1996 auch die deutsche Actionserie ALARM FÜR COBRA 11 aus dem Hause action concept die Zuschauer mit aufwändigen Actionszenen. ALARM FÜR COBRA 11 zeigt aber auch, wie sich Action über einen Zeitraum totlaufen kann, wenn diese nicht dramaturgisch in Figuren und Story verankert ist und als Mittel zum Zweck verkommt. So hat eine explosive Verfolgungsjagd mit tonnenweise Autoschrott und Rauchschwaden nicht die größte dramaturgische Zugkraft. Das spannendste Actionelement in diesem Genre bleibt die Bombe.

 

 

Bombenalarm

 

Am Anfang war das Dynamit. Neben dem vom Himmel fallenden Amboss das Symbol für comic action schlechthin. Aus dem Dynamit wurde dann die typische Bombe, die es zu Zeiten des Films wohl so schon gar nicht mehr gegeben hat. Wo kam sie eigentlich her, die runde Bombe mit der Zündschnur? Diese klassische Bombe stammt aus dem alten China und hieß Kugelbombe, bestand aus einem gehärteten Körper, gefüllt mit Schwarzpulver und Stroh und hatte eine Zündschnur aus Pflanzenfasern. Zum Film gelangte die Kugelbombe auch über den Comicweg, besonders der gute, alte Batman hatte in seiner Karriere mit den zischenden Sprengkörpern zu tun, denen man einfach den Docht hätte anschneiden können. Doch wo bleibt da der Spaß?

 

 

Bombenalarm in BATMAN HÄLT DIE WELT IN ATEM (1966)

 

 

Auf dem ersten Blick ist eine Bombe nicht unbedingt von größter dramaturgischer Sprengkraft geprägt. Doch sie ist es. Ein Polizeiauto fährt in ein anderes und es macht rums, die Wagen explodieren, hoffentlich konnten die Polizisten noch schnell herausspringen, doch da endet auch schon das Spannungspotential. Bei einer Bombe ist das anders. Die Bombe ist das Werkzeug des Bösewichts. Er benutzt sie, um seinen Willen durchzusetzen, nicht nur um ein Loch in eine Wand zu sprengen, auch als Mittel der Erpressung. Auf der anderen Seite haben wir den Helden, der die Bombe unschädlich machen muss, im besten Fall vor ihrer Detonation. So wird eine Bombe auch immer zu einem Spiel gegen die Zeit.

 

Comic Action Symbol: die Kugelbombe im Stummfilm

Früher Bombenthriller von Alfred Hitchcock: SABOTAGE (1936)

 

Bereits die Kugelbombe trägt diesen Zeitfaktor in sich, ist die Lunte abgebrannt, sieht´s schlecht aus im Spechthaus. Später wurden die Filmbomben filigraner und tückischer, der Begriff Zeitbombe verdichtete die Materie noch. Aus der schlichten Bombe wurde eins der größten Filmsymbole wie Klischees. Ein digitaler Countdown, der gen Null rattert, eine Menge bunter Kabel, von denen nur eins (und zwar der Grüne…oder der Rote?) den Sprengkörper stoppt. Erst muss man die Bombe finden, dann entschärfen und beides ist ein Wettlauf gegen Zeit und Tod.

 

 

Die berühmte Zeitbombe mit Counter und verschiedenfarbigen Drähten

 

 

Für den Actionfilm gibt es kaum ein spannenderes Gimmick als die Bombe. Und die spannendsten Actionfilme sind jene, in denen eine Bombe entschärft werden muss. Die Bombe ist häufig dem Antagonisten gleichzusetzen, die Bombe ist der Feind, erst dann kommt der Bombenleger. Apropos, richtig, eine Bombe legt man. Wirft man sie, ist es eher eine Granate, fliegt sie durch die Luft, spricht man von Rakete oder Missile. Aber die klassische Bombe ist stationär, an einem bestimmten Punkt hinterlegt und sie wartet geduldig auf ihren großen Moment. Bumm.

 

 

Auf keinen Fall den grünen Draht

 

Das spannendste Element eines Actionfilms kann die Entschärfung einer Bombe sein. Doch steckt in dieser Betrachtung auch ein Widerspruch, ein Paradoxon. Der Held will die Bombe entschärfen, der Zuschauer will eigentlich auch, dass der Held das schafft, aber der Zuschauer möchte auch visuell und effektvoll betört werden und sagen wir es frei heraus, der Zuschauer will eigentlich, dass die Bombe explodiert. So muss man als Autor und Dramaturg einen Weg finden, Held und Zuschauer gleichermaßen zu befriedigen. das gelingt mal mehr, mal weniger glaubhaft.

 

Die großen Actionfilme über Bombenleger und Bombenentschärfer kamen aus den 80ern und 90ern, wo es kernige Actionhelden gab und die Pyrotechnik ihren Zenit erreichte, bevor CGI zum Zünder wurde. Solche puristischen Actionfilme werden heute kaum noch gemacht, auch weil ihr die Realität ein wenig den Spaß genommen hat. Das soll gar nicht so zynisch klingen, aber Dinge in die Luft zu jagen, war schon immer ein großer Spaß. Bevor es Mentos und Cola gab hat man das mit Wasserstoffperoxid und Hefe gemacht, dabei war man fast schon auf halbem Weg zum Bombenbauer, wenngleich man nur Glasflaschen in die Luft jagte. Es ist dieses Kribbeln, wie man es auch an Silvester kennt, wenn Feuerwerk am Himmel explodiert. Doch selbst wenn man von der Ästhetik der Explosion begeistert war, jedem war klar, welch zerstörerisches Potential dem inne lag.

 

Ein Hinweis auf die Toilettenbombe in LETHAL WEAPON 2 (1989)

Sprengstoffexperte Stallone in THE SPECIALIST (1995)

 

Die großen Action Franchise DIE HARD und LEATHAL WEAPON basieren auch auf dem Spaß an Bomben und Explosionen, stammen aber aus einer Zeit vor der Allgegenwärtigkeit von Terrorismus und Minenfeldern. John McLane, Martin Riggs und Roger Murtaugh hatten es immer wieder mit Bomben, Sprengkörpern und deren Entschärfung oder Detonation zu tun, für den Zuschauer war es ein spannendes und spaßiges Vergnügen. Zu den einprägsamsten Szenen gehört sicherlich die Toilettenbombenszene aus LETHAL WEAPON 2 und die anschließende Rettung mittels Badewanne.

 

 

Der wohl fulminanteste Bombenlegerfilm neben SPEED war BLOWN AWAY – EXPLOSIV (1994) mit Jeff und Lloyd Bridges

 

 

In der Geschichte des Actionfilms gab es immer wieder originäre und kreative Bomben, die den Protagonisten das Leben schwer machten und die aufzeigen, dass eine Bombe mehr dramaturgisches Potential hat als einfach nur hochzugehen. Schauen wir uns kurz fünf der interessantesten Bomben der Filmgeschichte an.

 

 

Wenn die Bombe tickt oder labert…

 

Im Film DIE HARD WITH A VENGEANCE aus dem Jahr 1995 gibt es gleich mehrere clevere Bomben, die von John McLane und Zeus Carver entschärft werden müssen. Dazu gehört das Galonenrätsel um zwei Behälter, die mit genau 4 Litern befüllt werden müssen, um die Bombe zu entschärfen. Doch am witzigsten wie spannendsten ist in diesem Fall die “pancake sirup bomb”, eine Apparatur aus zwei Flüssigkeitsbehältnissen, die sich nach Ablauf eines Counters explosiv mischen…denkt man, doch befindet sich nur Sirup im Gehäuse. Die echte Bombe ist ganz woanders.

 

Platz 5 für die furchteinflössende Mischbombe aus DIE HARD WITH A VENGEANCE (1995)…

…die sich allerdings als Pancake Sirup Behälter entpuppt.

 

Auf Platz 4 befindet sich die “drinking bird bomb” aus dem Film DARKMAN. Sie gilt als gutes Beispiel für Bomben mit multipler Zündung, eine Art Kettenreaktion löst die Detonation aus. Ein lustiger Spielzeugvogel, der vor und zurück wankt, löst ein Feuerzeug aus, welches neben einer Gasflasche positioniert ist. Liam Neeson ist auch nicht im Stande, diese aufzuhalten und so macht es Bumm und aus Liam Neeson wird DARKMAN. Danke, drinking bird bomb!

 

Platz 4: Die “drinking bird bomb” aus DARKMAN (1990)

Platz 3: Lebende Bomben in HYDROTOXIN (1992)

 

Eine interessante Bombenvariante gibt es im Film HYDROTOXIN (LIVE WIRE) von 1992 mit Pierce Brosnan, ein B-Movie Actioner mit cooler Prämisse. Dort sind es lebende Bomben, die Sprengstoffexperte Danny O’Neil das Leben schwer machen. Senatoren und Richter explodieren ohne Fund eines Sprengstoffes oder ähnlichem. Was sie kurz vor der eigenen Expolsion zu sich nehmen, ist ein flüssiger, geruchs- und geschmacksloser Sprengstoff, der mit Magensäure reagiert und dann Bumm macht. Da hatte der Drehbuchautor wirklich einen Bombeneinfall.

 

Platz 2 für den “exploding pen” aus GOLDENEYE, abermals muss sich Pierce Brosnan damit herumschlagen, aber letztendlich rettet der Boomstick am Ende die Szenerie. Ein gutes Beispiel auch für Planting und Payoff, der Stift wird clever von Q eingeführt und funktioniert am Ende so wie er soll. Dreimal klicken und der Kuli ist scharf.

 

Platz 2: Der “explosive pen” aus GOLDENEYE (1995)

Platz 1: Die intelligente Bombe Nr. 20 aus DARK STAR (1981)

 

Die wohl ungewöhnlichste Bombe der Filmgeschichte stammt aus DARK STAR aus dem Jahr 1981 von John Carpenter. Dort sprengt eine Raumschiffcrew instabile Planeten, doch ein Zwischenfall lässt die intelligente Bombe Nr. 20 scharfmachen. Leider geht bei dem Zwischenfall auch der Abwurfmechanismus kaputt, die Bombe tickt bereits und droht das Raumschiff samt Besatzung ins All zu pusten. So unternimmt Lt. Doolittle den Versuch, die intelligente, sprechende Bombe mittels Philosophie davon zu überzeugen, nicht hochzugehen. Die Bombe denkt darüber nach und sieht sich in einem christlich-jüdischen Dilemma gezwungen, doch zu explodieren. Welch skurriles Schauspiel.

 

 

“A bomb is made to explode.”

 

Der Film hat viele ungewöhnliche Bomben mehr oder weniger spektakulär hochgehen lassen. Das große Bombenjahrzehnt waren die 90er Jahre bis zum 11. September, ab da hatte die Filmbombe immer eine Art Geschmäckle. Der wohl beste Actionfilm in diesem Metier ist der Film SPEED von Jan DeBont aus dem Jahr 1994. Dort befindet sich die Bombe in einem Bus, sie wird scharf, wenn jener Bus mehr als 50 Meilen pro Stunde fährt und geht hoch, sollte er wieder weniger als 50 Meilen pro Stunde fahren.

 

 

Der wohl beste Actionfilm der Filmgeschichte: SPEED (1994) von Jan De Bont

 

 

SPEED zieht dramaturgisch alle Register aus dieser Prämisse, der Bus mit Bombe darf nicht stehenbleiben, die Insassen dürfen nicht evakuiert werden und die Bombe wird sogar während der Fahrt versucht zu entschärfen. Neben der Hochspannung durch Figuren, Story und Bombe kommt noch die Befriedigung der Explosion am Ende, die Insassen werden gerettet, aber der Zuschauer darf den Bus und sogar ein Flugzeug auch in die Luft fliegen sehen – gleichzeitig eine der imposantesten Explosionen der Filmgeschichte.

 

Die wohl größte Bombenexplosion der Filmgeschichte stammt aus BLOWN AWAY – EXPLOSIV mit Jeff Bridges und Tommy Lee Jones. Das gesprengte Schiff ist keine Attrappe, hier wurde richtig gezündet und gesprengt, dass in der näheren Umgebung über 8000 Fensterscheiben zu Bruch gingen. Zu seiner Zeit war das die größte Filmexplosion, die es je gegeben hat und durch den Einsatz von unterstützenden CGI wird eine solcher Megadetonation auch nicht mehr notwendig sein.

 

THE HURT LOCKER (2009) von Kathryn Bigelow

UNTER DEM SAND (2016) von Martin Zandvliet

 

Bombenaction findet vorrangig im trivialem Actionfilm statt, aber es gibt auch wenige ernsthafte Filme, die sich mit Bomben oder Bombenentschärfungen auseinandergesetzt haben. Allen voran Kathryn Bigelows THE HURT LOCKER um ein Team des “Explosive Ordnance Diposal (EOD) des US-Militärs. Bedrückend ist auch der Film UNTER DEM SAND über die Räumung und Entschärfung von 2 Millionen Landminen aus dem Zweiten Weltkrieg an der dänischen Küste, für die vor allem jugendliche Kriegsgefangene eingesetzt wurden. Beide Filme sind natürlich keine spaßigen Angelegenheiten, wenn es um Bomben und Sprengkörper geht. Im trivialen Actionfilm allerdings sind sie nach wie vor ein spannendes, unterhaltsames und vor allem visuell bombastisches Gimmick.

 

 

STEALTH (2005) von Rob Cohen

 

 

Schade dass der Actionfilm in den letzten Jahren eher den Weg der stetig steigenden Maxime gegangen ist. Superhelden kümmern heute keine Kugelbomben mehr, dort geht es meist um die Pulverisierung des gesamten Universums. Ob da auch irgendeine Zündschnur brennt? Aber ein Actionfilm ohne Feuer, Explosionen, Rauch und Trümmer, das will wohl auch kein Genrefan.

 

Leider sind die Zeiten der puristischen Actioner mit Willis, Gibson, Schwarzenegger und Co. vorbei und es gibt auch kein Wettrennen mehr um die imposanteste, echte Explosion. Da aber das große Knall und Bumm zeitlos ist und echte Explosionen im Film auch nach Dekaden noch aufsehenerregend wirken, kann man sich STIRB LANGSAM, LETHAL WEAPON oder SPEED diesbezüglich immer wieder ansehen und Freude an der explosiven Destruktion haben. Erst zischt’s, dann raucht’s und dann macht Boom, und wenn die Bombe tickt, dann ist es eine Zeitbombe. Bis dahin, einen explosiven Kinosommer.

 

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

Lesen Sie in der nächsten Folge:

 

 

 

One Comment

  1. Antworten

    […] Die Hochzeit des Rennfahrerfilms lag in den späten 60er und 70er Jahren und sie löste andere Subgenres aus. Rennfahrer im Film blieben aber bis heute beliebt, auch wenn sie seltener wurden. 1990 inszenierte Tony Scott den Film TAGE DES DONNERS mit Tom Cruise und Nicole Kidman um ein Rennen des US-amerikanischen Motorsportverbandes NASCAR. Das Thema passte perfekt zur neuen stilistischen Ausprägung der MTV-Ära mit schnellen Schnitten, das Genre schien davon extrem zu profitieren und TAGE DES DONNERS begründete auch die Ästhetik der späteren Actionfilme aus dem Hause Bruckheimer. […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de