Die kleine Genrefibel Teil 56: VideoSpielFilme

In Los Angeles ist soeben die Electronic Entertainment Expo, kurz E3, zu Ende gegangen, die größte Spielmesse der Welt. Seit 1995 zeigen dort Spielehersteller und Publisher die neusten Trends der Gamesindustrie, vor allem aber neue Spiele. Videospiele sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Zeiten, in denen Gamer als mangelernährte, unterentwickelte Nachtschattengewächse wahrgenommen wurden, sind lange vorbei. Videospiele und Konsolen sind heute ein selbstverständlicher Teil des Unterhaltungsangebotes, welche weltweit fast 100 Milliarden Dollar Umsatz generieren. Noch sind die Umsätze des Filmmarktes insgesamt höher als die der Spielebranche, aber niemand hätte solche Zahlen in den seeligen Tagen des Gameboys oder des Amiga 500 vorausgeahnt. Filme und Games, das scheint ein und dieselbe Erfolgsgeschichte zu sein. Aber Zocker und Cineasten verbinden mit der Kopplung Film und Game meist etwas ganz anderes – die schaurig-schlechte Videospielverfilmung.

 

 

SCOTT PILGRIM GEGEN DEN REST DER WELT (2010)

Auf den ersten Blick scheinen beide Medien ob ihrer Audiovisualität wunderbar miteinander zu harmonieren. Doch immer wieder scheitern Filmemacher und Studios daran, ein Spielkonzept erfolgreich in einen Film umzutopfen. Warum ist das eigentlich so schwierig? Wir wollen heute in die Wunderwelt der Videospielverfilmungen eintauchen, in eine Geschichte, die wahrlich nicht nur von Erfolgen geprägt war. Dennoch halten Filmemacher an der Vision fest, Figuren, Settings, Story und Mechanik eines Videospiels als Filmstoff zu adaptieren. Die gemeinsame Geschichte von Videospielen und Filmen ist ein ewiges Auf und Ab, ein gegenseitiges Anstacheln und Herausfordern.

 

 

Im Grunde sind Videospielverfilmungen Adaptionen, wie es auch Buch- oder Comicverfilmungen darstellen. Da ein Game ein audiovisuelles Medium ist, scheint der Weg vom Spiel zum Film auch recht nachvollziehbar. Aber eben nur fast, denn eine Komponente unterscheidet das Game doch immens vom Buch oder Comic – die Interaktivität. Ist man beim Film lediglich Beobachter, beeinflusst man Spiele aktiv, nicht selten übernimmt man selbst eine Rolle im Geschehen. Das, was in Spielen selbst leisten muss, bestimmt den Fortgang der Handlung bis zu einem Ende. Schafft man es nicht, wird man das Ende nicht erreichen. In Filmen muss man zwar auch ab und zu mitdenken, doch führt eine Verweigerung im Kino nicht zum Filmabbruch.

 

Hardplasticware

 

Bevor Spiele durch die Evolution der Technik auch von audiovisueller Seite her Geschichten überzeugend erzählen konnten, war das Spielprinzip bzw. die Spielmechanik der Kern des neuen Mediums. Ein Pong begeisterte durch die eigene Aktion, nicht durch Grafik und Sound, obgleich auch die im Jahr 1972 aufsehenerregend waren. Aber ein Spielprinzip ist schwierig für einen Film zu adaptieren. Schwierig, aber nicht unmöglich. Bevor man Videospiele als Filme adaptierte, haben sich Filmemacher bereits an Verfilmungen von Spielkonzepten versucht. Das erscheint noch ein wenig gewagter als Videospielverfilmungen, Games definierten sich ja zum Großteil durch grafische und akustische Elemente. Aber ein Spielkonzept?

 

 

Eine der ersten Spieleverfilmungen stammt aus dem Jahr 1985 – ALLE MÖRDER SIND SCHON DA hieß der Streifen von Jonathan Lynn nach einem Drehbuch von John Landis in Deutschland – im Original CLUE – THE MOVIE. Der Film basiert auf dem Brettspiel Cluedo von den Parker-Brothers.

 

Als Brettspiel müssen drei bis sechs Mitspieler einen Mord aufklären. Auch im Film CLUE gibt es die Ausgangssituation verschiedener Gäste (darunter Tim Curry und Christopher Lloyd) in einem alten Landhaus, als ein Mord passiert. Der wahre Clue dabei, man drehte vier verschiedene Enden für den Film, der Verleiher verteilte diese zufällig in die Kinos. Obwohl das Ergebnis nicht so spektakulär wie die Idee dahinter war, entwickelte sich um CLUE- THE MOVIE so etwas wie ein Kultstatus.

 

Filme nach Spielen, die ausdrücklich keine Videospiele waren, gelten als noch exotischeres Subgenre. So definieren sich solche Ableger auch eher als Spielzeugfilme. CLUE – THE MOVIE ist da fast schon eine Ausnahme, er adaptierte vor allem das Spielprinzip. Andere Filme liehen sich Welt und Figuren, die ikonisch genug waren, um auch eine noch so stupide Handlung zu füllen.

 

Die überaus beliebte Spiezeugverfilmung MASTERS OF THE UNIVERSE aus dem Jahr 1987

Den Anfang machte die Firma Mattel nach dem Erfolg von He-Man, Battlecat, She-Ra und Skeletor mit der Verfilmung dieser Figuren und imaginären Welt in MASTERS OF THE UNIVERSE. Abgesehen von Barbie Filmen wagten sich Filmemacher nach MASTERS OF THE UNIVERSE fast 20 Jahre nicht an neue Spielzeugfilme, wohl auch, weil Videospielverfilmungen zwischenzeitlich das Zepter übernahmen.

 

Erst mit dem Erfolg von TRANSFORMERS 2007 entwickelte man wieder diverse Spielzeugadaptionen. In der Tat war man da um einiges freier als bei Videospielen, denn die Vorlage war meist nur die Figur und ihre popkulturelle Hintergrundgeschichte. Die berühmten G.I. Joe Figuren von Hasbro erhielten 2009 eine Filmadaption, es folgten mehrere TRANSFORMERS Fortsetzungen, MAX STEEL, HOT WHEELS bis zu TOY STORY, TROLLS und den beliebten und knuffigen LEGO Filmen, die fast schon einen Sonderstatus einnahmen.

 

 

Sonderfall Lego: Vom Spielzeug zum Lizenzgames um berühmte Filmfiguren zum Film über berühmte Lizenzen als Spielzeugfiguren und zurück – THE LEGO BATMAN MOVIE (2017)

 

Mit Ausnahme von CLUE – THE MOVIE, der das Spielprinzip als Krimi adaptierte oder DUNGEONS & DRAGONS, welches den Geschichten des Pen&Paper Rollenspiels Form und Farbe verliehen, drehten sich Spielzeugverfilmungen in erster Linie um bekannte und beliebte Spielefiguren.

 

Bevor diese digitalisiert wurden, liehen sich Spielehersteller gern Konzepte und Figuren aus Filmen. Die ersten Games waren Lizenzprodukte großer Filmerfolge wie STAR WARS oder E.T.. Was heute für Videospielverfilmungen gilt, traf in den 80ern und 90ern vor allem die Versoftung von Filminhalten. Dem großen Namen folgte meist ein unterirdisches Spielvergnügen. Spieleumsetzungen von Filmen waren oft Schnellschüsse, berühmt ist vor allem das Spiel E.T. für den Atari 2600, dessen Misserfolg 1983 den berühmten Videospielcrash auslöste.

 

 

 

“Nach Brooklyn sieht das hier nicht aus!”

 

Ein dadaistisches Meisterwerk oder der schlechteste Film aller Zeiten? SUPER MARIO BROS. (1993)

Doch durch den Erfolg der Firmen SEGA und NINTENDO entstanden bis in die frühen 90er Jahre ikonische Videospielfiguren, ein Super Mario beispielsweise erreichte den Bekanntheitsgrad von Mickey Mouse. Grund genug für Filmproduzenten, im Jahr 1993 die erste wirkliche Videospielverfilmung in Angriff zu nehmen. Was sollte bei einer so bekannten Marke wie Super Mario schon schief gehen? Doch SUPER MARIO BROS. – DER FILM wurde zu einem Desaster.

 

Zu Recht oder zu unrecht, darüber kann man heute streiten. Einerseits scheint SUPER MARIO BROS. mit der farbenfrohen Vorlage kaum etwas gemein zu haben. Zwar ist die Besetzung treffend (Bob Hoskins und Joe Leguizamo als Mario und Luigi, Dennis Hopper als King Koopa und Samantha Mathis als Prinzessin Daisy), aber auch mit viel gutem Willen konnte man kaum eine Assoziation zu den munteren Hüpfspielen um Mario & Co. herstellen.

 

 

Das lag vor allem an der Unverfilmbarkeit des Spielprinzips. Super Mario Spiele sind größtenteils Jump n Run mit einer schlichten Story – Bösewicht entführt Prinzessin, Held muss sie retten. Was in Spielen ob der Interaktion mit der Spielfigur und der Herausforderung der eigenen Reflexe und Skills Spaß macht, langweilt in Filmen, bei denen man zum Zuschauer degradiert wird. Übrig blieben Querverweise und versteckte Gags für Insider, während sich normale Zuschauer verwundert die Augen rieben. Gleichzeitig muss man aber auch den Mut der Produzenten loben, ein solches Wagnis überhaupt angegangen zu sein. Sicher hätte man Mario ganz anders adaptieren können, so dumm waren die Macher seinerzeit nicht, es gab es bereits eine Animeserie um Mario & Co.

 

 

AMADA ANIME SERIES: SUPER MARIO BROS (1989)

Das Ergebnis SUPER MARIO BROS. aber war über die Maßen surreal und dadaistisch, mit wirklich schrägen Ideen und einer ganz eigenen Atmosphäre. Doch Eigenständigkeit ist das Letzte, was der Videospielfan will, das betraf schon immer alle Spielarten von Adaptionen. Wenn etwas nicht so ist wie die Vorlage, dann wird das vehement abgelehnt. Ob man Super Mario abseits vom Anime adäquat als Realverfilmung adaptieren kann, sei mal dahingestellt. Immerhin hat man es versucht.

 

 

 

Luigi und Daisy spielen Super Mario World in SUPER MARIO BROS.

Doch SUPER MARIO BROS. floppte gigantisch und machte es für NINTENDO bis zum heutigen Tag schwer, Filmhersteller Lizenzen zu überlassen. So gab es durchaus Versuche um NINTENDOS zweiten Vorzeigeheld Link aus THE LEGEND OF ZELDA, von dem es auch eine 13-teilige Fernsehserie gab. Einzig die beliebten und knuffigen POKÉMON erhielten in Japan seit 1998 über 20 Kinofilme, von denen drei auch in deutschen Kinos liefen.

 

 

 

 

 

 

Interessanterweise folgen hier Videospielverfilmungen dem Vorbild Comics in den Jahrzehnten zuvor. Besonders die Firma MARVEL war jahrzehntelang unzufrieden damit, was Filmemacher mit ihren Figuren und Stories so alles anstellten und nahmen den Bereich Film für ihre Produkte irgendwann selbst in die Hand. Zwischen Games und Filmen gab es mitunter heftige Grabenkämpfe seitens der Hersteller und Filmemacher. Dennoch beeinflussten sich beide Medien gegenseitig immens.

 

 

 

Erfahrungspunkte

 

Mark Hamill im Spiel WING COMMANDER 3 (1995)

Kein anderer Zweig der Unterhaltungsindustrie hat sich gegenseitig so beeinflusst wie Spiele und Filme. Zuerst bildeten Spiele ihre Filmvorbilder inhaltlich ab. Als mit der CD ein neuer Datenträger verfügbar wurde, welcher Platz für aufwändige Zwischensequenzen bot, führte das dazu, dass sich Spiele wieder Formen und Inhalte aus Filmen liehen. Für WING COMMANDER beispielweise engagierte man Filmgrößen wie Mark Hamill oder Malcom McDowell für pixelige Zwischensequenzen.

 

Dafür liehen sich die Filmstudios gern Skills für das Erschaffen künstlicher Welten. 1993, das Jahr von SUPER MARIO BROS., war auch das Jahr der Effektrevolution im Film (JURASSIC PARK). Viele Errungenschaften im Gamebereich wurden auch beim Film benutzt. Doch auch inhaltlich gibt es zwischen Spielen und Filmen Parallelen.

 

 

Spiele wurden zum Teil als Hommage an Filmklassiker erdacht, wie RESIDENT EVIL, der auf NIGHT OF THE LIVING DEAD basierte oder TOMB RAIDER, der ein Indiana Jones Verschnitt mit weiblicher Hauptfigur war. Nach dessen Erfolg wurden aus diesen Spielen wieder Filme. Doch die Intention hatte sich dadurch extrem verwässert. Andererseits stießen sich Games und Filme dadurch auch inspirativ an.

 

 

 

 

Angelina Jolie als Lara Croft in TOMB RAIDER (2001)

 

TOMB RAIDER basiert auf INDIANA JONES, mit einer überaus ikonischen Hauptfigur. Die wurde dann mit Angelina Jolie verfilmt, Filme und Spiele, beide erfolgreich, existierten so nebeneinander. Doch dann unternahm der Spielehersteller die Führungsrolle und brachte Lara Croft für das Medium Game auf eine neue Stufe in Sachen Storytelling. Erst jetzt zieht nun auch der Film nach, 2018 erscheint ein neues Kapitel der TOMB RAIDER Saga mit Alicia Vikander in der Hauptrolle. Und plötzlich ist auch Lara Croft um einiges reifer und erwachsener geworden. Das Spiel gab den Weg ihrer Entwicklung vor.

 

 

 

 

Bestbesetzung für ein filmisch unterhaltsames Stück Müll – Raul Julia und Jean-Claude Van Damme in STREET FIGHTER (1994)

 

Die größte Schwierigkeit von Videospielverfilmungen ist nicht die fehlende Interaktion. Früher lagen die Probleme vor allem dahingehend, dass in der Spieleindustrie kaum Autoren oder Dramaturgen beschäftigt waren. Als das Medium wuchs, wurde Storytelling aber immer wichtiger. Die Branche musste nachziehen, um komplexe Inhalte von Adventures und Rollenspielen für den Spieler interessant aufzuarbeiten. Heute scheint es so, als sitzen die besten Autoren im Bereich Serie und Gaming. Der Film mit seiner starren Form ist erzählerisch ins Abseits geraten.

 

 

 

Don´t be SQUARE

 

Doch es gibt noch mehr Probleme bei der Verfilmung von Videospielen. Am Anfang waren die Inhalte dünn und die Figuren eindimensional, auch in 3D Spielen. Als es dank besserer Technik möglich wurde, komplexer und visueller zu erzählen, wuchsen damit auch die Aufgaben für Spielehersteller. Nun waren die Spiele teils zu komplex, um sie in zwei Stunden Film erzählen zu können. Das beste Beispiel hierfür ist die Spielereihe FINAL FANTASY aus dem Hause Squaresoft, heute Square Enix.

 

FINAL FANTASY – THE SPIRIT WITHIN (2001)

FINAL FANTASY VII: ADVENT CHILDREN (2005)

 

Die Spiele der Reihe FINAL FANTASY sind Rollenspiele mit vielen Figuren und einer epischen Geschichte. Während Mario nur von links nach rechts hüpfte, konnten Autoren und Filmemacher hier eigentlich aus dem Vollen schöpfen, was Figuren und Stortelling angelangt. Doch darin lag auch ein Fluch, denn diese Komplexität konnten Filme niemals spiegeln.

 

 

Der Fall FINAL FANTASY ist zudem noch ein besonderer, denn es gibt in dieser Reihe nicht die Figur oder die Geschichte, FINAL FANTASY erfindet sich von Spiel zu Spiel neu, sowohl technisch, von der Spielemechanik her wie auch vom Storytelling. Das kam dem ersten FINAL FANTASY Film THE SPIRIT WITHIN aus dem Jahre 2001 eigentlich entgegen, dennoch steht auch diese Videospielverfilmung für einen extremen Misserfolg, der den Spielehersteller beinahe in den finanziellen Ruin trieb.

 

Das Problem hierbei lag nicht daran, dass der Zuschauer die Vorlage nicht erkannte, es gab keine übergreifende Geschichte oder Figuren in den Spielen. Wie auch das zeitgleich erschienene FINAL FANTASY X erzählte der Film von Hironobu Sakaguchi eine eigenständige Geschichte. THE SPIRIT WITHIN war der erste computeranimierte Film, der realistische Menschen zeigte.

 

 

KINGSLAIVE: FINAL FANTASY XV (2016)

 

Doch genau darin lag die Krux der ganzen Materie. Während Spiele durch bessere Technik immer realistischer und damit authentischer wurden, war das im Bereich Film eine Sackgasse. Einen wirklichen Mehrwert für den Zuschauer brachte es nicht, Menschen per Computer so realistisch wie möglich darzustellen. Im Gegenteil. Die neue Technik vermochte es, wundersame Fantasywelten erschaffen zu lassen, Kreaturen und Monster, die es so nicht gab. Aber Menschen? Wenn man Menschen auf der Leinwand realistisch darstellen wollte, hat man sie einfach gefilmt. Ein Film wie TOY STORY funktionierte, weil er Spielzeugfiguren Leben einhauchte. Echte Menschen aus dem Computer allerdings wirkten nicht lebendig.

 

Ob THE SPIRIT WITHIN zu verkopft, zu kryptisch oder zu intellektuell war, sei mal dahingestellt. Aber der Fokus auf eine realistische Darstellung von echten Menschen war lediglich dazu da, aufzuzeigen, was möglich ist. Nicht aber, dass es nötig ist. Für Squaresoft wurde THE SPIRIT WITHIN zu einem finanziellen Debakel, mit Kosten von 130 Mio. Dollar wurden weltweit gerade mal 85 Mio. eingespielt und erst durch DVD Verkäufe wurde daraus ein Nullsummenspiel. Auch wenn zwischen SUPER MARIO BROS. und FINAL FANTASY ein breiter Graben des Anspruches liegt, gefloppt sind beide und das machte es schwer für andere Videospielfilme.

 

DEAD SPACE AFTERMATH (2011)

Trotz der Misserfolge an den Kinokassen blieben sich Game und Film einander treu. Für den Film bedeutete ein Videospiel einen Teil des Merchandisingangebots, der Lizenzeinnahmen brachte. Ein Film nach einem Spiel konnte neue Käuferschichten generieren. Irgendwie schienen beide Medien abhängig voneinander zu sein. Doch ging die Entwicklung stetig voran und veränderte die Branche. Videospielfilme wurden mehr und mehr Teil eines Universums – der crossmediale Gedanke entstand.

 

 

 

S.T.A.R.S.

 

Das bekannteste und erfolgreichste Beispiel ist die RESIDENT EVIL Serie aus dem Hause CAPCOM. RESIDENT EVIL basiert wie gesagt auf den alten Romero Filmen der siebziger Jahre und stellt eine Hommage dar. Doch als die Lizenz 1997 von Bernd Eichinger und der Constantin Film erworben wurde, gingen die Macher einen dezent anderen Weg. Ein brauchbares Setting, Figuren und Story hatte RESIDENT EVIL, das Spiel aus dem Jahr 1996, durchaus. Anfangs sollte auch George A. Romero die Adaption inszenieren.

 

 

 

Doch Bernd Eichinger und George Romero zerstritten sich ob des Drehbuches, so übernahm erst im Jahr 2001 der Regisseur Paul W. S. Anderson das Zepter und lieferte etwas ab, was der Fangemeinde nicht unbedingt gefiel. Die sechsteilige Filmreihe wird heute gern verteufelt, vor allem, weil sie angeblich so gut wie nichts mit den Spielen zu tun hat. Nur sagen das meist die selben Leute, die sich darüber beschweren, dass Hollywood oder wer auch immer kaum mehr eigene Ideen umsetzt.

 

 

Bei RESIDENT EVIL hat man das durchaus getan, man hat sich eine neue Hauptfigur ersonnen, die nicht in den Spielen vorkam, man lieh sich ikonische Orte, wenn auch nicht das Herrenhaus aus Teil 1, sowie Nebenfiguren und Handlungselemente. Im Kern verdichtete man eigentlich schon, was RESIDENT EVIL ausmacht, trashige Actionunterhaltung mit Schauwerten und Drive.

 

 

Chris Redfield, Alice & Claire Redfield in RESIDENT EVIL: AFTERLIFE (2010)

Auch wenn die RESIDENT EVIL Reihe ähnlich schroff beschimpft wird wie SUPER MARIO BROS., im Gegensatz zum Filmauftritt des italienischen Klempners sind die Zombiestreifen kommerzielle Erfolge, die Reihe wurde nach sechs Filmen abgeschlossen, ein Reboot steht vor der Tür.

 

Die Spielereihe und die Filmreihe konnten über Jahre gut nebeneinander koexistieren, immer wieder griffen Filme Elemente der Spiele auf, vielleicht sogar umgekehrt. Das entscheidende aber war und ist, ein solcher crossmedialer Gedanke vergrößert das Gesamtuniversum. Neben den Kinospielfilmen lässt CAPCOM auch computeranimierte Filme produzieren, auch durch Comics wächst das Universum und generiert mehr neue Fans als es alte verliert.

 

 

 

RESIDENT EVIL: DEGENERATION (2008)

RESIDENT EVIL vereint zwei Annahmen, wie Videospielfilme funktionieren müssten – über Action und Coolness. In den darauffolgenden Jahren wurden beide Aspekte zum Teil überstrapaziert. Der Film interpretierte die Actionkomponente für sich neu, das schnelle Geschehen auf dem Bildschirm sollte sich auf die Leinwand übertragen. Das Resultat war vor allem eine neue Schnitttechnik, die zweifelsohne vom Gaming inspiriert war. So spricht man heute bei schnellen Actionfilmen und Superheldenverfilmungen auch von Videospielästhetik.

 

 

 

 

“Ich hab mich für Videogames immer einen feuchten Scheißdreck interessiert”

 

 

Auch in Sachen Coolness wurde es beim Film übertrieben, so dass Figuren wie Lara Croft, Hitman oder Max Payne so gut wie nie wie echte menschliche Wesen wirkten. Den vermeintlich letzte Sargnagel für die Reputation von Videospielverfilmungen schlug dann Filmemacher Uwe Boll mit einer ganzen Armada an Filmen, die auf mehr oder weniger bekannten Videospielen wie POSTAL oder DUNGEON SIEGE basierten.

 

 

Dabei scheint es aber fast so, als verstünde Boll manche Spiele genau und weiß diesen trashigen Flair gekonnt ins filmische zu übertragen. Spricht man von Videospielverfilmungen, kommt man um Uwe Boll nicht herum. Manche sind sogar überaus gelungen, wie POSTAL oder SCHWERTER DES KÖNIGS. Auch FAR CRY mit Til Schweiger ist nicht so schlecht wie sein Ruf.

 

Til Schweiger und Udo Kier in FAR CRY (2008)

Allerdings muss man auch sehen, dass Videospiele zwischen den Jahren 2002 und 2008, als Boll eine Verfilmung nach der anderen unters Volk brachte, erzählerisch schon viel weiter waren. Einer der wenigen akzeptierten Spieleverfilmungen aus dem Jahr 2006 ist SILENT HILL von Christophe Gans.

 

Christophe Gans (PAKT DER WÖLFE) gelang es als ersten, inhaltliche und stilistische Elemente der Vorlage als Film zu adaptieren. Hier erkannten die Fans der Spielereihe von KONAMI die Vorlage, die Besetzung war treffend, die Geschichte gut erzählt, trotz einiger Freiheiten. SILENT HILL schien rundum gelungen, während TOMB RAIDER mit Angelina Jolie zwar passend besetzt, aber ohne Seele war und Prügelspielverfilmungen wie STREET FIGHTER und MORTAL COMBAT zwar actionreich, aber inhaltsleer waren.

 

 

SILENT HILL von Christophe Gans (2006)

 

Inzwischen scheint es so, als sitzen in den Entwicklungsbüros großer Spielehersteller momentan die besseren Autoren mit größeren Aufgaben. Filmdramaturgie ist sehr linear und selten brechen diese alten Strukturen auf. Bei Spielen hingegen hat man mehr Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen, nicht nur über Zwischensequenzen. Die Figuren wurden ikonischer, tragischer, dramaturgisch aufgeladen. Wenn man beim Film von einer Identifikation mit der Hauptfigur spricht, war man beim Videospiel schon einen Level weiter. Vor allem in Sachen Akzeptanz. Es ist heute kein Problem, in einem Videospiel einen Auftragskiller zu spielen. Zugegeben, bis zu dieser Entwicklung gab es ausufernde moralische Debatten, auch heute noch.

 

 

DOOM mit The Rock und Karl Urban (2005)

Aber einen Auftragskiller wie im Fall HITMAN muss man im Spiel weniger moralisch begründen als im Film. Das klingt kurios, vor allem, weil man im Spiel eine aktive Rolle einnimmt, im Film nicht. Einen Auftragskiller im Film aber scheint man moralisch legitimieren zu müssen. Im Spiel weniger.

 

Gleichzeitig wirkt der Auftragskiller im Film nie so spektakulär wie im Spiel. Noch prekärer wird die Lage mit Spielen, die die Weltkriege thematisieren. Sicherlich ein schmaler Grat, doch birgt das Direkte, das Faktische im Spiel eine höhere Authentizität. Zusammen mit der Egoperspektive und der Entscheidungsgewalt des Spielers hat ein Spiel wie CALL OF DUTY eine weit größere Wirkung als ein Film wie DER SOLDAT JAMES RYAN.

 

 

Half-Life

 

Doch nicht nur Figuren aus Spielen und ihre Wirkung verändern sich im Laufe der Zeit, auch der Gamer selbst. Im Bereich Film ist der Gamer leider nicht sonderlich realistisch, sondern mehr eine Stereotype. Er eignet sich gut zur Karikatur, doch der Gamer, wie er in Filmen wie NOOBZ oder SCOTT PILGRIM dargestellt wird, bleibt ein Klischee, wenn auch ein unterhaltsames. Games sind heute mehr Ausdruck von Lifestyle als von Nerd- und Geektum. Die mag es geben, aber Videospiele werden heute von allen möglichen Typen gespielt.

 

 

 

Die besten Gamerkomödien: OFFLINE – DAS LEBEN IST KEIN BONUSLEVEL (2017) und NOOBZ (2012)

Tauchen im Film Gamer auf, wird oft mit der groben Keller gespachtelt. Das kann auch heute noch durchaus amüsant sein (OFFLINE – DAS LEBEN IST KEIN BONUSLEVEL), doch schießt man meist weit übers Ziel hinaus. Gamer von heute sind anders, wo früher die Todesfalle Kabelsalat vorherrschte, da stehen heute stylische Konsolen und 4K-Bildschirme. Mobilität und Gemeinschaftsgefühl verdrängen das einsame Hocken im zugemüllten Zimmer unter Ausschluss von Sonnenlicht.

 

Solche Typen sind aber wohl nicht witzig genug für eine echte Gamerkomödie. Aber dieses Bild gibt es auch in anderen Genres, beispielsweise im Science-Fiction Film. Was wurde nicht alles versprochen für die Zukunft, das Holodeck, echte Virtuelle Realität. Obgleich die Branche dahingehend ein Stück weit angekommen ist, Spielkonzepte wie aus EXISTENZ oder GAMER sind bislang nicht in Sicht. So wird der Gamenerd alsFigur nach wie vor das Genre bestimmen.

 

 

Multiplayer

 

Telltale Games: THE WALKING DEAD, BATMAN, GAME OF THRONES & GUARDIANS OF THE GALAXY

Im Jahr 2017 sind Videospielverfilmungen zwar wesentlich komplexer als in den Jahren zuvor, weil sie Fanservice, Erkennbarkeit der Vorlage und eigene Ansprüche besser unter einen Hut bringen, aber sie hinken in Sachen Storytelling und Dramaturgie in Spielen meilenweit hinterher. All das, was nur der Film vermochte, kann ein Spiel mit wesentlich kleinerem Aufwand – die Kreation fremder Welten und Wesen. Bedingt durch das Medium stehen Spieleentwicklern aber größere Möglichkeiten offen. Ein Film mit einer Laufzeit von zwei Stunden kann das nur schwer übertragen.

 

So adaptieren heute vor allem Spiele neue Arten des Storytellings für ihre Produkte. Vor allem Spiele, die über eine Filmlizenz verfügen, machen das heute tausendmal besser als früher. Die Firma Telltale Games hat sich auf Versoftung von Filmlizenzen spezialisiert, macht aber daraus keine Spiele gängiger Gamesgenre wie Jump n run oder Rollenspiele, sondern schafft den Sprung hin zum echten interaktiven Storytelling. Damit bereichern sie vor allem die bestehenden Film- und Markenuniversen wie THE WALKING DEAD, GAME OF THRONES oder BATMAN. Was wiederum die Filmemacher animiert, über neue Formen oder Formate im Bereich Film oder Serie nachzudenken.

 

 

WARCRAFT von Duncan Jones (2016)

Heute ist ein Spiel kein Abfallprodukt eines Films oder einer Marke, im Gegenteil. Filme, Comics, Bücher und Games gehören mehr zusammen als je zuvor. Auch wenn inhaltliche Probleme längst nicht überwunden sind (auch die neusten Inkarnationen wie WARCRAFT oder ASSASSINS CREED kranken an Videospielverfilmungskrankheiten), irgendwann wird sie kommen, die perfekte Spieleverfilmung. Doch nicht alles lässt sich bedenkenlos umsetzen. So toll ein TOMB RAIDER als Spiel auch ist, als Film ist es nur ein Indiana Jones Abklatsch, den abgesehen von Lara Crofts Oberweite kaum jemand braucht.

 

 

 

Wenn TOMB RAIDER mit Alicia Vikander nun nach dem Rebbot der Spieleserie folgt, wird auch das längst kalter Kaffee sein. Blicken wir in die Zukunft, was lohnt oder ist ähnlich entbehrlich? Ist nicht auch UNCHARTED ein Indy Klon? Will man im Kino lieber einen neuen Indiana Jones oder einen UNCHARTED Film?

 

Kann eine Verfilmung von THE LAST OF US, dem erzählerisch besten Spiel der letzten Jahre, im Kino ein weiteres mal überzeugen? Story und Figuren sind die stärksten Elemente des Spiels, aber die Wirkung des Endes liegt in der Immersion mit dem Spieler, der sie dahin gebracht hat. Kann das als Film so wirken?

 

 

Alicia Vikander als neue junge, doch erwachsenere Lara Croft in TOMB RAIDER (2018)

Kann man einen DARK SOULS Film machen, ein Spiel, welches zu gleichen Teilen von (krytischer) Story UND aus einem eigenwilligem Spielprinzip besteht? Kann man das Spielprinzip des immerwährenden Scheiterns überhaupt filmisch umsetzen? Braucht es eine GTA Verfilmung, gibt es nicht schon genug Gangsterzeug da draußen? Braucht es nicht viel mehr einen FALLOUT FIlm, weil man soetwas auf der Leinwand noch nicht gesehen hat? Was ist mit METROID? DISHONORED? Kennt jemand noch Leisure Suit Larry?

 

 

 

 

Videospielfiguren haben die Schnauze voll – RALPH REICHTS (2012)

 

Bis zum Jahr 2020 wird es möglicherweise auch Verfilmungen zu Spielen wie TETRIS, ASTEROIDS, GOD OF WAR, HALO, HEAVY RAIN, MINECRAFT, SPLINTER CELL und THE WITCHER geben. Wenn es soweit ist, wo stehen da Videogames und in wie weit sind diese dann schon wieder wesentlich weiter in Vision und Ausfertigung? Wenn auch Videospielverfilmungen nur ein Teil der Verquickung von Spielen und Filmen sein werden, es wird in jedem Fall spannend zu sehen, wie sich beide Bereiche weiterhin gegenseitig inspirieren und anstoßen werden.

 

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

Lesen Sie in der nächsten Folge:

 

 

 

2 Comments

  1. Antworten

    […] erliegen kann und wie neue Techniken Unmögliches sichtbar machen können. Nach dem mit FINAL FANTASY: THE SPIRIT WITHIN erstmals Menschen im Motion Capture Verfahren gefilmt und ihre Bewegungen in CGI Figuren […]

  2. Antworten
    Nicole 30. März 2020

    Die Filme stören mich nicht, weil sie nicht 1 zu 1 Resident Evil sind, sondern weil da so viele Logiklöcher drin sind, wie ich sie wirklich selten in Filmen sehe.

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de