Die kleine Genrefibel Teil 52: Maritimus
“Das Meer ist alles. Es bedeckt sieben Zehntel der Erde. Sein Atem ist rein und gesund. Es ist eine immense Wüste, wo ein Mann nie alleine ist, in dem er fühlen kann, wie das Leben aller in ihm bebt. Das Meer ist nur ein Behälter für alle die ungeheuren, übernatürlichen Dinge, die darin existieren; es ist nicht nur Bewegung und Liebe; es ist die lebende Unendlichkeit.” – So beschrieb es Jules Verne in “20.000 Meilen unter dem Meer”. Genau, das Meer, Weltmeer, Ozean. Gewaltige Wassermassen von unbändiger Macht. Aber auch beseelt von inniger Sehnsucht. Was liegt wohl hinter dem Meer, am Ende des Horizonts? Was verbirgt sich unter der Wasseroberfläche, am Grunde des Ozeans? Welche Kreaturen verstecken sich in den Tiefen, welche Schätze sind dort zu finden?
Das Meer war ein gigantischer Gegner, den es als Mensch zu bezwingen galt. Wann endete diese unstillbare Sehnsucht nach dem Meer? Dass man es einmal sehen musste, bevor man starb…
Das Meer hat die Phantasie des Menschen seit Anbeginn angestachelt, aus Furcht, Neugierde und Entdeckerdrang. Der Mensch, der sogar das Weltall erobert hatte und auf dem Mond spazieren ging, vor dem Meer und seiner Urgewalt hat er noch heute großen Respekt. Wir wissen noch immer mehr über den Mond als die Tiefsee, dort lauern noch unbekannte Spezies von gewaltiger Größe.
Das Meer und seine Herausforderungen hat den Menschen seit jeher geprägt, auch in der Kunst. In der kleinen Genrefibel wollen wir uns heute mit dem Komplex Meer im Film auseinander setzen. In der Fiktion war Mensch und Meer schon immer Gegner, die einen Kampf austrugen. Und die filmische Beschäftigung mit dem Meer in all seinen Facetten hat nicht nur fantastische Filme, sondern ganze Subgenre entstehen lassen. So lasst uns eintauchen in abenteuerliche Filmgewässer.
Männer und das Meer
Das Meer ist für den Film ein riesiges Themengebiet, woraus Genre und Subgenres resultieren. Die Eroberung der Weltmeere waren seit jeher Abenteuergeschichten um Helden, in Erzählungen wie auch im Film. Die Gefahren, denen der Mensch auf dem Meer trotzen musste, waren zahlreich, so sind Filme über die Bezwingung der Meere bei aller maritimen Romantik auch vorwiegend Actionfilme.
Die Neugierde nach unerforschten Regionen wie dem Meeresboden und der Tiefsee wiederum stachelte die Phantasie des Menschen an, Fantasy und Science-Fiction wurden gleichermaßen vom Meer inspiriert. Gefahren auf hoher See wie Haie, Orientierungslosigkeit oder das Ertrinken waren hervorragende Stofflieferanten für Horrorfilme, denn man kann dort auf allerlei Urängste treffen.
Die Bandbreite an Genres ist also riesig. Doch das Meer hat den Film nicht nur thematisch beeinflusst. Das Meer ist in erster Linie Location und naturgemäß sind mit ihm vielerlei Gefahren und Widrigkeiten verbunden, die der Film dramaturgisch ausspielen konnte. Das Meer ist niemals nur Kulisse, es hat Kräfte, es ist ein gefährlicher Lebensraum. Das Meer selbst spiegelt Weite und Sehnsucht, der kleine Mensch, der es bezwingen oder überwinden will, bedarf Hilfsmitteln wie Schiffe oder U-Boote, die sich ebenfalls auf Story und die Dramaturgie auswirken.
Trotz der Weiten der Weltmeere war das (Über)Leben auf Schiffen ein klaustrophobischer Kraftakt. Das Schiff ist in Filmen über das Meer ein wichtiger Mitspieler. Filme auf dem Meer, bzw. auf Schiffen bedeuten auch ein geschlossenes System, aus dem es kein Entrinnen gibt. Auf Schiffen herrschen Hierarchien und strenge soziale Regelungen, was Geschichten und Figuren oft dramatisch und spannend machen. Wenn Helden wie Schiffskapitäne nicht an neuen großen Entdeckungen interessiert sind, tragen sie doch eine immense Verantwortung für Crew und Schiff und sind somit Träger von spannenden Konflikten oder deren Lösung.
Eins sind Filme über das Meer aber in jedem Fall – reine Männerangelegenheiten. Zwar gibt es Filme, die reichlich romantisiert mit der Materie umgegangen sind, aber Frauen trifft man in diesem Segment wirklich selten. Das Leben auf dem Meer bzw. auf einem Schiff verlangt unglaubliche körperliche Kraft und Arbeit und war schon immer eine fast ausschließliche Männerdomäne. Frauen hingegen sah man höchstens auf Luxuslinern sonnenbaden.
Jeder Film, der das Meer thematisiert, ist im Grunde eine Abenteuergeschichte. Das Meer ist eine Herausforderung, der sich der Mensch stellen muss, sei es der Kampf ums Überleben oder zur Entfesselung der eigenen Kraft. Dazu zählen auch sportliche Disziplinen wie Segeln, Surfen oder Tauchen. Das Meer begeistert aber auch Kinder und Jugendliche, besonders die Lebewesen, die in den Weltmeeren hausen und um die sich unzählige Geschichten rangen. Das Meer hat neben allen Gefahren auch ein großes Unterhaltungspotential.
O Captain! My Captain!
Am spannendsten aber sind Geschichten und Filme über den Akt des Bezwingens dieser stillen wie tosenden Naturgewalt. Die Eroberung des Meeres war eines der Hauptziele der Zivilisation. Christoph Kolumbus entdeckte 1492 Amerika auf dem vermeintlichen Seeweg nach Indien, Ferdinand Magellan umrundete als erster zwischen 1519 und 1522 die Welt per Schiff. Auch die ersten Filme beschäftigten sich mit großen Entdeckerfahrten, mehr aber noch mit denen, die diese unternahmen. Seefahrer und Kapitäne waren große Heldenfiguren, mit denen man große Geschichten erzählen konnte.
Die großen Entdecker und Weltumsegler waren aber selten selbstbestimmt. Sie segelten für Vaterland und Krone oder trugen Schlachten für Könige aus. Sie waren meist rechtschaffend und gut, aber auch häufig unfrei und somit tragische Figuren wie beispielsweise Christoph Kolumbus. Selten waren Entdecker auch gleichzeitig Schiffskapitäne. Der Kapitän aber ist die stärkere Figur innerhalb des abenteurlichen Seefahrerfilms.
Während der Entdecker häufig über seinen Karten und Aufzeichnungen hockt und hofft, dieses oder jenes Eiland zu finden, lastet auf dem Kapitän mehr Verantwortung. Er muss nicht nur dem Entdeckertrieb folgen, er muss auch seine Mannschaft heil wieder nach Hause bringen. Er muss motivieren, schlichten, zum Teil auch bestrafen, denn er muss sich des Respekts und der Loyalität seiner Mannschaft gewiss sein. Der Kapitän ist ein Archetypus eines Helden.
Er verlässt als letzter das sinkende Schiff, er ist Vertrauensmann und Vorbild. Er kann aber auch verbissen sein, was die Mannschaft möglicherweise gegen ihn aufbringen lassen kann. Das schlimmste, was auf einem Schiff passieren kann, ist das beste, was für eine Seefahrergeschichte passieren kann – eine Meuterei. Es ist ein überaus spannendes Konstrukt für Filmfiguren und Charaktere und hat immenses dramaturgisches Potential. Der Kapitän hat die Willensstärke, das Ziel zu erreichen. Er muss über Grenzen hinweggehen. Deshalb kann man ihn nur zu gut verstehen.
Man kann aber auch die Mannschaft verstehen, die diesen Enthusiasmus zwischen Lebertran und Schiffszwieback nicht teilt. Wenn der Kapitän entmachtet wird, fühlt sich das nach Verrat an, aber man kann die Motive der Crew ebenso nachvollziehen, denn es geht ums Überleben und wie oft hat ein starrköpfiger Kapitän seine Mannschaft schon auf eine Irrfahrt geschickt. Bereits in Homers “Odyssee” wurde das Odysseus Mannschaft fast zum Verhängnis. Berühmt sind vor allem die Verfilmungen der “Meuterei auf der Bounty”. Die Geschichte geht auf den historischen Fall des britischen Segelschiffes Bounty zurück, welches 1787 zu einer turbulenten Reise in die Südsee aufbrach.
Die Geschichte um die Meuterei auf der Bounty wurde mehrfach verfilmt, berühmt sind vor allem die Adaptionen aus dem Jahr 1962 mit Marlon Brando sowie BOUNTY aus dem Jahr 1984 mit Mel Gibson und Anthony Hopkins, welcher den historischen Ereignissen am nächsten kommt. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Auseinandersetzung zwischen dem Kapitän William Bligh und seinem ersten Offizier Christian Fletscher. Die heroische Figur des Kapitäns wird in den BOUNTY Filmen aber arg strapaziert, Kapitän Bligg wird als grausam und unbarmherzig beschrieben, der seine Mannschaft hungern und auspeitschen ließ und dem deshalb der Gehorsam an Bord verweigert wurde.
Eine ganz andere Art von Kapitän sollte durch Herman Melvilles Romanklassiker “Moby Dick” berühmt werden – Kapitän Ahab. Auch Kapitän Ahab hat ein brennendes Ziel, er will einen riesigen Wal erledigen, der ihn einst das Bein abgerissen hatte. Kapitän Ahab verfügt über unglaubliches Charisma, welches ihm ermöglicht, seine Crew auf die strapaziöse Seefahrt zu motivieren. Doch diese Verbissenheit wird zu Fanatismus, was die Crew gegen ihn aufbringt. Letztlich kann Ahab und seine Mannschaft den Wal besiegen, doch zu welchen Preis?
“Moby Dick” wurde bislang ganze sieben Male verfilmt, unter anderem mit Gregory Peck und Patrick Steward in der Rolle des Kapitän Ahab. 2015 drehte Ron Howard eine weitere Variante des Stoffes mit IN THE HEART OF THE SEA, welches die Geschichte von “Moby Dick” Autor Hermann Melville und der letzten Fahrt des Walfängers Essex erzählt, die Vorlage für das berühmte Buch wurde. Inhaltlich mag der Film ein wenig schwachbrüstig sein, aber kaum ein Abenteuerfilm auf hoher See ist von so bildgewaltiger Wucht, dass man das Salzwasser in der Luft förmlich riechen kann.
Unter schwarzer Flagge
Dennoch waren die Geschichten um die großen Seefahrer und Entdecker der Neuzeit filmisch gar nicht so populär wie man glaubt. Weil eine andere archetypische Figur beim Kinopublikum über Jahrzehnte wesentlich beliebter war – der Pirat. Der Piratenfilm ist eins der ältesten Subgenre des Abenteuerfilms, zu denen auch der Western, Mantel & Degenfilme oder der Sandalenfilm angehört.
Beim Piratenfilm stand auch eine Figur im dramaturgischen Mittelpunkt – der Pirat. Aber der Pirat war mehr, mehr noch als der Schiffskapitän. Der verfügte über all seine Eigenschaften, bot aber noch wesentlich mehr. Denn der Pirat war keine durch und durch gutmütige und rechtschaffende Figur. Deshalb war er im Film auch so beliebt. Ein Pirat war Stratege und Schlitzohr gleichermaßen.
Er war ein Symbol für Freiheit, gegen die Obrigkeit, er nahm sich, was er wollte. Piraten waren ungemein sympathische Figuren, wenn sie auch zum Teil grausame Zeitgenossen waren. Im Gegensatz zu den großen Seefahrern und Entdeckern wurden Piraten aber keineswegs historisch korrekt dargestellt. Der Pirat war eine Phantasiefigur, in denen sich Sehnsüchte bündelten. Zum klassischen Piratenfilm gehört natürlich das Setting, die Beliebtheit dieses Subgenres lag vor allem in der Fernsucht, nach karibischen Inseln mit Palmen und Stränden. Zum Piratenfilm gehört aber auch die actionreiche Seeschlacht, die Suche nach verstecktem Gold und Schätzen, Säbelrasseln und mehrere Buddeln voll Rum. Einer der ersten Piratenfilme war DER SEERÄUBER aus dem Jahr 1926 mit Douglas Fairbanks in der Hauptrolle.
Doch die ersten Stummfilme und Schwarz-Weiß Produktionen konnten noch nicht das erfüllen, was das Subgenre verlangte, nämlich die atemberaubenden Schauwerte ferner Inseln und die ewigen Weiten des blauen Meeres. Erst mit DER SEERÄUBER aus dem Jahr 1942, der in Technicolor gedreht wurde und der für die beste Kameraarbeit mit einem OSCAR belohnt wurde, begann die große Piratenfilmwelle.
Nach Douglas Fairbanks erreichte Errol Flynn enorme Popularität mit Filmen wie UNTER PIRATENFLAGGE (1935) und wurde so etwas wie der Filmpirat schlechthin. Der Höhepunkt der Piratenfilmwelle war dann in den fünfziger Jahren, in denen die Kinos mit Piratenfilmen geradezu überschwemmt wurden. Dann jedoch ging es bergab mit dem Genre, aus verständlichen Gründen.
Bereits DER SEERÄUBER aus dem Jahr 1926 hatte ein Budget von 1,3 Millionen US-Dollar, damals eine unvorstellbare Summe. Piratenfilme galten schon immer als teuer und aufwändig. Zum einen lag das an Gründen historischer Authentizität, an Kostümen und Ausstattung. Ein Schiff als Set war zwar vielseitig bespielbar, aber eben auch teuer in Bau und Konstruktion. Die größte Schwierigkeit lag aber im Umgang mit Wasser, Wasser war ein schwer zu händelndes Element. Nicht nur, dass Filmequipment, Technik und Elektrizität allergisch auf Wasser reagierten, Wassermassen waren eine große Gefahr für Crew und Darsteller. Wasser machte alles unnötig kompliziert und teuer.
Vom Piratenfilm mal abgesehen haben alle Großproduktionen, die das Meer als Handlungselement brauchten und abbildeten, überbordende Mehrkosten verlangt. Ob WATERWORLD, TITANTIC oder THE ABYSS, Dreharbeiten in kühlem Nass waren schwierig zu kalkulieren und immer musste das Budget am Ende reichlich aufgestockt werden. Es wurden riesige Wassertanks gebaut, Studios geflutet, Schiffe in Originalgröße gezimmert und manch Darsteller musste gehörig frieren, um eine Szene im oder unter Wasser zu absolvieren. Science-Fiction Filme über das All und fremde Planeten waren da wesentlich kostengünstiger. Auch in Zeiten von CGI stellte Wasser die Effektkünstler vor große Probleme. Wasser war sehr komplex und ist auch heute noch schwierig per Effekt darzustellen.
Nach der Hochzeit des Piratenfilms in den 50er Jahren gingen Produzenten nur ungern solche Risiken ein, wenn andere Genres ebenfalls große Gewinne erwirtschaften konnten, aber mit minimaleren Budgets. Der Piratenfilm war schlicht zu teuer geworden, dass er in den darauffolgenden Jahrzehnten einfach ausstarb. Einen Todesstoß versetzte dem Piratenfilm dann Roman Polanskis PIRATEN (1986).
Allein der Bau des Schiffs Neptune für den Film verschlang über 8 Millionen Dollar. Polanski wollte nichts weniger als den ultimativen Piratenfilm zu inszenieren und das Subgenre neu zu beleben. Dafür wurde in Sachen Ausstattung, Kostüm und Szenenbild enormer Aufwand betrieben. Am Ende wurde aus PIRATEN einer der größten Flops der Filmgeschichte. Kein Produzent der Welt dachte nochmal im Traum daran, Geld für einen Piratenfilm locker zu machen.
Fast kein Produzent. Irgendjemand war knapp zehn Jahre später noch einmal bereit, 100 Millionen Dollar für ein Piratenspektakel auszugeben, für Renny Harlins DIE PIRATENBRAUT (CUTTHROAT ISLAND) aus dem Jahr 1995. DIE PIRATENBRAUT gehört inszenatorisch zu einem der besten Actionfilme der Neunziger, er ist superb besetzt mit Geena Davis und Frank Langella, an der Kinokasse spielte er jedoch nur 10 Millionen Dollar ein und übertraf sogar noch den Flop PIRATEN.
PIRATEN und DIE PIRATENBRAUT haben das Subgenre des Piratenfilms ein für alle mal verbrannt, möchte man meinen. Was Disney Anfang der 2000er Jahre geritten hat, ein weiteres Mal eine aufwändige Piratenfilmproduktion in Auftrag zu geben, kann man wohl nicht mehr nachvollziehen. In diesem Fall jedoch war der Versuch von Erfolg geprägt. PIRATES OF THE CARIBBEAN von Regisseur Gore Verbinski, nach einer Attraktion der Disney Freizeitparks, mit Johnny Depp als Piratenkapitän Jack Sparrow wurde ein exorbitanter Erfolg.
Ein Grund, warum der Piratenfilm vom Publikum gemieden wurde, waren die unzähligen Klischees, die wieder und wieder aufgewärmt wurden wie Augenklappen und Holzbeine. Nicht, dass PIRATES OF THE CARIBBEAN nicht mit solchen Klischees spielte, aber die Wiederbelebung des Piratenfilms 2003 hatte auch realistische Züge. Vor allem aber war der Film ein Spaß für die ganze Familie, hatte ein exzellentes Marketing, einen grandios aufspielenden Hauptdarsteller, mit Orlando Bloom einen weiteren Mädchenschwarm an Bord, fantastische Musik von Hans Zimmer sowie tolle Action und Effekte.
Nach vier Fortsetzungen hat sich diese Formel dann aber auch schon wieder erschöpft. Und abseits von PIRATES OF THE CARIBBEAN traut sich auch kein anderer Piratenfilm mehr auf die Bühne, vom Claymation Spektakel DIE PIRATEN aus den Aardman Animation Studios mal abgesehen. Der Piratenfilm blieb inszenatorisch auf der Stufe seines Höhepunktes in den Fünfzigern, ein klischeeüberladenes Abenteuerspektakel.
Denn mit realen Piraten hatten Piratenfilme kaum etwas zu tun. Interessant sind zwei neuere Verfilmungen über echte Piraten in der heutigen Zeit – CAPTAIN PHILLIPS mit Tom Hanks und A HIJACKING. In beiden Filmen geht es um Schiffspiraterie an der Küste Somalias, ein durchaus realistischer Hintergrund, in beiden Filmen spannend und authentisch umgesetzt. Darüber hinaus sind Filme über echte Piraterie, egal ob historisch oder aktuell, eher Mangelware.
Das sinkende Schiff
Auch wenn der Piratenfilm bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr ganz oben in der Gunst des Publikums steht, Geschichten auf hoher See waren weiterhin begehrte Filmstofflieferanten. Sie begeisterten vor allem, wenn sie den ungleichen Kampf zwischen Mensch und Technik symbolisierten. Im Genre Kriegsfilm haben Seeschlachten eine hohes Spannungspotential.
Auch das Genre Science-Fiction wurde davon beeinflusst. Vor STAR WARS waren Raumschlachten, beispielweise in STAR TREK, wesentlich mehr von Schiffsschlachten beeinflusst. Dazu gehören weniger schnelle Gefechte als langsame Taktik oder die berühmte Schleichfahrt. Mit Kriegsfilmen und Seeschlachten beschäftigen wir uns aber ein anderes mal. Was in diese Rubrik jedoch definitiv gehört, sind tragische Geschichten von Schiffsunglücken.
Denn das Schiff im Film wurde nicht selten zu einer Todesfalle, wie in der Realität auch. In den Kindertagen des Films sah sich der Mensch bereits als Beherrscher der Meere, bis 1912 eine jener Kronjuwelen der Schöpfungen im Atlantischen Ozean sank – die Titanic. Auch diese “Irrfahrt” wurde bereits im Jahr 1912 verfilmt.
Die Geschichte der Titanic ist an Dramatik unübertroffen und diente bislang als Vorlage für elf Verfilmungen, darunter natürlich der übergroße TITANIC von James Cameron. Die Geschichte des Untergangs ist deshalb so spannend, weil sie weniger technisches Versagen als menschliche Arroganz widerspiegelt. Das als unsinkbar deklarierte Schiff sank bei seiner Jungfernfahrt aus menschlichem Versagen, das Drama, welches sich auf dem sinkenden Ozeandampfer abspielte, wurde zu einem Markstein der technischen Evolution des Menschen. Cameron gelang es in vielerlei Hinsicht, dieses Drama als Film zu reproduzieren, nicht nur in seiner Wirkung auf der Leinwand.
Die Dreharbeiten zu TITANIC waren ebenso kühn wie größenwahnsinnig, die Crew und die Darsteller litten unter den erschwerten Drehbedingungen und dem rigiden Zepter von Cameron, der selbst wie ein wahnsinniger Kapitän das Projekt hätte zum Kentern bringen können. Neben TITANIC gibt es aber noch eine ganze Reihe weiterer Filme über reale Schiffsunglücke wie das der POSEIDON oder der GUSTLOFF. Nicht immer mussten reale Schiffskatastrophen herhalten, um eine spannende, wenn auch tragische Geschichte zu erzählen.
Denn neben Filmen um Schiffsunglücke gibt es noch eine andere Subsparte, die sich allgemein mit den Gefahren des Meeres und dem Überlebens auf jenem solchen befasst, sogenannte “Lost At Sea” Filme.
In diesen Geschichten geht es weniger um die Figur des Kapitäns im seemännischen Sinne. Jeder kann einmal schiffbrüchig werden und muss ums Überleben kämpfen. Der Überlebenskampf ist der Hauptantrieb solcher Geschichten und Filme. Neben den großen Klassikern LIFE BOAT (1944) von Alfred Hitchcock und THE ABANDON SHIP (1957) gehören hierzu auch neuere Produktionen wie CAST AWAY, LIFE OF PI und ALL IS LOST. Aber “Lost At Sea” Geschichten brauchen nicht immer ein Schiff oder Boot als Handlungselement.
Seemannsgarn
Es gibt eine ganze Reihe von Filmen, die einen Überlebenskampf auf hoher See erzählen. Die Gefahren, die dort lauern, bedeuten oft den Tod. Ertrinken und Erfrieren gehören ebenso dazu wie der Angriff von Meeresbewohnern. Zu den gefährlichsten Geschöpfe des Meeres gehören Haie, zumindest im Film.
Seit DER WEIßE HAI von Steven Spielberg wird diese Spezies als das ultimative Ungeheuer verschrien, sorgte für leere Badestrände und der Mensch machte erbarmungslos Jagd auf die imposanten Tiere. Nun ist nicht jeder Film über Haie auch eine “Lost At Sea” Geschichte. Die meisten Killerhaie gehören zur Kategorie Tierhorror.
Filme wie OPEN WATER, THE REEF oder THE SHALLOWS sind aber weniger Tierhorror als Survival Thriller auf hoher See. Haie spielen eine entscheidende Rolle, aber die Bedrohung geht weniger von dem Tier selbst aus als der allgegenwärtigen Angst, ihm zu begegnen. Das unterscheidet OPEN WATER deutlich von anderen Haifilmen, in denen der Knorpelfisch die Hauptrolle spielt.
Horror muss aber nicht immer von Meeresbewohnern ausgehen, obwohl die Begegnung mit einem Hai eine der schlimmsten Urängste des Menschen darstellt. Maritime Horrorfilme speisen ihr Spannungspotential aus den selben Quellen wie andere Filme über das Meer, die Enge, die Unsicherheit, die Gefahr zu ertrinken. Daneben gibt es Zombies, Außerirdische, Geisterschiffe und sogar Zeitschleifen wie im Film TRIANGLE.
Anderen Meereswesen, die in Filmen thematisiert wurden, tendieren dann eher in den Bereich Fantasy. Denn zu jeder guten Geschichte über die Weltmeere gehört auch gut gesponnener Seemannsgarn. Seit Urzeiten hört man wüste Phantastereien über riesige Kraken, Rochen oder Kalmare. Diese wurden wohl tatsächlich gesichtet, aber solche Geschichten speisen sich mehr aus der Phantasie des Menschen ob seiner Ahnungslosigkeit gegenüber der Tiefe. Was für Kreaturen da wohl lauern, das fragte sich bereits Jules Verne in 20.000 MEILEN UNTER DEM MEER oder KAPITÄN NEMO.
Filme über Seeungeheuer sind ein entzückendes Subgenre, welches reichlich trashig daherkommt, aber ungemein unterhaltsam ist. Von Mobula aus KAPITÄN NEMO (1969) bis zum Riesenrochen aus DIE SCHWARZE PERLE, Wesen unter der Wasseroberfläche konnten einem gehörig Angst einjagen, waren aber beliebt auf der Kinoleinwand.
Unter Wasser
Ein weiteres Kapitel maritimen Filmvergnügens stellt der Bereich Unterwasser dar, der bislang als wenig erforscht gilt. Man kann ihn in zwei Richtungen einteilen. Beliebt sind vor allem U-Boot Filme, denn sie verdichten die Materie noch um ein Vielfaches, als es ein Schiff als Handlungselement vermag. Filme auf U-Booten sind ein klaustrophobischer Alptraum. Ein Schiff kann sinken, aber in einem U-Boot stirbt man bei einem Unglück binnen weniger Sekunden. In einem U-Boot Film wirken alle Elemente noch dichter und prekärer. Die Besatzung ist ein noch komprimierterer Mikrokosmos, die Dramatik an Bord eines Unterseebootes noch dramatischer. U-Boot Kapitäne können unliebsame Besatzungsmitglider nur schwer über Bord werfen, auf einem U-Boot ist man gefangen, ob man will oder nicht.
U-Boot Filme erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Der größte U-Boot Klassiker stammt sogar aus deutschen Landen. Wolfgang Petersen drehte 1981 die dramatische Tauchfahrt der U96 während der Atlantikschlacht 1941 und DAS BOOT wurde ein weltweiter Erfolg. Nominiert für 6 OSCARS wurde der Film Petersen Eintrittskarte nach Hollywood. DAS BOOT ist auch heute noch wesentlich dichter und authentischer als andere U-Boot Filme wie CRIMSON TIDE oder U-571.
Es gibt viele Faktoren, die U-Boot Filme so spannend machen. Die Isolation, das Gefangensein, der Lagerkoller, die Schleichfahrt, wo niemand auch nur eine Gabel fallen lassen darf, sorgen für High Tension. Die meisten U-Boot Filme erzählen vorrangig militärische Geschichten erzählen, doch es gibt noch eine andere Richtung, in die Unterwasserfilme einschlagen können, meist im Bereich Sci-Fi.
Seit Jules Verne ist eine Reise auf den Meeresgrund eine Sehnsucht jeder Forschernatur. Obgleich es einfacher ist, auf den Mount Everest zu kraxeln, die Tiefsee hat die Menschheit schon immer fasziniert.
Eine mögliche Phantasterei galt außerirdischen Lebens unter der Meeresoberfläche. Im Grunde waren sich Weltall und Tiefsee gar nicht so unähnlich. Man konnte nur mit Spezialausrüstung die Tiefen erreichen, es herrschte dort immenser Druck, jeder falsche Handgriff konnte den Tod bedeuten. Und auch schreien konnte man unter Wasser mehr schlecht als recht. So sind Filme über Unterwasserwelten und Wesen im Grunde gleich gestrickt wie Sci-Fi Ware über den Weltraum.
In ABYSS – ABGRUND DES TODES geht es um eine mobile Bohrplattform, die als Basis für eine Rettungsmission eines gesunkenen U-Boot dienen soll. In den Tiefen aber lauern außerirdische Wesen, die die Menschheit auf eine Probe stellen. ABYSS von James Cameron gilt als einer der besten Unterwasserfilme schlechthin, ca. 40% des Films sind atemberaubende Unterwasseraufnahmen. Nicht ganz so aufwändig, aber immer noch beklemmend kommen die beliebten B-Movies DEEP STAR SIX und LEVIATHAN daher, auch SPHERE erzählt eine imposante Geschichte in den Tiefen des Ozeans.
Leider sind solche Filme relativ selten, denn wie zuvor erwähnt sind Unterwasseraufnahmen teuer und riskant. Doch gerade weil man das Element Wasser besser kennt als das Vakuum des Weltalls, wirken Unterwasserfilme ungemein bedrohlich. Der Druck, die Enge, die Stille, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit, all das macht Filme unter Wasser so fühlbar unangenehm.
Das Meer und all seine Geheimnisse und Gefahren wird den Mensch auch weiterhin beschäftigen. In diesem Themenkomplex steckt noch viel Potential, auch wenn es teuer und aufwändig zu produzieren ist. So fehlt es im Kino weiterhin an einer modernen Verfilmung der großen Weltumsegler und Entdecker, an ein Remake von DAS BOOT hat sich bislang niemand heran getraut, wenn gleich eine Fortsetzung als Serie in Planung ist.
Ich für meinen Teil liebe Filme über alle Aspekte des Meeres, vor allen unter Wasser wie beispielsweise die Serie SURFACE vor einigen Jahren und natürlich auch SEAQUEST DSV. Als Kind habe ich KAPITÄN NEMO und 20.000 MEILEN UNTER DEM MEER vergöttert, warum legt niemand die großen Jules Verne Klassiker neu auf?
Wollte nicht David Fincher ein Remake drehen? Wahrscheinlich ist da noch nix in trockenen Tüchern. Bis dahin kann man sich die Zeit mit fantastischen Dokumentationen über das Leben im Meer vertreiben oder in der Badewanne Seeschlachten nachspielen.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
Lesen Sie in der nächsten Folge:
[…] Nicht alle suchten nur nach Gold und Reichtümern. Die großen Entdecker strebten nach Ruhm, Seefahrer lockte die Ferne und das Unbekannte. Ritter kämpften für Krone und Vaterland, Mantel- und Degenhelden für […]