Die kleine Genrefibel Teil 42: Bloodsport
Die erste Genrefibel 2016 ist da, wird auch Zeit, das Jahr ist fast rum. Alles fit bei Euch? Wo wir bereits beim Thema wären, wie steht´s eigentlich mit Eurer Fitness? Ich als Dramaturg stehe jeden Morgen um 04:30 Uhr auf, mache rund 150 Liegestütze, renne drei Runden um den Blog und verspeise dann ein Eibrötchen. Dann leg ich mich wieder hin. Körperliche Ertüchtigung ist wichtig für meinen Beruf, ich brauche gut durchtrainierte Schreibfinger und flinke Beine, um jedem Trend hinterher rennen zu können. In der Filmbranche muss man sich durchboxen, man geht man zu Boden, rafft sich wieder auf und schlägt zurück. Knochenbrecherjob.
Aber mit bloßer Muskelkraft ist das alles nicht zu schaffen. Auch das Gehirn muss pumpen. Die heutige Folge in unserem kleinen Genrefitnessstudio ist kompliziert, worum geht´s überhaupt? Zwei Begriffe schwirren im luftleeren Raum, Sport und Kampf. Wenn man faul ist und sie einfach zu der Bezeichnung Kampfsport zusammenfügt, reicht das nicht ganz aus, um jene Facette des Films adäquat zu beschreiben. Die Bezeichnung Kampfsportfilme ist nicht unbedingt geläufig, was man aber schon mal gehört hat, ist der Begriff Martial Arts. Sind Martial Arts Filme also Kampfsportfilme? Im weitestgehenden Sinne schon, dann aber auch wieder nicht.
Martial Arts heißt in wörtlicher Entsprechung “Die Kunst des Mars”, gemeint ist damit der römische Kriegsgott Mars, so lautet die eigentliche Übersetzung Kampfkunst. Zwischen Kampfsport und Kampfkunst gibt es aber gewaltige Unterschiede. Während es beim Kampfsport um den sportlichen Vergleich innerhalb eines Wettbewerbs geht, definiert sich Kampfkunst als das Erlernen und Ausüben verschiedener Stil und Techniken im Bereich Kampf und Selbstverteidigung. Die Ausübung jener Fertigkeiten kann sich im Kampfsport wiederspiegeln, aber Kampfkunst geht über den Wettbewerb hinaus, dient zur Vervollkommnung von Stil und um mentale Einstellung. Kampfkunst tangiert neben sportlichen Aspekten auch philosophische und geistige Ebenen.
In Kampfkunst wird unterrichtet und ausgebildet, nur ein Teil dieser Lehren erfüllen sich im Kampfsport. Wenn man aber von Martial Arts Filmen spricht, trifft man dort stärker auf den Aspekt der Auseinandersetzung. In vielen Martial Arts Filmen wird Kampfkunst gelehrt, mehr aber noch Kampfsport ausgeübt. Hat man sich an diesen beiden Begriffen abgearbeitet, stellt einem die Genreeinordnung ein weiteres Bein der Zuordnung.
Kampfkunst und Kampfsport
Es gibt den Begriff Sportfilm, noch immer wird diskutiert, ob er ein eigenes Subgenre darstellt und wenn ja, woher kommt er? Natürlich ist Kampfsport ein Sport, doch nicht alle Martial Arts Filme thematisieren den sportlichen Wettkampf. Kampfkünste und Kampfsport sind auch Träger von filmspezifischer Action, hier wird der Kampf groß geschrieben, denn der Kampf ist die urtümlichste Auseinandersetzung zweier Kontrahenten. Der findet auch in Martial Arts Filmen in unterschiedlicher Weise statt. So ist nicht jeder Film über Kampfkunst ein Sportfilm, Kampfkünste werden auch eingesetzt, um Bösewichten eins überzubraten, Rache zu üben und Wehrlose zu schützen.
Obwohl Kampfkunst in seiner Definition wesentlich weitergeht als die bloße Ausübung als Kampfsport, geht es heute fast ausschließlich um Kampfsportfilme. Das können Sportfilme sein, Actionfilme, Dramen, historische wie sozialkritische Stoffe, Komödien, Abenteuer und Kriegsthematiken.
Ich möchte jedoch noch eine weitere Unterteilung vornehmen, die für gewöhnlich in diesem Komplex nicht gemacht wird. Das torpediert dann ein wenig den Begriff Martial Arts, ergibt aber Sinn, Genrefreunde. Wir beschäftigen uns hier und heute nur mit unbewaffneten Kampfsportarten, sämtliche Disziplinen, in denen man Schwerter, Katanas, Stöcke oder Stäbe verwendet, lassen wir vorerst außen vor. Eine andere Genrefibel wird sich ausschließlich mit Waffen und deren Verwendung im Film beschäftigen, hier geht es ausschließlich um Schläge, Tritte und Roundhousekicks.
Bei Kampfsport fallen einem natürlich zuerst asiatische Kampsportarten ein, aber gekämpft wurde immer und überall. Asiatische Kampfsportarten mögen eine längere Tradition haben, aber auch im europäischen Raum entwickelten sich Stile und Techniken, die später auch den Film beeinflussten. Beginnen wir mit einer der beliebtesten Kampfsportarten überhaupt, dem Boxsport im Film.
Fresse dick!
Der Boxsport hat eine lange Tradition, in der Antike gab es bereits Faustkämpfe innerhalb der olympischen Spiele, auch Gladiatoren im alten Rom haben sich zum Teil mit blanken Fäusten beharkt. Boxen als Sportart hingegen entstand hingegen erst im 17. und 18. Jahrhundert und zwar in England. Als 1896 zum ersten mal wieder olympische Spiele in der Neuzeit stattfanden, wurde auch der Faustkampf wieder populär. 1896 war auch die Geburt des Films und Sport und Film hatten viele Gemeinsamkeiten. Neben sportlichen Aspekten war Boxen zu großen Teilen auch Entertainment.
Auf Rummelplätzen und im Zirkus, Boxkämpfe zogen Menschenmassen an, die im Clinch der bulligen Kontrahenten mit fieberten, bis einer weinte respektive zu Boden ging. Bevor aber Boxkämpfe im Ring nach international festgelegtem Regelwerk ausgeführt wurden, waren Straßenfaustkämpfe schon längst regelrechte Gassenhauer.
Die urtümlichste Form des Boxkampfes war das Kämpfen ohne Handschuhe, mit bloßen Händen, der sogenannte Bare-Knuckle-Fight. Bevor das Tragen von Boxhandschuhen zu einer festen Regel im Boxsport wurde, wurden Kämpfe auch im professionellen Bereich mit blanken Fäusten und Bandagen ausgetragen. Solche Boxkämpfe gab es unter Einwanderern im jungen Amerika, aber vorrangig kamen sie aus England. Bare-Knuckel-Fights sind wohl die puristischste Art des Kampfsportes und auch für den Film waren Prügeleien wegen ihrer Visualität ein beliebtes Metier.
Zwar wird im Film viel und oft mit der Faust hantiert, bis die Lippe platzt, Filme über echte Bare-Knuckle-Fights hingegen sind recht rar. In den siebziger Jahren prügelten sich Charles Bronson in EIN STAHLHARTER MANN und Clint Eastwood in DER MANN AUS SAN FERNANDO mit blanken Fäusten um das Recht des Stärkeren. Die wohl besten Bare-Knuckle-Kämpfe der Neuzeit werden in SNATCH und FIGHT CLUB ausgetragen, meist geht es um illegale Wettbewerbe, zähe Typen, die austeilen, aber auch einstecken können. Faustkämpfe im Film waren immer ein wenig überzogen, der Grat zwischen Ernsthaftigkeit und Klamauk oft schmal. Eine zünftige Prügelei hatte auch komödiantisches Potential.
So waren Faustkämpfe in den jungen Jahren des neuen Mediums Film auch eine fantastische Art der Unterhaltung, aus denen auch das Subgenre des Boxerfilms hervorging. Slapstick und Boxen, das lag früher eng beieinander. Charlie Chaplin und Buster Keaton haben sich höchst unterhaltsam dem Boxkampf hingegeben, später rückte der Sport aber in den inszenatorischen Hintergrund und wurde vielmehr zum Auslöser anderer Konflikte. Im Film Noir der 40er Jahre waren es die kriminellen Begleiterscheinungen des Boxsports, Wettbetrug, Absprachen, etc.. Der Sport selbst rückte in den Hintergrund und man thematisierte verstärkt das Umfeld der Figuren. Das beeinflusste den Boxerfilm, wie wir ihn heute kennen, entscheidend.
Balboa gegen LaMotta
Der moderne Boxerfilm entstand Ende der fünfziger Jahre und mit ihm die Standards des Subgenres. Ein Boxerfilm ist nur zum Teil Sportfilm, natürlich geht es in erster Linie um den Wettkampf, um Training und das Besiegen des Gegners. Das war aber nur eine äußere Säule, ein Boxerfilm war auch immer Drama, Biopic oder Coming-of-Age, die Themen waren Aufstieg und Fall, die Motive zum Teil sozialkritischer Natur, den Figuren ging es um unbedingten Wille und Kampfgeist, Standhaftigkeit und Durchhaltevermögen. Der Boxerfilm wurde zu einer Art Märchen über Charakterstärke.
Sport war eine Tür zu einer besseren Zukunft, nicht nur im Sinne der körperlichen Ertüchtigung und der gesunden Lebensweise. Wer Sport betrieb, musst Selbstdisziplin haben, Willensstärke und Kampfgeist. Diese Motive waren für den Film Goldes wert, denn Figuren, die über jene Sehnsüchte und Charaktereigenschaften verfügten, denen folgte man gespannt auf der Leinwand, man fieberte mit ihnen mit, wie man seinen sportlichen Favoriten im Wettkampf anfeuerte.
Filmgeschichtlich gaben sich da große Akteure im Sport und Film jeweils die Klinke in die Hand. In den dreißiger Jahren waren die Menschen einem Boxer namens Max Schmeling verfallen, in den fünfziger Jahren war es Rocky Graziano, in den siebziger Jahren das Jahrhunderttalents Muhammed Ali, deren Leben und Karriere auch verfilmt wurde.
Als der junge Schauspieler Sylvester Stallone 1975 den Kampf zwischen Ali und Chuck Wepner sah, den Wepner trotz großer Standhaftigkeit in der 15. Runde verlor, inspirierte das Stallone zu seinem Film ROCKY, der 1976 in die Kinos kam und den Grundstein für alle folgenden Boxerfilme legte. Mehr noch als andere Kampfsportarten, die bis 1976 auch filmisch die Herzen der Fans eroberten, gilt der Boxerfilm als Geschichte über die Erreichung maximaler Ziele unter Einsatz größten Willens und das unabhängig sozialer Herkunft.
Damit war der Boxerfilm auch immer eine Milieustudie und eine Allegorie darauf, dass es jeder schaffen kann, der nur hart genug trainierte. Damit fing der Film eine der Grundprinzipien des Sports ein, man konnte mit dem goldenen Löffel in der Wiege geboren worden sein oder einer armen Familie entstammen, im Sport zählt das alles nicht.
So wurde ROCKY nicht nur als Sportfilm bekannt, sondern auch als Sozialdrama. Bis heute spiegeln Boxerfilme vor allem den Aufstieg eines Underdogs oder Außenseiters, der am Ende gegen alle Widrigkeiten obsiegt. Dabei war ROCKY, trotz aller Untertöne, auch ein Märchen. Handlungselemente wie das Training, die Zweifel, die Niederlage, das Wiederauferstehen und der finale Kampf sind bis heute tragende Säulen der Dramaturgie von Boxerfilmen, aber auch Kampfsportfilmen insgesamt.
Der Gegenentwurf zu ROCKY kam dann 1980 in die Kinos, Martin Scorceses WIE EIN WILDER STIER und er beleuchtete die Schattenseite des Sports inklusive Wettbetrug und organisierte Kriminalität. Denn auch das umgab den Sport bis zum heutigen Tage. Der Boxerfilm funktioniert nach einfachen, aber wirkungsvollen Regeln. Von ROCKY über WIE EIN WILDER STIER bis zu MILLION DOLLAR BABY, THE FIGHER oder SOUTHPAW hat sich nichts grundlegendes verändert. Denn neben allen Hintergründen und sozialkritischen Untertönen war das Herz des Boxerfilms natürlich der Wettkampf und der war im Film oft genauso spannend wie ein echter Fight. Boxerfilme waren aber auch so erfolgreich, weil sie hinter die Kulissen dieses Sports blickten.
Denn für gewöhnlich sah man im wirklichen Leben nur den Showaspekt der Sportart. Der Begriff Show passt auch zu einer weiteren Sportart, die vor allem in den frühen 90er Jahren große Popularität erlangte – Wrestling.
Auch hier gibt es Irrungen und Wirrungen in Sachen Definition. Unter Wrestling versteht man die beliebte Schaukampfsportart, bei der sich die Akteure wie Hulk Hogan, The Undertaker oder Bret “The Hitman” Hart in großer Exaltiertheit gegenseitig zerklumpen, verknoten und bespringen. Das jedoch trägt die genauere Bezeichnung “Professional Wrestling”, Wrestling als solches bedeutet in unserem Sprachraum schlicht Ringen oder Catchen. Sowohl Professional Wrestling als auch Ringen hat das Genre filmisch weniger beeinflusst als der Boxsport, obwohl besonders bei ersterem der Unterhaltungs- und Schauwert an oberster Stelle stand.
Mit THE WRESTLER von Darren Aronofsky wurde zudem der beliebte Sport reichlich entzaubert und vor allem die Schattenseiten thematisiert. 2015 erschien mit FOXCATCHER ein seltener Film über zwei Profiringer, insgesamt ist diese Sportart filmisch aber eher unterrepräsentiert.
Boxen, ob mit oder ohne Handschuhe, Ringen und Wrestling, diese Sportarten sind vorrangig im europäischen und amerikanischen Raum beliebt und filmisch attraktiv. Doch im Vergleich zu asiatischen Kampfsportarten fehlt ihnen etwas, sie haben wenig bis gar keinen kulturellen Bezug.
Denn besonders im asiatischen Raum war Kampfsport und Kampfkunst schon immer Teil der jeweiligen Kultur. Und die Geschichte von asiatischer Kampfkunst im Film ist dann wieder eine völlig andere.
Ars Martialis
Der Martial Arts Film wird heute als eigenständiges Subgenre verstanden. Aber wo kommt er her? Martial Arts Filme als solche gab es erst ab den fünfziger, sechziger Jahren, Martial Arts im Film aber ist wesentlich älter, wenn auch nicht prägend für das Genre. Der erste Film, in dem Kampfkunst zelebriert wurde, entstand 1905 in Shanghai – DING JUNG SHAN. Als eigenständiges Subgenre thematisiert auch der Martial Arts Film die Ausübung verschiedener Kampfkunsttechniken in stilisierter, ästhetischer Form, zum Teil im Austragen von Wettkämpfen, aber auch als Form der Selbstverteidigung, des Angriffes und der Rache.
Der Martial Arts Film wird dem Actiongenre zugeschrieben und das ist nicht grundlegend falsch. Action definiert sich als Handlungselement, neben Verfolgungsjagden sind das zum Großteil kämpferische Auseinandersetzungen der Hauptfiguren. Aber der Martial Arts Film hat noch andere Stationen durchlaufen. Ursprünglich stammt der Martial Arts Film aus China und entwickelte sich aus den Subgenres Wuxia und Jidai Geki, welche hauptsächlich chinesische Schwertkunst und Reiterschlachten vor historischem Hintergrund thematisierten und nicht selten in den Bereich Fantasy tendierten.
Daraus leitete sich der Kampfkunstfilm ab, in dem sowohl bewaffnet (Samurais, Schwertkunst) als auch unbewaffnet gekämpft wurde (Kung Fu, Karate, Kickboxen). Wieder lassen wir bewaffnete Auseinandersetzungen außen vor und schauen uns handgemachte Martial Arts Werke und ihre Geschichte näher an.
Eine der tragenden Säulen des chinesischen Films war der Hongkongfilm, der im frühen 20. Jahrhundert entstand und seine Blütezeit in den siebziger Jahren hatte. Die Themen variierten gegenüber europäischen oder amerikanischen Filmen wie dem Boxerfilm, die sportliche Auseinandersetzung im Wettkampf stand nicht immer im Vordergrund.
Martial Arts Filme spiegeln Themen wie Rache und Rettung, von sportlicher Seite hat Training allerdings eine noch größere Bedeutung, denn nicht alles wird körperlich ausdefiniert. Asiatischer Kampfsport ist vor allem eine Frage der Einstellung, der Spiritualität und des Glaubens. Wie der Boxerfilm Fragen sozialkritischer Natur aufwirft, beschäftigt sich der Martial Arts Film auch mit Fragen der Philosophie und religiös motivierter Aspekte. Doch vor allem ist der Martial Arts Film Unterhaltungsware, die Geschichten besitzen schmale Plots und einfache Figurencharakterisierung, im Vordergrund stehen Kampfszenen, die im asiatischen Raum ungleich künstlerischer inszeniert wurden als im Westen.
Der Martial Arts Film begründet sich aber weniger aus kulturhistorischen Überlieferungen als aus echten Kämpfern, die wie Boxerlegenden die Leidenschaft nach diesem Sport anstachelten. Waren bis in die siebziger Jahre Kampfkünste als solche in gängige Dramaturgien wie Rachefilme eingeflochten worden, etablierte ein Mann allein das Subgenre mit nur fünf Filmen.
Der wilde Drache
Der 1940 geborene Lee Jun Fan, der später als Bruce Lee Weltruhm erlangen sollte, verbrachte Kindheit und Jugend in Hongkong, galt als aufrührerisch und rebellisch, prügelte sich mit seinen Mitschülern und erlernte mit 13 Jahren diverse Kampfkunsttechniken. 1959 wurde er nach San Franzisco geschickt, jobbte als Tellerwäscher, eröffnete Trainingszentren für Kampfkunst und nahm Schauspielunterricht. In Amerika war zu jener Zeit Kampfsport wie Kung Fu völlig unbekannt. So ergatterte Bruce Lee in den 60ern eine Rolle in der Fernsehserie THE GREEN HORNET. Doch so richtig kam die Karriere von Bruce Lee in den Staaten nicht in Gang.
Die Geschichte von Bruce Lee ist pure filmgeschichtliche Magie. Lee, der nach Amerika ging, dort eine Fernsehserie drehte, die ihn unbewusst in China zum Superstar machte. So ging er nach Hongkong zurück und drehte den Film THE BIG BOSS (DIE TODESFAUST DES CHENG LI), der alle Rekorde brach und Lee über Nacht weltberühmt machte. Denn die vier Filme, die er in Hongkong drehte, entfachten nun auch in Amerika einen Kampfsporthype.
Es war allerdings weniger ein Hype auf die filigrane Technik fernöstlicher Kampfkunst als die Interpretation Lees. Bruce Lee hatte einen eigenen Kampfstil, er galt und gilt als unnachahmlich. Seinen dritten Spielfilm DIE TODESKRALLE SCHLÄGT WIEDER ZU realisierte er als Regisseur, Drehbuchautor und Kampfchoreograf, engagierte den damaligen Karateweltmeister Chuck Norris, der Kampf zwischen den beiden gilt als bester Martial Arts Fight der Filmgeschichte.
Der Martial Arts Boom im Film fand hauptsächlich in Hongkong statt, wo Studios wie die SHAW BROTHERS durch den Erfolg von Bruce Lee Filmen unzählige Kampfkunstkopien produzierten. Auch nach Amerika schwappte diese Welle, zum einen durch die Koproduktion DER MANN MIT DER TODESKRALLE (ENTER THE DRAGON) 1973. Man sprach von der sogenannten “Kung Fu Craze”, die Amerika fest im Griff hatte.
Doch nach nur vier Filmen verstarb Bruce Lee im Jahr 1973 überraschend in Hongkong, ein fünfter und letzter Film GAME OF DEATH konnte erst nach seinem Tode adäquat fertiggestellt werden. Doch mit diesen wenigen Filmen formte Bruce Lee das Martial Arts Genre von Grund auf und mit ihm das Interesse an asiatischen Kampfsportarten. Plötzlich schossen Studios und Kampfsportzentren aus dem Boden, Jugendliche waren inspiriert von Lees Kampfstil und Kampfgeist und eiferten ihrem Idol nach.
Der Tod von Bruce Lee hinterließ allerdings eine kaum zu füllende Lücke im Hongkong-Kino, welches mit seinen Werken in den frühen siebziger Jahren auf dem Höhepunkt war. Was dem folgte, war zum Teil eine unheimliche Groteske.
Aus filmischen Fragmenten älterer Bruce Lee Streifen wurden teilweise üble Machwerke auf den Markt geschmissen, um vom Ruhm Lees posthum zu profitieren. Die Akteure wollten Lee nicht nur nacheifern, sie wollten seinen Thron. Die neuen Schauspieler machten das recht rigide und wenig zimperlich, sie nannten sich Bruce Li und glaubten, das würde schon reichen.
Tat es in gewisser Weise auch, denn die Zeit zwischen Bruce Lees Tod 1973 und dem Abflachen der Welle 1984 brachte das Subgenre Bruceploitation hervor, in dem es ausschließlich um das Erbe von Bruce Lee ging. Das waren einerseits ultratrashige Angelegenheiten, andererseits ganz passable Actionfilme, die wiederum in Amerika persifliert wurden.
Slaps ´n Kick
Wenn es einen legitimen Nachfolger von Bruce Lee gab, dann war das Jackie Chan, obwohl sich sein Stil und die Stilistik seiner Filme grundlegend von Bruce Lee unterschieden. Zwar war auch Chan ein Kampfkunstgenie, aber er interpretierte seinen Sport in Richtung Slapstick der frühen Stummfilmzeit und lehnte sich an Keaton oder Chaplin an.
Jackie Chan brachte Humor in die verschwitzte und bluttriefende Kampfkunstfilmszene und wurde ebenfalls zur Legende. Humoristische Züge hatten zwar auch andere Martial Arts Stars und Choreografen wie Sammo Hung, aber Jackie Chan war mehr als nur Kämpfer. Er war Akrobat, Komödiant, Stuntman und machte oft mit waghalsigen Aktionen von sich Reden, die nicht selten schwere Verletzungen nach sich zogen.
In den Staaten schaffte Jackie Chan erst Mitte der Neunziger den Durchbruch mit RUMBLE IN THE BRONX. Die amerikanische Filmindustrie versuchte eigene Wege zu Zeiten der Kung Fu Craze, man wollte westliche Gesichter mit asiatischen Skills, nur waren die Mitte der Siebziger in Hollywood kaum zu finden. Doch mit der Euphorie über asiatischen Kampfsport, den neuen Trainingsstudios und dem Herüberschwappen der Kampfsportwelle aus Hongkong machten sich Anfang der Achtziger Jahre auch in Amerika Newcomer einen Namen. Meist waren es Sportler, die im Filmgeschäft landeten.
Chuck Norris kämpfte bereits gegen Bruce Lee, da war er bereits Karate Weltmeister. Doch Hollywood hatte weniger Interesse an der Mystik ferner Kampfsportstile und ihrer Tradition als daran, Kämpfe in Filmen realistischer, opulenter, visueller und fühlbarer zu machen. So bediente man sich dem Kampfsport mehr als Mittel zum Zweck.
Das führte zum Teil zu wilden Verwechslungen, man nahm es mit Begrifflichkeiten nicht so ernst, mit genauen Kampfabläufen und Techniken erst Recht nicht. Kampfsport boomte zwar, aber man hielt die Philosophie dahinter eher klein. Was aber auch in Amerika zog, war die Geschichte von Außenseitern, die durch große Willensstärke am Ende den Sieg davontrugen.
Das begeisterte Alt und Jung, das spornte an und ließ so manchem Filmfreund ein Abonnement in einem Karate- oder Kickboxclub abschließen. Kickboxen oder Muay Thai wurden durch Jean Claude van Damme berühmt, die Filmreihe KARATE KID generierte Interesse am japanischen Karate. Man konnte aber auch einen Film über Kickboxen gut und gerne KARATE TIGER nennen, wenn auch faktisch falsch reichte es, mit solchen Begriffen Interesse anzustacheln.
KARATE KID hat zwar eine fernöstliche Kampfkunstsportart als Thema, inszenatorisch war der Film aber durch und durch amerikanisiert. Die wirkliche Philosophie hinter der Kampfkunst war nicht der Erfolgsgarant dieser Filme, es war der ausgetragene Kampf selbst. Zwar gehören Trainingseinheiten und Selbstdisziplin auch zu dramaturgischen Eckpfeilern des amerikanischen Martial Arts Films, doch wurden die immer von den Schauwerten des Kampfes beiseite geschoben.
So fällt es schwer, amerikanische Martial Arts Filme überhaupt als solche zu bezeichnen. Selbst Karate Weltmeister Norris wurde in ganz normale Actionrollen gesteckt, von Einzelkämpfer bis zum Ranger, der lediglich über filigranere Kampftechniken verfügte. So erging es auch anderen Künstlern, die asiatische Kampftechniken beherrschten, im Film aber vorrangig breitgetretenen Actionpfaden folgten. So auch Jean Claude Van Damme, der Mitte der Achtziger Karriere in Hollywood machte.
Mach ma Spagat, Jean Claude!
Für Hollywood war Van Damme ein Glücksgriff, obwohl er Belgier war, konnte er doch eine Identifikationsfigur für das amerikanische Publikum sein. Er war Stuntman für Norris in MISSING IN ACTION und gab 1986 sein Spielfilmdebüt in NO RETREAT AND NO SURRENDER, der in Deutschland als KARATE TIGER veröffentlicht wurde. Darin spielte van Damme noch den Bösewicht, doch 1988 wurde er als Frank Dux in BLOODSPORT weltberühmt und man nannte ihn fortan “The Muscles from Brussels”.
Das man es mit Traditionen und geschichtlichen Aspekten fernöstlicher Kampfkunst im amerikanischen Film nicht so genau nahm, war dabei für den Erfolg nebensächlich. Van Dammes Durchbruch war mehr B-Movie als je zuvor, heroisch aufgeplustert, romantisiert und reichlich brutal. Aber BLOODSPORT und KICKBOXER wurden zum Grundstein für Van Dammes Karriere und sind auch heute noch bedeutende Martial Arts Klassiker. Was allerdings danach kam, verdient das Siegel Martial Arts nur bedingt.
Denn Van Damme sollte hauptsächlich kämpfen, ohne, dass man sich des asiatischen Mythos bediente. So kickboxte sich Van Damme als Cyborg durch, als UNIVERSAL SOLDIER, als Legionär, manchmal war es haarsträubend, passten doch Rolle und Kampfkunst nur bedingt zueinander. Am Ende hantierte auch Kampfkünstler van Damme mit allerlei Schusswaffen, wenn er Glück hatte, durfte er mal noch einen Spagat machen, aber nur weil van Damme irgendwo auf dem Plakat stand, musste es noch lange kein Martial Arts Film sein.
Diese Schicksal traf auch Steven Seagal, der Zen, Aikidō, Kendō, Judo und Karate ausübte und unterrichtete, in seinen Filmen aber hauptsächlich als Actionbollwerk auftrat und deshalb auch Kritik einstecken musste, nicht vorrangig wegen seiner schauspielerischen Leistung. Amerika bediente sich gern am Können der Kampfkünstler, war aber nicht daran interessiert, asiatische Moral und Ethik zu vermitteln. Was gut und knackig aussah, gefiel, aber mehr meist nicht.
Doch ab den neunziger Jahren änderte sich das ein wenig, als der Hongkongfilmmarkt zusammenbrach und viele asiatische Akteure und Regisseure nach Hollywood gingen, wie Jackie Chan, John Woo oder Chow Yun Fat. Teilweise hatten sie Erfolg in den Staaten, doch veränderten sie dramaturgische und inszenatorische Säulen des amerikanischen Films nur indirekt.
Denn Hollywood adaptierte eher Kampfkunst in ihre westlichen Erzähltechniken. Das geschah bereits 1977 bei STAR WARS, der sich auf Samuraifilme bezog, mit Jedirittern eine Art buddhistische Fantasiemönche etablierten, deren geistiger Anführer ein Zenmeister namens Yoda war. In den Achtzigern versuchte man noch, asiatische Kampfkunst mit westlichen Schauspielern zu verkaufen, bis man sich Mitte der neunziger Jahre auch mit den philosophischen Hintergründen beschäftigte.
Martial Arts Filme haben den amerikanischen Film durchaus verändert. Kampfchoreografie war zuvor träge, roh und unkoordiniert. Mit THE MATRIX oder auch STAR WARS EPISODE 1 wurden unbewaffneter wie bewaffneter Kampf nach fernöstlicher Tradition zum Markenzeichen neuer Actioninszenierung.
Regisseure mit Faible für den asiatischen Filmmarkt ließen Strukturen und Zitate in ihre Produktionen einfließen, wie Quentin Tarantino in KILL BILL, BLADE war eindeutig vom chinesischen Schwertkampf inspiriert. Neue Akteure wie Marc Dacascos oder Jason Statham betraten die Filmbühne und boten ihre Kampfkünste feil. Hollywood machte das, was es immer schon tat, es assimilierte erfolgreiche ausländische Filmstrukturen. Nach der Kung Fu Craze Mitte der Siebziger führten die späten neunziger Jahre zu einem zweiten Frühling asiatischer Filmkunst in Hollywood, wovon auch chinesische und japanische Produktionen profitierten.
“Kämpfen nicht gut! Aber wenn kämpfen, dann gewinnen!”
Denn ab 2000 ging es auch mit der östlichen Filmmetropole Hongkong wieder aufwärts, durch Thriller wie INFERNAL AFFAIRS und durch neuere Martial Arts und Wuxia Filme wie TIGER & DRAGON oder HERO, die international Aufsehen erregten.
Damit konnten auch wieder asiatische Stars international Fuß fassen, so wurden Jet Li, Chow-Yun Fat oder Tony Jaa zu Stars und traten das Erbe von Bruce Lee und Jackie Chan an. Neuere Martial Arts Filme spiegeln noch stärker die Mystik und Eleganz von asiatischen Kampfsportarten wieder, die Choreografien sind ausgetüftelter und opulenter bebildert, wenn auch kein Kampf an die Techniken eines Bruce Lees heranzureichen schien.
Nachdem sich Hollywood, aber auch Europa das Beste aus asiatischen Martial Arts Filmen gekrallt und umgetopft hat, sind heute Kampfchoreografie und Stilistik nach asiatischem Vorbild ein Standard in der westlichen Inszenierung. Doch der Martial Arts Fan braucht heutzutage keine Adaption mehr, denn der asiatische Filmmarkt steht dank Import und internationaler Auswertung heute jedem offen. Im B-Moviebereich wird der Markt heute nahezu überflutet mit asiatischen Produktionen rund um Kampfkunst und Kampfsport.
Die Zeiten haben sich geändert, Kampfsportarten stehen seit Bruce Lee noch immer hoch im Kurs, Zensurmassaker wie in den Achtzigern, die wohl jeden van Damme Film betrafen, kommen heute so nicht mehr vor. Beste Zeiten also für Martial Arts Fans. Für den Genrefilm hatte der Martial Arts Film schon immer eine große Bedeutung, nicht nur wegen der Visualität und der Action. Für die Figuren bedeutet Kampf immer ein Austragen ihrer inneren wie äußeren Ziele, gegen jeden Widerstand.
Kämpfen, Wille, Disziplin, das macht aus Figuren puristische Helden, die im Einklang mit Körper und Geist sein müssen, um zu obsiegen. Der geschichtliche wie philosophische Hintergrund macht Kampfkunstfilmen im Genre sehr breit, von Geschichte, Fantasy bis zur Science-Fiction hat Martial Arts Spuren in vielen Filmsparten hinterlassen.
Ich verneige mich ehrfürchtig vor diesem Genre, welches mich bereits als Kind fasziniert hat. Manchmal würde ich gern noch eine Kampfsportart erlernen, aber die Gelenke! Naja, auch mit gut trainierten Fingern kann man der Kampfkunst nachgehen. Einfach immer wieder DIE TODESKRALLE SCHLÄGT ZURÜCK in den Blu-ray Player schieben und der Playtaste einen Handkantenschlag geben. Denn beim Film kann man durch Kampfkunst einiges lernen, vor allem Durchhaltevermögen. Oder wie Bruce Lee einst sagte:
“Wenn du immer Limits legst, auf alles was du tust, physisch oder alles andere, dann wird dies auch auf deine Arbeit und auf dein Leben übergreifen. Es gibt keine Limits. Es gibt nur Plateaus. Und du darfst dort nicht stehenbleiben, du musst über diese hinausgehen.”
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
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