Die kleine Genrefibel Teil 4: Drachenfilme
“Es kroch der alte Drache aus seinem Felsgemache. Mit grausigem Randal. All’ Jahr ein Mägdlein wollt’ er, sonst grollt’ er und radollt’ er, fraß alles ratzekahl.” Wilhelm Busch
Die drei großen Kategorien der Phantastik sind nach wie vor Science-Fiction, Fantasy und Horror. Während beim Science-Fiction Film vorrangig Themenfelder aus Wissenschaft, Technik, Gesellschaft und Ethik Subgenre bilden, sich der Horrorfilm auf dramaturgische Gerüsten wie Bedrohung, Entkommen und Überleben beruft, bezieht der Fanatasyfilm seine Motive aus Geschichte, Mythologie, Sagen oder Heldenepen. Darüber hinaus ist Fantasy schwieriger in Subgenre zu untergliedern als beispielsweise der Horrorfilm. Neben klassischer Fantasy á la Tolkien etablierten sich beispielsweise Steampunk, Ritterfilme, Märchen oder Hybriden aus Sci-Fi (STAR WARS) oder Horror (Cthulhu-Mythos). Natürlich geben auch einzelne Wesen oder Kreaturen, ähnlich Vampiren oder Werwölfen, Fantasysubgenres einen Tummelplatz. Doch noch vor Orks, Ogern oder Einhörnern ist der Drache jenes Wesen, welches die Literatur und den Film am nachhaltigsten geprägt hat.
Drachen. Im Gegensatz zu ähnlichen Wesen aus anderen Bereichen wie Saurier oder andere Giganten ist der Drache kein grundsätzlich feindliches Geschöpf. Die Legenden um Drachenwesen (lateinisch draco für Schlange) reichen bis weit vor Christi Geburt zurück. Als ikonisches Fabelwesen wurden dem Drachen bestimmte Eigenschaften zugesprochen, als Symbol von Stärke und Macht, Fruchtbarkeit oder als Glücksbringer.
Durch den Drachen entstanden dann auch Erzählungen, die im Bereich Dramaturgie und Storytelling heute immer noch ganz grundsätzlicher Natur sind – das Heldenepos. Neben der Iljas von Homer ist die bedeutendste Heldenreise auch eine Geschichte über einen besonderen Drachen: Das Nibelungenlied zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Siegfried, der in Drachenblut badete und dem ein Lindblatt auf dem Rücken zum tödlichen Verhängnis wurde. Im Kern ist die Reise des Helden von STAR WARS bis HERR DER RINGE noch heute ein beliebtes und funktionierendes dramaturgisches Gerüst.
Die Heldenreise
Der Drache in Mythologie und Film ist nicht per se ein Antagonist. Natürlich ist im Heldenepos der Drache das Ziel des Helden, ihn zu besiegen seine Pflicht als Ritter, die Ödnis von seinem fauligen Atem zu befreien sein Schicksal. Aber Drachen sind auch untrennbar mit der Natur und dem ökologischen Gleichgewicht einer Fantasywelt verbunden. In EXCALIBUR (1981) von John Boorman beginnt die Welt dahinzusiechen, als Artus sein Schwert in den Rücken des Drachens schlägt, dort, wo Guinerva und Lancelot nach einem Schäferstündchen ruhen. Die Anwesenheit eines Drachen bedeutet einen Fluch für die jeweiligen Landstriche, aber verbrannte Erde und Asche auch Fruchtbarkeit. Der Drache wird somit auch bewundert, gilt als Teil der Natur, als ikonisches Wesen voller Anmut und Pracht.
Dennoch profiliert sich der Drachenjäger oder Drachentöter stärker an diesem Geschöpf. Denn diejenigen, die auszogen, um den Drachen zu erlegen, taten dies nur zum Teil aus Abenteuerlust, sondern auch, weil dann ein halbes Königreich und die hochnäsige Tochter des Herrschers als Belohnung warteten. Der Held hat ein Motiv und zieht los, den Drachen zu erlegen. Das ist faktisch dramaturgischer Zement.
Durch den Einfluss des Heldenepos ist deswegen der Drachenfilm auch viel stärker dramaturgisch strukturiert als zum Beispiel Tierhorror. Zwischen Held und Drache besteht eine stärkere Verbindung. Wenn ich das einmal so betrachten will, gibt es heute zwei Strömungen des Drachenfilms. So sind Drachen vor allem in Low Budget Fantasystreifen präsent oder im Animationsbereich. Filme über Drachen in den obersten Etagen des Mainstreamkinos werden immer seltener, und wenn, steht der Drache nicht unbedingt im Mittelpunkt der Geschichte (HARRY POTTER UND DER FEUERKELCH oder DER HOBBIT). Ich habe einmal zwei gelungene Beispiele für Drachenfilme herausgesucht. Beide überraschen mit ungewöhnlichem Ansatz im Bereich Dramaturgie und Storytelling.
In Realfilmen um Drachen sind diese Wesen oft feindliche Artgenossen, die Feuer speien, Schafherden auffressen oder ganze Landstriche verwüsten. Im Bereich Animation dagegen ist der Drache häufig ein Freund des Menschen oder des Protagonisten. Während in Realverfilmungen Drachen immer aufwändiger gestaltet und animiert wurden, entwickelten sich Drachen in Zeichentrick oder Computeranimation zu redseligen Labertaschen mit Sorgen und Problemen (MULAN) oder süßen Freunden für die Kleinsten (ELLIOT, DAS SCHMUNZELMONSTER). Doch bei folgenden Drachenfilmen ist dieser Umstand einmal geschickt umgedreht worden.
DRAGONHEART
In DRAGONHEART aus dem Jahr 1996 existieren Drachen, die sprechen können. Draco, im Original gesprochen von Sean Connery, ist ein alter, weiser, manchmal aber auch tolldreister Bursche von edlem Gemüt. Weil er der letzte seiner Art ist, geht er mit Drachentöter Bowen (Dennis Quaid) einen Handel ein. Als Team spielen sie arglosen Dorfbewohnern eine Show vor, um an Gold zu kommen. Natürlich gibt es auch einen bösen König, der sich sein Herz mit dem Drachen teilt, beide Leben also verbunden sind. Tötet man den König, so stirbt auch der Drache, und anders herum.
DRAGONHEART ist als Drachenfilm untypisch, weil er durch die Entscheidung, einen sprechenden Drachen als Figur zu etablieren, eigentlich in Gefilde des Animationsfilms eindringt. Das hat natürlich damit zu tun, dass die physische Gestalt des Drachen allein sehr aufwändig zu realisieren ist, sprechende oder wirklich interagierende Drachen noch mehr. Deswegen ist es nicht nur für einen Fantasy-Realfilm, noch dazu aus dem Jahr 1996, bemerkenswert, eine Geschichte über die Freundschaft zwischen Ritter und sprechendem Drache zu erzählen.
Das wird vorrangig im Animationsfilmbereich gemacht. Bei DRAGONHEART aber funktioniert es fantastisch. Das liegt zum einen an den für diese Zeit hervorragenden Animationen von Draco, aber eben auch in dessen Seele, die ihm Sean Connery oder Thomas Danneberg in der deutschen Synchronisation Leben einhauchen. DRAGONHEART ist zudem grandios geschrieben, ein klassisches Heldenepos um Werte, den Kodex, dramaturgische Verstrickungen wie die Verbindung zwischen Gut und Böse, Erlösung und Aufopferung.
DRACHENZÄHMEN LEICHT GEMACHT
Im Animationsspektakel DRACHENZÄHMEN LEICHT GEMACHT (HOW TO TRAIN YOUR DRAGON) aus dem Jahr 2010 verhält sich das anders. Dort gibt es einen Helden namens Hicks, der eigentlich ein Hänfling ist und der sich mit der Wikingersippe seines Dorfes herumschlagen muss. Der Film beginnt ganz klassisch wie viele Animationsstreifen aus dem Hause PIXAR oder DREAMWORKS ANIMATION, und man könnte annehmen, sobald dort ein Drache auftaucht, wird er sogleich anfangen zu labern, möglicherweise sogar mit der deutschen Synchronstimme Michael Mittermeier. Doch falsch gedacht.
Der Animationsfilm stellt die Drachenarten, so putzig sie manchmal auch sind, in ihrem Verhalten und instinktivem Verhalten wie reale Wesen dar. Somit unterscheidet der Film sich erheblich von MULAN, SHREK oder THE QUEST FOR CAMELOT. Trotzdem bietet er auch die Rasanz und Detailverliebtheit von Animationsreferenzen, er ist auch eine wilde 3D-Achterbahnfahrt. Aber gerade weil Ohnezahn, ein Nachtschattendrache, wie ein Exemplar aus einer Realverfilmung wirkt, versprüht er seine ganz eigene Magie. Für mich sind DRAGONHEART und DRACHENZÄHMEN LEICHT GEMACHT zwei herausragende Beispiele für Drachenfilme.
Von Tabaluga bis Smaug
Der klassische Fantasydrache speit Feuer, liebt Gold und Jungfrauenopfer und wird irgendwann vom Helden zur Strecke gebracht. Dabei ist es nicht so entscheidend, ob sich der Drache in einer Fantasywelt wie Mittelerde bewegt oder am Himmel der realen Welt auftaucht. In DIE HERRSCHAFT DES FEUERS (REIGN OF FIRE) ist der Kampf Held gegen Drache im Kern nicht anders als in DER DRACHENTÖTER. Ungewöhnliche Drachen gibt es in Filmen wie BISS DER SCHLANGENFRAU (dort ist es die Legende des Lindwurms) oder in DIE UNENDLICHE GESCHICHTE (Fuchur, der Glücksdrache). Im Animationsbereich sind mittlerweile auch Drachen der Phänomene POKEMON oder YU-GI-OH angekommen. Doch ein Mikrogenre um Drachen gibt es in der Tat noch.
Die Rede ist von Nessie, das Ungeheuer von Loch Ness. Streng genommen ist Nessie ein Wasserdrache, der auf den Leviathan zurückgeht. Weil sich in der Wirklichkeit ein großes Mysterium um den See im schottischen Hochland gebildet hat, gibt es auch ein Hand voll toller Filme um diesen speziellen Drachentyp.
Neben dem Klassiker NESSIE – DAS GEHEIMNIS VON LOCH NESS mit Ted Danson ist auch die relativ neue Verfilmung MEIN FREUND, DER WASSERDRACHE absolut empfehlenswert. Und solange in Loch Ness nicht irgendwann ein echter Wasserdrache auftaucht, wird man sich in der Phantastik auch weiterhin mit diesem Fabelwesen beschäftigen.
Drachen sind anmutige Geschöpfe voller Schönheit, aber auch Gefahr. Der klassische Drache des Mittelalters steht im Mittelpunkt des Subgenres. Aber auch chinesische (Lung) und japanische Variationen (Ryo) tauchen hier und da in der Filmwelt auf, sowie der lateinamerikanische Quetzalcoatl oder die griechische Hydra. Basilisken und Greife könnte man noch dazuzählen, aber der Drache an sich gehört definitiv in sein eigenes Gehege. Um Dinosaurier oder andere Echsen, die sich doch von Drachenfilmen unterscheiden, kümmern wir uns in einer anderen Folge der kleinen Genrefibel.
Leider ist die große Zeit der Fantasyfilme vorbei, nur GAME OF THRONES hält noch frisches Drachenfutter für den Genrefreund bereit. Zumindest im High Budget Bereich. Denn Fantasytrash und Direct-To-DVD-Ware wie DRAGON WARS oder AGE OF DRAGONS findet man noch häufig in den Videotheken. Auch dort fokussiert man vor allem den klassischen Mittelalterdrachen. Leider werden Drachenwesen aus anderen Kulturkreisen eher selten thematisiert. Das führt dazu, dass es mir schwer fällt, einzelne Filmdrachen optisch überhaupt auseinander halten zu können.
Dass Drachen auch heute noch Millionen Zuschauer begeistern können, zeigt auch die Serie GAME OF THRONES, obwohl ganz unsicher ist, ob der Erfolg nun von den putzigen Drachen herrührt, ich bezweifle es. Aber Daenerys Targaryen Drachenkinder namens Drogon, Rhaegal, Viserion sind immerhin Publikumslieblinge. Das besondere an ihnen ist sicher, dass es kaum ein Filmwerk gibt, welches die Lebens- und Wachstumsspanne eines Drachen thematisiert hat, von dreien schon gar nicht. Seit die Viecher aus ihren Eier geschlüpft sind und Daeneris auf ihren Reisen begleiten, wuchsen sie den Zuschauern mehr ans Herz.
Von TABALUGA bis SMAUG begeistern Drachen aber ganz unterschiedliche Altersgruppen. Der Drache ist noch immer das faszinierendste Wesen des Fantasygenres. Die Frage ist, wohin die Reise gehen wird. Auch im Realfilmbereich ist es mittlerweile möglich, riesige Geschöpfe bis ins kleinste Detail zu animieren. Auch sprechende Drachen sind längst nicht mehr nur im Animationsbereich für Kinder und Jugendliche zu finden. Doch optisch ist in der Gestaltung von Drachen kaum mehr Luft nach oben. Drachen könnten sich also eher dahingehend weiterentwickeln, dass sie ähnlich wie in DRAGONHEART oder DER HOBBIT zu agierenden Charakteren neben den Hauptfiguren werden, vielleicht selber Protagonisten werden.
Doch was ist ein Drache ohne den Held, der auszieht, um ihn zu erlegen. Vielleicht sind alle Geschichten mit Drachen bereits erzählt. Trotzdem sieht man die imposanten Wesen immer wieder gern, denn Geschichten um Drachen begeisterten das Publikum schon seit Jahrhunderten und werden es im Fantasybereich wohl auch noch eine Zeit lang tun.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
Lesen Sie in der nächsten Folge:
Noch ein Klassiker: “Der Drachentöter” mit Peter MacNicol
[…] durch den Äther schwingt und schwillt, eine kurze Anmerkung. Zeitreisen, Tierhorror, Drogen und Drachen waren die letzten Stationen auf der großen Genrereise. Doch um was in der Unterwelt soll sich […]
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