Die kleine Genrefibel Teil 33: Home Invasion

Nun gut, sprach der Papa zu seiner Tochter Florentine, aber du bist um elf wieder zu Hause, denn morgen musst du wieder in den Kindergarten. Des Vaters Sorge ist berechtigt, denn Draußen, vor der Tür, das weiß der gelernte Außenhandelskaufmann, ist die Welt böse, gewalttätig und schlecht. Eine junge Frau hingegen, die von einem fiesen Messerstecher entführt und im Wald an eine Rotbuche getackert wird, beginnt bereits nach einer Woche zu lamentieren, sie will wieder nach Hause. Während die Meisten ihr Anwesen im Winter mit Lichterketten verzieren, installiert Hauseigner Guido Holzbein um seine Immobilie Selbstschussanlagen, Fallbeile und Stolperdrähte. Zustände wie in einem Horrorfilm! My home is my castle, so sagt der Volksmund. Tür hinter sich zu machen, Fernseher an, Füße auf den Wohnzimmertisch (Schuhe nicht ausziehen!), warten bis die Gattin das angewärmte Pilsener reicht, zusammengefasst: Ruhe haben – die Idealvorstellung eines jeden Hauseigentümers.

 

60 Quadratmeter Todesangst

Die eigenen vier Wände, ob nun gemietet oder selbst verziegelt, im echten Leben wie im Film stellen sie für gewöhnlich einen Ort des Friedens und des Rückzugs dar. Aber nicht immer. Das eigene Haus oder die eigene Wohnung kann schnell zum Schauplatz blanken Horrors werden, wenn man einem Eindringling ausgesetzt ist. Die Diskrepanz schafft dieses Potential, denn die Wohnung steht im Normalfall für Schutz, für Privatsphäre, für freie Entfaltung jedweder Lebensweisen. Wenn man in seiner eigenen Wohnung einer Bedrohung ausgesetzt ist, wirkt das psychologisch wesentlich unangenehmer als eine Attacke auf offener Straße.

 

 

 

 

Opfer eines Einbruchs zu werden, egal ob man nun anwesend ist oder das erst nach dem Urlaub bemerkt, ist und bleibt eine absolute Horrorvorstellung. Dabei kann man noch froh sein, wenn es nur um das Entwenden von Wertgegenständen geht. Da in Filmen des Öfteren Urängste aufgegriffen und storytechnisch verwurstet werden, gibt es auch eine Subgenresparte, die mit der Angst vor der Unsicherheit in den eigenen vier Wänden spielt – Home Invasion Movies sind beklemmend, denn sie drehen den Spieß um und machen aus dem scheinbar sicheren Zuhause einen Ort des Schreckens und der Angst.

 

Man wähnt den Home Invasion Film als relativ junges Subgenre, aber so ganz stimmt das nicht. Die Wahrheit ist, in letzter Zeit häufen sich Filme jener Machart, zuletzt IN YOUR SKIN, THE PURGE, YOU´RE NEXT. Jener Output an Home Invasion Streifen ist im eigentlichen Sinne aber eine Weiterverarbeitung des Themas in Richtung Terrorfilm. Was ist er nun, der Home Invasion Film, Survival-Horror, Thriller, Drama oder gar Komödie? Was unterscheidet KEVIN ALLEIN ZU HAUS von INSIDE, was PANIC ROOM von THE STRANGERS? Die Frage ist eher, was sie alle eint.

 

Hausfriedensbruch

 

Beim Komplex Home Invasion steht, wie der Name schon sagt, das Eindringen einer oder mehrerer fremder Personen ins eigene Heim im Vordergrund. Kriminalistisch kann man das noch breiter definieren. Sagt man schlicht Einbruch, ist das für diese Filme zu kurz gedacht. Was Home Invasion vom schöden Einbruch unterscheidet ist, dass es meist bei Anwesenheit der Hausbewohner geschieht. Aber auch Einbrüche sind nur ein Teil der Filmsparte, die thematisiert wird. Das Gesetz beschreibt den Einbruch einerseits als “besonders schweren Fall des Diebstahls” als auch als “Diebstahl mit Waffen, Bandendiebstahl oder Wohnungseinbruchdiebstahl”.

 

Doch nicht jeder Eindringling hat eine Bereicherungsabsicht. Das deklariert man wiederum als Hausfriedensbruch und das kann auch mit Mord oder Totschlag einhergehen. Die dramaturgische Wurzel allen Übels aber liegt im Eindringen in ein fremdes Heim, egal mit welcher Absicht. Es ist der Ausgangspunkt für Geschichten, die einen unter die Haut gehen, weil jeder diesen Vorgang nachvollziehen kann und keiner wirklich davor gefeit ist.

 

 

Dafür waren nicht wirklich Filme verantwortlich. Im Gegenteil, Filme haben versucht, diese Angst zu verarbeiten. Home Invasion Movies gibt es seit den fünfziger Jahren, beispielsweise die Thriller-Klassiker DIAL M FOR MURDER (1954), SUDDENLY (1954) oder THE DESPERATE HOURS (1955), auch bekannt als AN EINEM TAG WIE JEDER ANDERE. Drei Gangster, die aus dem Knast ausgebrochen sind, brechen dort in das Haus einer Familie ein und nehmen sie als Geiseln. Man würde den Film eher als Geiseldrama mit Thrilleranteilen wahrnehmen, doch das Eindringen in ein fremdes Heim ist für gewöhnlich die Initialzündung für das weitere Geschehen in jedwede Richtung. In vielen Fällen entwickeln sich Home Invasion Filme nämlich so, dass nach dem geplanten und vorbereiteten Einbruch Dinge passieren, die so nicht eingeplant waren und die die Tragödie beeinflussen.

 

 

Der Mord an der Clutter Familie 1959 – Vorlage für KALTBLÜTIG als Buch und Verfilmung

Beeinflusst wurde hier der Film auch wieder von der Realität, wie umgekehrt. Ein ähnliches Szenario wie in THE DESPERATE HOURS geschah 1959 in der Stadt Holcomb im US-Bundesstaat Kansas. Perry Smith und Dick Hickock drangen am 15. November 1959 in das Farmhaus der Familie Clutter ein, um Geld zu stehlen, fanden jedoch keins und töteten das Ehepaar Clutter und ihren Sohn.

 

Der Fall erlangte große Bekanntheit, als beide Täter gefasst wurden und der Schriftsteller Truman Capote den Fall als Buch aufarbeitete, der 1967 Vorlage für den Film KALTBLÜTIG (IN COLD BLOOD) wurde. Vielleicht ist KALTBLÜTIG der erste richtige Home Invasion Film, doch wie viele Vertreter dieser Sparte war zwar die Tat an sich Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, doch wurde die nicht selten rückwirkend wie fortlaufen weiterinterpretiert und Opfer wie Täter psychologisiert. Wenn sich der Home Invasion Film weiterentwickelt hat, dann in der Richtung, dass psychologische Interpretationen zugunsten größeren Schreckens später eher weniger reflektiert wurden.

 

THE DESPERATE HOURS (1955)

IN COLD BLOOD (1962)

 

Was macht den Home Invasion Film so ungemein spannend wie erfolgsversprechend? Nun, zum einen sind solche Flicks günstige Produktionen – immerhin spielen sie zu einem beachtlichen Teil, wenn nicht gänzlich, in geschlossenen Räumen. Home Invasion Movies sind dramaturgische Wundertüten. Natürlich ist der erste Aspekt der des Ortes. Das eigen Heim ist psychologisiert, denn dort wähnt man sich sicher. Doch dieser Schein wird schnell trüb, denn es ist nur eine Idealvorstellung, die Tür zuzusperren und somit der Gewalt von Draußen einen Riegel vorzuschieben. Sobald ein Eindringling diese Grenze überwunden hat, wird das eigene Haus nicht selten zur Falle.

 

Dramaturgische Nebenkostenabrechnung

 

Psychologisch mag das eigene Haus oder die eigene Wohnung eine perfekte Anlage für einen Spannungsstoff sein, aber auch rein dramaturgisch sind beengte Szenarien Goldes wert. Beklemmung und Dichte erreichen Home Invasion Streifen durch die Kompaktheit der Lokalität. Ein Haus ist eine leicht zu verstehende Örtlichkeit, eine begrenzte Anzahl von Räumen verschiedener Funktionen, Wege, Fluchtmöglichkeiten.

 

Ein Home Invasion Film kann deshalb eine große Dichte erlangen, denn er verlangt kaum Schauplatzwechsel, die Tür ist die einzige Fluchtmöglichkeit, vielleicht noch das Fenster, nur das nützt Bewohnern des achten Stockwerks nur bedingt. Im Haus sind aber noch andere Dinge, Telefone, möglicherweise Waffen. Klar definieren sich diese Gegenstände als hilfreiche Objekte, aber es geht meist mehr darum, sie überhaupt zu erreichen, was sie wieder ortsgebunden macht. Das Wissen, im Schrank auf der 2. Etage steht eine Schrotflinte führt zuerst zu der Frage, wie komme ich da hin.

 

Weil ein Haus oder eine Wohnung überschaubar ist, kann der Zuschauer das beklemmende Szenario sehr gut nachvollziehen. Man schaut dann beim Filmgenuss vielleicht mal über die eigene Couchkante und überlegt, wie man, wenn man muss, flüchten oder zurückschlagen könnte. Doch nicht nur die örtliche Komponente, auch die zeitliche Struktur macht Home Invasion Filme so interessant. Denn es liegt in der Sache der Natur, dass ein Einbruch oder ähnliches schnell von Statten gehen sollte.

 

 

Dustin Hoffman mit ultimativer Selbstverteidigungswaffe in STRAW DOGS

Für gewöhnlich passiert das Nachts, was einen noch schutzloser macht. Viele Home Invasion Filme beginnen bei Dunkelheit und enden bei Tagesanbruch. Der Tagesanbruch ist ein dramaturgisches Ziel, welches es zu erreichen gilt, denn es bedeutet für die Betroffenen oft Erlösung von dem Übel. Auch zeitlich sind jene Filme ungemein kompakt, zumindest der Großteil. Doch auch die Ausreißer unter ihnen, allen voran FUNNY GAMES von Haneke, machen daraus nicht selten ein fieses Spiel der Erwartungen. Kann der brave Bursche, der um die Mittagsstund nach ein paar Eiern fragt, wirklich eine Gefahr darstellen? Und ist das Martyrium wirklich vorbei, wenn die Sonne aufgeht. Ob oder ob nicht spielt gar keine so große Rolle, die Unsicherheit ist hier entscheidender.

 

 

Nicht selten ist es so, dass ein geplanter Einbruch einfach schief geht. Dramaturgisches Potential liegt hier auch auf Seiten der Eindringlinge, die schnell und unbemerkt ein Haus ausräumen wollen. Meist geht was daneben, die Bewohner werden wach und es gibt Gerangel. Aber auch Eindringlinge wollen für gewöhnlich schnell wieder weg, was ihre Handlungen ungemein bestimmt. Kompromisse, Planänderungen, aber vorrangig Gewalttaten sind die Folgen.

 

Denn Täter und Opfer sind häufig gleichberechtigt in diesem Subgenre, zumindest bis zum Jahr 2000. Man kann durchaus auch mit einem Einbrecher mitfiebern, seine Tat möglichst ohne Komplikationen hinter sich zu bringen, denn jedwede Abweichung bedeutet mögliches Leid für die Hausbewohner – je schneller die Antagonisten das bekommen, was sie wollen, desto eher sind sie verschwunden und der Alptraum ist zu Ende.

 

Zwischen brachialer physischer wie psychischer Gewalt und erschreckender Höflichkeit – FUNNY GAMES

Nicht sicher, wenn Psychospielchen beginnen: der PANIC ROOM (2002) von David Fincher

 

Es ist gar nicht so eindeutig, aus welcher Perspektive so etwas erzählt wird. Möglich sind alle Richtungen. Man kann den Einbruch von Seiten der Täter erleben, was eher selten ist. Trotzdem gibt es gute Filme, die viel von dieser Seite spiegeln, entweder um die Misere des Einbruchs und ihre Folgen zu thematisieren (PANIC ROOM) oder um die Täter noch über die Tat zuzuspitzen (FUNNY GAMES). Sind Täter und Opfer eher gleichberechtigte Figuren(gruppen), hat das andere Auswirkungen im Bereich Home Invasion, es wird nicht selten zum Psychospiel (TRESPASS, IN THEIR SKIN). Allerdings gibt es auch Ableger, die fast ein eigenes Untergenre des Home Invasion Films darstellen und die heute nur allzu präsent sind, die die Opfer und ihren Überlebenskampf in den Fokus rücken und die Täter in ihren Taten überhaupt nicht reflektieren.

 

…und der Wolf hustete und prustete…

 

Im Gegensatz zu KALTBLÜTIG, der sich im realen Fall wie im Buch und Film stark psychologisch mit den Tätern auseinandersetzt, verschweigen das Filme wie THE STRANGERS, THEM oder YOU´RE NEXT. Man könnte annehmen, das führt zu weniger Glaubwürdigkeit. In diesen Fällen ist das Angstpotential aber noch wesentlich höher, weil willkürlicher. “Warum tut ihr das!” fragt Liv Tyler die maskierten Eindringlinge und bekommt als Antwort nur: “Weil ihr zu Hause wart!” Eigentlich kommt das völlige oder teilweise Weglassen eines Motives oder Beweggrunds nicht nur der Spannung zu Gute, viele Einbrüche werden generell als willkürlich wahr genommen.

“Wieso ich, wieso gerade dieses Haus? Und warum?” Die Beantwortung dieser Frage gibt vielleicht keine Sicherheit, aber Gewissheit. Wenn die Beantwortung fehlt, ist die Beklemmung dagegen noch immenser. Zudem tragen die Eindringlinge in neueren Home Invasion Flicks gern Masken, was ebenfalls eine fiese Geste ist – signalisiert wird hier, es nicht mit einem menschlichen Gegner zu tun zu haben, den man bitten oder überreden kann. Masken in Home Invasion Filmen sind Symbole der Willkür und der unpersönlichen  Gewalt.

 

Deswegen sind auch Home Invasion Filme ab 2000, die stärker Terrorfilm sind, nicht gleichbedeutend unpsychologisch. Sie erhöhen zwar das Potential an Spannung und schüren den Gerechtigkeitssinn, sind aber dennoch mit dramaturgisch heißen Psychologiestricknadeln gehäkelt. Denn ein großer Reiz, der von Home Invasion Filmen ausgeht, ist ein intaktes oder kaputtes Beziehungsgeflecht der Opfer. Selten wird ein Single oder ein Alleinstehender von Eindringlingen gepiesackt, es sind viel mehr Familien oder Paare. Darin liegt dramaturgischer Zunder.

 

In THE STRANGERS, ein herausragendes Beispiel für einen gelungenen Home Invasion Streifen, beginnt die Geschichte mit einem Pärchen, deren Beziehung einen Knacks zu haben scheint. Er hat ihr einen Heiratsantrag gemacht, sie hat abgelehnt, aber beide müssen die Nacht in einem Haus verbringen, bis es plötzlich klopft. Das ist eine ziemlich clevere Ausgangssituation, denn Home Invasion Plots bedeuten für die Figuren Zusammenhalt, Vertrauen und Willensstärke.

 

Damit sind beide Figuren von THE STRANGERS am Anfang geschwächt, was zwar nicht den Ausgang der Situation beeinflusst, wohl aber die Haltung der Figuren zueinander und die Wirkung dessen. Besonders Familien sind tolle Konstrukte, in denen Diskrepanzen offenliegen, die es ob der Situation zu überwinden gilt. Und das ist häufig stark an den Charakter der Figuren gekoppelt.

 

 

Beklemmende Inszenierung – Sie sind bereits im Haus – THE STRANGERS

 

 

Ein Vater gilt als Beschützer, er schützt seine Frau, seinen Sohn und/oder seine Tochter. Vielleicht schützt er die Tochter mehr als seine Frau, aus Gründen, wer weiß. Vielleicht entpuppt sich der Beschützer aber auch als Feigling, der die eigene Haut retten will und dem das Leben seiner Familie am Arsch vorbei geht. Söhne und Töchter hingegen können über sich hinauswachsen, reifen, erwachsen werden, Entscheidungen treffen.

 

Ein weiteres Home Invasion Juwel ist der spanische Film KIDNAPPED, der das ziemlich gut herausarbeitet. Hier wird die Tochter als verzogenes, ewig nörgelndes Püppchen vorgestellt, die aber zu großer Stärke reift. Ähnliches passiert auch in YOU´RE NEXT, nur wird das von der Unentschlossenheit zwischen Terror und Klamauk torpediert. Die Wirkungen unterscheiden sich immens. Verschiedene Familienmitglieder erfüllen unterschiedliche Funktionen in Home Invasion Filmen. Manche versuchen auf die Täter einzugehen, sie zu beschwichtigen, zu verführen.

 

Psychoduell Einbrecher gegen Familie in KIDNAPPED

Wehrhaft gegen den Hausarrest in YOU’RE NEXT

 

Was meist physisch beginnt, mit den Einschlagen einer Fensterscheibe zum Beispiel, endet nicht selten in einem Psychoduell. Das muss sich nicht immer zwischen Tätern und Opfern abspielen, auch Tätergruppen können sich durchaus uneins darüber sein, wie weit man in einer solchen Situation gehen kann. Das ist psychologisch ziemlich spannend, denn es verdreht die Sympathien. Auch unter den Tätern können sich so Figuren herauskristallisieren, zu denen man Sympathien entwickelt. Das passiert in PANIC ROOM, man hat fast Mitleid mit den Einbrechern, wie in KIDNAPPED. Wenn sich die Täter uneinig werden, entstehen Chancen und Schlupflöcher für die Opfer, woraus spannende Szenen entstehen können.

 

 

“Unterschätzen sie bitte nicht den Unterhaltungswert!”

 

Ein anderes Element von Home Invasion Filmen, neben Opfern und Tätern, sind natürlich äußere Einflüsse, Figuren von Außen. Oft und gerne wird mit erhöhter Spannung gespielt, wenn die Polizei mit einbezogen wird. Opfer werden von den Tätern mit Hilfe von Gewaltandrohung an den Familienmitgliedern oder Partnern gezwungen, an der Haustür souverän zu reagieren, wenn ein Polizist schellt, weil er einer Meldung nachgeht. Dazu zählt auch das Abwimmeln von Freunden oder Nachbarn.

 

Breaking & Entering in KEVIN ALLEIN ZU HAUS

Welcher Fall auch immer, er ist meist nicht entscheidend für die Story, mehr zur Spannungsgenerierung. In den Momenten, in denen es klingelt und klopft, spüren Opfer wie Zuschauer ein Stück weit Hoffnung, was fast immer zerstört wird. Man kann dieses Spiel kurz halten oder heraus zögern. In FUNNY GAMES gelingt einem Familienmitglied sogar die Flucht, nur holt ihn der Schrecken irgendwann wieder ein. Ein Auf und Ab der Emotionen, denen der Zuschauer ausgesetzt ist – Hoffen, Hoffnung verlieren – Hoffen.

 

Nach diesen Mustern funktionieren so gut wie alle Home Invasion Filme, egal ob sie eher psychologisch inszeniert sind oder blutig. Aber es gibt auch ein paar interessante Grenzgänger oder Filme, die das Ganze invertieren. Im Film FRESH MEAT kommt es ebenfalls zu einer Invasion ins traute Heim, nur sind hier die Rollen vertauscht, denn die Sympathien liegen bei den Einbrechern, die sind Idioten, und nicht bei den Opfern, die sind nämlich Kannibalen. Aber ganz ehrlich, Sympathien liegen im Fall von FRESH MEAT eigentlich bei keiner Partei, was den Film auch nicht wirklich als Glanzstück der Subgenresparte auszeichnet.

 

 

Die Einbrecher wissen nicht, was sie im Haus ihrer Begierde erwartet – LIVID (2011) Alexandre Bustillo und Julien Maury

 

 

Das macht ein anderer Film besser, nämlich LIVID von Julien Maury and Alexandre Bustillo. Bereit ihr Erstlingswerk INSIDE war ein klassischer Home Invasion Flick, böse Béatrice Dalle steigt bei der guten Alysson Paradis ein, die war schwanger. In LIVID steigen Lucy, Will und Ben in ein Haus ein, um Kunstgegenstände zu entwenden, als sich heraus stellt, dass dieses Haus ein düsteres Geheimnis trägt. Hier sind Täter gleich Opfer, was ein interessanter Ansatz ist, der dramaturgisch einiges auf den Kopf stellen kann.

 

“Mach nie die Tür auf, sei nie Daheim!” THE PURGE

Ob solche Filme dann allerdings im Genre Home Invasion wahrgenommen werden, ist nicht ganz eindeutig. Denn dafür sind aktuelle Produktionen wie HOME INVASION, THE PURGE, THE STRANGERS oder KIDNAPPED mittlerweile zu stark verdichtet. Aber im Grunde sind auch KEVIN ALLEIN ZU HAUS oder THE REF (NO PANIC – GUTE GEISELN SIND SELTEN) klassische Home Invasion Filme, vielleicht zu Teilen auch THE CABLE GUY mit Jim Carrey. Aber Komödien in diesem Bereich sind eher selten.

 

 

Am Ende steht der Überlebenswillen der Opfer, den sich der Home Invasion Film mit dem Survival Thriller teilt, der im Grunde genauso funktioniert, nur nicht auf die Örtlichkeit Haus oder Wohnung beschränkt ist. Neben all dem Terror geht es auch um den Einfallsreichtum der Opfer, sich dem Eindringling zur Wehr zu setzen. Meist geschieht das im letzten Drittel, wenn Opfer über sich hinaus wachsen. Bei KEVIN ALLEIN ZU HAUS ist das von Anfang an der Fall, Kevin setzt sich zur Wehr und schützt sein Heim, weil kein anderer da ist.

 

Neben FOUND FOOTAGE und TORTURE PORN, die wir in der kleinen Genrefibel alle noch thematisieren werden, ist der Home Invasion Film eine Sparte mit Vergangenheit, die sich aber erst in den letzten Jahren als günstig zu produzierendes und sehr wirkungsvolles Subgenre geformt hat.

 

THE PURGE: ANARCHY wird nicht der letzte sein. Vielleicht mögen sie alle gleich ablaufen, dennoch sind Home Invasion Filme spannende Konstrukte, wenn es um örtliche wie zeitliche Dichte geht, um Psychologisierung von Opfern und Tätern, vom Versagen der Alarmanlagen, von fatalen Entscheidungen und dem unbedingten Willen zu überleben.

 

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

Lesen Sie in der nächsten Folge:

 

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3 Comments

  1. Antworten

    […] Reihe als Found Footage Produktionen. Den Rest bestreiten nicht weniger günstige Subgenres wie Home Invasion oder Social Media Horror, mit THE TOWN THAT DREADED SUNDOWN ist ein einziger Slasher im […]

  2. Antworten

    […] Gegensatz zu anderen Horrorfilmen, die stärker von der inszenatorischen Wirkung lebten (Slasher, Home Invasion, Horrorwesen, Survial), waren King-Verfilmungen von Story und Figuren getrieben, ähnlich dem […]

  3. Antworten
    Stephan Wolf 15. Mai 2017

    Saugeil und informativ geschrieben!!! Sehr gut, weiter so!!!! Klasse :)

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de