Die kleine Genrefibel Teil 3: Drogenfilme
Ladys & Gentlemen, das Zeug da auf meinem Ärmel ist Elll Esss Deee! Unbekannte Substanzen übernehmen das Genre und Streit ist vorprogrammiert. Sind Filme über Drogen ein eigenes Genre? Warum nicht? Viele Drogenfilme sind fantastische Genrestreifen. Natürlich verhält es sich mit Drogen ähnlich wie mit Zeitreisen (da soll es in der Tat Verbindungen geben), die Thematik umfasst das Genre, weniger dramaturgische Regelwerke. Drogen werden in sämtlichen Genres thematisiert, Thriller, Dramen, Biografien, sogar der Begriff „Kifferkomödie“ hat sich als eigenständiges Subgenre etabliert und ist in der Filmwelt mittlerweile ein fest integrierter Bestandteil. Zudem fällt auf, dass es kaum mehr einen Horrorfilm gibt, in dem nicht irgendwann ein Marihuanastäbchen kulminiert. Doch das bloße Verklappen spaßiger Substanzen macht aus einem Streifen noch lange keinen Drogenfilm. Wie kann man den Komplex Drogen im Film denn nun Genregerecht portionieren?
Drogen im Film haben eine lange Geschichte, welche sie gemeinsam mit der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ausgefochten haben. Alkohol beispielsweise ist überhaupt nicht wegzudenken vom Film, wie viele Figuren haben sich am Schnaps gütlich getan. Andere Drogen jedoch waren oft Tabus. Doch gerade der Film war eine Möglichkeit, sich diesem Tabu anzunehmen. Diverse Drogenerfahrungen beeinflussten natürlich die Kunst, Literatur, Musik, aber der Film hatte darüber hinaus die Möglichkeit, auch andere Aspekte von Drogen zu thematisieren.
Bei Drogenfilmen geht es um weit mehr als Konsum. Konsum ist ein Teil der Filmsparte, aber konsumiert wird in vielen Genres, ohne eine psychologische oder soziale Tiefe auszuloten. Da steht der Spaß an der Droge bzw. der Wirkung im Vordergrund. Aus diesem Grund fällt die Kifferkomödie ein wenig aus diesem Komplex.
Wichtigere Aspekte bei Drogenfilmen sind Rausch und Abhängigkeit. Denn Drogen spiegeln auch immer bestimmte Milieus. Das ist kein wertender Ausdruck, die Milieus in Drogenfilmen sind mannigfaltig, es geht vom obdachlosen Heroinspritzer über den Dauerkiffer bis zum gut betuchten Kokainaspiranten. Aus diesem Grund sind Drogenfilme auch immer heikle Milieustudien und spiegeln gesellschaftspolitische und soziale Aspekte und Belange.
Die Droge ist die Konstante, doch es geht um den Konsumenten und um seine soziale Verordnung in der Gesellschaft, um arm und reich, aber auch um hohe oder niedrige Bildungsstandards. Meist wird ein regelrechtes Politikum daraus, denn manche Filmemacher zeigen sehr plump und direkt das Schwarz und Weiß des angeblich so düsteren Drogenmilieus.
Das muss nicht immer realistisch sein. Die ausgewählten Beispiele in dieser kleinen Genrefibel allerdings behandeln Drogen allesamt recht realistisch, was variiert ist die Tonalität und die Symbolik. Die besten Drogenfilme sind immer die, die realistisch inszeniert sind, ohne mahnende Zeigefinger. Filme wie TRAINSPOTTING brauchen keine Positionierung, um abschreckend zu wirken.
Neben Konsum, Rausch und Abhängigkeit beeinflussen weitere Aspekte den Drogenfilm, zum Beispiel Beschaffungskriminalität, Dealen und die berühmte Drogenfahndung. Solche Filme werden allerdings nur zweitrangig als Drogenfilme betrachtet, weil ein anderer Aspekt darübersteht. Da es sich fast ausschließlich um illegale Substanzen handelt, fällt dieser Komplex in den Filmbereich Crime. Der große Klassiker FRENCH CONNECTION gilt weniger als Drogenfilm, in erster Linie als Copthriller. Ausnahmen bilden hier Filme, in denen der Protagonist bzw. Cop oder Ermittler selbst anhängig oder in Drogengeschäfte verwickelt ist.
Wir wollen uns heute vielmehr mit der Wirkung von Drogen im Film auseinandersetzen, alles was diesbezüglich in den Bereich Crime und Komödie fällt, wollen wir uns ein andermal in die Nase ziehen. Wir gliedern Drogenfilme heute nach Substanzen, ein breites Spektrum vielfarbiger Uppers, Downers, Heuler, Lacher, Tequila, eine Flasche Rum, eine Kiste Bier und einen halben Liter Ether und 2 Dutzend Poppers. Legen wir los.
Die Geschichte von Drogen im Film geht selbstverständlich mit dem gesellschaftspolitischen Umgang bewusstseinsverändernder Substanzen und deren Geschichte einher. Auswirkungen für den Film hatten Mittelchen da genauso wie in der Musik, Literatur und Malerei. Filme über Marihuana, Joints und Bongrauchen starteten demzufolge bereits in den 60er Jahren durch und formierten sich als sogenannte “Stoner-Filme” Ende der Siebziger als eigenes Genre.
Doch der Klassiker des Kifferfilms, von EASY RIDER mal abgesehen, stammt bereits aus dem Jahr 1936 – REEFER MADNESS. Das sollte eigentlich ein Drogen-Aufklärungsfilm werden, doch die Wirkung ist da irgendwie in der Luft verpafft.
REEFER MADNESS, zu Deutsch Kifferwahn, erzählt von arglosen High School-Kids, die durch den Genuss von der großen grünen Blume völlig abdrehen und dem Wahnsinn anheim fallen. Doch als Aufklärungsfilm floppte der Streifen gewaltig, dafür war er Jahrzehnte lang der Kultstreifen von Fans des Exploitationfilms.
So sind auch bis heute Filme über Marihunana selten ernst oder pädagogisch. Joints sind mittlerweile selbstverständlich geworden und erregen kaum mehr großes Aufsehen wie noch zu Zeiten von CHEECH & CHONG. Heute gibt es eine ganze Tüte voll Kifferfilme und Serien, um gescheiten Anbau (LEAVES OF GRASS), gerissenen Vertrieb (LAMMBOCK) und orale Verklappung (HIGH SCHOOL). Im Bereich Serie kann man sich von WEEDS mit Mary-Louise Parker benebeln lassen.
Die 60er und 70er Jahre waren die Hochzeit von Marihuana und LSD. In den beiden darauf folgenden Jahrzehnten wurden hauptsächlich Kokain und Heroin thematisiert.
Der Klassiker WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO von Uli Edel wurde das, was REEFER MADNESS verwehrt blieb. Er wurde als Anti-Drogenfilm ernst genommen und war nicht selten Bestandteil des Schulunterrichts.
Noch heute hat der Film mit der wunderbaren Musik von David Bowie nichts von seiner beklemmenden Wirkung verloren. Generell wandelte sich das Blatt von der fröhlichen Kifferei zu einer ernsteren Beschäftigung mit Spritzen, Cold Turkey, Entzug und HIV.
Filme wie PANIK IN NEEDLE PARK, SID & NANCY und später vor allem TRAINSPOTTING sind alptraumhafte Trips, die eher beängstigen als Spaß machen. Heute hat Heroin im Film kaum mehr eine Bedeutung. Das kann daran liegen, dass Heroin im Gegensatz zu Marihuana oder Kokain niemals den Status der Coolness hatte. Filme über Heroin sind fast immer dreckig und abstoßend.
Ganz anders das weiße Pulver, welches in den Achtziger Jahren beinahe Kultstatus besaß. Bei Filmen um Kokain fällt auf, dass sich die meisten Streifen mehr mit dem Verkauf und Vertrieb der Substanz beschäftigen (SCARFACE, BLOW), aber auch mit der Fahndung danach (MIAMI VICE, TRAFFIC).
Kokain wird auch „das weiße Gold“ genannt und ist verhältnismässig teuer, was andere Filmfiguren resultieren lässt. Es wird nach wie vor Kiloweise geschmuggelt, in Kofferräumen von alten Autos transportiert, mit einem Klappmesser verkostet (eine großes Filmklischee, es könnte ja auch Rattengift sein) und sich genüsslich ans Zahnfleisch gerieben.
Filme über Kokain sind meist im Gangstermilieu angesiedelt, SCARFACE und BLOW sind die für mich die Spitze der Line. Aber die beiden Teile COCAINE COWBOYS von Bill Corben beispielsweise nähern sich der Thematik auf dokumentarischer Ebene und erzählen die wahren Hintergründe von Tony Montana oder Georg Jung.
Die große Zeit von Lysergsäurediethylamid war bereits in den späten 70er Jahren vorbei. Nach anfänglicher Faszination über die Bewusstseinserweiterung ebbte die Euphorie über die zufällig entdeckte Substanz durch den Chemiker Albert Hofmann abrupt ab.
Gründe dafür lagen in den prominenten Drogentoten wie Jimi Hendrix oder Jim Morrison, die dafür sorgten, sich nun doch anders mit den Wirkungen von Heroin oder LSD zu beschäftigen.
Filme über halluzinogene Drogen waren danach meist surreale Trips wie THE TRIP oder NAKED LUNCH. Dass man sich dem Thema aber auch ganz gewitzt nähern kann, zeigt vor allem der neuzeitliche Klassiker FEAR & LOATHING IN LAS VEGAS. Aber auch in MÄNNER, DIE AUF ZIEGEN STARREN experimentiert man freudig mit Lysergsäure in Rührei.
Als Anfang der Neunziger Jahre die Technoszene entstand, wurden Mittelchen wie Ecstasy salonfähig. Es gibt eine ganze Reihe von Filmen (CLUBBED TO DEATH, RAVE MACBETH, SORTED), die sich dem extatischen Rausch in Clubs und Discos verschrieben haben.
Es sind meist Filme um junge Protagonisten und ihre ersten Erfahrungen mit Rausch, Sex und dem Gefühl von Freiheit. Ganz anders sind Filme wie PROZAC NATION, die sich mit Antidepressiva beschäftigen.
Und auch DER Drogenfilm schlechthin, REQUIEM FOR A DREAM von Darren Aronofksy thematisiert den Konsum von Tabletten und die daraus resultierende Abhängigkeit in beklemmenden Szenen um Sara Goldfarb (Ellen Burstyn), wohingegen ihr Sohnemann Harry (Jared Leto) dem Heroin verfallen ist.
Die gefährlichste aller Drogen bleibt aber die Volksdroge Alkohol. Albert Finney (UNTER DEM VULKAN) oder Mickey Rourke (BARFLY) haben sich mit Hochprozentigem zugeschüttet, bis die Leber krachte.
Dass das Thema aber auch in leichter verdaulichen Drinks serviert wird, zeigen Filme wie WHEN A MAN LOVES A WOMAN, 28 TAGE mit Sandra Bullock und zuletzt FLIGHT (2009) von Robert Zemeckis.
Wer Alkohol und seine Wirkung unterschätzt, muss sich nur LEAVING LAS VEGAS von Mike Figgis anschauen. Der Film mit einem kongenialen Nicolas Cage zeigt auf erschreckende Weise, wie ein Mann sich systematisch zu Tode saufen kann.
Drogenfilme drehen sich also fast ausschließlich um diese sechs genannten Substanzen. In wenigen Fällen gibt es noch Streifen über Pilze (SHROOMS) oder die Auswirkungen von Opiaten (ED WOOD, FROM HELL). Doch letztere sind wohl kaum Drogenfilme. Interessant wird die Sache, wenn Filmemacher und Autoren ihrer Fantasie freien Lauf lassen (durch was auch immer) und eigene Drogen kreieren. Das muss dann nicht immer eine düstere Vision der Zukunft sein, Freunde. Ich sage es unumwunden, die fantastischste Droge, die je in einem Film präsent war, bleibt der Zaubertrank aus den Asterix-Streifen. Am Beispiel Obelix kann man deutlich sehen, wie sich ein zu hoher Konsum in der Kindheit zu verheerenden Spätfolgen entwickeln kann.
Auch das Zeug, was ALICE IM WUNDERLAND verklappt, ist definitiv von LSD inspiriert. Sowieso, wo da alles vertickt wird, man muss sich schon wundern, in EPISODE 2 ANGRIFF DER KLONKRIEGER bietet man Obi Wan “Killer Sticks” an und in LOOPER gibt man seiner Netzhaut mit “Droppers” einen Kick. In STRANGE DAYS wird “Squid” verklappt, in LIMITLESS ist es “NZT-48” und in FRINGE nascht Walter gern “Cortexiphane”. Wer kennt denn noch diese feinen, aber völlig frei erfundenen Drogatas?
Haben Drogenfilme nun etwas Einheitliches, was Struktur und Dramaturgie betrifft. Nun, das wäre beispielsweise der Umstand, dass ein abhängiger Protagonist oder Antagonist eine facettenreiche Figur darstellt, die ganz anderen Zwängen unterliegt als jemand, der nur mal am Sektglas nippt. Drogen verändern Menschen und bieten Plots und Stories rum um bewusstseinsverändernde Mittelchen sehr viele Freiräume. Dazu muss man nicht unbedingt alles probiert haben, um seine Hauptfigur realistisch hinsichtlich der Auswirkung seiner Sucht darzustellen.
An Drogen wird vor allem in der Kunst immer eine Faszination haften bleiben, der Science-Fiction-Film wird immer auf der Suche nach einem neuen Wundermittel aus eigenen Anbau interessiert sein und Abstürze diverser Stars werden nach wie vor Themen hinsichtlich Sucht und Entzug liefern. Drogen sind neben Sex und Gewalt DAS Reizthema des Films. Man kann gespannt sein, welche Substanzen in den kommenden Jahrzehnten Gesellschaft und Film beeinflussen.
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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.
Lesen Sie in der nächsten Folge:
guter Artikel…bin aber heute trotzdem strenger wie sonst :)
eine kleine Verbesserung…”Naked Lunch” ist kein Film über LSD sondern eine Metapher an die Droge Heroin…verpackt im Wanzenpulver…es ist ja die Geschichte vor der, die im Buch beschrieben wird… Burrough hat angeblich sein NAked Lunch ausschliesslich im Heroinrausch geschrieben :)
und dann vermisse ich….den Kultfilm unter den Kiffern ;) “Half Baked”…dies ist der umltimative Film über Kiffen.
Ich glaube wenn ich immer noch richtig informiert bin…ist “The Trip” aus der Corman Schmiede…bis heute in England verboten :)
leider vermisse ich auch den Film ” New Jack City” was ein unwahrscheinlich wichtiger Beitrag zum Thema Crack in den frühen 90igern ist und es salonfähig machte…:)
aber sonsten sind sie alle dabei :)
Hey…mit NAKED LUNCH magst Du Recht haben, nur ist dieser Film als Trip eher mit LSD-Streifen zu vergleichen. HALF BAKED & Co kommen als Kifferkomödien noch mal extra, da interessiert mich der Coming-Of-Age-Charakter mehr. Und NEW JACK CITY hat irgendwie nich mehr reingepasst. Aber so kenn ich Dich, alter Fuchs! Nächste Woche erzähl ich den Leuten mal von unserer Videozeit! Hau rein, Mr. Woo!
Spun dreht sich um Meth, nicht um Heroin. Obwohl der abfuck ebenso groß ist.
Ich vermisse noch “The Salton Sea” und “I Melt With You” (Geheimtipp!). Bei den fiktionalen Drogen “The 51st State”. Ansonsten gefällig wie immer =)
Merke gerade dass die Pillen- und Alkfilme alle an mir vorbei gingen. Muss zumindest “Leaving Las Vegas” endlich mal schauen.
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