Die kleine Genrefibel Teil 20: Trash Award

“Junge, wie sieht das hier schon wieder aus? Räum deine Socken in den Schrank! Und was für einen Mist kuckst du dir da schon wieder an? Das is ja widerlich!” Echt jetzt! Dieser ganze Müll um Mord und Totschlag, Blut, schreiende Weiber und grunzende Monster. Was hat man sich schon rechtfertigen müssen für seine Filmleidenschaft, wie viele Sprüche sind gefallen, wie viele Augenbrauen haben sich schon schwer entsetzt gehoben, dabei rotierte gerade mal THE ROCK im Videorekorder. “Was ist denn dieser Genrefilm?” höre ich in regelmäßigen Abständen. “Ist das das mit Gewalt und Blut und Horror und so?” schüttelt sich das Gegenüber. Gerne sagt man auch: “Naja, du kuckst dir ja jeden Quatsch an!”

 

Wenn die wüssten!

 

Für viele ist Filmrezeption eine mathematische Angelegenheit, ein linearer Graph in einem Koordinatensystem. Da gibt es gute Filme und schlechte Filme und diese stehen natürlich in einem bestimmten Verhältnis zueinander. Unten am Graph tummelt sich der ganze Scheiß, das ganz miese Zeug wie “Freddy Krüger”, AVATAR is auch ganz schlecht, eigentlich alles, wo´s knallt und kracht…ach ja, und deutsche Filme sind generell kacke. So hangelt man sich den linearen Graph immer weiter hoch, da ist GLADIATOR besser als PREADATOR, der neue Batman ist ja doch gut, der ist ja so ernst und es macht gar nicht “Peng!” oder “Boing!” und natürlich muss alles mit Tom Hanks oder Sandra Bullock viel besser sein als…fällt mir gerade nicht der Schauspieler ein.

 

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Und ganz oben auf der Spitze der Filmkunst steht selbstverständlich DER PATE (ob man ihn nun gesehen hat oder nicht), wenn man Glück hat DER HERR DER RINGE (“…das Buch war aber besser, das is immer so!”) oder FORREST GUMP. Und noch da drüber steht SCHINDLERS LISTE, das muss ja der beste Film überhaupt sein, weil is ja alles so schlimm. Sprach´s und machte sich eine Bionade auf.

 

Aber ich verrate heute mal ein Geheimnis. Filme sind in ihrem Bemühen, gute Kunst zu sein, gar nicht linear. Die Gesamtheit filmischer Ergüsse in über hundert Jahren Filmgeschichte ist eher eine Sinuskurve oder ein Integral, eine Fläche unter einem Graph. Es ist eines der größten ungelösten mathematischen Rätsel auf Erden.

 

Viele verschließen davor einfach die Augen und Ohren und trällern: “Ich kann Dich nicht mehr hööören!” Aber jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht. Und das bin ich und ich sage euch: “Freddy Krüger ist besser als SCHINDLERS LISTE!” Sprach´s und machte sich ein Bier auf.

 

 

 

My next film will be better!

 

Nach 19 Folgen KLEINE GENREFIBEL ist es an der Zeit, mal jene Filme zu beleuchten, die sich in diesem Gedankenspiel um lineare Qualität sogar noch im Minusbereich dieses Koordinatensystems befinden. Der Begriff “Trash” ist ja auch bei Filmunkundigen bekannt. Nicht selten wird damit die ganze Phantastiksparte gleichgesetzt. Aber sogar darüber hinaus ist “Trash” einer der am meisten missverstandenen Begrifflichkeiten überhaupt. Etwas ist Trash schon mal gar nicht, ein Genre. Was hat es dann hier in der Kleinen Genrefibel verloren? Nun, unter dem Sammelbegriff Trash vereinen sich so viele Sub- oder Mikrogenre, die wie kaum etwas anderes die Vielfältigkeit des Mikrokosmos Film aufzeigen. Doch was ist das eigentlich, ein Trashfilm?

 

 

STREET TRASH (1987)

 

Jeder weiß, Trash ist Müll. Filme mit schlechten Schauspielern, einem schlechten Drehbuch, schlechten Effekten, schlechter Story. Nur hat der Begriff “Schlecht” keinerlei objektiven Halt. Was gut und was schlecht ist, liegt in der Synapse des Betrachters. Klar tummeln sich Trashfilme gern im unteren Budgetsektor, aber wenige bis kaum vorhandene finanzielle Mittel lassen nicht gleich automatisch einen Trashfilm entstehen. Wenn man Trash differenzieren will, dann gäbe es zwei Richtungen. Zum einen sind das Filme, die nach heutigen Dünken einfach als tumb und trashig wahrgenommen werden, darunter eben ganz viel “Schrott” aus Jahrzehnten Filmgeschichte. Und zweitens Filme, die genau das offensiv spiegeln, Filme, die absichtlich trashig inszeniert sind, eine Art Reminiszenz. Man könnte auch sagen “Unabsichtlicher Trash” und “Absichtlicher Trash”. Der Unterschied liegt darin begründet, dass viele Filme, die heute als Trashfilme gelten, in ihrer Machart durchaus ernst gemeint waren und sind. Es entspricht auch der Wahrheit, dass es manchen Machern an Talent ebenso mangelte wie an Geld. Aber es war mit Sicherheit nicht ihre Absicht, filmischen Müll zu produzieren. Im Gegenteil, erst diese Verbissenheit und der Glaube daran, große Kinokunst zu produzieren, ließen große Trashstilblüten entstehen.

 

Trash ist deshalb kein Genre, weil der Begriff an die handwerkliche Ebene der Produktion geklöppelt ist. Es ist allerdings auch wahr, dass sich die meisten Trashfilme im phantastischem Metier, also im Genrefilm tummeln. Von einem Trashdrama oder einem Antikriegstrashfilm hört man selten. Aber beim Horrorfilm beispielsweise, dem eh vorgeworfen wird, nicht gerade künstlerisch wertvoll zu sein, gilt er teilweise als Synonym. Das ist ja auch naheliegend, denn gerade Horrorfilme waren und sind günstig zu produzieren und nicht selten das erste Genre, an dem sich Filmemacher ausprobieren.

 

Mit Sicherheit liegen in Trashfilmen oder in dem, was man so bezeichnet, eine tiefere Philosophie verborgen, viel mehr Wahrheit, viel mehr Weisheit über das Filmemachen und die Phantasie. Aber dem will ich mich hier nicht hingeben. Denn Trash bedeutet für mich vor allem Freiheit und Anarchie. Mehr noch, Trashfilme sind für mich der letzte Zufluchtsort, wenn man schon alles gesehen hat. Trashfilme sind Schätze, eine Art Ursuppe, ein Konzentrat. Sie bilden Leidenschaft viel deutlicher ab als der Mainstream, der Geschmäckern hinterher rennt. Trashfilme sind vor allem auch ein Spiegel ihrer Macher und, wie gesagt, ein kunterbunter Setzkasten der Filmmikrobiologie. Bevor ich also versuche, psychoanalytische Deutungen in Russ Meyers IM TIEFEN TAL DER SUPERHEXEN zu finden, will ich nach der langen Vorrede viel lieber die verrücktesten und schrägsten Trashperlen der Filmgeschichte freibuddeln und dem frönen, was Trash ausmacht – purer Spaß!

 

 

 

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Echte Trashklassiker sind untrennbar mit einigen bekannt-berüchtigten Filmemachern verbunden. Einer von ihnen trägt sogar den Titel “Schlechtester Regisseur aller Zeiten” – Edward Davies „Ed“ Wood jr.. Ed Wood war mir zwar in meiner Jugend ein Begriff, doch erst Tim Burtons biographisches Potpourri ED WOOD aus dem Jahr 1994 war mein Zugang zu dieser schillernden Persönlichkeit. Schaut man den Film ED WOOD, meint man, eine völlig überzogene Farce erzählt zu bekommen. Ein Filmemacher, dessen Sponsoren und Finanziers Baptisten oder Wurstfabrikanten waren, der heimlich in Angoraunterwäsche schlüpfte und der kaum Szenen wiederholen ließ, auch wenn seine Darsteller die halbe Studioeinrichtung demolierten. Doch der Film ED WOOD beleuchtete diese Koryphäe der Filmkunst nur bruchstückhaft, die Wahrheit war sogar noch verrückter als der Film.

 

 

 

 

Filme wie BRIDE OF THE MONSTER oder PLAN 9 FROM OUTER SPACE kann man gar nicht wirklich fassen, es ist unbeschreiblich, wie kompromisslos Ed Wood seine Phantasien zum Leben erwecken wollte. Kompromisslos und mit einer bittersüßen Tragik. Denn Ed Wood hielt sich für einen großen, unverstandenen Künstler. Ed Wood mag heute den Titel “Schlechtester Regisseur aller Zeiten” haben, aber er ist gleichzeitig auch einer der leidenschaftlichsten und außergewöhnlichsten Regisseure Hollywoods gewesen. Es ist viel mehr diese Leidenschaft, die mich begeistert, als das bloße Analysieren seiner Werke.

 

BRIDE OF THE MONSTER (1955) von Ed Wood

PLAN 9 FROM OUTER SPACE (1959) von Ed Wood

 

Neben Ed Wood gibt es aber noch ein paar andere Regisseure, die das Gütesiegel “Trashfilmer” mit Stolz an der Brust tragen. Roger Corman zum Beispiel, dessen Output vor allem in den späten fünfziger, frühen sechziger Jahren als Trashfilme gelten. Corman allerdings ist vor allem bekannt durch seine Adaptionen von Werken des Schriftstellers Edgar Allen Poe (TALES OF TERROR, THE RAVEN, PIT AND THE PENDULUM), also Filmen, die heute mehr als Klassiker denn Trash gelten. Trash ist ja ein Begriff, der eher nachträglich verliehen wurde. Offensiv machte Corman in den sechziger Jahren vor allem B-Movies, was lediglich die Bedeutung von günstigen Unterhaltungsfilmen hatte.

Die Ganz Großen: Ed Wood, John Waters, Roger Corman, Lloyd Kaufman, Russ Meyer, Joe D´Amato

 

 

Nicht selten hatte aber gerade im B-Movie Bereich die Kreativität größeren Freiraum als beim Big-Budget Film. Kein Wunder, bei kleinen, unabhängigen Produktionen wurde weniger von Produzentenseite diktiert als in B-Movies. Heutzutage ist diese Rechnung nicht mehr so einfach, denn B-Movies können gut und gerne auch mal ein 100-Millionen-Dollar-Budget haben. Auch hier widerspricht sich die gemeine Auffassung, billige Filme sind oft trashig. Besonders die Neunziger Jahre sind ein tolles Jahrzehnt für echt teuren Müll (VOLCANO, AIR FORCE ONE, BATMAN & ROBIN).

 

Während sich Ed Wood gar nicht bewusst war, was er so produzierte und Roger Corman eigentlich nur eine Handvoll trashige Filme inszenierte, gibt es auch Filmemacher, die ganz absichtlich die Grenzen des guten oder schlechten Geschmacks ausloten. Dazu gehört vor allem John Waters, der für die Klassiker PINK FLAMINGOS, HAIRSPRAY, CRY BABY oder A DIRTY SHAME bekannt ist. Aber Waters ist eher ein Provokateur, der es nicht selten absichtlich mit seinen Kritikern aufnimmt. Eher aus Leidenschaft denn Provokation sticht der italienische Regisseur Joe D’Amato hervor, der weit über 200 Filme drehte, zu größten Teilen allerdings im Hardcore- und Softpornobereich. Aber sein filmischer Output umfasst alles von Western über Horror, Fantasy, Kriegsfilm, Kannibalenfilm, Science-Fiction und Action, darunter Perlen des Trashs wie BLACK EMANUELLE oder NACKT UNTER KANNIBALEN.

 

 

PINK FLAMINGO (1972) von John Waters mit Underground-Star Divine

 

 

Inhaltlich können die Werke dieser klassischen Regisseure nicht unterschiedlicher sein. John Waters, dessen Filme hauptsächlich gesellschaftspolitische Farcen waren, Joe D’Amato, der Sexfilme drehte, um seine anderen Filmleidenschaften zu finanzieren und natürlich Ed Wood als Science-Fiction-Veteran und Roger Corman als B-Movie König. Wer allerdings glaubt, das wäre bereits die Talsohle des schlechten Geschmacks, der kennt möglicherweise Lloyd Kaufman noch nicht.

 

 

 

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Auch Lloyd Kaufman war ein leidenschaftlicher Regisseur, der vor allem von Roger Corman fasziniert war. Bis Kaufman 1974 seine Produktionsfirma TROMA ENTERTAINMENT gründete, hatte er bereits ein paar Firmen durch seine Filme in den Bankrott getrieben. Auch TROMA generierte Gewinne aus billigen Sexfilmchen, wendete sich dann aber der Produktion von deftigen Horror- und Splatterfilmen zu. TROMA vertrieb sehr erfolgreich den Film BLOODSUCKING FREAKS, ein Remake von THE WIZARD OF GORE von Herschell Gordon Lewis und konzentrierte sich danach auf witzige und beinahe ungenießbare Horrormetzeleien.

 

TOXIC AVENGER (1984) von Lloyd Kaufman und Michael Herz

 

Der Kultfilm schlechthin ist THE TOXIC AVENGER von 1984 mit herrlicher, fast durchgehender 80er Jahre Musik, totalem Overacting und extrem billigen, aber verteufelt guten Gummieffekten. TROMA steht heute für die Speerspitze von Trashfilmen mit Klassikern wie SURF NAZIS MUST DIE oder SGT. KABUKIMAN N.Y.P.D..

 

Nun ist es auch Zeit, ein Subgenre zu erwähnen, welches wie kein anderes für die Mikroskopie von Genrefilmen steht – die sogenannten “Melt Movies”. Dass es dieses Subgenre gibt, hat sich mir erst seit ein paar Jahren erschlossen, dass ich Melt Movies kenne, war mir aber gar nicht bewusst.

 

 

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Wo in anderen Horrorsparten geschlitzt, gehackt, geschreddert oder gesägt wird, konzentrieren sich Melt Movies auf das bekannte Phänomen des “Schmelzens” von Leibern. Man kann sich ein einfaches Bild von dieser Materie machen, wenn man an JÄGER DES VERLORENEN SCHATZES denkt, an jene Szene, in der Major Arnold Toht (Ronald Lacey) beim Öffnen der Bundeslade vor Freude geradezu dahinschmilzt. Aber Melt Movies gab es schon Jahre zuvor, das tolle an diesem Subgenre ist, dass man seine Vertreter mit zwei Händen anzählen kann.

 

Die bekanntesten Streifen dieser Mikrogruppe sind vielleicht THE INCREDIBLE MELTING MAN von 1977 und STREET TRASH aus dem Jahre 1986. Melt Movies bestechen durch ihre Maskentricks, worunter auch Rick Baker einer der begabtesten Make Up Artists war. Was wurde da alles mit Wachs, Gelatine und Kunstblut erschaffen. Andere Melt Movies sind mir nicht bekannt, aber ich bin mir sicher, in den Untiefen des Genrefilms liegen bestimmt noch ein paar verborgen. Was für ein kautziges Subgenre.

 

 

DOLLY DEADLY (2016) von Heidi Moore

 

 

Als Monster noch aus Gummi waren & Frauen Schwänze trugen…

 

Wenn man über den Begriff Melt Movies spricht, muss man auch mal was grundsätzliches zu dem bekannten Ausdruck Splatterfilm sagen. Denn ebenso wie Trash ist der Begriff Splatter auch missverständlich. Splatter heißt ja nichts anderes als Spritzen und meint die Zurschaustellung blutiger Metzeleien auf der Kinoleinwand. Einen Splatterfilm an sich gibt es deswegen nicht wirklich. Dazu gehört auch der Begriff Gore, der verwandt wird, wenn man etwas Zerstückeltes entdeckt, nicht aber wie dies zustande gekommen ist. Der Fund einer geschmolzenen Leiche zum Beispiel ist eine Goreszene, tranchiert der fiese Schlitzgustavo sein Opfer vor laufender Kamera, haben wir es mit einer Splatterszene zu tun.

 

Mir begegnete der Begriff Splatter aber in ganz anderem Zusammenhang, denn zur guten Videothekenzeit war das ein Sublabel der Firma STARLIGHT aus Bochum. Da gab es nicht wirklich viele, aber ein paar davon sind wahre Trashklassiker. Zum Beispiel BASKET CASE 2. Den Erstling von Frank Henelotter stufe ich gar nicht als Trash ein, dafür ist er mir zu ernst, zu düster und zu beklemmend. Der zweite Teil aber auf jeden Fall, was für ein Spektakel (“Gleich kommt der Doktor zu Dir!”).

 

Auch Frank Henenlotter ist ein Trashprinz, seine Filme FRANKENHOOKER, ELMER oder BAD BIOLOGY sind wahre Wundertüten des Unzumutbaren. Trotzdem ist Trash nicht gleich Trash, ich finde Beispielsweise BASKET CASE 2 witzig und kultig, FRANKENHOOKER dagegen sterbenslangweilig. Muss man jetzt auch noch zwischen gutem Trash und schlechtem Trash unterscheiden?

 

 

FRANKENHOOKER (1990) von Frank Henenlotter

 

Unsinn! Trash ist gar nicht objektiv zu bewerten. Was für den einen Müll ist, ist für den anderen Abfall. Und das ist auch gut so, denn Trashfilme entziehen sich jeglicher Bewertungsmatrix. Konsens ist Nonsens! Aber Trash findet sich nicht nur in Sparten des Horror- und Science-Fiction Films. Vor allem in den siebziger Jahren gab es unzählige Kapillaren innerhalb des Genrefilms, aus denen Trashwunderwerke sprossen. Vom Frauenknast, Softsexvariationen bis hin zur filmischen Verzerrung des Nationalsozialismus wurde alles durch den Fleischwolf gedreht. Ein Oberbegriff für Filme derberer, reißerischer Natur war und ist Exploitation.

 

 

 

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Der Exploitationfilm in all seinen Variationen war in gewisser Weise sogar eine Weiterentwicklung von Standardgenres. Allen voran muss hier der Italo- oder Spaghettiwestern genannt werden, der ein fieser, dreckiger Bastard des bislang sauberen Heldenwesterns war. Die bekanntesten Spitzen wie SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD, LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG oder DJANGO gelten heute als Kultwestern, aber dazu gehören auch die Filme mit Bud Spencer und Terrence Hill sowie ganz viel Schrott mit besonders reißerischen Titeln – eine Paradedisziplin des Exploitationfilms.

 

 

Von Exploitation ist es nicht weit hin zu Sexploitation. Es ist ja nicht so, dass sämtliche Spielarten des Exploitationfilms mit Sex geizen. Trotzdem gibt es dafür ein eigenes Fach, dessen Meister zweifelsohne Russ Meyer war. Während ich eine Vielzahl der Trashwerke erst später innerlich aufsog, habe ich zu manchen Filmen von Russ Meyer einen wesentlich früheren Bezug. Nenne wir das Kind beim Namen! In der Tat kamen einige der größten Meyer Klassiker Anfang der Neunziger Jahre im Free-TV, um genau zu sein auf SAT1. Russ Meyer ist eine Ikone des Softsexfilms, seine Leidenschaft für Busenwunder ist legendär. Ein berühmtes Zitat von Russ Meyer aus dem Jahr 1993 lautet: „Hätte ich mich nicht so sehr für Titten interessiert, wäre aus mir vielleicht ein großer Filmemacher geworden“. Ich wiederspreche dem vehement!

 

Unter dem Begriff Exploitation reihen sich aber noch viele weitere Subgenres, die alle nach ihren individuellen Themenfelder benannt sind. Blaxploitation, die afro-amerikanische Themen spiegelten (SHAFT, FOXY BROWN), Bruceploitation als Verehrung von Bruce Lee, Naziploitation oder Carsploitation. Dazu gehört aber auch der Bikerfilm, Drogenfilme, Giallo, Slasher, Mondo, Rape and Revenge, Woman in Prison und Dutzende mehr. Zu einigen dieser Subgenres wird natürlich noch mal gesondert geredet werden müssen. Der Begriff Exploitationfilm allerdings eignet sich gut für eine Überleitung von klassischen Trashwerken zur Jetztzeit, in der Regisseure sichtlich ihren filmischen Vorbildern nacheifern.

 

 

 

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Großgeworden mit Exploitationfilmen sind einige der bekanntesten und begnadetsten Regisseure aller Zeiten, darunter selbstverständlich Quentin Tarantino. Seine Filme sind gespickt mit Verweisen, Zitaten und Reminiszenzen alter Trashklassiker und nicht selten lässt er ein ganzes Subgenre wiederauferstehen.

 

JACKIE BROWN ist eine waschechter Blaxploitationfilm mit Originalstar Pam Grier, die als FOXY BROWN berühmt wurde. INGLORIOUS BASTERDS entspricht am ehesten einem Naziploitationstreifen, KILL BILL ist ein Kaleidoskop aus Revenge- und Samuraifilm, DJANGO UNCHAINED ein klassischer Spaghettiwestern. Doch Tarantino und Kollege Roberto Rodriguez belebten auch den Grindhousefilm zu neuem Leben, so dieser Begriff zulässig ist.

 

Grindhouse, das war typisches US-Bahnhofskino, in denen Doppelvorstellungen von gängigen Exploitationfilmen liefen. 2007 lieferten die beiden Regisseure mit GRINDHOUSE ein Revival jener Zeit ab, ein Exploitation-Doppelpack, welches außerhalb der Staaten als PLANET TERROR und DEATH PROOF veröffentlicht wurde. Neben all den inhaltlichen Verbeugungen wurden die Filme nachträglich mit Alterungserscheinungen, Filmfehlern, fehlenden Teilen und anderweitigen Störungen versehen, ein Mittel, zu dem viele Filmemacher greifen, um ranziges Kino der siebziger Jahre wieder aufleben zu lassen.

 

 

MACHETE KILLS (2013) von Robert Rodriguez

 

Der Erfolg von GRINDHOUSE zog einige wenige Nachzügler mit sich, darunter auch die “Auskopplung” des MACHETE-Trailers als Spielfilm, der mit MACHETE KILLS sogar eine Fortsetzung erhielt. Während Eli Roths THANKSGIVING vielleicht noch erscheint, wird wohl Rob Zombies WEREWOLFWOMAN FROM THE SS nicht mehr kommen. Schade, eines der Highlights der Faketrailerolle.

 

 

Schlingensief, Schneider und das Bollwerk gegen die Kunst

Auch aus deutschen Landen kommt Trash, und zwar echter Trash, das gesamte Fernsehprogramm ist nicht gemeint damit. Untrennbar verbunden zwischen den Polen Kunst, Provokation und Trash ist der Name Christoph Schlingensief, dessen Filme DAS DEUTSCHE KETTENSÄGENMASSAKER und UNITED TRASH als Kultfilme gelten.

 

Doch so ganz über einen Kamm scheren kann man die Werke von Schlingensief nicht, es ist auch gar nicht der filmische Output, Schlingensief hat extreme, geschundene, nachhaltig schockierende Schundfilme gedreht, war aber auch begnadeter Operregisseur, Aktionskünstler, Kameramann, Schauspieler, Musiker, Autor.

 

00 SCHNEIDER – JAGD AUF NIHIL BAXTER (1994) von Helge Schneider

 

Kein Wunder, dass sich ein anderer Künstler der Extreme, Helge Schneider, mit Schlingensief zusammentat und beide für ein paar wirklich grandiose Sachen verantwortlich sind. Über Helge Schneider wird ja gern in Zusammenhang mit Trash geschrieben. Aber für mich ist nur 00 SCHNEIDER – JAGD AUF NIHIL BAXTER ein Trashfilm, und das nicht mal in Gänze. TEXAS war natürlich sehr trashig inszeniert, ein Spaghettiwestern allererster Güte. Aber bereits PRAXIS DR. HASENBEIN hatte dramatischere Züge, JAZZCLUB ist ein trauriger Musikfilm und 00 SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE beinahe Film Noir. So kann man das sehen. Muss man aber nicht. Ich bin eine Eidechse mit toupierten Haaren und esse ein riesengroßes Stück Holz!

 

Viele der Filmemacher der sechziger, siebziger und achtziger Jahre waren sich gar nicht bewusst, dass sie eigentlich gequirlte Kacke auf Zelluloid bannten. Filmemacher wie Quentin Tarantino, Ryan Nicholson oder die Macher von CHILLERAMA (Adam Green, Adam Rifkin, Tom Sullivan, Joe Lynch) haben gekonnte Variationen von Schund in die Neuzeit transponiert. Aber verschwiegen werden darf auch nicht, dass es Filmemacher gibt, die den größten Müll produzieren, ohne sich dessen bewusst zu sein. Hier fällt natürlich sofort der Name Uwe Boll.

 

Die Frage ist, wenn man sich wie ich mit Hochgenuss Filme wie THE TOXIC AVENGER reinzieht, kann man dann noch auf der Hater-Welle gegen Herrn Boll mitschwimmen oder müsste es dann nicht genau so großartig sein? Teils ja, teils nein. Denn in diesem Falle nehmen sich die Filme von Herrn Boll viel zu ernst. Das haben die großen Trashklassiker auch gemacht, logisch. Aber ich kann beim besten Willen keine wirklich Linie in den Bollwerken entdecken. Manche Filme sind gut, manche schlicht unnötig und bei anderen wiederum hab ich keinen blassen Dunst, was mir Herr Boll damit sagen will.

 

 

SHARKNADO 5: GLOBAL SWARMING (2017) von Anthony C. Ferrante

 

Anders verhält sich das mit Werken aus der Schmiede “The Asylum”, welche auf Mockbuster von großen Kinoerfolgen spezialisiert ist. Da mag man im Einzelfall (TITANIC 2 – DIE RÜCKKEHR) zurecht die Augenbrauen hochziehen und murmeln: “Was is denn das für eine Scheiße?”, aber die Konsequenz, mit der die Firma seit 1997 Trashvariationen von Hollywoodblockbustern produziert, muss einem schon Respekt abverlangen.

 

Bloß kucken darf man das auf gar keinen Fall! Nee, im Ernst, ich fühle mich teilweise von SHARKNADO, MEGA PIRANHA oder 100 MILLION BC besser unterhalten als von den Millionen-Dollar-Vorbildern.

 

 

So…fassen wir zusammen. Wie? Zu lang? Wir haben Zeit! Zeit ist das beste, was uns der liebe Gott mit auf den Weg gegeben hat, außer Porsche, Softeis und Cola-Orange-Mischgetränke. Ist ja auch die Jubiläumsfolge. Trotz der Komplexität ist womöglich nicht mal ansatzweise das Thema Trashfilm abgehandelt, dafür ist die Flut an billigen Machwerken zu unüberschaubar und die Definition, was Trash ist und was nicht, einfach zu subjektiv. Ein paar Sachen werden uns sicher in Zukunft noch über den Weg laufen, sowohl in der Kleinen Genrefibel als auch in zukünftiger Trashware wie MACHETE KILLS AGAIN…IN SPACE.

 

 

THE DISASTER ARTIST (2017) mit James Franco über die Entstehungsgeschichte des Trashfilm Klassikers THE ROOM

 

Doch für jene, denen bereits DER HOBBIT zu schräg und wüst ist, dem kann ich nur empfehlen, sich mal ein paar Werke von John Waters, Lloyd Kaufman oder Frank Henenlotter reinzuziehen. Es könnte eine Offenbarung werden. Für Filmfreaks und Genreliebhaber ist das alles alter Kaffee. Denn wohin soll man noch flüchten in einer Welt der medialen Zuschüttung als in die wunderbare Welt des Müllfilms. Bis dahin, Eure Traumfalter Filmwerkstatt!

 

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

Lesen Sie in der nächsten Folge:

 

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6 Comments

  1. Antworten
    rikenbaker 3. Mai 2014

    Ha! Das Wichtigste vergessen! Wer bekommt denn nun den Trash Award? Das erfahren Sie alsbald, in der Retro Review #013: … Es ist also noch nicht alles gesagt!

  2. Antworten

    […] Freunde der leichten Unterhaltung. Kommen wir nun, nach der exorbitanten Kleinen Genrefibel Teil 20 zur Verleihung des Trash Awards für den besten Trashfilm aller Zeiten! Welcher Film könnte denn […]

  3. Antworten
    rikenbaker 6. Mai 2014

    ++++++++And the Trash Award goes to…CAPTAIN BERLIN VERSUS HITLER von Jörg Buttgereit und Thilo Gosejohann+++++++++Zur Retro Review hier entlang: http://www.traumfalter-filmwerkstatt.de/blog/retro-review-013-capitaen-berlin-vs-hitler/

    Trash Award

  4. Antworten

    […] Filmen SNOWPIERCER oder SHOOTOUT mit Sylvester Stallone Comicvorlagen vermuten. Und auch einer der Trashfilmklassiker schlechthin – BARBARELLA mit Jane Fonda – basiert auf einem französischem […]

  5. Antworten
    American Horror Stories 24. Januar 2018

    […] Von Alienentführung über Serienkiller zu Okkulthorror und Exorzismus bis hin zu derber Naziploitation wirkt ASYLUM auf dem Papier reichlich überfrachtet. Aber der zweiten Staffel gelingt es, die […]

  6. Antworten

    […] von Gewalt, also Blut und Gekröse. Diese erreichte in den späten 60er und frühen 70er Jahren im Exploitationfilm einen neuen Höhepunkt, bedingt durch die Evolution von Filmtechnik und einer Öffnung gegenüber […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de