Die kleine Genrefibel Teil 100: German Genre

Willkommen zur Kleinen Genrefibel Teil 100. Wow! 100 Jahre Genrefibel, das muss gefeiert werden, am besten natürlich mit einem Höhepunkt des Genrefilms. Doch das heutige Thema lässt die Vermutung keimen, hier ist eventuell Ironie im Spiel – german genre oder der Deutsche Genrefilm, für viele immer noch ein Oxymoron. Wir wollen aber hier trotz aller Realitäten nicht miesepetern oder trauerbegleiten, sondern unsere Reise mit genau derselben Leidenschaft bestreiten wie in den 99 Genrefibeln zuvor. So gänzlich unvertraut ist er uns ja nicht, dieser Deutsche Genrefilm, in den Fibeln oft beispielhaft präsent, doch immer überschattet von den Werken anderer Filmnationen und dieser einen scheinbar übermächtigen Filmindustrie aus Fernwest, die mit dem goldenen H.

 

 

 

 

Der Deutsche Genrefilm, ein Reizthema, eine Geschichte mit Widersprüchen und Missverständnissen, vielleicht schwieriger als jedes andere Thema, denn bei deutscher Filmgeschichte sitzt einem immer ein kleiner Teufel im Nacken, der darauf hinweist, dass der Deutsche Genrefilm in nationaler Bemühung und internationalem Vergleich Bummelletzter ist. Die Deutschen können kein Genre, damals vielleicht, jetzt jedenfalls nicht mehr, Filmklappe zu, Genrefilm tot. Jetzt aber sind neue Unterlagen aufgetaucht. Wir reisen heute durch die deutsche Genrefilmgeschichte und stellen uns einer provokrokanten These: Strenggenommen gibt es kein Problem mit dem Deutschen Genrefilm. Aber natürlich gibt es ein Problem. Welches das ist, das schauen wir uns nun genauer an.

 

Kintopp Anno Dazumal

 

Die Geburtsstunde des Films wird datiert auf den 28. Dezember 1895, als die Brüder Lumière in Paris der Weltöffentlichkeit mittels ihres 35-mm Kinematographen Filme vorführten. Aber bereits acht Wochen zuvor, am 01. November 1895, zeigten die deutschen Brüder Skladanowsky im Berliner Varieté Wintergarten bewegte Filmbilder auf einer Leinwand per Bioscope Projektor. Von wegen Bummelletzter. Leider war ihre Erfindung nicht konkurrenzfähig mit den Kinematographen der Lumières und die Skladanowskys gaben ihre Pionierarbeit für den deutschen Film bereits anderthalb Jahre später wieder auf. Was aber blieb, war die Begeisterung der Deutschen für das neue Medium Film, welches sich wie in den USA rasch etablierte und rasant weiterentwickelte.

 

 

Skladanowsky Bioscop

Die “Ersten Filme der Welt” wurden am 01. November 1895 in Berlin uraufgeführt – mittels der Kurbelkiste 1 der Brüder Skladanowsky, später Bioscope genannt.

 

Alles am Film war neu und der Umgang mit dem Medium musste von Filmemachern wie vom Publikum erst erlernt werden. Was es nie gab, war eine Unterscheidung zwischen Film und Genrefilm, diese vermeintliche Schachtelung von fiktionalen Filmstoffen war schlechthin gegeben in Thema, Figuren, Zeit und Ort. Über 30 Jahre lang waren Filmemacher von technischer Seite aus gezwungen, stumm mit dem Medium zu arbeiten, dieser visuelle Zwang förderte das, was wir heute Genre nennen. Für manches gab es in dieser Frühzeit des Films bereits Namen, Abenteuerfilm, Kriminalfilm, Monumentalfilm, für andere fehlten noch Genrebezeichnungen.

 

 

Monumentalfilm Deutschland

Monumentale Filmwerke aus Geschichte und ferner Zukunft – der Sechsteiler HOMUNCULUS (1916) von Otto Rippert hatte eine Länge von 360 Minuten. der frühe Science-Fiction Film DIE GROßE WETTE (1916) von Harry Rpeil, auch bekannt als DER ELEKTROMENSCH, VERTIAS VINCET (1919) von Joe May, der erste Monumentalfilm & SUMURUN (1920) von Ernst Lubitsch

 

Die ausschließlich visuelle Darstellungsform von Film beeinflusste die Genreentwicklung, die Lust wie die Unlust nach Sensationen teilte das Medium schon von Beginn an in die beiden Pole Kunst und Unterhaltung. Film war für das junge Publikum vor allem eine emotionale Angelegenheit, weniger eine intellektuelle. So ist es nicht verwunderlich, dass sich bereits in den Kindertagen des Films visueller Nervenkitzel als kinotauglich erwies und die Entstehung des Horrorfilms als Genre begünstigte. Dabei ging es aber nicht um den Begriff Genre, es ging vielmehr um eine Affinität zur Phantastik. Wie standen die Deutschen zur Phantastik?

 

 

UFA Berlin

Das Kleine Glashaus wurde 1912 die erste Produktionsstätte des älteste Filmstudio der Welt – Studio Babelsberg, die 1917 gegründete Universum Film AG, kurz UFA errichtet darauf weitere Studios in Babelsberg und Tempelhof.

 

Anfang des 20. Jahrhunderts, in einer Zeit der ausgehenden Romantik und der fortschreitenden Industrialisierung, herrschte in ganz Europa eine große Sinnlichkeit für das Spirituelle. Die Trivialliteratur blühte und damit Schauerromane, utopische Geschichten und Sehnsüchte nach Exotik und Ferne. Sie bildeten die Basis für die Phantastik, die wir heute in Horror, Science-Fiction und Fantasy aufschlüsseln. Die Schrecken des Ersten Weltkrieges 1914 – 1918 nährten in der neuen Weimarer Republik jenen mystischen Samen. Viele Soldaten kehrten nie aus dem Krieg zurück, die, die es taten, waren traumatisiert. Mit Séancen versuchte man, mit den Geistern der Gefallenen zu kommunizieren, all das war ein guter Nährboden für das Phantastische und floss in die Filmgestaltung.

 

 

UNHEIMLICHE GESCHICHTEN

UNHEIMLICHE GESCHICHTEN (1919) von Richard Oswald läutete nach dem Ersten Weltkrieg das Zeitalter des Phantastischen Films in Deutschland ein.

 

In dieser Zeit der spirituellen Offenheit, der Schrecken des Krieges und der tiefen Traurigkeit, erlebte der Deutsche Film einen enormen Aufschwung und eine kreative Hochphase. Bereits 1919 wurden in Deutschland 500 Filme produziert, die in 3000 Kinos über 350 Millionen Zuschauer lockten. Es entstanden große Filmproduktionsfirmen wie die UFA, die in und um Berlin wiederum riesige Ateliers und Studios wie Babelsberg oder Tempelhof errichteten. Berlin, Anfang der 20er Jahre die drittgrößte Stadt der Welt, wurde Kulturmetropole und ein international beachteter Filmstandort. Auch herrschte ein reger Filmaustausch mit den Vereinigten Staaten, US-Filme wurden importiert, deutsche Unterhaltungsfilme exportiert, der Stummfilm kannte keine Sprachgrenzen.

 

 

HILDE WARREN UND DER TOD

Doch schon vor UNHEIMLICHE GESCHICHTEN gab es phantastsische Filme aus Deutschland – HILDE WARREN UND DER TOD (1917) von Joe May nach einem Drehbuch von Fritz Lang.

 

Genres wie Abenteuer- und Kriminalfilme wurden in Deutschland ebenso produziert und exportiert wie frühe Monumentalfilme. Aber vom Deutschen Film gingen auch neue Impulse aus. Bedingt durch eine wesentlich längere europäische Kunstgeschichte beeinflusste der Begriff Kunst auch die damals eher trivial aufgefasste Filmunterhaltung. Kunstfilm oder Autorenfilm, das waren europäische, speziell deutsche Neujustierungen des Mediums. Trotz der Hochphase des Films Anfang der 20er Jahre waren US-Produktionen gigantischer und vor allem teurer. Um das zu kompensieren, mussten deutsche Filmemacher neue Wege finden.

 

 

Deutsche Filmemacher

Die großen Phantasten und Expressionisten – Paul Wegener (1874 – 1948), Robert Wiene (1873 – 1938), Friedrich Wilhelm Murnau (1888 – 1931) & Fritz Lang (1890 – 1976)

 

Alle Kunstrichtungen in Europa wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von einer Experimentierwelle überrollt. Der Deutsche Film holte sich visuelle Anleihen aus der expressionistischen Malerei für Bauten und Lichtgestaltung, setzte auf groteske Verzerrungen, Plakativismus und Surrealismus – der Expressionistische Film entstand. Aber es war nicht nur eine stilistische Prägung, die dem Expressionistischen Film voraus ging. Jene Gestaltung konnte am besten die derzeitige Stimmung in Deutschland visualisieren – das Trauma des Ersten Weltkrieges. Zusammen mit der offenen Spiritualität des Publikums und den Visionen der großen Regisseure wurde Deutschland zum weltweit führenden Vorreiter des Phantastischen Films.

 

Der Horrorfilm ist ein Lehrmeister aus Deutschland

 

Einer jener großen Visionäre war der Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Paul Wegener, welcher für den Deutschen Film Pionierarbeit leistete. Der erste große Lernschritt mit dem Medium Film war, ihn von der Theatralisierung wegzuführen, weg von den Anleihen des abgefilmten Theaters hin zu einer eigenständigen Filmsprache und Dramaturgie. Paul Wegener gilt als einer der ersten Autorenfilmer, der das Medium Film als Kunstform etablierte, jedoch nicht so, wie der Begriff Kunstfilm heute verstanden wird. Neu war damals die visuelle Anlehnung an die Malerei, aus der der Expressionistische Film hervorging. Inhaltlich basierten die Filme von Paul Wegener dagegen auf Elementen nationaler Folklore, einer großen Inspirationsquelle für die Phantastik.

 

 

DER STUDENT VON PRAG

DER STUDENT VON PRAG (1913) von Hanns Heinz Ewers mit Paul Wegener

 

Mit diesen Mitteln schufen Paul Wegener, Regisseur Hanns Heinz Ewers und Regieassistent Henrik Galeen mit DER STUDENT VON PRAG bereits 1913 einen echten Gruselfilm um einen armen Studenten, der sein Spiegelbild an einen satanistischen Zauberer verkaufte. Wegener, Ewers und Galeen waren mehr als nur begeistert von Übersinnlichen, sie standen mit pansophischen Logen in Verbindung und waren glühende Verehrer des Okkultisten Aleister Crowley. In dieser Affinität inszenierten Paul Wegener und Henrik Galeen 1914 den Film DER GOLEM aus der jüdischen Folklore um ein Lehmwesen, welches zum Leben erweckt wurde. DER GOLEM aus dem Jahr 1914 gilt als Geburtsstunde des Horrorfilms sowie als Urvater späterer Frankenstein Verfilmungen.

 

 

 

 

Während des Ersten Weltkrieges inszenierte Paul Wegener auch eine aufwändige Märchenfilmtrilogie. Neben traditioneller Folklore war Wegener auch von fremden Kulturen begeistert und somit neben Horror auch ein Wegbereiter für Fantasystoffe. Der große Durchbruch aber gelang Wegener 1920 mit DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM, die bereits dritte Adaption des Stoffes und gleichzeitig ein Prequel zu DER GOLEM von 1914. DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM gilt als erster internationaler Erfolg des Expressionistischen Films und wurde sogar nach China verkauft, in den USA lief er monatelang in ausverkauften Vorstellungen.

 

 

DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM

DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM (1920) von Paul Wegener

 

Während Paul Wegener Zugang zur Phantastik über die Folklore fand, wandte sich ein anderer Regisseur eher psychologischen Aspekten des neuen Horrorfilms zu – Robert Wiene. Im Gegensatz zu Paul Wegener hatte Wiene bis 1920 bereits eine große Filmschaffensphase bestritten, drehte aber größtenteils Lustspiele. Mit dem Drehbuchauftrag und den Bühnenbauten zu SATANAS 1920 von F. W. Murnau kam auch Wiene mit dem aufblühenden phantastischen Film in Berührung. Davon beeinflusst inszenierte Robert Wiene noch im selben Jahr den Klassiker des Expressionistischen Films in Deutschland – DAS CABINET DES DR. CALIGARI.

 

 

DAS CABINET DES DR. CALIGARI

DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920) von Robert Wiene

 

Wiene trieb den expressionistischen Stil, der bereits in den GOLEM Verfilmungen von Paul Wegener deutlich sichtbar war, zu gestalterischer Höchstform. Schräge, verzerrte Bauten, aufgemalte Schatten, kontrastreiches Licht und unheilvolle Gestiken. Die Geschichte eines Schlafwandlers, der tagsüber Jahrmarktsattraktion war, von seinem Schöpfer Caligari aber Nachts zum Morden ausgesandt wurde, grub sich erzählerisch tiefer in die Ängste des Publikums als bloßer visueller Schrecken. Die psychologischen Motive Wahnsinn und Ausgeliefertsein waren für die Evolution des Horrorfilms von entscheidender Bedeutung und ziehen sich durch weitere Filme von Robert Wiene wie GENUINE von 1920 oder ORLACS HÄNDE aus dem Jahr 1924.

 

 

 

 

Neben Paul Wegener und Robert Wiene aber war es vor allem ein Werk des Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau, der 1921 den Zenit für den deutschen Horrorfilm darstellte und dessen Wirkung den Horrorfilm international entscheidend prägte – NOSFERATU. Auch Murnau war Okkultist und traumatisiert von den Schrecken des Ersten Weltkrieges, dessen Erfahrungen direkt in NOSFERATU einflossen. Murnau wiederholte nicht nur expressionistische Bildaufbauten, er revolutionierte auch Kamera- und Montagetechnik, erzählte mit Bildern so galant, dass größtenteils auf die für die Stummfilmzeit typischen Zwischentitel verzichte werden konnte.

 

 

NOSFERATU

NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922) von F. W. Murnau

 

Bereits vor NOSFERATU schuf Murnau echte Horrorfilme, aber erst die unautorisierte Adaption von Bram Stokers Dracula machte ihn weltweit berühmt. Nicht nur ob des visuellen Schreckens der von Max Schreck gespielten grotesken Vampirfigur, auch wegen der explodierenden Kosten, die für die produzierende Prana Film zum Fiasko wurden. Bereits vor dem Urheberrechtsstreit mit Stokers Witwe galt NOSFERATU als Kinoflop, auch wegen des horrenden Budgets und der teuren Werbekampagne. Das Urteil des Berliner Gerichts forderte dann auch noch die Vernichtung sämtlicher Kopien von NOSFERATU, der nur deshalb überlebte, weil viele davon bereits ins Ausland verkauft waren.

 

 

 

 

Für Murnau aber ging es nach NOSFERATU weiter bergauf, doch nur bedingt führte er sein Werk im Phantastischen Film fort, unter anderem mit FAUST – EINE DEUTSCHE VOLKSSAGE aus dem Jahr 1926. Nach dem großen Erfolg von DER LETZTE MANN zog es ihn nach Hollywood, dort konnte er mit seinem US-Debüt SUNRISE bei der ersten Oscarverleihung drei Statuen abräumen. Die Premiere seines letzten Films TABU erlebte Murau nicht mehr, nachdem er 1931 an den Folgen eines Autounfalls in Kalifornien verstarb.

 

 

FAUST – EINE DEUTSCHE VOLKSSAGE

FAUST – EINE DEUTSCHE VOLKSSAGE (1926) von F. W. Murnau

 

Doch noch ein weiterer Regisseur bestimmte maßgeblich die Hochphase des Deutschen Films der Weimarer Republik – Fritz Lang. Nach einer Reihe exotischer Abenteuerfilmen zog es auch Lang 1921 zum Horrorfilm, sowohl DER MÜDE TOD als auch DR. MABUSE wurden zu Kassenerfolgen und verbanden folkloristische mit psychologischen Horrorelementen. Fritz Langs Filmwerke neigten zur Gigantomanie, bereits der Zweiteiler DIE NIBELUNGEN aus dem Jahr 1924 war eine wahre Kostüm- wie Ausstattungsorgie.

 

 

Fritz Lang Filme

DER MÜDE TOD (1921), DR. MABUSE – DER SPIELER (1922) & DIE NIBELUNGEN (1924) von Fritz Lang

 

Doch mit METROPOLIS aus dem Jahr 1927 sollte das noch weit übertroffen werden, mit Kosten von 5 Millionen Reichsmark war der frühe Science-Fiction Film das bis dato teuerste deutsche Filmvorhaben überhaupt. Trotz allem wurde er kein Kassenhit, was die produzierende UFA so gut wie in den Ruin trieb. Die Rezeption von METROPOLIS als einer der größten Klassiker der Filmgeschichte kam erst viele Jahre später im Zuge diverser Umarbeitungen und Rekonstruktionen des Films. Lang hat das finanzielle Debakel weniger geschadet als der UFA, die darauf gezwungen waren, mit US-Majors Kooperationsverträge auszuhandeln.

 

 

METROPOLIS

METROPOLIS (1927) von Fritt Lang

 

Fritz Lang drehte weitere Meilensteine des Genrefilms wie den Agentensteifen SPIONE und versuchte sich mit DIE FRAU IM MOND erneut an seinerzeit visuell atemberaubender Science-Fiction. Mit dem Übergang zum Tonfilm 1930 aber hatte Lang so seine Probleme, auch weil trotz des Höhenfluges des Deutschen Films Hollywood bessere technische Voraussetzungen hatten. Für seinen ersten Tonfilm M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER 1931 schuf er Innovationen, um Bild und Ton erzählerisch völlig neu zu gestalten, ihn dramaturgisch zu nutzen. Für einen Film über einen geisteskranken Serienmörder bedeutete das somit auch eine Steigerung des Spannungspotentials und der psychologischen Tiefe.

 

 

Fritz Langs letztes großes Werk der Phantastik wurde DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, in dem der weltweit berüchtigte Verbrecher die großen Pläne für die Weltherrschaft umsetzen wollte. DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE sollte somit auch ein Zeitzeuge des Wandels zwischen beiden Weltkriegen und der Vorbote der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 werden. Lang emigrierte 1934 nach Paris und kurz darauf nach Amerika, wo er seine Karriere fulminant fortsetzte, bevor er in den späten 50er Jahren nach Deutschland zurückkehrte. Bis auf Paul Wegener endeten die Karrieren von Wiene, Murnau und Lang innerhalb des Deutschen Films und der Deutschen Phantastik gleichzeitig mit dem Ende der Weimarer Republik.

 

 

DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE

DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE (1933) von Fritz Lang

 

Welches Erbe hatten jene Filmemacher hinterlassen? In der Weimarer Republik hatten sie nicht nur die Phantastik zur filmischen Kunstform erhoben und damit den Weg für die Genres des Phantastischen Kinos global bereitet, sie und andere Filmemacher aus Deutschland bewiesen auch, dass der Deutsche Film international erfolgreich sein konnte, weil er den Blick nach Außen richtete, weil er international erzählte. Der größte Umbruch diesbezüglich fand dann in der Zeit des Nationalsozialismus statt.

 

Als Hitler den phantastischen Film stahl

 

Das Thema Nationalsozialismus und Film ist zu komplex, um es hier in allen Facetten zu beleuchten und es ist auch nicht Thema. Die Kernfrage ist, was geschah mit der Phantastik und dem Deutschen Genrefilm während dieser Zeit? Film hatte in den ersten Dekaden des 20. Jahrhundert drei Hauptfunktionen, er diente der der Unterhaltung, er war Ausprägung der Kunst und er war Mittel der Propaganda. Auch vor den Nazis wurde Film propagandistisch genutzt, in allen Nationen. Hauptagitator Josef Goebbels war durchaus Filmexperte und sich der Wirkung von guter wie schlechter Propaganda bewusst. Man setzte auf indirekte Indoktrinierung, so wurden Filme in Auftrag gegeben, die beispielsweise große Persönlichkeiten der deutschen Geschichte portraitierten. Sie sollten indirekt zum Vergleich mit Hitler dienen, dem Erlöser, dem Befreier, dem vermeintlich großen deutschen Staatsmann.

 

 

GOLD 1934

Der Science-Fiction Film GOLD (1934) von Karl Hartl mit Hans Albers und Brigitte Helm

 

Unterhaltungsfilme dienten zur Ablenkung und wurden als solche konzipiert wie importiert. Auch Genrefilme aus den USA wurden vor dem Kriegseintritt Amerikas 1941 in Deutschland aufgeführt, es gab einen regen Austausch, teilweise biederte sich Hollywood den Nazi sogar an, denn Deutschland war ein guter Exportmarkt. Doch alles, was nicht in die krude Weltanschauung der Nazis passte, erhielt Aufführungsverbote. Auch die Errungenschaften des expressionistischen Films und damit die bedeutenden Werke der Phantasten wurden im Nationalsozialismus vollständig entfernt, die Ästhetik als entartet diffamiert. Das traf beispielsweise auch DAS CABINET DES DR. CALIGARI, der 1933 verboten und 1937 Bestandteil der Ausstellung Entartete Kunst wurde.

 

 

Phantastischer Film 1933 - 1945

Phantastische Filme und Genrestreifen zwischen 1933 und 1945

 

 

Die Verbote waren nicht nur in der Ästhetik begründet, abgewertet wurde die Phantastik schlicht deshalb, weil die Protagonisten aus Literatur und Film vermehrt Juden waren. Führte das allein zu einer Form der Phantastikfeindlichkeit? Nicht direkt, das Phantastische an sich begeisterte auch die Nationalsozialisten. Nicht in der Ausprägung des phantastischen Films, der als entartet und verirrt deklariert wurde, obgleich Hitler ebenso Esoteriker war wie vom Okkulten fasziniert. Auch war Hitler wie Goebbels ein glühender Filmfan, ein Bewunderer von Walt Disney und wollte auch in Deutschland eine international bedeutende Trickfilmproduktion erschaffen. Hitler, so hieß es, war sogar begeistert von KING KONG UND DIE WEIßE FRAU aus dem Jahr 1933 und ließ sich den Film wieder und wieder vorführen. Aber an Genrefilmen für das Publikum waren die Nazis nicht interessiert.

 

 

NS Propaganda im Film

NS Propaganda im Unterhaltungsfilm abseits der offenen Propaganda á la JUD SÜß – DIE GROßE LIEBE (1942) von Rolf Hansen wurde zum kommerziell erfolgreichsten Film der NS-Zeit, CARL PETERS (1941) von Herbert Selpin als anti-britische Propaganda im Gewand des Abenteuerfilms, Monumentalschinken wie DER GROßE KÖNIG (1942) von Veit Harlan diente zum kruden Vergleich mit Hitler & DIE FEUERZANGENBOWLE (1944) von Helmut Weiss gehörte als Komödie zu den letzten Durchhaltefilmen des NS-Regimes.

 

Das, was den deutschen Film in der Zeit des Nationalsozialismus von Grund auf verändert hat, war nicht die Auswanderung unzähliger Filmschaffender, die Berufsverbote für jüdische Künstler, das Erliegen des kreativen Austausches mit anderen Nationen und die Verbannung aller stilistischen Elemente, die der Kunstdefinition der Nazis nicht entsprachen. Hauptgrund war die Abkehr des Blickes nach Außen und die Zuwendung nach Innen. Die Nazis haben den einst internationalen Film aus Deutschland stark nationalisiert, das war Teil eines Ganzen, die ausschließlich innere Beschäftigung mit der deutschen Volksseele. Provokant ausgedrückt: möglicherweise haben die Nationalsozialisten den Deutschen Film überhaupt erst entstehen lassen.

 

 

MÜNCHHAUSEN

MÜNCHHAUSEN (1943) von Josef von Báky als einer der letzten Großproduktionen des Dritten Reichs mit Hans Albers.

 

Das heißt nicht, dass die Nationalsozialisten den Film für die nächsten Dekaden inhaltlich wie formell geprägt haben. Das Medium Film im Dritten Reich lag in den Händen von zwei Geisteskranken, die ihn für die Errichtung der globalen Weltmachtstellung hin ausrichteten. Es gab keinen Geist, Film zum Ausdruck der Individualität reifen zu lassen, der Film wurde von den Nazis in Geiselhaft genommen. Das war unbeschreiblich tragisch für alle Filmschaffenden, für alle Kunstschaffenden überhaupt, die durch die Diktatur Repressalien ausgesetzt waren, um es mal milde auszudrücken, viele wurden schlicht ermordet. Es gab technische Innovationen, es gab ästhetische Sichtweisen, es gab Karrieren, darüber hinaus war Film im Dritten Reich eine Parallelwelt, die 1945 aufhörte zu existieren. Die aber dennoch Jahrzehnte nachhallen und den Deutschen Film leider doch beeinflussen sollte.

 

Dunkle Zeiten – Heile Welten

 

Denn der Deutsche Film blieb nach Kriegsende, ab den 50er Jahren, bei dieser Versteifung auf das Innere, die Innere Befindlichkeit. Dies steht diametral zu den Ambitionen der Filmschaffenden in der Weimarer Republik, die blickten nach Außen, erzählten und verstanden Film international. Dieser perspektivische Bruch war der Entwicklung des Films im Dritten Reich verschuldet und nach dem Zweiten Weltkrieg, den Verbrechen an der Menschschlichkeit, dem Zivilisationsbruch, war es auch durchaus verständlich, in sich zu gehen. Warum aber blieben auch spätere Generationen in dieser Perspektive gefangen, die schlussendlich dahin führte, dass sich vor allem die Phantastik im Deutschen Film nicht weiter entwickeln konnte?

 

 

ALRAUNE 1952

ALRAUNE (1952) von Arthur Maria Rabenalt mit Hildegard Knef

 

In den 50er Jahren gab es vor allem strukturelle Veränderungen, Filmproduktion war Wirtschaft und wurde somit kontrolliert bis beschlagnahmt. In Westdeutschland regulierten die Amerikaner die Filmwirtschaft, vor allem aber ihre eigenen Filmexporte, um die Verluste durch das aufkommende Fernsehen zu minimieren. Nach einer Phase der Trümmerfilme, die halbdokumentarisch das Leben in den Kriegsruinen thematisierten, ordneten sich Genrefilme wieder natürlich in den Kinobetrieb ein. Aber nur die Importe, die nationale Filmproduktion musste sich vor allem Dämonen stellen oder eben auch nicht. Denn in der Zeit der Verdrängung des Nationalsozialismus waren die bevorzugten Genres in Deutschland Heimatfilme und Schlagerfilme, kurz Heile-Welt-Filme.

 

 

Fritz Lang Filme

Die Rückkehr von Fritz Lang nach Deutschland – DER TIGER VON ESCHNAPUR (1959), DAS INDISCHE GRABMAL (1959) & DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1960)

 

Das Filmerbe der Weimarer Republik wurde nicht fortgesetzt, alles, was subversiv und aufrührerisch war, war suspekt, und damit leider auch das Phantastische. Das Problem des Deutschen Films nach dem Zweiten Weltkrieg war nicht Genre, das gab es zuhauf, es war die Phantastiksparte. Manches war durchaus verständlich, wer wollte schon nach dem Weltkrieg Horrorfilme produzieren, der Horror war noch zu allgegenwärtig. Warum aber ein Wirtschaftswunderland wie Deutschland, ein Land der Erfindungen Made in Germany und der technischen Pioniere, wenig bis gar nicht am Science-Fiction Genre interessiert war, bleibt unverständlich.

 

DIE BRÜCKE

DIE BRÜCKE (1959) von Bernhard Wicki als erster deutscher Nachkriegsfilm, der klar Stellung gegen den Zweiten Weltkrieg bezog und den modernen Antikriegsfilm begründete.

 

Trotzdem erlebte das westdeutsche Kino in den 50ern eine neue Blüte, der Marktanteil der deutschen Filme lag in dieser Zeit bei 40 Prozent. Doch außerhalb Deutschlands setzten Filme keine gestalterischen oder inhaltlichen Akzente, wurden gar als provinziell betrachtet. Der Hauptgrund war, sie blieben bei dem starken Bezug nach Innen, was sie international schwierig vermarkten ließ. Die Deutschen indes erfreuten sich über die Heile Welt der Heimat- und Schlagerfilme, da war kein Platz für die Phantastik.

 

 

Deutsches Genre gab es in den 50ern durchaus, Peter Lore, Star aus M- EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER kam zurück nach Deutschland und gab sein Regiedebüt mit DER VERLORENE, der mit psychologischen Mitteln eine Auseinandersetzung mit den Kriegsschrecken zu visualisieren versuchten. Auch Fritz Lang kehrte nach Deutschland zurück und drehte die fulminanten Abenteuerfilme DER TIGER VON ESCHNAPUR und DAS INDISCHE GRABMAL, 1960 setzte er mit DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE sogar seine berühmte Filmreihe fort. Mit ALRAUNE aus dem Jahr 1952 erschien sogar ein Horrorfilm, eine Neuverfilmung des phantastischen Romans von Hanns Heinz Ewers, einem der Protagonisten des frühen deutschen Horrorfilms.

 

 

ES GESCHAH AM HELLICHTEN TAGE

ES GESCHAH AM HELLICHTEN TAGE (1958) von Ladislao Vajda mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe

 

Anstatt aber der kreative Austausch zwischen den USA und Deutschland wieder aufgenommen wurde, kupferten deutsche Filmproduktionen nun mehr und mehr von amerikanischen Vorbildern ab, wie beispielsweise DIE HALBSTARKEN als filmische Antwort auf James Deans …DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN, dem weitere Filme um die rebellische Jugend folgten, die in Deutschland gar nicht so rebellisch war. Dafür gelang es dem Film DER HAUPTMANN VON KÖPENICK mit Heinz Rühmann 1957, die erste Oscarnominierung für die neue Sparte Bester Fremdsprachiger Film zu ergattern.

 

Papas Kino: Krimis, Western, Sexklamotten

 

In den 60er Jahren war viel Bewegung im deutschen Film, das Wirtschaftswunderland florierte und Koproduktionen mit anderen europäischen Ländern wurden wieder verstärkt aufgenommen. Aber noch immer dominierten Heimat- und Schlagerfilme die Kinocharts, immerhin waren in der Top 10 stolze sechs heimische Produktionen. Während in den USA Alfred Hitchcocks PSYCHO anlief, wurde in Deutschland DAS WIRTSHAUS IM SPESSART (1958) 1960 mit dem Grusical DAS SPUKSCHLOSS IM SPESSART fortgesetzt. Kein Paradigmenwechsel, aber der Beginn einer neuen Genrewelle des Deutschen Films in den 60er Jahren stand an.

 

 

DAS SPUKSCHLOSS IM SPESSART

DAS SPUKSCHLOSS IM SPESSART (1960) von Kurt Hoffmann mit Liselotte Pulver – das Ende des deutschen Heimatfilms und zurück zur Phantastik?

 

Das begann bereits 1959 mit der deutsch-dänischen Koproduktion DER FROSCH MIT DER MASKE nach einem Roman von Edgar Wallace aus dem Jahr 1925. Mit frischem Cast, einem flotten und actionreichen Drehbuch und inspiriert von den gothic horror movies der Hammer Studios Ende der 50er Jahre wurde die erste Edgar Wallace Verfilmung ein Erfolg mit 3,2 Millionen Zuschauern. Dieser Erfolg legte den Grundstein für eine 38-teilige Kinofilmreihe zwischen 1959 und 1972. Mit den neuen Edgar Wallace Filmen schloss man an eine Reihe von Adaptionen aus den Jahren 1927 bis 1932 an, nun aber zeitgemäß mit Pulp und Horror angereichert.

 

 

DER FROSCH MIT DER MASKE (1959) von Harald Reinl – die erste der neuen Edgar Wallace Verfilmungen nach der Stummfilmzeit.

 

Die Edgar Wallace Verfilmungen wurden begleitet von diversen Nachahmern und einer neuen Welle an Kriminal- und Agentenfilmen. Während Sean Connery 1962 als James Bond m Vorspann erstmals in Richtung Zuschauer schoss und in den 60ern vier Fortsetzungen absolvierte, ging auch in Deutschland das Agentenfiber um. Man hatte sogar eigene Stoffvorlagen wie die Romanvorlagen zu KOMMISSAR X und JERRY COTTON, die beide in den 60ern in Kinoserienproduktion gingen.

 

 

Deutsche Agentenfilme

Agentenfilmwelle in Deutschland – KOMMISSAR X – JAGD AUF UNBEKANNT (1966) von Gianfranco Parolini, Jerry Cotton in SCHÜSSE AUS DEM GEIGENKASTEN (1965) von Fritz Umgelter & der letzte Jerry Cotton Film TODESSCHÜSSE AM BROADWAY (1969) von Harald Reinl

 

Eine weitere Welle kam mit den zahlreichen Verfilmungen der Romane von Karl May, beginnend mit DER SCHATZ IM SILBERSEE 1962. Auch hier führte man eine Tradition aus Stummfilmtagen fort, nun aber mit eindeutig internationaler Westernprägung. Initiiert von Produzenten Horst Wendlandt entstanden zwischen 1962 und 1968 stolze 17 Adaptionen, zum Teil mit internationalem Cast wie Piere Brice und Lex Barker, aber auch mit deutschen Stars wie Karin Dor, Eddi Arent oder dem jungen Götz George.

 

 

Karl May Verfilmungen

Der Startschuss der berühmten Reihe an Karl May Verfilmungen von Produzent Horst Wendtland – DER SCHATZ IM SILBERSEE (1962) von Harald Reinl mit Piere Brice und Lex Barker.

 

Die Welle von Krimis und Western im Kino verdrängte einen Großteil der behäbigen Heimatfilme und gaben dem deutschen Film eine neue Tonalität. Die Serienproduktionen waren aber auch eine Reaktion auf immer mehr ausländische Filmproduktionen, vor allem aus den USA, die den Anteil der deutschen Produktionen in den Kinocharts nach und nach dezimierten. Mit Krimis und Western folgte Deutschland internationalen Vorbildern und exportierte diese auch in erfolgreich in andere europäische Länder.

 

 

DAS WUNDER DER LIEBE

Der Aufklärungsfilm DAS WUNDER DER LIEBE (1968) von Franz Josef Gottlieb nach Werken und einem Drehbuch von Oswalt Kolle – der Startschuss für eine Sexfilmwelle in den 70er Jahren.

 

Noch zwei weitere Wellen an mehr oder weniger Genrefilmen standen in den 60ern an, zuerst natürlich die Sexfilmwelle, ausgelöst durch den Dokumentarfilm DAS WUNDER DER LIEBE von Oswalt Kolle aus dem Jahr 1968, dem acht weitere Filme folgten, vor allem aber unzählige Billigproduktionen in den 70er Jahren wie SCHULMÄDCHENREPORT, welche wenig mit Aufklärung zu tun hatten, eher frivole Lustspiele waren, aber den damaligen Zeitgeist trafen. Klassisch, aber irgendwie auch modern kamen Ende der 60er die Pauker- oder Lümmelfilme in die Kinos und zogen vor allem ein jüngeres Publikum an. Nach ZUR HÖLLE MIT DEN PAUKERN folgten sechs weitere Lümmelfilme und machten beispielsweise Uschi Glas oder Hannelore Elsner zu Stars.

 

 

ZUM TEUFEL MIT DER PENNE

ZUM TEUFEL MIT DER PENNE (1968) von Werner Jacobs

 

Die 60er Jahre waren also eine neue Blütezeit des deutschen Films? Nicht ganz, viele dieser Genreproduktionen waren eine Antwort auf die Kinokrise in den 60ern, in der der deutsche Film vor allem durch US-Produktionen verdrängt wurde. Von internationalem Anschluss oder deutschen Filmexporten in die USA war gleich gar keine Rede. Es gab also wirtschaftliche und kreative Sackgassen, auf die man zusteuerte. Hinzu kam die weite Verbreitung des Fernsehens, was die Kinobesucher weiter schrumpfen ließ.

 

 

Oberhausener Manifest

Auf den 8. Westdeutschen Kurzfilmtagen 1962 erklären 26 junge deutsche Filmemacher: “Papas Kino ist tot.”, darunter Alexander Kluge – das berühmte Oberhausener Manifest verändert den Deutschen Film.

 

Vor allem jungen Regisseuren aber war „Papas altes Kino“ ein Dorn im Auge, die sahen im europäischen Ausland neue inhaltliche wie stilistische Filmbewegungen entstehen wie die Nouvelle Vague. Was heute absurd klingen mag, aber junge rebellische Filmemacher hatten die Schnauze voll von Heimat- und Schlagerfilmen, aber auch von wiedergekauten Hollywoodklischees in deutschen Genreproduktionen, sie verlangten vom Film mehr Realismus, mehr Substanz. 26 Filmemacher unterschrieben 1962 das berühmte Oberhausener Manifest, mit der Forderung nach einem Neuen Deutschen Spielfilm.

 

 

ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN

Der erste kommerzielle Erfolg des Neuen Deutschen Films ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN (1968) von May Spils mit Uschi Glas und Werner Enke

 

Dieser neue Aufbruch wurde erst Ende der 60er Jahre realisiert, als Folge erstarkte in Deutschland auch wieder der Autorenfilm. Gleichzeitig wurde 1967 das Filmfördergesetz verabschiedet, vor allem um Kinofilmproduktionen vor der Konkurrenz Fernsehen zu schützen, bzw. zu fördern und Regeln für die Koexistenz von Kino und Fernsehen festzulegen. Die Filmförderung in Deutschland wird heute als Hauptgrund der Misere angesehen und diverse Entwicklungen der nächsten Dekaden haben auch tatsächlich einen Anteil daran. Doch in jener Zeit waren Filmbewegungen und Filmförderungen nötig, den Deutschen Film national zu fördern und international wieder konkurrenzfähig zu machen. Diese Veränderungen traten in den 70er Jahren dann auch ein.

 

Bernd gegen den Rest der Welt

 

Kommerziell lebte das deutsche Kino in den 70ern vor allem von Sexfilmen, als die Krimi- und Westernreihen endeten. Die zweite Generation der Oberhausener aber schaffte zumindest den kreativen Umschwung. Regisseure wie Volker Schlöndorff, Wim Wenders, Werner Herzog oder Rainer Werner Fassbinder drehten ernsthaftes deutsches Kino von internationaler Prägung und fanden damit vor allem in Europa wieder Anschluss. Filme wie AGUIRRE, DER ZORN GOTTES oder PARIS, TEXAS waren ein neues Level für den deutschen Film und auch in den Staaten wurde man auf die neue Riege an Filmemachern aufmerksam.

 

 

NOSFERATU 1979

Klaus Kinski und Bruno Ganz in NOSFERATU – PHANTOM DER NACHT (1979) von Werner Herzog

 

Das lag auch daran, dass in den USA in den 70ern selbst eine neue Filmbewegung entstand, die sich New Hollywood nannte und deren Protagonisten europäische Wurzeln hatte wie Martin Scorsese oder Roman Polanski. Es war gleichzeitig die Zeit des Exploitationfilms, welcher auch in Deutschland bedient wurde und manch köstliche Grausamkeit wie HEXEN, BIS AUFS BLUT GEQUÄLT gebar, aber auch harte Action wie BLUTIGER FREITAG. Innerhalb der Italo-Western Welle in den 70ern war Deutschland oft als Koproduktionspartner dabei, geradliniges Genrekino drehten auch Regisseure wie Roland Klick oder Rolf Olsen.

 

 

Auch im Fernsehen gab es seltene Intermezzi mit Genreversuchen wie DAS MILLIONENSPIEL oder WELT AM DRAHT von Fassbinder. Als sich Werner Herzog 1979 dann dem Remake von Murnaus NOSFERATU mit Klaus Kinski annahm, was möglicherweise ein Revival des expressionistischen Horrorfilm aus Deutschland versprach und DIE BLECHTROMMEL von Volker Schlöndorff 1979 den Oscar für den Besten fremdsprachigen Film erhielt, schien der deutsche Film wieder auf eine Hochzeit zuzusteuern.

 

 

Deutsche Actionfilme 70er Jahre

Actionreißer im internationalen Genregewand mit BLUTIGER FREITAG (1972) vom Rolf Olsen & Lee Payant, Spätwestern DEADLOCK (1970) von Roland Klick mit Mario Adorf & der visionäre TV-Film DAS MILLIONENSPIEL (1970) von Tom Toelle mit Dieter Hallervorden.

 

Wenn es da nicht das Blockbusterkino aus den USA gegeben hätte, welches Ende der 70er mit den Filmen DER WEIßE HAI und KRIEG DER STERNE entstand und den US-amerikanischen Film aus einer langen Krise wieder an die Weltspitze torpedierte. Für viele Länder, nicht nur Deutschland, bedeutete das eine weitere Verschlechterung der heimischen Filmproduktion. Im Jahr 1980 zählten die Top 100 der deutschen Kinocharts nur noch 24 deutsche (Ko)produktionen. 1980 befand sich auf Platz 99 der Kinocharts immer noch eine Sexklamotte – DIE SCHÖNEN WILDEN VON IBIZA, auf Platz 1 stand DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK. Fairerweise gab es für den Genrefilm THEO GEGEN DEN REST DER WELT immerhin Platz 3 mit 3,4 Millionen Besuchern.

 

 

DAS BOOT 1981

DAS BOOT (1981) von Wolfgang Petersen

 

Einen Blockbuster gelang dem deutschen Film aber bereits ein Jahr später mit DAS BOOT von Wolfgang Petersen, der zwei Jahre nach DIE BLECHTROMMEL einen anderen deutschen Film im Ausland repräsentierte und auch in den USA 11 Millionen US-Dollar einspielte. Nur wenige Filmschaffende hatten Ambitionen, da mithalten zu wollen oder überhaupt zu können. Zum bedeutendsten Produzenten Deutschlands stieg Anfang der 80er Bernd Eichinger auf, mit der Neugründung der Neuen Constantin Film und der Adaption WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO war Eichinger überaus erfolgreich und er hatte zudem starken internationalen Ehrgeiz.

 

 

DIE UNENDLICHE GESCHICHTE

DIE UNENDLICHE GESCHICHTE (1984) von Wolfgang Petersen

 

Eichinger war nicht nur Filmproduzent, er war Filmeinkäufer, Verleiher, Drehbuchautor, später auch Regisseur und er hatte immer einen internationalen Fokus. Eichinger war eine Filmbestie im positiven Sinn. 1984 produzierte er mit DIE UNENDLICHE GESCHICHTE von Regisseur Wolfgang Petersen einen Fantasy Blockbuster nach dem Roman von Michael Ende, 1986 die europäische Koproduktion DER NAME DER ROSE mit Sean Connery in der Hauptrolle. Und das war erst der Anfang, Eichinger bestimmte bis zu seinem Tod 2011 die deutsche Filmlandschaft ohne die Frage, ob dieses oder jenes Genre möglich sei oder nicht.

 

 

DER NAME DER ROSE

DER NAME DER ROSE (1986) von Jean-Jacques Annaud

 

Doch Eichinger blieb als Produzent ein deutsches Ausnahmetalent. Während Wolfgang Petersen und der junge Roland Emmerich für deutsches Genrekino alleinig die Fahne hochhielten, reagierte der Deutsche Film auf die übermächtige Konkurrenz USA vor allem mit Komödien einer neuem Riege von Komikern, die in den 70ern Karriere machten und in den 80ern das Kino aufmischten. Waren die Anfänge eines Dieter Hallervorden nach DAS MILLIONENSPIEL noch einigermaßen subversiv (DER SCHNÜFFLER als Agentenfarce hatte durchaus Genrebezüge), wurde im Kino alsbald nur noch als Didi herumgeblödelt. Auch die ersten OTTO Filme waren spitzzüngiger als spätere Werke, doch dann ging es steil bergab mit unterirdischen Krüger-Gottschalk Filmdesastern.

 

 

Einzig Action konnte in den 80ern noch überzeugen, allen voran natürlich TATORT Held Götz George alias Schimanski, der vom Fernsehen ins Kino kam und der auch in Thrillern wie ABWÄRTS glänzte. George spielte auch in Dominik Grafs DIE KATZE die Hauptrolle, Graf war einer der wenigen deutschen Regisseure, die es verstanden, US-amerikanische Action auf den deutschen Film abzustimmen und damit etwas eigenes zu schaffen, bei DIE KATZE funktionierte das kommerziell, später nur bedingt.

 

 

DIE KATZE 1988

DIE KATZE (1988) von Dominik Graf mit Götz George

 

Auch in den 80ern zeigte sich, deutsches Genrekino – ja, phantastisches Kino – nein. Die Ausreden bislang waren schlechtes Timing (wer wollte Horror nach dem Zweiten Weltkrieg) und kein Budget („…das können wir hier nicht machen, das ist zu teuer!“). Bald sollte eine dritte Ausrede hinzukommen, doch erstmal stand ein weiterer gesellschaftlicher Umbruch statt, der sich auch auf die deutsche Filmproduktionslandschaft auswirkte.

 

Die verpasste Kulturrevolution

 

Zu Beginn der 90er Jahre war Deutschland endlich wiedervereint. Eine große Abwicklung des ostdeutschen Films gab es nicht, schließlich war die DEFA die einzige zentrale Produktionsstätte, die über mehrere Wege dann in die Studio Babelsberg GmbH umwandelt wurde. Viel interessanter war, nach was sich die 16,4 Millionen DDR-Bürger in der neuen Bundesrepublik in Sachen Film sehnten, immerhin vergrößerte sich nun der nationale Bedarf. Filmisch ausgehungert waren die DDR Bürger aber hauptsächlich nach US-Ware, Filme wie DIE UNENDLICHE GESCHICHTE, OTTO oder DER NAME DER ROSE kamen schließlich auch ins DDR Kino.

 

 

DDR Genrekino

Highlights des DDR-Genrekinos: DIE GESCHICHTE VOM KLEINEN MUCK (1953) von Wolfgang Staudte, DAS KALTE HERZ (1950) von Paul Verhoeven, der wohl einzige DDR Film um einen Serienmörder LEICHENSACHE ZERNIK (1972) von Helmut Nitzschke & Gerhard Klein, utopische Science-Fiction mit SIGNALE – EIN WELTRAUMABENTEUER (1970) von Gottfried Kolditz mit Gojko Mitić & EOLOMEA (1972) von Herrmann Zschoche mit Rolf Hoppe & die letzte DEFA Produktion DER BRUCH (1989) von Frank Beyer mit Götz George, Rolf Hoppe und Otto Sander.

 

Das vergrößerte die Kluft zwischen deutschen und US-Produktionen in den Kinocharts noch mehr, wenn auch mit WERNER – BEINHART 1990 ein gesamtdeutscher Kassenschlager in die Lichtspielhäuser kam. Aber seit der Evolution der Blockbuster bis in die frühen 90er Jahre hat der US-Film als Export sämtliche Märkte bestimmt. Mit Einsetzen der digitalen Effektrevolution 1991 durch Filme wie TERMINATOR 2 wurde diese Kluft größer und größer, auch für zukünftige Filmvorhaben. Hatte Eichinger mit Handwerk in den 80ern noch mithalten können, war spätestens mit Steven Spielbergs JURRASIC PARK 1993 Schluss mit Anschluss.

 

 

STALINGRAD

STALINGRAD (1993) von Josef Vilsmaier

 

Dennoch gab es in den 90ern auf beiden Seiten, sowohl der Filmproduktion als auch des Publikums, wenig Grund zum Meckern, das Kino florierte, kreativ aber versandete der deutsche Film. Trotz einzelner Erfolge wie STALINGRAD von Josef Vilsmaier dominierten Komödien die Kinocharts, das aber bis auf wenige Ausnahmen vornehmlich auf den hinteren Plätzen. Leider waren diese Komödien noch nicht einmal anarchistisch wie die frühen Hallervorden oder OTTO Filme, sondern immer seichtere Angelegenheiten. Vielleicht nicht vergleichbar, aber die 90er ähnelten mehr den 50er Jahren mit der Flut an Heimat- und Schlagerfilmen.

 

 

Deutscher Genrefilm 90er Jahre

Der Wille war da, der Erfolg blieb aus – Deutsches Genrekino in den 90er Jahren: Space Opera DIE STURZFLIEGER (1995) von Peter F. Bringmann mit Götz George, Ingo Naujoks & Anja Kling, Märchenhorror SIEBEN MONDE (1998) von Peter Fratzscher mit Jan Josef Liefers, Christoph Waltz, Ulrich Mühe und Marie Bäumer & die Schwarze Horrorkomödie NUR ÜBER MEINE LEICHE (1995) von Rainer Matsutani mit Christoph M. Ohrt & Katja Riemann.

 

Kunst war immer eine Reation auf gesellschaftliche Umbrüche. Der Erste Weltkrieg hatte in den Expressionisten das Phantastische herausgefordert, nach dem Zweiten Weltkrieg war die Reaktion in der Filmkunst dagegen Verdrängung und Ablenkung. Nach dem Ende der DDR Diktatur war die Reaktion verständlicherweise Freiheitsdrang und Spaß. Man hat nicht versucht, die Diktatur mit Genrefilmen zu verarbeiten. Andere Nationen haben das getan, sogar erfolgreich. Nach dem Ende der Franco Diktatur in Spanien wurde das innerhalb der Kulturrevolution gemacht, vielleicht erst in zweiter Generation, aber die Diktatur und die Zensur fanden eine Verarbeitung im Genrefilm, speziell im Horrorfilm, worauf spanisches Genrekino international Beachtung fand. Nicht so in Deutschland, hier hieß es GO TRABBI GO und ab zum BALLERMANN 6.

 

 

LOLA RENNT

Endlich eine neue Tonalität und Mut mit Deutschen Genrefilmen – LOLA RENNT (1998) von Tom Tykwer mit Franka Potente und Moritz Bleibtreu

 

Besonders hart traf es den Filmnachwuchs, dessen Ideen so gut wie gar nicht integrierbar war in die damalige Filmlandschaft. Aber es herrschte wohl ein stilles Einsehen. Für die, die beispielsweise Horrorfilme machen wollten, gab es zumindest die Möglichkeit, günstig auf Video zu drehen statt auf Film. Dafür gab es zwar keinen Markt, aber zumindest entstand eine kleine Amateurfilmszene, die gut gemachten Handmade-Splatterspaß produzierten und auf VHS unter der Hand vertrieben. Warum überhaupt eine solche Szene entstand, lag mehr an dem üppigen Aufkommen von Videotheken und der Erkenntnis, dass es weltweit noch so viel mehr an Genre gab, was das Kino, erst recht nicht das deutsche Kino, abbilden konnte.

 

 

Deutscher Genrefilm 90er Jahre

PULP FICTION (1995) von Quentin Tarantino färbte auch auf die deutsche Krimi- und Actionfilmsparte der 90er Jahre ab: KNOCKIN ON HEAVENS DOOR (1997) von Thomas Jahn mit Til Schweiger und Jan Josef Liefers, DER EISBÄR (1998) von und mit Til Schweiger und Peter Maffay & BANG BOOM BANG – EIN TODSICHERES DING (1999) von Peter Thorwarth.

 

Während aber in den USA und auch anderswo Mitte der 90er vor allem der neue Horrorfilm in seiner Spielart Teenieslasher vor allem ein neues junges Publikum auf den Plan rief, sah man in Deutschland dafür keinen Markt, auch wenn es gar nicht an fehlenden Budgets lag, Horror war wesentlich günstiger als Sci-Fi oder Fantasy zu produzieren. Dass der neue deutsche Film Horrorfilme als Schund statt Filmkunst ablehnte, war angesichts der vielen strunzdummen Komödien wahrlich ein eigenartiges Argument. Tatsächlich wurde nun eine weitere Ausrede laut, warum der deutsche Genrefilm international nicht mithalten konnte und in Wahrheit war es weniger Ausrede als eine Folge der jahrzehntelangen Misere zuvor, es fehlten in der Tat Talente dafür.

 

 

Umso bitterer, dass die wenigen Talente im Genrefilm nach der Wiedervereinigung nach Hollywood gingen und dem deutschen Markt fehlten, aber wer will es Wolfgang Petersen oder Roland Emmerich verübeln, die dort mit Produktionen wie IN THE LINE OF FIRE, STARGATE oder INDEPENDENCE DAY das umsetzen konnten, was hierzulande unmöglich schien. Viele deutsche Filmemacher, die mögen mir verzeihen, hatten aber auch gar nicht die Passion oder den Willen, sich gegen diese Realität aufzulehnen, viele waren an das subventionierte und klar geregelte deutsche Filmwesen angepasst und schwammen mit dem Strom. Auch gab es mittlerweile eine sichtbare Kluft zwischen dem, was die Filmförderung förderte und was das Publikum sehen wollte, aber es gab auch keinen Grund für eine Revolte, nicht einmal ein Bestreben, eine Filmidee unbedingt zum Erfolg zu führen.

 

 

Deutscher Genrefilm 2000

Kleiner Höhenflug des Deutschen Genrefilms nach dem Millenium – ANATOMIE (2000) von Stefan Ruzowitzky, DAS EXPERIMENT (2001) von Oliver Hirschbiegel & TATTOO (2002) von Robert Schwendtke.

 

Die Filmförderung und Fernsehbeteiligung deckte Budgets, egal ob der Film erfolgreich wurde oder nicht. Filmemacher, die kreative Stoffe an Produzenten herantrugen, wurden im bürokratischen Filmproduktionsprozess zerrieben, aus einer glänzenden Idee wurde durch beteiligte Fernsehredakteure maximal ein passables Drehbuch und letzendlich ein miserabler Film. Nicht immer, aber einfach zu oft. Natürlich gab es auch Gegenbeispiele, vor allem in der zweiten Hälfte der 90er Jahre. Mit der Filmproduktionsfirma X-Filme kam zumindest ein wenig Kreativität und Mut in den deutschen Film, es gab Wagnisse wie LOLA RENNT und wieder offensive Koproduktionen mit den USA ab den 2000ern. Eichinger aus Süddeutschland war weiterhin erfolgreich dabei und produzierte eigentlich alles, wenn nicht klares Genre, dann zumindest auf abgestimmt auf das, was das Publikum wirklich sehen wollte.

 

German Genre 2000 – Kampf, Krampf, Stampf

 

Grundsätzlich ging es aber mit vielen Genreversuchen in den 2000er Jahren gründlich bergab. Zu den alten Ausflüchten um geringe Budgets, fehlende Talente und niedrige Erfolgschancen kamen neue hinzu. Denn Genre transformierte ab den 90er Jahren global, in den Köpfen der Entscheider aber verhinderten alte Genrevorbehalte neue Ideen und Konzepte. Die Globalisierung entkräftete eine Ausrede vollständig, die bis in die 2000er Bestand hatte – der ewige Verweis auf den US-amerikanischen Film und dass der Deutsche Film das alles nicht leisten konnte, von der Cleverness, dem Mut bis zum Dialog mit dem Publikum.

 

 

Rammbock

Die tote Genrelandschaft in Deutschland? Nein, der Zombiefilm RAMMBOCK (2010) von Marvin Kren in Zusammenarbeit mit dem ZDF für Das kleine Fernsehspiel brauchte sich nicht vor 28 DAYS LATER und Co. verstecken.

 

Aber diese Ausrede war eine Fehleinschätzung, die durch die Globalisierung mehr und mehr aufgedeckt wurde. Man versetze sich in einen jungen Filmemacher Ende der 2000er, der mit dem US-amerikanischen Kino, mit STAR WARS, mit Bruce Willis, mit ALIEN, den GHOSTBUSTERS oder dem TERMINATOR aufgewachsen ist. Natürlich war dem klar, solche Filme waren in Deutschland nicht machbar, aber eben auch nicht in anderen europäischen Ländern. Doch in den Videotheken fand man plötzlich ein viel breiteres Genrefilmangebot auch außerhalb der USA, was man vorher gar nicht sah. Man nannte es elevated genre.

 

 

Der Genrefilmfan ging auf DVD-Börsen und war angefixt von ungeschnittener Genreware, die da plötzlich auch aus Frankreich, aus Spanien oder aus Skandinavien kam. Diese europäischen Länder machten neues Genre, sogar ziemlich clever, weil sich Genre eben gewandelt hat und nicht mehr bedeutete, immer wieder nur bekannte Strukturen wiederzugeben. Genre wurde hinterfragt, aufgebrochen, invertiert, neu arrangiert, tiefenausgelotet, ohne die wichtigsten Genremerkmale zu vernachlässigen.

 

 

Deutsche Horrorfilme 2010

Wenig Budget & große Genrevisionen – Neo Giallo MASKS (2012) von Andreas Marschall, Lovecraft-Verfilmung DIE FARBE (2010) von Huan Vu & BELA KISS: PROLOGUE (2013) von Lucien Förstner.

 

Noch viel entscheidender aber war die Erkenntnis, diese Genreproduktionen konnten budgetmäßig vielleicht nicht mit den USA mithalten, aber sie wollten auch gar nicht, denn sie waren im eigenen Land erfolgreich sowie weltweit vermarktbar. Aus Frankreich kam eine Terrorfilmwelle, aus Spanien eine neue Art von Geisterfilm, auch in Skandinavien drehte man moderne Slasher. Früher hieß es immer, der deutsche Film kann nicht mit Hollywood mithalten, aber zum Glück alle anderen auch nicht. Plötzlich aber sah man, viele Länder Europas konnten durchaus kreativ und erfolgreich Genre produzieren. Nur Deutschland nicht. Das machte sauer.

 

 

WIR SIND DIE NACHT

WIR SIND DIE NACHT (2010) von Dennis Gansel mit Karoline Herfurth und Nina Hoss

 

In den 2000ern und frühen 2010er Jahren war jedes Genrefilmvorhaben in Deutschland ein Kampf und ein Krampf. Aber es reichte Filmemachern einfach, sich für Projekte über die Maßen zu verschulden, ignoriert von Förderungen, unverstanden von Produzenten, am Ende leider auch ohne Publikum, die dem Deutschen Genrefilm schon mal gar nicht trauten, weil sie jahrzehntelang so geprägt wurden. Je mehr Zeit verstrich, umso mehr wurde klar, Genre machte global den Profit, und nichts anderes.

 

 

Erst in dieser Zeit wurde der Genrebegriff auch neu definiert, sprach man jetzt von fehlendem Genre, meinte man genau das, was in den Dekaden zuvor wirklich fehlte, die Genrehauptsäulen Horror, Science-Fiction und Fantasy. Clevere Ideen in allen Bereichen der Phantastik widerlegten zudem das Vorurteil, die Phantastiksparte sei teuer und effektaufwändig. Aber sowohl Horror, Sci-Fi wie Fantasy veränderten sich im Kern, in Storytelling und Dramaturgie, Effekte waren letzendlich nur die Kür. Die Säulen der Phantastik funktionierten auch minimalistisch, basierten sogar auf Minimalismus wie zu Zeiten des Expressionistischen Films.

 

 

HELL

HELL (2011) von Tim Fehlbaum

 

Mit der Erkenntnis, dass Genre auch ohne große Budgets und Effekte funktionieren kann, kam leider auch die Wahrheit ans Licht, dass es ob dieser Vernachlässigung eben doch an Talenten mangelte. Die, welche clevere Ideen hatten, gingen weiterhin direkt in die Staaten, die die blieben, mussten neues Erzählen mit Genre erst lernen. Ein großer Widerspruch, denn man konnte ohne die Praxis gar nichts lernen – ein Flop und weitere Chancen waren vertan. Die Basis für gutes Genrehandwerk lag nicht in einem erfolgreichen Glücksgriff, sondern in stetiger Produktion, im Lernprozess der Genregrundschule, die man verschlafen hatte.

 

 

Christian Alvart

Eine beständige Größe im Deutschen Genrefilm, auch nach Hollywood-Ausflügen – Regisseur und Produzent Christian Alvart.

 

 

Dass genau darin eben auch ein Erfolgsversprechen lag, ignorierten die meisten Produzenten. Nicht wenige beharrten darauf, dass die Zeit der großen Fortsetzungen und Franchises vorbei war. Dabei hatte die globale Genrewelle Anfang der 2010er Jahre überhaupt erstmal begonnen und als Produzent daran nicht Anteil zu haben, war berufsmäßig eigentlich grob fahrlässig. Aber die Wahrheit war auch, niemand begehrte wirklich auf, zu viele waren froh, überhaupt beim Film arbeiten zu können.

 

Die Deutsche Genrefilmrevolte

 

Doch Anfang der 2010er Jahre platzte manchen der Kragen. Auf Genrefilmfestivals rund um den Globus waren Genrewerke aller Nationen vertreten, außer Deutschland. Das sah man auch in Deutschland, für diese Sichtweise hat das Fantasy Filmfest bei aller Kritik manchen die Augen geöffnet. Frankreich, Großbritannien, Spanien, die skandinavischen Länder, mein Gott sogar Österreich produzierte nun erfolgreich Genrefilme, während in Deutschland nur noch Komödien und Kinderfilme im Kino und dröge Dramen und Krimis im Fernsehen erfolgreich waren. Daneben flossen Fördergelder auch in internationale Koproduktionen, bei denen man am Ende gar keine deutsche Kreativbeteiligung sah, Hauptsache US-Produktionen konnte günstig in Deutschland gedreht werden.

 

 

Deutscher Genrefilm 2014

Der Deutsche Genrefilm dreht 2014 auf: STEREO von Maximilian Erlenwein mit Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu, WHO AM I von Baran bo Odar mit Tom Schilling & die österreichische Koproduktion DAS FINSTERE TAL von Andreas Prochaska mit Sam Riley und Tobias Moretti.

 

Der Deutsche Film stand vor der Schwelle einer neuen Protestbewegung, unter invertierten Voraussetzungen wie einst die Oberhausener, die platt gesagt weg vom Genrequatsch zu mehr Realismus wollten. Nun wollte eine kleine Zahl von Filmemachern weg von der Vergangenheitsbewältigung und dem Betroffenheitskino, aber auch raus aus dem Komödienstadl Marke Schweiger hin in Richtung Vielfalt der Genres, zu mehr Mut im Erzählkino, zu neuen Wegen, vor allem aber zu neuen Möglichkeiten.

 

 

Diese kleine Zahl von Filmemachern war anfangs größer als eins, aber kleiner als drei, tatschlich waren es die Filmemacher Paul Andexel und Krystof Zlatnik, die diesen Wunsch in ein Symbol umwandelten, einem abgehackten Bärenkopf. Aus der Not heraus, überhaupt eine Plattform für eigene Genre(kurz)film zu haben, gründeten sie 2013 mit der GENRENALE ein eigenes Festival für den Neuen Deutschen Genrefilm und diesem Ruf folgten auch diverse Filmemacher in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre.

 

 

Genrenale

GENRENALE Gründer Krystof Zlatnik und Paul Andexel

 

Die GENRENALE war eine Plattform, um zeigen zu können, dass es hierzulande Talent und Passion für alle Genrespielarten gibt. Doch die GENRENALE bewirkte viel mehr, in den Jahren 2014 bis 2019 war tatsächlich etwas revolutionäres im Land zu spüren. Plötzlich wurden Genreproduktionen sichtbar, nicht nur, weil sie auf dem Festival liefen, sondern weil die Vernetzung anstachelte. Es war Teil eines 2-Stufen-Planes, bei dem zumindest Stufe 1 erstmal funktionierte – ja, es gab in Deutschland Filmemacher, die kreativ mit Genre umgehen konnten, die nicht einen Slasher Teil 14 drehen wollten, sondern neue Wege bestreiten wollten.

 

 

Deutscher Genrefilm 2015

DER NACHTMAHR (2015) von Achim Bornhak, DER BUNKER (2015) von Nikias Chryssos & DER SAMURAI (2014) von Till Kleinert

 

Plötzlich waren da Filme wie DER NACHTMAHR, DER SAMURAI oder DER BUNKER, frisch, mutig und unangepasst im Fahrwasser der Revolte. Da waren auch Filme wie HELL, STEREO, WHO AM I oder STUNG, die von wagemutigen Produktionsfirmen kamen, wenn auch ein Großteil leider nicht wirklich von finanziellem Erfolg gekrönt waren. Und da waren junge Wilde, die einfach drauflosdrehten und Filme wie IMMIGRATION GAME, INGENIUM oder HAGER stemmten, die das alte Undergroundfeeling der 80er und 90er versprühten, aber reifer waren und arschcool Nischen im internationalen Genrefilmspektrum besetzten.

 

 

Als die GENRENALE 2013 ganz klein war und startete, war die mögliche Hauptplattform für Deutsches Genre noch ausschließlich das Kino (Kampf), das Fernsehen (Krampf) oder der Verleihmarkt (Stampf). Als sich 2014 aber die Verwertungsplattformen änderten, Kino, DVD oder Fernsehmarkt nicht mehr Alleinherrscher des Vertriebes waren, sondern mit Netflix auch in Deutschland eine neue Vertriebs- und später Produktionsplattform entstand, die auch von europäischen Mitbewerbern bespielt wurde, kam zum ganzen Revolutionsgebaren endlich auf ein Aufflackern der Stufe 2 im Genreplan zum Tragen – kommerzieller Erfolg.

 

 

Deutscher Genrefilm

Guerilla Genre Filmmaking: IMMIGRATION GAME (2017) von Krystof Zlantnik, INGENIUM (2018) von Steffen Hacker & HAGER (2020) von Kevin Kopacka.

 

Dabei war spätestens Mitte der 2010er Jahre jedem Produzenten klar, das große Geld wird mit Genre verdient, mit Franchisen, vor allem mit Zuschauerbindung. Die GENRENALE hatten ihren riesigen Anteil daran, dass Talente in Deutschland sichtbar wurden. Nun ging es in der Tat einen Schritt weiter, jenen Talenten kommerzielle Projekte anzuvertrauen und Gelder fließen zu lassen. Eine Plattform wie Netflix, insgesamt der On-Demand-Markt war eine große Chance, nicht nur am internationalen Genretreiben, sondern auch am Siegeszug von Serien teilzuhaben. Plötzlich schien alles ganz schnell zu gehen, aber es wurde auch höchste Zeit.

 

 

DARK

Endlich Deutsche Genreserien via Netflix & Co.: DARK (2017 – 2020) von Baran bo Odar

 

Die ersten Chancen erhielten 2017 die Serien DARK von Baran bo Odar und Jantje Friese via Netflix sowie YOU ARE WANTED von Matthias Schweighöfer via amazon prime. Ein wenig aufgescheucht war die traditionelle Filmproduktion in Deutschland davon schon, plötzlich besann man sich auf die eigene Filmidentität und diverser Marken, DAS BOOT ging in Serie, Michael Bully Herbig drehte einen Thriller um die Flucht aus der DDR fürs Kino, dort lief im selben Jahr mit DER HAUPTMANN eine Splittergranate von Historienfilm in einer Tonalität, die man vorher nicht für möglich gehalten hatte.

 

 

Die Transformation des internationalen Genremarktes war der Hauptgrund, warum sich auch in Deutschland auch etwas verändern musste, um nicht in eine endgültige Sackgasse zu geraten. Dass das Kino, die Hauptplattform dieser Wünsche, immer tiefer in die Krise schlitterte, eröffnete auch erst neue Möglichkeiten für Genre. Die neue Generation war auf diesen Shift besser vorbereitet als die traditionelle Kinoproduktion in Deutschland. Sie waren selbst Genrefans und wollten Filme für ein Publikum machen, die wie sie tickten. Und plötzlich ploppte die Erkentnnis auf, das waren gar nicht so wenige. Es war die Masse der Nischen.

 

 

Deutscher Genrefilm

Frisch, mutig, unangepasst: LUZ (2018) von Tilman Singer, die Serie HAUSEN (2020) von Till Kleinert und Anna Stoeva & TIDES (2021) von Tim Fehlbaum.

 

Durch das Überangebot wurden Nischen umso sichtbarer, Nischen aber waren keine kleinen Felder, Nischen bedeutete, ganz genau auf Publikumsgeschmäcker zu regieren und zu agieren. Nischen bedeutete in Wirklichkeit eine weitere Zersplitterung von Genres, dazu zählt auch ein großer Markt von retrospektiver Filmemacherei. Früher gab es im deutschen Kino möglicherweise wirklich kein Publikum für diverse Horrorsparten. Heute gibt es dank der vielen Plattformen Sparten für alles, was die Vermarktung vereinfacht. Heute ist Genre noch mehr Versprechen an das Publikum, als es früher war. Es gab keine Wellen mehr, alles war in Bewegung.

 

 

Naja, es sei denn, es kommt was dazwischen, was weiß ich, eine Pandemie oder so. Aber so wirklich aufgehalten hat die derzeitige Misere diese neue Bewegung nicht. Streng genommen ist es gar keine Bewegung mehr, es ist eine Notwendigkeit. Auch im zweiten Jahr der Pandemie gibt es Erfolgsnachrichten für den Deutschen Genrefilm, leider nicht im Kino, wohl aber global via Streaming. Mit BLOOD RED SKY gelang es in den ersten drei Wochen auf Netflix, in über 50 Millionen Haushalten weltweit abgerufen zu werden. BLOOD RED SKY trägt nun den Titel International erfolgreichster deutscher Film aller Zeiten und dieses Prädikat ist noch nicht einmal an ein Einspielergebnis geknüpft, es kommt darauf an, wie man Erfolg interpretiert.

 

 

BLOOD RED SKY

Der derzeitige Höhepunkt des kommerziellen Erfolges des Neuen Deutschen Genrefilms: BLOOD RED SKY (2021) von Peter Thorwarth (Netflix).

 

Ist der Deutsche Genrefilm nun also auf der Erfolgsspur? Aus dieser meiner Außensicht in jedem Fall, auch in meiner bescheidenen Sicht innerhalb der Filmwirtschaft. Da ich aber nicht alles weiß, lasse ich nach wie vor Bedenken und Zwiespälte zu, die wohl recht haben damit, dass sich durch die letzten Jahre Deutschland noch längst nicht in ein Genrewunderland verwandelt hat. Auf der anderen Seite, nie war so viel Bewegung im deutschen Film als seit 2013, das ist noch nicht mal 10 Jahre her und bedenkt man die Vorlaufzeiten für Filmprojekte, dann ist das alles immer noch der Anfang. Was soll passieren? Die Rückkehr des Heimatfilm?

 

 

Deutscher Genrefilm 2022

Kommt bald: SLØBORN Staffel 2, ab 7. Januar 2022 in der ZDF-Mediathek, 1899 – die neue Serie von Baran bo Odar (DARK) & KILLING HTILER von SCHNEEFLÖCKCHEN Team Adolfo J Kolmerer und Drehbuchautor Arend Remmers.

 

Vielleicht bin ich auch nur zu optimistisch. Ich als Konsument darf das sein, ich bin von Altlasten befreit. Den Mut macht Mut. Es kann gern noch mehr Mut geben, mehr FAKING oder KILLING HITLER als HILTER DAS ROSA KANINCHEN STAHL. Auch du Til wirst nicht verarmen, aber dreh doch mal ein Remake von MANTA, MANTA oder besser gleich SUV, SUV – DAS GELÄNDELIMOUSINEN-MASSAKER. Wie wäre es mit einer Neuinterpretation von METROPOLIS? Oder NOSFERATU, Konzept liegt hier. Die Gedanken sind frei, wer kann sie verfilmen? Der Deutsche Genrefilm hat momentan mehr Chancen als Widerstände und eine weit bessere Prognose als je zuvor. Wenn nicht jetzt, dann allerspätestens mit der nächsten Gen(r)eration.

 

tl;dr: Der Deutsche Genrefilm doch nicht doof!

 

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In der Reihe DIE KLEINE GENREFIBEL habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Genre, Subgenre, Mikro- und Nanogenre des Genrefilms vorzustellen. Eine Aufgabe, die mich bis weit nach mein Lebensende beschäftigen wird. Ich lege den Fokus auf Dramaturgie und Buch, werde mich aber auch mit der Inszenierung sowie den jeweils besten Vertretern befassen.

 

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de