Zum Teufel mit dem Knuddelfaktor!

Nu kuck doch, wie süß! Wie ´se da sitzen, Klopfer, Dumbo, Mogli und wie sie alle heißen, Figuren aus Animationsfilmen, niedlich, kulleräugig, bonbonesk! Aber das ist nicht die ganze Wahrheit, auch animierte Filmfiguren sind inzwischen dem Kindchenschema entwachsen und der ein oder andere Charakter ist lebendiger geschrieben als so manche Realfilmfigur. Wie so oft sind es aber vorrangig Kleinigkeiten, die eine Figur Besonders machen. Abseits von Disneykulleraugen, Pixarpixeln oder Gollum, zu welchen Animationsfiguren habe ich eine besondere Beziehung aufgebaut und warum? Zehn Figuren, bestenfalls zehn Antworten!

 

Sally aus TIM BURTONS NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS

visual_sally
“Ob wir uns finden? Und dann verbinden? Ich glaub’ es kaum, wenn auch das Herz mir bricht. Die Richt’ge bin ich nicht.”

 

Wer ist Sally?

 

Sally lebt in Halloweentown, ein Wesen aus zusammengenähten Lumpen und ist das Produkt von Dr. Finkelstein. Sie liebt heimlich Jack Skellington, den Kürbiskönig, doch wird ihre Liebe nicht beachtet. In einer Vision sieht Sally, dass Jacks Pläne, das Weihnachtsfest zu gestalten, in einem Fiasko enden. Sie beschließt, das Unheil abzuwenden, auch wenn das bedeutet, dass deswegen ihre Liebe zu Jack stets unerfüllt bleiben wird.

 

Was ist das Besondere an Sally?

 

Sally ist für eine lebende Leichenpuppe unvergleichlich grazil, stolz und erhaben. Ihre eigene körperliche Verfassung ist ihr egal. Sally hat einen großen Freiheitsdrang, schaffte es immer wieder, sich von ihrem Schöpfer Dr. Finkelstein wegzuschleichen. Das Besondere an Sally ist, dass man es spürt, wie sehr es sie bedrückt, dass Jack einfach nicht zuhören will und ihr die Worte im Mund herumdreht. Sally hätte sicher genug Möglichkeiten, die anderen Bewohner von Halloweentown zu warnen. Aber Sally ist eine Einzelkämpferin, sie ist selbstlos und stellt ihre Gefühle weit hinter das Wohlbefinden ihres Geliebten. Sallys Figur wird im Original von Catherine O’ Hara gesprochen. Ich finde die Synchronisation von Nina Hagen sogar noch gelungener. Man erkennt Hagen überhaupt nicht, sie legt durch ihre Stimme eine unvergleichliche Fragilität in die Figur, deren Körper auch zerbrechlich ist.

 

 

Aisling aus THE SECRET OF KELLS

visual_aisling

 

“Ich durchlebte viele Zeitalter, ich sah die Welt durch die Augen des Lachses, des Rehs und des Wolfes, ich sah die Wikinger über Irland herfallen und wie sie alles zerstörten. Ich sah die Menschen unter der Finsternis leiden, doch ich sah auch Schönheit erblühen an dem verwundbarsten Ort.”

 

 

Wer ist Aisling?

 

Aisling ist eine Wolfsfee, die bereits mehrere hundert Jahre alt, vom Wesen her aber noch ein Kind ist. Sie ist die einzige weibliche Figur in dem irisch-französisch-belgischen Fantasyzeichentrickfilm THE SECRET OF KELLS, der 2010 für den OSCAR nominiert war. Aisling lebt in einem Wald, den sie als “Ihren Wald!” bezeichnet, tief verbunden mit der Natur, hat elegante Seiten, kann aber auch ganz kindisch, verspielt und sogar kratzbürstig sein. Sie freundet sich mit dem zwölfjährigen Brendan an und begleitet ihn und die Katze Pangur Bán auf mystischen Abenteuern.

 

Was ist das Besondere an Aisling?

 

Die kleine Wolfsfee Aisling ist schwer zu fassen. Sie vereint unschuldiges, kindliches Gemüt, verteidigt ihren Wald mit allen Mitteln, gleichzeitig spürt man aber auch ihre Verwurzelung mit der Ewigkeit. Das Besondere an ihr ist, wie sie beide Wesenszüge zu einem völlig Neuen verbindet, zwischen naiver Kindlichkeit und erhabenem Alter. Vielleicht ist sie aber auch nur ein Traum? Sie versucht, schaurige Grimassen zu ziehen, fletscht die Zähne und zeigt Krallen. Der magische Moment in Aisling aber ist jener, in dem sie ihren Song “Pangur Bán oh Pangur Bán” singt. “You must go, where i can not!”

 

Blaubart aus FELIDAE

visual_blaubart

 

“…mit dieser Brut haben sich die Dosenöffner ans eigene Bein gepisst. Sie sind nicht wie wir, ja, irgendwie hab ich den Eindruck, als sei bei ihnen während der ganzen verdammten Züchterei die Domestikation auf der Strecke geblieben!”

 

 

Wer ist Blaubart?

 

Blaubart ist ein alter Main-Coon-Kater, der nur noch ein Auge besitzt, außer Fressen kaum etwas anderes im Kopf hat und der am laufenden Band mit Schimpfwörtern um sich wirft, scheiße, ja! Er ist nur eine kleine Figur im Film FELIDAE, aber das perfekte Gleichgewicht zum oberlehrerhaften und schnöseligen Hauptheld der Geschichte – Francis. Blaubart relativiert jede altkluge Äußerung des Katzendetektivs mit Kaltschnäuzigkeit und einer gehörigen Portion Abgefucktheit, als wäre er das Haustier von Walter Sobchak.

 

Was ist das Besondere an Blaubart?

 

“Verdammte Scheiße, diese Abgefucktheit, von der der Typ gerade geschrieben hat!” Ich kenne Katzen, die sind wirklich wie Blaubart. Seine Figur wird natürlich maßgeblich von Mario Adorfs Synchronstimme geprägt. Es ist aber auch seine geschundene Physis, nur ein Auge und keinen Schwanz, trotzdem jammert Blaubart nicht, er meckert höchstens. Blaubart ist die interessantere Figur und “spielt” Francis auch in so gut wie jeder gemeinsamen Szene an die Wand.

 

Gromit aus WALLACE & GROMIT

visual_gromit

“…”

 

Wer ist Gromit?

 

Gromit ist ein Hund, und zwar der von Wallace. Wallace plappert den ganzen Tag lang und löst ein Chaos nach dem anderen aus. Gromit hingegen schweigt und tut alles daran, das Chaos von Wallace nicht größer zu machen als nötig. Gromit liebt einen gepflegten Lebenswandel, genießt Tee und liest mit Vorliebe Werke der Weltliteratur für Hunde.

 

 

Was ist das Besondere an Gromit?

 

Weil er der Beweis dafür ist, dass Intelligenz keine Sprache bedarf. Gromit ist eine stumme Figur, eine Knetmassefigur, die trotzdem über eine ausdrucksvolle Mimik verfügt. Gromit muss meist richten, was sein Herrchen verbockt hat. Dabei will Gromit eigentlich nur eins, Ruhe. Gromit ist in seiner Wesenasrt vergleichbar mit Silent Bob. Ein herausragendes Exemplar im überfüllten Zwinger an Hundefiguren.

 

Molly Grue aus THE LAST UNICORN

visual_molly

 

“Es muss das Letzte sein, denn es ist zu Molly Grue gekommen!”

 

Wer ist Molly Grue?

 

Molly Grue ist eine Nebenfigur aus dem Film THE LAST UNICORN und gehört einer Banditenbande an. Anfangs ist sie ist forsch und verbittert (“Und wer ist dieser lange Lulatsch? Ich mag seine Visage nicht. Schneidet ihm die Kehle durch!”). Als Molly das erste Mal ein Einhorn sieht, wirkt sie verzweifelt. Der ganze Schmerz über ihre vergeudetes Leben bricht hervor, doch sie verzeiht dem Einhorn, ihr nicht eher begegnet zu sein.

 

Was ist das Besondere an Molly Grue?

 

Man spürt, wie die Begegnung mit dem letzten Einhorn ihr Leben verändert, eine Veränderung, die sie sich seit Ewigkeiten herbeigesehnt hat. Für Molly steht das Einhorn für ihre nichterfüllten Träume und Wünsche. Das Besondere an Molly sind ihre Augen, in denen man ihre Wut, Enttäuschung, aber auch ein wenig Hoffnung sehen kann, bis zum bitteren Ende “Und was ist, wenn es gar kein glückliches Ende gibt?”  fragt Molly den Zauberer Schmendrick, der darauf antwortet: “Es gibt nie ein glückliches Ende, denn es endet Nichts!”

 

Marjane aus PERSEPOLIS

visual_marjane

 

“Ich frage mich, wie kommt es, dass ich als Frau nichts empfinden soll beim Anblick wohlgeformter Männerkörper, während sie in Erregung geraten, wenn mein Kopftuch 5 cm kürzer ist?”

 

Wer ist Marjane?

 

Die achtjährige Marjane wächst in Teheran auf, während iranischen Revolution 1979. Nach der Bombarierung Teherans wird sie von ihren Eltern in ein Internat nach Wien geschickt. Ihr Leben in Österreich ist geprägt von Unglücken, Depressionen und Krankheit, bis sie als Erwachsene in den Iran zurückkehrt. Doch auch dort wird Marjane nicht glücklich, so dass sie letztendlich nach Frankreich auswandert.

 

Was ist das Besondere an Marjane?

 

Alles. Der Film PERSEPOLIS basiert auf den Erfahrungen der iranischen Künstlerin Marjane Satrapi. Ihre Figur Marjane ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Sie lebt ein Leben zwischen Gott und Karl Marx, zwischen Aufbruchsstimmung, Punk, Revolutionsgeist, ABBA, Michael Jackson, aber auch Entfremdung, Identitätssuche, Melancholie und Selbstaufgabe. Marjane ist eine Figur, die unglaublich vielschichtig ist, in der sich wahnsinnig viele Facetten und Ansichten verbergen, die aber nie überfrachtet wirkt.

 

Mary & Max aus MARY & MAX ODER SCHRUMPFEN SCHAFE WENN ES REGNET?

visual_marymax

 

“Es tut mir so leid zu hören das du dick bist. Mami sagt das ich auch dick bin, und wenn ich nicht aufpasse werde ich auch ein Walross, ich glaube das ist eine Sorte Pferde.”

 

Wer sind Mary und Max?

 

Mary Daisy Dinkle ist eine achtjähriges, einsames Mädchen, welches 1976 in Australien lebt. Max Jerry Horowitz hingegen wohnt in New York. Max hat das Asperger-Syndrom. Beide verbindet über Jahre eine Brieffreundschaft, in der sie sich gegenseitig über die Schwierigkeiten des Lebens austauschen. Erst nach vielen Jahren wagt Mary den Versuch, Max in New York zu besuchen.

 

 

Was ist das Besondere an Mary & Max?

 

Gleich zwei Figuren, die unvergleichbar sind in der Filmlandschaft, allerhöchstens mit anderen Figuren des Künstlers Adam Elliot (HARVEY CRUMP). Was beide verbindet, worüber sich Mary und Max in ihren Briefen austauschen, ist gleichsam traurig, herzerwärmend, urkomisch, melancholisch und zum Teil bittersüß. Kleine Dinge werden in unvergleichlicher Weise von beiden Außenseitern analysiert, große Tragödien nie moralisch oder sentimental entstellt. Vielleicht die wunderbarsten Figuren, mit Sicherheit aber die brillantesten Voice Over der Animationsfilmgeschichte:

“Mary wollte wissen ob die Leute in Amerika ihre Babys auch in Biergläsern finden, vielleicht finden Leute ihre Babys ganz wo anders, sie trinken viel Coca Cola..vielleicht finden sie ihre Babys in Coladosen? Aber nein, sie würden nicht durch das Loch passen.”

 

Lisa Simpson aus THE SIMPSONS

visual_lisa

 

“Oh, eine politische Diskussion bei Tische, ich komme mir vor wie eine echte Kennedy!”

 

Wer ist Lisa Simpson?

 

Bitte? Hat grad jemand wirklich gefragt, wer Lisa Simpson ist?

 

 

Was ist das Besondere an Lisa Simpson?

 

“Schwarze Schafe” gibt es in jeder Familie, zum Beispiel Marilyn Munster. Lisa Simpson ist auch so ein schwarzes Schaf, denn sie ist anders als die anderen Simpsons. Naja, sie kommt ein wenig nach ihrer Mutter, aber auch von Marge trennt sie Galaxien. Oft kommt Lisa so rüber, als sei sie ein Streber, ein altkluges Früchtchen, ohne Spaß und voller Moral. Aber das stimmt nicht. Lisa ist nicht schwarz-weiß, ja gut, sie ist gelb, aber ihre Figur ist jenseits jeder Stereotype. Sie hat ihren eigenen Kopf, Selbstzweifel (zu dicke Beine?), ist hinterlistig, musisch, verträumt, herzensgut und eigensinnig. Ich liebe Lisa Simpson! Die anderen Gelblinge aus Springwood sind alle ganz toll, aber Lisa ist für mich mehr echter Mensch als reale Personen. Allein ihr wundervoll naiver Blick in die Zukunft:

 

“Ich werde eine berühmte Jazzmusikerin. Habe ich mir schon genau überlegt. Der Prophet gilt im eigenen Lande nichts, aber meine Bluesinterpretationen werden Frankreich erobern. Keine Drogen, aber ich werde ungestüme, leidenschaftliche Liebesaffären haben. Ich sterbe jung oder auch nicht, da habe ich mich noch nicht festgelegt.”

 

Ahsoka Tano aus STAR WARS: THE CLONE WARS

visual_ahsoka

 

„Sagt uns, was wir wissen wollen, und zwar sofort! Oder ich schlitze Euch auf wie einen Rokarianischen Schlammfisch!“

 

Wer ist Ahsoka Tano?

 

Eigentlich ganz einfach. Ahsoka ist der togrutanische Padawan von Anakin Skywalker während der Klonkriege, die auf Geonosis ihren Anfang nahmen, entdeckt von Kel’Dor-Jedi-Meister Plo Koon auf Shili. Ahsoka will ein Jedi werden und ihr Spitzname ist Snips. Das hat nix mit Filmwissen zu tun, Leute, das sind Grundlagen!

 

 

Was ist das Besondere an Ahsoka Tano?

 

Nun, auf den ersten Blick mag man den Eindruck haben, Ahsoka sei ein besserwisserisches Kleinkind, rechthaberisch, aufmüpfig, altklug. Aber Ahsoka ist eine Figur, die sich innerhalb der fünf Staffeln STAR WARS: THE CLONE WARS am interessantesten entwickelt hat. Wirkte sie für Kanonbesessene anfangs undurchdacht in die Saga gepresst (“Anakin hatte einen Padawan, sag ma gehts noch?”), mustert sich aber von Folge zu Folge zu einer eigenständigen Persönlichkeit. An ihr kann man am besten den Verfall der arroganten Jedi sehen, während sie persönlichen, altruistischen Tugenden treu bleibt.

 

Was mich aber am meisten mit Ahsoka verbindet, ist etwas, was eigentlich gar nichts mit der Figur selbst zu tun hat. Man mag ja Außenseiter und Außenstehende besonders gern, wenn sie von anderen Figuren angefeindet werden. Bei Ahsoka ist es so, dass sie von der STAR WARS Fangemeinde wenig gemocht wird. Das allein lässt mich auf ihre Seite schlagen, was haben die alle nur mit dieser wirklich tollen, äh…Togruta? Ahsoka ist für mich die beste Figur in THE CLONE WARS und auch eine der interessantesten STAR WARS Figuren überhaupt.

 

Und wenn Euch das nicht passt, dann lasst uns doch in Ruhe!

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de