Der Nacktmull muss niesen. Feenstaub.

Britizismus, Quadrinom, Paränese, Impietät, Mankieren, Ordonanz, Skabrös, Intransigent. Wann immer Autoren und Stoffentwickler neue Wörter aufschnappen, es fühlt sich wie die Entdeckung einer unerforschten Tier- oder Pflanzenart an. Im Unbekannten schlummern neue Denkweisen, zwischen dem “R” und dem “Ö” in “Skabrös”, da sind Geschichten drin versteckt. Ihr nennt das verquert, intellektuell verpuderquastet oder kapriziös? Kann sein. Aber so ist das nun mal. Dabei hab ich noch gar nicht von Dingen gesprochen, für die es keinerlei Begrifflichkeit gibt. Zum Beispiel für das diffuse Gefühl, wenn Inspiration für etwas nicht aus dem Konkreten entspringt, sondern einem Farbtopf an Eindrücken, die alles Bestehende parallelverschieben und oder in Frage stellen. Nennen wir dieses Gefühl “melangeristisch”. Oder “Trispalt” – die Steigerung von “Zwiespalt”.

 

Ich bin wieder zurück von einer Woche Filmfest Dresden und ich habe etwas mitgebracht. Einen melangeristischen Trispalt. Keine Angst, mein Mitbringsel ist kein Jammern, kein Läutern, in diesem Jahr hat mich das Filmfest Dresden, beziehungsweise das Programm, zu einigen Neujustierungen des Genregedankens geführt. Klingt nach Äpfeln und Birnen, ist aber eigentlich ganz logisch. Im Februar fand die dritte GENRENALE in Berlin statt, das Festival für den deutschen Genrefilm.

 

Das Filmfest Dresden im April hingegen ist ein internationales Kurzfilmfestival mit Schwerpunkt auf Animation. Im Mai geht´s dann weiter mit der GENRENALE SCREAMER TOUR und ich sollte eigentlich hin- und hergerissen sein zwischen so unterschiedlichen Veranstaltungen und Ausrichtungen. Bin ich aber nicht. Denn ich bin Stoffentwickler, Autor und der Treibstoff meines kreativen Motors ist die Inspiration. Und bin ich vom Filmfest Dresden genretechnisch inspiriert worden? Klar doch! Vielleicht nicht konkret durch neue Geschichten, Figuren, Erzählperspektiven. Wohl aber durch Gegensätze, durch Andersartigkeit, durch Querdenkerei, kurz, durch die Freiheit der Kunst.

 

Kunstkino oder Genrefilm – wer riskiert mehr?

Das Filmfest Dresden ist kein Genrefilmfestival. Ich will auch gar nicht beide Veranstaltungen miteinander vergleichen, darum geht es überhaupt nicht. Ich spreche vom Genrefilm an sich und der Quelle dessen Inspiration. Es geht mir um die Frage, was mich und andere zum Genrefilm inspiriert. Diese Frage entwickelt sich weiter zu der Überlegung, was ich erzählen möchte und warum. Diese Diskussion wird auch im Neuen Deutschen Genrefilm geführt. Es gibt ein Forum, es gibt die Diskussion in der Gruppe, es gibt ein Festival, es gibt den großen Wunsch nach Genre in diesem Land, zumindest von Seiten der Filmemacher, die jetzt ihre Stimme erheben. Es gibt Forderungen nach Vielfalt, nach neuen Maßstäben im Bereich Förderung und Produktion, nach Mut, nach neuen Wegen. Doch ich bin kein Regisseur, kein Produzent. Ich bin Stoffentwickler und Autor, die Stellschrauben, an denen ich drehe, befinden sich ganz unten an der Karosserie.

 

Im Festivalkatalog liegen weniger Antworten als in den weißen Feldern dazwischen.

Die GENRENALE 3 war ein großer Schritt, eine wichtige Plattform für etwas ganz konkretes, die bedingungslose Liebe zum Genrefilm und dem Wunsch, das ausleben zu können, in einem marktwirtschaftlichen Rahmen, in dem man als Filmemacher nicht zu Grunde geht vor Selbstausbeutung. Gleich danach aber kommt die Frage nach Inhalten, nach Formen. Ich bin von der GENRENALE begeistert, von den Filmen, den Visionen. Dann aber bin ich auf dem Filmfest Dresden, einem von vielen Kurzfilmfestivals in Europa, mit internationalen Beiträgen, aber auch mit nationalem Fokus. Ist da ein so großer Unterschied? Sind da die Feindbilder, von denen der Deutsche Genrefilm Abstand nehmen möchte? Im Gegenteil.

 

Dort sind die gleichen Leute, Filmemacher mit der Sehnsucht, Wahrhaftiges zu erzählen. Ich habe das Glück, hinter die Fassade schauen zu dürfen. Ein Blick in den Festivalkatalog kann das nicht vermitteln. Aber ich lerne Menschen kennen, die im Inneren das Gleiche wollen, auch wenn der Begriff “Genrefilm” dort nicht explizit fällt. Vielleicht ist es so, dass die Art der Filme innerhalb des Wettbewerbs, aber auch im Rahmenprogramm, in Retrospektiven, in Podiumsdiskussionen oder in Workshops, puristischer sind in ihrem Ursprung, zum Film als solches zurückführen, zur Faszination am Medium selbst zurückführen. Wenn ich dann wieder zurückkehre zur Diskussion um den wie auch immer gearteten Neuen Deutschen Genrefilm, dann kommt der mir plötzlich so klein vor. Nicht der Output an sich, ich meine nicht die Filme selbst, ich spreche von Beweggründen, Genre zu machen. Die Diskussion um deutsche Genrestoffe, inhaltlich, dreht sich vorrangig um zwei Begriffe: Genre und Identität. In der Diskussion um Genrestoffe wird vieles hinterfragt. Aber ich will, angeregt durch ein Gefühl, für das es kein Wort gibt, auch mal das Hinterfragte hinterfragen.

 

Die richtige Antwort ist “Genrefilm?”

Auf dem Filmfest Dresden gibt es durchaus Filme klassischer Erzählweise, aber Genrestrukturen bestimmen nicht vorrangig die Machart. Es gibt sehr viel Abstraktes, Nonkonformes, Nebulöses, Experimentelles. Die Beiträge der dritten GENRENALE waren, wie es auch Uwe Boll wertfrei formulierte, kurze Spielfilme. Der Grund scheint klar, die Filme auf der GENRENALE stehen für den Wunsch, große Genrefilme in Deutschland machen zu wollen, sie sind ein Abbild dieses Wunsches. Aber geht man nur von dieser Seite an die Materie heran, kann das auch Enge bedeuten. Nach fast jedem Film auf der GENRENALE kam in der kurzen Diskussion zwischen Moderation und Filmemacher die Frage auf, aus diesem oder jenen Beitrag entweder eine Fortsetzung oder eine Langfassung zu machen. Ich habe mich schon gewundert, warum so wenig freie Herangehensweisen, so wenig abstrakter Mut zu sehen war, einen Genrefilm zu machen, dessen Beweggrund nicht nur war, einen Genrefilm zu machen.

 

ALIENATION von Laura Lehmus, interfilm Berlin Management GmbH

Dem gegenüber sah ich auf dem Filmfest Dresden den wundervollen Film ALIENATION von Laura Lehmus, ein Film, in dem animierte Aliens aller Art mit echten Interviews pubertierender Teenager synchronisiert wurden – ein unfassbar witziger, aber auch tiefer Film. Ob so ein Film auf der GENRENALE angekommen wäre? Darum geht es mir gar nicht. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich glaube, der Film ALIENATION wollte nie ein Genrefilm sein. Mich hat er aber mehr inspiriert als das 100. mal ALIEN, gerade weil der Kurzfilm mir keine Genreantworten liefert. So gut wie alle Filme auf der GENRENALE, damit meine ich aber mehr die Stoffe, waren darauf angelegt, “Antworten” zu liefern. Was aber, wenn “Fragen stellen” die interessantere Herangehensweise ist? Natürlich stellt der Genrefilm Fragen, die mögen auch variabel sein, aber die Antwort ist in vielen Fällen einfach nur:

 

“Genrefilm!”

 

Die Diskussion um Genrestoffe hat oft diese Universalantwort. Und Genrefilm bedeutet vielmals lediglich Struktur. Aber auch wenn ich berufsbedingt Dramaturgie und Struktur bis aufs Messer verteidige, der Genrefilm besteht nicht nur aus Form. Vielleicht habe ich in der Diskussion um den deutschen Genrefilm das Gefühl, der deutsche Genrefilm will noch zu wenig. Denn es scheint so, als wäre das Ziel, einfach nur gleichzuziehen, Genre zu machen. Man wird Steine nach mir werfen, denn für so gut wie alle Filmemacher in diesem Land, die Genre lieben, wäre das bereits ein Idealzustand, endlich das machen zu können, was in anderen Ländern selbstverständlich ist. Aber reicht das aus? Heißt es nicht NEUER Deutscher Genrefilm und werden Fragen gestellt, was daran überhaupt Neu ist? Dorthin zu kommen, wo andere schon seit Jahrzehnten sind? Wovon will sich der Neue Deutsche Genrefilm emanzipieren? Doch nicht von allem Filmischen außerhalb des internationalen Genrefilms. Wer riskiert mehr, der Kunst- oder der Genrefilm? Warum nicht diese Ebene überspringen? Nicht nach Produktionsmaßstäben, aber in der Diskussion. Worüber wird denn diskutiert?

 

“Ein guter Genrefilm muss in erster Linie ein Genrefilm sein!”

Auf dem Filmfest Dresden habe ich verhältnismäßig wenig an Filmen gesehen, aber was ich sah, hat mich ungemein inspiriert. Die Quelle der Inspiration steckt nicht nur im Filmischen. Sie versteckt sich unter Kieselsteinen, hinter Wetterphänomenen, hinter Farben und unbekannten Fremdwörtern. Zumindest meine Inspiration. Die größte Inspiration für den deutschen Genrefilm aber scheint der Genrefilm selbst zu sein. Abweichungen werden missmutig aufgenommen. Ein guter Genrefilm muss in erster Linie ein Genrefilm sein, das ist ein Credo, welches ich in der Diskussion aufgeschnappt habe. Crossover, Manipulationen, das Brechen von Genreerwartungen wird häufig kritisch aufgenommen. Denn die Antwort muss ja lauten: “Genrefilm!” und nicht “Genrefilm?”

 

 

DÄWIT von David Jansen, Fabian&Fred http://daewit.fabianfred.com/

 

 

Ein Quell meiner Inspiration ist natürlich auch der Genrefilm, die bedingungslose Liebe zum Genre in meiner Kindheit und Jugend, die Prägung durch Killerroboter, schleimige Zombies und Helden, die holde Jungfrauen mit Macheten beschützen. Aber nicht ausschließlich. Wenn ich an einen Stoff herangehe, suche ich andere Dinge. Ich liebe Slasherfilme, aber ich habe selbst kaum Interesse daran, einen geradlinigen Slasher zu schreiben, ich suche Lücken, die überhaupt erst entstehen, wenn man wie ich und viele andere Genreware geradezu assimiliert. Ich mache das nicht um seiner selbst willen, ich bin kein Rebell, der Nischen nur um der Nische wegen sucht. Wenn ich so etwas wie PANOPTIKUM entwickle, welches sich strukturell nicht wirklich mit anderen Anthologien vergleichen lässt, dann mache ich das nicht aus Egomanie, sondern weil mir die Frage wichtiger ist als die Antwort. Ich definiere meine Geschichten inhaltlich nicht von anderer Genreware. Ich definiere meine Geschichten aus meiner Evolution, meiner sich verändernden Sicht auf die Welt. Wenn ich aus diesem Keim dann einen Genrefilm machen will, dann nutze ich dramaturgische Mittel. Aber ich lasse mich nicht vom Genre versklaven.

 

Das königliche “Wir”

Die großen Eckpfeiler der Diskussion um Genrestoffe sind Genre und Identität. Während man bei der Frage, ob Genre nur Genre sein kann, in jedem Fall anecken muss, wird auch die Diskussion um die deutsche Identität im Genrefilm zu starr geführt. Sie tanzt im Großen und Ganzen immer um das Wort “Wir”. “Wir haben keine Helden!”, “Wir haben keine Unschuld!” “Wir haben keine Identität!” Nicht nur, dass ich mich von dem “Wir” nicht wirklich angesprochen fühle, es geht bei der Debatte auch häufig nur um das, was wir eben nicht sind oder nicht können. Das ist mir zu eng.

 

Ich meine damit nicht produktionsbedingte Elemente, mir ist durchaus bewusst, dass die Frage nach dem “Wir” letztendlich eine Frage nach Publikum und Zielgruppe ist. Ich spreche von der Ursuppe, woraus überhaupt Geschichten resultieren. Genrefilm bedeutet für Individualismus. Das “Wir” wird beim Entwickeln einer Geschichte völlig überschätzt. Denn es widerspricht auch dem Genregedanken an sich, der ein Wunsch ist, eine Projektionsfläche. Diese nur auf eine abstrakte Nationalität abzustimmen, die angeblich nicht mit Helden klar kommt, weil die deutsche Geschichte mit Helden skeptisch umgeht, die verkrampft wühlt nach Schätzen unter dem Berg, sie an sich zu reißen, ist mir genauso eng wie den Genrefilm nur als Genrefilm zu verstehen. Ich bin nicht die Summe einer Volksidentität. Ich bin aber auch kein Korrektiv. Ich bin, was ich bin. Wie der Genrefilm ist, was er ist.

 

An der kurzen Leine des Dogma

Der deutsche Genrefilm ist eine Tierart, die gerade erst entdeckt wurde, wie der Olinguito. Oder ein Fabelwesen wie der Wunderpus, der Raurakel oder das Muhkalb. Vielleicht ist der deutsche Genrefilm aber auch ein kleiner Nacktmull. Er ist nicht schön, aber man muss ihn mögen. Um ihn herum schwirrt eine kleine Fee, sie steht für die Inspiration der Kunst, versprüht Feenstaub, bis der Nacktmull niesen muss. Immer, wenn er niest, drehen sich alle um, weil sie denken, jetzt wird er gleich was sagen. Er aber schämt sich. Nacktmulle und Feenstaub, das passt einfach nicht. Doch das stimmt so nicht.

 

Ich bin nach einer Woche Filmfest Dresden genretechnisch ein wenig neujustiert. Weil dort, egal ob Genre oder nicht, links und rechts Leitplanken fehlen. Ich fand dort nicht, was ich glaubte zu suchen. Aber es verändert mich. Und je mehr ich mich verändere, desto mehr verändern sich die Geschichten, die ich erzählen will, die Förmchen, mit denen ich Geschichten in Strukturen presse. Das Glück im Unglück Deutscher Genrefilm liegt darin, dass jetzt Fragen auftauchen, die ewig nicht gestellt wurden. Aber die Antwort auf diese Fragen darf nicht nur “Genrefilm!” sein.

 

Die Antwort auf viele Fragen kann auch kein Manifest liefern, auch wenn ich es begrüße und es sowieso stärker zwischen den Polen Entscheider, Macher und Publikum tangiert. Aber wie gesagt, ich ich bin auch nur ein Stoffentwickler und Autor, ich drehe, wenn überhaupt, an ganz kleinen Stellschrauben, mein Gewerk darf solche Fragen stellen, muss es sogar. Zu einem Manifest des Neuen Deutschen Genrefilms habe ich vielleicht nicht viel beizutragen.

 

Sollte es ein solches mal geben, wird da nicht die Inspiration oder der Beweggrund des Geschichtenerzählens im Vordergrund stehen. Da wird vielleicht etwas von Identität stehen und ganz oft das Wort “Genrefilm”, die Universalantwort. Dann wird mein Beitrag eventuell ein geheimes Zusatzprotokoll sein, all das manifestierte in Frage zu stellen. Ich streiche dann die Wörter “muss” und “wir” heraus und ersetze sie durch die Begriffe “Symmachie”, “rhopalisch” und “intrikat”. Damit man Zeit gewinnt, das Hinterfragte zu hinterfragen.

 

 

3 Comments

  1. Antworten

    […] Genre nur Genre sein kann, damit habe ich mich auch beschäftigt, als ich auf dem FILMFEST DRESDEN Filme sah, die sich um diese Frage nicht scherten und die mich trotzdem beeindruckt haben. Es gibt […]

  2. Antworten

    […] Ich habe selbst die Frage gestellt, ob Genre nur Genre sein kann und der Begriff Elevated Genre scheint tatsächlich der Ausweg aus einer gewissen Genrestagnation zu ein, wie international erfolgreiche Hybriden und Crossover wie IT FOLLOWS oder SPRING, aber auch Großkaliber wie MAD MAX FURY ROAD oder THE REVENANT zeigen, die mitnichten reine Genrewerke sind. […]

  3. Antworten

    […] es passiert, wenn es passiert. Dieses Jahr kam ich zu keiner großen Erkenntnis wie etwa der Diskrepanz zwischen Genre und Nichtgenre, der Auslotung eigener seelischer Defizite oder dem unbewussten Widerstreben, mich auf reale Dinge […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de